Bevölkerungsschutz - 1 | 2018 - Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
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BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, Warnung im Jahr 2018 – ist das „Schnee von gestern“ zunehmende Extremwetterereignisse, Großbrände oder oder erleben wir gerade eine Art Renaissance des Themas? Entschärfungen von Blindgängern aus dem Zweiten Welt- Wir erinnern uns: Mit dem Ende des Kalten Krieges wur- krieg allein im Jahr 2017 zu Hunderten von Warnmeldun- den die umfangreichen Warnstrukturen des Bundes mit gen, die über MoWaS gesteuert wurden, zunehmend auch zehn Warnämtern und einem flächendeckenden Sirenen- medial begleitet. netz abgeschafft. Als kleinste Zelle überlebte seither die ge- Bund und Länder arbeiten intensiv daran, MoWaS ge- setzlich nach wie vor verankerte Aufgabe „Warnung der meinsam weiterzuentwickeln: Warnkonzepte werden abge- Bevölkerung“ zunächst im BZS, dann im BVA und schließ- stimmt, neue Warnmultiplikatoren erschlossen und beste- lich als Referat im BBK, mit den angebundenen Zivilschutz- hende technisch weiterentwickelt. Besonders wichtig ist es dabei, das Thema Warnung aus der Sicht der Menschen in diesem Land als Adressaten unserer Botschaften zu betrach- ten. Es gilt dabei nicht nur zu ermitteln, wie wir sie tech- nisch – am besten auch noch nachts bei Stromausfall im Tiefschlaf in einem schallisolierten Schlafzimmer – errei- chen können. Wir müssen zudem sicherstellen, dass wir die Menschen mit autorisierten Warnmeldungen auch in- haltlich erreichen, und mittels zielführender Verhaltens- empfehlungen dazu befähigen, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Psychosoziale Aspekte der Warnung bis hin zu der Frage, wieviel ist zu viel bzw. zu wenig an Warnung und Information, rücken eine heterogene Bevölkerung mit ver- schiedenen Bedürfnissen in den Mittelpunkt. Warnung ist dabei auch ein Beispiel für eine gesamt- Dr. Miriam Haritz ist Leiterin der Abteilung I „Krisenmanagement“ im Bundesamt für staatliche Aufgabe verschiedener Ebenen, bei der es gelingt, Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. gemeinsame Ziele zu identifizieren und Prozesse konkret voranzubringen, losgelöst von abstrakten föderalen Zustän- verbindungsstellen an wechselnden Orten in Deutschland. digkeitsdebatten. Erst ab 2001 wurde hierbei die Technik zukunftsorientiert Die Menschen in diesem Land dürfen darauf vertrauen, wiederaufgebaut: SatWaS wurde entwickelt und ab 2011 dass hier wie auch in anderen Bereichen des operativen zu MoWaS ausgebaut, ohne dass das System sich größerer Krisenmanagements – sei es im Lagemanagement in Zu- medialer Aufmerksamkeit ausgesetzt sah. Umfangreich sammenarbeit mit dem GMLZ, im psychosozialen Krisen- modernisiert, wirkte dieses satellitengestützte System still management, bei der Fernerkundung oder Krisenmanage- und zuverlässig im Hintergrund, als Vorbereitung auf das mentübungen wie LÜKEX – alle Akteure in Bund und Län- Worst-Case-Szenario eines ballistischen Angriffs. 2015 ent- dern zu ihrem Schutz an einem Strang ziehen. wickelte der Bund die Warnapp NINA als einen von vielen Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Sie anzusteuernden Warnmultiplikatoren (neben Rundfunk vielfach zum Kreis ebendieser Akteure gehören, in diesem und TV, Internetportalen, Pagern etc.) und stellte diese für Sinne eine interessante Lektüre zu diesem hochaktuellen, Android- und iOS-Endgeräte zur Verfügung – mit seitdem „wiedergeborenen“ Thema. stetig wachsenden Nutzerzahlen im Millionenbereich. Verschiedene Schadenslagen mit Bezug zum Bevölke- Bonn, im Januar 2018 rungsschutz haben dabei gerade in der letzten Zeit deutlich gemacht, dass es erforderlich ist, die Bevölkerung nicht nur vor den besonderen Gefahren eines Verteidigungsfalles zu warnen, sondern sie rechtzeitig auch auf andere Gefahren hinzuweisen und ihnen Selbstschutzmaßnahmen zu ermög- lichen – eine Aufgabe, die nur gelingen kann, wenn die Dr. Miriam Haritz fachlichen und politischen Verantwortungsträger in Bund und Ländern zusammenwirken. So führten beispielsweise
INHALT ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ 1 35 31 10 13 30 GRUSSWORT AUSBILDUNG Grußwort des Präsidenten des Bundesamtes Sicherheit studieren für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe 2 Aktuelle Entwicklungen, Chancen und Perspektiven 37 WARNUNG Warnung im Wandel 3 Die Warn-App NINA Bisherige Erfahrungen und aktuelle Entwicklungen 6 FORUM MoWaS vS/E Arbeiter-Samariter-Bund 41 Das Modulare Warnsystem geht in die Fläche 10 Bundesanstalt Technisches Hilfswerk 42 Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft 45 Das ISF Bund-Länder-Projekt Deutscher Feuerwehrverband 47 „Warnung der Bevölkerung“ Deutsches Rotes Kreuz 49 Ein Überblick 13 Johanniter-Unfall-Hilfe 50 Malteser Hilfsdienst 52 „Verhalten Sie sich luftschutzmäßig“ Verband der Arbeitsgemeinschaften der Helfer Das Forschungsvorhaben „Sozialwissenschaftliche Betrachtung verschiedener Aspekte der Warnung in den Regieeinheiten /-einrichtungen des der Bevölkerung“ (SAWaB) 14 Katastrophenschutzes in der Bundesrepublik Deutschland e. V. 54 EWF Emergency Warning Functionality: Flächendeckende Bevölkerungswarnung in Echtzeit über Digitalradio DAB+ 17 „Mit Fernerkundung vor die Lage kommen“ Was nach Zukunftsmusik klingt, soll bei Copernicus Realität werden 23 RUBRIKEN Nachrichten 56 Das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum Impressum 56 von Bund und Ländern (GMLZ) 27 „Einheit in Vielfalt“ Startschuss für die gemeinsame Erarbeitung einer Muster-Dienstvorschrift zum Einsatz von Drohnen im Bevölkerungsschutz 31 SERIE Einflüsse der Konzeption Zivile Verteidigung auf die Warnung des Bundes 33 Kulturgutschutz in Deutschland 57
2 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ GRUSSWORT Liebe Leserinnen und Leser, „2017 war das bislang teuerste Jahr für Versicherungen – den „Blackout“. Die Bewältigung von Terrorlagen ist nicht Hurrikans und Naturkatastrophen haben die Versiche- nur Aufgabe von Verfassungsschutz und Polizei, sondern, rungsbranche weltweit rund 135 Milliarden Dollar gekos- wie der Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin gezeigt hat, tet“ titelte ein großes Nachrichtenmagazin unter Hinweis auch eine solche für Rettungsdienst und das Betreuungs- auf Berechnungen der Münchener-Rückversicherung zu Be- wesen. Einer militärischen Bedrohung kann nicht allein mit ginn des Jahres. Diese Nachricht ist allein betrachtet schon militärischen Mitteln von Bundeswehr und NATO entge- bedenklich, fast noch beunruhigender scheint aber die von gengetreten werden, im Rahmen der Gesamtverteidigung der Versicherung gezogene Schlussfolgerung zu sein: Das bedarf es neben der militärischen Säule auch der Maßnah- sei eine „neue Normalität“! men von Zivilverteidigung und Zivilschutz. Die oben zitierte Meldung der Münchener Rückversi- cherung enthielt aber auch eine positive Botschaft: Die An- zahl der von derartigen Katastrophen getöteten Menschen hat in den letzten Jahrzehnten stetig abgenommen. Wesent- liche Ursache dabei sei die verbesserte Prävention. Hieran müssen wir ansetzen: Wenn wir uns darauf einstellen müs- sen, dass es auch in Deutschland häufiger und unerwartet zu Extremniederschlägen kommen kann, die aus kleinen Bächen reißende Ströme machen, müssen unsere Warn- meldungen an die Bevölkerung schneller und besser wer- den, müssen sich aber auch die potenziell betroffenen Menschen selbst besser auf solche Gefahrenlagen vorberei- ten. Die staatlichen und kommunalen Behörden, die Feu- erwehren und die Hilfsorganisationen müssen durch Aus- bildung, Übungen, Veränderungen der Organisation und verbesserte Ausrüstung auf die wachsenden Herausforde- rungen vorbereitet werden. Dies wird nicht zuletzt auch Geld kosten. So werden alle Verwaltungsebenen große Kraft- anstrengungen insbesondere im personellen Bereich unter- nehmen müssen, um die vom Bundeskabinett beschlosse- nen Maßnahmen in der „Konzeption Zivile Verteidigung“ umzusetzen. Derzeit werden in Berlin die Weichen für eine neue Re- gierung gestellt. Spannend ist die Frage, ob sich die ge- wachsene Bedeutung des Bevölkerungsschutzes auch im Koalitionsvertrag wiederspiegelt. Es gibt Hinweise, dass es tatsächlich gelingen kann, die notwendigen strukturellen Anpassungen des Systems in der nächsten Wahlperiode anzugehen und gleichzeitig auch die zur Verfügung stehen- den Ressourcen zu vergrößern. Die anstehenden Heraus- forderungen erfordern eine stabile politische Grundlage, um den Schutz der Bevölkerung dauerhaft zu gewährleisten. Auch aus Sicht des Bundesamtes für Bevölkerungs- schutz und Katastrophenhilfe (BBK) wachsen die Heraus- forderungen an Staat, Wirtschaft und Bevölkerung durch neue – ggf. aber auch durch alte, wieder gewachsene – Risi- ken. Wie die Münchener Rückversicherung gehen wir da- von aus, dass sich der Klimawandel in Gestalt einer Zunah- me von Extremwetterereignissen auch bei uns bemerkbar Christoph Unger macht. Darauf muss sich der Bevölkerungsschutz einstel- Präsident des Bundesamtes len. Die Zunahme technischer Verflechtungen, die Abhän- für Bevölkerungsschutz gigkeit von der Strom- und IT-Versorgung als die Lebens- und Katastrophenhilfe elixiere unsere Gesellschaft erfordern angesichts der Bedro- hungen aus dem Cyber-Raum auch Vorbereitungen auf deren – wenn auch wenig wahrscheinlichen – Ausfall, etwa
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ 3 Warnung im Wandel Willi Streitz Die in den Zivil- und Katastrophenschutz vulgo Bevölke- fähige Hilfeleistungssystem verstanden wird, das sowohl in rungsschutz (vgl. Abbildung 1) eingebettete Warnung der Friedenszeiten (Katastrophenschutz) als auch in Kriegszeiten Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland befindet (Zivilschutz) tauglich ist und dessen operative Basis der Brand- sich zwar in einem beständigen Prozess der strategischen schutz, der Rettungsdienst und die alltägliche technische Hil- und operativen Anpassung, ihr Anteil am Bevölkerungs- feleistung ist, hat nicht nur der Beginn strukturierter öffent- schutz scheint aber angesichts der Gesamtschau in Abbil- licher bzw. staatlicher Aktivitäten auf diesen Gebieten sehr dung 1 nahezu unbedeutend. Nun ist der deutsche Bevölke- unterschiedliche Ursachen, Motive und Zeitpunkte (Karutz et rungsschutz […] über viele Jahrzehnte aus verschiedenen Be- al. 2017, S. 9), sondern die Strukturierungen dauern unter reichen der kommunalen und individuellen Hilfeleistung her- sich verändernden Bedingungen an. Diese Bedingungen ausgewachsen und hat seine staatlichen Strukturen nicht zu- sind gewissermaßen „Kritische Suprastruktur“1, die das letzt durch die „heißen“ und „kalten“ Kriege im 20. Jahrhundert Ausmaß bestimmt, in dem Sorge für die Bevölkerung, Vor- erhalten* (Karutz et al. 2017, S. 9). Heute werden‚ unter dem sorge vor Gefahr und damit auch die Vorbereitung auf die recht allgemein gehaltenen Begriff „Bevölkerungsschutz“ […], Warnung der Bevölkerung stattfinden muss. „alle Aufgaben und Maßnahmen (darunter auch die War- nung) der Kommunen und der Länder im Katastrophen- * Im Interesse eines zügigen Leseflusses wurden Zitate kursiv gesetzt. schutz sowie des Bundes im Zivilschutz“ (BBK 2011, S. 7 in 1 Es gibt nicht nur einen „Kritischen Unterbau“, sondern auch einen Karutz et al. 2017, S. 9) subsummiert. Da unter Bevölke- „Kritischen Überbau“. Diese Erkenntnis ist beileibe nicht neu. Genau dies formulierten Clausen und Dombrowsky (1984, S. 293) bereits, rungsschutz auch das sogenannte integrierte, zum Aufwuchs wenn auch mit anderen Worten. Abbildung 1: Didaktische Landkarte des Bevölkerungsschutzes (Karutz et al. 2017:8)
4 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG Warnung ist maßgeblich geprägt durch Prozesse der Kommunikation in den gesellschaftlichen Subsystemen. (Grafik: CC0 Public Domain / pixabay.com) Ein Beitrag von Clausen und Dombrowsky analysierte systemen. Dies betrifft nicht nur die sozialen Prozesse der 19842 Warnung als einen scheinbar abseitigen, jedoch zu- öffentlichen Diskussion auf ökonomischem, politischem, nehmend wichtigen Aspekt sozialen (und auch politischen) sozialem oder kulturellem Gebiet, sondern in besonderem Handelns und er beschäftigt sich mit den Dilemmata der Maße die ebenfalls sozialen Prozesse, welche die wissen- Prognose, da Warnung mehr als die klassisch-naturwissen- schaftlichen Konstruktionen von Vergangenheit, Gegen- schaftliche Prognose umfasst, nämlich – bei Erfolg – eine sich wart und Zukunft der Warnung mit Hoffnung und Furcht selbst annihilierende3 Voraussage. Die praktischen Probleme begleiteten und häufig entscheidend mit bestimmen. der Warnung werden umrissen: zunehmende gesellschaft- Es geht bei der Kommunikation mit der Bevölkerung liche Risiken bei zugleich interessenbeeinflusstem Warn- vor (Warnung) und während (Krisenkommunikation) einer wesen, die zusammengenommen dazu tendieren, Überlebens- Gefahrenlage aber nicht bzw. jedenfalls nicht ausschließ- chancen zu verringern (Clausen und Dombrowsky 1984, S. lich um die euphemistisch klein geschwätzten „letzten Me- 293, dazu auch Fußnote 1). Die Aussage beschreibt immer ter“, die eine technisch aufwändig übertragene Warnung noch zutreffend die Rahmenbedingungen für die Warnung bis zu ihren Adressaten benötigt, sondern um die Berück- der Bevölkerung in Deutschland, obwohl sie lange vor En- sichtigung von mehrfach gestaffelten sozialen Kommuni- de des Kalten Krieges gemacht wurde, als die Bundesregie- kationsprozessen. Der Anfang einer Bedrohung muss wahr- rung die Sicherheitslage Anfang der 90er Jahre als so stabil genommen, identifiziert, bewertet und überprüft werden. beurteilte, dass sie sich entschloss, umfangreiche Ressourcen Die Ergebnisse technischer Detektionssysteme bedürfen und Fähigkeiten im Zivilschutzbereich abzubauen. 1993 wurde der sachkundigen Einschätzung. Danach erst erfolgt die das bisherige Zivilschutz-Sirenennetz mit ca. 80 000 Stand- weitgehend institutionell regulierte und durch Meldemit- orten den Gemeinden kostenlos zur Übernahme angeboten. tel technisch vermittelte Weitergabe (Distribution6). Am Im Ergebnis wurden ca. 40 000 Sirenen durch den Bund ab- Ende der Weitergabe erfolgt die Auslösung einer Informa- gebaut. Auch die Auslöseinfrastruktur (Warnämter, Sirenen- tion, die selbst wieder wahrgenommen, gedeutet, richtig steuernetz) wurde aufgelöst4. Letztendlich wurde im Januar verstanden, verifiziert und sodann in Handeln umgesetzt 2001 auch das zuständige Bundesamt für Zivilschutz (BZS) werden muss, damit schließlich ein angemessenes aufgelöst und als Zentralstelle für Zivilschutz (ZfZ) in das Schutzhandeln und damit ein Überstehen der Gefahr er- Bundesverwaltungsamt (BVA) eingegliedert (https://www. reicht werden kann. In Frage steht damit nicht in erster bbk.bund.de/DE/AufgabenundAusstattung/Krisenmana- Linie die Warntechnik7, sondern wie Informationen ge- gement/WarnungderBevoelkerung/warnungderbevoelke- rung_node.html). Bis zu Gründung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) vergingen 2 Übrigens zugleich der Titel des bereits 1949 erschienenen zukunftspes- über 3 Jahre. Damit gibt es zwar wieder ein zentrales Orga- simistischen Romans von George Orwell in dem ein totalitärer Über- wachungsstaat dargestellt wird. nisationselement für die Zivile Sicherheit (https://www.bbk. 3 für nichtig erklärende bund.de/DE/DasBBK/Geschichte/geschichte_node.html), 4 Heute bemüht man sich um die Ansteuerung von Sirenen mit dem doch schon der Begriff Sicherheit in dieser Formulierung Modularen Warnsystem (MoWaS) über die Leitstellen. verweist auf eine Schwerpunktverschiebung vom Schutzge- 5 Das BBK besteht aus 4 Fachabteilungen und der Abteilung Zentrale Dienste (Z). danken zu Sicherheitsaspekten hin. Die Warnung ist eines 6 Im Modularen Warnsystem (MoWaS) durch ‚Multiplikatoren‘. Die (Referat I.2) von 5 Referaten in der Abteilung I Krisenmana- ebenfalls verwendete englische Übersetzung ‚Multiplier‘ macht deut- gement5 und somit eine überschaubarer Teil des Zivilschut- lich, wie unglücklich der Begriff gewählt ist, denn im englischen wird zes mit überschaubaren Ressourcen. Dies macht schlagend die Verbreitung (von Warnung) als Dissemination bezeichnet. Zur Ver- wendung von Begriffen im Bevölkerungsschutz empfiehlt sich das deutlich: Warnung war, ist und bleibt maßgeblich geprägt Kapitel 2 in Karutz et al. 2017, S. 29-65. durch Prozesse der unter vielfältigen Unwägbarkeiten ab- 7 Bzw. ein technisches Warn(sub)system, das selbst Kritische Infrastruk- laufenden Kommunikation in den gesellschaftlichen Sub- tur ist.
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ 5 staltet werden müssen, damit im Falle der Gefahr selbst Literaturverzeichnis eingelebte Wahrnehmungsmuster durchbrochen und rele- BBK – Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hrsg) (2011) BBK-Glossar. Ausgewählte zentrale Begriffe des vante Inhalte erkannt und ernst genommen werden kön- Bevölkerungsschutzes. BBK, Bonn nen. Dazu bedarf es in erster Linie Erkenntnisse darüber, Clausen, Lars; Dombrowsky, Wolf R. (1984): Warnpraxis und Warnlo- welche Informationen die Bevölkerung bei einer Gefahr gik. In: Zeitschrift für Soziologie : ZfS 13 (4), S. 293–307. selbst für relevant hält und unter welchen Bedingungen Karutz, Harald; Geier, Wolfram; Mitschke, Thomas (Hg.) (2017): Be- sie in der Lage ist, sich aus ihren tagtäglichen Rezeptionsge- völkerungsschutz. Notfallvorsorge und Krisenmanagement in wohnheiten zu lösen, um ohne Verzug angemessen ent- Theorie und Praxis. Berlin, Heidelberg, s.l.: Springer Berlin Hei- delberg. Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3- scheiden und handeln zu können. Dies erfordert nicht nur 662-44635-5. Wissen über Informationsbedürfnisse und Informations- https://www.bbk.bund.de angebote allgemein, sondern auch spezielle Kenntnisse über menschliche Informationsverarbeitung unter Knapp- heitsbedingungen (unvollständige Information, Zeitdruck ten. Katastrophenfälle sind auch eher selten, denn der Ka- und emotionale Belastung). Ein guter Anfang wären aber tastrophenalarm wird von den Bundesländern eher ge- auch schon Grundkenntnisse der Sozialstruktur, des Be- mieden. Die technische Warninfrastruktur des Bundes wird völkerungsaufbaus etc., damit man weiß, mit wem man dementsprechend überwiegend für nicht-polizeiliche und kommuniziert. Die Gewichtungen sind aber auch in neue- polizeiliche Gefahrenabwehr genutzt und generiert so ge- ren Darstellungen (siehe S. 11) des Modularen Warnsys- wissermaßen wenigstens einen Trainingseffekt, der im Ernst- tems (MoWaS) ganz eindeutig andere. Die Bevölkerung, der fall hoffentlich hilft. Hauptakteur und Adressat allen Bemühens ist eher rand- „Warnungen [...] sollen alarmieren, sollen in die Lage ver- ständig und vollkommen undifferenziert fast schon außer- setzen, herannahenden (Kriegs-)Gefahren gewappnet begeg- halb des Systems dargestellt. nen zu können. Im Prinzip findet sich die Bewappnung vor Hinzu kommt: Ein so scheinbar abseitiger, jedoch zu- Gefahr weit vor aller Kriegsführung, doch hat erst sie den auf- nehmend wichtiger Aspekt (s. o.) wie die Warnung der Bürge- schreckenden Warnlaut zu einem spezialisierten Können, zu rinnen und Bürger vor Gefahren wird aber in Deutschland einem eigenständigen Warnwesen, einer Warnsemantik und eigentlich auf allen gebietskörperschaftlichen Stufen als -technik8 vorangetrieben, ohne die ein rechtzeitiger Einsatz9 gewährleistet angesehen, u. a. weil wir dieses einzigartige von Abwehrmaßnahmen weder im militärischen noch im zi- Warnsystem haben, das der Bund den Ländern, Kreisen vilen Bereich zu erreichen wäre“ (Clausen und Dombrowsky und Kommunen für die Warnung zur Verfügung stellt. Es 1984, S. 293). Genau deshalb ist die Warnung keineswegs so ist konsequenter Ausdruck der Vorstellung, dass nichts so unbedeutend, wie sie in Abbildung 1 erscheint, denn sie ist schlimm kommen kann, dass es durch Technik nicht in allem anderen vorgelagert. Wenn sie allerdings als rein den Griff zu bekommen wäre und man danach nicht zur technizistisches Geschäft betrieben würde, käme sie selbst Tagesordnung zurückkehren könne. Die gleiche Vorstel- in die Gefahr, Schutzlücken entstehen zu lassen. lung findet sich in gern verwendeten Prozess-, Kreislauf- Demgemäß verfolgt das Referat I.2 „Warnung der Be- oder Kettenabbildungen, die suggerieren, nach der Krise völkerung“ des BBK eine strategische Positionierung, die sei es wieder wie vor der Krise und man könne immer wie- den Erfordernissen sich verändernder Rahmenbedingun- der wie beim letzten Mal verfahren. Dies ignoriert voll- gen in allen Aufgaben- und Einsatzfeldern in allen Subsys- ständig den beständigen Wandel unserer Welt und schützt temen10 der Warnung Rechnung trägt und die es erlaubt, die Schützer vor dem unangenehmen Umgang mit Unsi- auch zukünftig dynamisch und flexibel Veränderungen an- cherheit im Hinblick auf die Gefahren der Zukunft. Der Auf- gemessen bis hinunter auf alle operativen Ebenen zu be- wand, diese Unsicherheit durch sicheres Auftreten zu ver- rücksichtigen. Dies bedeutete Warnung umfassend als dy- bergen, ist durchaus erheblich und dementsprechend teuer, namisches soziotechnisches System zu konzipieren und denn der Rechtfertigungsdruck steigt regelmäßig, wenn fortzuentwickeln. nichts passiert. Der Zivilschutzfall ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland nicht mehr eingetre- 8 Wie dominant die Technik, insbesondere die Digital-, Informations- und Satellitenkommunikationstechnik werden würde, ahnten Clausen und Dombrowski wohl noch nicht. Heute stehen wir kurz davor von „Alexa, Cortana oder Siri“ Warntexte und Handlungsempfehlungen vorgelesen zu bekommen. 9 Warnung ist ein zeitkritischer Vorgang. Die den temporalen Formen von Gefahren angemessenen temporalen Formen der Warnung wer- den aber eher selten in den Blick genommen. Die Grafische Einord- nung verschiedener Naturgefahren entlang der Kriterien Vorwarnzeit, Prozessgeschwindigkeit und Dauer in Karutz et al.( 2017, S. 59) ist da- her umso bemerkenswerter. Sie wäre um technogene Gefahren und Dr. Willi Streitz ist Soziologe, Katastrophenforscher und Berater des systemische Gefahren zu ergänzen. ISF-BLP Warnung der Bevölkerung. 10 Politische, ökonomisches, kulturelles und soziales Subsystem um die (ISF = Innerer Sicherheitsfond; BLP = Bund-Länder-Projekt) wichtigsten zu nennen.
6 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG Die Warn-App NINA Bisherige Erfahrungen und aktuelle Entwicklungen Christoph Groneberg, Michael Judex, Jakob Rehbach und Gerrit Möws Bürgerinnen und Bürger vor einer drohenden Gefahr zu men NINA (Notfallinformations- und Nachrichten-App) warnen, ist eine der zentralen Aufgaben des Staates. Dies gilt im Zuge eines großen öffentlichen Wettbewerbes erhalten für alle Arten von Gefahren, einschließlich des Spannungs- hat – wurden folgende Funktionen implementiert (s. auch und Verteidigungsfalles. Der Bund betreibt hierfür das satel- Abb. 1): litengestützte Modulare Warnsystem (MoWaS), an das zahl- reiche unterschiedliche Warnkanäle wie Radio- und Fern- Warnmeldungen Empfang aller Warnmeldungen aus MoWaS per Push-Benachrichtigung und Darstellung in einer sehstationen, Internetportale, Paging-Dienste oder auch Liste und einer Karte. Ergänzt durch Verkehrsbetriebe angeschlossen sind. Ein wichtiges Ziel der Wetterwarnungen des DWD und Flusspegel der Wasser- und Schifffahrtverwaltung. Warnung der Bevölkerung ist u. a. möglichst viele potenziell Notfalltipps Handlungsempfehlungen und Tipps zur betroffene Menschen zu erreichen. Durch den großflächi- Vorbereitung auf Notlagen gen Abbau der Sirenen nach Ende des Kalten Krieges ging Notfallkontakte Schnelles Versenden von Informationen im jedoch der sogenannte Weckeffekt teilweise verloren, da Krisenfall an vordefinierte Kontakte sich beispielsweise Fernsehgeräte bei Vorliegen einer Warn- Informationen Bilder und Hintergrundinformationen zur meldung nicht selbständig einschalten. Durch die zuneh- über das BBK Arbeit des BBK mend flächenhafte Nutzung von mobilen Internetzugängen Tabelle 1: Funktionen der Warn-App NINA 1.0. z. B. über Smartphones stellte sich die Frage, wie dieser Kommunikationskanal in Kombination mit dem Modularen Diese erste Version wurde im Rahmen der Messe Inter- Warnsystem effektiv zur Warnung der Bevölkerung ge- schutz in Hannover am 08.06.2015 der Öffentlichkeit präsen- nutzt werden könnte. Insbesondere die Fähigkeit der ver- tiert und durch Staatssekretär Ole Schröder freigeschaltet. wendeten Betriebssysteme, Nachrichten aktiv an mobile Endgeräte zuzustellen (sog. Push-Benachrichtigung), bietet hier einen einzigartigen Vorteil und kann den Weckeffekt – Das Modulare Warnsystem (MoWaS) und die Warn-App NINA zumindest bei eingeschaltetem Gerät und aktiver Internet- verbindung – wieder herstellen. Mit dem Anschluss der Warn-App NINA an das satelli- tengestützte modulare Warnsystem können Bund, Länder und Kommunen Warnmeldungen direkt an Smartphone- Erste Gehversuche – Version 1.0 Nutzer weitergeben. Eine MoWaS-Warnmeldung wird mittels einer speziel- Bereits Ende des Jahres 2012 gab es erste Überlegungen len Sendestation z. B. von einer Feuerwehrleitstelle oder zur Gestaltung einer App durch das BBK, zunächst mit dem einem Lagezentrum erstellt. Diese Sendestation versendet Ziel, die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesamtes für Bevölke- ihre Nachricht über eine hochstabile Satellitenverbindung rungsschutz und Katastrophenhilfe zu fördern. Bei der Aus- an die NINA-Rechenzentren. Dort wird die Warnmeldung arbeitung der Funktionen und Mehrwerte wurde jedoch weiter verarbeitet und anschließend über eine Mobilfunk schnell deutlich, dass eine reine Informations-App nur für anbindung als Push-Nachricht an die Empfänger gesendet einen eingeschränkten Nutzerkreis von Interesse wäre. Zu- (s. Abb. 2). dem strebte man ja einen Warnkanal mit Weckeffekt an. Da- Ähnlich verhält es sich auch mit den Warnmeldungen her wurden die Pläne für die BBK-App dahingehend ange- des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und Informationen passt, dass die Übermittlung von Warnmeldungen aus dem des Länderübergreifenden Hochwasserportals (LHP). Über Modularen Warnsystem zu einer Kernfunktion der neuen standardisierte Schnittstellen senden auch diese ihre App wurde – die Warn-App NINA war geboren. Um mit ge- Nachrichten an die NINA-Rechenzentren. ringem Aufwand eine möglichst große Vielfalt an Endge- Beim Aufbau des Systems wurden strengste Daten- räten und Betriebssystemen zu unterstützen, wurde die App schutzbestimmungen beachtet. Die Nutzer können sowohl als „Hybrid-App“ angelegt und geplant. Hybrid bedeutet, Orte für den Erhalt von Warnmeldungen auswählen als dass die App einmal entwickelt wird und dann sowohl auf auch standortbezogen gewarnt werden. Doch werden zu verschiedenen Geräten / Betriebssystemen wie Android und keinem Zeitpunkt Standortdaten an die Infrastruktur des iOS als auch als herkömmliche Webseite im Browser nutz- BBK übermittelt. Die App wurde bewusst so konzipiert, dass bar ist. Für die erste Version der Warn-App – die ihren Na- die Standortprüfung nur auf dem Gerät erfolgt.
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ 7 Abb. 1: Screenshots der Warn-App NINA 1.0. Um Nutzern bei Fragen oder Problemen weiterhelfen zu tige starke Verbreitung von Messenger-Apps und „Sicher- können, wurde das NINA-Helpdesk eingerichtet. Hier neh- heitschecks“ in sozialen Netzwerken wie Facebook diesen men Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BBK über E-Mail, Bedarf besser bedienten. Telefon und die App-Stores Anfragen und Anregungen entgegen. Jede Anfrage wird in der Regel innerhalb eines Arbeitstages individuell beantwortet. NINA 1.0 – Lessons Learned Mit Veröffentlichung von Version 1.0 der Warn-App NINA wurde das wesentliche Ziel – einen Warnkanal mit Weck- effekt herzustellen – erreicht. Kurze Innovationszyklen bei Endgeräten und den Betriebssystemen Android und iOS bedingten in den Folgemonaten mehrere Updates der App, um eine reibungslose Funktion für möglichst alle Nutze- rinnen und Nutzer zu gewährleisten. Über den NINA-Helpdesk erhielt das BBK zudem schon innerhalb der ersten Monate nach Freischaltung zahlrei- Abbildung 2: Übermittlung von Warnmeldungen an NINA. che Nutzer-Rückmeldungen. Diese wurden ausgewertet, um die Anforderungen für die Entwicklung von zukünftigen Trotz einiger Updates wurde beim Betrieb der Warn-App Versionen zu definieren. Die gesammelten Erkenntnisse las- NINA in der ersten Version offenbar, dass die technische sen sich im Wesentlichen drei Themenbereichen zuord- Basis einer hybriden App zwar Vorteile in der Entwicklung nen: 1. Funktionsumfang, 2. Leistungsfähigkeit und 3. Sta- bot, gleichzeitig jedoch nicht optimal für die Leistungsfä- bilität der App auf unterschiedlichen Endgeräten. higkeit der App war. Zudem sorgte diese Form der Umset- Beim Funktionsumfang war schnell erkennbar, dass der zung auch für diverse Fehlerbilder, sodass eine Umstellung Kernzweck der Warnung auch in der Wahrnehmung der auf eine sogenannte „native App“ Besserung versprach. Na- Nutzer klar im Mittelpunkt stand. Hier wünschten sich die tive Apps werden für jedes Betriebssystem einzeln entwi- Nutzer insbesondere, nicht nur Warnungen aus dem Modu- ckelt und bieten damit mehr Funktionsumfang und Leis- laren Warnsystem, sondern auch jene des Deutschen Wet- tungsfähigkeit. Hinzu kommt, dass hybride Apps zur Ent- terdienstes als Push-Nachrichten empfangen zu können wicklung von NINA 1.x Ende 2014 noch weit verbreitet wa- und Warnungen besser auf ihre eigenen Bedarfe einstellen ren, während das Jahr 2015 erkennen ließ, dass zahlreiche zu können. Von den mobil aufbereiteten Inhalten stießen Apps auf eine native Entwicklung umschwenkten. die Notfalltipps auf Interesse. Die gesonderte Aufbereitung Gesammelt ergaben sich damit folgende Ziele für die zu Historie und Medieninhalten des BBK wurde hingegen Entwicklung von NINA 2.0: wenig genutzt und ließ keinen deutlichen Mehrwert zur mo- bilen Nutzung der BBK-Homepage erkennen. Die Funktion • Umstellung auf native Entwicklung für iOS und Android, der Notfallkontakte wurde nur von wenigen Nutzern ein- • Reduktion des Funktionsumfangs und Stärkung der gesetzt. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die gleichzei- Warnfunktion,
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ 9 Abbildung 3: Screenshots der Warn-App NINA 2.0. • Push-Nachrichten für alle Warnungen, zeit an der Version 3.0 gearbeitet. Die neue Version soll ne- • Möglichkeit, Warnungen für selektiv wählbare Orte zu ben kleineren Fehlerbehebungen vor allem mit einer opti- aktivieren, mierten Nutzeroberfläche und einer höheren Genauigkeit • Bessere Aufbereitung der Notfalltipps. der Warnmeldungen ausgestattet sein. Zudem arbeitet das von der Europäischen Union, den Ländern und dem Bund finanzierten Projekt „Warnung der Bevölkerung“ ( S. 13) NINA 2.0 –mehr Leistungsfähigkeit daran, die Warn-App NINA für Mehrsprachigkeit anzupas- sen und die Barrierearmut weiter zu verbessern. Mit Version 2.0 wurde NINA grundlegend überarbeitet. Im Zuge dieses Projektes hat darüber hinaus der Roll- Beim ersten Start der App erwarten die Nutzer ein geführter Out von 250 sog. „MoWaS vS/E-Stationen“ begonnen ( S. 10). Einrichtungsdialog und eine neu gestaltete Oberfläche, Diese webbasierten und dadurch kostengünstigeren Sende- welche die Einrichtung der gewünschten Orte für Warnun- und Empfangsstationen ermöglichen nun bundesweit einen gen erläutert. Diese „Meine Orte“ genannte Ansicht (s. Abb. 3) direkten Zugang zum MoWaS-Warnverbund. Während in den wurde zur zentralen Oberfläche der App und ersetzte die bis- meisten Bundesländern eine MoWaS-Warnmeldung bis- herige Listenansicht (s. Abb. 1). Nutzer können hier die Or- lang nur über das Lagezentrum der Landesinnenministerien te individuell hinzufügen, für die sie Warnmeldungen erhal- verschickt werden konnte, können nun auch Kreisleitstel- ten möchten. Im Einstellungsmenü können nun nicht nur len oder Polizeien z. B. die Warn-App NINA unmittelbar aus- für Warnungen aus MoWaS, sondern auch für Wetterwarnun- lösen. Im Zuge dessen werden perspektivisch immer mehr gen des DWD sowie Hochwasserinformationen und -be- lokal und regional relevante Warnungen über MoWaS und richte der Länder die Benachrichtigung per Push aktivieren damit über NINA veröffentlicht. NINA steht dabei nicht im werden. Hiermit wurde der Nutzerwunsch umgesetzt, Warn- Wettbewerb zu anderen Apps wie z. B. BIWAPP, die seit Kur- funktionen an die eigenen Bedarfe anpassen zu können. zem ebenfalls an MoWaS angeschlossen ist. Vielmehr unter- Auch die Notfalltipps präsentieren sich seit Version 2.0 stützen und ergänzen sich die Apps gegenseitig in der der im neuen Gewand: Die neue Form der Darstellung mit Bil- technischen Verfügbarkeit und der Art der Informationen. dern und übersichtlichen Aufzählungen und Listen er- Sprachgesteuerte Assistenzsysteme, Systeme zur auto- laubt eine flexiblere Gestaltung und erhöht die Lesbarkeit. matisierten Video- und Bildbearbeitung oder Textgenerie- Durch die komplett neue Umsetzung als native App rung, die auf Technologien künstlicher Intelligenz zurück- konnte zudem nicht nur der Funktionsumfang verbessert, greifen, sowie SmartCar-Systeme verbreiten sich zuneh- sondern auch zahlreiche Maßnahmen zur Optimierung mend. Entsprechend gilt es auch zukünftig, aktuelle Ent- der Barrierearmut umgesetzt werden. So kann NINA nun wicklungen aufmerksam zu beobachten und auf ihre Eig- auch mittels Sprachausgabe genutzt werden. nung als Warnmittel hin zu überprüfen. Das BBK engagiert sich daher kontinuierlich in der Weiterentwicklung des Modularen Warnsystems sowie in der Forschung, um eine Quo vadis NINA? Neue Technologien und effektive Warnung der Bevölkerung sicherzustellen. die Zukunft der Warnung in Deutschland Christoph Groneberg, Dr. Michael Judex und Jakob Rehbach sind Refe- Neben dem beständigen Ausbau der technischen Infra- renten im Referat Grundlagen und IT-Verfahren im Krisenmanagement, struktur zur Gewährleistung der Übermittlung von Warn- im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Gerrit Möws ist ehem. Leiter des Referates Warnung der Bevölkerung. meldungen für inzwischen über 2,4 Mio. Nutzer wird zur-
10 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG MoWaS vS/E Das Modulare Warnsystem geht in die Fläche Martin Hollstein „Die Feuerwehr Mainz informiert: Durch einen Brand in Ergänzend stellt der Bund sein Ortsdosisleistung- Mainz-Mombach, Industriestraße, wurde eine Rauchwolke Messnetz mit rund 1700 Messstellen für die Erfassung ra- freigesetzt. Am Einsatzort und im Bereich der Rauchwolke diologischer Gefahren zur Verfügung. ist mit Geruchsbelästigungen und Sichtbehinderungen zu Um den Anforderungen an ein Warnsystem gerecht zu rechnen. Es besteht aber keine unmittelbare Gesundheits- werden, wurde ab 1998 das bundeseigene Satellitenge- gefahr für die Bevölkerung.“ stützte Warnsystem (SatWaS) entwickelt und 2001 in Dienst Mit dieser kurzen Meldung wurde am 06.12.2017 ein gestellt. In einem ersten Schritt wurden zunächst die Lage- kleines Stückchen Geschichte geschrieben, sie markiert zentren der Länder und Rundfunkanstalten an SatWaS an- einen Meilenstein im Bereich der „Warnung der Bevölke- geschlossen um mit Warnmeldungen einen möglichst rung“. Denn mit dieser Meldung der Feuerwehr Mainz großen Teil der Bevölkerung zu erreichen. wurde erstmals über das webbasierte, vorlagenerstellende In den folgenden Jahren wurden Technik und Verfah- Modulare Warnsystem des Bundes (MoWaS vS/E) eine ren stetig weiterentwickelt, um den strategischen Anfor- Warnmeldung ausgelöst. derungen an ein modernes Warnsystem gerecht zu werden. Die Weiterentwicklung von SatWaS hin zu einem echten Mehrkanalsystem wurde mit dem Modularen Warnsystem Warnung der Bevölkerung (MoWaS) 2013 abgeschlossen. Die zentrale Forderung einer schnellen Erreichbarkeit Nach Ende des Kalten Krieges wurde das Sirenennetz eines möglichst großen Bevölkerungsanteils durch Auslö- des Zivilschutzes als Friedensdividende abgebaut bzw. den sung aller vorhandenen Warnkanäle ohne Medienbruch Kommunen zur Nutzung überlassen. Ein bundesweites kann somit umgesetzt werden. Warnsystem mit Weckeffekt stand seitdem nicht mehr zur Die Konzeption des Modularen Warnsystems macht das Verfügung. Ein solches System ist besonders für Gefahren- System unempfindlich gegen Stromausfälle und Ausfälle lagen erforderlich, die ohne Vorwarnung, aus heiterem Him- der terrestrischen Übertragungswege, wie dies häufig in mel, eintreffen und eine sofortige Warnung der Bevölke- Katastrophenszenarien der Fall ist. Mit der Entwicklung rung erfordern. von MoWaS wurde das Warnsystem um einen zentralen Warnserver, eine geografische Benut- zeroberfläche und eine international standardisierte Schnittstelle zu den jeweiligen Warnkanälen ergänzt. Durch den zentralen, mehrfach re- dundanten Warnserver ist es möglich, die Bedarfe von Ländern und unteren Katastrophenschutzbehörden (in der Regel Landkreise / kreisfreie Städte) zu berücksichtigen. Von dort können die angeschlossenen und noch anzu- schließenden Medienbetreiber, Infor- Bild 1: Warnkette mationsdienstleister, lebens- und ver- teidigungswichtigen Betriebe, Lage- Für die Erfassung besonderer Gefahren, die der Bevöl- zentren und Leitstellen sowie die in den Bundesländern kerung in einem Verteidigungsfall drohen, ist der Bund verfügbaren Warngeräte und -anwendungen angesteuert (§ 6 Abs. 1 Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz, ZSKG) werden. zuständig. Die eigentliche Warnung wird von den Bundes- Mit einem einheitlichen Übertragungsprotokoll kann ländern im Auftrage des Bundes vorgenommen, indem die MoWaS alle heute vorstellbaren Geräte und Anwendungen Strukturen genutzt werden, die die Länder für die War- (z. B. Rauchmelder, Mobilfunkgeräte, Apps) ansteuern. Dies nung der Bevölkerung bei Katastrophen bereithalten (§ 6 schließt bereits vorhanene, aber auch zukünftige Warnka- Abs. 2 ZSKG). näle ein. Ermöglicht wird dies durch die Verwendung des
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ 11 Radio Sendeanstalten TV Deutsche Bahn AG digitale Anzeigetafeln Online-Portal-Betreiber Online-Medien App-Betreiber App (z. B. NINA Pager BEVÖLKERUNG PAGING / POCSAG Kommerzielle Anwendungen BOS Digitalfunk Sirenen Rauchwarnmelder Langwellenfunk DCF 77 Funkuhren Wetterstationen E-Mail Mobilfunkanbieter SMS Regionale Warnsysteme Laterne Hupe Redundanz Redundanz neue Multiplikatoren neue Endgeräte Warnmultiplikatoren Warnmittel MoWaS S/E MoWaS Warnserver Sende-/Empfangsstation Bild2: MoWaS-Empfängerseite-Struktur Common Alerting Protocol (CAP) als offenes Datenformat Die Notwendigkeit, von der Bundesebene über die Lan- der Warnmeldungen. Mit einem einzigen System können desebene auch auf der Unteren Katastrophenebene Warn- somit alle angeschlossenen Kanäle zur Bevölkerungswar- meldungen auszulösen, muss in einem modernen Warn- nung bedient werden. system berücksichtigt werden. Ein erweiterter Nutzerkreis Die Auslösung von Warnmeldungen erfolgt durch Mo- (z. B. Polizeien, Behörden) soll die Möglichkeit erhalten, das WaS Sende- und Empfangsstationen (MoWaS S/E) in den Modulare Warnsystem für die Warnung der Bevölkerung Lagezentren von Bund und Ländern sowie angeschlosse- zu nutzen und Informationen an die Öffentlichkeit zu ge- nen Leitstellen der unteren Katastrophenschutzbehörden. ben. Ergänzend muss ein solches System die Basis für eine Diese Warnmeldungen werden an Warnmultiplikatoren redundante Kommunikation einer Vielzahl von Akteuren (Behörden, Organisationen, Medienbetreiber, Internetpor- im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutz und darüber tale, Paging-Dienste, Handy-Apps) via Satellit und redun- hinaus (Polizei, Betreiber Kritischer Infrastrukturen) ge- dant über Datenverbindungen übertragen. währleisten. Über die Warnmultiplikatoren werden Endgeräte und Endanwendungen angesteuert, die der Bevölkerung un- MoWaS vS/E mittelbar zur Verfügung stehen. Dabei gibt es Warnmittel, die einen hohen Informationsgehalt übermitteln, also In- formationen zu dem betroffenen Gebiet, Warntexte und Aktueller Ausbau von Handlungsempfehlungen (z. B. Radio, Fernsehen, Internet, Sendestationen Mobilfunk-App). Andere Warnmittel, wie z. B. Sirenen, sig- MoWaS-Vollstationen (100) nalisieren dagegen nur sich zu informieren, verfügen je- doch über einen Weckeffekt. Ausbau von Sendestationen Hiermit wurde die Warnung der Bevölkerung für den im Rahmen des „ISF BLP Zivil- und Katastrophenschutz auf eine solide Basis ge- Warnung der Bevölkerung“ stellt. MoWaS vS/E Stationen (250) Mit MoWaS vS/E in die Zukunft Mit dem 2013 in Betrieb genommenen Modularen Bild3: MoWaS vSE Warnsystem ist aber noch nicht das Ende erreicht. Es mar- kiert eher den Beginn einer komplexen, konzeptionell und technisch umfangreichen Weiterentwicklung um den Ergebnis dieser Überlegungen war die Entwicklung heutigen Anforderungen an ein Warnsystem, in einem sich und Einführung eines webbasierten MoWaS Sende-/Emp- ständig ändernden sicherheitspolitischem Umfeld, gerecht fangssystems (MoWaS vS/E). Grundlage dieser Entwick- zu werden. lung ist das gemeinsame Bund-Länder-Projekte „Warnung
12 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG Bild4: Benutzeroberfläche MoWaS vS/E der Bevölkerung“ im Rahmen des Fonds für Innere Sicher- Software geschult. Neben dem rein technischen Aspekt heit, kofinanziert durch die Europäische Union. der Warnung wird ein Schwerpunkt auf die inhaltliche Er- Mit MoWaS vS/E wird der Kreis der Nutzer und die stellung von Warnmeldungen gelegt und hierbei sowohl Kommunikation zwischen den Akteuren im Zivil- und Ka- der Disponent als Ersteller der Warnmeldung, als auch die tastrophenschutz deutlich erweitert. Sukzessive werden zu Bevölkerung als Empfänger einer solchen Warnmeldung, den derzeit vorhandenen 100 MoWaS S/E-Stationen, wei- in den Fokus gerückt. tere 250 webbasierte MoWaS vS/E-Zugänge auf Ebene der Mit der Entwicklung von MoWaS 2.0 im kommenden Unteren Katastrophenschutzbehörden und weiteren Be- Jahr ziehen die Vollsysteme nach und erhalten neben neuer hörden (z. B. Polizeien) ausgerollt. Damit wird das Modulare Technik und einer „Cockpit-Funktion“ zur Administrie- Warnsystem bundesweit, flächendeckend, über alle Ebe- rung der Systeme, auch die neue Benutzeroberfläche von nen hinweg, zur Verfügung stehen. MoWaS vS/E. Um dieses Ziel zu erreichen waren umfangreiche An- passungen im Bereich des Überganges von den öffentli- chen Netzen zu dem geschützten Bereich des MoWaS not- Fazit wendig. Dies beinhaltet sowohl technische (Sicherheits- soft- und -hardware) als auch administrative Maßnahmen Mit MoWaS vS/E steht der polizeilichen und nichtpoli- (Rechte- und Rollenvergabe für Nutzer), es musste eine zeilichen der Gefahrenabwehr ein Mittel sowohl für die komplett neue Struktur geschaffen werden, die in der Lage Warnung und Information der Bevölkerung als auch für war, mit dem bereits vorhanden, zentralen Warnserver die geschützte Kommunikation untereinander zur Verfü- Meldungen auszutauschen, ohne dieses in sich geschlosse- gung. ne Netz zu gefährden. Das Modulare Warnsystem ist deutschlandweit – wenn Ebenso musste sichergestellt werden, dass MoWaS vS/E, nicht sogar international – einzigartig, weil es alle födera- trotz unterschiedlicher Technik und Benutzeroberfläche, len Ebenen vom Bund über obere und mittlere bis zu den auch mit den vorhandenen MoWaS S/E-Stationen fehler- unteren KatS-Behörden auf einer einzigen Plattform ver- frei zusammenarbeiten kann. eint. Begleitet wurde die Entwicklung durch eine Überarbei- tung der Benutzeroberfläche, die es durch eine einfache, fast selbsterklärende Bedienung dem Benutzer ermöglicht, schnell und effizient Warnmeldungen zu erstellen. Martin Hollstein ist Projektreferent im Referat Warnung der Bevölke- Neben der technischen Umsetzung werden im Rahmen rung des BBK mit Arbeitsschwerpunkt im Bund-Länder-Projekt „War- des Konzeptes „Ausbildung der Ausbilder“ die zukünftigen nung der Bevölkerung“ im Rahmen des „Fonds für Innere Sicherheit“ der Europäischen Union. Bediener der MoWaS vS/E-Zugänge im Umgang mit der
WARNUNG ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ 13 Das ISF Bund-Länder-Projekt „Warnung der Bevölkerung“ Ein Überblick Karsten Hudel Das Bund-Länder-Projekt „Warnung der Bevölkerung“ hat schnelle, umfassende und auch beim Ausfall Kritischer In- zum Ziel, die Warneffektivität in Deutschland zu optimie- frastrukturen sichere Warnung der Bevölkerung adaptiert ren. Kofinanziert wird das Projekt zu 75 % durch den Inne- werden. Global Navigation Satellite Systems (GNSS) sind ren-Sicherheitsfonds (ISF) der Europäischen Union, die zum Beispiel global verfügbar und in geringem Umfang von restlichen 25 % tragen anteilig die Bundesländer und der funktionierenden Infrastrukturen abhängig, mögliche neue Bund. Das Projektteam ist im Referat „Warnung der Bevöl- kerung“ in der Abteilung Krisenmanagement des Bundes- amtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe an- gesiedelt. Optimierung der Warneffektivität bedeutet als Auftrag für das Projekt die Identifizierung und Unterstützung von technischen Lösungen, um in der Fläche noch mehr Men- schen mit Warnungen erreichen zu können. Ebenso wich- tig ist es aber auch, die Wahrnehmung und die Akzeptanz von Warnungen aller betroffenen Bevölkerungsgruppen zu erhöhen. Für eine umfängliche Optimierung der Warnung in Deutschland ist folglich ein ganzheitlicher und interdiszi- plinärer Ansatz notwendig, technische Anwendungen kön- nen nur im Zusammenspiel mit sozialwissenschaftlichen und psychologischen Aspekten ihre bestmögliche Wirkung Das Projekt greift auch für die Warnung aktuelle relevante Entwicklung wie den entfalten. Ebenso wichtig ist die Berücksichtigung rechtli- Ausbau der kommunalen Sirenennetze auf. cher und organisationaler Rahmenbedingungen für die am (Foto: CC0 Public Domain / pixabay.com) Warnprozess beteiligten Akteure. Eine große Stärke des Projektes ist in diesem Zusammenhang, dass Bund und Län- Warntechnologien kommen darüber hinaus auch Gegen- der gemeinsam an einer Weiterentwicklung der Warnung stände des täglichen Gebrauchs in Betracht wie zum Bei- in Deutschland arbeiten. spiel SmartHome und SmartCity. Auch werden für die War- Entwicklungen rund um die technische Säule des deut- nung aktuelle relevante Entwicklung wie der Ausbau der schen Warnsystems, das vom Bund zur Verfügung gestellte kommunalen Sirenennetze aufgegriffen. Bei der Beurtei- satellitengestützte Modulare Warnsystem (MoWaS), spielen lung geeigneter Warnmittel und Warnmedien ist es darü- bei der Umsetzung der Projektvorhaben eine zentrale Rolle. ber hinaus wichtig, die unterschiedlichen Bedarfe der Bevöl- So ist beispielsweise eine entscheidende technische Wei- kerung zu berücksichtigen. Das Einbringen psychosozialer terentwicklung mit der Version MoWaS 2.0 ab 2019 geplant Aspekte in die Warnung geht als Querschnittsaufgabe wei- ( S. 10). Der Beginn des Live-Testbetriebes von bundes- ter darüber hinaus und erstreckt sich auf den gesamten weit 250 webbasierten MoWaS vorlageerstellenden Sende- Warnprozess. Wichtige Themen dabei sind neben Warnme- und Empfangs (vS/E) -Stationen auf der Ebene der unte- dien und Warnmitteln unter anderem adäquate Warntexte ren Katastrophenschutzbehörden im vierten Quartal 2017 und Handlungsempfehlungen, Mehrsprachigkeit und bar- ist ein wichtiger Schritt, MoWaS noch mehr in die Fläche zu rierearmes Warnen. Alle diese Vorhaben sollen während bringen. Darüber hinaus sollen durch Bestandsaufnahmen der Projektlaufzeit bis Ende 2020 so umgesetzt werden, dass deutscher, europäischer und internationale Warnsysteme sie nachhaltig über Projektende hinaus die Warnung in sowie durch die Erstellung von Fachkonzepten weitere tech- Deutschland verändern. nische Möglichkeiten für eine effektive Warnung identifi- ziert und zum Teil in Pilotanwendungen erprobt werden. In- novativen Warnmedien und Warnmitteln kommt dabei Karsten Hudel ist Mitarbeiter im Referat Warnung der Bevölkerung des BBK und Leiter des ISF-Projektes. eine Schlüsselrolle zu. So sollen weitere Lösungen für eine
14 ∙ BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 1 | 2018 ∙ WARNUNG „Verhalten Sie sich luftschutzmäßig“ Das vom BBK beauftragte Forschungsvorhaben „Sozialwissenschaftliche Betrachtung verschiedener Aspekte der Warnung der Bevölkerung“ (SAWaB) evaluiert Warntexte Nathalie Schopp, Rike Richwin, Jutta Helmerichs Terroristen bedrohen die Bevölkerung in Deutschland mit nenden Behörden die Vorstellung, Verhalten durch beruhi- konventionellen Sprengstoffen sowie mit chemischen und gende und beschwichtigende Botschaften steuern zu müs- radioaktiven, sogenannten schmutzigen Bomben. Es ereig- sen. Folge: Den (potenziellen) Ängsten der direkt und mittel- nen sich mehrere Unfälle, es kommt zu Anschlagsdrohun- bar Betroffenen wird in nicht angemessener Weise begeg- gen und Sprengstoffanschlägen: Mit diesem fiktiven Szena- net, und die so oft beschworene Kommunikation auf Augen- rio spielte 2009/2010 die länder- und ressortübergreifende höhe bleibt nach wie vor eine schöne Fiktion. „Der Bürger“ Krisenmanagement-Übung LÜKEX. An der Übung beteiligt – ein Vorstellungsmuster, das keine reale Entsprechung waren 20 Bundesbehörden und 16 Bundesländer, viele Un- hat – wird nicht „als potenziell umfassend informierter und ternehmen, Hilfsorganisationen, Polizei, Feuerwehr und die vor allem auch kompetenter Bündnispartner“ (Schedlich / Bundeswehr. Während dieser LÜKEX wurde erstmals die Helmerichs 2009) zur Bewältigung des Ereignisses aner- Expertise des Referates Psychosoziales Krisenmanagement kannt. Er stört. Die Rückmeldungen aus übenden Bundes- des BBK sowie externer Experten aus Psychologie und Sozio- ländern und Unternehmen im Nachgang der LÜKEX zeig- logie einbezogen. Ziel des BBK war es, fiktive Bevölkerungs- ten, dass den BBK-Partnern zu wenige aggressive und des- reaktionen als Drehbucheinlagen in die Übungsabläufe ein- truktive Bevölkerungsreaktionen eingespielt worden waren. zuspeisen, um dadurch für das Thema „Bevölkerungsverhal- Die Erwartungshaltung war eine andere gewesen. Das lässt ten in Krisen und Katastrophen“ zu sensibilisieren. Denn die Rückschlüsse zu, und auch Praxisbeobachtungen legen nahe, sozialwissenschaftlichen Experten des BBK waren zu einer dass die Prägung der behördlichen Krisenkommunikation wesentlichen Erkenntnis gelangt, die auch für die Warnung in großen Lagen – und damit auch die Erscheinungsform der Bevölkerung essenziell ist: Wir wissen zu wenig darü- der Warnung – maßgeblich geprägt ist von der Vorstellung ber , wie die Bevölkerung in einem solchen Szenario wie bei einer tendenziell hilflosen bis destruktiven Öffentlichkeit. der LÜKEX 2009/10 reagieren würde. Wir können nur ei- Mit Abschluss des Roll-outs der webbasierten MoWaS- nige internationale Studienergebnisse übertragen. Zugänge ( S. 10) stehen wir nun an einem Wendepunkt: Die technische Kommunikationsbasis in der Warnung, das Modulare Warn- system, wird maßgeblich erweitert. Nahezu alle deutschen Katstrophen- schutzbehörden werden im Laufe des Jahres 2018 an das Modulare Warnsys- tem angeschlossen. Das bedeutet, dass amtliche Gefahreninformationen und Warnungen flächendeckend teilweise unmittelbar, d. h. ohne den Filter von Presse und Medien, an die Bevölkerung herausgegeben werden können, z. B. über Warn-Apps wie NINA. Das hat viele Vorteile. MoWaS ist eine Plattform, die nicht nur flächen- deckendes schnelles Warnen tech- nisch möglich macht, sondern auch Wahrnehmen, Deuten, Bewerten, Entscheiden und Handeln nehmen bei der Reaktion auf eine Warnung mehr Zeit in Anspruch als ihre rein technische Übermittlung. im Alltag eine immense Arbeitser- (Quelle: Dombrowsky 2009) leichterung sein kann, wenn es z. B. um die schnelle Information von Presse Dieses Nichtwissen wird „unkontrolliert ersetzt“, wie der und Medien geht. Und mit den angeschlossenen Warn-Apps Katastrophensoziologe Wolf Dombrowsky 2009 in einem verschaffen sich die Behörden Gehör im unablässigen wissenschaftlichen Gutachten schrieb. Heißt: Die üblichen Grundrauschen der Social-Media-Kanäle. Vorstellungen von Panik, Plünderungen, Hysterie und Flucht Es hat aber auch Nachteile. Die Existenz eines Systems füllen das Vakuum fehlender Empirie und formen in war- evoziert Erwartungshaltungen, und mit dem direkten Kanal
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