SPURENSUCHE Industrietourismus im Süden Luxemburgs - Dritte Ausgabe - Fondation Bassin Minier
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Die Aufgabe der Fondation Bassin Minier ist es, zur kulturellen Entwicklung im Luxemburger Erzbecken (Bassin Minier) beizutragen. Die Stiftung versteht sich als Instrument, um auf lebendige Weise die Vergangenheit zu vermit- teln und Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen, indem sie Projekte in den Bereichen industrielles Erbe, Kultur, Ökologie, Tourismus und Innovation an- stößt und fördert. Von der Industrie-, Arbeiter- und M igrationsgeschichte bis hin zur heutigen Entwicklung als Forschungs- und Technologiestandort bietet die Region eine Fülle an Themen, die es zu entdecken und zu vertie- fen gilt. Die Fondation Bassin Minier wird durch das Luxemburger Kultur ministerium finanziell unterstützt. Cover Die Abgasfackel von Belval, Aufnahme von unten Foto: AGORA
Das industrielle Erbe Schuttrange Das industrielle Patrimoine Erbe industriel Strassen Schuttrange Schuttrange Strassen Strassen des du Bassin Bassin Minier Sandweiler des cy Minier ancy Sandweiler Sandweiler Belgien Luxemburg Belgien Belgique Fingig Luxemburg Grand-Duché de Luxembourg 3 Fingig Fingig Luxembourg-Ville Clemency 33 Bertrange Luxembourg-Ville Luxembourg-Ville 3 Clemency Clemency Bertrange Bertrange 33 Dippach Dippach Dippach Contern Contern Contern Hautcharage Hesperange 3 Hautcharage Hautcharage Hesperange 33 Hesperange Bascharage KÄERJENG 3 Bascharage A4 KÄERJENG ( Bascharage ! KÄERJENG ! Linger 3!(3 Leudelange A44 ( 3 Linger Waldbredimus A Linger Leudelange Leudelange 3 Centre3 ! Centre Wax Wax Waldbredimus Waldbredimus !! Centre Wax Reckange/Mess Reckange/Mess Reckange/Mess ( ! ( PETANGE (! ! PETANGE PETANGE SANEM A3 Lamadelaine 3 ! Prënzebierg SANEM A33 ( ! SANEM A Lamadelaine Lamadelaine 33 ! Prënzebierg Prënzebierg !! ( Weiler-la-Tour Rodange Rodange 3 33 ! ! Giele Botter ( Weiler-la-Tour Weiler-la-Tour Dalheim Dalheim Rodange !! Giele GieleBotter Botter Dalheim Niederkorn A1 Pontpierre 3 Niederkorn MONDERCANGE 3 ! Industriemuseen A31 Niederkorn A13 Pontpierre ! Fond-de-Gras 3DIFFERDANGE MONDERCANGE Pontpierre Abweiler !!!Arbeiterviertel Saulnes !!Fond-de-Gras 3 ( ! MONDERCANGE 33 3 Industriemuseen Musées industriels 3 Abweiler Saulnes Saulnes Fond-de-Gras DIFFERDANGE DIFFERDANGE !! (( 33 Abweiler und Prachtstraßen !! Arbeiterviertel ! Neues und Prachtstraßen Quartiers ouvriers et témoignages architecturaux ! Science Center Soleuvre ! Leben in alten Mauern !! Center 3 3Soleuvre ! Ehlerange Bergem Neues Leben in alten Mauern Architecture industrielle reconvertie LasauvageGrube Grôven Science Science Center 3 Lasauvage ! Grube Grôven !( ! Villa Hadir 3 Soleuvre 3 Ehlerange Ehlerange 33 3 Bergem Bergem ! DieDieHochöfen von Belval !3 3Lasauvage Mine Grôven! Lasauvage ! (! (! ! ! Villa ! 1535° VillaHadir Hadir 33 33 Fennange 3 BETTEMBOURG !! Hochöfen Hauts von Belval fourneaux ! Naherholungsgebiete Esch-Belval !!3 Lasauvage Lasauvage !!1535° Foetz Huncherange Fennange 3 Fennange 33 (BETTEMBOURG BETTEMBOURG ! mit industrieller Vergangenheit A4 3!!Espace 1535° H2 O A44 Foetz Foetz Huncherange Huncherange 33 ! ! Celula (! ! Frisange Frisange ! Naherholungsgebiete Forschung und Innovation mit industrieller Vergangenheit ! Forschung und Innovationindustriel Site naturel avec passé Mondorf A ( Frisange Oberkorn 33! EspaceHH2O Espace ! 2O Gaalgebierg !! Celula Celula !! Recherche et innovation Mondorf Mondorf Oberkorn Oberkorn !! Gaalgebierg 3 Belvaux Gaalgebierg 3 Noertzange Noertzange 33Belvaux Belvaux SCHIFFLANGE 3 Noertzange Cité des Sciences ! SCHIFFLANGE SCHIFFLANGE( ! Lalléngerbierg 3 Cité des Cité des Sciences3! Sciences ! Lalléngerbierg Hochöfen ! 3 ! Kulturfabrik !(!( Lalléngerbierg A13 ! Belval ! Hochöfen Hauts fourneaux !3 Belval !! Kulturfabrik Kulturfabrik !! A13 A13 Hussigny-Godbrange Belval !! ( ! Paroisse Saint-Henri Historische Fassaden Touristische Eisenbahnstrecke Touristische Chemin de Eisenbahnstrecke Moulaine Hussigny-Godbrange Hussigny-Godbrange Redange ESCH-SUR-ALZETTE !! (! !( Historische Fassaden Façades historiques DUDELANGE fer touristique Naturschutzgebiete urt-Moulaine Redange ESCH-SUR-ALZETTE ESCH-SUR-ALZETTE! Konservatorium DUDELANGE DUDELANGE Naturschutzgebiete Réserves naturelles !!! ourt-Moulaine Redange Russange Konservatorium Conservatoire KAYL ( Gemeinde Bâtiment Terres rouges ( KAYL ! Brillviertel ( ! (! Russange Russange KAYL ( Gemeinde !! Bâtiment BâtimentTerres Terresrouges rouges (! ! ( ! Brillviertel !!(!!!Centre Quartier Centre d'artBrill Nei Liicht (! Communes Léiffrächen !!!!Centre Centre d'art d'art Centre d'artNei NeiLiicht Dominique LiichtLang ! Grenzviertel Léiffrächen Léiffrächen Schungfabrik ! ! Centre d'artDominique d'art DominiqueLang Lang !!! Grenzviertel Kleng ! Kleng Italien Thil Quartier Grenz Cockerill !! !!! Schungfabrik 3MuséeSchungfabrik PetiteItalien Thil Thil !!! Cockerill Cockerill Ellergronn !!3Musée Ferrum 3MuséeFerrum !!! Wasserturm Italie & Pumpstation 0 1 2 4 Km !! ! Ellergronn Ellergronn Tétange Tétange Ferrum ! !!! Wasserturm Château Centre & Pumpstation d'eau & Pomhouse de documentation 0 1 2 4 Km s-la Montagne Gaalgebierg Tétange !! !!surCentre ¨ Haard Centre de de documentation documentation les migrations humaines lers-la Montagne Villers-la Montagne Villerupt !! Gaalgebierg Galgebierg Haard Haard sur surles lesmigrations migrationshumaines humaines 0 1 2 4 Km A3 Villerupt Villerupt Audun-le-Tiche Musée national Nationales Bergbaumuseum ! A3 Tiercelet ( ! A3 Audun-le-Tiche Erstellt vom Syndicat PRO-SUD - I.Renoir / Dezember 2021 Tiercelet Tiercelet Audun-le-Tiche Nationales Bergbaumuseum des mines de fer !! ( !( ! Kartengrundlage: Administration Erstellt vom Syndicat PRO-SUD du Cadastre - I.Renoir et de la Topographie / Dezember 2021 Luxembourg (GDL) RUMELANGE Quelle: Fondation Bassin Kartengrundlage: Minier Administration du Cadastre et de la Topographie Luxembourg (GDL) Frankreich RUMELANGE RUMELANGE Réalisation : PRO-SUD - I.Renoir / Avril 2021 Quelle: Fondation Bassin Minier Frankreich Fond cartographique : Administration du Cadastre et de la Topographie Luxembourg (GDL) France © Administration du Cadastre et de la Topographie Luxembourg (ACT) Source : d'après une liste fournie par la Fondation Bassin Minier Autorisation de publication © Administration « © Origine du 3.07.2009. du Cadastre Administration et de la Topographie Luxembourg (ACT) du Cadastre et de la Topographie Luxembourg (ACT) Autorisation de publication du 3.07.2009. Autorisation de publication du 3.07.2009.» ne
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 06 1. Industriemuseen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 08 Minett Park Fond-de-Gras 09 Nationales Bergbaumuseum, Rumelange 12 Grube Cockerill, Esch-sur-Alzette 13 Grube Grôven, Differdange 14 Science Center 14 Die Pflege der Lokalgeschichte in Pétange 14 Museum feRRUM, Tétange 15 Dokumentationszentrum für Migrationsgeschichte, Dudelange 16 Nationales Zentrum für Industriekultur 16 2. Die Hochöfen von Esch/Belval . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Arbeitersiedlungen und bürgerliche Viertel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Das Grenzviertel rund um die Terres Rouges-Hütte, Esch-Sur-Alzette 26 Arbeitersiedlungen Léon Weirich und Dr. Welter in Esch 27 Escher Häuser mit geschichtsträchtigen Fassaden 29 Bergarbeiterdorf Lasauvage 31 Arbeitersiedlung Brill, Dudelange 23 Viertel Kleng Italien, Dudelange 35 Die „Kasären“ des Eisenbahnerviertels „Cité CFL“ in Pétange 37 4. Neues Leben in alten Mauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 5. Industrienatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Naturlehrpfad Prënzebierg – Giele Botter 48 Geologischer Lehrpfad Giele Botter 49 Dichterpfad 50 Vom Ellergronn rund um den Gaalgebierg 50 Naturschutzgebiet Haard 51 Minett-Trail: ein Projekt für Esch 2022 52 6. Industrie und Innovation heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 7. Das Kulturangebot im Süden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 8. Sport und Freizeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 9. Arbeiterkneipen und Sterne-Restaurants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 10. Das Val de Fensch in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 5
Einleitung Um 1840 wird im Süden Luxemburgs auf dem Plateau entlang der französischen Grenze die „Minette“ wiederentdeckt – eine eisenhaltige Schicht mit einem niedrigen Eisengehalt von maximal 30 %. Mit der Förderung dieses Eisenerzlagers hält auch im Großherzogtum die Industrialisierung Einzug. In kürzester Zeit werden Eisenerzgruben angelegt; in Esch-sur-Alzette entstehen 1870-71 die ersten Hütten. Durch den Bau der Eisenbahnen (ab 1859) und das sogenannte „Thomasverfahren“ (1879), das bei der Verhüttung die Entfernung des störenden Phosphors aus dem Roheisen ermöglicht, erlebt die Stahlerzeugung im Luxemburger (und lothringischen) Bassin Minier einen rasanten Aufschwung. Stahlwerke entstehen entlang der Eisenerzfelder, zuerst in Dudelange (1886), dann in Differdange (1900), Rodange (1905), Esch/Belval (1912) und zuletzt in Schifflange (1913). Tausende Arbeiter zieht es in die Region – zunächst aus anderen Teilen des Landes, später auch aus Deutschland, Belgien und Italien, um „auf der Schmelz“ zu arbeiten und den Hügeln ihr „rotes Gold“ zu entreißen... Aus dem vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Luxemburg wird ein bedeutender Industriestaat, dessen Reichtum auf der Eisenerzverarbeitung beruht. Das Land liefert Stahl in die ganze Welt, die Produktion steigt unablässig 6
an und erreicht 1971 mit 6,4 Millionen Tonnen ihren Höhepunkt. In ihrer Blütezeit beschäftigt die Stahlindustrie mehr als 30.000 Mitarbeiter. Die 1973 einsetzende Wirtschaftskrise leitet das Ende der Eisenindustrie in Luxemburg ein. Die ersten Gruben schließen und nach und nach erlöschen auch die Hochöfen. Drei Jahre nachdem der letzte Tagebaubetrieb „Schlammebierg“ eingestellt wird, schließt im Jahre 1981 auch das Untertagebergwerk „Thillebierg“ in Differdange. Bis 1997 wird noch Erz aus dem Ausland verhüttet, dann wird auch der letzte Hochofen stillgelegt. Heute produziert Arcelor-Mittal mit einer auf rund 3.700 Mitarbeitern geschrumpften Belegschaft ca. 2,2 Millionen Tonnen Stahl in Elektroöfen (in Differdange und Esch/Belval). Die Industrie und ihre Arbeiter haben dieser Gegend ihren Stempel aufgedrückt. Als „Minett“ und „Land der Roten Erde“ ging sie in die Luxemburger Geschichtsbücher ein. So steht der „Minettsdapp“, ein kräftiger, ehrlicher Kerl, der keine Arbeit scheut und kein Blatt vor den Mund nimmt, emblematisch für die Bewohner dieser Region. Heute stehen die Maschinen still, sind die Schlote erloschen, rosten die ehemaligen „Buggys“ (Loren) und Gleisanlagen vor sich hin. Industriebrachen, moderne Gewerbegebiete, zahlreiche Industriemuseen und rasant wachsende urbane Zentren prägen das Bild der Region. Rundherum erstrecken sich schön bewaldete, stufenförmige Hänge, ein Erbe der stillgelegten Tagebaugebiete und Gruben, die inzwischen von der Natur zurückerobert wurden. Die Naturlandschaften mit ihren Canyon-artigen roten Felswänden bilden ein einzigartiges Naherholungsgebiet, in dem der Besucher hier und da auf Zeugen der industriellen Vergangenheit trifft: unter Denkmalschutz stehende Hochofenanlage in Esch/Belval, Lokomotiven und Eisenbahnwagen auf öffentlichen Plätzen, Arbeitersiedlungen und ortstypische Kneipen. Lauter Erinnerungen, denen die ehemaligen „Kumpel“ und Fabrikarbeiter heute in ihren Schrebergärten nachhängen. Wo man anderswo Pflüge und Leiterwagen aus alter Zeit vorfindet, erblickt man in der „Minett“ kunstvoll aufgestellte Bohrmaschinen, mit Liebe restaurierte Grubenleuchten, mit Erz beladene Eisenbahnloren oder beleuchtete Statuen der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Grubenarbeiter. Jedes Jahr am 4. Dezember, dem Namenstag der heiligen Barbara, lebt die vergangene Welt der Grubenarbeiter für ein paar Stunden wieder auf. In einigen Städten des Eisenerzbeckens wird bis heute die Statue der Heiligen nach einer feierlichen Messe in einer Prozession von ehemaligen Gruben- und Hüttenarbeitern, von Eisenbahnern und Feuermännern durch die Straßen getragen. In der gesamten Minett-Region werden Blumengebinde an Bergarbeitermonumenten niedergelegt. Im Bergbaumuseum in Rumelange wird die Messe sogar unter Tage abgehalten und in Esch spielt abends die Bergarbeiterkappelle zum Konzert auf. In Rodange und Belval kündigen Böllerschüsse die Prozession an und in Lasauvage wird zum Abschluss ein Glas Wein in den ansonsten verlassenen Stollen getrunken. 7
1. Industriemuseen INDUSTRIEMUSEEN Kurz nach der Schließung der ersten Gruben und Stilllegung einiger Eisenhütten begannen ehemalige Kumpel und Hüttenarbeiter, in Absprache mit den Gemeinde vertretern einen Teil der materiellen Zeugnisse der Industriekultur vor ihrer Ver schrottung zu retten, Gegenstände ihres Arbeitsalltags zu sammeln und stillgelegte Industrieanlagen für Besucher zu öffnen. So nutzten Eisenbahnliebhaber ab 1973 eine stillgelegte Bahnstrecke im Fond- de-Gras, um historische Züge der Jahrhundertwende wieder in Fahrt zu bringen. Dieses in „Minett Park Fond-de-Gras“ umgetaufte Freilichtmuseum bietet eine Fülle an Attraktionen und Aktivitäten, die das Eisenerz zum gemeinsamen Nenner haben. Es umfasst den Park Fond-de-Gras, die Arbeitersiedlung Lasauvage, den stillgeleg ten Tagebau Giele Botter und das keltische Oppidum auf dem Titelberg. Zur selben Zeit (1973) entstand in Rumelange das erste Besucherbergwerk Luxemburgs. Das „Centre de Documentation sur les Migrations Humaines“ in Dudelange arbeitet die Geschichte der Arbeitsmigration wissenschaftlich auf und stellt diese in Wechsel ausstellungen dem Publikum vor. Jüngste Mitglieder der Museumsfamilie sind die Grube Cockerill in Esch-sur-Alzette, deren Gebäude teilweise instand gesetzt wur de, sowie die Grube Grôven in Differdange, die 2010 zugänglich gemacht wurde. Mitte 2014 wurden die zwei letzten Hochöfen in Esch/Belval zur Besichtigung frei gegeben. Ferner ist in Differdange die Erhaltung einer Industriehalle mit (denkmal geschützter) Gasmaschine geplant. Dort soll ein Museum für industrielle Energie entstehen, das die vergangenen und zukünftigen Herausforderungen der Energie produktion dokumentieren soll. Minett Park Fond-de-Gras Von der Grube... ein Jahrhundert lang die im Fond-de- Der Park Fond-de-Gras in idyllischer Gras geförderte „Minette“ umgeladen landschaftlicher Lage war einst ein be wurde, führten durch ein dicht bewal deutender Industriestandort im Süden detes Gebiet. An den Verladerampen Luxemburgs. Die Gleise, auf denen rund warteten die aus der angrenzenden Eisengrube kommenden, schwer bela Krämerladen Victor Binck, Fond-de-Gras denen „Buggys“ (Loren). Ihr Inhalt wurde über eine Rampe in die Güterwaggons gekippt und dann zu den nahe gelege nen Hochöfen transportiert. Nach Einstellung der industriellen Nutzung wurde das beschauliche, ro mantische Tal 1986 unter Denkmalschutz gestellt. Neben den zwei Museums 9
1. Industriemuseen Train 1900, Fond-de-Gras bahnen befinden sich im Fond-de-Gras tungen für die Eisen- und Stahlindustrie. noch verschiedene Stolleneingänge, Im Fond-de-Gras wurde in den ehe Schienenanlagen samt Verladequais so maligen Arbeiterwohnungen der alte wie eine Bergarbeiter schenke „Bei der Krämerladen „Épicerie Victor Binck“ aus Giedel“, die bis heute Gäste empfängt. Differdange originalgetreu rekonstruiert. ... zum Freilichtmuseum Eisenbahnromantik pur: der „Train 1900“ Im Fond-de-Gras sind zudem andern 1955 wurden die Gruben im Fond-de- orts demontierte, technische Zeugnisse Gras stillgelegt;1964 besiegelte dann der Eisenherstellung wieder aufgebaut ein Erdrutsch das Ende des Eisenbahn worden, um sie der Nachwelt zu er betriebs. halten. So sind hier z.B. eine Bessemer- Doch schon ab 1970 erweckte der Birne von zwei Tonnen Gewicht, in der gemeinnützige Verein AMTF (Asso das Gusseisen zu Stahl veredelt wurde, ciation des Musées et Tourisme Ferro sowie eine alte Walzstraße der Hütte viaires) die Strecke wieder zu neuem Esch/Belval zu bestaunen. Leben und betreibt seitdem die tou 1988 wurde im Fond-de-Gras die ristische Normalspurbahn „Train 1900“ ehemalige Elektrozentrale der Paul- (Spurweite 1.435 mm). In diesem für das Wurth-Werksanlagen wieder aufgebaut. frühe 20. Jahrhundert charakteristischen Wurth war ein Vorreiter der Eisen- und Dampfzug mit Holzbänken können Be Stahlindustrie, der eine Stahlgießerei sucher von Mai bis September auf der und Stahlbauwerkstatt in Luxemburg- acht Kilometer langen Strecke zwischen Hollerich betrieb. Um diese mit Strom zu Pétange (Bahnhof ), Fond-de-Gras und versorgen, ließ er 1913 die hier zu besich Bois-de-Rodange die vom Erzabbau tigende elektrische Zentrale errichten. Im gezeichnete Landschaft erkunden. Die Laufe der Zeit spezialisierte sich das Un Fahrt führt durch das Tal des Flusses ternehmen auf Technologie und Ausrüs Korn mit seinen Industriebrachen und 10
1. Industriemuseen Siedlungen rund um den Titelberg, der nommene Sammlung wird seit 2005 bereits von Kelten und Römern besie im Haus Depienne auf dem Grubenge delt wurde, sowie um den ehemaligen lände (Carreau de Mine) in Lasauvage Tagebaubetrieb „Giele Botter“. ausgestellt, einem kleinen Bergarbeiter dorf mit großer Geschichte. Hier sind Touristenbahn „Minièresbunn“ bis heute zahlreiche Infrastrukturen und Das ehemalige Grubenbahnnetz (mit ei Überreste aus der Zeit des Bergbaus ner Spurweite von 700 mm) wird heute zu sehen, denen der Ort seinen unver von der „Minièresbunn“ genutzt, um den gleichlichen Reiz verdankt! (siehe S. 31) Fond-de-Gras mit der Arbeitersiedlung Lasauvage zu verbinden. Die Abfahrt Das Oppidum auf dem Titelberg erfolgt in nur wenigen Schritten Ent Anlässlich Ihres Besuchs dieser Regi fernung vom Café-Restaurant „Bei der on sollten Sie sich keinesfalls den ein Giedel“ von Mai bis September. Die Rei drucksvollen Titelberg entgehen lassen! se mit der alten Dampflok führt bis zur Diese auf einem 50 ha großen Felssporn Grube Doihl, wo die Passagiere umstei gelegene und das Korn-Tal überragende gen. Dann geht es mit einer Elektrolok Stätte spielte im 1. Jh. v. Chr. eine große ca. 15 Minuten lang weiter durch einen Rolle. An dieser Stelle, die sich optimal 1.400 m langen Stollen. Nach Belieben für die Errichtung von Befestigungsan lässt sich die Fahrt bis ans Ende des Dor lagen eignet, entstand ein bedeutendes fes und anschließend in entgegensetzte Oppidum. Historikern zufolge soll der Richtung fortsetzen: vorbei an ehemali Titelberg ein Fest- und Marktplatz des gen französischen Gruben, den Überres keltischen Volkes der Treverer und ein ten eines Erzbrechers und über die Gren regelrechter politischer und wirtschaft ze hinweg bis nach Saulnes in Frankreich. licher Dreh- und Angelpunkt gewesen sein. Noch heute sind die Überreste Prënzebierg und Giele Botter der Befestigungsanlage und der „murus Ein Großteil der Grubengebiete rund gallicus“ (gallischen Mauer) genau zu um den Fond-de-Gras steht heute unter erkennen. Naturschutz und lädt zum Entdecken Zusammen mit der Bergarbeiter industrieller Denkmäler, der vielfältigen siedlung Lasauvage, dem stillgelegten Fauna und Flora oder einfach nur zum Tagebau Giele Botter und dem kelti Wandern ein (S. 47). Zur Rast und Erfri schen Oppidum auf dem Titelberg bil schung kann der Besucher in ortstypi det der Minett Park ein sehenswertes schen Gaststätten wie „Bei der Giedel“ Freilichtmuseum! oder bei „Bache Jang“ einkehren, die früher von den Bergarbeitern und ihren Familien aufgesucht wurden. Musée Eugène Pesch, Lasauvage Eugène Peschs umfangreiche Samm lung reicht von typischen Mineralien und Fossilien der Minette-Gegend bis hin zu Werkzeugen der Bergarbeiter. Die von der Gemeindeverwaltung über Café-Restaurant Bei der Giedel, Fond-de-Gras 11
1. Industriemuseen Nationales Bergbaumuseum, Rumelange Die Anfänge des nationalen Bergbau museums gehen bis in die 1970er Jahre zurück. Damals konnten ehemalige Bergarbeiter die Rümelinger Gemeinde überzeugen, die 1963 geschlossene Grube Walert als Besucherbergwerk auszubauen. Das Museum veranschau licht einprägsam und lebensnah das Handwerk der Bergarbeiter sowie ihre Werkzeuge, Ausrüstungen und Maschi Nationales Bergbaumuseum nen, die zur Förderung des Eisenerzes in Luxemburg eingesetzt wurden. lebensgroße Modelle, mit welchen Im Ausstellungsraum sind Exponate Methoden und unter welchen Arbeits aus der Zeit von ca. 1850 bis in die Mitte bedingungen das Eisenerz gefördert der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, da wurde. Anschaulich wird deutlich, wie runter zahlreiche Werkzeuge, Lampen, im Laufe der Zeit die Arbeit im Bergwerk Grubenhelme, Messinstrumente usw. durch technischen Fortschritt, wie etwa zu sehen. Ergänzt werden die Einblicke den Einsatz von Elektrizität, Druckluft in die Arbeitswelt und den Alltag der und Sprengstoff, erleichtert wurde. Bergarbeiter durch alte Fotoaufnahmen Da die Durchschnittstemperatur im und Archivdokumente. Stollen das ganze Jahr über bei kühlen Dann beginnt der „abenteuerliche“ 10°C liegt, ist es auch im Sommer rat Teil: Behelmt fährt der Besucher mit sam, eine warme Jacke mitzunehmen. einer der zwei Grubenbahnen in den Schließlich dauert die geführte Stollen Stollen ein. Im Berg veranschaulichen besichtigung zwei Stunden (Gruben verschiedene Inszenierungen die Ent bahnfahrt inbegriffen). Anschließend wicklung des Erzabbaus in der „Minette“. kann man sich in der gemütlichen Gast An den Maschinen und Geräten zeigen stätte des Museums stärken. Nationales Bergbaumuseum 12
1. Industriemuseen Grube Cockerill, Esch-sur-Alzette Am Rande von Esch-Alzette, wo das Naturschutzgebiet Ellergronn beginnt, befindet sich die Grube Cockerill, in der zwischen 1882 und 1967 Erz abgebaut wurde. Dank einer Reihe glücklicher Um stände blieben das 1986 in Staatsbesitz übergegangene Grubengelände sowie die Gebäude auf bemerkenswerte Weise erhalten. Innenansicht des Grubenmuseums 1990 nahmen ein Paar Leute, die sich für die Ortsgeschichte und Indus triearchitektur begeisterten, gemeinsam mit ehemaligen Grubenarbeitern die Sanierung der Anlage in Angriff. Erste kleine Restaurierungsarbeiten, die bald darauf vom Staat mitgetragen wurden, summierten sich mit der Zeit zu einem regelrechten Rehabilitierungsprojekt. Seit dem Ende der 1990er Jahre verwaltet der gemeinnützige Verein „Entente Mine Cockerill“ (EMC) das Ge lände gemeinsam mit der Luxemburger Natur- und Forstverwaltung. Sehens wert ist die Grube aus drei Gründen: Die „salle des pendus“ genannte Kaue der Grube Cockerill • Sämtliche Gebäude sind erhalten und Konferenzen, Film- und Diapro geblieben. jektionen sowie lokale bzw. Folklore feste im Ellergronn organisiert. • In einem kleinen Grubenmuseum sind Förderwagen, Grubenloko Die Grube Cockerill liegt im Natur motiven, Lampen, Werkzeuge, Klei schutzgebiet Ellergronn. Hier wurde dungsstücke von Grubenarbeitern von der Natur- und Forstverwaltung und sonstige Geräte ausgestellt. ein 3 km langer Naturlehrpfad mit Eine alte, komplett restaurierte zahlreichen Schautafeln angelegt, die Schmiede ist noch in Betrieb. Und die Spaziergänger über die landschaft in einem Dokumentationszentrum lichen Besonderheiten aufklären. Vom können Fotografien und Archive „Besucherzentrum Ellergronn“ kann eingesehen werden. man auch den 5 km langen Lehrpfad „Mensch und Wald“ einschlagen, der • Schließlich werden geführte Besich rund um die ehemalige Eisenerzgrube tigungen, Ausstellungen, Seminare „Eisekaul“ führt (S. 50). 13
1. Industriemuseen Grube Grôven, Differdange Diese im Wald des Parks Grôven ge Besichtigung ist nur nach Anmeldung legene, bis 1957 betriebene Grube möglich. dient heute als Erinnerungs- und Aus stellungsort. In einem Stollen sind Grube Grôven historische Fotos im Zusammenhang mit dem Erzabbau ausgestellt. Die Ein gänge zu dieser über mehrere Jahre in Vergessenheit geratenen Grube waren von Pflanzen überwuchert. 2008 beschloss die Gemeinde Dif ferdange, das Gelände zu sichern und Informationstafeln über die Geschich te der Grube Grôven aufzustellen. Eine Science Center Sinn und Zweck des 2017 eröffneten Tischfußball gegen einen Roboter, aus Science Center in Differdange ist es, gefallene Experimente in der Küche, die Wissenschafts- und Technologie Stahl, der in wenigen Sekunden seinen kultur zu fördern und junge Menschen Schmelzpunkt erreicht... um nur einige aber auch das breite Publikum für die zu nennen. Das Science Center plant, se Themen zu sensibilisieren. In einer in das nur wenige Schritte entfernte riesigen Halle können die Besucher an ehemalige Gaskraftwerk des Stahlwerks über 75 interaktiven, in fünf Sprachen Differdange umzuziehen. In diesem verfügbaren Experimentierstationen Gebäude aus dem Jahr 1905 befin spannende Versuche mit Tieftempe det sich die „Groussgasmaschinn“: der ratur, Niederdruck, Schwerkraft und zum Denkmal erklärte größte Verbren diversen Werkstoffen anstellen. Außer nungsmotor der Welt. Dieser Wissen gewöhnliche Überraschungen erwar schaftstempel ist schon jetzt ein echter ten die Besucher: gigantische Lichtbö Publikumsmagnet – mit großen Ambi gen von 1,5 Millionen Volt, eine Partie tionen für die Zukunft. Die Pflege der Lokalgeschichte in Pétange Das 1889 fertiggestellte, herrlich re Zeitungsausschnitte, alte Dokumente, novierte „Maison de la Mémoire col Bücher und Zeitschriften sowie die voll lective an der Uecht“ befindet sich im ständigen Archive hiesiger Vereine wer ehemaligen Pfarrhaus von Lamadelain. den hier verwahrt. Im Lesesaal werden 14
1. Industriemuseen auch Seminare und Filmvorführungen Sitz und freuen sich über jeden Neuzu veranstaltet. Die „Geschichtsfrënn vun gang in Form von zu scannenden alten der Gemeng Péiteng“ haben hier ihren Fotos und Dokumenten. Museum feRRUM, Tétange Anfang 2022 wird in Tétange ein nagel empfängt wochentags Grundschul neues Museum in den Nebengebäuden klassen und macht die Kinder in Work der Schungfabrik seine Türen öffnen shops mit der Geschichte ihrer Region (mehr zu dieser Schuhfabrik für Bergar vertraut. beiter siehe S. 41). In einer Dauerausstel Ergänzt wird der Komplex durch lung über die Geschichte des Kayl-Tals eine Kunstgalerie, die der Verein MUAR widmet es sich zwei Themen „Ortsge (Musée vun der Aarbecht/Museum der schichte – das Land“ und „Industriesek Arbeit) zur Veranstaltung von Events toren – die Menschen“. An vier Stationen nutzen wird. verfolgen die Besucher die historische Vom Außengelände des Museums und landschaftliche Entwicklung der gehen zwei Wanderwege ab. Insbeson Gemeinde. Der Namen des Museums dere der „Minettswee“ kann als Erweite spiegelt den Bezug zur Geschichte wi rung des Museums verstanden werden, der: feRRUM, die lateinische Bezeich da er an geschichtsträchtigen Orten des nung für das chemische Element Eisen, Bergbaus vorbeiführt und ergänzende das die Entwicklung der Region und des Informationen liefert. Kayl-Tals ab 1840 prägte. Das Gebäude An vier Stationen verfolgen die Besucher die Entwicklung des Kayl-Tals. 15
1. Industriemuseen Dokumentationszentrum für Migrationsgeschichte, Dudelange Das 1995 gegründete „Centre de docu Deutschland, Frankreich und Belgien mentation sur les migrations humaines“ sowie aus dem damals fernen Italien ins (CDMH) hat seinen Sitz im alten Bahn Großherzogtum. hof des Viertels „Kleng Italien“ in Dude Das Viertel „Kleng Italien“ wurde im lange. Der Bahnhof und die Bahnstrecke ausgehenden 19. Jh. mit der einset wurden 1897 gebaut, um die neu er zenden Industrialisierung Luxemburgs richtete Hütte mit Kohle zu beliefern hauptsächlich von italienischen Einwan und den Abtransport des Eisens zu derern errichtet. Eingekeilt zwischen gewährleisten. Hier haben viele italieni der Hütte im Tal und den Gruben in den sche Arbeiter zum ersten Mal ihren Fuß Hängen, ist es heute ein wichtiger Erin auf luxemburgischen Boden gesetzt, nerungsort der Migrationsgeschichte um in den Gruben und den Hütten ihr des Großherzogtums. Kennzeichnend tägliches Brot zu verdienen. für das Viertel ist sein Aufbau in Terras Auswanderung und Einwanderung sen, die durch ein Netz von Außentrep spielten in Luxemburg seit den 1880er pen und überdachten Durchgängen Jahren eine große Rolle und haben zur miteinander verbunden sind. kulturellen Identität des Landes bei Das Dokumentationszentrum orga getragen. Bis zum Industriezeitalter nisiert regelmäßig Ausstellungen zum wanderten viele Luxemburger nach Thema Migrationsgeschichte. Vor allem Amerika aus oder arbeiteten im be aber versteht es sich als ein „Museum nachbarten Frankreich oder Belgien. Mit ohne Mauern“ in einem multikulturellen der Entstehung der Eisenindustrie wen Viertel, das die Geschichte seiner ehe dete sich das Blatt und es kamen zahl maligen, heute meist portugiesischen reiche Arbeiter aus den Nachbarländern Bewohner erzählt (siehe S. 30). Einwanderer (Ausstellung des CDMH) 16
1. Industriemuseen Nationales Zentrum für Industriekultur Der gemeinnützige Verein Industriekul zu retten und mögliche Neunutzungen tur-CNCI (Centre national de la culture vorzuschlagen und zu unterstützen. industrielle) wurde 2019 gegründet, um sämtliche Akteure des Luxemburger Bahnhof Dudelange-Usines industriellen Erbes sowie alle Industrie kulturinteressierte in einem kooperati ven Netzwerk zusammenzubringen. Ziel des Vereins ist es, sich als Referenz für In dustriekultur in Luxemburg zu etablieren und die Öffentlichkeit durch Aktionen, Projekte und Aktivitäten zu sensibilisie ren, um das gefährdete Industrieerbe Praktische Informationen Minett Park Fond-de-Gras Grube Grôven (Train 1900, Minièresbunn, Titelberg, Eugène- Rue de Hussigny Pesch-Museum, Espace muséologique Lasauvage) Tel.: (+352) 58 77 1 1900 2, Fond-de-Gras L-4576 Niederkorn culturel@differdange.lu, www.differdange.lu Tel.: (+352) 26 58 20 69 (montags bis freitags) info@minettpark.lu, www.minettpark.lu Science Center 50, rue Emile Mark L-4620 Differdange Train 1900 Tel.: +(352) 28 83 99 1 12, rue de Lasauvage, L-4829 Rodange reception@science-center.lu, www.science-center.lu Fax: (+352) 50 94 85 train1900@pt.lu, www.train1900.lu Maison de la Mémoire collective an der Uecht 1A, avenue de la Gare, L-4873 Lamadelaine Grubenbahn Minièresbunn Doihl Tel.: +(352) 50 12 51 6250 BP 60, L-4701 Pétange www.petange.lu, geschischtsfrenn@petange.lu info@minieresbunn.lu, www.minieresbunn.lu Centre de documentation sur les migrations Grube Cockerill, Esch-sur-Alzette humaines, (Dokumentationszentrum für Migra Centre d‘accueil „Ellergronn“», L-4114 Esch-sur-Alzette tionsgeschichte) Dudelange Tel.: (+352) 26 54 42-1 Gare-Usines, L-3481 Dudelange ellergronn@ef.etat.lu, www.centresnatureetforet.lu Tel.: (+352) 51 69 85 ellergr@pt.lu (Entente Cockerill) info@cdmh.lu, www.cdmh.lu Musée national des mines de fer luxembourgeoi- Industriekultur-CNCI ses (Nationales Bergbaumuseum), Rumelange info@cnci.lu, www.cnci.lu Carreau de la mine Walert, L-3714 Rumelange Tel.: (+352) 56 56 88 info@mnm.lu, www.mnm.lu, www.brasseriedumusee.lu 17
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2. Die Hochöfen von Esch/Belval DIE HOCHÖFEN VON ESCH/BELVAL Die Adolf-Emil-Hütte, ein integriertes Werk 200 t pro Tag, eine riesige Gebläsehalle, 1907 beschloss die Gelsenkirchener ein Thomasstahlwerk mit zwei Mischern Bergwerks-AG, Eigentümerin der ehe- (800 t) und vier Konvertern (18 t) sowie maligen Brasseurschmelz in Esch, den eine Serie von Walzwerken ermöglich- Bau einer neuen Hütte. Da ihre Direkto- ten die Herstellung verschiedenster ren, die Brüder Adolf und Emil Kirdorf, Produkte – von Zwischenprodukten nicht die nötigen Grundstücke bei (Rohblöcke und Scheite) bis hin zu End- Russange (F) in Lothringen aufkaufen produkten aus dem Walzwerk (Stahlträ- konnten, wandten sie sich an die Stadt ger, U, Profileisen, Spundbohlen, groß Esch. Der Escher Bürgermeister und In- dimensio nierte Eisenwaren). Im Jahre dustrielle Léon Metz erklärte sich bereit, 1913 produzierten die 3.131 Arbeiter das Waldstück Clair-Chêne zu veräußern. (davon 65 % Ausländer) 400.000 t Guss- Von 1909 bis 1912 entstand dort zwi- eisen, 360.000 t Stahl und 297.000 t schen Esch-sur-Alzette und Belvaux die Walzprodukte. Adolf-Emil-Hütte mit Hochöfen, Stahl- werk und Walzwerk, um sämtliche Stahl- ARBED Esch/Belval, ein modernes Werk produktionsstufen zu integrieren – von In den 60er Jahren wurde das Werk mit der Erzaufbereitung bis zum Endprodukt. hohem Kapitaleinsatz modernisiert. Das Werk war großzügig auf über Die sechs Hochöfen wurden abgebaut 222 ha Land angelegt. Sechs Hochöfen und durch drei neue ersetzt. Der Hoch- mit einer Produktionskapazität von ofen A, mit einer Tagesproduktion von Die Hütte Esch/Belval in Betrieb 19
2. Die Hochöfen von Esch/Belval Belval, ein Standort mit Zukunft 2.300 t, wurde 1965 errichtet, Hochofen ein nur einige hundert Meter entfern- B (3.000 t) folgte 1969 und Hochofen C ter Elektroofen, der mit Eisenschrott (4.000 t) 1979. 1967 wurde das neue LD- beschickt wird, die Stahlproduktion. AC Stahlwerk mit zwei Konvertern von Der erste Elektroofen von Mannes- 125 t errichtet. mann Demag Hüttentechnik (MDH) Kurz vor Ausbruch der Wirtschafts- mit einem Durchmesser von 7,6 m und krise im Jahr 1973 beschäftigte dieses einer Kapazität von 155 t war ab Mai integrierte Werk 6.875 Arbeiter und 1997 produktionsbereit. Im September 1.006 Angestellte und erreichte seine 1996 wurde ein von SMS/Paul Wurth höchste Produktion mit 1.782.000 t errichtetes neues Walzwerk in Betrieb Stahl und 1.513.000 t Eisen. genommen, das seitdem vier Formate produziert: Scheite, Blöcke, Träger und Vom Hochofen zum Elektroofen Spundbohlen. Die Stahlkrise, die sich bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts hinzog, Belval, ein einzigartiger Standort in Europa zwang den Konzern ARBED zu einer Während die Produktion im östlichen technischen Umstrukturierung. Von Teil der Anlage weiterging, wird der zur den drei Hochöfen wurde Hochofen Industriebrache verkommene westliche C nach China verkauft. Die beiden ver- Teil der Hütte neuen Bestimmungen bliebenen (A und B) sind mittlerweile zugeführt. In den 1990er Jahren be- stillgelegt und als Industriedenkmäler schloss die luxemburgische Regierung, erhalten. Der letzte Hochofen stellte die wirtschaftliche Entwicklung der seinen Betrieb am 28. August 1997 Südregion zu unterstützen und mittels vollständig ein. Seitdem übernimmt Dezentralisierung staatlicher Dienstleis- 20
2. Die Hochöfen von Esch/Belval tungen landesweit eine bessere Vertei- tektonisches Gefüge: Der Campus der lung der Arbeitsplätze zu erreichen und Universität Luxemburg, öffentliche die Lebensqualität der Bevölkerung zu Forschungseinrichtungen, Kultur- und verbessern. Daraus entstand eines der Freizeiteinrichtungen sowie Geschäfte ehrgeizigsten städtebaulichen Entwick- tragen zur Entstehung eines Ballungs- lungsprogramme in Europa mit dem raums bei. Trotz der nach Funktionen Ziel, Industriebrachen neu zu nutzen gegliederten Unterteilung des Stand- und aufzuwerten. Belval sollte das erste orts in vier Stadtviertel (Hochofen Beispiel werden. terrasse, Square Mile, Park Belval, Belval Heute präsentiert sich Belval als Nord und Süd) bleibt das Prinzip der moderner Stadtteil, in dem u.a. die Mischung der Funktionen gewahrt: Wissenschaftsstadt „Cité des Sciences, über den gesamten Standort verteilte de la Recherche et de l’Innovation“ Wohnungen, Arbeitsplätze, öffentliche angesiedelt ist. Das Besondere bei Plätze, Nahversorgungseinrichtungen diesem Strukturwandelvorhaben be- (Dienstleistungsfirmen, Geschäfte usw.) stand darin, dass die Industrieanlagen sowie weiterführende Schulen, Sport- als „Denkmäler in der Stadt“ integriert einrichtungen und Behörden. Gegen- werden sollten. So sind die industriellen über der Gebläsehalle, einem impo- Überreste Zeugen einer vergangenen santen Industriegebäude aus dem Jahr Epoche und zugleich Wahrzeichen des 1910, das auf seine neue Bestimmung neuen Belval und eines neuen Gemein- wartet, wird das neue Gebäude des nutzens. Auf der Hochofenterrasse bil- Nationalarchivs errichtet. det die etwa 20 Gebäude umfassende Wissenschaftsstadt ein zusammenhän- gendes, Synergien schaffendes archi Der Inkubator Technoport in Esch/Belval 21
2. Die Hochöfen von Esch/Belval Besuch des Hochofens A in Belval Das in der ehemaligen Möllerei untergebrachte Luxembourg Learning Center Die Hochöfen von Belval als Industriedenkmal Gasreinigung erhalten. Im nördlichen Um das industrielle Erbe dieses außer- Bereich der Möllerei befindet sich heute gewöhnlichen Standorts zu wahren, eine eindrucksvolle Universitätsbiblio- wurden der gesamte Hochofen A mit thek (Luxembourg Learning Center): seiner Gießanlage und dem entspre- ein absolutes Muss für jeden Besucher. chenden Teil der Möllerei aufwändig Zwischen den Hochöfen wurde nach restauriert und die Silhouette des den Plänen des Landschaftsarchitekten Hochofens B samt Cowperanlage und Michel Desvigne ein öffentlicher Platz 22
2. Die Hochöfen von Esch/Belval mit Wasserflächen und umliegenden Zusammenhang mit der Entwicklung Cafés und Restaurants angelegt. Nach des Standorts. Da das Industriegebäude einer Idee des Künstlers Ingo Maurer er- Massenoire auch als Austragungsort strahlen die Hochöfen nachts in weißem für kulturelle Veranstaltungen im Rah- Licht, das die Ästhetik dieser grandiosen men von „Esch2022 Kulturhauptstadt Zeugen der Industriekultur kunstvoll Europas“ genutzt wird, wurde 2021 in unterstreicht. der Avenue des Hauts Fourneaux Nr. 5 Der Hochofen A steht dem Publi- ein neues Informations-, Ausstellungs- kum von Frühling bis Herbst zur freien und Besucherzentrum eröffnet, das Besichtigung offen. Regelmäßig werden ebenfalls als Ausgangspunkt für Führun- Führungen, Konferenzen, Debatten und gen dient. pädagogische Aktivitäten angeboten. Geführte Besichtigungen für Gruppen auf Anfrage: visite@fonds-belval.lu Die zur Universitätsbibliothek und Ausstellungshalle umfunktionierte Möllerei Informationen Die neue Luxembourg Learning Centre (LLC) getaufte Universitätsbibliothek www.fonds-belval.lu wurde in die Möllerei integriert, die einst Website des staatlichen Bauträgers Fonds Belval den Hochöfen als Erz- und Koksbunker (gegründet für die Cité des Sciences) und Mischanlage diente. Dieses vom www.uni.lu Architekturbüro Valentiny hvp architects Internetseite der Universität Luxemburg entworfene, zwischen dem Belval Plaza www.c2dh.uni.lu Shopping Center und der Universität Luxembourg Centre for Contemporary and Digital mitten auf dem Campus von Belval History, eine Forschungseinrichtung der Universität gelegene, längliche Gebäude zieht Luxemburg unweigerlich alle Blicke auf sich. Sei- https://llc.uni.lu ne weiße, durchscheinende Hülle aus Virtueller Rundgang durch die in der Möllerei geometrischen Elementen erinnert an eingerichtete Universitätsbibliothek einen geschliffenen Stein. Im südlichen www.esch.lu Teil der Möllerei entstand mit Blick auf Internetseite der Stadt Esch-sur-Alzette „Esch 2022 Kulturhauptstadt Europas“ ein neuer Ausstellungsraum für digitale www.heichiewen.lu Interessenverein zum Schutz der ehemaligen Installationen. Hochöfen Informations-, Ausstellungs- und www.rockhal.lu Besucherzentrum Massenoire Seite des Konzertsaals Rockhal auf Esch/Belval Zwischen 2010 und 2020 organisierte www.agora.lu das mit Mitteln des Fonds Belval sanierte Entwicklungsgesellschaft des Standorts Belval Gebäude Massenoire (av. du Rock‘n‘Roll, www.cnci.lu gegenüber der Rockhal) Ausstellungen Internetseite des Vereins Industriekultur-CNCI asbl und Konferenzen über die Cité des Sciences, Stadtentwicklung, Indust- riegeschichte und andere Themen im 23
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3. Arbeitersiedlungen und bürgerliche Viertel Arbeitersiedlungen und bürgerliche Viertel Die Gruben und Hütten zogen ein Heer von Arbeitern in den Süden Luxemburgs. Aus dem In- und Ausland strömten sie in das neue Industriegebiet auf der Suche nach Arbeit. Städte und Arbeitersiedlungen entstanden, die bis heute durch ihre gleichförmige Architektur und ortstypischen Häuser die städtebauliche Landschaft dieser Gegend prägen. Zwischen 1870 und 1900 vervierfachte sich die Bevölkerung von Esch-sur-Alzette, die Stadt entwickelte sich zum Zentrum eines florierenden Bergbaureviers. 1906 er- hielt Esch schließlich auch die Stadtrechte. Dudelange, Differdange und R umelange folgten ein Jahr später. In Esch-sur-Alzette und Differdange kauften die Hüttenherren die Schlösser von Adli- gen auf, um nach außen ihre Macht zu demonstrieren. Die Lebensbedingungen der Arbeiterfamilien jedoch waren um die Jahrhundertwende hart und die Wohnverhält- nisse unzumutbar. In so genannten Schlafkasernen teilten sich vier Arbeiter in zwei Schichten ein Doppelbett. Auf Initiative der Hütten- und Bergwerksgesellschaften entstanden in fast allen Orten des Erzbeckens zunächst erste Arbeiterhäuser, dann ganze Arbeitersiedlungen. Nahe- zu sämtliche Haus- und Wohntypen sind vertreten: von der Kaserne zum Cottage, vom schlichten Reihenhaus bis zur Gartenstadt. Die meisten Arbeitersiedlungen sind erhal- ten geblieben und bilden noch heute mehr oder weniger geschlossene Wohnkom- plexe von markanter Architektur. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die meisten Hüttenhäuser an ihre Mieter verkauft, die nicht selten (und zum Leidwesen von einigen Denkmalschützern) begannen, ihre Häuser nach ihrem Geschmack umzu- bauen. Erwähnenswert sind auch sehr schöne Häuser, die von den großen Stahlunter- nehmen für ihre Führungskräfte und leitenden Angestellten meist in Nähe der Werke gebaut wurden und von denen noch heute einige prächtige Exemplare erhalten sind. Das ehemalige Bergarbeiterdorf Lasauvage – sicherlich älteste Arbeitersiedlung im Süden – ist in jedem Fall einen Abstecher wert. Es liegt mitten im Wald und verfügt über ein eigenes Museum (Espace muséologique) und durch die Touristenbahn Minièresbunn über einen Anschluss an den Minett Park Fond-de-Gras (siehe S. 9). In Esch-sur-Alzette sind Besichtigungstouren insbesondere durch folgende zwei Arbeiterviertel zu empfehlen: zunächst das Grenzviertel mit seinen Arbeitersiedlun- gen, dem ehemaligen Casino und den Ingenieurswohnungen rund um die Terres Rouges-Hütte. Dann im Norden der Stadt die nach Léon Weirich und Dr. Welter be- nannten Arbeitersiedlungen sowie das in den 1920er Jahren vom Konzern ARBED 25
3. Arbeitersiedlungen und bürgerliche Viertel und der Société Métallurgique des Terres angelegtes Renovierungsprogramm in Rouges errichtete Wohnviertel im Wald- den 1980er Jahren an die Wohnansprü- stück Clair-Chêne, das zusammen mit der che von heute angepasst wurde. Sankt-Heinrich-Kirche, einem Kloster und einer 1934 von den Schwestern der Kon- Die Industrialisierung verhalf einem Teil gregation der Heiligen Elisabeth eröffne- der Bevölkerung zu einem gewissen ten Kinderkrippe entstand. Wohlstand. Das aus dem Wirtschafts- wachstum hervorgegangene Indus- In Dudelange sind gleich zwei Stadtteile trie- und Handelsbürgertum stellte in vielfacher Hinsicht interessant: zum seinen neuen Reichtum in Bauwerken einen das bereits erwähnte, zwischen zur Schau und hinterließ so ein reich- Hütte und Grubenrevier gelegene Viertel haltiges architektonisches Erbe. Beispie- Kleng Italien mit seinen verwinkelten le hierfür sind insbesondere in Esch- Gassen und mehrstöckigen Häusern; sur-Alzette das Dellhéicht-Viertel, die zum anderen das um 1900 erbaute Rue de Luxembourg sowie die Rue de Brill-Viertel, das im 20. Jh. im Sinne einer l’Alzette, die derzeit wichtigste Einkaufs- Gartenstadt erweitert und durch ein groß meile des Landes. Das Grenzviertel (Hiehl) rund um die Terres Rouges-Hütte, Esch-Sur-Alzette In Esch-sur-Alzette wurden 1870-71 sind jedoch die meisten leider nicht gleich zwei Hochofenbetriebe gebaut: mehr vorhanden. die „Brasseur-Schmelz“ im Südwesten 1873 ließ die Luxemburger Berg- und die „Metze-Schmelz“ im Südosten werks- und Saarbrücker Eisenhütten der Stadt, benannt nach den Initiato- gesellschaft in der Rue des Mineurs ren Metz und den Brüdern Brasseur. Die acht Doppel häuser errichten. Trotz Inhaber sahen sich durch den schnell ihrer pavillonartigen Anordnung wur- wachsenden Bedarf an Arbeitskräften den sie schon bald im Volksmund mit einer sich verschärfenden Woh- „d’Saarbrécker Kasäre“ (Saarbrücker nungsnot konfrontiert. Nach und nach Kasernen) genannt. 1894 wurden auf ließen sie in der Nähe der Werke Arbei- dem Kazebierg sieben Häuser mit je- terwohnungen bauen. weils vier Wohnungen gebaut, die je- Unweit des später in „Esch-Terre doch zu Beginn der 1950er Jahre dem Rouge“ umbenannten Hüttenwerks Ausbau der Hütte weichen mussten. und der Gruben entlang Verladequais Die erste richtige Arbeitersiedlung entstand das Viertel Hiehl. Dieser da- entstand jedoch erst 30 Jahre nach mals sehr geschäftige Stadtteil mit zahl- der Errichtung der ersten Hütte, sprich reichen Miets- und Wirtshäusern wurde 1901 und 1904 (Rue des Mines, Rue von italienischen Arbeitern bewohnt, Renaudin) im Auftrag des deutschen wie die Namen der Gaststätten bezeu- Aachener Hütten-Aktien-Vereins, der in gen: Rossi, Scarassa, Carola... Von diesen der Zwischenzeit die Brasseur-Schmelz 26
3. Arbeitersiedlungen und bürgerliche Viertel Arbeiterhaus im Viertel Hiehl, Esch-sur-Alzette sowie die Hütte im benachbarten zur Ernährung der um jeden Groschen Audun-le-Tiche (F) übernommen hatte. kämpfenden Arbeiterfamilien bei. Die „op Barbourg“ genannte Sied- Zeitgleich zur Errichtung der moder- lung besteht aus 35 Einfamilien- nen Adolf-Emil-Hütte zwischen 1909 häusern, die in Gestalt identischer und 1912 ließ die Gelsenkirchener Berg- Doppelhäuser mit Satteldach beide werks-AG zwei große Siedlungen (be- Straßenseiten säumen. Jedes Haus nannt nach Léon Weirich und Dr. Welter) besteht aus einem Erdgeschoss und für Arbeiter, Meister und Vorarbeiter, einem ausgebauten Stockwerk unter zwölf Bergbeamtenwohnungen, ein Ver- dem Dach. Die verputzten Fassaden waltungsgebäude und ein Kasino bau- zieren schlichte dekorative Elemente en. Die Bergbeamtenwohnungen waren aus Backstein. Jedes Einfamilienhaus größer als die Arbeiterwohnungen und besitzt einen separaten Eingang, einen besaßen sogar ein Badezimmer. Anbau mit Ställen für Kleinvieh und Zur selben Zeit entstanden in der Rue Toilette sowie einen Garten. Denn Ge- Barbourg zwei Wohnblöcke von jeweils müse aus dem eigenen Garten sowie 10 und 13 Arbeiterhäusern, die ähnlich Hühner und Kaninchen aus eigener gestaltet waren wie die Häuser in den Haltung trugen damals entscheidend Siedlungen Léon Weirich und Dr. Welter. Arbeitersiedlungen Léon Weirich und Dr. Welter in Esch Zwischen 1909 und 1912 errichtete sur-Alzette: die Adolf-Emil-Hütte (heute die Gelsenkirchener Bergwerks-AG ein Hütte Esch/Belval). Gleichzeitig ent- neues, modernes Stahlwerk in Esch- standen in ihrem Auftrag zwei große 27
3. Arbeitersiedlungen und bürgerliche Viertel und schaffen so Raum für Treffpunkte und für Kinder Platz zum Spielen. Große Gärten, durch die Fußgängerwege führen, bilden zusammen mit Baum- gruppen eine herrliche Grünanlage. Die meisten Haushalte verfügten über einen Stall in einem kleinen Nebenge- bäude. Zur Selbstversorgung hielten die Familien Kleinvieh und bauten Gemüse im eigenen Garten an. Die Siedlungen bestehen aus in Gruppen zusammengefassten Häusern unterschiedlicher Bauweise und zeich- nen sich durch eine Vielfalt architek- tonischer Details aus, darunter Giebel, Arbeitersiedlung Léon Weirich, Esch-sur-Alzette Dächer und Vordächer in unterschied- lichsten Formen, Fassaden mit Vor- und Arbeitersiedlungen mit insgesamt Rücksprüngen, Erkerfenster, Loggien, 283 Wohnungen, Villen für Ingenieure zum Garten führende Bogengänge usw. (Rue Bessemer Nr. 1-6), Bergbeamten- Bei den meisten Bauten handelt es wohnungen (Avenue des Terres-Rouges sich um Einfamilienhäuser. Die Größe Nr. 4-20), ein Kasino (Rue d'Audun Nr. 5) der Wohnung entsprach dem Rang des (siehe S. 39) und ein Verwaltungsge Mieters im Unternehmen: Meister hatten bäude (Avenue des Terres-Rouges, Anspruch auf sechs Zimmer, Vorarbeiter Nr. 1). Mit den Plänen all dieser Bauten auf fünf und Arbeiter auf vier Zimmer. Je- wurde der deutsche Architekt Paul Tafel der Haushalt verfügte über Kellerräume, betraut, was ihr einheitliches architekto- einen Dachboden und einen Garten. Die nisches Bild erklärt. Die Kolonien „Auf der Acht“ (Léon Arbeitersiedlung Léon Weirich, Esch-sur-Alzette Weirich) und „Ehleringerstraße“ (Dr. Welter) verkörperten im Luxemburger Erzbecken einen völlig neuen Typus der Bergmannssiedlung. Sowohl im Hinblick auf Bebauungsplan als auch Architek- tur unterscheiden sich die Siedlungen deutlich von den einheitlichen Koloni- en in der Rue Renaudin und in der Rue des Mines, die von den Vorgängern der Gelsenkirchener Bergwerks-AG, dem Aachener Hütten-Actien-Verein, errich- tet worden waren. Diese der englischen Gartenstadt nachempfundenen, neuen Siedlungen folgen keiner geradlinigen Fluchtlinie. Die Häuser reihen sich um kleine Plätze und breite Straßenräume 28
3. Arbeitersiedlungen und bürgerliche Viertel Wohnungen wurden gegen eine sehr geringe Miete zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug unterlagen die Mieter einer strengen Kontrolle, nicht nur was die Hausordnung, sondern auch die Instand- haltung der Häuser betraf. Die Arbeitersiedlungen wurden nach der Privatisierung der Häuser ab den 1960er/1970er Jahren zahlreichen Eingriffen unterzogen. Die Bergbeamtenwohnungen äh- Arbeitersiedlung Dr. Welter, Esch-sur-Alzette neln den Häusern der Arbeitersiedlun- gen, sind jedoch etwas größer, wäh- höheren Bergbeamten einen ausge- rend es sich bei den Häusern in der sprochen komfortablen Lebensraum. Rue Bessemer um schöne Doppelvillen Das in eine Tierarztpraxis umgewan- handelt. Diese mit geräumigen Zim- delte Hüttenportal 1 gegenüber den mern ausgestatteten und von großen Ingenieurhäusern wurde ebenfalls von Gärten umgebenen Villen boten den Paul Tafel entworfen. Escher Häuser mit geschichtsträchtigen Fassaden Durch den Aufschwung der Eisen- und Das florierende Handwerk und die Stahlindustrie gelang Esch die Verwand- aufkommende Industrie rivalisierten lung von einer kleinen Landgemeinde zu auch auf dem Gebiet der Architektur. einer reichen Industriestadt. Als Haupt- Die Bauherren kamen aus Deutschland, stadt des gleichnamigen Kantons ent- Belgien, Frankreich, Italien und Luxem- wickelte sie sich zum zweitwichtigsten burg und brachten in ihre Häuser und Wirtschafts- und Handelszentrum des Geschäfte bekannte Stilelemente aus Landes. Im Laufe der Zeit gab sich die ihrer Heimat ein. So treffen im neuen Gemeinde die zur städtischen Entwick- Escher Nobelviertel Dellhéicht und in lung nötigen Mittel und Infrastrukturen. der Prachtstraße Rue de l’Alzette vie- Anfang des 20. Jh. beschloss die le Stilrichtungen aufeinander: der aus Stadt Esch, ihre Rolle als wirtschaftliches Nancy inspirierte Jugendstil, deutscher Zentrum gegenüber der politischen und administrativen Hauptstadt Luxem- Rathausplatz, Esch-sur-Alzette burg auszubauen, und beauftragte den Stadtbaumeister Paul Flesch (1870-1955), einen ersten Bebauungsplan zu erarbei- ten, der 1924 von dem bekannten deut- schen Urbanisten Joseph Stübben um neue Stadtviertel erweitert wurde. Dieser Plan ist heute im Stadtentwicklungsamt der Stadt zu sehen. 29
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