Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

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Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Bevölkerungsschutz

1 | 2018

   BBK. Gemeinsam handeln. Sicher leben.
Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

    Warnung im Jahr 2018 – ist das „Schnee von gestern“                              zunehmende Extremwetterereignisse, Großbrände oder
oder erleben wir gerade eine Art Renaissance des Themas?                             Entschärfungen von Blindgängern aus dem Zweiten Welt-
    Wir erinnern uns: Mit dem Ende des Kalten Krieges wur-                           krieg allein im Jahr 2017 zu Hunderten von Warnmeldun-
den die umfangreichen Warnstrukturen des Bundes mit                                  gen, die über MoWaS gesteuert wurden, zunehmend auch
zehn Warnämtern und einem flächendeckenden Sirenen-                                  medial begleitet.
netz abgeschafft. Als kleinste Zelle überlebte seither die ge-                           Bund und Länder arbeiten intensiv daran, MoWaS ge-
setzlich nach wie vor verankerte Aufgabe „Warnung der                                meinsam weiterzuentwickeln: Warnkonzepte werden abge-
Bevölkerung“ zunächst im BZS, dann im BVA und schließ-                               stimmt, neue Warnmultiplikatoren erschlossen und beste-
lich als Referat im BBK, mit den angebundenen Zivilschutz-                           hende technisch weiterentwickelt. Besonders wichtig ist es
                                                                                     dabei, das Thema Warnung aus der Sicht der Menschen in
                                                                                     diesem Land als Adressaten unserer Botschaften zu betrach-
                                                                                     ten. Es gilt dabei nicht nur zu ermitteln, wie wir sie tech-
                                                                                     nisch – am besten auch noch nachts bei Stromausfall im
                                                                                     Tiefschlaf in einem schallisolierten Schlafzimmer – errei-
                                                                                     chen können. Wir müssen zudem sicherstellen, dass wir
                                                                                     die Menschen mit autorisierten Warnmeldungen auch in-
                                                                                     haltlich erreichen, und mittels zielführender Verhaltens-
                                                                                     empfehlungen dazu befähigen, sich selbst in Sicherheit zu
                                                                                     bringen. Psychosoziale Aspekte der Warnung bis hin zu
                                                                                     der Frage, wieviel ist zu viel bzw. zu wenig an Warnung und
                                                                                     Information, rücken eine heterogene Bevölkerung mit ver-
                                                                                     schiedenen Bedürfnissen in den Mittelpunkt.
                                                                                         Warnung ist dabei auch ein Beispiel für eine gesamt-
Dr. Miriam Haritz ist Leiterin der Abteilung I „Krisenmanagement“ im Bundesamt für
                                                                                     staatliche Aufgabe verschiedener Ebenen, bei der es gelingt,
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.                                            gemeinsame Ziele zu identifizieren und Prozesse konkret
                                                                                     voranzubringen, losgelöst von abstrakten föderalen Zustän-
verbindungsstellen an wechselnden Orten in Deutschland.                              digkeitsdebatten.
Erst ab 2001 wurde hierbei die Technik zukunftsorientiert                                Die Menschen in diesem Land dürfen darauf vertrauen,
wiederaufgebaut: SatWaS wurde entwickelt und ab 2011                                 dass hier wie auch in anderen Bereichen des operativen
zu MoWaS ausgebaut, ohne dass das System sich größerer                               Krisenmanagements – sei es im Lagemanagement in Zu-
medialer Aufmerksamkeit ausgesetzt sah. Umfangreich                                  sammenarbeit mit dem GMLZ, im psychosozialen Krisen-
modernisiert, wirkte dieses satellitengestützte System still                         management, bei der Fernerkundung oder Krisenmanage-
und zuverlässig im Hintergrund, als Vorbereitung auf das                             mentübungen wie LÜKEX – alle Akteure in Bund und Län-
Worst-Case-Szenario eines ballistischen Angriffs. 2015 ent-                          dern zu ihrem Schutz an einem Strang ziehen.
wickelte der Bund die Warnapp NINA als einen von vielen                                  Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Sie
anzusteuernden Warnmultiplikatoren (neben Rundfunk                                   vielfach zum Kreis ebendieser Akteure gehören, in diesem
und TV, Internetportalen, Pagern etc.) und stellte diese für                         Sinne eine interessante Lektüre zu diesem hochaktuellen,
Android- und iOS-Endgeräte zur Verfügung – mit seitdem                               „wiedergeborenen“ Thema.
stetig wachsenden Nutzerzahlen im Millionenbereich.
    Verschiedene Schadenslagen mit Bezug zum Bevölke-                                Bonn, im Januar 2018
rungsschutz haben dabei gerade in der letzten Zeit deutlich
gemacht, dass es erforderlich ist, die Bevölkerung nicht nur
vor den besonderen Gefahren eines Verteidigungsfalles zu
warnen, sondern sie rechtzeitig auch auf andere Gefahren
hinzuweisen und ihnen Selbstschutzmaßnahmen zu ermög-
lichen – eine Aufgabe, die nur gelingen kann, wenn die                               Dr. Miriam Haritz
fachlichen und politischen Verantwortungsträger in Bund
und Ländern zusammenwirken. So führten beispielsweise
Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
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                                           10
 13                                                                                                                       30
GRUSSWORT                                                            AUSBILDUNG
Grußwort des Präsidenten des Bundesamtes                             Sicherheit studieren
für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe                2          Aktuelle Entwicklungen, Chancen und Perspektiven   37

WARNUNG
Warnung im Wandel                                           3

Die Warn-App NINA
  Bisherige Erfahrungen und aktuelle Entwicklungen          6
                                                                     FORUM
MoWaS vS/E                                                           Arbeiter-Samariter-Bund                              41
  Das Modulare Warnsystem geht in die Fläche               10        Bundesanstalt Technisches Hilfswerk                  42
                                                                     Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft                45
Das ISF Bund-Länder-Projekt                                          Deutscher Feuerwehrverband                           47
„Warnung der Bevölkerung“                                            Deutsches Rotes Kreuz                                49
  Ein Überblick                                            13        Johanniter-Unfall-Hilfe                              50
                                                                     Malteser Hilfsdienst                                 52
„Verhalten Sie sich luftschutzmäßig“                                 Verband der Arbeitsgemeinschaften der Helfer
  Das Forschungsvorhaben „Sozialwissenschaftliche
  Betrachtung verschiedener Aspekte der Warnung                      in den Regieeinheiten /-einrichtungen des
  der Bevölkerung“ (SAWaB)                                 14        Katastrophenschutzes in der
                                                                     Bundesrepublik Deutschland e. V.                     54
EWF
  Emergency Warning Functionality: Flächendeckende
  Bevölkerungswarnung in Echtzeit über Digitalradio DAB+   17

„Mit Fernerkundung vor die Lage kommen“
  Was nach Zukunftsmusik klingt, soll
  bei Copernicus Realität werden                           23        RUBRIKEN
                                                                     Nachrichten                                          56
Das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum                                Impressum                                            56
von Bund und Ländern (GMLZ)                                27

„Einheit in Vielfalt“
  Startschuss für die gemeinsame Erarbeitung einer
  Muster-Dienstvorschrift zum Einsatz von Drohnen
  im Bevölkerungsschutz                                    31
                                                                     SERIE
Einflüsse der Konzeption Zivile Verteidigung
auf die Warnung des Bundes                                 33        Kulturgutschutz in Deutschland                       57
Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
2    ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ GRUSSWORT

Liebe Leserinnen und Leser,

„2017 war das bislang teuerste Jahr für Versicherungen –       den „Blackout“. Die Bewältigung von Terrorlagen ist nicht
Hurrikans und Naturkatastrophen haben die Versiche-            nur Aufgabe von Verfassungsschutz und Polizei, sondern,
rungsbranche weltweit rund 135 Milliarden Dollar gekos-        wie der Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin gezeigt hat,
tet“ titelte ein großes Nachrichtenmagazin unter Hinweis       auch eine solche für Rettungsdienst und das Betreuungs-
auf Berechnungen der Münchener-Rückversicherung zu Be-         wesen. Einer militärischen Bedrohung kann nicht allein mit
ginn des Jahres. Diese Nachricht ist allein betrachtet schon   militärischen Mitteln von Bundeswehr und NATO entge-
bedenklich, fast noch beunruhigender scheint aber die von      gengetreten werden, im Rahmen der Gesamtverteidigung
der Versicherung gezogene Schlussfolgerung zu sein: Das        bedarf es neben der militärischen Säule auch der Maßnah-
sei eine „neue Normalität“!                                    men von Zivilverteidigung und Zivilschutz.
                                                                   Die oben zitierte Meldung der Münchener Rückversi-
                                                               cherung enthielt aber auch eine positive Botschaft: Die An-
                                                               zahl der von derartigen Katastrophen getöteten Menschen
                                                               hat in den letzten Jahrzehnten stetig abgenommen. Wesent-
                                                               liche Ursache dabei sei die verbesserte Prävention. Hieran
                                                               müssen wir ansetzen: Wenn wir uns darauf einstellen müs-
                                                               sen, dass es auch in Deutschland häufiger und unerwartet
                                                               zu Extremniederschlägen kommen kann, die aus kleinen
                                                               Bächen reißende Ströme machen, müssen unsere Warn-
                                                               meldungen an die Bevölkerung schneller und besser wer-
                                                               den, müssen sich aber auch die potenziell betroffenen
                                                               Menschen selbst besser auf solche Gefahrenlagen vorberei-
                                                               ten. Die staatlichen und kommunalen Behörden, die Feu-
                                                               erwehren und die Hilfsorganisationen müssen durch Aus-
                                                               bildung, Übungen, Veränderungen der Organisation und
                                                               verbesserte Ausrüstung auf die wachsenden Herausforde-
                                                               rungen vorbereitet werden. Dies wird nicht zuletzt auch
                                                               Geld kosten. So werden alle Verwaltungsebenen große Kraft-
                                                               anstrengungen insbesondere im personellen Bereich unter-
                                                               nehmen müssen, um die vom Bundeskabinett beschlosse-
                                                               nen Maßnahmen in der „Konzeption Zivile Verteidigung“
                                                               umzusetzen.
                                                                   Derzeit werden in Berlin die Weichen für eine neue Re-
                                                               gierung gestellt. Spannend ist die Frage, ob sich die ge-
                                                               wachsene Bedeutung des Bevölkerungsschutzes auch im
                                                               Koalitionsvertrag wiederspiegelt. Es gibt Hinweise, dass es
                                                               tatsächlich gelingen kann, die notwendigen strukturellen
                                                               Anpassungen des Systems in der nächsten Wahlperiode
                                                               anzugehen und gleichzeitig auch die zur Verfügung stehen-
                                                               den Ressourcen zu vergrößern. Die anstehenden Heraus-
                                                               forderungen erfordern eine stabile politische Grundlage, um
                                                               den Schutz der Bevölkerung dauerhaft zu gewährleisten.

    Auch aus Sicht des Bundesamtes für Bevölkerungs-
schutz und Katastrophenhilfe (BBK) wachsen die Heraus-
forderungen an Staat, Wirtschaft und Bevölkerung durch
neue – ggf. aber auch durch alte, wieder gewachsene – Risi-
ken. Wie die Münchener Rückversicherung gehen wir da-
von aus, dass sich der Klimawandel in Gestalt einer Zunah-
me von Extremwetterereignissen auch bei uns bemerkbar          Christoph Unger
macht. Darauf muss sich der Bevölkerungsschutz einstel-        Präsident des Bundesamtes
len. Die Zunahme technischer Verflechtungen, die Abhän-        für Bevölkerungsschutz
gigkeit von der Strom- und IT-Versorgung als die Lebens-       und Katastrophenhilfe
elixiere unsere Gesellschaft erfordern angesichts der Bedro-
hungen aus dem Cyber-Raum auch Vorbereitungen auf
deren – wenn auch wenig wahrscheinlichen – Ausfall, etwa
Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙                              3

Warnung im Wandel
Willi Streitz

Die in den Zivil- und Katastrophenschutz vulgo Bevölke-                              fähige Hilfeleistungssystem verstanden wird, das sowohl in
rungsschutz (vgl. Abbildung 1) eingebettete Warnung der                              Friedenszeiten (Katastrophenschutz) als auch in Kriegszeiten
Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland befindet                               (Zivilschutz) tauglich ist und dessen operative Basis der Brand-
sich zwar in einem beständigen Prozess der strategischen                             schutz, der Rettungsdienst und die alltägliche technische Hil-
und operativen Anpassung, ihr Anteil am Bevölkerungs-                                feleistung ist, hat nicht nur der Beginn strukturierter öffent-
schutz scheint aber angesichts der Gesamtschau in Abbil-                             licher bzw. staatlicher Aktivitäten auf diesen Gebieten sehr
dung 1 nahezu unbedeutend. Nun ist der deutsche Bevölke-                             unterschiedliche Ursachen, Motive und Zeitpunkte (Karutz et
rungsschutz […] über viele Jahrzehnte aus verschiedenen Be-                          al. 2017, S. 9), sondern die Strukturierungen dauern unter
reichen der kommunalen und individuellen Hilfeleistung her-                          sich verändernden Bedingungen an. Diese Bedingungen
ausgewachsen und hat seine staatlichen Strukturen nicht zu-                          sind gewissermaßen „Kritische Suprastruktur“1, die das
letzt durch die „heißen“ und „kalten“ Kriege im 20. Jahrhundert                      Ausmaß bestimmt, in dem Sorge für die Bevölkerung, Vor-
erhalten* (Karutz et al. 2017, S. 9). Heute werden‚ unter dem                        sorge vor Gefahr und damit auch die Vorbereitung auf die
recht allgemein gehaltenen Begriff „Bevölkerungsschutz“ […],                         Warnung der Bevölkerung stattfinden muss.
„alle Aufgaben und Maßnahmen (darunter auch die War-
nung) der Kommunen und der Länder im Katastrophen-                                   * Im Interesse eines zügigen Leseflusses wurden Zitate kursiv gesetzt.
schutz sowie des Bundes im Zivilschutz“ (BBK 2011, S. 7 in                           1 Es gibt nicht nur einen „Kritischen Unterbau“, sondern auch einen
Karutz et al. 2017, S. 9) subsummiert. Da unter Bevölke-                               „Kritischen Überbau“. Diese Erkenntnis ist beileibe nicht neu. Genau
                                                                                       dies formulierten Clausen und Dombrowsky (1984, S. 293) bereits,
rungsschutz auch das sogenannte integrierte, zum Aufwuchs                              wenn auch mit anderen Worten.

Abbildung 1: Didaktische Landkarte des Bevölkerungsschutzes (Karutz et al. 2017:8)
Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
4      ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG

Warnung ist maßgeblich geprägt durch Prozesse der Kommunikation in den gesellschaftlichen Subsystemen.
(Grafik: CC0 Public Domain / pixabay.com)

    Ein Beitrag von Clausen und Dombrowsky analysierte                                systemen. Dies betrifft nicht nur die sozialen Prozesse der
19842 Warnung als einen scheinbar abseitigen, jedoch zu-                              öffentlichen Diskussion auf ökonomischem, politischem,
nehmend wichtigen Aspekt sozialen (und auch politischen)                              sozialem oder kulturellem Gebiet, sondern in besonderem
Handelns und er beschäftigt sich mit den Dilemmata der                                Maße die ebenfalls sozialen Prozesse, welche die wissen-
Prognose, da Warnung mehr als die klassisch-naturwissen-                              schaftlichen Konstruktionen von Vergangenheit, Gegen-
schaftliche Prognose umfasst, nämlich – bei Erfolg – eine sich                        wart und Zukunft der Warnung mit Hoffnung und Furcht
selbst annihilierende3 Voraussage. Die praktischen Probleme                           begleiteten und häufig entscheidend mit bestimmen.
der Warnung werden umrissen: zunehmende gesellschaft-                                     Es geht bei der Kommunikation mit der Bevölkerung
liche Risiken bei zugleich interessenbeeinflusstem Warn-                              vor (Warnung) und während (Krisenkommunikation) einer
wesen, die zusammengenommen dazu tendieren, Überlebens-                               Gefahrenlage aber nicht bzw. jedenfalls nicht ausschließ-
chancen zu verringern (Clausen und Dombrowsky 1984, S.                                lich um die euphemistisch klein geschwätzten „letzten Me-
293, dazu auch Fußnote 1). Die Aussage beschreibt immer                               ter“, die eine technisch aufwändig übertragene Warnung
noch zutreffend die Rahmenbedingungen für die Warnung                                 bis zu ihren Adressaten benötigt, sondern um die Berück-
der Bevölkerung in Deutschland, obwohl sie lange vor En-                              sichtigung von mehrfach gestaffelten sozialen Kommuni-
de des Kalten Krieges gemacht wurde, als die Bundesregie-                             kationsprozessen. Der Anfang einer Bedrohung muss wahr-
rung die Sicherheitslage Anfang der 90er Jahre als so stabil                          genommen, identifiziert, bewertet und überprüft werden.
beurteilte, dass sie sich entschloss, umfangreiche Ressourcen                         Die Ergebnisse technischer Detektionssysteme bedürfen
und Fähigkeiten im Zivilschutzbereich abzubauen. 1993 wurde                           der sachkundigen Einschätzung. Danach erst erfolgt die
das bisherige Zivilschutz-Sirenennetz mit ca. 80 000 Stand-                           weitgehend institutionell regulierte und durch Meldemit-
orten den Gemeinden kostenlos zur Übernahme angeboten.                                tel technisch vermittelte Weitergabe (Distribution6). Am
Im Ergebnis wurden ca. 40 000 Sirenen durch den Bund ab-                              Ende der Weitergabe erfolgt die Auslösung einer Informa-
gebaut. Auch die Auslöseinfrastruktur (Warnämter, Sirenen-                            tion, die selbst wieder wahrgenommen, gedeutet, richtig
steuernetz) wurde aufgelöst4. Letztendlich wurde im Januar                            verstanden, verifiziert und sodann in Handeln umgesetzt
2001 auch das zuständige Bundesamt für Zivilschutz (BZS)                              werden muss, damit schließlich ein angemessenes
aufgelöst und als Zentralstelle für Zivilschutz (ZfZ) in das                          Schutzhandeln und damit ein Überstehen der Gefahr er-
Bundesverwaltungsamt (BVA) eingegliedert (https://www.                                reicht werden kann. In Frage steht damit nicht in erster
bbk.bund.de/DE/AufgabenundAusstattung/Krisenmana-                                     Linie die Warntechnik7, sondern wie Informationen ge-
gement/WarnungderBevoelkerung/warnungderbevoelke-
rung_node.html). Bis zu Gründung des Bundesamtes für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) vergingen                              2
                                                                                          Übrigens zugleich der Titel des bereits 1949 erschienenen zukunftspes-
über 3 Jahre. Damit gibt es zwar wieder ein zentrales Orga-                               simistischen Romans von George Orwell in dem ein totalitärer Über-
                                                                                          wachungsstaat dargestellt wird.
nisationselement für die Zivile Sicherheit (https://www.bbk.                          3
                                                                                          für nichtig erklärende
bund.de/DE/DasBBK/Geschichte/geschichte_node.html),                                   4
                                                                                          Heute bemüht man sich um die Ansteuerung von Sirenen mit dem
doch schon der Begriff Sicherheit in dieser Formulierung                                  Modularen Warnsystem (MoWaS) über die Leitstellen.
verweist auf eine Schwerpunktverschiebung vom Schutzge-
                                                                                      5
                                                                                          Das BBK besteht aus 4 Fachabteilungen und der Abteilung Zentrale
                                                                                          Dienste (Z).
danken zu Sicherheitsaspekten hin. Die Warnung ist eines                              6
                                                                                          Im Modularen Warnsystem (MoWaS) durch ‚Multiplikatoren‘. Die
(Referat I.2) von 5 Referaten in der Abteilung I Krisenmana-                              ebenfalls verwendete englische Übersetzung ‚Multiplier‘ macht deut-
gement5 und somit eine überschaubarer Teil des Zivilschut-                                lich, wie unglücklich der Begriff gewählt ist, denn im englischen wird
zes mit überschaubaren Ressourcen. Dies macht schlagend                                   die Verbreitung (von Warnung) als Dissemination bezeichnet. Zur Ver-
                                                                                          wendung von Begriffen im Bevölkerungsschutz empfiehlt sich das
deutlich: Warnung war, ist und bleibt maßgeblich geprägt                                  Kapitel 2 in Karutz et al. 2017, S. 29-65.
durch Prozesse der unter vielfältigen Unwägbarkeiten ab-                              7
                                                                                          Bzw. ein technisches Warn(sub)system, das selbst Kritische Infrastruk-
laufenden Kommunikation in den gesellschaftlichen Sub-                                    tur ist.
Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙                          5

staltet werden müssen, damit im Falle der Gefahr selbst                        Literaturverzeichnis
eingelebte Wahrnehmungsmuster durchbrochen und rele-                           BBK – Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
                                                                                   (Hrsg) (2011) BBK-Glossar. Ausgewählte zentrale Begriffe des
vante Inhalte erkannt und ernst genommen werden kön-
                                                                                   Bevölkerungsschutzes. BBK, Bonn
nen. Dazu bedarf es in erster Linie Erkenntnisse darüber,                      Clausen, Lars; Dombrowsky, Wolf R. (1984): Warnpraxis und Warnlo-
welche Informationen die Bevölkerung bei einer Gefahr                              gik. In: Zeitschrift für Soziologie : ZfS 13 (4), S. 293–307.
selbst für relevant hält und unter welchen Bedingungen                         Karutz, Harald; Geier, Wolfram; Mitschke, Thomas (Hg.) (2017): Be-
sie in der Lage ist, sich aus ihren tagtäglichen Rezeptionsge-                     völkerungsschutz. Notfallvorsorge und Krisenmanagement in
wohnheiten zu lösen, um ohne Verzug angemessen ent-                                Theorie und Praxis. Berlin, Heidelberg, s.l.: Springer Berlin Hei-
                                                                                   delberg. Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-
scheiden und handeln zu können. Dies erfordert nicht nur                           662-44635-5.
Wissen über Informationsbedürfnisse und Informations-                          https://www.bbk.bund.de
angebote allgemein, sondern auch spezielle Kenntnisse
über menschliche Informationsverarbeitung unter Knapp-
heitsbedingungen (unvollständige Information, Zeitdruck                        ten. Katastrophenfälle sind auch eher selten, denn der Ka-
und emotionale Belastung). Ein guter Anfang wären aber                         tastrophenalarm wird von den Bundesländern eher ge-
auch schon Grundkenntnisse der Sozialstruktur, des Be-                         mieden. Die technische Warninfrastruktur des Bundes wird
völkerungsaufbaus etc., damit man weiß, mit wem man                            dementsprechend überwiegend für nicht-polizeiliche und
kommuniziert. Die Gewichtungen sind aber auch in neue-                         polizeiliche Gefahrenabwehr genutzt und generiert so ge-
ren Darstellungen (siehe S. 11) des Modularen Warnsys-                         wissermaßen wenigstens einen Trainingseffekt, der im Ernst-
tems (MoWaS) ganz eindeutig andere. Die Bevölkerung, der                       fall hoffentlich hilft.
Hauptakteur und Adressat allen Bemühens ist eher rand-                              „Warnungen [...] sollen alarmieren, sollen in die Lage ver-
ständig und vollkommen undifferenziert fast schon außer-                       setzen, herannahenden (Kriegs-)Gefahren gewappnet begeg-
halb des Systems dargestellt.                                                  nen zu können. Im Prinzip findet sich die Bewappnung vor
    Hinzu kommt: Ein so scheinbar abseitiger, jedoch zu-                       Gefahr weit vor aller Kriegsführung, doch hat erst sie den auf-
nehmend wichtiger Aspekt (s. o.) wie die Warnung der Bürge-                    schreckenden Warnlaut zu einem spezialisierten Können, zu
rinnen und Bürger vor Gefahren wird aber in Deutschland                        einem eigenständigen Warnwesen, einer Warnsemantik und
eigentlich auf allen gebietskörperschaftlichen Stufen als                      -technik8 vorangetrieben, ohne die ein rechtzeitiger Einsatz9
gewährleistet angesehen, u. a. weil wir dieses einzigartige                    von Abwehrmaßnahmen weder im militärischen noch im zi-
Warnsystem haben, das der Bund den Ländern, Kreisen                            vilen Bereich zu erreichen wäre“ (Clausen und Dombrowsky
und Kommunen für die Warnung zur Verfügung stellt. Es                          1984, S. 293). Genau deshalb ist die Warnung keineswegs so
ist konsequenter Ausdruck der Vorstellung, dass nichts so                      unbedeutend, wie sie in Abbildung 1 erscheint, denn sie ist
schlimm kommen kann, dass es durch Technik nicht in                            allem anderen vorgelagert. Wenn sie allerdings als rein
den Griff zu bekommen wäre und man danach nicht zur                            technizistisches Geschäft betrieben würde, käme sie selbst
Tagesordnung zurückkehren könne. Die gleiche Vorstel-                          in die Gefahr, Schutzlücken entstehen zu lassen.
lung findet sich in gern verwendeten Prozess-, Kreislauf-                           Demgemäß verfolgt das Referat I.2 „Warnung der Be-
oder Kettenabbildungen, die suggerieren, nach der Krise                        völkerung“ des BBK eine strategische Positionierung, die
sei es wieder wie vor der Krise und man könne immer wie-                       den Erfordernissen sich verändernder Rahmenbedingun-
der wie beim letzten Mal verfahren. Dies ignoriert voll-                       gen in allen Aufgaben- und Einsatzfeldern in allen Subsys-
ständig den beständigen Wandel unserer Welt und schützt                        temen10 der Warnung Rechnung trägt und die es erlaubt,
die Schützer vor dem unangenehmen Umgang mit Unsi-                             auch zukünftig dynamisch und flexibel Veränderungen an-
cherheit im Hinblick auf die Gefahren der Zukunft. Der Auf-                    gemessen bis hinunter auf alle operativen Ebenen zu be-
wand, diese Unsicherheit durch sicheres Auftreten zu ver-                      rücksichtigen. Dies bedeutete Warnung umfassend als dy-
bergen, ist durchaus erheblich und dementsprechend teuer,                      namisches soziotechnisches System zu konzipieren und
denn der Rechtfertigungsdruck steigt regelmäßig, wenn                          fortzuentwickeln.
nichts passiert. Der Zivilschutzfall ist seit dem Ende des
Zweiten Weltkrieges in Deutschland nicht mehr eingetre-

8
     Wie dominant die Technik, insbesondere die Digital-, Informations-
     und Satellitenkommunikationstechnik werden würde, ahnten Clausen
     und Dombrowski wohl noch nicht. Heute stehen wir kurz davor von
     „Alexa, Cortana oder Siri“ Warntexte und Handlungsempfehlungen
     vorgelesen zu bekommen.
9
     Warnung ist ein zeitkritischer Vorgang. Die den temporalen Formen
     von Gefahren angemessenen temporalen Formen der Warnung wer-
     den aber eher selten in den Blick genommen. Die Grafische Einord-
     nung verschiedener Naturgefahren entlang der Kriterien Vorwarnzeit,
     Prozessgeschwindigkeit und Dauer in Karutz et al.( 2017, S. 59) ist da-
     her umso bemerkenswerter. Sie wäre um technogene Gefahren und             Dr. Willi Streitz ist Soziologe, Katastrophenforscher und Berater des
     systemische Gefahren zu ergänzen.                                         ISF-BLP Warnung der Bevölkerung.
10
     Politische, ökonomisches, kulturelles und soziales Subsystem um die       (ISF = Innerer Sicherheitsfond; BLP = Bund-Länder-Projekt)
     wichtigsten zu nennen.
Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
6    ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG

Die Warn-App NINA
Bisherige Erfahrungen und aktuelle Entwicklungen

Christoph Groneberg, Michael Judex, Jakob Rehbach und Gerrit Möws

Bürgerinnen und Bürger vor einer drohenden Gefahr zu             men NINA (Notfallinformations- und Nachrichten-App)
warnen, ist eine der zentralen Aufgaben des Staates. Dies gilt   im Zuge eines großen öffentlichen Wettbewerbes erhalten
für alle Arten von Gefahren, einschließlich des Spannungs-       hat – wurden folgende Funktionen implementiert (s. auch
und Verteidigungsfalles. Der Bund betreibt hierfür das satel-    Abb. 1):
litengestützte Modulare Warnsystem (MoWaS), an das zahl-
reiche unterschiedliche Warnkanäle wie Radio- und Fern-              Warnmeldungen             Empfang aller Warnmeldungen aus MoWaS per
                                                                                              Push-Benachrichtigung und Darstellung in einer
sehstationen, Internetportale, Paging-Dienste oder auch                                                  Liste und einer Karte. Ergänzt durch
Verkehrsbetriebe angeschlossen sind. Ein wichtiges Ziel der                                    Wetterwarnungen des DWD und Flusspegel der
                                                                                                          Wasser- und Schifffahrtverwaltung.
Warnung der Bevölkerung ist u. a. möglichst viele potenziell
                                                                          Notfalltipps                 Handlungsempfehlungen und Tipps zur
betroffene Menschen zu erreichen. Durch den großflächi-                                                           Vorbereitung auf Notlagen
gen Abbau der Sirenen nach Ende des Kalten Krieges ging               Notfallkontakte              Schnelles Versenden von Informationen im
jedoch der sogenannte Weckeffekt teilweise verloren, da                                                   Krisenfall an vordefinierte Kontakte
sich beispielsweise Fernsehgeräte bei Vorliegen einer Warn-            Informationen                Bilder und Hintergrundinformationen zur
meldung nicht selbständig einschalten. Durch die zuneh-                  über das BBK                                         Arbeit des BBK

mend flächenhafte Nutzung von mobilen Internetzugängen           Tabelle 1: Funktionen der Warn-App NINA 1.0.
z. B. über Smartphones stellte sich die Frage, wie dieser
Kommunikationskanal in Kombination mit dem Modularen                 Diese erste Version wurde im Rahmen der Messe Inter-
Warnsystem effektiv zur Warnung der Bevölkerung ge-              schutz in Hannover am 08.06.2015 der Öffentlichkeit präsen-
nutzt werden könnte. Insbesondere die Fähigkeit der ver-         tiert und durch Staatssekretär Ole Schröder freigeschaltet.
wendeten Betriebssysteme, Nachrichten aktiv an mobile
Endgeräte zuzustellen (sog. Push-Benachrichtigung), bietet
hier einen einzigartigen Vorteil und kann den Weckeffekt –       Das Modulare Warnsystem (MoWaS) und die Warn-App NINA
zumindest bei eingeschaltetem Gerät und aktiver Internet-
verbindung – wieder herstellen.                                       Mit dem Anschluss der Warn-App NINA an das satelli-
                                                                 tengestützte modulare Warnsystem können Bund, Länder
                                                                 und Kommunen Warnmeldungen direkt an Smartphone-
Erste Gehversuche – Version 1.0                                  Nutzer weitergeben.
                                                                      Eine MoWaS-Warnmeldung wird mittels einer speziel-
    Bereits Ende des Jahres 2012 gab es erste Überlegungen       len Sendestation z. B. von einer Feuerwehrleitstelle oder
zur Gestaltung einer App durch das BBK, zunächst mit dem         einem Lagezentrum erstellt. Diese Sendestation versendet
Ziel, die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesamtes für Bevölke-     ihre Nachricht über eine hochstabile Satellitenverbindung
rungsschutz und Katastrophenhilfe zu fördern. Bei der Aus-       an die NINA-Rechenzentren. Dort wird die Warnmeldung
arbeitung der Funktionen und Mehrwerte wurde jedoch              weiter verarbeitet und anschließend über eine Mobilfunk­
schnell deutlich, dass eine reine Informations-App nur für       anbindung als Push-Nachricht an die Empfänger gesendet
einen eingeschränkten Nutzerkreis von Interesse wäre. Zu-        (s. Abb. 2).
dem strebte man ja einen Warnkanal mit Weckeffekt an. Da-             Ähnlich verhält es sich auch mit den Warnmeldungen
her wurden die Pläne für die BBK-App dahingehend ange-           des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und Informationen
passt, dass die Übermittlung von Warnmeldungen aus dem           des Länderübergreifenden Hochwasserportals (LHP). Über
Modularen Warnsystem zu einer Kernfunktion der neuen             standardisierte Schnittstellen senden auch diese ihre
App wurde – die Warn-App NINA war geboren. Um mit ge-            Nachrichten an die NINA-Rechenzentren.
ringem Aufwand eine möglichst große Vielfalt an Endge-                Beim Aufbau des Systems wurden strengste Daten-
räten und Betriebssystemen zu unterstützen, wurde die App        schutzbestimmungen beachtet. Die Nutzer können sowohl
als „Hybrid-App“ angelegt und geplant. Hybrid bedeutet,          Orte für den Erhalt von Warnmeldungen auswählen als
dass die App einmal entwickelt wird und dann sowohl auf          auch standortbezogen gewarnt werden. Doch werden zu
verschiedenen Geräten / Betriebssystemen wie Android und         keinem Zeitpunkt Standortdaten an die Infrastruktur des
iOS als auch als herkömmliche Webseite im Browser nutz-          BBK übermittelt. Die App wurde bewusst so konzipiert, dass
bar ist. Für die erste Version der Warn-App – die ihren Na-      die Standortprüfung nur auf dem Gerät erfolgt.
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WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙               7

Abb. 1: Screenshots der Warn-App NINA 1.0.

   Um Nutzern bei Fragen oder Problemen weiterhelfen zu       tige starke Verbreitung von Messenger-Apps und „Sicher-
können, wurde das NINA-Helpdesk eingerichtet. Hier neh-       heitschecks“ in sozialen Netzwerken wie Facebook diesen
men Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BBK über E-Mail,     Bedarf besser bedienten.
Telefon und die App-Stores Anfragen und Anregungen
entgegen. Jede Anfrage wird in der Regel innerhalb eines
Arbeitstages individuell beantwortet.

NINA 1.0 – Lessons Learned

    Mit Veröffentlichung von Version 1.0 der Warn-App NINA
wurde das wesentliche Ziel – einen Warnkanal mit Weck-
effekt herzustellen – erreicht. Kurze Innovationszyklen bei
Endgeräten und den Betriebssystemen Android und iOS
bedingten in den Folgemonaten mehrere Updates der App,
um eine reibungslose Funktion für möglichst alle Nutze-
rinnen und Nutzer zu gewährleisten.
    Über den NINA-Helpdesk erhielt das BBK zudem schon
innerhalb der ersten Monate nach Freischaltung zahlrei-       Abbildung 2: Übermittlung von Warnmeldungen an NINA.
che Nutzer-Rückmeldungen. Diese wurden ausgewertet, um
die Anforderungen für die Entwicklung von zukünftigen             Trotz einiger Updates wurde beim Betrieb der Warn-App
Versionen zu definieren. Die gesammelten Erkenntnisse las-    NINA in der ersten Version offenbar, dass die technische
sen sich im Wesentlichen drei Themenbereichen zuord-          Basis einer hybriden App zwar Vorteile in der Entwicklung
nen: 1. Funktionsumfang, 2. Leistungsfähigkeit und 3. Sta-    bot, gleichzeitig jedoch nicht optimal für die Leistungsfä-
bilität der App auf unterschiedlichen Endgeräten.             higkeit der App war. Zudem sorgte diese Form der Umset-
    Beim Funktionsumfang war schnell erkennbar, dass der      zung auch für diverse Fehlerbilder, sodass eine Umstellung
Kernzweck der Warnung auch in der Wahrnehmung der             auf eine sogenannte „native App“ Besserung versprach. Na-
Nutzer klar im Mittelpunkt stand. Hier wünschten sich die     tive Apps werden für jedes Betriebssystem einzeln entwi-
Nutzer insbesondere, nicht nur Warnungen aus dem Modu-        ckelt und bieten damit mehr Funktionsumfang und Leis-
laren Warnsystem, sondern auch jene des Deutschen Wet-        tungsfähigkeit. Hinzu kommt, dass hybride Apps zur Ent-
terdienstes als Push-Nachrichten empfangen zu können          wicklung von NINA 1.x Ende 2014 noch weit verbreitet wa-
und Warnungen besser auf ihre eigenen Bedarfe einstellen      ren, während das Jahr 2015 erkennen ließ, dass zahlreiche
zu können. Von den mobil aufbereiteten Inhalten stießen       Apps auf eine native Entwicklung umschwenkten.
die Notfalltipps auf Interesse. Die gesonderte Aufbereitung       Gesammelt ergaben sich damit folgende Ziele für die
zu Historie und Medieninhalten des BBK wurde hingegen         Entwicklung von NINA 2.0:
wenig genutzt und ließ keinen deutlichen Mehrwert zur mo-
bilen Nutzung der BBK-Homepage erkennen. Die Funktion         • Umstellung auf native Entwicklung für iOS und Android,
der Notfallkontakte wurde nur von wenigen Nutzern ein-        • Reduktion des Funktionsumfangs und Stärkung der
gesetzt. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die gleichzei-     Warnfunktion,
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Abbildung 3: Screenshots der Warn-App NINA 2.0.

• Push-Nachrichten für alle Warnungen,                           zeit an der Version 3.0 gearbeitet. Die neue Version soll ne-
• Möglichkeit, Warnungen für selektiv wählbare Orte zu           ben kleineren Fehlerbehebungen vor allem mit einer opti-
  aktivieren,                                                    mierten Nutzeroberfläche und einer höheren Genauigkeit
• Bessere Aufbereitung der Notfalltipps.                         der Warnmeldungen ausgestattet sein. Zudem arbeitet das
                                                                 von der Europäischen Union, den Ländern und dem Bund
                                                                 finanzierten Projekt „Warnung der Bevölkerung“ ( S. 13)
NINA 2.0 –mehr Leistungsfähigkeit                                daran, die Warn-App NINA für Mehrsprachigkeit anzupas-
                                                                 sen und die Barrierearmut weiter zu verbessern.
    Mit Version 2.0 wurde NINA grundlegend überarbeitet.             Im Zuge dieses Projektes hat darüber hinaus der Roll-
Beim ersten Start der App erwarten die Nutzer ein geführter      Out von 250 sog. „MoWaS vS/E-Stationen“ begonnen ( S. 10).
Einrichtungsdialog und eine neu gestaltete Oberfläche,           Diese webbasierten und dadurch kostengünstigeren Sende-
welche die Einrichtung der gewünschten Orte für Warnun-          und Empfangsstationen ermöglichen nun bundesweit einen
gen erläutert. Diese „Meine Orte“ genannte Ansicht (s. Abb. 3)   direkten Zugang zum MoWaS-Warnverbund. Während in den
wurde zur zentralen Oberfläche der App und ersetzte die bis-     meisten Bundesländern eine MoWaS-Warnmeldung bis-
herige Listenansicht (s. Abb. 1). Nutzer können hier die Or-     lang nur über das Lagezentrum der Landesinnenministerien
te individuell hinzufügen, für die sie Warnmeldungen erhal-      verschickt werden konnte, können nun auch Kreisleitstel-
ten möchten. Im Einstellungsmenü können nun nicht nur            len oder Polizeien z. B. die Warn-App NINA unmittelbar aus-
für Warnungen aus MoWaS, sondern auch für Wetterwarnun-          lösen. Im Zuge dessen werden perspektivisch immer mehr
gen des DWD sowie Hochwasserinformationen und -be-               lokal und regional relevante Warnungen über MoWaS und
richte der Länder die Benachrichtigung per Push aktivieren       damit über NINA veröffentlicht. NINA steht dabei nicht im
werden. Hiermit wurde der Nutzerwunsch umgesetzt, Warn-          Wettbewerb zu anderen Apps wie z. B. BIWAPP, die seit Kur-
funktionen an die eigenen Bedarfe anpassen zu können.            zem ebenfalls an MoWaS angeschlossen ist. Vielmehr unter-
    Auch die Notfalltipps präsentieren sich seit Version 2.0     stützen und ergänzen sich die Apps gegenseitig in der der
im neuen Gewand: Die neue Form der Darstellung mit Bil-          technischen Verfügbarkeit und der Art der Informationen.
dern und übersichtlichen Aufzählungen und Listen er-                 Sprachgesteuerte Assistenzsysteme, Systeme zur auto-
laubt eine flexiblere Gestaltung und erhöht die Lesbarkeit.      matisierten Video- und Bildbearbeitung oder Textgenerie-
    Durch die komplett neue Umsetzung als native App             rung, die auf Technologien künstlicher Intelligenz zurück-
konnte zudem nicht nur der Funktionsumfang verbessert,           greifen, sowie SmartCar-Systeme verbreiten sich zuneh-
sondern auch zahlreiche Maßnahmen zur Optimierung                mend. Entsprechend gilt es auch zukünftig, aktuelle Ent-
der Barrierearmut umgesetzt werden. So kann NINA nun             wicklungen aufmerksam zu beobachten und auf ihre Eig-
auch mittels Sprachausgabe genutzt werden.                       nung als Warnmittel hin zu überprüfen. Das BBK engagiert
                                                                 sich daher kontinuierlich in der Weiterentwicklung des
                                                                 Modularen Warnsystems sowie in der Forschung, um eine
Quo vadis NINA? Neue Technologien und                            effektive Warnung der Bevölkerung sicherzustellen.
die Zukunft der Warnung in Deutschland
                                                                 Christoph Groneberg, Dr. Michael Judex und Jakob Rehbach sind Refe-
    Neben dem beständigen Ausbau der technischen Infra-          renten im Referat Grundlagen und IT-Verfahren im Krisenmanagement,
struktur zur Gewährleistung der Übermittlung von Warn-           im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
                                                                 Gerrit Möws ist ehem. Leiter des Referates Warnung der Bevölkerung.
meldungen für inzwischen über 2,4 Mio. Nutzer wird zur-
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MoWaS vS/E
Das Modulare Warnsystem geht in die Fläche

Martin Hollstein

„Die Feuerwehr Mainz informiert: Durch einen Brand in              Ergänzend stellt der Bund sein Ortsdosisleistung-
Mainz-Mombach, Industriestraße, wurde eine Rauchwolke         Messnetz mit rund 1700 Messstellen für die Erfassung ra-
freigesetzt. Am Einsatzort und im Bereich der Rauchwolke      diologischer Gefahren zur Verfügung.
ist mit Geruchsbelästigungen und Sichtbehinderungen zu             Um den Anforderungen an ein Warnsystem gerecht zu
rechnen. Es besteht aber keine unmittelbare Gesundheits-      werden, wurde ab 1998 das bundeseigene Satellitenge-
gefahr für die Bevölkerung.“                                  stützte Warnsystem (SatWaS) entwickelt und 2001 in Dienst
    Mit dieser kurzen Meldung wurde am 06.12.2017 ein         gestellt. In einem ersten Schritt wurden zunächst die Lage-
kleines Stückchen Geschichte geschrieben, sie markiert        zentren der Länder und Rundfunkanstalten an SatWaS an-
einen Meilenstein im Bereich der „Warnung der Bevölke-        geschlossen um mit Warnmeldungen einen möglichst
rung“. Denn mit dieser Meldung der Feuerwehr Mainz            großen Teil der Bevölkerung zu erreichen.
wurde erstmals über das webbasierte, vorlagenerstellende           In den folgenden Jahren wurden Technik und Verfah-
Modulare Warnsystem des Bundes (MoWaS vS/E) eine              ren stetig weiterentwickelt, um den strategischen Anfor-
Warnmeldung ausgelöst.                                        derungen an ein modernes Warnsystem gerecht zu werden.
                                                              Die Weiterentwicklung von SatWaS hin zu einem echten
                                                              Mehrkanalsystem wurde mit dem Modularen Warnsystem
Warnung der Bevölkerung                                       (MoWaS) 2013 abgeschlossen.
                                                                   Die zentrale Forderung einer schnellen Erreichbarkeit
   Nach Ende des Kalten Krieges wurde das Sirenennetz         eines möglichst großen Bevölkerungsanteils durch Auslö-
des Zivilschutzes als Friedensdividende abgebaut bzw. den     sung aller vorhandenen Warnkanäle ohne Medienbruch
Kommunen zur Nutzung überlassen. Ein bundesweites             kann somit umgesetzt werden.
Warnsystem mit Weckeffekt stand seitdem nicht mehr zur             Die Konzeption des Modularen Warnsystems macht das
Verfügung. Ein solches System ist besonders für Gefahren-     System unempfindlich gegen Stromausfälle und Ausfälle
lagen erforderlich, die ohne Vorwarnung, aus heiterem Him-    der terrestrischen Übertragungswege, wie dies häufig in
mel, eintreffen und eine sofortige Warnung der Bevölke-       Katastrophenszenarien der Fall ist. Mit der Entwicklung
rung erfordern.                                               von MoWaS wurde das Warnsystem um einen zentralen
                                                                                        Warnserver, eine geografische Benut-
                                                                                        zeroberfläche und eine international
                                                                                        standardisierte Schnittstelle zu den
                                                                                        jeweiligen Warnkanälen ergänzt.
                                                                                            Durch den zentralen, mehrfach re-
                                                                                        dundanten Warnserver ist es möglich,
                                                                                        die Bedarfe von Ländern und unteren
                                                                                        Katastrophenschutzbehörden (in der
                                                                                        Regel Landkreise / kreisfreie Städte)
                                                                                        zu berücksichtigen. Von dort können
                                                                                        die angeschlossenen und noch anzu-
                                                                                        schließenden Medienbetreiber, Infor-
                                                                      Bild 1: Warnkette mationsdienstleister, lebens- und ver-
                                                                                        teidigungswichtigen Betriebe, Lage-
    Für die Erfassung besonderer Gefahren, die der Bevöl-     zentren und Leitstellen sowie die in den Bundesländern
kerung in einem Verteidigungsfall drohen, ist der Bund        verfügbaren Warngeräte und -anwendungen angesteuert
(§ 6 Abs. 1 Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz, ZSKG)   werden.
zuständig. Die eigentliche Warnung wird von den Bundes-            Mit einem einheitlichen Übertragungsprotokoll kann
ländern im Auftrage des Bundes vorgenommen, indem die         MoWaS alle heute vorstellbaren Geräte und Anwendungen
Strukturen genutzt werden, die die Länder für die War-        (z. B. Rauchmelder, Mobilfunkgeräte, Apps) ansteuern. Dies
nung der Bevölkerung bei Katastrophen bereithalten (§ 6       schließt bereits vorhanene, aber auch zukünftige Warnka-
Abs. 2 ZSKG).                                                 näle ein. Ermöglicht wird dies durch die Verwendung des
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                                                                                                                Radio
                                                                 Sendeanstalten
                                                                                                                 TV
                                                               Deutsche Bahn AG                        digitale Anzeigetafeln
                                                             Online-Portal-Betreiber                      Online-Medien
                                                                 App-Betreiber                            App (z. B. NINA
                                                                                                             Pager

                                                                                                                                 BEVÖLKERUNG
                                                               PAGING / POCSAG
                                                                                                      Kommerzielle Anwendungen
                                                                BOS Digitalfunk                               Sirenen

                                                                                                         Rauchwarnmelder
                                                             Langwellenfunk DCF 77                          Funkuhren
                                                                                                          Wetterstationen
                                                                                                              E-Mail
                                                               Mobilfunkanbieter
                                                                                                               SMS
                                                             Regionale Warnsysteme                           Laterne
                                                                                                              Hupe
                         Redundanz               Redundanz    neue Multiplikatoren
                                                                                                          neue Endgeräte
                                                             Warnmultiplikatoren                            Warnmittel
  MoWaS S/E                       MoWaS Warnserver
  Sende-/Empfangsstation

Bild2: MoWaS-Empfängerseite-Struktur

Common Alerting Protocol (CAP) als offenes Datenformat                     Die Notwendigkeit, von der Bundesebene über die Lan-
der Warnmeldungen. Mit einem einzigen System können                   desebene auch auf der Unteren Katastrophenebene Warn-
somit alle angeschlossenen Kanäle zur Bevölkerungswar-                meldungen auszulösen, muss in einem modernen Warn-
nung bedient werden.                                                  system berücksichtigt werden. Ein erweiterter Nutzerkreis
    Die Auslösung von Warnmeldungen erfolgt durch Mo-                 (z. B. Polizeien, Behörden) soll die Möglichkeit erhalten, das
WaS Sende- und Empfangsstationen (MoWaS S/E) in den                   Modulare Warnsystem für die Warnung der Bevölkerung
Lagezentren von Bund und Ländern sowie angeschlosse-                  zu nutzen und Informationen an die Öffentlichkeit zu ge-
nen Leitstellen der unteren Katastrophenschutzbehörden.               ben. Ergänzend muss ein solches System die Basis für eine
Diese Warnmeldungen werden an Warnmultiplikatoren                     redundante Kommunikation einer Vielzahl von Akteuren
(Behörden, Organisationen, Medienbetreiber, Internetpor-              im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutz und darüber
tale, Paging-Dienste, Handy-Apps) via Satellit und redun-             hinaus (Polizei, Betreiber Kritischer Infrastrukturen) ge-
dant über Datenverbindungen übertragen.                               währleisten.
    Über die Warnmultiplikatoren werden Endgeräte und
Endanwendungen angesteuert, die der Bevölkerung un-                    MoWaS vS/E
mittelbar zur Verfügung stehen. Dabei gibt es Warnmittel,
die einen hohen Informationsgehalt übermitteln, also In-
formationen zu dem betroffenen Gebiet, Warntexte und                   Aktueller Ausbau von
Handlungsempfehlungen (z. B. Radio, Fernsehen, Internet,               Sendestationen
Mobilfunk-App). Andere Warnmittel, wie z. B. Sirenen, sig-               MoWaS-Vollstationen (100)
nalisieren dagegen nur sich zu informieren, verfügen je-
doch über einen Weckeffekt.
                                                                       Ausbau von Sendestationen
    Hiermit wurde die Warnung der Bevölkerung für den                  im Rahmen des „ISF BLP
Zivil- und Katastrophenschutz auf eine solide Basis ge-                Warnung der Bevölkerung“
stellt.                                                                  MoWaS vS/E Stationen (250)

Mit MoWaS vS/E in die Zukunft

   Mit dem 2013 in Betrieb genommenen Modularen
                                                                      Bild3: MoWaS vSE
Warnsystem ist aber noch nicht das Ende erreicht. Es mar-
kiert eher den Beginn einer komplexen, konzeptionell und
technisch umfangreichen Weiterentwicklung um den                         Ergebnis dieser Überlegungen war die Entwicklung
heutigen Anforderungen an ein Warnsystem, in einem sich               und Einführung eines webbasierten MoWaS Sende-/Emp-
ständig ändernden sicherheitspolitischem Umfeld, gerecht              fangssystems (MoWaS vS/E). Grundlage dieser Entwick-
zu werden.                                                            lung ist das gemeinsame Bund-Länder-Projekte „Warnung
12     ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG

Bild4: Benutzeroberfläche MoWaS vS/E

der Bevölkerung“ im Rahmen des Fonds für Innere Sicher-        Software geschult. Neben dem rein technischen Aspekt
heit, kofinanziert durch die Europäische Union.                der Warnung wird ein Schwerpunkt auf die inhaltliche Er-
    Mit MoWaS vS/E wird der Kreis der Nutzer und die           stellung von Warnmeldungen gelegt und hierbei sowohl
Kommunikation zwischen den Akteuren im Zivil- und Ka-          der Disponent als Ersteller der Warnmeldung, als auch die
tastrophenschutz deutlich erweitert. Sukzessive werden zu      Bevölkerung als Empfänger einer solchen Warnmeldung,
den derzeit vorhandenen 100 MoWaS S/E-Stationen, wei-          in den Fokus gerückt.
tere 250 webbasierte MoWaS vS/E-Zugänge auf Ebene der              Mit der Entwicklung von MoWaS 2.0 im kommenden
Unteren Katastrophenschutzbehörden und weiteren Be-            Jahr ziehen die Vollsysteme nach und erhalten neben neuer
hörden (z. B. Polizeien) ausgerollt. Damit wird das Modulare   Technik und einer „Cockpit-Funktion“ zur Administrie-
Warnsystem bundesweit, flächendeckend, über alle Ebe-          rung der Systeme, auch die neue Benutzeroberfläche von
nen hinweg, zur Verfügung stehen.                              MoWaS vS/E.
    Um dieses Ziel zu erreichen waren umfangreiche An-
passungen im Bereich des Überganges von den öffentli-
chen Netzen zu dem geschützten Bereich des MoWaS not-          Fazit
wendig. Dies beinhaltet sowohl technische (Sicherheits-
soft- und -hardware) als auch administrative Maßnahmen             Mit MoWaS vS/E steht der polizeilichen und nichtpoli-
(Rechte- und Rollenvergabe für Nutzer), es musste eine         zeilichen der Gefahrenabwehr ein Mittel sowohl für die
komplett neue Struktur geschaffen werden, die in der Lage      Warnung und Information der Bevölkerung als auch für
war, mit dem bereits vorhanden, zentralen Warnserver           die geschützte Kommunikation untereinander zur Verfü-
Meldungen auszutauschen, ohne dieses in sich geschlosse-       gung.
ne Netz zu gefährden.                                              Das Modulare Warnsystem ist deutschlandweit – wenn
    Ebenso musste sichergestellt werden, dass MoWaS vS/E,      nicht sogar international – einzigartig, weil es alle födera-
trotz unterschiedlicher Technik und Benutzeroberfläche,        len Ebenen vom Bund über obere und mittlere bis zu den
auch mit den vorhandenen MoWaS S/E-Stationen fehler-           unteren KatS-Behörden auf einer einzigen Plattform ver-
frei zusammenarbeiten kann.                                    eint.
    Begleitet wurde die Entwicklung durch eine Überarbei-
tung der Benutzeroberfläche, die es durch eine einfache,
fast selbsterklärende Bedienung dem Benutzer ermöglicht,
schnell und effizient Warnmeldungen zu erstellen.              Martin Hollstein ist Projektreferent im Referat Warnung der Bevölke-
    Neben der technischen Umsetzung werden im Rahmen           rung des BBK mit Arbeitsschwerpunkt im Bund-Länder-Projekt „War-
des Konzeptes „Ausbildung der Ausbilder“ die zukünftigen       nung der Bevölkerung“ im Rahmen des „Fonds für Innere Sicherheit“
                                                               der Europäischen Union.
Bediener der MoWaS vS/E-Zugänge im Umgang mit der
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙                                      13

Das ISF Bund-Länder-Projekt
„Warnung der Bevölkerung“
Ein Überblick

Karsten Hudel

Das Bund-Länder-Projekt „Warnung der Bevölkerung“ hat            schnelle, umfassende und auch beim Ausfall Kritischer In-
zum Ziel, die Warneffektivität in Deutschland zu optimie-        frastrukturen sichere Warnung der Bevölkerung adaptiert
ren. Kofinanziert wird das Projekt zu 75 % durch den Inne-       werden. Global Navigation Satellite Systems (GNSS) sind
ren-Sicherheitsfonds (ISF) der Europäischen Union, die           zum Beispiel global verfügbar und in geringem Umfang von
restlichen 25 % tragen anteilig die Bundesländer und der         funktionierenden Infrastrukturen abhängig, mögliche neue
Bund. Das Projektteam ist im Referat „Warnung der Bevöl-
kerung“ in der Abteilung Krisenmanagement des Bundes-
amtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe an-
gesiedelt.
     Optimierung der Warneffektivität bedeutet als Auftrag
für das Projekt die Identifizierung und Unterstützung von
technischen Lösungen, um in der Fläche noch mehr Men-
schen mit Warnungen erreichen zu können. Ebenso wich-
tig ist es aber auch, die Wahrnehmung und die Akzeptanz
von Warnungen aller betroffenen Bevölkerungsgruppen zu
erhöhen. Für eine umfängliche Optimierung der Warnung
in Deutschland ist folglich ein ganzheitlicher und interdiszi-
plinärer Ansatz notwendig, technische Anwendungen kön-
nen nur im Zusammenspiel mit sozialwissenschaftlichen
und psychologischen Aspekten ihre bestmögliche Wirkung
                                                                 Das Projekt greift auch für die Warnung aktuelle relevante Entwicklung wie den
entfalten. Ebenso wichtig ist die Berücksichtigung rechtli-      Ausbau der kommunalen Sirenennetze auf.
cher und organisationaler Rahmenbedingungen für die am           (Foto: CC0 Public Domain / pixabay.com)
Warnprozess beteiligten Akteure. Eine große Stärke des
Projektes ist in diesem Zusammenhang, dass Bund und Län-         Warntechnologien kommen darüber hinaus auch Gegen-
der gemeinsam an einer Weiterentwicklung der Warnung             stände des täglichen Gebrauchs in Betracht wie zum Bei-
in Deutschland arbeiten.                                         spiel SmartHome und SmartCity. Auch werden für die War-
     Entwicklungen rund um die technische Säule des deut-        nung aktuelle relevante Entwicklung wie der Ausbau der
schen Warnsystems, das vom Bund zur Verfügung gestellte          kommunalen Sirenennetze aufgegriffen. Bei der Beurtei-
satellitengestützte Modulare Warnsystem (MoWaS), spielen         lung geeigneter Warnmittel und Warnmedien ist es darü-
bei der Umsetzung der Projektvorhaben eine zentrale Rolle.       ber hinaus wichtig, die unterschiedlichen Bedarfe der Bevöl-
So ist beispielsweise eine entscheidende technische Wei-         kerung zu berücksichtigen. Das Einbringen psychosozialer
terentwicklung mit der Version MoWaS 2.0 ab 2019 geplant         Aspekte in die Warnung geht als Querschnittsaufgabe wei-
( S. 10). Der Beginn des Live-Testbetriebes von bundes-         ter darüber hinaus und erstreckt sich auf den gesamten
weit 250 webbasierten MoWaS vorlageerstellenden Sende-           Warnprozess. Wichtige Themen dabei sind neben Warnme-
und Empfangs (vS/E) -Stationen auf der Ebene der unte-           dien und Warnmitteln unter anderem adäquate Warntexte
ren Katastrophenschutzbehörden im vierten Quartal 2017           und Handlungsempfehlungen, Mehrsprachigkeit und bar-
ist ein wichtiger Schritt, MoWaS noch mehr in die Fläche zu      rierearmes Warnen. Alle diese Vorhaben sollen während
bringen. Darüber hinaus sollen durch Bestandsaufnahmen           der Projektlaufzeit bis Ende 2020 so umgesetzt werden, dass
deutscher, europäischer und internationale Warnsysteme           sie nachhaltig über Projektende hinaus die Warnung in
sowie durch die Erstellung von Fachkonzepten weitere tech-       Deutschland verändern.
nische Möglichkeiten für eine effektive Warnung identifi-
ziert und zum Teil in Pilotanwendungen erprobt werden. In-
novativen Warnmedien und Warnmitteln kommt dabei                  Karsten Hudel ist Mitarbeiter im Referat Warnung der Bevölkerung des
                                                                  BBK und Leiter des ISF-Projektes.
eine Schlüsselrolle zu. So sollen weitere Lösungen für eine
14    ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG

„Verhalten Sie sich luftschutzmäßig“
Das vom BBK beauftragte Forschungsvorhaben „Sozialwissenschaftliche Betrachtung verschiedener
Aspekte der Warnung der Bevölkerung“ (SAWaB) evaluiert Warntexte

Nathalie Schopp, Rike Richwin, Jutta Helmerichs

Terroristen bedrohen die Bevölkerung in Deutschland mit                        nenden Behörden die Vorstellung, Verhalten durch beruhi-
konventionellen Sprengstoffen sowie mit chemischen und                         gende und beschwichtigende Botschaften steuern zu müs-
radioaktiven, sogenannten schmutzigen Bomben. Es ereig-                        sen. Folge: Den (potenziellen) Ängsten der direkt und mittel-
nen sich mehrere Unfälle, es kommt zu Anschlagsdrohun-                         bar Betroffenen wird in nicht angemessener Weise begeg-
gen und Sprengstoffanschlägen: Mit diesem fiktiven Szena-                      net, und die so oft beschworene Kommunikation auf Augen-
rio spielte 2009/2010 die länder- und ressortübergreifende                     höhe bleibt nach wie vor eine schöne Fiktion. „Der Bürger“
Krisenmanagement-Übung LÜKEX. An der Übung beteiligt                           – ein Vorstellungsmuster, das keine reale Entsprechung
waren 20 Bundesbehörden und 16 Bundesländer, viele Un-                         hat – wird nicht „als potenziell umfassend informierter und
ternehmen, Hilfsorganisationen, Polizei, Feuerwehr und die                     vor allem auch kompetenter Bündnispartner“ (Schedlich /
Bundeswehr. Während dieser LÜKEX wurde erstmals die                            Helmerichs 2009) zur Bewältigung des Ereignisses aner-
Expertise des Referates Psychosoziales Krisenmanagement                        kannt. Er stört. Die Rückmeldungen aus übenden Bundes-
des BBK sowie externer Experten aus Psychologie und Sozio-                     ländern und Unternehmen im Nachgang der LÜKEX zeig-
logie einbezogen. Ziel des BBK war es, fiktive Bevölkerungs-                   ten, dass den BBK-Partnern zu wenige aggressive und des-
reaktionen als Drehbucheinlagen in die Übungsabläufe ein-                      truktive Bevölkerungsreaktionen eingespielt worden waren.
zuspeisen, um dadurch für das Thema „Bevölkerungsverhal-                       Die Erwartungshaltung war eine andere gewesen. Das lässt
ten in Krisen und Katastrophen“ zu sensibilisieren. Denn die                   Rückschlüsse zu, und auch Praxisbeobachtungen legen nahe,
sozialwissenschaftlichen Experten des BBK waren zu einer                       dass die Prägung der behördlichen Krisenkommunikation
wesentlichen Erkenntnis gelangt, die auch für die Warnung                      in großen Lagen – und damit auch die Erscheinungsform
der Bevölkerung essenziell ist: Wir wissen zu wenig darü-                      der Warnung – maßgeblich geprägt ist von der Vorstellung
ber , wie die Bevölkerung in einem solchen Szenario wie bei                    einer tendenziell hilflosen bis destruktiven Öffentlichkeit.
der LÜKEX 2009/10 reagieren würde. Wir können nur ei-                               Mit Abschluss des Roll-outs der webbasierten MoWaS-
nige internationale Studienergebnisse übertragen.                              Zugänge ( S. 10) stehen wir nun an einem Wendepunkt:
                                                                                                         Die technische Kommunikationsbasis
                                                                                                         in der Warnung, das Modulare Warn-
                                                                                                         system, wird maßgeblich erweitert.
                                                                                                         Nahezu alle deutschen Katstrophen-
                                                                                                         schutzbehörden werden im Laufe des
                                                                                                         Jahres 2018 an das Modulare Warnsys-
                                                                                                         tem angeschlossen. Das bedeutet, dass
                                                                                                         amtliche Gefahreninformationen und
                                                                                                         Warnungen flächendeckend teilweise
                                                                                                         unmittelbar, d. h. ohne den Filter von
                                                                                                         Presse und Medien, an die Bevölkerung
                                                                                                         herausgegeben werden können, z. B.
                                                                                                         über Warn-Apps wie NINA.
                                                                                                             Das hat viele Vorteile. MoWaS ist
                                                                                                         eine Plattform, die nicht nur flächen-
                                                                                                         deckendes schnelles Warnen tech-
                                                                                                         nisch möglich macht, sondern auch
                      Wahrnehmen, Deuten, Bewerten, Entscheiden und Handeln nehmen bei der Reaktion
                           auf eine Warnung mehr Zeit in Anspruch als ihre rein technische Übermittlung.
                                                                                                         im Alltag eine immense Arbeitser-
                                                                             (Quelle: Dombrowsky 2009)   leichterung sein kann, wenn es z. B. um
                                                                                                         die schnelle Information von Presse
    Dieses Nichtwissen wird „unkontrolliert ersetzt“, wie der und Medien geht. Und mit den angeschlossenen Warn-Apps
Katastrophensoziologe Wolf Dombrowsky 2009 in einem                            verschaffen sich die Behörden Gehör im unablässigen
wissenschaftlichen Gutachten schrieb. Heißt: Die üblichen                      Grundrauschen der Social-Media-Kanäle.
Vorstellungen von Panik, Plünderungen, Hysterie und Flucht                          Es hat aber auch Nachteile. Die Existenz eines Systems
füllen das Vakuum fehlender Empirie und formen in war-                         evoziert Erwartungshaltungen, und mit dem direkten Kanal
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