Soziale Sicherheit 4/2004 - CHSS - BSV
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Schwerpunkt Ja zum bezahlten Mutterschaftsurlaub Gesundheit 1. BVG-Revision: Vermehrte Transparenz International Freizügigkeitsabkommen und kantonale Familienzulagen Soziale Sicherheit CHSS 4/2004
inhalt Inhalt CHSS 4/2004 Juli/August Inhaltsverzeichnis Soziale Sicherheit CHSS 4/2004 Editorial 197 Nein zur teuren unsozialen Mutterschaftsversicherung Chronik Juni/Juli 2004 198 (Ueli Maurer, Nationalrat) 223 Rundschau 200 Vorsorge 1. BVG-Revision: Konsolidierung des Erreichten – vermehrte Transparenz (Helena Kottman, Jürg Brechbühl, BSV) 225 Schwerpunkt Ja zum bezahlten Mutterschaftsurlaub 201 Gesundheit JA zur EOG-Revision und zum bezahlten Mutterschaftsurlaub Statistik über die Krankenversicherung 2002 (Teil 2) (Yves Rossier, BSV) 202 (Nicolas Siffert, BAG) 229 Der bezahlte Mutterschaftsurlaub: Die Vorlage im Detail Finanzierung der Pflegekosten: näher an den Ursachen (Jörg Reinmann, BSV) 204 anknüpfen (Ursula Scherrer, BAG) 233 Heutige Regelung des Schutzes bei Mutterschaft in der Frauen verursachen weniger stark Gesundheitskosten als Schweiz (Maja Jaggi, BSV) 207 bisher angenommen (Paul Camenzind, BFS) 238 Geschichte des Schutzes bei Mutterschaft (Jörg Reinmann, BSV) 208 Sozialpolitik Entschädigung für Dienstleistende verbessern (Jörg Reinmann, BSV) 210 Massnahmen zur beruflichen Eingliederung (Oliver Bieri, Cornelia Furrer, Interface) 243 Aktuelle Regelung für Dienstleistende (Jörg Reinmann, BSV) 212 Information der behandelnden ÄrztInnen über die IV Kosten und Finanzierung des gesamten Reformpakets (Michela Papa, Adelaide Bigovic-Balzardi, BSV) 247 (Jörg Reinmann, BSV) 214 Ungleichgewichtige Entwicklung der Sozialversicherungen Internationaler Vergleich – Erwerbsersatz bei Mutterschaft im Jahr 2002 (Agnes Nienhaus, Salome Schüpbach, in Europa (Claudina Mascetta, BSV) 218 Stefan Müller, BSV) 250 Ausgewogener und vernünftiger Mutterschutz (Pierre Triponez, Nationalrat) 221 International Anwendung des Freizügigkeitsabkommens im Bereich der kantonalen Familienzulagen (Simon Blunier, BSV) 253 ns unte r .admin.ch u bsv www. en Sie Besuch Parlament Parlamentarische Vorstösse 257 Gesetzgebung: hängige Vorlagen des Bundesrats 260 Daten und Fakten Agenda (Tagungen, Seminare, Lehrgänge) 261 Sozialversicherungsstatistik 262 Literatur und Links 264
editorial Editorial Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft Pascal Couchepin Bundesrat Kaum ist eine Abstimmung vorbei, folgt schon die Pierre Triponez von der FDP, Ursula Haller von der nächste. Am 26. September stimmt das Volk über die SVP, Thérèse Meyer von der CVP und Jaqueline Fehr Vorlage zum Mutterschaftsurlaub ab. von der SP, einen Kompromiss gefunden und haben Wie Sie wissen, ist zur Zeit in der Schweiz häufig von mit einer gemeinsamen parlamentarischen Initiative 108 einer politischen Blockierung die Rede. In der vergange- ParlamentarierInnen überzeugt. Sie haben eine einfache nen Sommersession wurde der Nationalrat gescholten, und wenig bürokratische Lösung gefunden. er sei unfähig zu Kompromissen. Die Suche nach einem Die vorgeschlagene Reform beschränkt sich auf eine Konsens sei aufgegeben worden. Revision der bestehenden Erwerbsersatzordnung (EO). Nun – es gibt auch eine andere Realität. Die Mutter- Sie behebt die eben genannten Lücken und Ungerechtig- schaftsvorlage, wird sie akzeptiert, zeigt auf, wie Blockie- keiten der heutigen Situation. Erwerbstätige Mütter er- rungen überwunden werden können. halten künftig einen Anspruch auf einen einheitlichen, Es gibt ein anerkanntes Problem: Der heutige Mutter- zeitlich befristeten Lohnersatz. Da dieser im Rahmen der schutz für erwerbstätige Frauen ist lückenhaft. Frauen, EO geregelt wird, muss kein neues Sozialwerk geschaf- die erst seit wenigen Jahren erwerbstätig sind oder den fen werden. Arbeitgeber wechseln, sind ungenügend abgesichert. Zu- Die vier InitiantInnen haben Parlament und schliess- dem werden Branchen benachteiligt, die viele junge lich auch den Bundesrat überzeugt: Wir befürworten die Frauen beschäftigen. Vorlage, weil sie einem Bedarf entspricht und die Wirt- Nach der 1999 verworfenen umfassenden Vorlage sind schaft insgesamt sogar entlastet. Zudem berücksichtigt nun in guter schweizerischer Manier BefürworterInnen sie auch die gesellschaftliche Entwicklung, denn immer und GegnerInnen zusammengesessen und haben nach mehr Frauen bleiben nach der Geburt eines Kindes er- Wegen zur Problemlösung in dieser Frage gesucht. Ver- werbstätig. schiedene Projekte standen zur Diskussion: Eine Neu- Ich möchte daher den vier InitiantInnen der heute vor- auflage der Mutterschaftsversicherung, eine Lösung über liegenden Vorlage und auch dem Parlament danken für das Obligationenrecht, ein gemischtes Modell (erste 8 die geradezu unzeitgemässe Konsenssuche. Der Bundes- Wochen OR, danach EO) oder auch noch Lösungen, in rat will den Vätern und Müttern des Lösungsvorschlags welchen nach Arbeitsjahren abgestuft worden wäre. nicht vor der Sonne stehen, er ist in dieser Angelegenheit Letztlich haben vier der alten helvetischen Tradition aber gerne sozusagen der «Götti», der «Parrain» der der Konsenssuche verpflichtete PolitikerInnen, nämlich Vorlage. Soziale Sicherheit CHSS 4/2004 197
chronik Chronik Juni/Juli 2004 AHV-Politik festgelegt. Bei der In- basierend auf der Lebensarbeitszeit Berufliche Vorsorge validenversicherung sieht er zusätz- oder Modelle, die Kriterien wie das Der Nationalrat stimmte am lich zu den schon beschlossenen Einkommen und die Beschwerlich- 14. Juni dem Vorschlag der Eini- Massnahmen die sofortige Umset- keit der Arbeit berücksichtigen, sol- gungskonferenz bei den Sanierungs- zung von Massnahmen zur Straffung len geprüft werden. Dieser Ent- massnahmen in der beruflichen Vor- des Verfahrens vor. scheid entspricht der Ansicht der sorge zu. Damit wird den Pensions- In den letzten Jahren haben sich AHV-Kommission, welche die Prü- kassen bei Unterdeckung im Sinne die Sozialversicherungen im raschen fung solcher Systeme verlangt hat. einer Ultima Ratio die Möglichkeit Rhythmus weiterentwickelt. We- Welche der möglichen Varianten eingeräumt, für eine begrenzte Zeit sentliche Schritte wurden im vergan- auch immer ins Zentrum gerückt (maximal 5 Jahre) den Mindestzins genen Jahr gemacht und auch im wird, sie muss die finanzielle Siche- um höchstens 0,5 Prozent zu unter- laufenden Jahr wurden oder werden rung der AHV bis 2020 gestatten. schreiten. wichtige Marksteine gesetzt. Refor- men wurden eingeleitet und umge- Invalidenversicherung setzt, andere konnten nicht weiter- Der Bundesrat teilt die Einschät- geführt werden. Das EDI hat dem zung des EDI, dass die Sanierung Gesetz über Bundesrat ein Aussprachepapier der IV im Hinblick auf ihre prekäre die Schwarzarbeit unterbreitet, um ihm auf Grund ei- finanzielle Situation absolute Prio- Der Nationalrat hat am 16. Juni ner Auslegeordnung des Ist-Zustan- rität hat. Mit der neuen Vorlage zur das Bundesgesetz gegen Schwarz- des eine Standortbestimmung zu er- Erhöhung der MWSt zu Gunsten arbeit mit 128 gegen 24 Stimmen möglichen. Auf dieser Basis hat der der IV und mit der 5. IV-Revision (15 Enthaltungen) gutgeheissen. Die Bundesrat über die Herausforde- können die Schulden langsam abge- Vorlage geht nun an den Ständerat. rungen, Perspektiven und vorzuse- baut werden. Der Bundesrat ist zu- Das Gesetz zur Bekämpfung der henden Massnahmen diskutiert. Das dem der Ansicht, dass einige in der Schwarzarbeit baut auf vier Pfeilern Aussprachepapier des EDI umfasst 5. IV-Revision vorgesehenen Mass- auf: Die Kantone sollen Kontroll- alle Sozialversicherungen1 (ausge- nahmen dringlich umgesetzt werden stellen schaffen; weiter soll die Ko- nommen die Arbeitslosenversiche- sollen. Es geht dabei um verfahrens- ordination zwischen den Behörden rung) und die Familienpolitik. rechtliche Massnahmen (Einfüh- verbessert werden; ferner müssen rung eines kostenpflichtigen Verfah- ertappte Arbeitgeber mit Sanktio- AHV: mittel- bis langfristige rens). nen rechnen; letztlich sollen Erleich- Massnahmen terungen für geringfügig Beschäftig- Der Bundesrat teilt die Einschät- Entflechtung der Finanzhaushalte te bei kleinen Firmen die Anreize zung des EDI, dass sich die finan- des Bundes und der AHV/IV zur Schwarzarbeit senken. zielle Situation der AHV ab 2010 Der Bundesrat kommt zum rapide verschlechtert, falls keine Schluss, dass das Thema der Ent- Massnahmen ergriffen werden, und flechtung des Finanzhaushaltes der dass die AHV bis zum Jahre 2025 AHV/IV vom Finanzhaushalt des «Panorama der zusätzliche finanzielle Mittel benö- Bundes im Rahmen einer Revision Sozialversicherungen» tigt, welche ungefähr 3,8 MWSt-Pro- zur langfristigen finanziellen Konso- Auf Grund des Handlungsbedarfs zentpunkten entsprechen. lidierung der AHV aufgegriffen in den Sozialversicherungen und des Der Bundesrat hat beschlossen, werden soll und parallel zu Mass- Ergebnisses der Volksabstimmung sofort Vorbereitungsarbeiten zu ei- nahmen zur finanziellen Konsolidie- vom 16. Mai hat das EDI dem ner weiteren AHV-Revision in An- rung der IV behandelt werden soll. Bundesrat unter dem Titel «Panora- griff zu nehmen, die dem Parlament ma der Sozialversicherungen» eine entsprechend den folgenden Vorga- KV: Aufhebung des Gesamtsicht der Sozialversicherun- ben unterbreitet werden soll. Die Zulassungsstopps gen vorgelegt. Gestützt auf dieses Reform soll die finanzielle Siche- Die Massnahme der Einschrän- Aussprachepapier des Eidg. Depar- rung der AHV bis 2020 ermöglichen kung der Zulassung von Leistungs- tements des Innern, das die Sozial- und den bis zu diesem Zeitpunkt erbringern läuft am 3. Juli 2005 aus versicherungen und auch die Fami- erforderlichen Finanzierungsbedarf und soll gemäss Botschaft des lienpolitik umfasste, hat der Bun- berücksichtigen. Der Bundesrat Bundesrats vom 26. Mai 2004 durch desrat am 30. Juni bezüglich der wei- sieht vor, dass die zur Erreichung die Vertragsfreiheit abgelöst wer- teren Entwicklung Richtungsent- des Ziels bis 2020 nötigen Massnah- den. Für den Fall, dass die Vertrags- scheide getroffen. Insbesondere hat men schrittweise ergriffen werden. er das weitere Vorgehen in der Alternative Modelle wie ein System 1 AHV, IV, BV, KV, UV, MV, EO, EL 198 Soziale Sicherheit CHSS 4/2004
Chronik Juni/Juli 2004 freiheit nicht rechtzeitig in Kraft tre- ten sollte, schlägt der Bundesrat die 2. Etappe der BVG-Revision Verlängerung des Zulassungsstopps Der Bundesrat hat am 2. Juli die Umwandlungssatz bis zur Einführung der Vertragsfrei- Verordnungsänderungen zur Inkraft- heit vor. setzung der 2. Etappe der 1. BVG- Die Altersrente wird anhand des Revision verabschiedet und das Umwandlungssatzes berechnet. Frauenrentenalter in der beruf- Dieser stellt auf versicherungstech- lichen Vorsorge und der AHV auf- nische Grundlagen ab. Die Höhe Kassen vergüten einander abgestimmt. Die Änderun- der jährlichen Rente ergibt sich Hüftsonografie bei Babys gen treten auf den 1. Januar 2005 durch Multiplikation des Umwand- Die Krankenkassen vergüten zeitgleich mit der zweiten Etappe lungssatzes mit dem bei Rentenan- Hüftuntersuchungen (Hüftsonogra- der BVG-Revision in Kraft. tritt angesparten Altersguthaben. fie) bei Neugeborenen nun doch weiter. Das Eidgenössische Depar- Wichtigste tement des Innern (EDI) hat eine Verordnungsbestimmungen Einheitliches Rentenalter für entsprechende Verordnung erlas- bezüglich der BVG-Revision Frauen sen. Die Regelung gebe dem Ver- • Verfahren bei Teil- oder Gesamt- Bis anhin war die Koordination trauensverhältnis zwischen Arzt und liquidation einer Pensionskasse des Frauenrentenalters zwischen der Patient ein grösseres Gewicht, teilte Der Bundesrat hat die Grundsätze 1. und der 2. Säule durch das dring- das EDI mit. Da die Zweckmässig- festgelegt, die eine Vorsorgeein- liche, vom Parlament im Jahr 2001 keit der Hüftuntersuchung Neuge- richtung bei einer Liquidation zu verabschiedete Gesetz zur Weiter- borener unbestritten sei, fungiere berücksichtigen hat. Er hat insbe- versicherung von erwerbstätigen sie seit dem 1. Juli als diagnostische sondere bestimmt, wie die Reser- Frauen in der beruflichen Vorsorge Massnahme im Grundleistungskata- ven zu verteilen sind. gewährleistet. Dieses ist jedoch nur log der Krankenversicherung. • Umwandlungssatz (siehe Kasten) noch bis am 31.Dezember 2004 gül- Um der höheren Lebenserwar- tig. Die zur Vereinheitlichung des tung Rechnung zu tragen, sieht Frauenrentenalters in der 1. und die 1. BVG-Revision vor, den 2. Säule erforderlichen Anpassungen Umwandlungssatz für Frauen und waren im Rahmen der 11. AHV- Männer in den nächsten 10 Jahren Revision geregelt, die nun nicht wie BVG-Revision in drei Paketen schrittweise von 7,2 auf 6,8 Pro- vorgesehen in Kraft tritt. Der zent zu senken. In der BVV2 Bundesrat hat daher im Rahmen der Im März 2004 hat der Bundesrat be- (Verordnung über die berufliche Verordnungsänderungen das or- schlossen, die 1. BVG-Revision in Alters-, Hinterlassenen- und Inva- dentliche Rentenalter für Frauen in drei Etappen in Kraft zu setzen. Das lidenvorsorge) hat der Bundesrat der zweiten Säule ab 2005 bei 64 1. Paket betraf die Transparenz, die nun die Abstufung dieser Sen- Jahren festgesetzt. paritätische Verwaltung sowie die kung geregelt. Auflösung von Anschlussverträgen • Grundsatz der Loyalität in der und ist auf den 1. April 2004 in Kraft Vermögensverwaltung getreten. Das 2. Paket, welches Die Verordnung regelt die Grund- alle anderen Bestimmungen der sätze, welche die Vermögensver- 1. BVG-Revision mit Ausnahme walter der Vorsorgeeinrichtung derjenigen über den Begriff der be- bei der Vermögensanlage und ruflichen Vorsorge und den Einkauf -verwaltung zu beachten haben. (3. Paket) enthält, tritt auf den 1. Ja- Untersagt sind insbesondere Ei- nuar 2005 in Kraft. Das In-Kraft- gengeschäfte, die missbräuchlich Treten der 3.Etappe ist auf den sind, bzw. die auf einen Informa- 1. Januar 2006 vorgesehen. tionsvorsprung oder einen Vorteil bei der Anlagetätigung zurückzu- führen sind. Soziale Sicherheit CHSS 4/2004 199
rundschau Rundschau sen als in den fünf Jahren zuvor. Das zerischer Seniorenorganisationen Schweizer Haushalte geben ist ein bemerkenswertes Ergebnis der wehrten sich gegen die Vorstellung, am meisten für Kennzahlenerhebung, an der sich dass die SeniorInnen wesentlich ver- Versicherungen aus neun Schweizer Städte beteiligt ha- antwortlich seien für die überpro- 2002 belasteten erneut die Versiche- ben. Die Städteinitiative Sozialpoli- portionale Kostenentwicklung im rungen das Haushaltsbudget am tik warnt vor weiteren Sparforderun- Gesundheitswesen. Sie forderten stärksten. Die Aufwendungen der gen. Denn Kosten können nachhaltig das Departement des Innern auf, Haushalte für Versicherungen neh- nur gesenkt werden, wenn alle Bemü- noch im laufenden Jahr den Auftrag men seit 2000 ständig zu. Nicht alle hungen dahin laufen, Sozialhilfe Be- für eine entsprechende National- Haushalte weisen jedoch dieselbe ziehende möglichst rasch von der So- fonds-Studie zu erteilen. Gleichzei- Ausgabenstruktur auf. Je nach Ein- zialhilfe abzulösen. Dazu braucht es tig soll auch das Kosten-Nutzen- kommensklasse oder Haushaltstyp va- genügend personelle Ressourcen. Verhältnis der modernen Medizin riiert diese stark. Dies zeigen die jüngs- Die Städteinitiative Sozialpolitik, untersucht werden. Die SeniorInnen ten Ergebnisse der seit dem Jahr 2000 der 50 Schweizer Städte angehören, lehnten auch eine Rationierung von vom Bundesamt für Statistik (BFS) im hat gleichzeitig mit dem Kennzah- medizinisch notwendigen Leistun- Jahresrhythmus durchgeführten Ein- lenbericht Vorschläge präsentiert, gen ab und sprachen sich gegen die kommens- und Verbrauchserhebung. wie dem wachsenden Druck in der Schaffung einer separaten Pflege- Die vieldiskutierte Entwicklung Sozialhilfe zu begegnen ist. versicherung aus. der Krankenkassenprämien in den Innerhalb des Systems der Sozial- vergangenen Jahren zeigt sich auch hilfe braucht es differenzierte Ansät- in den Ergebnissen der jährlich vom ze, um den grossen Herausforderun- BFS durchgeführten Einkommens- gen gerecht zu werden. Die stark CURAVIVA: Otto Piller zum und Verbrauchserhebung. Sie schlägt steigenden Fallzahlen haben dazu Präsidenten gewählt sich dort in der starken Stellung nie- geführt, dass die Sozialämter zu viele Otto Piller heisst der neue Präsi- der, welche die Versicherungsbeiträ- Dossiers führen müssen und zu we- dent des Dachverbands Heimwesen ge in der Ausgabenstruktur spielen. nig für die individuelle Beratung tun CURAVIVA. Der ehemalige Di- Zudem zeigt sie sich im überdurch- können. Oberstes Ziel muss aber die rektor des Bundesamts für Sozial- schnittlichen Anwachsen der Beiträ- berufliche oder soziale Integration versicherung löst die Aargauer ge an die Versicherungen. Allerdings von Sozialhilfe Beziehenden sein. FDP-Nationalrätin Christine Egers- steigen nicht nur die Prämien der Das kann nur in enger Zusammenar- zegi ab. CURAVIVA ist der Krankenkassen, sondern auch dieje- beit der Sozialämter, zum Beispiel Schweizerische Dachverband für nigen anderer Versicherungstypen. mit Wirtschaftsbetrieben und andern das Heimwesen. Rund 1800 Alters-, Im Jahr 2002 gaben die Haushalte Partnern der Sozialhilfe, funktionie- Kinder- und Jugendheime sind unter im Durchschnitt 7867 Franken pro ren. Dies ist aufwändig, aber nicht seinem Dach zusammengeschlossen. Monat aus. Die Hitparade der Haupt- nur sozialpolitisch klüger, als beim ausgabenposten der Schweizer Haus- personellen Aufwand zu sparen. Bei halte ist seit Jahren die gleiche. Mit der raschest möglichen Ablösung der über einem Fünftel der Gesamtausga- Menschen von der Sozialhilfe liegt Christine Egerszegi neue ben (21,8 %) nehmen die Aufwendun- mittelfristig auch ein erheblich grös- Präsidentin der SGGP gen für Versicherungen den ersten seres Sparpotenzial. Dafür braucht Die Schweizerische Gesellschaft Rang ein. Auf den Plätzen zwei und es aber genügend Fachpersonal. Die für Gesundheitspolitik (SGGP) hat drei folgen die Ausgaben für das Woh- Städteinitiative stellt sich auch gegen Nationalrätin Christine Egerszegi nen (17,6 %) und die Steuern (13,6 %). willkürliche Einschnitte in geltende (FDP/AG) zu ihrer neuen Präsiden- Die hohen Aufwendungen für Standards der Sozialhilfe und unter- tin gewählt. Sie löst den bisherigen Versicherungen sind darauf zurück- streicht die Bedeutung einheitlicher Präsidenten, Nationalrat Jost Gross zuführen, dass sie auch die Beiträge Richtlinien zur Bemessung der (SP/TG), ab, der weiterhin im Vor- an die AHV und an die Pensionskas- Unterstützung in allen Kantonen. stand bleibt. Die SGGP ist das wich- sen beinhalten. tigste unabhängige Forum im schweizerischen Gesundheitswesen und wurde vor fast 30 Jahren ge- gründet. Sozialhilfe unter Druck: SeniorInnen fordern Studie investieren statt sparen! über Kostenursache Die Fallzahlen in der Sozialhilfe Die TeilnehmerInnen am Jahres- sind im Jahr 2003 stärker angewach- kongress des Dachverbands Schwei- 200 Soziale Sicherheit CHSS 4/2004
schwerpunkt Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes Ja zum bezahlten Mutterschaftsurlaub Foto: Christoph Wider Der Anspruch auf einen gesetzlichen Mutterschutz nach der Niederkunft besteht in unserer Bundesverfassung seit Jahrzehnten. Verschiedene Erlasse von Bund, Kantonen und Gemeinden sind zwar vorhanden, wurden jedoch nie aufeinander abgestimmt. Das System ist lückenhaft, uneinheitlich und ungerecht. In einem Monat, am 26. September 2004, haben wir die Gelegen- heit, diese unwürdige Situation zu korrigieren, notabene ohne eine neue Sozialversicherung zu schaffen. Und überdies: Mit dem Ja zur Revision des Erwerbsersatzgesetzes erhalten Dienstleis- tende und Rekruten eine höhere Grundentschädigung. Die vorliegende Ausgabe der CHSS wid- met sich im Schwerpunkt vollumfänglich der Thematik EOG-Revision und bezahlter Mutter- schaftsurlaub. Soziale Sicherheit CHSS 4/2004 201
schwerpunkt Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes Ja zur EOG-Revision und zum bezahlten Mutterschaftsurlaub Zudem wird die Entschädigung der Rekruten und der Mit den neuesten Änderungen der Erwerbsersatz- nichterwerbstätigen Dienstleistenden den veränderten wirtschaftlichen Bedürfnissen angepasst: Als Folge des ordnung (EO) wird die Erwerbsersatzquote für Dienst- mit der Armeereform XXI geänderten Rekrutie- leistende von 65% auf 80% des vordienstlichen rungsverfahrens werden neu bereits die Aushebungsta- Einkommens und die Grundentschädigung für Rekru- ge entschädigt und das Entschädigungssystem für ten und nichterwerbstätige Dienstleistende von Durchdienerkader (Dienstleistung an einem Stück) 43 Franken auf 54 Franken pro Tag erhöht. Insgesamt modifiziert. Im Rahmen der Umsetzung der Bevöl- kerungsschutzreform werden Schutzdienstleistende in wird das Entschädigungssystem der EO an die per Grundausbildung bezüglich des Erwerbsersatzes mit 1. Januar 2004 in Kraft getretene Armee- (Armee XXI) Rekruten gleichgestellt. und an die Bevölkerungsschutzreform (Zivilschutz) angepasst. Politisches und finanzielles Schwergewicht der Vorlage ist jedoch die Einführung einer Mutter- Erwerbsersatz bei Mutterschaft schaftsentschädigung für erwerbstätige Frauen. Die Mit der Definition von Art und Umfang des Mut- Mehrausgaben der EO für Dienstpflichtige belaufen terschaftsschutzes hat sich das Stimmvolk seit der An- sich auf rund 92 Mio. Franken, die Ausgaben für den nahme des entsprechenden Verfassungsauftrags 1945 verbesserten Mutterschaftsschutz auf rund 483 Mio. sichtlich schwer getan. Umfassende Vorlagen zur Rege- Franken pro Jahr1. Nicht zuletzt deshalb wurde das lung gesundheits- und einkommensbezogener Kosten scheiterten, weshalb die beiden Anliegen letztlich ge- Referendum gegen die Vorlage ergriffen, über die am trennt angegangen wurden. Ursächlich für die fortwäh- 26. September 2004 abgestimmt wird. rende Ablehnung einer umfassenden Mutterschaftsver- sicherung dürfte unter anderem wohl auch das traditio- nelle Familienmodell gewesen sein, das die Veranke- rung von Erwerbsersatzleistungen bei Mutterschaft als unnötig erscheinen liess.2 Nicht konsensfähig war bisher insbesondere, in wel- chem Umfang bei Mutterschaft Anspruch auf finanziel- le Leistungen bestehen soll. Dem Stimmvolk wird mitt- lerweile die vierte Vorlage im Zusammenhang mit Erwerbsersatzleistungen bei Mutterschaft zur Abstim- mung unterbreitet. Yves Rossier Was umfasst die Mutterschaftsentschädigung? Bundesamt für Sozialversicherung Die zur Abstimmung stehende Mutterschaftsent- schädigung garantiert selbständig und unselbständig er- werbstätigen Frauen nach der Geburt eines Kindes Höhere Ansätze für Dienstleistende während maximal 14 Wochen 80 % des vorher erzielten Für Dienstleistende in Armee, Zivilschutz und Zivil- 1 Die Mehrausgaben der EO ergeben sich durch den Wechsel zur paritäti- dienst bringt die EO-Revision den wirtschaftlichen Be- schen Finanzierung mittels Lohnbeiträgen: Die heutigen Kosten der dürfnissen gehorchend eine höhere Grundentschädi- Mutterschaftsleistungen in der Höhe von 382 Mio. Franken werden grossmehrheitlich durch ArbeitgeberInnen (353 Mio. Franken) und Ar- gung. Bei Erwerbstätigen wird der Erwerbsersatz- beitnehmerInnen (29 Mio. Franken) finanziert. anspruch von 65 % auf 80 % des vordienstlichen Ein- 2 Die Kostenübernahme von Vorsorgeuntersuchungen und medizinischen Massnahmen bei Schwangerschaft und Mutterschaft wurde mit dem kommens erhöht und damit der in der Unfall- und Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) am 1.1.1996 Invalidenversicherung üblichen Ersatzquote angepasst. gesamtschweizerisch verbindlich geregelt. 202 Soziale Sicherheit CHSS 4/2004
Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes Einkommens. Dass nichterwerbstätige Frauen keinen Rechnung getragen. Der Vorteil der EO-basierten Fi- Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung haben, ist nanzierung der Mutterschaftsentschädigung liegt – im vor dem Hintergrund der am 13. Juni 1999 abgelehnten Vergleich zu früheren Vorlagen über Mutterschafts- Vorlage für eine Mutterschaftsversicherung zu sehen: leistungen – in der gleichmässigeren Verteilung der Dass neben Erwerbsersatzleistungen auch eine Grund- Kosten auf die Gesellschaft: Die Arbeitgeber aller leistung für in bescheidenen wirtschaftlichen Verhält- Wirtschaftsbranchen und die Arbeitnehmenden haben nissen lebende, nichterwerbstätige Mütter vorgesehen sich an der Finanzierung zu beteiligen. war, sprengte den Rahmen dessen, was das Stimmvolk Mit der EOG-Revision wird endlich ein gemeinsamer als vernünftig ansah. Mit der neuesten, auf erwerbs- Standard für einen bezahlten Mutterschaftsurlaub ge- tätige Frauen beschränkten, massvollen (weil leistungs- schaffen, der bestehende grosszügigere Lösungen aber seitig plafonierten) Vorlage wird diesen Bedenken nicht tangiert. GAV-Lösungen, die einen längeren be- Rechnung getragen. Die Mutterschaftsentschädigung zahlten Mutterschaftsurlaub oder zusätzliche Leistun- stellt wie der Grossteil der EO-Leistungen Erwerbser- gen (bspw. bei Adoption eines Kindes) vorsehen, blei- satz dar und wird grösstenteils durch Beiträge auf dem ben in dieser Beziehung weiterhin bestehen. Es steht Erwerbseinkommen finanziert. Angesichts der Gleich- auch nicht zu befürchten, dass grosszügigere Lösungen artigkeit der Leistungen und ihrer Finanzierung steht aufgehoben und auf das Niveau der bundesrechtlichen der Integration der Mutterschaftsentschädigung ins Mutterschaftsentschädigung reduziert würden. Viel- EO-Leistungsspektrum nichts entgegen – zumal eine mehr stellen die über den Mindeststandard der EO-Lö- eigenständig geregelte Mutterschaftsversicherung bis- sung hinausgehenden GAV-Regelungen gemeinsame her chancenlos war. Errungenschaften der Sozialpartner dar, die kaum leichtfertig aufgegeben werden dürften. Bei der anstehenden Abstimmung über den bezahl- Warum «ja» zur Mutterschaftsentschädigung? ten Mutterschaftsuralub handelt es sich daher nicht um eine Zwängerei von Bundesrat und Parlament, sondern Dass immer mehr Frauen erwerbstätig sind und nach um die Verwirklichung eines der gesellschaftlichen Re- der Geburt eines Kindes auch bleiben, ist gesellschaft- alität angepassten, konsequenten und in sich konsis- liche Realität. Dem berechtigten Anliegen nach Ersatz tenten Mutterschaftsschutzes. des Erwerbsausfalls, welcher der Mutter wegen der Niederkunft und während der daran anschliessenden Erholungsphase entsteht, wird mit der EOG-Revision Yves Rossier, Direktor BSV. E-Mail: yves.rossier@bsv.admin.ch Soziale Sicherheit CHSS 4/2004 203
schwerpunkt Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes Der bezahlte Mutterschaftsurlaub: Die Vorlage im Detail spruchsvoraussetzungen erfüllt sind, haben auch min- Die am 3. Oktober 2003 mit 146 zu 41 Stimmen derjährige Mütter (z.B. Lernende) Anspruch auf be- zahlten Mutterschaftsurlaub. (Nationalrat) bzw. mit 31 zu 6 Stimmen (Ständerat) Nach dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der verabschiedete Revision des Bundesgesetzes über die EU können auch ausländische Versicherungs- und Be- Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee, schäftigungszeiten für die Erfüllung der Mindestver- Zivildienst und Zivilschutz (Erwerbsersatzgesetz, EOG) sicherungsdauer bzw. Erwerbsdauer angerechnet wer- sieht als Ausgangspunkt und zentrales Anliegen die den, wie dies zum Beispiel heute schon bei der Arbeits- losenversicherung der Fall ist. Verwirklichung des seit Jahrzehnten in unserer Bun- Alle in der Schweiz erwerbstätigen Frauen sind in der desverfassung verankerten Anspruchs auf einen Lage, die Voraussetzungen für einen bezahlten Mutter- gesetzlichen Mutterschaftsschutz nach der Nieder- schaftsurlaub zu erfüllen: Wenn sie in der Schweiz einer kunft vor. Der neue Gesetzesvorschlag beschränkt sich beitragspflichtigen selbständigen oder unselbständigen auf einen auf 14 Wochen befristeten Lohnersatzan- Erwerbstätigkeit nachgehen, können sie die versiche- rungsmässigen Voraussetzungen erfüllen, auch wenn spruch erwerbstätiger Mütter im Rahmen der beste- sie nicht in der Schweiz wohnen (z.B. Grenzgängerin- henden Erwerbsersatzordnung. Die Entschädigung nen). Um die 5-monatige Mindesterwerbsdauer zu er- beläuft sich auf 80 % des ausfallenden Verdienstes. füllen, ist es nicht erforderlich, dass die Mutter pro Ka- Diese Ausdehnung der EO ist nahe liegend, denn wie lendermonat eine bestimmte Anzahl Arbeitstage bzw. die Männer leisten auch die Frauen seit eh und je Arbeitsstunden geleistet hat. Arbeitnehmerinnen ha- ben nur einen Anspruch, wenn sie bei der Niederkunft Lohnbeiträge an die EO. noch in einem gültigen privat- oder öffentlichrecht- lichen Arbeitsverhältnis beziehungsweise Lehrverhält- nis stehen. Nicht nötig ist jedoch, dass die Arbeit nach dem Mutterschaftsurlaub wieder aufgenommen wird. Es steht der Mutter somit frei, das Arbeitsverhältnis auf einen Zeitpunkt nach der Niederkunft aufzulösen, ohne dass sie den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung verlieren würde. Bei Selbständigerwerbenden ist ent- scheidend, ob sie im Zeitpunkt der Niederkunft von der AHV als solche anerkannt sind. Auch hier kommt es nicht darauf an, ob die Erwerbstätigkeit nach dem Mut- terschaftsurlaub weitergeführt wird. Jörg Reinmann Geschäftsfeld Alter und Hinterlassene, Herabsetzung der Karenzfrist (Art. 16b Abs. 2) BSV Um zu verhindern, dass eine Arbeitnehmerin vom Entschädigungsanspruch ausgeschlossen ist, weil sie Anspruchsberechtigte für bezahlten aufgrund einer Frühgeburt die 9-monatige Mindestver- Mutterschaftsurlaub (Art. 16b Abs. 1) sicherungsdauer nicht erfüllen kann, wird die Vorversi- Anspruchsberechtigt sind Frauen, die als Arbeitneh- cherungsdauer in solchen Fällen entsprechend herabge- merinnen gelten oder im Betrieb ihres Ehemannes ge- setzt, höchstens jedoch auf 6 Monate. gen einen Barlohn mitarbeiten oder selbständigerwer- bend sind. Diese Frauen müssen während der letzten Anspruchsberechtigung beim Bezug eines 9 Monate vor der Niederkunft in der AHV obligato- Ersatzeinkommens (Art. 16b Abs. 3) risch versichert gewesen sein. Zudem müssen sie in die- Auch Frauen, die wegen Arbeitslosigkeit im Zeitpunkt ser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstä- der Niederkunft nicht als erwerbstätig gelten oder wenn tigkeit ausgeübt haben. Der Anspruch auf die Mutter- der Arbeitsunterbruch gesundheitsbedingt ist, können schaftsentschädigung ist nicht an ein bestimmtes Min- die Anspruchsvoraussetzungen für eine Mutterschafts- dest- oder Höchstalter gebunden. Sofern sämtliche An- entschädigung erfüllen. In diesen Fällen muss sie Bezü- 204 Soziale Sicherheit CHSS 4/2004
Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes gerin eines Erwerbsersatzes sein. Bezieht eine Frau im der Niederkunft oder während des Schwangerschafts- Zeitpunkt der Niederkunft Arbeitslosenentschädigun- urlaubs, so erlischt der (restliche) Entschädigungsan- gen, wäre sie immer anspruchsberechtigt. Taggelder der spruch. Der Anspruch geht somit nicht an den Vater Invaliden-, Militär- oder der obligatorischen Unfallver- des Kindes über oder an diejenige Person, die das Sor- sicherung würden jedoch nur dann in Betracht gezogen, gerecht für das Kind erhält. Mit dem Tod der Mutter wenn sie aufgrund eines vorangegangenen Erwerbsein- entsteht nämlich der Anspruch auf Hinterlassenenren- kommens berechnet wurden. Das Gleiche gilt bei Tag- ten (Waisen und/oder Witwerrente) und es rechtfertigt geldern der sozialen oder privaten Krankenversiche- sich daher nicht, den Anspruch auf eine Mutterschafts- rung oder einer privaten Unfallversicherung. entschädigung aufrecht zu erhalten, da dies zu einer Überentschädigung führen würde. Entschädigungsanspruch entsteht am Tag der Niederkunft (Art. 16c Abs. 1) Höhe der Entschädigung (Art. 16e Abs. 1) Diese Regelung schliesst einen Vormutterschaftsur- Die Entschädigungshöhe beläuft sich auf 80 % des laub aus und ist dadurch gerechtfertigt, dass der Mut- durchschnittlichen Erwerbseinkommens, welches vor terschaftsurlaub vor allem eine Schutzmassnahme für Beginn des Entschädigungsanspruchs erzielt wurde. die Gebärende darstellt. Wie der Erwerbsersatz für Dienstleistende wird auch Ein Entschädigungsanspruch entsteht auf jeden der Erwerbsersatz bei Mutterschaft in Form eines Tag- Fall mit der Geburt eines lebensfähigen Kindes. Die geldes ausgerichtet, das für jeden Wochentag zur Aus- Schwangerschaftsdauer spielt dabei keine Rolle. Bei richtung gelangt (Samstag und Sonntag inbegriffen). Totgeburten entsteht der Anspruch nur, wenn die Diese Lösung weicht zwar von derjenigen der Arbeits- Schwangerschaft mehr als 26 Wochen gedauert hat. losenversicherung ab, findet jedoch bereits in der IV (Nach dem heutigen medizinischen Wissensstand gilt und der UV Anwendung. ein Kind, das zwischen der 23. und 25. Schwanger- Anders als bei der Entschädigung für Dienstleistende schaftswoche geboren wird, als lebensfähig.) umfasst der Erwerbsersatz bei Mutterschaft weder Kin- derzulagen, Zulagen für Betreuungskosten noch eine Möglichkeit der Ausdehnung des Betriebszulage für Selbständigerwerbende, sondern Mutterschaftsurlaubs (Art. 16c Abs. 2) nur die Grundentschädigung. Würde die Mutterschafts- Der Mutterschaftsurlaub dient nicht nur zur Erho- entschädigung gleich wie die Entschädigung für Dienst- lung der Mutter von Schwangerschaft und Niederkunft, leistende ausgestaltet, so hätte dies Mehrausgaben von sondern er soll ihr auch die nötige Zeit einräumen, sich über 160 Millionen Franken zur Folge. in den ersten Monaten intensiv um ihr Neugeborenes zu kümmern. Bei längerem Spitalaufenthalt des neu gebo- Berechnung der Entschädigung (Art. 16e Abs. 2) renen Kindes kann die Mutter daher beantragen, dass Die Grundentschädigung wird auf dem Einkommen, der bezahlte Urlaub erst dann beginnt, wenn das Kind welches die Mutter unmittelbar vor der Niederkunft er- nach Hause kommt. Der Mutterschaftsurlaub ist aber zielt hat, bemessen. Für die Bemessung des Erwerbser- auch in diesem Fall auf maximal 14 Wochen (98 Tage) satzes gelten die gleichen Grundsätze und Regeln wie nach Anspruchsbeginn beschränkt. Allerdings darf für Dienstleistende. nicht vergessen werden, dass sich bei dieser Regelung wegen des vom Arbeitsgesetz vorgeschriebenen 8-wö- Vorrang des Erwerbsersatzes bei Mutterschaft chigen Arbeitsverbots für die Mutter in gewissen Fällen (Art. 16g Abs. 1) Einkommenslücken ergeben können, da ja die EO wäh- Während des Bezugs eines Erwerbsersatzes bei Mut- rend dem Aufschub keine Leistungen erbringt und eine terschaft werden in der Regel keine Taggelder anderer Lohnfortzahlung nicht in jedem Fall gesichert ist. Hin- Sozialversicherungen ausgerichtet. Von dieser Rege- gegen kann es zu längeren Absenzen am Arbeitsplatz lung ausgenommen ist die im KVG vorgesehene frei- kommen. willige Taggeldversicherung zur Deckung des Mutter- schaftsrisikos oder im Krankheitsfall. Diese gelangen Verfall des Anspruchs bei Wiederaufnahme der Arbeit allenfalls ergänzend zur Mutterschaftsentschädigung (Art. 16d) zur Ausrichtung. Das Taggeld nach KVG unterliegt Eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit führt im- allerdings den allgemeinen Überentschädigungsbestim- mer zum Ende des Anspruchs, auch wenn die Arbeit mungen gemäss ATSG. nur teilweise wieder aufgenommen wird. Eine solche Lösung trägt dazu bei, dass der bezahlte Mutterschafts- Besitzstandsgarantie für Taggeldbezügerinnen urlaub von der Mutter auch voll ausgeschöpft wird. Ein (Art. 16g Abs. 2) Aufschieben eines Teils des Urlaubs auf einen späteren Die Taggelder, welche Erwerbseinkommen ersetzen, Zeitpunkt ist nicht möglich. Verstirbt die Mutter bei entsprechen in der Regel lediglich einem Bruchteil des Soziale Sicherheit CHSS 4/2004 205
Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes entgangenen Verdienstes. Damit nicht weitere Ein- Niederkünfte vor dem In-Kraft-Treten kommenseinbussen in Kauf genommen werden müs- (Übergangsbestimmungen) sen, wird die Mutterschaftsentschädigung in Form einer Frauen haben auch Anspruch auf eine Mutterschafts- Besitzstandsgarantie in der gleichen Höhe wie das vor- entschädigung, wenn ihr Kind zwar vor dem In-Kraft- angegangene Taggeld ausgerichtet, sofern der Betrag Treten der neuen Bestimmungen geboren wurde, aber des bis zum Antritt des Mutterschaftsurlaubes ausbe- die gesetzliche Entschädigungsdauer beim In-Kraft-Tre- zahlten Taggeldes höher ist. ten noch nicht abgelaufen ist. Die Entschädigung wird je- doch nur ab dem In-Kraft-Treten ausgerichtet. Die Zeit, Bessere Regelungen im kantonalen Recht (Art. 16h) die zwischen der Geburt und dem In-Kraft-Treten der Nachdem die Mutterschaftsversicherung in der neuen Bestimmungen verflossen ist, wird an die Gesamt- Volksabstimmung von 1999 abgelehnt wurde, sind ver- dauer des Entschädigungsanspruchs angerechnet. schiedene kantonale Mutterschaftsversicherungspro- jekte lanciert worden. Bis heute ist der Kanton Genf Verfall bestehender Versicherungsverträge für der einzige Kanton, der eine obligatorische Mutter- Mutterschaftsgeld (Übergangsbestimmungen) schaftsversicherung eingeführt hat. Auch nach der Ein- Bestehende Versicherungsverträge, die Taggelder führung eines bezahlten Mutterschaftsurlaubs auf bei Mutterschaft vorsehen, fallen beim In-Kraft-Treten Bundesebene sollen die Kantone die Möglichkeit ha- der revidierten Erwerbsersatzordnung dahin. GAV-Be- ben, eine Mutterschaftsversicherung einzuführen, die stimmungen, die Mutterschaftsleistungen vorsehen, bessere Leistungen vorsieht als die EO. Den Kantonen welche über das gesetzlich vorgeschriebene Mindest- ist es überdies freigestellt, zur Finanzierung ihrer mass hinausgehen, behalten ihre Gültigkeit. Mutterschaftsversicherung besondere Beiträge zu erhe- Jörg Reinmann, Geschäftsfeld Alter und Hinterlassene, Bereich ben. Leistungen AHV/EO/EL, BSV. E-Mail: jörg.reinmann@bsv.admin.ch 206 Soziale Sicherheit CHSS 4/2004
Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes Heutige Regelung des Schutzes bei Mutterschaft in der Schweiz Das Arbeitsgesetz regelt den arbeitsrechtlichen Schutz von Schwangeren, Wöchnerinnen und stillenden Müttern. Insbesondere wird Folgendes bestimmt: • Wöchnerinnen dürfen während acht Wochen nach der Niederkunft nicht beschäftigt werden. Mütter dürfen zwi- schen der 8. und der 16. Woche nach der Niederkunft nur mit ihrem Einverständnis beschäftigt werden. Schwangere Frauen und stillende Mütter dürfen nicht über die vereinbarte ordentliche Dauer der täglichen Ar- beit hinaus beschäftigt werden, jedoch keinesfalls über 9 Stunden hinaus. Müttern ist die zum Stillen erforderliche Zeit freizugeben. Während des ersten Lebensjahres des Kindes ist die Stillzeit im Betrieb als Arbeitszeit anzu- rechnen. Verlässt die Arbeitnehmerin den Arbeitsort zum Stillen, ist die Hälfte dieser Abwesenheit als Arbeits- zeit anzuerkennen. • Schwangere Frauen und stillende Mütter sind so zu beschäftigen und ihre Arbeitsbedingungen sind so zu gestal- ten, dass ihre Gesundheit und die Gesundheit des Kindes nicht beeinträchtigt werden. Schwangere Frauen und stillende Mütter, die bestimmte beschwerliche oder gefährliche Arbeiten nicht verrichten können, haben An- spruch auf 80 % des Lohnes, soweit ihnen keine gleichwertige Ersatzarbeit zugewiesen werden kann. Schwangere Frauen oder Mütter zwischen der 8. und der 16. Woche nach der Niederkunft dürfen nur mit ihrem Einverständnis zwischen 20 Uhr und 6 Uhr arbeiten. Schwangere Frauen dürfen ab der 8. Woche vor der Nieder- kunft zu diesen Zeiten überhaupt nicht beschäftigt werden (Nachtarbeitsverbot). Alle von diesen Bestimmungen betroffene Frauen haben Anspruch auf 80 % des Lohnes, soweit ihnen keine gleichwertige Ersatzarbeit zwischen 6 und 20 Uhr angeboten werden kann. Das Obligationenrecht regelt die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers und den Kündigungsschutz bei Mutterschaft. Die entsprechende Bestimmung ist nicht mit der Dauer des Arbeitsverbotes nach Arbeitsgesetz koordiniert. • Der Arbeitgeber hat einer Arbeitnehmerin, die wegen Schwangerschaft oder Niederkunft an der Arbeitsleistung verhindert ist, für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten. Im ersten Dienstjahr ist un- ter den genannten Voraussetzungen der Lohn für insgesamt wenigstens 3 Wochen zu entrichten, in den folgenden Dienstjahren für eine «angemessene längere Zeit». Für die Ermittlung der «angemessenen längeren Zeit» haben einzelne Arbeitsgerichte Richtlinien aufgestellt (Berner-Tabelle, Zürcher oder Basler Skala). • Der Arbeitgeber darf unbefristete Arbeitsverhältnisse mit schwangeren Frauen oder Wöchnerinnen während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft nicht kündigen. • Ist die Arbeitnehmerin wegen Schwangerschaft und Niederkunft während mehr als zwei Monaten an der Arbeits- leistung verhindert, kann der Arbeitgeber die Ferien für das einzelne Dienstjahr kürzen. Viele Gesamtarbeitsverträge kennen für die Arbeitnehmerin günstigere Regelungen und gewähren einen längeren Mutterschaftsurlaub als das gesetzliche Minimum, allerdings ist der Anspruch auch dort oft vom Dienstalter abhängig. Die Krankenversicherung übernimmt bei Mutterschaft die Kosten für die gleichen Leistungen wie bei Krankheit. Ausser diesen Kosten übernimmt die Krankenversicherung auch besondere Leistungen wie Kontrolluntersu- chungen während der Schwangerschaft, Entbindung zu Hause, in einem Spital oder einer Einrichtung der teilstatio- nären Krankenpflege, Stillberatungen und Geburtsvorbereitungskurse. Das KVG regelt auch die freiwillige Taggeldversicherung, die als Einzeltaggeldversicherung oder als Kollektiv- taggeldversicherung abgeschlossen werden kann. Das Taggeld ist bei Mutterschaft während 16 Wochen zu leisten. Alle Krankenversicherer müssen eine Einzeltaggeldversicherung anbieten, wobei das Gesetz keinen Mindestan- spruch für die Höhe des Taggeldes festlegt. Deshalb beschränken die Krankenversicherer die Einzeltaggeldversi- cherungen oft auf sehr niedrige Taggelder, welche den Erwerbsausfall nicht abdecken. Kantonale Schutzbestimmungen Mit Gesetz vom 14. Dezember 2000 hat der Kanton Genf per 1. Juli 2001 eine Mutterschaftsversicherung einge- führt. Diese gewährt Müttern nach der Geburt sowie Adoptiveltern während 16 Wochen eine Entschädigung von 80 % des massgebenden Erwerbseinkommens, mindestens aber 43 Franken im Tag. Mit der Durchführung dieser Versicherung wurden die AHV-Ausgleichskassen betraut. Es handelt sich um eine obligatorische Erwerbsersatz- versicherung, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und den Selbständigerwerbenden finanziert wird. In 10 Kantonen (LU, UR, SZ, FR, SO, VD, VS, NE, GE und JU) werden im Rahmen der Familienzulagengesetz- gebungen Geburtszulagen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer z.T. auch an Selbständigerwerbende ausge- richtet. 12 Kantone (ZH, LU, GL, ZG, FR, SH, SG, GR, AG, TI, VD und NE) kennen zudem Bedarfsleistungen, die an Mütter (und z.T. auch an Väter) bis zu einem gewissen Einkommen ausgerichtet werden und sich an das System der Ergänzungsleistungen anlehnen. Maja Jaggi, Fürsprecherin, Zentralstelle für Familienfragen, BSV. E-Mail: maja.jaggi@bsv.admin.ch Soziale Sicherheit CHSS 4/2004 207
Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes Geschichte des Schutzes bei Mutterschaft Seit dem In-Kraft-Treten der verfassungsmässigen Grundlage hat es nicht an Versuchen gemangelt, eine Mutterschaftsversicherung einzurichten. Bisher haben aber sämtliche Anläufe ihr Ziel verfehlt. Entweder wurden die entsprechenden Vorlagen schon im Vorverfahren zurückgestellt oder aber sie schafften die Hürden der parlamentarischen Verhandlungen nicht. Diejenigen Vorlagen, welche vom Parlament schliesslich verabschiedet wurden, scheiterten in den Volksabstimmungen. Angefangen haben die Bestrebungen zur Einrichtung eines sozialen Schutzes bei Mutterschaft schon im vorletzten Jahrhundert. Jörg Reinmann Chronologie einer Geschichte • 5. Oktober 1899: Die eidg. Räte verabschieden die «Lex Forrer», welche im Rahmen einer obligatorischen Kran- ken- und Unfallversicherung ein bescheidenes Mutterschaftsgeld vorsieht. Für Wöchnerinnen ist dabei ein Kran- kengeld von der Niederkunft bis zur Wiedererlangung der Erwerbstätigkeit vorgesehen, höchstens jedoch 6 Wo- chen. Dieses Gesetz wurde in der Volksabstimmung vom 20. Mai 1900 an der Urne abgelehnt. • 13. Juni 1911: Die eidg. Räte verabschieden das erste Eidg. Krankenversicherungsgesetz. Dieses schreibt bei Mut- terschaft die gleichen Leistungen vor wie bei Krankheit, und zwar während mindestens sechs Wochen. Hinzu kommt ein Stillgeld. • 25. November 1945: Volk und Stände nehmen den Familienschutzartikel 34quinquies der Bundesverfassung an, der den Bund verpflichtet, eine Mutterschaftsversicherung einzurichten. Gedacht wurde dabei sowohl an die Deckung der Pflegekosten bei Mutterschaft als auch an einen Ersatz für das ausfallende Erwerbseinkommen. • 30. April 1946: Eine Expertenkommission veröffentlicht einen Vorentwurf zu einem Bundesgesetz für eine frei- willige Mutterschaftsversicherung. Der Vorentwurf kam nicht vors Parlament, sondern wurde zu Gunsten einer späteren Revision der Krankenversicherung zurückgestellt. • 3. Februar 1954: Der Bundesrat schickt einen «Bericht und Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Kranken-, Unfall- und Mutterschaftsversicherung» in die Vernehmlassung. Die Meinungen sind so geteilt, dass lediglich eine Teilrevision der Krankenversicherung an die Hand genommen wird. • 13. März 1964: Das Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG) ersetzt das bisherige Arbeitsschutzrecht. Es sieht eine Reihe von Schutzbestimmungen vor für Schwangere, Wöchnerin- nen und stillende Mütter, die bisher nur für Frauen in Fabriken und bestimmten Kategorien von gewerblichen Be- trieben vorgesehen waren. Die Frage der Lohnentschädigung während des achtwöchigen Arbeitsverbots für Wöchnerinnen bleibt auch im neuen ArG ausgeblendet. • 1. Januar 1965: Das revidierte Kranken- und Unfallversicherungsgesetz vom 13. März 1964 tritt in Kraft. Inner- halb der nach wie vor freiwilligen Krankenversicherung werden die Leistungen bei Mutterschaft verbessert. Ins- besondere wird die Leistungsdauer von sechs auf zehn Wochen verlängert. • 21. Januar 1980: Die Volksinitiative «Für einen wirksamen Schutz der Mutterschaft» wird eingereicht. • 19. August 1981: Der Bundesrat präsentiert eine Vorlage für die Teilrevision der Krankenversicherung. • 2. Dezember 1984: Die Volksinitiative «Für einen wirksamen Schutz der Mutterschaft» wird in der Abstimmung abgelehnt. Ein wichtiger Grund für die Ablehnung dürfte der geforderte Elternurlaub von neun Monaten gewe- sen sein. • 6. Dezember 1987: Das Volk lehnt eine Teilrevision der Krankenversicherung ab. Sie sah als wichtiges Element ein Taggeld für Mutterschaft nach dem Modell der Erwerbsersatzordnung vor. • 1. Januar 1989: Das revidierte OR tritt in Kraft. Einführung eines Kündigungsschutzes im OR (Art. 336c) für die ganze Zeit der Schwangerschaft und für 16 Wochen nach der Geburt. 208 Soziale Sicherheit CHSS 4/2004
Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes • 22. Juni 1994: Der Bundesrat schickt den Vorentwurf für eine Mutterschaftsversicherung in die Vernehmlassung. Diese Vorlage beschränkt sich auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen für Arbeitnehmerinnen und selbstständig erwerbende Mütter. • 25. Juni 1997: Der Bundesrat verabschiedet die Botschaft für eine Mutterschaftsversicherung. Vorgesehen sind ein Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen mit einer Entschädigung von 80 % des versicherten Verdienstes, finan- ziert durch 0,2 Lohnprozente, sowie eine einmalige Grundleistung für Mütter in bescheiden wirtschaftlichen Ver- hältnisse, finanziert durch allgemeine Bundesmittel. • 18. Dezember 1998: Die eidg. Räte nehmen das Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung an. • 13. Juni 1999: Das Volk lehnt an der Urne das Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung ab. • 15. Juni 2001: Der Bundesrat schickt zwei Vorschläge für einen bezahlten Mutterschaftsurlaub in die Vernehm- lassung. Vorgeschlagen wird eine Regelung im Obligationenrecht. Die beiden Varianten unterscheiden sich in der Dauer des Lohnanspruchs. • 20. Juni 2001: Die von Pierre Triponez eingereichte parlamentarische Initiative «Revision Erwerbsersatzgesetz. Ausweitung der Erwerbsersatzansprüche auf erwerbstätige Mütter» fordert, anspruchsberechtigten Müttern wäh- rend 14 Wochen eine Erwerbsersatzentschädigung zu gewähren. Die Grundentschädigung soll 80 % des Einkom- mens, welches vor dem Erwerbsausfall erzielt wurde, betragen. Der parlamentarischen Initiative Triponez gingen seit der letzten Ablehnung der Mutterschaftsversicherung vom 13. Juni 1999 eine Reihe anderer parlamentarischer Vorstösse zum gleichen Thema voraus. Zum Ausdruck kam, dass eine grosse Mehrheit der politischen Kräfte darauf drängte, rasch eine Lösung für den noch nicht eingelösten Verfassungsauftrag zu finden. Die Meinungen über die Ausgestaltung gingen allerdings weit auseinander. Die Vor- schläge reichten von einer Lösung nach dem Obligationenrecht (OR) bis zu einer reinen Versicherungslösung. Auch die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates reichte eine Motion «Mutter- schaftsschutz und Mischfinanzierung» ein, die von beiden Räten überwiesen wurde. Das Modell sah dabei einen 14- wöchigen Mutterschaftsurlaub vor, wobei die ersten 8 Wochen durch Lohnfortzahlungen des Arbeitgebers abge- deckt gewesen wären und die restlichen 6 Wochen durch die Erwerbsersatzordnung. Der Bundesrat lehnte indessen zu diesem Zeitpunkt eine Lösung mit Versicherungscharakter ab. Im Juni 2001 schickte er deshalb zwei Vorschläge für die Revision des OR in die Vernehmlassung. Die vom Bundesrat vorgeschlagene OR-Lösung stiess in der Ver- nehmlassung allerdings auf breite Ablehnung. Insbesondere die Arbeitgeber wehrten sich dagegen, alleine die Kos- ten für den Mutterschaftsurlaub übernehmen zu müssen. Der Bundesrat hat schliesslich die Vorlage für eine reine OR-Lösung zugunsten der parlamentarischen Initiative Triponez zurückgestellt. Soziale Sicherheit CHSS 4/2004 209
schwerpunkt Schwerpunkt Revision des Erwerbsersatzgesetzes Entschädigungen für Dienstleistende verbessern Gleichzeitig mit der Einführung des bezahlten Mutter- Reduktion der Kinderzulage auf 8 % (Art. 13) schaftsurlaubes werden Lohnersatz und Entschädigun- Nach dem heutigen Recht4 beträgt die Kinderzulage 20 % des Höchstbetrages der Gesamtentschädigung für gen von Dienstleistenden (Militär- und Zivildienst, das 1. Kind und 10 % für alle weiteren Kinder (d.h. 43 Fr. Zivilschutz) verbessert sowie die EO-Leistungen an die bzw. 22 Fr./Tag). Sofern nun die gegenwärtige Höhe der Armee XXI und die Bevölkerungsschutzreform ange- Kinderzulage auch bei einer Grundentschädigung von passt. Im Sinne einer Gleichstellung sowie einer 80 % des massgebenden Verdienstes beibehalten wor- Harmonisierung der Taggelder mit dem Unfall- und den wäre, so wären Personen mit Kindern in den meisten Fällen in den Genuss eines 100 %igen Erwerbsersatzes Invalidenversicherungsgesetz wird die Entschädigung gelangt. Um eine solche weitreichende Überkompensa- der Dienstleistenden von 65 auf 80 % des massge- tion zu vermeiden, welche die Ausgaben um ca. 21 Milli- benden Erwerbseinkommens angehoben. Ausgenom- onen Franken erhöht hätte, hat das Parlament beschlos- men sind die Rekruten sowie Zivildienstleistende sen, die Kinderzulage auf 8 % des Höchstbetrages der während einer ersten Dienstzeit, die der Länge der Gesamtentschädigung zu senken, d.h. auf 18 Franken pro Tag und Kind, und die Abstufung nach Kinderzahl Rekrutenschule entspricht. Die Kosten für diese somit aufzuheben. Verbesserungen belaufen sich auf 92 Mio. Franken. Jörg Reinmann Erhöhung der Rekrutenentschädigung (Art. 9 Abs. 1) Mit dem In-Kraft-Treten der Armee XXI wurde für Erhöhung der Grundentschädigung von 65 auf 80 % das Gros der Rekruten die Rekrutenschule von 15 auf 21 (Art. 10 Abs. 1) Wochen verlängert. Kinderlose Rekruten erhalten zur Mit der auf den 1. Juli 1999 in Kraft getretenen 6. Re- Zeit eine einheitliche Grundentschädigung von 43 Fran- vision über die Erwerbsersatzordnung für Dienstleis- ken pro Tag5 und zwar unabhängig davon, ob sie vor dem tende in Armee, Zivildienst und Zivilschutz wurde na- Einrücken eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben. Das mentlich die Grundentschädigung zivilstandsunabhän- Parlament war sich bewusst, dass dieser Betrag nicht gig ausgestaltet und auf 65 % des vordienstlichen Ein- mehr den heutigen Gegebenheiten von jungen Leuten kommens festgelegt sowie eine Zulage für Kinder- entspricht. Gemäss Jahresbericht 2003 des Sozialdienstes betreuungskosten eingeführt und die Entschädigungs- der Armee hat ein Sechstel aller Rekruten während der sätze angehoben. Mit der Umsetzung der parlamentari- Rekrutenschule finanzielle Probleme und ist auf die schen Initiative Triponez wird nun die Entschädigung Hilfe des Sozialdienstes der Armee angewiesen. Durch für Dienstleistende1 allgemein auf 80 % des vordienst- eine Anhebung des Mindestsatzes auf 25 % der Gesamt- lichen Erwerbseinkommens angehoben. Sowohl für entschädigung kann die finanzielle Situation der kinder- Normal- als auch für Beförderungsdienste gelten künf- losen Rekruten wesentlich verbessert werden. Der Ein- tig die gleichen allgemeinen Entschädigungsansätze. heitsbetrag für kinderlose Rekruten wird neu 54 Fran- Die Mindestentschädigung hat dabei für kinderlose ken im Tag bzw. 1620 Franken im Monat betragen. Da- Dienstleistende mindestens 54 und höchstens 172 Fran- neben erhalten sie Sold und freie Verpflegung. ken pro Tag zu betragen. Für Personen im Gradände- Rekruten mit Unterstützungspflichten gegenüber rungsdienst beträgt die tägliche Grundentschädigung Kindern erhalten weiterhin eine aufgrund des vor- mindestens 97 Franken2. Von der Erhöhung der Grundentschädigung für 1 Davon ausgenommen sind kinderlose Stellungspflichtige, Rekruten, Schutzdienstleistende während der Grundausbildung sowie Zivildienst- Dienstleistende profitiert auch die Wirtschaft. Dies ist leistende während der Anzahl anrechenbaren Diensttage, die der überall dort der Fall, wo der Arbeitgeber aufgrund ver- Dauer einer Rekrutenschule entspricht. Sie haben generell Anspurch auf die Einheitsentschädigung von 54 Franken pro Tag. traglicher Bestimmungen (z.B. GAV) die Differenz 2 Davon ausgenommen sind Durchdiener-Unteroffiziere. Sie haben nach zwischen der EO-Entschädigung und dem ordentlichen der Grundausbildung bis am Ende der Dienstleistung mindestens An- Lohn übernimmt, oder wenn der Arbeitgeber aufgrund spruch auf eine Grundentschädigung von 80 Franken pro Tag. 3 Vgl. Art. 324a Abs. 1 und 324b Abs. 2 OR der obligationenrechtlichen Bestimmungen dem Ar- 4 Seit 1. Juli 1999, Einführung der 6. EO-Revision beitnehmer die Differenz zwischen der EO-Entschädi- 5 20 % des Höchstbetrages der Gesamtentschädigung gung und 80 % des vor der Dienstleistung bezogenen 6 Zuzüglich max. 2 Tage für Eignungs- und Fachprüfung, also maximal Lohnes zu zahlen hatte3. fünf Tage 210 Soziale Sicherheit CHSS 4/2004
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