Praktischer Umgang mit allergischen Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe
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Übersicht Allergo J Int 2021; 30: XXX Praktischer Umgang mit allergischen Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe Ein Positionspapier des Ärzteverbands Deutscher Allergologen (AeDA), der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA) und der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI) Ludger Klimek1*, K arl-Christian Bergmann2,3*, Randolf Brehler4*, Wolfgang Pfützner5*, Torsten Zuberbier2,3, K arin Hartmann6, Thilo Jakob7, Natalija Novak8, Johannes Ring9, Hans Merk10; Eckard Hamelmann11, Tobias Ankermann12, Sebastian Schmidt13, Eva Untersmayr14, Wolfram Hötzenecker15, Erika Jensen-Jarolim16,17, Knut Brockow9, Vera Mahler18, Margitta Worm19 Schlüsselwörter 1Zentrum für Rhinologie und Allergologie, Wiesbaden, Deutschland; 2Klinik für Dermatologie, Venerologie und SARS-CoV-2, Allergie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland; 3Berlin Institute of Health, Charité – COVID-19, Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland; 4Ambulanz für Allergologie, Berufsdermatologie und BNT162b2, Umweltmedizin, Allgemeine Dermatologie und Venerologie, Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum mRNA-1273, Münster, Münster, Deutschland; 5Klinik für Dermatologie und Allergologie, Universitätsklinikum Marburg, UKGM, Anaphylaxie, Philipps Universität Marburg, Marburg, Deutschland; 6Klinik für Dermatologie und Allergologie, Universitätsspital Basel, Universität Basel, Basel, Schweiz; 7Klinik für Dermatologie und Allergologie, Universitätsklinikum Gießen, allergische UKGM, Justus Liebig Universität Gießen, Gießen, Deutschland; 8Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Reaktion, Allergologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland; 9Klinik und Poliklinik für Dermatologie und mRNA-Impfstoff Allergologie am Biederstein, Technische Universität München, München, Deutschland; 10Klinik für Dermatologie und Allergologie, Universitätsklinikum RWTH Aachen, Aachen, Deutschland; 11Kinder- und Jugendmedizin, Kinderzentrum Bethel, Universitätsklinikum OWL, Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland; 12Klinik für Kinder und Jugendmedizin, Städtisches Krankenhaus Kiel GmbH, Kiel, Deutschland; 13Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Deutschland; 14Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung, Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich; 15Klinik für Dermatologie und Venerologie, Allergiezentrum, Kepler Universitätsklinikum GmbH, Linz, Österreich; 16Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung, Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich; 17Interuniversitäres Messerli Forschungsinstitut Wien, Wien, Österreich; 18Paul-Ehrlich-Institut, Langen, Deutschland; 19Allergologie und Immunologie, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Eingang 21. Januar 2021 Zusammenfassung Annahme Hintergrund: Zur vorbeugenden Behandlung von stoffplattformen studiert, die noch nie zuvor am 25. Januar 2021 COVID-19 (Coronaviruserkrankung 2019) wurden Menschen eingesetzt wurden. Weniger als ein Jahr in einer beispiellosen weltweiten Forschungsan- nach der Entdeckung der SARS-CoV-2-Virus Englische Fassung strengung Sicherheit und Wirksamkeit neuer Impf- sequenz (SARS-CoV-2, „severe acute respiratory https://link.springer. com/journal/40629 *Die ersten vier Autoren sind gemeinsame Erstautoren. 22
Allergo J Int 2021; 30: XXX syndrome coronavirus type 2“) wurden diese in Ergebnisse: Basierend auf der internationalen Li- zahlreichen Ländern für den Einsatz zugelassen teratur und bisheriger Erfahrungen zu schweren und es wurde mit Massenimpfungen begonnen. Die allergischen Reaktionen im Kontext der COVID- bislang in der Europäischen Union (EU) zugelasse- 19-Impfungen werden von einem Expertengre nen mRNA-Impfstoffe (mRNA, „messenger“-RNA) mium Empfehlungen für Prophylaxe, Diagnostik gegen SARS-CoV-2 BNT162b2 und mRNA-1273 und Therapie dieser allergischen Reaktionen gege- basieren auf einer ähnlichen lipidbasierten Nano ben. partikelträgertechnologie; die Lipidkomponenten Schlussfolgerung: Vor einer COVID-19-Impfung unterscheiden sich jedoch. Schwere allergische Re- mit den derzeit zugelassenen Impfstoffen sind All- aktionen und Anaphylaxien nach COVID-19-Imp- ergietests für die allermeisten Allergiker nicht not- fungen sind sehr seltene unerwünschte Nebenwir- wendig. Bei allergischer/anaphylaktischer Reaktion kungen, die aber aufgrund potenziell letaler Aus- auf den verabreichten COVID-19-Impfstoff wird gänge viel Aufmerksamkeit erhalten und ein hohes eine allergologische Abklärung empfohlen, wie Maß an Verunsicherung ausgelöst haben. auch für eine kleine potenzielle Risikopopulation Methoden: Das aktuelle Wissen zu anaphylakti- vor der ersten Impfung. Die Evaluierung und Zu- schen Reaktionen auf Impfstoffe und speziell zu den lassung von Testverfahren sollten hierfür erfolgen. derzeit neuen mRNA-COVID-19-Impfstoffen wur- de zusammengestellt mittels einer Literaturanalyse Zitierweise: Klimek L, Bergmann K-C, Brehler R, durch Recherchen in Medline, Pubmed sowie den Pfützner W, Zuberbier T, Hartmann K, Jakob T, nationalen und internationalen Studien- und Leit- Novak N, Ring J, Merk H; Hamelmann E, Anker- linienregistern, der Cochrane Library und dem In- mann T, Schmidt S, Untersmayr E, Hötzenecker W, ternet unter besonderer Berücksichtigung offizieller Jensen-Jarolim E, Brockow K, Mahler V, Worm M. Webseiten der World Health Oranization (WHO), Practical Handling of Allergic Reactions to COVID- der Centers for Disease Control and Prevention 19 vaccines. A Position Paper from German and (CDC), der European Medicines Agency (EMA), Austrian Allergy Societies AeDA, DGAKI, GPA and des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Paul-Ehr- ÖGAI. Allergo J Int 2021;30:xxx–xxy lich-Instituts (PEI). https://doi.org/10.1007/s40629-021-00165-7 Einleitung rung des gewünschten Proteins, die Proteinbiosyn- Impfungen gelten zu Recht als Goldstandard in der these findet aber in der humanen Wirtszelle statt. Immunprophylaxe von Infektionskrankheiten. Frü- Allergische und auch anaphylaktische Reaktionen here Strategien zur Massenimpfung waren erfolgreich auf die Wirkstoffe eines Impfstoffs selbst oder auf und haben zur vollständigen Elimination schwerer andere Bestandteile des Impfpräparates gehören zu Infektionskrankheiten (u. a. Pocken, Polio) geführt. den potenziellen Risiken jedes Impfprodukts [5, 6]. In der SARS-CoV-2-Pandemie (SARS-CoV-2, Anaphylaktische Reaktionen traten kurze Zeit „severe acute respiratory syndrome coronavirus type nach Beginn der Impfungen mit BNT162b2 und 2“) wurden und werden Forschungsanstrengungen mRNA-1273 in UK, Kanada und den USA auf [7, 8, zur Aufklärung der Immunpathologie und Ent- 9, 10]. wicklung von Impfstoffen in einem nie zuvor ge- Allergische Reaktionen auf Impfstoffe allgemein, kannten Ausmaß und einer nie erreichten Ge- einschließlich schwerer Anaphylaxien, können IgE- schwindigkeit durchgeführt [1, 2]. vermittelt, aber auch IgG- und Komplement-vermit- Im Dezember 2020 wurde mit BNT162b2 (Fa. telt sein. In der Regel treten Anaphylaxien innerhalb BioNTech-Pfizer, Handelsname Comirnaty®) der der ersten 30 Minuten nach der Impfung auf [5, 6]. erste mRNA-Impfstoff in Großbritannien (UK) zur Zu den Symptomen gehören Urtikaria mit gene- Prävention der Coronaviruserkrankung 2019 (CO- ralisiertem Juckreiz, Erytheme, Angioödeme, ins- VID-19) zugelassen, kurze Zeit später erfolgten die besondere auch Schwellungen im Zungen- und Zulassungen auch in USA, Kanada, der EU und vie- Larynxbereich, asthmatische Beschwerden mit len anderen Ländern weltweit und mit mRNA-1273 Keuchen, Husten und Dyspnoe, im Weiteren auch (Fa. Moderna) auch für einen weiteren mRNA- Tachykardie, Hypotonie, Schwindel und Erbrechen: Impfstoff. Beide Impfstoffe sind Lipid-Nanoparti- Im Maximalfall können anaphylaktische Reaktio- kel-formulierte, Nukleosid-modifizierte mRNA- nen letal ausgehen. Im Zusammenhang mit der Ver- Impfstoffe, die das Präfusions-Spike-Glykoprotein abreichung der in der EU zugelassenen COVID- von SARS-CoV-2 kodieren [3, 4]. 19-Impfstoffe ist bislang weltweit kein Todesfall in- mRNA-Impfstoffe verwenden die „messenger“- folge anaphylaktischer Reaktionen berichtet wor- oder Boten-Ribonukleinsäure (RNA) zur Codie- den. Schwere anaphylaktische Reaktionen auf Impf- 23
Übersicht Praktischer Umgang mit allergischen Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe Allergo J Int 2021; 30: XXX stoffe sind sehr selten und die Rate wurde auf 1,31 wünschte Ereignisse an das Vaccine Adverse Event (95 %-Konfidenzintervall [KI]: 0,90–1,84) pro Mil- Reporting System (VAERS) gemeldet. Darunter lion Impfstoffdosen geschätzt [5]. wurden 175 Fallberichte aufgrund der Beschreibung von Anzeichen und Symptomen als mögliche Fälle „Morbidity and Mortality Weekly Report“ einer schweren allergischen Reaktion, einschließ- Ein „Morbidity and Mortality Weekly Report“ der lich Anaphylaxie, zur weiteren Überprüfung iden- US Centers for Disease Control and Prevention tifiziert. Der Bericht stellt fest, dass 21 dieser Fälle (CDC) beschreibt allergische Reaktionen einschließ die Falldefinitionskriterien für Anaphylaxie erfüll- lich Anaphylaxie nach Erhalt der ersten Dosis des ten, was einer geschätzten Rate von 11,1 Fällen pro Impfstoffs BNT162b2 in den USA [11]. eine Million verabreichter Dosen entspricht. Das Vom 14. bis zum 23. Dezember 2020 wurden nach mediane Intervall vom Erhalt des Impfstoffs bis Verabreichung von 1.893.360 Erstdosen des Impf- zum Auftreten der Symptome betrug 13 Minuten stoffs BNT162b2 insgesamt 4.393 (0,2 %) uner- (2–150 Minuten). Bei den meisten der Patienten (71,4 %) traten die Symptome innerhalb von 15 Minuten auf, bei 14,3 % innerhalb von 15 bis 30 Minuten und bei 14,3 % nach Ablauf der 30 Minu- Abkürzungen ten [11]. In 19 von 21 (90 %) Fällen wurden die Patienten AIT Allergen-Immuntherapie mit Adrenalin behandelt, vier Patienten (19 %) BAT Basophilen-Aktivierungs-Test mussten hospitalisiert werden (davon drei auf einer CARPA Komplementaktivierungs- Intensivstation), und 17 (81 %) wurden in einer Not- bedingte Pseudoallergie aufnahme behandelt. Es wurden keine Todesfälle CDC Center for Disease Control and durch Anaphylaxie nach Erhalt von BNT162b2 Prevention gemeldet. COVID-19 Coronaviruserkrankung 2019 Dem Bericht zufolge hatten 17 (81 %) der 21 Pati- enten mit Anaphylaxie eine dokumentierte Vor CRSwNP Chronische Rhinosinusitis mit geschichte von Allergien oder allergischen Reaktio Polyposis nasi nen, einschließlich auf Medikamente oder medizi- EMA European Medicines Agency nische Produkte, Lebensmittel und Insektenstiche. FDA United States Food and Drug Darüber hinaus hatten sieben Patienten (33 %) eine Administration positive Anamnese für Anaphylaxien in der Ver- HR Hypersensitivitätsreaktion gangenheit, darunter einer nach einer Tollwut IFN Interferon impfung und ein weiterer nach einer Influenza A(H1N1)-Impfung. KI Konfidenzintervall Darüber hinaus stellt der Bericht fest, dass die LNP Lipid-Nanopartikel Fälle nach Erhalt von Dosen aus mehreren unter- MHRA Medicines and Healthcare schiedlichen Impfstoff-Chargen auftraten. Des Wei- Products Regulatory Agency teren wurden 83 Fälle von nicht anaphylaktischen mRNA Messenger-RNA allergischen Reaktionen nach der Impfung mit BNT162b2 dokumentiert – mit Symptombeginn in- NSAID Nicht steroidale Antiphlogistika nerhalb eines Tages, von denen 72 (87 %) als nicht PEG Polyethylenglykol schwerwiegend eingestuft wurden. Zu den am häu- PEI Paul-Ehrlich-Institut figsten berichteten Symptomen gehörten Juckreiz, RKI Robert Koch-Institut Hautausschlag, pharyngealer Juckreiz und Irritatio nen und leichte Atemwegssymptome. EMA (Euro- RNA Ribonukleinsäure pean Medicines Agency), CDC und FDA (United SARS-CoV-2 Severe acute respiratory States Food and Drug Administration) werden wei- syndrome coronavirus type 2 terhin eine verstärkte Überwachung auf Anaphyla- SCIT Subkutane Immuntherapie xie bei Empfängern von COVID-19-Impfstoffen S-Glykoprotein Spike-Glykoprotein durchführen [11, 12]. SLIT Sublinguale Immuntherapie Mögliche Anaphylaxie-auslösende TLR Toll-Like-Rezeptor Inhaltsstoffe in den VAERS Vaccine Adverse Event Reporting mRNA-COVID-19-Impfstoffen System Die aktuell in westlichen Industrieländern WHO World Health Oranization kommerziell verfügbaren COVID-19-Impfstoffe BNT162b2 und mRNA-1273 enthalten keine der 24
Allergo J Int 2021; 30: XXX „klassischen“ Allergie-induzierenden Komponenten gischer Hypersensitivitätsreaktionen (HR) fungieren. wie Gelatine, Hühnerei- oder Kuhmilchproteine So kann sowohl einzel- als auch doppelsträngige (hauptsächlich verantwortlich für Soforttypreakti- RNA das angeborene Immunsystem stimulieren, bei- onen), Thiomersal (organische Quecksilberverbin- spielsweise über die Toll-Like-Rezeptoren TLR 3 und dung), Aluminium, Phenoxyethanol oder Form TLR 7/8 und zur exzessiven Freisetzung unterschied- aldehyd (hauptsächlich verantwortlich für Spättyp licher immunaktivierender Zytokine führen [17]. reaktionen). Reste antimikrobieller Substanzen wie Des Weiteren können Liposomen in Abhängigkeit Neomycin oder Substanzen wie Latex, Hefen und von Größe, Zusammensetzung, Aufbau und Ober- Dextran sind soweit bekannt nicht enthalten und flächenladung das angeborene, aber auch das erwor- auch Konservierungsmittel oder sonstige Zusatz- bene Immunsystem aktivieren und die Bildung von stoffe werden nicht benötigt [3, 4, 7, 9]. Daher ist zu- Antikörpern gegen spezifische Bestandteile induzie- nächst zu klären, welche Bestandteile von BNT162b2 ren [15, 18]. Sodann sind auch Hilfsstoffe in der Lage und mRNA-1273 (Tab. 1) generell Anaphylaxien HR auszulösen [19]. Eine besondere Rolle könnte in auslösen können. diesem Zusammenhang PEG spielen. Beide Impfstoffe bestehen aus Nukleosid-modifi- PEGylierte Lipidnanopartikel sind in beiden zierter mRNA, die für das virale Spike(S)-Glyko- Impfstoffen enthalten und es ist beschrieben, dass protein von SARS-CoV-2 kodiert. Diese SARS-CoV- anaphylaktische Reaktionen selten durch PEG aus- 2-Virus-mRNA ist in Lipidnanopartikel (LNP) ver- gelöst werden können [7, 9, 20, 21, 22, 23, 24, 25], packt, die helfen, die mRNA in die humanen Zellen obwohl es in vielen Medikamenten und Alltagspro- zu transportieren. Die liposomale Hülle besteht im dukten enthalten ist. Wesentlichen aus Phospholipiden (häufig modifi- Etabliert sind auch verschiedene mit PEG konju- ziert durch inkorporierte Cholesterole), welche den gierte (PEGylierte) biopharmazeutische Wirkstoffe, im wässrigen Milieu befindlichen RNA-Impfstoff in denen PEG und Wirkstoff chemisch verbunden umschließen [15]. Diese als Lipidnanopartikel be- sind. Bemerkenswerterweise fand PEG auch schon zeichneten Hilfsstoffe, die sowohl als Träger als Verwendung in Präparaten zur Allergen-Immun- auch als Stabilisator der RNA dienen, sind zum Teil therapie (AIT) [26]. So zeigte eine frühere Studie, PEGyliert, das heißt kovalent an Polyethylenglykol dass 50 % der Patienten, die eine subkutane AIT mit (PEG) 2.000 gebunden, das unter anderem eine ste- PEGylierten AIlergenextrakten zur Behandlung rische Barriere gegen vorschnellen Abbau der Lipo- von Allergien gegen Ambrosiapollen oder Bienen- somen durch das retikuloendotheliale System bildet gift erhielten, gegen PEG gerichtete Antikörper ent- [16]. Die LNP wirken zusätzlich auch als immunver- wickelten. Diese waren vornehmlich vom IgM-Typ, stärkendes Adjuvans. Die LNP sind „PEGyliert“ – wobei eine klinische Relevanz nicht festgestellt wer- chemisch an PEG-Moleküle gebunden, die die Au- den konnte [26]. Patienten, die zuvor mit PEG in ßenseite der Partikel bedecken und ihre Stabilität Berührung gekommen sind, können Antikörper und Lebensdauer erhöhen. gegen PEG aufweisen, was sie dem Risiko einer ana- Prinzipiell können diese Komponenten einzeln phylaktischen Reaktion auf den Impfstoff aussetzen oder in Kombination als Induktoren immunolo könnte [7, 9, 21]. Tab. 1: In BNT162b2 und mRNA-1273 aufgeführte Inhaltsstoffe (nach [13, 14]) BNT162b2 mRNA-1273 Nukleosid-modifizierte mRNA, die für das virale Spike(S)-Glykoprotein von Nukleosid-modifizierte mRNA, die für das virale Spike(S)-Glykoprotein von SARS-CoV-2 kodiert SARS-CoV-2 kodiert 2([Polyethylenglycol]-2000)-N,N-ditetradecylacetamid Polyethylenglycol (PEG) 2000 dimyristoyl glycerol (DMG) 1,2-distearoyl-sn-glycero-3-phosphocholin 1,2-distearoyl-sn-glycero-3-phosphocholin Cholesterin Cholesterin (4-hydroxybutyl)azanediyl)bis(hexan-6,1-diyl)bis(2-hexyldecanoat) SM-102 (Patent von Moderna) Kaliumchlorid Tromethamin Monobasisches Kaliumphosphat Tromethaminhydrochlorid Natriumchlorid Essigsäure Dibasisches Natriumphosphat – Dihydrat Natriumacetat Saccharose Saccharose 25
Übersicht Praktischer Umgang mit allergischen Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe Allergo J Int 2021; 30: XXX PEG unterschiedlicher Kettenlänge werden in spezialisierte Zentren beschränkt und nicht Teil der zahlreichen alltäglichen Produkten wie beispiels- Routinediagnostik [23, 24, 27, 28, 29, 33, 34]. weise Zahnpasta, Zahnseide, Zahn-Bleachings, Die Auslösung von anaphylaktischen HR durch Shampoos, Kosmetikprodukten, kosmetisch-der- PEG-spezifische IgM-/IgG-Antikörper [18] kann matologischen Fillern, Vitaminpräparaten und auch im Rahmen einer Komplementaktivierungs- Lutschbonbons als Verdickungs- oder Lösungs- bedingten Pseudoallergie (CARPA) stattfinden, die mittel, Weichmacher oder Feuchtigkeitsträger ver- vor allem durch Medikamente auf Nanopartikel wendet und sie werden seit Jahrzehnten als basis ausgelöst wird (die oft PEGyliert sind) [35]. Abführmittel zur Vorbereitung bei Coloskopien Bindungen von Anti-PEG-IgG und -IgM an die (Macrogol) eingesetzt. Des Weiteren kommen sie Liposomen mit anschließender Komplementakti- in einer Vielzahl an Arzneimitteln wie A ntibiotika, vierung wurden beschrieben [18, 35]. Analgetika, Antiemetika, Antiepileptika, Anti Unabhängig von der PEGylierung haben Liposo- depressiva, Antikoagulantien, ja selbst in anti men das Potenzial, Komplement unspezifisch zu ak- allergischen Medikamenten wie Glukokortikoid- tivieren, abhängig von ihrer Oberflächenstruktur präparaten und Antihistaminika vor, ebenso in im und an diese gebundenen Bestandteile sowie ihrer medizinischen Bereich eingesetzten Produkten Ladung. Wichtige Mediatoren sind hier die Kom- wie Desinfektionsmittel oder Ultraschallgelen. plementprodukte C3a, C4a und C5a (Anaphyla Auch eine zunehmende Anzahl von Biopharma- toxine) [18]. zeutika und Biologika enthält PEGylierte Verbin- Möglicherweise kreuzreagierende Substanzen dungen [27, 28]. zu PEG umfassen Polysorbat, Poloxamere, PEG- PEG sind hydrophile Polyetherverbindungen, die Stearate, Lauromacrogol und PEG-Stearyl/Cetyl- zahlreiche Synonyme haben (z. B. Macrogol). Das Ether (Tab. 2). Insbesondere für Polysorbat hat die Molekulargewicht der verschiedenen PEG variiert US-amerikanische CDC einen Warnhinweis für von 300 g/mol bis 35.000 g/mol und Überempfind- potenzielle Reaktionen definiert [36]. Die CDC lichkeitsreaktionen können auf PEG aller Moleku- sieht bei einer allergischen Reaktion vom Sofort- largewichte auftreten, wobei sowohl Sofort- als auch typ jeglichen Schweregrades auf Polysorbat eine Spättypreaktionen beschrieben wurden [20, 23, 24, Kontraindikation für die bislang verfügbaren 27, 28]. m RNA-Impfungen. Diese Patienten sollten nicht HR auf PEG im Sinne von durch Antikörper aus- mit mRNA-Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 ge- gelösten Anaphylaxien können entweder durch impft werden [37]. PEG-spezifische IgE- oder aber IgM/IgG-Antikör- Zusätzlich und im Gegensatz zum Impfstoff per ausgelöst werden [8]. IgE-vermittelte Anaphy- BNT162b2 enthält mRNA-1273 Tromethamin, auch laxien wurden in mehreren Kasuistiken beschrie- Trometamol genannt (Summenformel: C4H11NO3) ben und vornehmlich über positive Pricktestreak- [3]. Tromethamin ist ein organisches Amin, das in tionen und entsprechend positive Provokationstests verschiedenen Medikamenten zur topischen, ente- nachgewiesen [23, 24, 29, 30, 31, 32]. ralen oder parenteralen Verabreichung [38, 39] und PEG-spezifische IgE-Antikörper konnten in auch in kosmetischen Produkten als Emulgator ver- Seren von Patienten mit PEG-induzierter Anaphy- wendet wird. Es wurden sowohl Kontaktallergien laxie nachgewiesen werden, IgE-vermittelte Aller- als auch Allergien vom Soforttyp gegen Trometha- gien scheinen jedoch nicht allein für Reaktionen auf min beschrieben und auch Anaphylaxien bei PEG verantwortlich zu sein. [23, 27, 28, 29, 33]. Der Verwendung als Hilfsstoff in iodierten Röntgen Einsatz des Basophilen-Aktivierungs-Tests (BAT) kontrastmitteln und Kontrastmitteln auf Gadolini- wurde ebenfalls beschrieben, ist jedoch bislang auf umbasis [38, 39, 40]. Tab. 2: PEG-haltige Arzneimittel und potenziell kreuzreaktive Substanzen PEG-haltige Arzneimittel PEG-kreuzreaktive Substanzen Laxantia (z. B. Laxofalk®, Movicol®, Molaxole®) Polysorbate (z. B. Polysorbat 80, E4331) PEG-liposomale Arzneimittel (z. B. Caelyx®, Wirkstoff Doxorubicin) Poloxamere (z. B. Pluronic®; Kolliphor®) Aetoxysklerol® (Lauromacrogol 400) PEG-Stearate (z. B. Tagat®) verschiedenste Tabletten und Kapseln Lauromacrogol (z. B. Aetoxysklerol®, Anaesthesulf®) PEG-Interferon-ß-1a (Plegridy®) PEG-Stearyl/Cetyl-Ether (z. B. Brij®) Vorkommen in Eiscreme [75] 1 PEG, Polyethylenglykol 26
Allergo J Int 2021; 30: XXX Welche Substanzen tatsächlich für die Auslösung erwünschten Arzneimittelwirkungen waren Reaktio der beobachteten Anaphylaxien verantwortlich nen an der Injektionsstelle (84,1 %), Müdigkeit (62,9 %), sind, ist zum gegebenen Zeitpunkt nicht geklärt. Kopfschmerzen (55,1 %), Muskelschmerzen (38,3 %), Schüttelfrost (31,9 %), Gelenkschmerzen (23,6 %) und Ergebnisse aus klinischen Studien zu den Fieber (14,2 %) [4]. Schmerzen an der Injektionsstelle mRNA-COVID-19-Impfstoffen als die häufigste unerwünschte Lokalreaktion klan- BNT 162b2 gen innerhalb von ein bis zwei Tagen ab. An systemi- Wie bereits dargestellt ist BNT162b2 ein an schen Nebenwirkungen traten Müdigkeit (3,8 %) und LNP-formulierter, Nukleosid-modifizierter mRNA Kopfschmerzen (2,0 %) am häufigsten auf [4]. Impfstoff. Während die LNP dazu beitragen, die In Großbritannien wurden nach der Impfung mit mRNA vor enzymatischem Abbau zu schützen BNT162b2 einige Fälle von Anaphylaxie gemeldet. und eine effiziente zelluläre Aufnahme zu gewähr- Die britische Behörde (Medicines and Healthcare leisten, dämpft die N-Methylpseudouridin(m1Ψ)- Products Regulatory Agency, MHRA) warnte i nitial Nukleosidmodifikation die Immunsensibilisie- vor einer Impfung von Patienten mit einer vorbe- rung und unterstützt die erhöhte RNA-Translation kannten anaphylaktischen Reaktion auf einen in vivo. Der Impfstoff kodiert in voller Länge für Impfstoff, ein Medikament oder ein Lebensmittel. das SARS-CoV-2-S-Glykoprotein [41]. Aufgrund fehlender Evidenz zog die MHRA diesen In der Phase-I-Studie zeigte sich eine gute Sicher- Warnhinweise am 30.12.2020 zurück. FDA, MHRA heit für BNT162b2 mit leicht bis mäßig ausgepräg- und EMA haben die Überwachung anaphylakti- ten Lokalreaktionen (Schwellung und Schmerzen scher Reaktionen in ihren Pharmakovigilanzplan an der Injektionsstelle) und milden systemischen aufgenommen. Reaktionen (meist Fieber bei bis zu 17 % der Teil- nehmer) [42]. mRNA-1273 Die BNT162b2-Phase-II/III-Studie begann im mRNA-1273 ist ein nukleotidbasierter Impfstoff- Juli 2020 mit ursprünglich geplanten 30.000 Teil- kandidat, der für eine präfusionsstabilisierte Form nehmern im Alter von 18 bis 85 Jahren, durch eine des SARS-CoV-2-S-Proteins in voller Länge kodiert. Protokolländerung wurde dann jedoch die Rekru- Aufgrund der labilen Natur der mRNA wird sie ein- tierungszahl auf 44.000 Teilnehmer erweitert und gekapselt und über einen LNP abgegeben. Nach der die Einschlussgrenze auf zwölf Jahre gesenkt [4, 43, Injektion des Impfstoffs in den Muskel nehmen die 44, 45]. Myozyten den LNP-Träger auf und geben die Der primäre Endpunkt der Phase-II/III-Studie mRNA zur Translation in das S-Protein ins Zyto- bewertete das Auftreten von bestätigten COVID- plasma frei. 19-Erkrankungen mit Beginn mindestens sieben Das klinische Entwicklungsprogramm für Tage nach Gabe der zweiten Dosis bei Studienteil- mRNA-1273 besteht aus drei Studien: einer Phase- nehmern [4]. I-Studie (NCT04283461), einer Phase-II-Studie In der Kohorte der Teilnehmer ohne Hinweise auf (NCT04405076) und einer Phase-III-Studie eine bestehende oder frühere SARS-CoV-2-Infek (NCT04470427). tion (n = 36.258) trat ein primärer Endpunkt bei Die klinische Phase-I-Studie mit mRNA-1273 acht Verum- beziehungsweise 162 Placebo-Patien- begann am 16. März 2020 und Studienergebnisse ten auf, was einer vordefinierten Wirksamkeit von hierzu wurden veröffentlicht [46]. 95 % (95 %-KI: 90,3–97,6 %) entspricht [4]. Eine Phase-II-Studie wurde im Mai 2020 als Eine schwere COVID-19-Erkrankung trat bei vier Dosisfindungsstudie mit mRNA-1273 50 µg oder Studienteilnehmern nach der zweiten Dosis auf (1 in 100 µg gegen Placebo begonnen [47]. der Verumgruppe und 3 in der Placebogruppe) und Die Phase-III-Studie begann im Juli 2020 und bei zehn Studienteilnehmern nach der ersten Dosis liegt als Zwischenanalyse vor. Die endgültige Stich- (1 in der Verumgruppe und 9 in der Placebogruppe). probengröße beträgt 30.000 Teilnehmer. Aufgrund der geringen Anzahl schwerer COVID- Die Notfallzulassung in den USA und UK und 19-Erkrankungsfälle konnte keine statistische Signi- die Zulassung in der EU von mRNA-1273 basierte fikanz für die Wirksamkeit zur Vermeidung schwe- auf Studien der frühen Phasen I und II [48, 49] und rer COVID-19-Erkrankungen ermittelt werden, es der Überprüfung der Ergebnisse einer laufenden zeigte sich jedoch eindeutig ein numerischer Trend Phase-III-Studie mit 33.000 erwachsenen Proban- zugunsten von BNT162b2 (66,4 %, 95 %-KI: -124,8– den, die im Verhältnis 1 : 1 randomisiert wurden. 96,3). In der Sicherheitsanalyse wurden lokale und Verglichen wurde die Wirksamkeit von zwei Injek- systemische unerwünschte Ereignisse, die innerhalb tionen im Abstand von 28 Tagen mit je 100 µg von sieben Tagen nach Erhalt des Impfstoffs oder Pla- mRNA-1273-Impfstoff gegen Placebo. cebos auftraten, durch Selbstauskunft in einem elek- Die Bewertung der Phase-III-Studie zeigte, dass tronischen Tagebuch ausgewertet. Die häufigsten un- der Impfstoff 14 Tage nach Verabreichung der zwei- 27
Übersicht Praktischer Umgang mit allergischen Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe Allergo J Int 2021; 30: XXX ten Dosis zu 94,1 % wirksam für die Prävention von traten drei Viertel aller allergischen Reaktionen in- SARS-CoV-2-Infektionen war. Für die Wirksam- nerhalb von 15 Minuten nach der Impfung auf [11]. keitsanalyse wurden 196 Fälle ausgewertet, von de- Die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu nen 185 Fälle von COVID-19 in der Placebogruppe Angst/Panikreaktionen mit Hyperventilation kann gegenüber elf Fällen in der mRNA-1273-Gruppe schwierig sein. Wichtig ist die Einordnung von beobachtet wurden. Der sekundäre Endpunkt Symptomen und bei Verdacht auf Anaphylaxie die umfasste die Bewertung von schweren Fällen von unmittelbare Einleitung einer adäquaten Behand- COVID-19 und schloss 30 Individuen ein. Alle lung. Die Blutabnahme zur Bestimmung der Se- diese schweren Fälle traten in der Placebogruppe rumtryptase (im Vergleich zur basalen Tryptase) auf und keiner davon in der mRNA-1273-geimpften 1–2 h nach einer Reaktion ist hilfreich zur Sicherung Gruppe [50]. der Diagnose einer Anaphylaxie [6, 51]. Die Sicherheitsergebnisse der Phase-I zeigten Verzögerte Reaktionen unterschiedlichen Schwe- nach der ersten Dosis unerwünschte systemische regrades können sich auch mit der oben dargestell- Ereignisse wie Arthralgie, Müdigkeit, Fieber, Schüt- ten Symptomatik nach Stunden manifestieren und telfrost, Kopfschmerzen, Myalgie und Übelkeit werden daher nicht während der Überwachungs- leicht bis mittelschwer ausgeprägt. Lokale Neben- phase in der Impfstelle dokumentiert. Darüber wirkungen (Rötung/Erythem, Verhärtung/Schwel- hinaus können Spättypreaktionen (T-Zell-vermit- lung, Schmerzen an der Injektionsstelle) wurden telte Exantheme) nach Tagen auftreten. sowohl nach der ersten als auch nach der zweiten Dosis überwiegend als leicht bis mittelschwer ein- Therapie einer Anaphylaxie auf COVID-19- gestuft. Bei mehr als 50 % der Teilnehmer waren Impfstoffe Müdigkeit, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, M yalgien Anaphylaktische Reaktionen erfordern die unmit- und Schmerzen an der Injektionsstelle bei beiden telbare Behandlung, essenziell ist bei raschem Ver- Impfstoffdosen häufige unerwünschte Ereignisse [3]. lauf und Beteiligung mehrerer Organe die Gabe von In der Phase-III-Studie traten unerwünschte Volumen und Adrenalin intramuskulär (Tab. 3) [6, Ereignisse häufiger nach der zweiten Dosis auf und 51]. Wichtig ist auch die richtige Lagerung des Pa- die Mehrzahl der gemeldeten Ereignisse klang tienten (Schocklage). Blutdruck, Puls und Sauer- schnell ab. Häufigste Ereignisse waren nach der ers- stoffsättigung müssen adäquat überwacht werden, ten Dosis Schmerzen an der Injektionsstelle (2,7 %) die Gabe von Sauerstoff wird empfohlen [6, 51]. und nach der zweiten Dosis Müdigkeit (9,7 %), Antihistaminika sind insbesondere bei Urtikaria Myalgie (8,9 %), Arthralgie (5,2 %), Kopfschmerzen wirksam, Glukokortikoide wirken unter anderem (4,5 %), Schmerzen (4,1 %) und Erytheme/Rötungen einem biphasischen Verlauf entgegen [6]. Wegen der an der Injektionsstelle (2,0 %) [48, 49, 50]. Möglichkeit eines biphasischen Verlaufes wird zu- mindest bei schweren Reaktionen die Überwachung Erkennen einer allergischen Reaktion auf des Patienten über 24 Stunden empfohlen [6]. COVID-19-Impfstoffe Exanthematische Reaktionen werden in Abhän- Allergische Reaktionen auf eine COVID-19-Impfung gigkeit vom Schweregrad bei mildem Verlauf und können im Sinne einer anaphylaktischen Reaktion geringer Ausdehnung mit topischen Glukokortiko- mit Symptomen an Haut, Atemwegen, Gastrointes- iden sonst mit systemischen Glukokortikoiden tinaltrakt und kardiovaskulärem System auftreten, behandelt. Gegen Juckreiz sind Antihistaminika die in vier Schweregrade unterteilt werden [6]. begrenzt wirksam. Die Reaktion kann mit Prodromalbeschwerden Um diese Therapie zu gewährleisten, wird eine wie Juckreiz, Brennen im Bereich der Handinnen- Mindestausstattung an Pharmaka (Tab. 3) und me- flächen, Fußsohlen und im Genitalbereich, metalli- dizinischem Material benötigt (Tab. 4), die in jeder schem Geschmack, Angst, Kopfschmerzen und impfenden Stelle verfügbar sein müssen. Zudem Desorientierung beginnen. Häufig kommt es dann muss das Impfpersonal in der Erkennung und zu Urtikaria, Mundschleimhautbeschwerden, Behandlung schwerer allergischer Reaktionen ge- Schluckbeschwerden wie auch zu Schwellungen im schult sein. Rachenbereich und Bronchialkonstriktion mit Dys- pnoe. Bei schwerem Verlauf können insbesondere Vorbeugung von schweren allergischen die Atemwegsobstruktion und eine k ardiovaskuläre Reaktionen auf Impfungen Mitbeteiligung zu einem letalen Verlauf führen. Für BNT162b2 traten 11,1 Fälle von Anaphylaxie Charakteristischerweise beginnt die Symptoma- pro einer Million Dosen auf [11], im weiteren Ver- tik plötzlich und kurz nach der Applikation eines lauf reduzierte sich die Anzahl auf 4,7 Fälle von Allergens, das frühe Auftreten macht eine schwere Anaphylaxie auf eine Millon Dosen [37]. Reaktion wahrscheinlicher als ein verzögertes Auf- Andere neuartige Impfstoffformulierungen, wie treten der Reaktion [6]. Beim Impfstoff BNT162B2 der kürzlich zugelassene vektorbasierte Ebola-Impf- 28
Allergo J Int 2021; 30: XXX Tab. 3: Pharmakotherapie einer Anaphylaxie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter ambulanten Bedingungen (nach [6]) Wirkstoff Applikationsweg < 7,5 kg KG 7,5–25 (–30)4 kg KG 30–60 kg KG > 60 kg KG Adrenalin i. m. 50–600 µg Adrenalin Autoinjektor i. m. nicht zugelassen 150 µg 300 µg 1–2 × 300 µg oder 500 µg Adrenalin Inhalativ-Vernebler 2 ml2 Adrenalin intravenös 1 titrierend Boli 1 µg/kg KG Dimetinden intravenös 1 ml3 1 ml / 10 kg KG3 1 Amp = 4 ml3 1–2 Amp = 4–8 ml3 (maximal 4 ml) (1 ml/10 kg KG) Prednisolon intravenös 50 mg 100 mg 250 mg 500–1.000 mg Salbutamol, inhalativ 2 Hübe DA per Spacer 2 Hübe DA per Spacer 2–4 Hübe DA per Spacer 2–4 Hübe DA per Spacer Terbutalin Volumen Bolus (NaCl 0,9 %) 20 ml/kg KG 20 ml/kg KG 10–20 ml/kg KG 10–20 ml/kg KG Sauerstoff inhalativ 2–10 l/min 5–12 l/min 5–12 l/min 5–12 l/min 1Für die intravenöse Gabe wird von einer 1 mg/ml Adrenalinlösung 1 ml auf 100 ml NaCl 0,9 % verdünnt (Endkonzentration 10 µg/ml). 2Für die Inhalation wird die Stammkonzentration verwendet (1 mg/ml). 3einer (Stamm-)Konzentration von 1 mg/ml (1 ml enthält 1 mg Dimetindenmaleat) 4unterschiedliche gewichtsabhängige Zulassungen bei unterschiedlichen Autoinjektoren Amp, Ampulle; DA, Dosieraerosol; i. m., intramuskulär; KG, Körpergewicht Tab. 4: Materielle Ausstattung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen in ambulanten Einrichtungen/Impfzentren (nach [6]) — Stethoskop — Blutdruckmessgerät — Pulsoxymeter, evtl. Blutzuckermessgerät — Stauschlauch, Venenverweilkanülen (in verschiedenen Größen), Spritzen, Infusionsbesteck, Pflaster zur Fixierung der Kanülen — Sauerstoff und Verneblerset mit Sauerstoffmaske (verschiedene Größen) — Beatmungsbeutel mit Masken (verschiedene Größen) — Absaugvorrichtung — ggf. Guedel-Tubus — Volumen (z. B. balancierte Vollelektrolytlösung) — Arzneistoffe zur Injektion: Adrenalin, Glukokortikoid, H1-Rezeptorantagonist — Kurzwirksamer ß2-Adrenozeptoragonist z. B. Salbutamol zur Inhalation (bevorzugt als Inhalationslösung zur Anwendung über Verneblerset mit Maske, ggf. alternativ als Dosieraerosol mit Inhalierhilfe/Spacer/Maske, Autohaler o. ä.) — Automatisierter externer Defibrillator stoff, weisen eine deutlich höhere Inzidenz von Ana- einer anaphylaktischen Reaktion verstärken und phylaxien auf [52, 53]. die Behandlung der Anaphylaxie beeinträchtigen. Es gibt Risikofaktoren, die allergische Reaktionen Weitere bekannte Co-Faktoren für die Auslösung verstärken können, die bei der Anamneseerhebung oder Verschlimmerung einer anaphylaktischen berücksichtigt werden müssen, wie zum Beispiel Reaktion sind nicht steroidale Antiphlogistika frühere Anaphylaxien, ein unkontrolliertes Asth- (NSAID), körperliche Anstrengung/Sport, Adiposi ma, eine Mastozytose oder andere Mastzellerkran- tas oder Alkoholkonsum [57, 58]. kungen [54, 55, 56]. Es ist derzeit nicht bekannt, ob diese Co-Faktoren Darüber hinaus können Medikamente wie Beta- auch eine schwere allergische Reaktion nach Impf- blocker, die häufig bei kardiovaskulären Erkran- stoffverabreichung begünstigen. Des Weiteren ist kungen verschrieben werden, den Schweregrad nicht bekannt, ob eine erhöhte Krankheitsaktivität 29
Übersicht Praktischer Umgang mit allergischen Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe Allergo J Int 2021; 30: XXX unerwünschte Wirkungen von Impfungen fördern Kontraindiktionen und potenzielle kann. Wir empfehlen deshalb bei Patienten zum Risikopopulationen Beispiel während einer Asthmaexazerbation oder Bezüglich Kontraindikationen gegen COVID- mit einer schweren Neurodermitis die Impfung auf 19-Impfstoffe und potenzielle Risikopopulationen einen Zeitpunkt mit stabilen Krankheitsverhältnis- lassen sich vier Patientengruppen unterscheiden sen zu verschieben. (Tab. 5). Es gibt keine Assoziation der Inzidenz einer Ana- phylaxie auf Impfstoffe zu Alter, Geschlecht, Asth- 1. Patienten mit Soforttyp-Allergie/Anaphylaxie ma, Atopiestatus oder der Tatsache, dass frühere ge- auf einen oder mehrere Inhaltsstoffe des ringe Reaktionen auf die identische Substanz auf- Impfstoffs beziehungsweise zu diesen getreten waren [59, 60]. kreuzreaktive Stoffe oder anaphylaktische Zusammenfassend ist es wichtig, dass jede Impf- Reaktion auf die erste Impfdosis stelle und jeder Impfende darauf vorbereitet ist, Inhaltsstoffe von BNT162b2 und mRNA-1273 wer- schwere allergische Reaktionen zu erkennen und den in Tab. 1 aufgelistet. Beispiele PEG-haltiger behandeln zu können (Tab. 3 und 4). Arzneimittel oder – kreuzreaktiver Substanzen fin- den sich in Tab. 2. Vorbeugende Maßnahmen zur Kontrolle allergischer Reaktionen auf 2. Personen mit Spättyp-Allergie auf einen oder COVID-19-Impfstoffe bei potenziellen mehrere Inhaltsstoffe des Impfstoffs Risikopopulationen beziehungsweise zu diesen kreuzreaktive Stoffe Zur Minimierung anaphylaktischer HR auf eine Für Personen mit nachgewiesener Spättypallergie COVID-19-Impfung sollten Personen mit einem auf einen oder mehrere Inhaltsstoffe des Impfstoffs potenziellen Risiko einer solchen Reaktion nach beziehungsweise zu diesen kreuzreaktive Stoffe Möglichkeit identifiziert werden. Zum gegenwär- besteht nach Literatur nur ein geringes R isiko für tigen Zeitpunkt ergeben sich jedoch weder aus Zu- eine systemische Reaktion. In der Literat ur finden lassungsstudien noch aus Daten der Spontanmel- sich Einzelfallberichte über generalisierte Haut deregister Signale für Risikopopulationen, die ein reaktionen bei Kontaktsensibilisierung gegen erhöhtes Risiko für anaphylaktische Nebenwir- Formaldehyd in Impfstoffen [61]. Thiomersal war kungen bei Verabreichung der COVID-19-Impf- früher häufiger in Impfstoffen als Konservierungs- stoffe haben, außer bei bekannter Allergie auf mittel enthalten, dennoch waren systemische einen Inhaltsstoff und anaphylaktische Reaktion Reaktionen nach Impfung mit solchen Vakzinen auf die erste Impfdosis. Dennoch kann es aus selten und es wurde empfohlen, den Hautkontakt a llgemeinem allergologischem Erfahrungswissen mit den Vakzinen strikt zu vermeiden [62]. PEG ratsam erscheinen, bei bestimmten Personengrup- können Kontaktekzeme im Sinne einer T-Zell-ver- pen (siehe unten) besondere Maßnahmen zu er- mittelten Ekzemreaktion hervorrufen [30, 63]. greifen (z. B. nach Impfung länger als den in der Etabliert ist der Epikutantest mit PEG 400 (die Fachinformation geforderten 15-minütigen Nach- existierende zugelassene Epikutantestsubstanz ist beobachtungszeitraum zu wählen oder eine Vor- derzeit vorübergehend kommerziell nicht verfüg- stellung in einem Allergiezentrum zu initiieren). bar). Ob Patienten mit einer Sensibilisierung gegen Prädiktive In-vivo- oder In-vitro-Tests zur Vorher- PEG auch auf die PEGylierten LNP in COVID- sage oder Ausschluss des Risikos anaphylaktischer 19-Vakzinen reagieren, ist bislang nicht untersucht. Reaktionen bei COVID-19-Impfung existieren Diskutiert wird zudem eine p otenzielle kutane gegenwärtig nicht. Je nach Risikoprofil ist zu ent- Sensibilisierung für IgE-vermittelte HR durch scheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Auf nahme niedermolekularer PEG in Salben, Impfung möglich ist. Cremes und sonstigen Pflegeprodukten über die Tab. 5: Absolute (1) und mögliche (2, 3, 4) Risikopopulationen für die Entwicklung allergischer Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe 1. Patienten mit Soforttyp-Allergie/Anaphylaxie auf einen oder mehrere Inhaltsstoffe des Impfstoffs bzw. zu diesen kreuzreaktive Stoffe oder anaphylaktische Reaktion auf die erste Impfdosis 2. Patienten mit Spättyp-Allergie auf einen oder mehrere Inhaltsstoffe des Impfstoffs bzw. zu diesen kreuzreaktive Stoffe 3. Personen mit vorausgehender Anaphylaxie unklarer Ursache 4. Patienten mit bekannter Mastozytose oder Anaphylaxie auf unterschiedliche Arzneimittel oder andere Impfstoffe 30
Allergo J Int 2021; 30: XXX Haut [23], wobei auch hier offen ist, ob diese Pati- Konsequenzen der Risiko-Bewertung für enten gegen PEGylierte LNP in COVID-19-Vakzi- COVID-19-Impfungen nen reagieren. Die weiteren in den jetzt verfügba- Personen der Risikogruppe 1 sollten keine Impfung ren Impfstoffen verwendeten Substanzen stehen mit dem jeweiligen Impfstoff erhalten. In Kürze nicht als Testsubstanzen zur Verfügung, nicht ir- werden weitere COVID-19-Impfstoffe mit vermut- ritative Konzentrationen sind nicht publiziert. lich anderen Inhaltsstoffen zur Verfügung stehen, Diskutiert werden kann bei Verdacht auf eine Spät- sodass bei nachgewiesener Allergie insbesondere typallergie gegen die Impfstoffe beziehungsweise gegen PEG empfohlen werden kann, zukünftig auf Bestandteile der Intrakutantest mit dem Impfstoff einen solchen Impfstoff auszuweichen. In der Lite- beziehungsweise dessen Ausgangsmaterialien, wo- ratur findet sich eine erfolgreiche Toleranzinduk bei auch dieser Test weder etabliert ist noch aktu- tion bei Patienten mit HR auf PEGyliertes Inter ell Erfahrung damit besteht. In diesem Falle müss- feron(IFN)-α beschrieben, wobei diese Spättyp te der Intrak utantest nach 24, 48 und 72 Stunden allergien aufwiesen und nicht differenziert wurde, abgelesen werden. ob die Allergie auf einer Sensibilisierung gegenüber PEG oder IFN-α beruhte [72]. Eine derartige Tole- 3. Personen mit vorausgehender Anaphylaxie ranzinduktion mit dem Impfstoff selbst erscheint unklarer Ursache aus verschiedener Sicht, insbesondere in Anbetracht Bei Personen mit vorausgehender Anaphylaxie un- der derzeitigen Impfstoffknappheit jedoch bis auf klarer Ursache könnten PEG als Zusatzstoffe der Weiteres nicht praktikabel. Auslöser gewesen sein. Es sollte vor der Impfung Personen der Risikogruppen 2 und 3 bedürfen ei- da her eine weitergehende Ursachenabklärung, ins- ner weitergehenden allergologischen Abklärung besondere auf die Inhaltsstoffe des Impfstoffes be- und Beratung. ziehungsweise zu diesen kreuzreaktive Substanzen Personen der Risikogruppe 4 (Mastozytose) ist zu erfolgen. empfehlen, ihr Notfallset mit Adrenalin-Autoinjek- tor, das jedem Patienten mit Mastozytose empfoh- 4. Patienten mit bekannter Mastozytose und len wird, bei/nach der Impfung regelmäßig mit sich Personen mit vorausgehender Anaphylaxie auf zu führen [68] und die Nachbeobachtungszeit sollte unterschiedliche Arzneimittel auf mindestens 30 min ausgedehnt werden. Patienten mit Mastozytose und Personen mit vor- Dies Empfehlungen schließen Personen der Risi- ausgehender Anaphylaxie auf unterschiedliche kogruppen 2, 3 und 4 keinesfalls von einer COVID- Arzneimittel entwickeln häufiger Anaphylaxien 19-Impfung aus. Jedoch werden allergologisch-dia- [64]. Unter den Patienten mit Mastozytose treten gnostische Maßnahmen bei Risikogruppen 1, 2 und Anaphylaxien vor allem bei erwachsenen Patien- 3 empfohlen, darüber hinaus sind erhöhte Sicher- ten und bei Patienten mit systemischer Masto heitsstandards bei allen vier Gruppen anzusetzen zytose, insbesondere indolenter systemischer Mas- oder andere der dargestellten Maßnahmen zu er- tozytose, auf. Typische Triggerfaktoren sind greifen. Hymenopterenstiche und verschiedene Medika- Personen hingegen, mit einer Allergie jeden mente (Histaminliberatoren: z. B. Muskelrelaxan- Schweregrades auf andere Allergene wie Pollen, tien, Opiate und Kontrastmittel). In Einzelfällen Hausstaubmilben, Pilzsporen, Tierepithelien, Nah- wurden auch Anaphylaxien nach Impfung be- rungsmittel, Insektengifte oder auf Arzneimittel schrieben [65, 66, 67, 68, 69, 70]. Alle bisherigen und Hilfsstoffe, die nicht zu den Inhaltsstoffen der Fallberichte betrafen jedoch pädiatrische Patien- Impfstoffe gehören oder kreuzreaktiv sind, stellen ten, die naturgemäß häufiger als Erwachsene Imp- keine Risikopopulation für eine Anaphylaxie auf fungen erhalten. Erste Fallberichte von erwachse- die COVID-19-Impfstoffe dar. Bezogen auf allergi- nen Impflingen mit bekannter Mastozytose zeig- sche Krankheitsbilder weisen Personen, die an einer ten keine allergischen/anaphylaktischen Neben- atopischen Erkrankung leiden wie Rhinokonjunk- wirkungen auf die COVID-Impfstoffe [71]. Insbe- tivitis allergica, Asthma bronchiale, atopisches Ek- sondere bei Anaphylaxien auf frühere Impfungen, zem, allergisches Kontaktekzem oder Arzneimitte- Arzneimittel, unter anderem im Rahmen von lexanthem, Urtikaria, Angioödemen oder Polypo- medizinischen Eingriffen wie Koloskopien, Opera sis nasi, kein erhöhtes Risiko auf. tionen in Allgemeinanästhesie und anderes mehr Ein praktikables Ampelschema zur Patienten können sehr selten PEG als Hilfsstoffe ursächlich identifikation wird in Abb. 1 dargestellt, welches sein, wobei in der weit überwiegenden Anzahl der von Paul-Ehrlich-Institut (www.pei.de) und Robert Fälle die Wirkstoffe selbst Auslöser sind. Auch bei Koch-Institut (www.rki.de) in Abstimmung mit den Kosmetika und weiteren in Tab. 2 benannten Pro- Fachgesellschaften AeDA, DGAKI, AG Arzneimit- dukten können sehr selten entsprechende Inhalts- telallergie der DGAKI, NORA und DDG erstellt stoffe ursächlich sein. wurde. 31
Übersicht Praktischer Umgang mit allergischen Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe Allergo J Int 2021; 30: XXX Abb. 1: Flowchart zum Vorgehen bei unterschiedlichen allergologischen Erkrankungen oder anamnestischen Angaben. Dieses Flowchart wurde vom Paul-Ehrlich-Institut (www.pei.de) und vom Robert Koch-Institut (www.rki.de) in Abstimmung mit den Fachgesellschaften AeDA, DGAKI, AG Arzneimittelallergie der DGAKI, NORA und DDG erstellt und ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ausschließlich im Rahmen seiner Zwecke für eine nicht kommerzielle Nutzung vervielfältigt und weitergegeben werden. Jegliche Bearbeitung oder Veränderung ist unzulässig. (Stand 26.2.2021) 32
Allergo J Int 2021; 30: XXX Diagnostisches Vorgehen bei — Kam es zu einem akuten Ausschlag (Urtikaria)? Verdacht auf allergische Reaktionen — Bestand ein Ausschlag für mehrere Wochen? auf COVID-19-mRNA-Impfstoffe (hinweisend eher für Spättypreaktion.) Das diagnostische Vorgehen beinhaltet Anamnese — Kam es zu systemischen Beschwerden wie und allergologische Haut-, Provokations- bzw. La- a kute Atemnot, Erbrechen, Stuhl-/Harnabgang, bortests. Kreislaufbeschwerden wie Schwindel, Schwä- che, Bewusstlosigkeit? Anamnese — Wurde Adrenalin im Rahmen der Notfall Die Anamnese sollte klären, a) welcher Art die Ex- behandlung verabreicht? position gegenüber Impfstoffinhaltsstoffen war und Bei anamnestischen HR im Rahmen von invasiven b) Hinweise auf die Form des Reaktionsmechanis- Eingriffen sollten entsprechende E ingriffsprotokolle mus der erlebten HR ermitteln (Tab. 6). Als mögli- berücksichtigt werden. cher Hinweis auf eine Soforttypsensibilisierung gegen PEG ist die Reaktion auf unterschiedliche Hauttests Medikamente (Antibiotika, Analgetika, Antazida Bei Verdacht auf eine Soforttypreaktion auf Inhalts- und Laxantien, Lutschpastillen, Kosmetikprodukte stoffe von Impfstoffen können Hauttests durchge- wie auch gegen Depot-Glukokortikoide) zu sehen führt werden. Diese umfassen Prick- und (bei nega- [73], insbesondere bei Reaktionen auf verschiedene tivem Ausfall) Intrakutantests mit den verdächtigen Medikamente mit nicht verwandten/kreuzreagie- Substanzen, soweit diese zur Verfügung stehen. renden Wirkstoffen [73]. Insgesamt sind Reaktio- Aktuell sind keine zugelassenen Testallergene für nen auf PEG jedoch selten. die genannten Inhaltsstoffe der mRNA-Impfstoffe a. Folgende Fragen können hilfreich bei der Abklä- verfügbar. Da noch nicht klar ist, ob Patienten*innen, rung einer möglichen Exposition gegenüber die auf PEG sensibilisiert sind, auch auf die PEG einem der Impfstoff-Inhaltsstoffe sein: ylierten Moleküle reagieren, sollten die diagnosti- — Trat eine schwere allergische Reaktion im Rah- schen Tests auch mit den PEGylierten Formen men einer Impfung auf (< 1 h nach Agens sys- durchgeführt werden. Diese stehen derzeit nicht zur temischer Hautausschlag, verbunden mit min- Verfügung. Wichtig ist, dass PEG unterschiedlicher destens einem weiteren Symptom: Luftnot und/ Molekulargewichte eingesetzt werden, da die Sen- oder Herz-Kreislauf-Reaktion)? sibilisierung in Abhängigkeit vom Molekularge- — Trat eine schwere allergische Reaktion im Rah- wicht differieren kann [74] und Reinsubstanzen in men einer Medikamentenapplikation auf (< 1 h pharmazeutischer Qualität verwendet werden. nach Agens systemischer Hautausschlag, ver- Nach Literatur wird auch empfohlen, eine Sensibi- bunden mit mindestens einem weiteren Sym lisierung gegen Polysorbat auszuschließen. ptom: Luftnot und/oder Herz-Kreislauf-Reak- Da im Rahmen von Hauttests (Prick- und Intra- tion)? kutantest) extrem selten anaphylaktische Reaktio- — Besteht Verdacht auf eine HR auf einen Zusatz- nen beobachtet wurden, sollte bei hochempfind stoff, beispielsweise PEG? (siehe Tab. 2 und 6) lichen Patienten zunächst mit verdünnter Substanz b. Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung, in titrierter Vorgehensweise (0,0001–100 %) getestet ob die anamnestische HR eine Sofortreaktion be- werden [24, 31]. ziehungsweise anaphylaktische/anaphylaktoide Da Reaktionen auch auf Substanzen auftreten Reaktion darstellte. Folgende Fragen sind hierauf können, die im Rahmen der Impfung verwendet hinweisend: werden, aber nicht im Impfstoff enthalten sind, — Trat die Reaktion innerhalb von 30 min nach sollte auch an mögliche Sensibilisierungen gegen Exposition auf? Latex, Desinfektionsmittel und Ethylenoxid gedacht Tab. 6: Anamnestische Fragen mit Hinweisen auf allergische Reaktionen nach PEG-Exposition Kam es zu einer HR bei einer Koloskopie/Einnahme von Laxantien? Kam es zu einer HR im Rahmen eines operativen/invasiven Eingriffs? Kam es zu HR nach Einnahme unterschiedlicher Medikamente oder Nahrungsmittelprodukte wie z. B. Lutschpastillen? Kam es zu Ekzemen/Hautausschlägen nach Hautkontakt mit Kosmetika/Pflegeprodukten/anderen möglichen PEG-haltigen Produkten? HR, Hypersensitivitätsreaktionen; PEG, Polyethylenglykol 33
Übersicht Praktischer Umgang mit allergischen Reaktionen auf COVID-19-Impfstoffe Allergo J Int 2021; 30: XXX werden (Ethylenoxid ist Ausgangssubstanz für die falls eine Provokationstestung erfolgen, sofern die Herstellung von PEG). verdächtigen Produkte hierfür vorliegen, wobei be- Eine adäquate Ausstattung und Medikation zur vorzugt zunächst eine Testung der Einzelsubstan- Intervention bei einer möglichen systemischen HR zen erfolgen sollte. Da auch schwere HR möglich ist bereitzuhalten (siehe Tab. 3 und 4). sind, bleibt diese Testung hierin erfahrenen allergo- logischen Zentren unter Beachtung der Erforder- In-vitro-Labordiagnostik nisse hierfür vorbehalten [77]. Beschrieben sind Eine kommerziell erhältliche IgE-Analytik für die beispielsweise orale Provokationstests mit PEG mit Inhaltsstoffe der Impfstoffe steht derzeit nicht zur einer initialen Menge von 1 mg, welche alle 30 Mi- Verfügung. In der Literatur sind verschiedene expe- nuten bis zur kumulativen Gabe von 7,1 g gesteigert rimentelle Assays zum Nachweis von IgE-Antikör- wurde, was der minimalen Einzeldosis mancher pern auf PEG beschrieben (auch IgG und IgM), Laxativa entsprach, wobei dezidierte Provokations- deren Sensitivität und Spezifität jedoch nicht in protokolle nicht vorliegen [32]. Zudem muss der größeren Kollektiven validiert ist [29, 23]. Entspre- Unterschied in den immunologischen Komparti- chende Validierungsstudien laufen derzeit aber. menten einer oralen Provokationstestung und einer Auch diese Assays sollten idealerweise mit den PEG intramuskulären Impfung bedacht werden. ylierten Formen durchgeführt werden. Bei schweren allergischen Reaktionen auf die Positive BAT auf PEG sind beschrieben [33], stel- erste COVID-19-Impfung empfehlen wir eine Ab- len jedoch ebenfalls ein experimentelles, bisher klärung vor der zweiten Impfung. Über die Indika- nicht umfassend validiertes Verfahren dar, dessen tion zur zweiten Impfung muss unter Würdigung Anwendung erfahrenen allergologischen Zentren der Gesamtkonstellation und Einbeziehung der vorbehalten ist [76]. Testergebnisse eine Einzelfallentscheidung getrof- Die Labordiagnostik sollte die Bestimmung der fen werden. Alternativ kann (sobald verfügbar) ein Mastzelltryptase beinhalten, da erhöhte Werte anderer Impfstoff eingesetzt werden, der die putati- > 11,4 µg/ml ein Hinweis auf ein Mastzellaktivie- ve allergene Komponente des bei der ersten Imp- rungssyndrom oder eine systemische Mastozytose fung eingesetzten Impfstoffs nicht enthält. sein kann, welche ein erhöhtes Risiko auf schwerere Reaktionen bei einer Arzneimittelallergie bergen Allergen-Immuntherapie (AIT) [77, 78]. Bei der Abklärung von HR im Rahmen SCIT/SLIT im zeitlichen Zusammenhang mit medizinischer Maßnahmen/Eingriffe muss auch COVID-19-Impfungen daran gedacht werden, dass Latex (enthalten in Grundsätzlich sind im zeitlichen Zusammenhang Spritzen, Handschuhen, etc.), Desinfektionsmittel von Allergen-Immuntherapie (AIT) und Impfun- und Ethylenoxid (Sterilisation medizinischer Pro- gen Hersteller-spezifische Vorgaben zu berücksich- dukte; Ausgangsstoff der Polymerisierung zu PEG) tigen. Zwischen SCIT (subkutane Immuntherapie) ebenfalls Soforttypreaktionen auslösen können, und COVID-19-Impfung sollte demnach in der auch diese Substanzen können im Rahmen einer Regel ein Abstand von etwa einer Woche liegen. Impfung allergische Reaktionen auslösen. Aufgrund der Erfahrungen mit anderen Impfungen hat sich folgende Vorgehensweise bewährt [79, 80]: Provokationstests — Einleitungsphase: Falls es möglich ist, die Aufdo- Bei negativen oder unklaren Testbefunden in der sierungsphase der AIT noch vollständig vor dem Hauttest- und Labordiagnostik kann gegebenen- geplanten Impftermin durchzuführen, kann dies Tab. 7: Hinweise für eine COVID-19-Impfung bei Personen mit schwerem Asthma, atopischer Dermatitis, Urtikaria und chronischer Rhinosinusitis mit Polyposis, die deshalb eine Biologikatherapie erhalten erhöhtes Infektrisiko Lebendimpfstoffe/ inaktivierte Impfstoffe relevante Zusatzstoffe attenuierte Lebendimpfstoffe Omalizumab nicht bekannt keine Kontraindikation keine Kontraindikation Polysorbat 20 Mepolizumab in Tierstudien verminderte Fähigkeit zur keine Kontraindikation keine Kontraindikation Polysorbat 80 Benralizumab Bekämpfung parasitärer Infektionen Polysorbat 20 Reslizumab – Dupilumab möglicherweise Beeinflussung parasitärer Kontraindikation keine Kontraindikation Polysorbat 80 Erkrankungen Lanadelumab nicht bekannt keine Kontraindikation keine Kontraindikation Polysorbat 80 34
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