Solidarität in unsicheren Zeiten - Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die bislang auf der sicheren Seite lebten. Wir alle sind gefordert ...

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Solidarität in unsicheren Zeiten - Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die bislang auf der sicheren Seite lebten. Wir alle sind gefordert ...
Zürich                                         Nr. 2 / 2020

Nachbarn

          Solidarität in
          unsicheren Zeiten
          Die Corona-Krise trifft auch Menschen,
          die bislang auf der sicheren Seite lebten.
          Wir alle sind gefordert.
Solidarität in unsicheren Zeiten - Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die bislang auf der sicheren Seite lebten. Wir alle sind gefordert ...
Inhalt

                                                                                 Inhalt
                                                                                 3    Editorial

                                                                                      Kurz & bündig

                                                                                 4    News aus dem Caritas-Netz

                                                                                      Schwerpunkt
                                                             BildZoeTempest
                                                                                 6    Als das Arbeitsleben plötzlich
                                                                                      stillstand

JacquelineKüntiistselbstständigeWochenbebegleiterin                            Schwerpunkt
ImLockdownkonntesieihrerArbeitnichtmehrnachgehen
undgerietwiesovieleinfinanzielleSchwierigkeiten                         10   Prekäre Arbeit: Leben mit der
                                                                                      Unsicherheit

Schwerpunkt                                                                           Persönlich

                                                                                 12	«Wann hast du zum letzten Mal
Solidarität in                                                                       jemandem geholfen? Wobei?»	
                                                                                     Sechs Antworten von Passantinnen und
unsicheren Zeiten                                                                     Passanten

                                                                                      Regional
Die Corona-Krise trifft diejenigen am heftig-
sten, die bereits vor der Krise wenig hatten.                                    14   Solidarisches Handeln
Besonders betroffen sind Menschen in prekä-                                           Caritas Zürich während der Corona-Krise –
ren Arbeitsverhältnissen: Arbeitnehmende im                                           drei Beispiele unserer Arbeit
Stundenlohn, auf Abruf, schlecht bezahlt. De-
ren ohnehin unsichere Lage verschärfte sich                                      17   Zum Rücktritt von Josef Annen
oft dramatisch. Die Massnahmen zur Eindäm-                                            Ein überzeugender und glaubwürdiger 
mung der Pandemie treffen aber auch Bevölke-                                          Präsident
rungsgruppen, die scheinbar sicher unterwegs
waren, beispielsweise Selbstständigerwerben-                                     18   Caritas Secondhand mit Online-Shop
de. Jacqueline Künti, Wochenbettbegleiterin                                           Vier Fragen an Verkäuferin 
aus dem Kanton Bern, konnte nicht mehr zu                                             Nunzia Spadavecchia
den jungen Müttern nach Hause. Von einem
Tag auf den anderen brachen ihr die Aufträge
weg. Die Caritas konnte ihr mit einer Über-                                           Ich will helfen
brückungszahlung durch die ärgste Phase von
                                                                                 22   Junge Freiwillige verhindern
Unsicherheit helfen. Lesen Sie in dieser Num-
mer, wie die Caritas dank ihrer Erfahrung und
                                                                                      die Schliessung der Caritas-Märkte
der grossen Solidarität der Bevölkerung hilft,
und was Unsicherheit mit uns allen macht.
                                                                                      Kolumne

Spannende Lektüre wünschen wir!                                                  23   Das wunderliche Gefühl
                                                                                      der Gemeinschaft
abSeite

2                                                                                                                    Nachbarn 2 / 20
Solidarität in unsicheren Zeiten - Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die bislang auf der sicheren Seite lebten. Wir alle sind gefordert ...
Editorial

Liebe Leserin,
lieber Leser
Eine Notsituation weckt in uns den Gerechtigkeitssinn: «Wenn
ich kann, dann tue ich etwas für die, die nichts tun können.» Wir
werden zu «Solidaritätern und Solidaritäterinnen». Solidarität
tut viel – auch mit uns selbst.

Die Corona-Krise hat alles umgewälzt. Sie hat den Globus in rie-
sigen Wellen erfasst. Wir realisieren erst in Ansätzen, was die-
ses Virus ausgelöst hat und wie die Politik, die Wirtschaft und
die Zivilgesellschaft darauf geantwortet haben. Aus der Sicht der

                                                                                                             Bild: zvg
Hilfswerke ist es vergleichbar mit dem Tsunami 2004. Insbe-
                                                                     Max Elmiger
sondere die reisefreudige Schweiz war tief erschüttert von jenem
                                                                     Direktor Caritas Zürich
Ereignis. Schlagartig wurde uns die Verletzlichkeit des Men-
schen bewusst, wie sinnlos unser Machbarkeits- und Sicher-
heitswahn letztendlich ist. Die Tsunami-Flut löste eine der          «Nachbarn», das Magazin der
                                                                     regionalen Caritas-Organisationen,
grössten «Spendenwellen» aus, von der erstaunlicherweise auch        erscheint zweimal jährlich: im April
die lokalen Hilfswerke profitiert haben. Der Tsunami sensibili-      und im Oktober.
sierte uns.
                                                                     Gesamtauflage:
                                                                     34 200 Ex.
Corona ist eine weltweite Katastrophe. Sie bedroht alle – wenn
                                                                     Auflage ZH:
auch ungleich hart. Und wieder berührt es mich, welche Solida-
                                                                     12 500 Ex.
ritätswelle diese Bedrohung ausgelöst hat: Wir hatten überwäl-
tigend viele Anfragen für Freiwilligeneinsätze und Zusagen für       Redaktion:
                                                                     Karin Faes (regional)
materielle und monetäre Spenden.
                                                                     Roland Schuler (national)

Solidarität tut Gutes für andere, aber sie tut auch etwas mit        Gestaltung, Produktion und Druck:
                                                                     Stämpfli AG, Bern
uns. Sie ist verursacht durch das Gefühl der Verletzlichkeit und
Empathie, weckt enorme Kräfte an Kreativität und Hilfe. Dan-         Caritas Zürich
ke, dass auch Sie in dieser schwierigen Zeit tatkräftig geblieben    Beckenhofstrasse 16, Postfach
                                                                     8021 Zürich
sind. Wir haben uns nie allein gefühlt. – Und ich bin überzeugt:     Tel. 044 366 68 68
Diese Welle der Solidarität ebbt nicht so schnell ab. Denn sie hat   www.caritas-zuerich.ch
                                                                     PC 80-12569-0
uns verändert.
                                                                     IBAN CH38 0900 0000 8001 2569 0

Herzlich

Max Elmiger
Direktor Caritas Zürich

Nachbarn 2 / 20                                                                                         3
Solidarität in unsicheren Zeiten - Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die bislang auf der sicheren Seite lebten. Wir alle sind gefordert ...
Kurz&bündig

Solidaritätsaktion «Eine Million Sterne»                                     Corona-Hilfe

Dieses Jahr ganz                                                             Caritas unterstützt –
besonders nötig                                                              in der Krise erst recht
Die Caritas-Solidaritätsaktion «Eine                                         Für viele Menschen an oder unter der
Million Sterne» findet dieses Jahr am                                        Armutsgrenze ist die Caritas in der
12. Dezember statt. Die Caritas macht                                        Corona-Krise eine wichtige Stütze. Mithilfe
dann besonders auf die wachsende                                             der Glückskee und vieler grosszügiger
Armut in der Schweiz aufmerksam und                                          Unterstützerinnen und Unterstützer hält
wirbt für Solidarität mit Betroffenen.                                       Caritas in der Krise die Stellung.

                                                                             Die finanzielle Not von vielen Menschen an der Armuts-
                                                                             grenze wurde mit der Corona-Krise und dem Lockdown
                                                                             noch akuter. Schon früh war klar: Caritas muss trotz
                                                                             unklarer Lage und unter Schutzvorkehrungen für Mit-
                                                                             arbeitende und Freiwillige ihre Angebote für Armuts-
                                                                             betroffene möglichst aufrechterhalten – jetzt erst recht.
                                                                             Das gelingt der Caritas dank motivierten Mitarbeiten-
                                                                             den und Freiwilligen, der Glückskette und der grossen
                                                        BildThomasPlain

In der Schweiz leben rund 1,2 Millionen Menschen
unter oder knapp über dem Existenzminimum. Die
Folgen der Corona-Massnahmen treffen diese Men-

                                                                                                                                         BildDominicWenger
schen besonders hart. Working Poor, Menschen in
unsicheren Anstellungsverhältnissen oder in Bran-
chen, die vom Lockdown besonders hart getroffen
wurden, müssen noch mehr kämpfen, als dies vor
«Corona» ohnehin schon der Fall war.                                         Solidarität in der Bevölkerung. Aufgrund der Erfahrung
Zurzeit sind die sozialen Folgen noch nicht absehbar.                        der Caritas als Hilfswerk und der starken regionalen
Sicher ist: Menschen in schwierigen Lagen brauchen                           Verankerung konnte rasch und auf die Bedürfnisse in
unsere Unterstützung. Sie brauchen unsere Solidari-                          den Regionen abgestimmt reagiert werden.
tät. Als Zeichen dieser Solidarität wird am Samstag,
12. Dezember 2020, in der ganzen Schweiz die Aktion                          Die Caritas-Regionalorganisationen bieten Unterstüt-
«Eine Million Sterne» Kerzen zum Leuchten bringen.                           zung mit ihren bewährten Angeboten wie den Caritas-
                                                                             Märkten und den Sozial- und Schuldenberatungen. Hier
Save the date!                                                               wurden zum Teil neue Stellen geschaffen, um die hohe
Machen auch Sie Ihre Solidarität mit benachteilig-                           Anzahl Anfragen zu bewältigen. Direkt geholfen wird
ten Menschen sichtbar, und reservieren Sie sich den                          mit Einkaufsgutscheinen für die Caritas-Märkte, Aldi
12. Dezember für ein Zeichen für eine faire Schweiz!                         und Lidl im Wert von über 300 000 Franken sowie mit
Auf wwweinemillionsternech finden Sie ab November                          finanzieller Soforthilfe bei offenen Mietzins- oder Kran-
alle relevanten Informationen. Ebenfalls ab Novem-                           kenkassenrechnungen im Wert von 2,6 Millionen Fran-
ber können Sie Ihre Solidarität wieder mit einer der                         ken (Zahlen: Stand Ende August). Auch neue Angebote
beliebten Wunschkerzen bekunden:                                             wurden ins Leben gerufen.
wwwwunschkerzeeinemillionsternech                                         wwwcaritasch/corona

4                                                                                                                      Nachbarn 2 / 20
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Kurz&bündig

Caritas Schweiz

Peter Marbet wird
                                                                    NEWS
neuer Direktor                                                      DankefürdievielenMeinungen!
                                                                    InderletztenAusgabedes«Nachbarn»erfragtenwirdie
                                                                    Meinung unserer Leserscha zu unserem Magazin Er-
                                                                    freulichvieleLeserinnenundLesernahmenanderUm-
                                                                    frageteilGanzherzlichenDankdafür!Aktuellläudie
                                                                    Auswertung Eine Schlussfolgerung lässt sich heute be-
                                                                    reits ziehen Einer grossen Mehrheit gefällt das «Nach-
                                                                    barn»sehrDasfreutunsnatürlichundsporntunsanfür
                                                                    SieweiterhineininformativesundansprechendesMaga-
                                                                    zinzuproduzieren

                                                                    Caritas-LieferdienstinBaselland
                                                                    «Bleiben Sie zu Hause» lautete das Gebot der Stunde
                                                                    während des Corona-Lockdowns in der ersten Jahres-
                                                                    hälevorallemfürPersonenabodermitVorerkran-
                                                                    kungenFürdieArmutsbetroffenenund-gefährdetenin
                                                        Bildzvg

                                                                    ländlichenGebietenweitwegvomCaritas-Marktinder
                                                                    StadtmussteeineLösungherDieCaritasbeiderBasel
                                                                    startete in enger Zusammenarbeit mit Pfarreien einen
Der neue Direktor von Caritas Schweiz                               LieferdienstDieserläubismindestensEnde
heisst Peter Marbet. Er tritt am 1. Novem-
ber 2020 die Nachfolge von Hugo Fasel                               CaritasAargaueröffneteineweitereSozialberatung
an. Dieser geht nach zwölf Jahren an der
                                                                    Im Juni  eröffnete die Caritas Aargau eine neue
Spitze der Organisation in Pension.                                 Sozialberatungsstelle im Pfarreizentrum Kleindöingen
                                                                    Der Kirchliche Regionale Sozialdienst KRSD Zurzibiet
Peter Marbet (Jahrgang 1967) stammt aus Bern und                    wird die Seelsorge der Kirchgemeinden ergänzen und
studierte neuere Geschichte und Politologie. Später                 ermöglichtesderCaritasnahebeidenMenschenHilfe
absolvierte er die Ausbildung zum Executive Master                  anzubieten Mit dem KRSD Zurzibiet startet bereits die
of Business Administration in NPO-Management                        achteSozialberatungsstellederCaritasAargau
der Universität Freiburg. Der neue Caritas-Direktor                 wwwcaritas-aargauch/sozialberatung
bringt viel Management- und Führungserfahrung
sowie breite Kompetenzen in gesundheits-, bildungs-
und sozialpolitischen Fragestellungen mit. Diese                    CaritasLuzernWechselinderGeschäsleitung
erwarb er sich an verschiedenen beruflichen Statio-
                                                                    DanielFurrertriamOktoberdieNachfolge
nen: als Informationsbeauftragter bei einer grossen
                                                                    vonThomasThalialsGeschäsleiterderCaritasLuzern
Krankenversicherung, als Mitglied der Direktion
                                                                    an Der politisch engagierte und gut vernetzte -Jäh-
bei santésuisse und Leiter der Abteilung Politik und
                                                                    rige wirkte vorher als stellvertretender Geschäsleiter
Kommunikation sowie in seiner letzten Funktion als
                                                                    und Leiter Dienstleistungen und Kommunikation beim
Direktor des Berner Bildungszentrums Pflege. Als
                                                                    SAHZentralschweizundistMitglieddesGrossenStadt-
Stadtrat der Stadt Bern (Legislative) und Mitglied
                                                                    rats Luzern Auch neu in der Geschäsleitung ist seit
verschiedener parlamentarischer Kommissionen ist
                                                                    Anfang September Karin Hunziker Leiterin Berufliche
er auch mit einer Vielzahl von sozialpolitischen The-
                                                                    Integration
men vertraut. Peter Marbet übernimmt die Leitung
von Caritas Schweiz per 1. November von Hugo Fasel,                 wwwcaritas-luzernch/geschaesleitung
der nach zwölf Jahren als Caritas-Direktor in Pension
geht.

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Solidarität in unsicheren Zeiten - Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die bislang auf der sicheren Seite lebten. Wir alle sind gefordert ...
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                                                                        alsWochenbebegleiterinjungeMüerzubesuchen
                                                                        undsiezuunterstützenSiegerietinfinanzielle
         EinLebeninArmutbringtElternandenRandderVerzweiflung SchwierigkeitenCaritaskonnteihrundvielen
         undlässtKinderträumeplatzen                               anderenhelfen
  6                                                                                                           Nachbarn 2 / 20
Solidarität in unsicheren Zeiten - Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die bislang auf der sicheren Seite lebten. Wir alle sind gefordert ...
Schwerpunkt

AlsdasArbeitsleben
plötzlichstillstand
Junge Mütter und ihre Neugeborenen zu begleiten, ist mit viel Nähe verbunden. Als
Corona kam, fielen bei der freiberuflichen Wochenbettbegleiterin Jacqueline Künti die
Aufträge weg. Entsprechend dankbar ist sie für die Unterstützung durch die Caritas.
TextUrsulaBinggeliBilderZoeTempest

W
               enn Jacqueline Künti im Garten des           des Beziehungs- und Bindungsaufbaus zwischen Mut-
               Bauernhauses sitzt, in dem sie als Al-       ter, Kind und der Familie steht im Zentrum ihres Tuns.
               leinerziehende mit ihren beiden Teen-        «Sie sollen gemeinsam wachsen können.» Achtsamkeit
               ager-Töchtern lebt, umgeben von viel         und Urvertrauen sind wichtige Stichworte für sie.
Grün und Blumen, wirkt sie ganz in ihrem Element,
ein bisschen elfenhaft und doch geerdet. Der Eindruck       Ein harter Frühling
täuscht nicht. Jacqueline Künti fühlt sich der Natur        2020 – das fünfte Jahr ihrer Selbstständigkeit – fing gut
und den in ihr waltenden Kräften tief verbunden, ohne       an für Jacqueline Künti: Die Mund-zu-Mund-Propagan-
sich deswegen von den Menschen abzuwenden, im Ge-           da schien zum Laufen zu kommen. Ihr Einkommen
genteil. Auf ihrer Website schreibt sie: «Begegnung er-     reichte zusammen mit den Alimenten und Kinderzula-
lebe ich in der freien Natur, im lebendigen Austausch       gen zum Leben.
mit offenen Menschen, durch Reisen, Ehren und Feiern
verschiedener Kulturen und deren Ritualen.» Unter           Aber dann kamen Corona und der Lockdown. «Mein
anderem gestaltet sie freie Willkommens- und Seg-           Arbeitsleben stand von einem Tag auf den anderen
nungszeremonien für Kinder. Der weite Horizont der          praktisch still.» Laufende Aufträge wurden gestoppt,
früheren Kleinkindererzieherin schlägt sich aber auch       und neue Anfragen gab es keine. Sehr unsicher sei sie
in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit nieder.

Sorgsame Arbeit in Familien
Jacqueline Künti hat in Deutschland die Ausbildung zur           «Corona hat mich schier zum
Familienlotsin absolviert und unterstützt nun als frei-
berufliche Fachfrau für Wochenbettbegleitung Familien
                                                                   Verzweifeln gebracht.»
mit einem Neugeborenen in der intensiven ersten Zeit
zu Hause. «Wichtigste Ansprechperson für die Mütter
ist stets die Hebamme, ich arbeite ergänzend.» Jacque-      gewesen in jenen Wochen, erinnert sich Jacqueline
line Künti bereitet vollwertige, stillgerechte Mahlzeiten   Künti. Hätte sie überhaupt Familien aufsuchen dür-
zu, sie wirft bei Bedarf eine Ladung Wäsche in die Ma-      fen? «Der Rahmen, in dem ich arbeite, ist doch sehr
schine, sie betreut die grösseren Kinder – und sie wid-     intim.» Auch als die Lockerungen kamen, blieben die
met sich dem Baby und der Wöchnerin. Die Begleitung         Fragen. Ab wann waren Besuche am Wochenbett wie-

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der vertretbar? Sollte sie mit einem Inserat Werbung                  die derzeit in einer Kita ein Praktikum macht und ihr
für sich machen? Aber das schien ihr in der Zeit des                  anbot, die Krankenkassenprämien bis auf Weiteres
grossen Abstandhaltens zu provokant.                                  von ihrem kleinen Lohn selbst zu bezahlen, berührte
                                                                      sie tief.
Jacqueline Künti und ihre Töchter mussten im März
mit 1800 Franken auskommen, auch im April war dem                     Keine Hilfe vom Bund
so. «Wir sind es gewohnt, uns einzuschränken – in der                 Wie Jacqueline Künti standen diesen Frühling viele
Zeit meiner Ausbildung zur Familienlotsin wohnten                     freiberuflich Tätige wegen Corona vor einschneiden-
                                                                      den finanziellen Einbussen. Viele sind der Unsicher-
                                                                      heit weiterhin ausgeliefert. Während diejenigen, die
                                                                      von den Massnahmen des Bundes direkt betroffen wa-
        Viele sind der Unsicherheit                                   ren und ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben konnten,
                                                                      schon bald wussten, dass sie finanzielle Unterstüt-
          weiterhin ausgeliefert.                                     zung erhalten würden, blieben Freiberufler, die indi-
                                                                      rekt betroffen waren, bis Mitte April im Ungewissen.

wir zu dritt in einer 2,5-Zimmer-Wohnung.» Aber Co-                   Als der Bund beschloss, auch ihnen finanziell unter
rona habe sie nun wirklich schier zum Verzweifeln ge-                 die Arme zu greifen, war Jacqueline Küntis Freude nur
bracht. Mit Zuwendungen von Verwandten konnte sie                     von kurzer Dauer. Ihr Gesuch wurde abgelehnt – der
nicht rechnen. Die Solidarität der älteren ihrer Töchter,             von ihr als Wochenbettbegleiterin erzielte Gewinn lag

EsbrauchtdieNäheJacquelineKüntiunterstütztjungeMüerindererstenZeitnachderNiederkun

8                                                                                                            Nachbarn 2 / 20
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leicht unter dem unteren Limit für den Anspruch auf
Unterstützung. «Meine Einnahmen aus den Ritualbe-
gleitungen wurden nicht mitgerechnet, ja, nicht ein-       UNSICHERHEIT
mal erwähnt, und auch das Ausfallen der von mir für
das Jahr 2020 neu aufgegleisten Kurse für Schwangere
wurde nicht berücksichtigt.» Der negative Bescheid
                                                           BELASTET
schmerzte. «Für mich ist er unverständlich. Er hat
mich wütend gemacht.»                                                                            ProfDrChristophFlückiger
                                                                                                 istLeiterAllgemeine
Grosse Solidarität                                                                               Interventionspsychologie
Zum Glück hatte Jacqueline Künti schon früh auch                                                 und Psychotherapie
nach nicht staatlicher Hilfe Ausschau gehalten. Sie                                              anderUniversitätZürich
wandte sich an die Caritas. Dort war man auf Anfragen
wie die ihre vorbereitet. Dank einem Spendenaufruf

                                                                                     Bildzvg
       «Ich denke an die jungen                            VieleerlebtenunderlebenUnsicherheitaufgrund
     Familien, die in der Krise erst                       vonCoronaWaslöstdieseUnsicherheitinunsaus?
                                                           Es ist emotional belastend wenn wir aus der Routine
          recht allein waren.»                             unddenGewohnheitengeworfenwerdenunddieDinge
                                                           nichtmehrsowiegewohnteinigermassenvorhersagbar
                                                           sindDiesreduziertdasGefühldieDingeunterKontrol-
zusammen mit der Glückskette stehen Gelder zur Ver-        le zu haben Grundsätzlich sind Menschen ganz allge-
fügung, die für Menschen eingesetzt werden können,         mein relativ intolerant gegenüber Unsicherheit auch
die ohnehin in bescheidenen Verhältnissen leben und        wennwirdaskalkulierbareAbenteuerbiszueinemge-
wegen Corona in akute finanzielle Bedrängnis gerie-        wissenPunktauchgernesuchen
ten. Brigitte Raviele von der Caritas Bern: «Neben frei-
beruflich Tätigen sind es auch von Kurzarbeit Betrof-      AufgesellschaftlicherEbeneFührtkollektive
fene mit niederen Einkommen, die an uns gelangen.          UnsicherheitzumehrSolidarität?
Bis heute bearbeiteten wir im Kanton Bern mehrere          JasicherjedochnurbiszueinemgewissenPunktSoli-
hundert Anfragen.»                                         darität ist immer mit der Frage verbunden gegenüber
                                                           wem wir uns solidarisch zeigen Interessanterweise
Die Caritas konnte Jacqueline Künti mit Beratung und       übertragen wir die unangenehmen Dinge gerne nach
einer Überbrückungszahlung direkt helfen. Die Unter-       aussenSowardieGrippe«spanisch»Coronaist«chi-
stützung durch die Caritas trug wesentlich dazu bei,       nesisch» Was Solidarität zu echter Solidarität macht
dass Jacqueline Künti den Boden unter den Füssen           istwennwirunsinanderehineinversetzenunddieWelt
nicht verlor. Dass in der ländlich geprägten Ortschaft,    ausderSichtderanderninunsereeigeneSichtweisein-
in der sie wohnt, viel nachbarschaftliche Solidarität      tegrieren Sich in Unsicherheit in andere zu versetzen
spürbar ist, tat zusätzlich gut. Auch in der grossen,      machtunsMenschenmenschlich
selbst verwalteten Hausgemeinschaft, in der ihre
Töchter und sie seit drei Jahren leben, fühlt sie sich     KönnenwiretwaslernenausdererlebtenUnsicherheit?
aufgehoben. «Ich schöpfte neuen Mut.»                      MirkommtspontanWolfBiermannsLied«Ermutigung»
                                                           indenSinn«Dulassdichnichtverhärtenindieserhar-
Eine neue Klarheit                                         tenZeitDieallzuhartsindbrechenDieallzuspitzsind
Die Angst vor einer neuen Corona-Welle stellt Jacque-      stechen Und brechen ab sogleich» Sich Unsicherheit
line Künti bewusst auf die Seite, sie fokussiert den       einzugestehenhatwohlimmerauchmitMutzutunsich
Neustart. Der Weg zu einer Form von Normalzustand          seinereigenenUnzulänglichkeitWeichheitundVerletz-
sei sicher noch lang, sagt sie, aber langsam gehe es mit   lichkeit gewahr zu werden und diese sich selbst und
Aufträgen wieder aufwärts. «Ich denke an die vielen        auch andern offenzulegen Unsicherheit stellt immer
jungen Familien, die in der Krise erst recht allein ge-    auch die Frage was mir wichtig ist und von welchen
wesen sind, und spüre eine neue Klarheit in mir. Für       Wertenichmichleitenlasse
sie will ich da sein. Ich bin bereit.»

wwwfamilienlotsinnch

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Solidarität in unsicheren Zeiten - Die Corona-Krise trifft auch Menschen, die bislang auf der sicheren Seite lebten. Wir alle sind gefordert ...
Schwerpunkt

PrekäreArbeitLebenmit
der Unsicherheit
In der Corona-Krise zeigt sich: Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen sind stark
betroffen von den Pandemiemassnahmen. Prekäre Arbeit gibt es in der Schweiz
in verschiedenen Formen. Neben finanzieller Unsicherheit bringt sie oftmals eine
mangelhafte Absicherung und eingeschränkte Zukunftsperspektiven mit sich.
TextAnna-KatharinaThürerGrundlagenCaritasZürichIllustrationCorinneBromundt

D
      ie Schweiz verdankt einen Teil ihres wirtschaft-                 fall: Gerade in diesen Sektoren finden sich viele prekäre
      lichen Erfolgs einer vergleichsweise liberalen                   Arbeitsverhältnisse. Solche sind auch in Arbeitsformen
      Arbeitsgesetzgebung, die nur einen schwachen                     weitverbreitet, die über Online-Plattformen organisiert
Kündigungsschutz bietet und keine obligatorische                       werden (z.B. Reinigungs- oder Kurierarbeit). Diese wirt-
Krankentaggeldversicherung beinhaltet. Ausserdem                       schaften arbeitsrechtlich in einem Graubereich. Man
sind ganze Sektoren wie die Landwirtschaft oder Haus-                  kann also sagen: Prekäre Arbeitsverhältnisse werden
wirtschaft nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt. Kein Zu-               oft gerade durch fehlende Regulierung begünstigt.

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Schwerpunkt

Arm trotz Erwerbsarbeit                                     Kommentar
Prekäre Arbeit bedeutet für die Betroffenen einen hohen
Grad an Unsicherheit und damit verbundene Zwänge.           Arbeit muss existenz-
Die Unsicherheit bezieht sich auf Arbeitszeiten (z.B.
auf Abruf zu arbeiten oder befristet angestellt zu sein),   sichernd sein
aber auch auf finanzielle Unsicherheit oder mangelhaf-
te Absicherung gewisser Risiken wie Arbeitslosigkeit,
Krankheit oder Altersarmut. Die Zahlen des Bundes           Die Corona-Krise hat deutlich ge-
weisen aus, dass sich prekäre Arbeit mehrheitlich in        macht, dass viele Menschen in der
den klassischen Tieflohnbranchen findet, beispielswei-      Schweiz in prekären Situationen
se im Gastgewerbe, in der Reinigung, aber auch in der       leben. Das trifft besonders auf Ar-
Dienstleistungsbranche und im Kunstbetrieb. Nicht           beitnehmende in Tieflohnstellen
alle Erwerbstätigen tragen ein gleich grosses Risiko        und ungeregelten Arbeitsverhält-
für prekäre Arbeit: Betroffen sind besonders häufig         nissen zu. Tieflohnbranchen wie
                                                            die Gastronomie, das Reinigungs-
                                                            gewerbe und der Detailhandel
                                                            sind infolge der Krise stark von
      Prekäre Arbeitsverhältnisse                           Kurzarbeit betroffen. 80 Prozent
      wirken sich auf viele andere                          Lohnersatz ist für die meisten An-
                                                            gestellten nicht existenzsichernd.
          Lebensbereiche aus.                               Kurzarbeit hat Entlassungen auch
                                                            nicht verhindert. Viele haben ihre
                                                            Einkommensquelle ganz verloren.
Frauen, jüngere Arbeitnehmende, Personen mit tiefem
Bildungsstand und Menschen ohne Schweizer Pass, vor         In Tieflohnbranchen sind befristete
allem solche mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Prekä-       Arbeitsverträge oder Arbeit auf Ab-
re Arbeitsverhältnisse wirken sich auf viele andere Le-     ruf im Stundenlohn weitverbreitet.
bensbereiche aus und erhöhen das Armutsrisiko.              Solche Arbeitsverhältnisse bieten
                                                            keinerlei Sicherheit. Das Gros der
Wenig Forschung                                             auf Abruf Angestellten hat kein
Stellt man jedoch Fragen zu prekärer Arbeit, so zeigt       garantiertes Minimum an Arbeits-
sich schnell, dass es hierzulande nur wenig Forschung       stunden und muss trotzdem jeder-
zum Thema gibt. Gemäss Zahlen des Bundes sind rund          zeit verfügbar sein. Braucht der
2,5 Prozent der Erwerbstätigen in prekären Arbeits-         Arbeitgeber sie nicht, bietet er sie
verhältnissen tätig. Diese Quote basiert allerdings auf     nicht auf. Kündigen muss er ihnen
einer sehr eng gefassten Definition von prekärer Ar-        nicht. Die Betroffenen haben ohne
beit, die einige Betroffenengruppen wie Sans-Papiers        Kündigung aber keinen Anspruch
und gewisse Arbeitsformen (z. B. gut bezahlte, aber         auf Arbeitslosengelder.
auf kurze Zeit befristete Arbeit) ausschliesst. Eine Er-
weiterung der Definition wäre wichtig, um das wahre         Die Caritas fordert, dass die Kurz-
Ausmass unsicherer Arbeit in der Schweiz zu erfassen        arbeitsentschädigung bei tiefen
und die Betroffenen besser zu schützen – und Armut          Einkommen 100 Prozent des Loh-
vorzubeugen.                                                nes entspricht. Zudem müssen Ar-
                                                            beitgebende verpflichtet werden,
Keine Absicherung in der Krise                              Arbeitsmodelle zur Verfügung zu
Die Corona-Krise hat uns einerseits vor Augen geführt,      stellen, die existenzsichernd sind.
wie stark wir als Gesellschaft von prekärer Arbeit ab-      Dazu muss insbesondere Arbeit
hängig sind. Andererseits wurde ersichtlich, wer be-        auf Abruf gesetzlich besser gere-
sonders schlecht vor Risiken geschützt ist. Deutlich        gelt werden. Und es braucht einen
wurde, wie das Schweizer System der arbeits- und so-        schweizweiten Mindestlohn.
zialversicherungsrechtlichen Sicherung, das sich stark
an einer unbefristeten Vollzeitstelle orientiert, an sei-
ne Grenzen stösst. Denn gerade für prekär Arbeitende        AlineMasé
steigt durch die Corona-Krise das Risiko für Verschul-      LeiterinFachstelleSozialpolitik
dung und Altersarmut.                                       CaritasSchweiz

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Persönlich

ChloéJahregehtindie Klasseundwohntin
BülachSiefindetesschöndassKinderanandere
MenschendenkenUndsichdarumkümmerndass
dieseauchinschwerenZeitenFreudehaben
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Persönlich

«Wann hast du zum letzten Mal jemandem
geholfen? Wobei?»
Bei allem Unbill, den das Coronavirus und die Massnahmen zum Schutz der Bevölke-
rung für Betroffene bedeutet: In der Krise gab und gibt es viel Solidarität. Mit kleinen
und grossen Gesten der Solidarität wird der Alltag für viele leichter. Oft braucht es
nicht viel, um Erleichterung zu verschaffen und Freude zu bereiten.

                    Ismail Mahmoud, Student,                                   Ingrid Breuss, Sekretärin,
                    Basel                                                      Freidorf
                    Kürzlich bei einer Schnitzeljagd                           Vor Kurzem hielt vor unserem
                    rannte ich auf der Suche nach dem                          Haus ein Auto. Die Lenkerin stieg
                    nächsten Posten durch den Bahn-                            aus. Ich vermutete, dass sie eine
                    hof Basel. Plötzlich sah ich, wie                          Autopanne hatte. Im Wagen sas-
eine Frau beim Einsteigen in einen Zug ausrutschte          sen eine ältere Frau und ein kleines Kind. Ich ging
und zu Boden fiel. Ich half ihr auf, unterhielt mich kurz   hin und fragte, ob ich helfen könne. Das verneinte
mit ihr, holte ihren Koffer unter der Eisenbahn hervor      die Fahrerin. Da es sehr heiss war, brachte ich ihnen
und begleitete sie in den Zug hinein. Danach schnapp-       etwas zu trinken und führte sie zu einem schattigen
te ich mir den dritten Rang bei der Schnitzeljagd.          Platz, wo sie auf den Pannendienst warten konnten.

                    Patrick Lang, Tramführer,                                  Lena Rodriguez, Schülerin,
                    Zürich                                                     Luzern
                    Eine Bekannte musste zwei defek-                           Wir gestalten im Handarbeitsun-
                    te Tagesdecken ersetzen. Da sie                            terricht gerade ein Kissen. Gestern
                    zur Covid-19-Risikogruppe gehört,                          habe ich einer Klassenkameradin
                    zögerte sie, in ein grosses Geschäft                       beim Bedrucken geholfen. Sonst
zu fahren, um neue Decken zu kaufen. Im Alltag geht         wäre sie nicht rechtzeitig fertig geworden und hätte
sie in ein lokales Geschäft einkaufen, bei dem sie          nachsitzen müssen. Dank meiner Hilfe konnten wir
weiss, wann es wenig Leute hat. Als sie mir dies er-        beide die Arbeit zum Schluss der Stunde abschlies-
zählte, bot ich ihr spontan an, die Decken für sie zu       sen. Ich finde es wichtig, dass wir in der Schule zu-
besorgen. Das war eine grosse Erleichterung für sie.        sammenhalten und uns gegenseitig unterstützen.

                     Seraina Brem, Praktikantin,                              Sophie Rutishauser,
                     Berikon                                                  Schülerin, Münsingen
                     Zuletzt geholfen habe ich in den                         Im Flussbad «Schwäbis» habe ich
                     Sommerferien. Als Leiterin war ich                       letzthin ein paar Kindern einen
                     zwei Wochen in einem Lager für                           Pneuschlauch gegeben. Eigent-
                     Kinder und Jugendliche. Dort fallen                      lich wollte ich ihn selbst benutzen.
verschiedene Aufgaben an: Kinder wecken, Programme          Doch ich merkte, dass die Kinder ebenso gerne auf
durch den Tag leiten, Rucksäcke packen, Lagertagebuch       ihm den Fluss hinuntertreiben wollten. Ich bin ihnen
schreiben und vieles mehr. Jedes Jahr freue ich mich auf    dann mitsamt dem Pneu flussaufwärts entgegenge-
das Lager, da es für mich schon als Kind immer ein tolles   schwommen, um ihn zu übergeben. Sie freuten sich
Erlebnis war. Nun konnte ich selbst im Team mitwirken.      sehr über das «Geschenk».

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Caritas Zürich

Solidarisches Handeln
Seit Mitte März dieses Jahres stellt die Corona-Pandemie den Alltag von vielen
­komplett auf den Kopf. Es gilt, sich laufend in neuen Abläufen zurechtzufinden und sich
 auf veränderte Situationen einzustellen. Für Menschen in prekären Lebenslagen
 sind die Auswirkungen noch einschneidender, und enge finanzielle Ressourcen werden
 deutlich verschärft. Da ist rasches und pragmatisches Handeln gefragt. Beispiele
 aus drei An­geboten von Caritas Zürich geben Einblick in unsere Arbeit während der
 Corona-Krise.
Text: Karin Faes Bilder: Conradin Frei (Copilot), youngCaritas

Beratung Caritas Zürich                       schneidende finanzielle Einbussen           tung Zukunft für Schweizer Fah-
                                              hinnehmen mussten. Häufig als               rende, dem Bundesamt für Kultur,

W
           er an der Armutsgrenze             Folge von Kurzarbeit, zum Beispiel          der Stiftung Naschet Jenische sowie
           lebt, hat keine finanziel-         im Gastrobereich oder durch den             der Caritas Zürich konnte bereits
           len Reserven für ausser-           Wegfall von Aufträgen. Ein Fazit            im April ein Projekt umgesetzt wer-
ordentliche Lagen. Dafür erschwer-            aus den Beratungsgesprächen war:            den, mit dem die individuelle Situ-
te Bedingungen: zum Beispiel einen            Es braucht Unterstützung, die di-           ation und mögliche Unterstützung
schlecht bezahlten Job oder mehre-            rekt im Alltag wirkt. Die Einkaufs-         der Betroffenen abgeklärt werden
re Arbeitsstellen gleichzeitig, weil          gutscheine in der Höhe von insge-           können.
ein Lohn nicht zum Leben reicht.              samt 72 000 Franken, die über die
Eine Situation wie der Corona-                Beratungsstelle, im Caritas-Markt,          Zukunftssorgen bleiben
Lockdown kann eine Familie oder               durch die Projekte «mit mir» und            Trotz Lockerungen blieben bei vie-
eine Einzelperson mit sonst schon             Copilot sowie über die Flickstuben          len Familien die Sorgen um die Zu-
knappem Budget in arge Bedräng-               und die Fachstelle Flüchtlinge ab-          kunft: Wie sieht es in den nächsten
nis bringen. Das braucht rasche               gegeben wurden, erfüllten genau             Monaten aus? Wie sollen hohe Fix-
Massnahmen. Dank der grossen So-              dies.                                       kosten wie Miete und Krankenkas-
lidarität der Schweizer Bevölkerung                                                       se bezahlt werden? Abhilfe schuf
standen bald Gelder der Glücksket-            Kaum noch Arbeit und damit zu               ein neu lanciertes Projekt: Fami-
te zur Verfügung, die unter ande-             wenig Einkommen, um die Lebens-             lien im Kanton Zürich, die eine
rem von Caritas Zürich für von der            kosten zu decken, hatten zudem              KulturLegi besitzen und die wegen
Krise stark betroffene Familien ein-          viele Jenische, Sinti und Roma, die         Corona finanzielle Einbussen erlit-
gesetzt werden konnten.                       häufig als Selbstständige tätig sind.       ten haben, sollten gezielt entlastet
                                              In Zusammenarbeit mit der Stif-             werden. Sie konnten im Juli Un-
Sowohl die telefonische Kurzbera-
tung als auch die Sozialberatung
wurden vermehrt genutzt, wie
Bernhard Jurman, Leiter der Ab-                   Unterstützung und finanzielle Überbrückungsleistungen April–Juli 2020
teilung Beratung, feststellt: «Von
April bis Juni stiegen die Anfra-                 922 Anfragen gingen in der Kurzberatung von April bis Juli ein – 217 davon im
gen deutlich an.» Die Mitte März                  Kontext Corona.
erfolgte generelle Umstellung auf                 284 ZVV-Ferienpässe konnten an Kinder und Jugendliche für die Sommerferi-
telefonischen Kontakt verlangte                   en abgegeben werden: in der Beratung, bei «mit mir», Copilot, LernLokal sowie
vom Beratungsteam viel Flexibili-                 incluso, finanziert mit CHF 7100.– aus Glückskette-Geldern.
tät, ermöglichte jedoch, alle Bera-               CHF 81 265.85 konnten von Mai bis Juni als Unterstützung aus Glückskette­
tungsangebote ohne Unterbruch                     Geldern für Miete und Krankenkassenprämien an Klienten und Klientinnen aus
fortzuführen. Zu den Ratsuchen-                   der Beratung und an Teilnehmende in den Projekten «mit mir», Copilot und
den gehörten oft bisherige Klien-                 LernLokal geleistet werden.
tinnen und Klienten, da viele ein-

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Caritas Zürich

                                                                                  Situation geschickt, um zu signa-
                                                                                  lisieren: Wir sind trotz Corona da,
                                                                                  meldet euch, wenn ihr Fragen oder
                                                                                  Anliegen habt.» Kurz darauf erfolgte
                                                                                  bereits ein nächster Versand: Home-
                                                                                  schooling-Tipps in leichter Sprache
                                                                                  und Vorschläge zur Strukturierung
                                                                                  eines Schultags zu Hause. Dazu
                                                                                  verschiedene Bastelideen, als An-
                                                                                  regung zum Verbringen der Zeit zu
                                                                                  Hause. «Die Rückmeldungen waren
                                                                                  sehr positiv. Eine Mutter gestaltete
                                                                                  und kopierte sogar eigene Ausmal-
                                                                                  bilder, als die Vorlagen zur Neige
                                                                                  gingen. Es war schön, zu erleben,
                                                                                  was die Aktion alles auslöste. Eini-
                                                                                  ge haben uns auch Fotos und Videos
terstützung für die Bezahlung von      Projekt «Copilot»                          von ihren Werken geschickt», wie
Miete und Krankenkasse beantra-                                                   Mirjam Ochsner, die bei Copilot ein

                                       S
gen. Aufgrund dessen konnten                 chriftliche Informationen von        Praktikum absolviert, ergänzt.
per Mitte August insgesamt 37 790            der Schule oder ein anstehen-
Franken an diese Familien vergü-             des Elterngespräch sind für          Mit den freiwilligen Copiloten und
tet werden.                            Familien, die das Schweizer Schul-         Copilotinnen wurde ebenfalls ein
                                       system nicht gut kennen, eine hohe         regelmässiger Austausch gepflegt.
Die grosse Medienpräsenz der           Hürde. Hier Unterstützung von              Die meisten Freiwilligen konnten
Glücks­kette-Spendenaktion beflü-      einer Copilotin oder einem Copilo-         die jeweilige Familie auch während
gelte die Solidarität. Schnelle Hil-   ten der Caritas Zürich zu erhalten,        des Lockdowns unterstützen, in-
fe bedeutet aber nicht gleichzeitig    bedeutet für die Eltern eine grosse        dem sie die zahlreichen, häufig digi-
auch nachhaltige Entlastung. Denn      Erleichterung. Idealer Zeitpunkt           tal kommunizierten schulischen
sind finanziell prekäre Situationen    zum Start der Zusammenarbeit               Informationen strukturierten und
komplex, braucht es spezifische        zwischen Familie und Copilot/Co-           erklärten. Doch auch der Kontakt
Lösungen mit dem Ziel, eine län-       pilotin ist der Frühling vor der Ein-      mit den Kindern und Eltern durch
gerfristige Verbesserung der Lage      schulung. Doch dieses Jahr kam in          ein Telefonat, einen Videocall oder
zu erreichen. Dementsprechend wer-     dieser wichtigen Phase alles anders.       ein «Treppenhausgespräch» war es-
den sich unsere Angebote weiter-       Persönliche Treffen konnten nicht          senziell, gerade bezüglich der
hin auf die aktuelle Entwicklung       mehr stattfinden. Obwohl gerade in         Deutschkenntnisse. Durch wegge-
ausrichten müssen. Für Menschen,       dieser besonderen Lage wichtig war,        fallene Kontakte haben viele Eltern,
die bereits am Existenzminimum         in Kontakt zu bleiben und auch die         aber auch die Kinder ihr Deutsch
leben, werden die Auswirkungen         Familien mit aktuellen Informati-          nicht mehr anwenden können.
der Corona-Krise besonders deut-       onen zu bedienen. Gedacht, getan,
lich nachhallen. Für Bernhard Jur-     wie Kristien Mouysset, Leiterin Co-        Digital in Kontakt
man ist klar: «Unsere Klienten und     pilot, schildert: «Wir haben den Fa-       Für den Kontakt zwischen den
Klientinnen waren vorher schon         milien sehr schnell einen Brief mit        Familien und dem Copilot-Team
in einer schwierigen Lage, nun hat     ersten Informationen zur aktuellen         stand eine WhatsApp-Gruppe zur
sich diese zusätzlich verschärft. Es
ist wichtig, die Situation immer
wieder von Neuem zu prüfen und
zu analysieren, woran es aktuell         Mit Copilot Bildungschancen verbessern
fehlt.» Eins ist sicher: Die Corona-     Für den schulischen Erfolg ist die Mitwirkung der Eltern entscheidend. Im Pro-
Krise wird Caritas Zürich noch län-      jekt Copilot werden Eltern, die mit dem Schulsystem nicht vertraut sind und die
ger beschäftigen. Darum wird auch        die Erwartungen an ihre Rolle als Eltern nicht kennen, von freiwilligen Begleit-
Solidarität weiterhin notwendig          personen unterstützt. Diese Copiloten und Copilotinnen begleiten die Eltern
und wichtig sein, um Betroffene in       während eines Jahres und befähigen sie zu einer gelingenden Zusammenarbeit
ihrer prekären Lebenslage nicht al-      mit der Schule. Mehr unter caritas-zuerich.ch/copilot.
leine zu lassen.

Nachbarn 2 / 20                                                                                                             15
Caritas Zürich

Verfügung. Wer mochte, konnte da-        youngCaritas Zürich
ran teilnehmen. Verschickt wurden

                                         B
täglich Informationen oder entspre-            ei youngCaritas, dem Jugend-
chende Links zur aktuellen Situa­              bereich der Caritas, stehen
tion in verschiedenen Sprachen                 meistens gemeinsame Anläs-
sowie zu Beratungs- und Unter-           se auf dem Programm: Jugendliche
stützungsangeboten für die Eltern.       organisieren in freiwilligem Enga-
Dazu zum Beispiel eine Geschich-         gement Solidaritätsveranstaltungen
te zum Hören für die Kinder. «Es         und bringen Menschen zusammen.              politische Situation in Syrien sowie
brauchte einen niederschwelligen         Aktivitäten, die im Frühling durch          über das Asylsystem der Schweiz
Zugang. Viele Familien haben nur         die Massnahmen zum Schutz der               und die Rolle der Gemeinden. Auch
eingeschränkte Möglichkeiten mit         Bevölkerung vollständig und für             Fragen konnten direkt gestellt wer-
dem Internet, einerseits vom ver-        längere Zeit wegfielen. Genauso wie         den und rundeten den informativen
fügbaren Datenvolumen her, aber          die erste Durchführung der «Swiss           Abend ab. Über 30 Teilnehmende
auch durch die Geräte. Nicht jede        Money Week», einer Sensibilisie-            waren online dabei, viele Freiwillige
Familie hat einen eigenen Com-           rungskampagne zum Thema Geld,               von youngCaritas sowie Interessier-
puter zu Hause und muss oft alles        welche nun auf 2021 verschoben              te, die über die Social-Media-Kanäle
über ein Handy abwickeln», erklärt       wurde. Die monatlichen Kochtage             vom Webinar erfahren hatten. Ein
Kristien Mouysset. Wurde nun der         «Taste the World» für geflüchtete           sowohl inhaltlicher als auch formal
Schulunterricht digital weiterge-        Menschen und weitere Interessierte,         spannender Wissenstransfer.
führt – was häufig der Fall war –,       die Spielnachmittage mit geflüchte-
erfolgte der Austausch mit der           ten Kindern, die Anlässe der Akti-          Ebenso bemerkenswert ist, wie die
Lehrperson ebenfalls über dieses         onsgruppe Armut fielen ebenso aus           spontane Kooperation mit dem in-
eine Gerät. Das temporäre Home-          wie die Aktivitäten im Schulbereich         cluso-LERNstudio*, einer üblicher­
schooling war damit für Familien         mit Schulbesuchen und Workshops.            weise schulischen Vor-Ort-Unter-
mit wenig Ressourcen eine beson-                                                     stützung in einer Gruppe, zustande
ders grosse Herausforderung. Vor         Neues entwickeln                            kam. Für die neu aktivierte Online-
allem dann, wenn die Eltern über         Nichts zu tun ist jedoch nicht die Art      Unterstützung waren zusätzliche
wenig Deutschkenntnisse verfügen         der engagierten jungen Leute. Die           Freiwillige gefragt, die mit Online-
oder vielleicht selbst nicht lange zur   von Andrea Müller und ihrem Team            Möglichkeiten vertraut sind, um
Schule gegangen sind. Kinder und         bei youngCaritas initiierten Online-        Lernende beim Bewältigen des
Eltern auch in diesem neuen und          Treffen wurden daher rege genutzt           Schulstoffs virtuell zu unterstüt-
ungewohnten Schulalltag zu unter-        und der Kontakt mit den Freiwilli-          zen. Statt in einem Gruppenprojekt
stützen, ist mit raschem Handeln         gen und untereinander beibehalten.          mitzuwirken, ging es nun um direk-
und dank den engagierten Copilo-         Gleichzeitig entstanden neue Ideen          te Begleitung, und dies erst noch in
tinnen und Copiloten gelungen.           zum Wissensaustausch, etwas wo-             Online-Form – für fünf Jugendliche
                                         für die Zeit im durchorganisierten          von youngCaritas ein Einblick in
                                         Alltag der Jugendlichen meistens            eine neue Art der Freiwilligenarbeit.
                                         fehlt. Doch nun waren viele abends          So horizonterweiternd die Erfah-
                                         zuhause und konnten sich die Teil-          rungen während der akuten Lock-
                                         nahme an einer internen Weiterbil-          down-Phase auch waren, Erleichte-
                                         dung einrichten. Gestaltet wurde            rung und Begeisterung waren gross,
                                         sie in Form eines Webinars, und             als draussen erste kleine Anlässe
                                         sie hatte den Titel «Politische Pers-       wieder stattfinden konnten. Sich ge-
                                         pektiven zu Flucht und Asyl». Zwei          meinsam zu engagieren, bleibt das
                                         Referierende informierten über die          Herzstück von youngCaritas.

                                           youngCaritas – der Jugendbereich von Caritas Schweiz und Caritas Zürich
                                           youngCaritas steht für freiwilliges Engagement von Jugendlichen für eine solidari-
                                           sche und faire Welt. Hier vernetzen sich junge Menschen untereinander oder fin-
                                           den Unterstützung für eigene Projekte. Dazu gehören auch Möglichkeiten zu Wei-
                                           terbildungen in den Themen Migration, Armut und nachhaltige Entwicklung.
                                           Dieses Jahr feiert der Jugendbereich in Zürich sein 5-jähriges Bestehen.
                                            www.youngcaritas.ch

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Caritas Zürich

Zum Rücktritt von                                                                              AKTUELL
Josef Annen                                                                                    Entwicklung digitales Lernangebot
                                                                                               Der Sprung in digitale Lernangebote
                                                                                               wird auch bei den Computerkursen von
«Wer führe, der diene …» – Dies könnte ein bibli-
                                                                                               Caritas Zürich erfolgen. Corona-bedingt
sches Zitat sein. Inspiriert ist es von der Art, wie                                           wurde ein erster Pilotkurs bereits abge-
Josef Annen den Verein Caritas Zürich zehn                                                     halten: Der für Ende April geplante Text-
Jahre lang präsidiert hat.                                                                     verarbeitungskurs konnte kurzfristig als
                                                                                               Fernkurs lanciert werden. Ein engagier-
Eine Führungsperson geht mit ei-                                                               tes Dreierteam von Freiwilligen realisier-
genem Beispiel voran. Ist dies das                                                             te diesen ersten virtuellen Kurs, dessen
Bild für Führungsqualität, dann                                                                Evaluation in die Entwicklung des digita-
war Josef Annen ein Präsident                                                                  len Lernangebotes von LernLokal von
wie aus dem Bilderbuch: Immer                                                                  Caritas Zürich einfliessen wird. Mehr zum
überzeugend und glaubwürdig,                                                                   Angebot von LernLokal unter
wodurch er den Vorstand und den                                                                www.caritas-zuerich.ch/lernlokal
Verein unauffällig geprägt hat.
Oft beeindrucken gerade die klei-
                                                                            Bild: undknup ag

nen Dinge. An unserem jährlichen                                                               Caritas Secondhand: online und an fünf
Präsidien- und Direktionstreffen                                                               Standorten einkaufen
im Caritas-Netz war er der einzi-                                                              Seit April lassen sich schicke Lieblings-
ge seinesgleichen, der nach dem                                                                stücke bequem vom Sofa aus kaufen. Der
Essen aufstand und uns Alphatierchen den Kaffee servierte. Bei                                 neue Online-Shop ist bereits weitherum
ihm kam die Bescheidenheit ganz selbstverständlich daher. Aber                                 beliebt und ergänzt die Läden vor Ort.
er konnte gleichermassen selbstverständlich allen im Grossen                                   Nachdem der Standort Viadukt in Zürich
das Wasser reichen. Wenn es um soziale Gerechtigkeit ging, trat                                nach zehn Jahren seine Türen geschlos-
er im Namen der Caritas souverän vor die Medien. «Man kann                                     sen hat, lässt es sich in fünf Läden nach
nicht nicht politisch sein» – seine Überzeugung ist glücklicher-                               einzigartigen Teilen stöbern: Vier Ge-
weise auch das Caritas-Credo. Und was ich am meisten bei sei-                                  schäfte in Zürich und eines in Winterthur
ner Arbeitslast bewundert habe: Er war für die Vorstandssitzung                                bieten modische Inspiration und tolle
jeweils perfekt vorbereitet.                                                                   Stücke zu attraktiven Preisen.
                                                                                               www.caritas-secondhand.ch
Josef, für dein grosses Engagement danken wir dir ganz herz-
lich. Wir haben immer gespürt, dass du diese Führungsaufgabe
nicht als Pflicht absolviert hast, weil es halt zu deinem Amt als                              Frühzeitig vorsorgen – selbstbestimmt
Generalvikar gehörte. Dir liegen die bescheidensten Menschen                                   handeln
wirklich am Herzen, für die du dich mit unserem Werk einsetzen                                 Es ist der Wunsch vieler Menschen, ihr Le-
konntest.                                                                                      ben bis zum Schluss selbstbestimmt und
                                                                                               nach dem eigenen Willen zu gestalten.
Max Elmiger, Direktor Caritas Zürich                                                           Sich mit der Regelung der letzten Dinge
                                                                                               auseinanderzusetzen, ist anspruchsvoll.
                                                                                               Die Caritas-Vorsorge-Mappe sowie der
  Mitgliedschaft Caritas Zürich                                                                Workshop «Selbstbestimmt leben bis zu-
  Die Mitglieder der Caritas Zürich setzen sich für die Ziele von Caritas Zü-                  letzt» bieten Unterstützung bei den The-
  rich ein und tragen damit zur Bekämpfung von Armut im Kanton Zürich bei.                     men Patientenverfügung, Vorsorgeauf-
  Dank dieser Unterstützung kann Caritas Zürich einen relevanten Beitrag                       trag und der Regelung der letzten Dinge
  zur Armutsbekämpfung im Kanton leisten. Der Mitgliederbeitrag für eine                       (inkl. des digitalen Nachlasses). Details
  Privatperson beträgt jährlich CHF 50.–. Wir freuen uns sehr über weitere                     zur Vorsorgemappe und zu den nächsten
  Unterstützung in unserem Engagement für Armutsbetroffene. Anmeldung                          Workshops unter
  für eine Mitgliedschaft unter caritas-zuerich.ch/mitgliedschaft.                             www.caritas-zuerich.ch/vorsorge

Nachbarn 2 / 20                                                                                                                             17
Caritas Zürich

Caritas Secondhand mit Online-Shop

Wer steckt hinter der Spiegelkugel?
Der «Lockdown» im März schloss auch die Türen der Caritas-Secondhand-Läden.
Aus den frei gewordenen Ressourcen entstand bald ein Online-Shop. Die Motiva-
tion dafür war gross. Um einerseits weiterhin für die Kunden da zu sein und
andererseits das nachhaltige Einkaufen im Online-Bereich zu fördern. Der Start
ist geglückt, und Pakete wurden quer durch die Schweiz, von Genf bis ins Tessin,
versendet. Ein Erfolg ist auch die Präsentation der Produkte. Eines der unermüd-
lichen Models ist Nunzia Spadavecchia.
Interview: Françoise Tsoungui, Bild unten: Caritas Secondhand, Bild rechts: Morgan Schmid

                                              war ich natürlich sehr neugierig auf          derspenden und der Teamgeist ga-
                                              Secondhand-Mode und fand mich                 ben mir viel Selbstvertrauen. Zu-
                                              positiv überrascht in einem kleinen           sätzlich bin ich als Berufsbildnerin
                                              Secondhand-Laden mit ganz vielen              immer wieder für die Lernenden
                                              verschiedenen Artikeln wieder.                zuständig. Cool ist auch, dass man
                                                                                            in verschiedenen Läden arbeiten
                                              Inzwischen bist du hier fest                  kann. Es wird nie langweilig bei
                                              angestellt. Wie kam es dazu?                  uns. Seit diesem Frühling prä-
                                              In der Arbeitsintegration bewarb ich          sentieren wir neu auch noch die
                                              mich weiterhin um offene Stellen.             Kleider für den Online-Shop. Die
                                              Gleichzeitig konnte ich mir bei Cari-         Spiegelkugel auf Kopfhöhe ist ein
                                              tas Secondhand neue Erfahrungen in            richtiges Markenzeichen geworden.
                                              einer anderen Branche aneignen. Es
                                              war nicht immer einfach, denn man             Dein Modetipp für Herbst und
Kleiderpräsentation im Online-Shop            bewegt sich zwischen Job-Absagen              Winter?
                                              und Motiviertbleiben. Die Arbeit im           Man darf wieder Muster tragen. Al-
                                              Einsatzprogramm hat mir geholfen,             les mit Karomuster und grossen
Woher kennst du Caritas                       dass der Alltag eine Struktur hatte,          Blumenprints ist angesagt. Knalli-
Secondhand?                                   und die Zeit im Secondhand-Laden              ge Farben wie Pink, Hellgrün und
Im Rahmen eines Arbeits­integra-             verflog sowieso im Nu. 2016 habe ich          Limette könnten deine neue Lieb-
­tions­einsatzes konnte ich im Cari-          mich um eine bei Caritas Secondhand           lingsfarbe für diesen Winter wer-
 tas-Secondhand-Laden in Winter-              frei gewordene Stelle beworben, mich          den. Ganz erstaunt bin ich über den
 thur als Verkäuferin arbeiten. Durch         gegen andere Bewerberinnen durch-             aktuellen Schal-Trend. Schal ist im-
 die Ladenschliessung eines Mode-             gesetzt und so den Sprung zurück in           mer Trend, nun darf der Schal jedoch
 geschäfts wurde ich 2015 arbeits-            die Arbeitswelt geschafft. Heute bin          ein bisschen grösser als üblich aus-
 los. Mein Berater beim regionalen            ich dankbar für die Chance, die ich er-       fallen. Auffallen ist angesagt. Deine
 Arbeitsvermittlungszentrum (RAV)             halten habe, und ich könnte mir eine          Strickpullis kannst du auch wieder
 vermittelte den Kontakt als Zwi-             andere Arbeit nicht mehr vorstellen.          aus dem Schrank nehmen. Zusätz-
 schenlösung. Sehr schnell erhielt ich                                                      lich darf man wieder Leder von Kopf
 Bescheid, dass Caritas Secondhand            Was gefällt dir an deiner Arbeit              bis Fuss tragen, wie in den 80ern.
 mir einen Platz in ihrem Arbeitsinte-        bei Caritas Secondhand?                       Mein Highlight wird definitiv die
 grationsprogramm anbietet. Ich war           Die Vielseitigkeit des Alltags und            Cape-Jacke. Für mehr Tipps komm
 bis dahin noch nie in einem Second-          der Kundenkontakt mit ganz un-                bei uns im Secondhand vorbei, wir
hand-Laden und kannte auch Ca-                terschiedlichen Menschen in ver-              beraten dich gerne.
 ritas Zürich nur vom Hören. Durch            schiedenen Kulturen und sozialen
 meine Erfahrung als Verkäuferin              Schichten. Das Sortieren der Klei-            www.caritas-secondhand.ch

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Caritas Zürich

Secondhand-Online-Shop:
Nunzia Spadavecchia ist eines
der Models.
Grusskarte_CAZH_A6.indd 1
Caritas Zürich

Armut ist Alltag …
… für über 100 000 Menschen im Kanton Zürich. Armut existiert auch im reichen
Kanton Zürich, obwohl sie kaum sichtbar ist. Denn viele Betroffene schämen sich für
ihre prekäre Lage. Caritas Zürich bekämpft mit ihren Unterstützungsangeboten Ar-
mut im Kanton Zürich und setzt sich für Prävention ein. Helfen Sie uns dabei.
In der Schweiz arm zu sein, heisst, in allen Lebensbereichen sparen zu müssen. Bei der Gesundheit, dem Woh-
nen, der Bildung, der Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben. Denn noch viel zu oft ist Arbeit nicht exis-
tenzsichernd, wird Armut an die nächste Generation weitergereicht, und der Grundbedarf in der Sozialhilfe ist
definitiv zu tief.

Gerade Kinder aus armutsbetroffenen Familien leiden unter diesen Folgen. Um auf die Situation von über
100 000 Zürcherinnen und Zürchern aufmerksam zu machen, hat Caritas Zürich eine Sensibilisierungskam-
pagne lanciert und zeigt anhand von drei Schicksalen, wie dringend der Handlungsbedarf im Kanton Zürich ist.

                                                                                                                   Bilder: Thomas Plain

Anita W.                              Stefan M.                             Nora A.
Die alleinerziehende Mutter von       Der ehemalige Kommunikations-         Die Mutter von vier Kindern hat
vier Kindern bewegt sich als Wor-     berater rutschte wegen gesundheit-    während der Corona-Krise ihren
king Poor permanent am Rand des       licher Probleme in Arbeitslosigkeit   schlecht bezahlten Job in der Reini-
                                                                                                                                     22.07.2020 15:50:19

Existenzminimums.                     und Armut ab.                         gung verloren.

Mehr zu unserer Kampagne unter www.caritas-zuerich.ch/armut

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Zürich

« Armut ist,
 weder den Fünfer
 noch das Weggli
 zu haben.»
 Stefan M. *

 * Stefan M. ist einer von über 100 000 Armutsbetroffenen im Kanton Zürich.
 Der ehemalige Kommunikationsberater rutschte wegen gesundheitlicher
 Probleme in die Arbeitslosigkeit und in die Armut ab.

 Spenden Sie jetzt.

 www.caritas-zuerich.ch /armut
Ichwillhelfen

JungeFreiwilligeverhindern
dieSchliessungderCaritas-Märkte
Ein einziger Aufruf genügte: Dank dem spontanen Einsatz von vielen jungen
Freiwilligen konnten die Caritas-Märkte in St. Gallen und Wil auch während
des Lockdowns geöffnet bleiben.
TextSusannaHeckendornBildGregorScherzinger

W
          er holt das Brot bei den
          Bäckereien in der Um-
          gebung, kontrolliert die
Waren, füllt Gestelle auf und steht
an der Kasse, wenn die Freiwilli-
gen von einem Tag auf den andern
zu Hause bleiben müssen, weil sie
aufgrund ihres Alters zur Risiko-
gruppe gehören? «Uns war klar,
dass der Lockdown unsere Kundin-
nen und Kunden besonders hart
treffen würde», erinnert sich Phi-
lipp Holderegger, Geschäftsleiter
der Caritas St. Gallen-Appenzell.
«Es stand deshalb ausser Frage,
die Caritas-Märkte zu schliessen.
Aber wer, das war die grosse He-              ZahlreichejungeFreiwilligehieltendenCaritas-MarktwährendderCorona-KriseamLaufen
rausforderung, sollte die Läden
betreiben?» Mit einem Aufruf auf
Facebook fanden sich innert weni-             in die Hand drücken durfte, was                schenkt.» Desirée wollte sich so-
ger Tage viele junge Freiwillige, die,        nicht gestattet ist, fiel ihm sehr             lidarisch zeigen und war beein-
anstatt im Lockdown zu Hause he-              schwer.                                        druckt, wie viele Menschen mit
rumzusitzen, etwas Sinnvolles tun                                                            sehr wenig zufrieden sind. «Es war
wollten.                                      Jael Dahinden und Desirée Stuck                schön, die grosse Dankbarkeit der
                                              studieren beide Soziale Arbeit.                Kundschaft zu spüren und mit den
Für Verena Keller, die sonst als              Die Mutter von Jael arbeitet jeden             Freiwilligen Solidarität zu leben.»
Hotelfachfrau arbeitet, war es eine           Mittwoch im Caritas-Markt und
völlig neue Erfahrung, dass jemand            gehört zur Risikogruppe. Spon-                 Sich zu engagieren und miteinan-
so froh ist, sie dabei zu haben und           tan entschied sich Jael, ihre Stell-           der etwas zu bewirken, so die ein-
ihr das auch zeigt. «Diese unerwar-           vertretung zu übernehmen. «Die                 hellige Meinung der temporären
tete Wertschätzung war enorm mo-              Arbeit im Caritas-Markt hat mir                Freiwilligen, ist eine tolle Erfah-
tivierend.» Ein paar ernüchternde             viele wertvolle Begegnungen ge-                rung, die sie nicht missen möchten.
Erkenntnisse gewann Fabian Bal-
mer. Nie hätte er gedacht, dass es
                                                 WOLLENSIESICHAUCHFREIWILLIGENGAGIEREN?
so viele armutsbetroffene Schwei-
zerinnen und Schweizer gibt. «Es                 AlsFreiwilligeoderFreiwilligerlernenSieMenschenmitanderenPerspektiven
war sehr hart mitzuerleben, wie                  kennen Sie helfen im Alltag und machen Integration möglich Sie können Ihr
jemand etwas zurücklegen muss,                   Wissen weitergeben und Neues dazulernen Die Freiwilligenangebote unter-
weil ihm an der Kasse 40 Rappen                  scheidensichvonRegionzuRegionBieinformierenSiesichaufderWebsite
fehlen.» Dass er der Person nicht                derCaritas-OrganisationinIhrerRegion
einfach zwei Zwanzigrappenstücke

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