Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona

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Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
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STADTENTWICKLUNG         NEUE AUSBILDUNG
                                        Das offizielle Magazin
                                        der Stadt Rapperswil-Jona
                                        Dezember 2016

                                                  JUGENDREPORTER
Lebendigkeit und         Eine Schule für          Der Hype um
Vielfalt fördern         Informatiker             Pokémon Go

«Nasses Terrain liegt mir am besten»
Dario Lillo, Schüler der Sportschule Rapperswil-Jona
Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
porträt

                                                                                                                          Foto : Katharina Wernli
2           Dezember 2016

Impressum
Das «Stadtjournal», das offizielle Magazin der Stadt Rapperswil-Jona, erscheint zwei- bis dreimal jährlich und wird an
alle Haushaltungen in Rapperswil-Jona verteilt. Zusätzliche Exemplare sind auf Anfrage bei der Stadtkanzlei erhältlich.

Redaktion                                           Herausgeberin :
Hansjörg Goldener (Leitung), Antonio Cortesi,       Stadtverwaltung Rapperswil-Jona
Markus Gisler, Jacqueline Olivier,                  St. Gallerstrasse 40
Thomas Rüegg, Laura Verbeke                         8645 Jona
Design
Katja Hösli, MDC GmbH, Teufen AR
Druck
Bruhin Druck AG, Freienbach
Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
porträt
                                                                                                             Dezember 2016        3

EDITORIAL

Anstand bleibt
Liebe Einwohnerinnen und Einwohner                                                         besondere in Rapperswil-Jona und bei
von Rapperswil-Jona                                                                        allen Kandidierenden für Stadtrat und
                                                                                           Stadtpräsidium. Das ist ein gutes Omen
« Du sprichst ein grosses Wort gelassen                                                    für die Kesb-Klage – denn die bevorste-
aus », liess einst Johann Wolfgang von                                                     henden Gerichtsverhandlungen sind
Goethe einen seiner Protagonisten sagen.                                                   die einzige Möglichkeit, in dieser Frage
Wie viele andere Stellen aus Goethes                                                       Transparenz herzustellen. Wie so oft im
Werk wird dieser Satz bis anhin gerne                                                      Leben behaupten die einen dies und die
zitiert. Welches konkrete Wort damals                                                      anderen das. Bisher haben die Bürger-
ausgesprochen wurde, spielt für die Zitie-                                                 innen und Bürger nur die Version der
renden in der Regel keine Rolle mehr. Wir                                                  «Obersee Nachrichten» zu Ohren bekom-
nehmen uns heute die Freiheit, selber zu                                                   men. Da kann es alle nach Transparenz
bestimmen, was ein grosses Wort ist. Ich                                                   Rufenden nur freuen, dass in abseh-
muss derzeit nicht lange überlegen, wel-                                                   barer Zeit eine hoffentlich öffentliche
ches Wort das für mich ist. « Anstand » ist                                                Gerichtsverhandlung zu diesem Thema
es und « Anstand bleibt » es.                                                              stattfinden wird. Dann kommt alles
                                                                                           auf den Tisch oder ans Tageslicht, was
Den Anstand zu bewahren, wenn an-                                                          bisher im Verborgenen liegen blieb oder
dere jeden Anstand verloren haben, ist                                                     liegen bleiben musste.
nicht einfach. Vielleicht ist mir das in
den vergangenen Monaten auch nicht                                                         Leider müssen wir alle uns noch etwas
immer gelungen. Dennoch bleibe ich                                                         gedulden, bis die besagte Gerichtsver-
der Überzeugung, dass unsere Gesell-                                                       handlung stattfindet. Gerne können
schaft, unser Zusammenleben und nicht                                                      Sie sich, liebe Einwohnerinnen und
zuletzt unsere Demokratie nur dann                                 Erich Zoller            Einwohner, die Zeit bis dahin vertreiben
funktionieren, wenn Werte wie Respekt,                            Stadtpräsident           und sich der Lektüre des «Stadtjournals»
Verantwortungsbewusstsein, Uneigen-                                                        widmen. Das zentrale Thema ist diesmal
nützigkeit, Fairness oder Solidarität ge-       folge verbuchen. Nachhaltig sind solche    die Stadtentwicklung. Weiter finden Sie
pflegt und geschätzt werden. Diese und          Erfolge allerdings nicht.                  unter anderem Beiträge über die geplante
andere Qualitäten sind es, die Anstand                                                     Informatikmittelschule oder das Netz-
ausmachen. Wer das aufs Spiel setzt, wer        Denn auch Ehrlichkeit und Transparenz      werk Sportschule. Also wie stets ein ganz
damit spielt und wer sich auf diese Spiele      sind Facetten des Anstands. Immerhin       anständiger Katalog spannender Artikel.
einlässt, kann vielleicht kurzfristige Er-      die Transparenz ist gross in Mode – ins-   Ich wünsche Ihnen viel Lesevergnügen.

Inhalt
4   Aktuelles aus der Stadt

6   Netzwerk Sportschule: Gemeinsam Anschlusslösungen finden

10 Ein neues Kapitel der Stadtentwicklung

12 Interview: Was bedeutet Nutzungs- und Identitätsentwicklung?

16 Die Stadt in Zahlen: « Rösseler » sind eine exklusive Gruppe

19 Stadtrat Markus Gisler zieht Bilanz

20 Der Hype um Pokémon Go – die Jugendreporter auf Spurensuche

22 10 Fragen an Carmen Betschart, Leiterin Sekretariat Stadtkanzlei

23 Ethic Hacker: Wie Compass Security virtuelle Sicherheitslücken aufdeckt

26 Die Informatikmittelschule soll dem Fachkräftemangel entgegenwirken                                           Dezember
29 Auswahl aus über 100 Kursen und Ausflügen dank Ferienpass

32 Daniela Colombo – durch und durch bibliophil
                                                                                                                 2016
34 Hausgeschichten: Der « Frauenhof » am Hauptplatz
Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
news aus der stadt
4        Dezember 2016

Rapperswil-Jona an der Expo
Was die Einwohner über die Stadt zu sagen haben
An der diesjährigen Expo von            Stadtgebiets oder die Schliessung           Ausserdem wurde unter anderem
Ende September / Anfang Oktober         der Lücken im Velowegnetz. Unzu-            der Wunsch nach mehr Mitwirkung
präsentierte die Stadt den Bildungs-    friedenheit wurde über Velofahrer           in der Raumplanung sowie Lob für
standort Rapperswil-Jona. Neben         ohne Licht oder fehlende Fahrpläne          den neuen Bahn- und Bushof Jona,
der Volksschule standen insbe-          an den Bushaltestellen Erlen und            den Bauvorstand oder die kinder-
sondere das Berufs- und Weiter-         Wagen ausgedrückt.                          freundliche Stadt geäussert. (red)
bildungszentrum Rapperswil-Jona

                                                                                                                                          Foto: zvg
(BWZ) und die Hochschule für
Technik Rapperswil (HSR) im Zent-
rum. Und die Informatikmittelschu-
le, die im August 2017 in Koopera-
tion mit der HSR am BWZ eröffnet
wird (siehe Artikel Seite 26).
     Am Stand der Stadt konnten
sich die Besucher aber nicht nur
informieren. Unter dem Motto « Was
ich über die Stadt Rapperswil-Jona
schon immer sagen wollte » waren
sie aufgefordert, auf einer Karte
ihre Meinung kundzutun. Unter
jenen, welche die Gelegenheit
genutzt haben, war der Verkehr ein
wichtiger Punkt. Angeregt wurden
zum Beispiel die Trennung von
Fussgänger- und Velowegen, eine
Spurentrennung an der Erlen-
strasse, ein Gratisbus innerhalb des    Die Stadt präsentierte sich als Bildungsstandort für alle.

Hindernisfreies Bauen
Ein digitaler Stadtplan für Menschen mit Handicaps
Wie steht es um die Zugänglichkeit von Gebäuden in der Stadt

                                                                                                                                          Foto: zvg
Rapperswil-Jona für Menschen mit einer Behinderung, für
ältere Menschen und Familien mit Kinderwagen? Dies wird
derzeit von Pro Infirmis St. Gallen–Appenzell in enger Zusam-
menarbeit mit der Bauverwaltung der Stadt Rapperswil-Jona
überprüft. Das Ziel der Unternehmung: die Erstellung eines
digitalen Stadtplans, der es den Betroffenen erleichtert, sich
selbstständig auf dem Stadtgebiet zu bewegen.
     Erfasst werden öffentliche Gebäude wie das Stadthaus,
Schulen oder Kultureinrichtungen, aber auch wichtige Einrich-
tungen wie Bancomaten oder öffentliche Anlagen. Aufgrund
vordefinierter Kriterien wie Behindertenparkplätze, Rampen,
Toiletten oder Lifte werden die erfassten Objekte mithilfe von
Piktogrammen gekennzeichnet, zum Beispiel « rollstuhlgängig »,
« eingeschränkt rollstuhlgängig » oder « nicht rollstuhlgängig ».
     Die erfassten Daten und die zugeteilten Piktogramme             Mit Piktogrammen sollen die erfassten Objekte auf dem digitalen
werden anschliessend auf dem interaktiven Stadtplan von              Stadtplan gekennzeichnet werden.
Rapperswil-Jona veröffentlicht und stehen den verschiedenen
Partnern von Pro Infirmis und der Öffentlichkeit zur Verfü-          Das Projekt von Pro Infirmis läuft bereits in verschiedenen
gung. Um den Benutzern weitere wichtige Informationen zur            Schweizer Städten. In absehbarer Zeit sollen in allen Regionen der
Ausstattung der Gebäude zu liefern, werden zudem einige              Schweiz Stadtpläne für Menschen mit Handicaps entstehen. (red)
Fotos von wichtigen Bauelementen veröffentlicht.                     > www.citymaps.ch
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news aus der stadt
                                                                                                                        Dezember 2016    5

            Zweites Studentenwohnheim
            88 weitere Zimmer für Studenten der HSR
                                                                                                    Drittel der zurzeit 1600 Studentinnen
                                                                                                    und Studenten kommt aus entfernten
Foto: HSR

                                                                                                    Regionen und braucht deshalb eine
                                                                                                    Unterkunft in der Stadt. Das vor zwei
                                                                                                    Jahren eröffnete Studentenwohnheim
                                                                                                    neben dem Schulhaus Weiden platzt
                                                                                                    bereits wieder aus allen Nähten. Darum
                                                                                                    soll jetzt gleich daneben ein zweites
                                                                                                    Wohnheim gebaut werden.
                                                                                                        Im neuen Gebäude sind auf den
                                                                                                    zwei Obergeschossen jeweils sechs
                                                                                                    Wohngruppen à sechs Zimmer und eine
                                                                                                    Wohngruppe à acht Zimmer vorgese-
                                                                                                    hen. Insgesamt werden so 88 weitere
                                                                                                    Zimmer bereitstehen.
                                                                                                        Bauherrin ist die Stiftung zur
                                                                                                    Förderung der HSR, welche die Finan-
                                                                                                    zierung sichert. Mit der Ausführung
                                                                                                    beauftragt wurde das gleiche Team
                                                                                                    wie beim ersten Wohnhaus, sodass
                                                                                                    der Neubau die gleiche architekto-
                                                                                                    nische Handschrift tragen wird. Das
                                                                                                    Baubewilligungsverfahren wurde vor
            Das erste Studentenwohnheim ist ausgebucht. Nun entsteht daneben ein zweites.           Kurzem abgeschlossen, bald werden
                                                                                                    die Bagger auffahren. Zu Beginn des
            Die Hochschule für Technik Rappers-          ganzen Schweiz sowie Austauschstu-         Herbstsemesters 2018 sollen die Zim-
            wil (HSR) zieht junge Leute aus der          denten aus dem Ausland an. Rund ein        mer bezugsbereit sein. (red)

            Energiespartipp
            Die Heizung regulieren und Energiekosten senken
            Nach der Sommerpause verlangt Ihre Heizung nach einer             schafft ein behagliches Raumklima für alle Bewohnerinnen
            Funktionskontrolle. Stellen Sie zu Beginn der Heizperiode fest,   und Bewohner. (red)
            ob mögliche Unregelmässigkeiten bestehen, und beheben Sie
            deren Ursachen.                                                   Quelle: Energieagentur St. Gallen

            •   Sind der Heizraum und die Frischluftöffnung gereinigt?
                Nur saubere Luft führt zu einer vollständigen, sauberen
                Verbrennung.
            •   Ist es im ganzen Haus zu kalt oder zu warm? Passen Sie
                die Betriebszeiten an und justieren Sie die Heizkurve
                schrittweise.
            •   Werden einzelne Räume oder Heizkörper nicht gleich
                warm? Entlüften Sie die Heizkörper, prüfen Sie den Was-
                serstand, die Umwälzpumpe und das Expansionsgefäss
                und führen Sie den hydraulischen Abgleich schrittweise
                durch.

            Hilfestellungen zu diesen Massnahmen finden Sie im Handbuch        Im «Stadtjournal» veröffentlicht die Ener-
            Ihrer Heizanlage oder bei Heizungsfachleuten.                      giestadt Rapperswil-Jona jeweils in dieser
                                                                               Rubrik einen Tipp, wie man im Alltag ganz
            Wer seine Heizung energieeffizient betreibt und unnötige           einfach Energie sparen kann.
            Verluste vermeidet, sorgt für minimale Energiekosten und
Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
aktuell
6        Dezember 2016

Spitzensport und Ausbildung –
guter Wille ist gefragt
Für jugendliche Spitzensportler ist es oft schwierig, Training und Lehre unter einen Hut zu bringen.
Im neuen «Netzwerk Sportschule» engagieren sich die Schule, Sportvereine, das Gewerbe und wei-
tere Akteure, damit Sporttalente in Zukunft eine adäquate Anschlusslösung finden.

Text: Stefan Hartmann                        ren vielleicht die United School of Sports   war auch Schulpräsident Thomas Rüegg.
Fotos: Andreas Schwaiger                     mit KV-Ausbildung, besuchen die Infor-       Man beschloss die Gründung einer Task-
                                             matik-, Handels und Sprachschule (HBS)       force, die bereits drei Wochen später
Terry Schnyder hat die Talentklasse im       in Rapperswil-Jona oder sie planen ein       erstmals zusammenkam. Seither agiert
Schulhaus Rain besucht. Seit August          Praktikumsjahr im Ausland. Das kann          sie unter dem Namen « Netzwerk Sport-
2016 absolviert der 16-Jährige eine Lehre    zum Beispiel ein Englischkurs in Kanada      schule » und mit dem Ziel, den jungen
als Bewegungsinstruktor im Fitnessstu-       sein, mit dem sich das Eishockeytraining     Sporttalenten gute Anschlusslösungen
dio « Chili » in Dürnten. Er lernt, Trai-    verbinden lässt.                             zu ermöglichen.
ningspläne zu erstellen und auf Wunsch                                                        Dies bedeutet vorderhand vor al-
des Kunden die Übungen zu begleiten.         Betriebe für das Thema sensibilisieren       lem, weiterführende Schulen und mehr
Sein Lehrmeister hat ihm beigebracht,        Die Sportschule wurde 2014 ins Leben         noch die Betriebe in der Region für die
dass es wichtig ist, stets den richtigen     gerufen, als weitere Spezialisierung         Bedürfnisse des Sportnachwuchses zu
Ton zu treffen, am Telefon oder im Um-       nach dem Modell der bereits bestehen-        sensibilisieren. Im Januar dieses Jahres
gang mit Kunden. « Der Kunde ist Kö-         den Talentklassen, in denen neben den        lud der Verein Rapperswil-Jona Lakers
nig», sagt Terry und lacht. Die Lehre im     sportlichen auch musikalische und            im Namen des Netzwerks zu einer ersten
Fitnessstudio erlaubt es ihm, dennoch        künstlerische Nachwuchstalente geför-        Informationsveranstaltung in die Diners
seinem Eishockeytraining bei der No-         dert werden. Da die Sportler deutlich        Club Arena ein. Den Anwesenden wurde
vizen-Elite der Rapperswil-Jona Lakers       in der Überzahl waren, fasste man sie        das Modell der Sportschule vorgestellt,
nachzugehen. Und das sind gut und ger-       in der Sportschule im Schulhaus Boll-        zwei Leistungssportler berichteten auf-
ne 15 Stunden pro Woche.                     wies zusammen – Real- und Sek-Schü-          grund ihrer eigenen Erfahrungen über
    « Chili »-Geschäftsführer Alain Kai-     ler gemischt. Nächsten Sommer ist für        den schwierigen Spagat zwischen Trai-
ser fand, dass Sport gut zu Sport passe.     die Schülerinnen und Schüler der Pilot-      ning, Arbeit, Schule und Freizeit wäh-
Darum wollte er seinem Lehrling eine         klasse nun die besondere Förderung zu        rend der Lehre, und Vertreterinnen der
Chance geben. Terry ist viel auf Achse:      Ende – und dann? Werden sie auch an der      Berufs- und Laufbahnberatung zeigten
Zweimal in der Woche, am Montag und          Kanti oder während der Lehre genügend        auf, welche Voraussetzungen ein Ausbil-
Dienstag, besucht er die Berufsfachschu-     Zeit finden für ihre intensiven Trainings?   dungsplatz für ein Sporttalent erfüllen
le in Basel, die Huber-Widemann-Schule           Darüber hat man sich in der Sport-       sollte.
(HWS). « Mit etwas Einsatz kann er die       schule, in der Schulverwaltung und in
sportlich bedingten Absenzen im Be-          den Sportvereinen schon eine Weile           Flexibilität ist wichtig
trieb oder in der Berufsschule gut bewäl-    Gedanken gemacht. Was bringt es, die         Für Michael Brunner, Schulleiter der
tigen », sagt sein Chef. Nach drei Jahren    Jugendlichen drei Jahre lang in Spe-         Sportschule und Klassenlehrer der
will Terry das Diplom als Fachmann für       zialklassen zu fördern, wenn es danach       3. Sportklasse, ist klar, dass es Zeit brau-
Bewegungs- und Gesundheitsförderung          für sie aus beruflichen oder schulischen     chen wird, bis die Bemühungen des
heimtragen. Sportler haben klare Ziele.      Gründen sportlich nicht weitergeht?          Netzwerks wirklich greifen werden.
                                                 Anfang November 2015 luden die           « Insbesondere bei Handwerksberufen
Intensive Suche nach Lehrplatz               Sportschulen Rapperswil-Jona und Bu-         wie Zimmerleuten, Spenglern oder Elekt-
Szenenwechsel: Im Schulhaus Bollwies         bikon zu einem Austausch über genau          rikern ist von den Lehrbetrieben viel Fle-
fiebern die 22 Schülerinnen und Schü-        diese Frage ein. Sie richteten sich an       xibilität gefragt, da die Mitarbeiter oft auf
ler der 3. Sportklasse dem Übertritt ins     Vertreter des Gewerbevereins Rappers-        Baustellen sind. Muss der Lehrling zum
Berufsleben entgegen. Sie sind die erste     wil-Jona, der HBS, der Kantonsschulen        Sporttraining in den Verein, sind krea-
Sportklasse, die vor dem grossen Mo-         Ausserschwyz, Wattwil und Zürcher            tive Lösungen gefragt. » Trotzdem ist er
ment steht. Drei sind sich bereits sicher:   Oberland, des Berufs- und Weiterbil-         überzeugt, dass es auch solchen Firmen
zwei gehen an die Fachmittelschule,          dungszentrums Rapperswil-Jona, der           möglich ist, Sporttalente auszubilden,
einer an die Informatikmittelschule.         Berufsinformationszentren Uznach und         man müsse sie nur dafür gewinnen.
Cyclosportler Dario Lillo (siehe Porträt     Zürich Oerlikon, der Partnersportver-            Bei einer Umfrage, die anlässlich des
S. 7) hatte bereits im September einen       eine der beiden Sportschulen, von Swiss      Informationsabends unter den Anwe-
Lehrvertrag in der Tasche. Die anderen       Olympic sowie der Sportämter der Kan-        senden durchgeführt wurde, haben rund
sind intensiv am Abklären; sie absolvie-     tone St. Gallen und Zürich. Mit dabei        20 Gewerbetreibende signalisiert, 3
Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
aktuell
                                                                                                                 Dezember 2016              7

 Mit dem Erfolg wächst auch der Ehrgeiz
 Der 14-jährige Dario Lillo aus Eschenbach ist Mountainbike- und Radquer-Fahrer. Die Sport-
 schule Rapperswil-Jona ermöglichte es ihm, Schule und Sport optimal zu kombinieren. Im
 nächsten Sommer wird er eine Lehre als Konstrukteur beginnen.

Der 14-jährige Dario Lillo ist in Eschenbach zu Hause. Seit dem       Feurer von der Abteilung Berufsbildung. Natürlich müssten dabei
siebten Altersjahr sitzt er regelmässig im Sattel. Angefangen         die Leistungen im Betrieb und in der Schule tadellos sein, heisst
hat er als Mountainbiker. Er trainierte regelmässig im Veloclub       es seitens des Betriebs weiter. Nicht alle könnten ihre Doppelrolle
Eschenbach und nahm an regionalen Rennen teil. Mit dem wach-          als Lernende und Spitzensportler gleich gut managen. Bei einigen
senden Erfolg stieg auch die Motivation. Der Wunsch, auch im          liessen mit der Zeit die Leistungen in der Schule oder im Betrieb
Winter biken zu können, brachte ihn zum Radquer. So ist er nun        nach, was einen hohen Betreuungsaufwand zur Folge habe.
das ganze Jahr über gefordert.                                             Als Individualsportler ist Dario nicht darauf angewiesen, re-
     Seit er die Sportschule Rapperswil-Jona besucht, fährt er        gelmässige Trainings während der Arbeitszeit zu besuchen. Eher
täglich mit dem Bike zum sieben Kilometer entfernten Schulhaus        wird er wegen der Teilnahme an Rennen blockweise abwesend
Bollwies. Obwohl einige Nebenfächer wegfallen, verlangen die          sein. Mit der Unterstützung von Fredy Fritsche von der kantona-
Pflichtschulfächer und das tägliche Bike-Training den vollen Ein-     len Koordinationsstelle St. Gallen haben sich die Parteien darauf
satz: Zweimal morgens hat er ein koordinatives Training auf dem       geeinigt, im Lehrvertrag Darios Engagement als Leistungssportler
Stundenplan, dann trainiert er zweimal mit dem Veloclub Eschen-       festzuhalten. So kann, falls nötig, zu einem späteren Zeitpunkt
bach, dazu kommen Trainings mit TSP United (Regional-Kader).          eine weitergehende vertragliche Abmachung ausgehandelt wer-
Seit Neuem fährt Dario ausserdem für das Powersport-Team, mit         den. Dass sportlich talentierte Lernende bei Baumann Federn
dem er ebenfalls regelmässig trainiert.                               grundsätzlich unterstützt werden, hat wohl auch damit zu tun,
     « Nasses Terrain liegt mir am besten », sagt er. Der bisherige   dass der CEO des Unternehmens, Thomas H. Rüegg, sportlich
Einsatz hat sich gelohnt: 2016 ist er Vize-Europameister an der Ju-   selber sehr aktiv ist. (sth)
gend-EM in Graz geworden, zudem hat er den Swiss-Bike- und den
EKZ-Cup gewonnen. Seine diversen Podestplätze freuen ihn enorm.

Selber Crowdfunding betreiben
An Ehrgeiz und Ausdauer fehlt es Dario nicht, dafür oftmals an fi-
nanzieller Unterstützung. Deshalb hat er auf «www.ibelieveinyou.
ch», einer Crowdfunding-Plattform für Schweizer Sportler, ein
Projekt gestartet. Denn der Materialverschleiss in seinem Sport
ist hoch, der Ersatz teuer. Im Moment braucht er ein neues
Radquer-Velo. Kostenpunkt: 3000 Franken. Mithilfe seines
Projekts hofft er auf genügend Sponsoren, damit dieser Betrag
zusammenkommt. Natürlich erbringt er dafür auch eine Gegen-
leistung, je nach Höhe der Spende. Für kleinere Beiträge schreibt
er dem Stifter zum Beispiel eine Postkarte aus dem nächsten Trai-
ningslager, die grosszügigsten Sponsoren dürfen ihn an ein Ren-
nen begleiten und hinter die Kulissen des Radsports blicken oder
Dario zeigt ihnen seine Lieblingsrouten und lädt sie anschliessend
zum Abendessen ein.

Lehrstelle in der Tasche
Nächsten Sommer steht für das junge Sporttalent der Beginn der
Lehre an. Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche hatte er keine.
 « Ich habe vier Bewerbungen geschrieben », erzählt er, « und
darin von Anfang an erwähnt, dass ich Leistungssport betreibe. »
Für die angeschriebenen Firmen sei dies auch kein Hindernis
gewesen. Inzwischen hat er bei der Firma Baumann Federn AG
in Ermenswil, einem international tätigen Unternehmen mit
insgesamt 1500 Angestellten, eine Lehrstelle als Konstrukteur
zugesichert bekommen. « Wir haben immer wieder sportlich
aktive Lernende wie Dario. Wir wollen ihnen eine Chance geben         Dario Lillo ist froh, dass man in seinem zukünftigen Lehr-
und hoffen, dass sie später im Betrieb bleiben», erklärt Barbara      betrieb Verständnis hat für sein sportliches Engagement.
Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
aktuell
8        Dezember 2016

Der Eishockey-Spieler Terry Schnyder macht seine Lehre in einem Fitnessstudio. Sein Chef Alain Kaiser findet, Sport passe gut zu Sport.

dass sie bereit wären, einen Nachwuchs-      Präsident Walter Kälin findet es wichtig,     den einstellten, mit diesem individuelle
sportler in die Lehre aufzunehmen. « Es      dass man die jungen Talente nach der          Vereinbarungen treffen.
sind eher die grösseren Betriebe mit         Sportschule nicht hängenlässt, gibt aber          Bei solchen Vertragsverhandlungen
Lehrwerkstätten, zum Beispiel Geberit        zu verstehen: « Der Jugendliche muss          steht Fredy Fritsche, Leiter der Abteilung
oder Kundert, die ein Sporttalent gut        wirklich wollen, sowohl im Sport als          Lehraufsicht im Kanton St. Gallen und
zu integrieren vermögen », sagt Markus       auch in der Lehre, sonst funktioniert es      der in diesem Bereich tätigen kantonalen
Walker, Vorstandsmitglied von « Gewer-       nicht. » Und auch die Eltern müssten die      Koordinationsstelle, den Lehrbetrieben,
be Rapperswil-Jona ». Auf der Homepage       Jugendlichen vollumfänglich unterstüt-        den Jugendlichen und ihren Eltern bera-
des Vereins läuft derzeit eine Umfrage       zen, denn diese Doppelbelastung sei für       tend zur Seite. Ruedi Giezendanner, Lei-
unter den lokalen Betrieben. Über ein        die Lernenden hart. Eine Möglichkeit, ei-     ter des Amts für Berufsbildung, findet:
Online-Formular können diese angeben,        nem jugendlichen Sporttalent entgegen-        « Die berufliche Grundbildung gleichzei-
welche Lehrberufe sie anbieten und ob        zukommen, sieht er in der Verlängerung        tig mit aktivem Leistungssport zu ver-
sie bereit wären, einem Leistungssport-      der Lehrzeit, um so regelmässige Absen-       binden, ist förderungswürdig. » Dies sei
ler eine Lehrstelle, ein Praktikum oder      zen auszugleichen. Letztlich müssten je-      aber eine Herausforderung für Jugend-
eine Schnuppermöglichkeit anzubieten.        doch Betriebe, die einen solchen Lernen-      liche und Lehrbetriebe, da bei einer be-
Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
aktuell
                                                                  Dezember 2016         9

ruflichen Grundbildung mehrere Partner        indem sie keine Miete für die Nutzung
zusammenarbeiteten. « Es gilt, Lernorte,      der Plätze und der Hallen verlangt.
Lehrbetrieb, Berufsfachschule und über-       « Der Grund ist für uns sonnenklar »,
betriebliche Kurse mit den sportlichen        argumentiert Thomas Rüegg: « Sport-
Trainings- und Wettkampfaktivitäten           förderung ist beste Freizeitgestaltung,
optimal abzustimmen. »                        Gesundheitsförderung und Präven-
    Lehrbetriebe, welche Jugendliche          tion gegen allerlei Laster wie Drogen
mit einer nationalen Talentcard von           oder Herumhängen. »
Swiss Olympic ausbilden, werden vom
Kanton mit der Vignette « Leistungs-          Schüler sehen die Zukunft realistisch
sportfreundlicher Lehrbetrieb » von           Die drei Sportklassen des Schuljahrs
Swiss Olympic ausgezeichnet. « Dass           2016/17 im Schulhaus Bollwies umfas-
sich Lehrmeister bereit erklären, Sport-      sen 56 Sportschüler und 14 Sportschü-
schul-Abgänger in die Lehre zu neh-           lerinnen. Sie alle können sich über eine
men, ist äusserst verdienstvoll », betont     zumindest lokale Talentcard von Swiss
Markus Bütler, Geschäftsführer der            Olympic als Nachwuchssportler aus-
Rapperswil-Jona Lakers. « Nur wenn Ge-        weisen. Das Gros betreibt Fussball und
werbe und Vereine zusammenspannen,            Eishockey, Volleyball und Unihockey.
kann der Jugendliche eine Lehre und           Wer eine Sportler-Laufbahn anstrebt,
eine Sportlaufbahn realisieren. »             muss über gewisse Eigenschaften
                                              verfügen. « Die Jugendlichen müssen
« Gutes Pflaster für den Sport »              bereit sein, mehr zu leisten, sowie ei-
Die Sportvereine spielen im Netzwerk          genständig und zielorientiert handeln
Sportschule eine zentrale Rolle. Hier         können », erklärt Michael Brunner.
werden die Sporttalente bereits in            « Falls es mit einer Profi-Sportkarriere
jungen Jahren erfasst. « Die Vereine,         nicht klappen sollte, brauchen sie ei-
sei es der Fussballclub, seien es die         nen Plan B, das heisst eine Berufsper-
Lakers, leisten mit ihren Junioren-           spektive. » Das werde in den Sportklas-
gruppen ausgezeichnete Vorarbeit »,           sen auch immer wieder thematisiert.
lobt Schulpräsident Thomas Rüegg,             « Die Schüler müssen mental auf ein
der auch Präsident des Verbandes              mögliches Scheitern ihrer Sportträume
St. Galler Volksschulträger ist. Insge-       gefasst sein und damit umgehen kön-
samt sei Rapperswil-Jona ein ausge-           nen. » Darum sei es auch so wichtig,
zeichnetes Pflaster für den Sport. Die        dass sie parallel zum Sport eine pas-
Stadt ist ein Verkehrsknotenpunkt             sende Ausbildung in Angriff nehmen
und hat eine lange Geschichte von             könnten. Wie die sportliche Karriere
Mannschaftssportarten. Ausserdem              seiner dannzumal ehemaligen Schüler
liegt sie am Wasser, was vielen Was-          gelingt, will Michael Brunner in eini-
sersportarten förderlich ist. Im Lido         gen Jahren mithilfe einer Evaluation
führt der Bund ein Leistungssport-            ermitteln. Weil er wissen möchte, wie
zentrum für Wassersport. Die Stadt            es den Jugendlichen über die Sport-
Rapperswil-Jona unterstützt die en-           schule hinaus ergeht.                  ■
gagierten Sportvereine grosszügig,

 Die Sportschule
 Rapperswil-Jona
 Der Andrang in der Sportschule Rapperswil-Jona ist gross. Von jeweils über 40 Interessen-
 ten schafft nur rund die Hälfte das Aufnahmeprozedere. Mit der Aufnahme unterschreiben
 die Sportschüler die Swiss-Olympic-Charta «cool and clean», mit der sie unter anderem auf
 Alkohol verzichten. In den Sportklassen finden auch Schüler aus fünf bis sechs Nachbarge-
 meinden sowie aus den benachbarten Kantonen Zürich, Schwyz und Glarus Platz. Die
 Gemeinden respektive Kantone zahlen der Stadt Rapperswil-Jona pro Schüler und Jahr
 19’000 Franken.
     Am Mittagstisch wird ein betreutes Mittagessen angeboten. Zudem bietet die Sport-
 schule den Schülerinnen und Schülern ein Lernatelier, das von Lehrern betreut wird. Hier
 können Hausaufgaben gelöst oder kann verpasster Unterrichtsstoff nachgearbeitet wer-
 den. Die Sportschüler durchlaufen wie alle Oberstufenschüler einen Berufswahlprozess.
 Nicht selten entscheiden sie sich dabei für die Anschlusslösung, die sich am ehesten mit
 ihren Sportambitionen in Einklang bringen lässt. Das « Netzwerk Sportschule » möchte
 dem entgegenwirken und den Jugendlichen dazu verhelfen, die für sie tatsächlich geeig-
 nete Schule oder Berufslehre absolvieren zu können, ohne am Leistungssport Abstriche
 machen zu müssen. (sth)
Stadt journal Dezember 2016 - Rapperswil-Jona
aktuell
10       Dezember 2016

Die Neustadt im Gebiet zwischen Cityplatz und Stadtplatz soll vor allem in der «zweiten Reihe» aufgewertet werden.

Eine neue Facette
der Stadtentwicklung
Seit Rapperswil und Jona zusammengekommen sind, ist auch eine ganzheitliche Raumplanung
möglich. In den letzten zehn Jahren hat sich die Stadt kontinuierlich weiterentwickelt. Nun wurde
in der Planung ein weiteres Kapitel aufgeschlagen.
Text: Jacqueline Olivier                     serdem wurden auf dieser Basis bereits      für den in diesem Jahr ein Wettbewerb
Fotos: Hannes Heinzer                        diverse Konzepte erstellt. Zum Beispiel     läuft, wird dieser Schnitt nun über die
                                             für die Neue Jonastrasse, die man nicht     Bühlstrasse überwunden. Dadurch ist
« Eine Stadt muss sich entwickeln », sagt    nur optisch verschönern, sondern auf        hier ein attraktiver Raum entstanden. »
Stadtbaumeister Marcel Gämperli. Natür-      der man vor allem mehr Platz für den        Solche Massnahmen im Strassenraum
lich nicht irgendwie, sondern gemäss ge-     Stadtbus schaffen möchte, der regelmäs-     hätten am meisten Potenzial, innerhalb
wisser Kriterien. Vor etwas mehr als zehn    sig im täglichen Stau stecken bleibt. In-   einer bestehenden Struktur zu Verbesse-
Jahren, im Hinblick auf die Vereinigung      zwischen liegt auch eine detailliert aus-   rungen zu führen, fährt er fort.
von Rapperswil und Jona, ist der Master-     gearbeitete Vorstudie vor.
plan Siedlung und Landschaft entstan-             Neben solch grossräumigen Vorha-       Ein zusätzlicher Blickwinkel
den. Der Stadtbaumeister klopft auf das      ben wurden in den letzten Jahren auch       Vor Kurzem hat die Stadt einen zusätz-
umfangreiche Dossier: « Das hier ist nach    diverse Einzelprojekte geplant. Teil-       lichen Weg eingeschlagen: Sie hat das
wie vor das übergeordnete Planungsdo-        weise sind sie inzwischen umgesetzt         Büro Intosens aus Zürich beigezogen, das
kument für unsere tägliche Arbeit. »         oder zumindest schon weit gediehen.         Stadtentwicklungspotenzial aus einem
    Der Masterplan betont vor allem eines:   Der neue Bahn- und Bushof Jona zum          anderen Blickwinkel definiert: aus jenem
die notwendige Verdichtung nach innen.       Beispiel sei ein wichtiger Meilenstein      der Nutzung und der Identität (siehe In-
Er setzt aber auch auf eine Aufwertung       der Stadtentwicklung, erklärt Marcel        terview Seite 12). Mit diesem spezifischen
der beiden Zentren Rapperswil und Jona       Gämperli. Gemeinsam mit der daneben         Blick hat das Team Rapperswil-Jona in
sowie der Verbindungsachse Neue Jona-        entstehenden Überbauung Bühlpark, in        den vergangenen zwei Jahren unter die
strasse. Ausserdem sollen die Quartiere      der altersgerechte Wohnungen für be-        Lupe genommen – mithilfe verschiede-
gestärkt, die Wohnqualität erhalten, die     tagte Menschen erstellt werden, trage       ner Analysen, Auswertungen von Sta-
Attraktivität für Betriebe gesteigert und    er zur Aufwertung des Zentrums Jona         tistiken, Befragungen und Beobachtun-
der öffentliche Raum gepflegt werden.        bei. « Bisher war die Unterführung an der   gen. Ein wichtiger Teil davon war die
                                             St. Gallerstrasse ein Schnitt zwischen      sogenannte Wahrnehmungsanalyse: Die
Einiges geplant, anderes umgesetzt           Jona und Rapperswil », erklärt der Stadt-   Experten setzten quasi die Brille der Ein-
An dieser Stossrichtung hat sich laut        baumeister. «Mit dem neuen Bahnhof          wohner und der Besucher – kurz: der Nut-
Marcel Gämperli nichts geändert. Aus-        sowie dem angrenzenden Grünfelspark,        zer – auf und hielten ihre Ergebnisse in
aktuell
                                                                                                            Dezember 2016         11

                                             Die Zentrumsmitte in Jona soll aus dem
                                             kommerziellen Kernbereich hin zum Be-
                                             reich «Kreuz» erweitert werden.

Form von Fotografien und Collagen fest.      könnte der Fokus auf dem städtischen         trum bis zum Jona-Delta führt. Sie soll
Bei diesem Vorgehen gehe es darum, die       Wohnen liegen, im anschliessenden auf        stärker akzentuiert und besser nutzbar
atmosphärischen Qualitäten der Stadt         dem Gewerbe.                                 gemacht werden, zum Beispiel mit einer
oder eines bestimmten Quartiers heraus-                                                   ansprechenderen Gestaltung der Wege
zuspüren, erklärt Götz Datko, Mitglied       Stadthalle und Stadtplatz                    für Fussgänger entlang der Jona.
der Geschäftsleitung der Intosens AG.        Für das Zentrum Jona hat das Team
    Auf Basis der durchgeführten Un-         Schlüsselareale (Grünfels, «Kreuz», Froh-    « Städtebauliche Akupunktur »
tersuchungen wurden bisher zwei soge-        büel oder Rütiwis), öffentliche Grundstü-    Die Umsetzung solcher Pläne kann nur
nannte Nutzungspläne erarbeitet, der         cke (von denen viele im Besitz der Stadt     schrittweise erfolgen. Und sie benötigt
eine für das Zentrum Jona, der andere für    sind) und Funktionsräume (Wohnen,            Ressourcen. Zum Beispiel personelle. An-
die Neustadt, das Gebiet rund um Son-        Verwalten, Verweilen, Kultur, Einkaufen)     fang September hat der Stadtbaumeister
nenhof, Albuville und Manor.                 erfasst und drei Kernbereiche skizziert:     Verstärkung erhalten. Markus Naef, neu-
    Dort sieht Intosens grosses Entwick-     einen kulturellen (rund um das Grünfels-     er Projektleiter Stadtplanung, hat zurzeit
lungspotenzial « nach innen », also in den   areal), einen kommerziellen (im Bereich      noch einiges an Unterlagen durchzu-
von der Strasse abgewandten Räumen.          Molkerei- und Allmeindstrasse) und ei-       ackern, um sich ein erstes Bild von seiner
Denn hier sei viel Brachland vorhan-         nen spirituellen (rund um die Kirche).       Aufgabe zu machen. Spannend sei diese
den, eine Art ungenutzte natürliche In-          Darauf bauen die Ideen für die weite-    aber auf jeden Fall, meint er schon heute.
nenhöfe. Bereits existierende und dem-       re Entwicklung auf. Ein wichtiger Punkt      Für Marcel Gämperli ist klar: Stadtent-
nächst entstehende Publikumsmagnete          ist die Erweiterung der Zentrumsmitte,       wicklung bedeutet heute viel Detailar-
wie Manor, Citycenter, Albuville, Alte       die sich heute im kommerziellen Kernbe-      beit, ohne dass man dabei den Blick aufs
Fabrik, Stadthof und Sonnenhof sollen        reich befindet, hin zum Bereich « Kreuz »,   Ganze verlieren darf. « Städtebauliche
demnach durch eine neue Achse für den        in dem sich die drei Kernbereiche über-      Akupunktur » nennt er das: da ein punkt-
Langsamverkehr abseits der Hauptstras-       schneiden. Aus dem « Kreuz » soll eine       genaues Projekt, dort ein punktgenaues
sen verbunden werden. Entlang dieser         eigentliche Stadthalle werden, davor ist     Projekt. Immer eingebettet in die gesamt-
Achse können neue Plätze und Orte mit        ein Stadtplatz vorgesehen, der zum Ver-      heitliche Vision und mit dem Ziel, eine
Aufenthaltsqualität geschaffen werden.       weilen einlädt. Auch der Uferbereich der     lebenswerte Stadt zu erhalten und gleich-
Hier sollen punktuelle Angebote insbe-       Jona soll noch attraktiver werden. Ein       zeitig den sich verändernden Bedürfnis-
sondere jüngere Altersgruppen anspre-        weiterer Fokus liegt auf der Nord-Süd-       sen der Bewohner, der Besucher und der
chen. Im Bereich Kniestrasse wiederum        Achse, die vom Meienberg über das Zen-       Wirtschaft anzupassen.                  ■
interview
12       Dezember 2016

Götz Datko hat mit seinem Team die Stadt Rapperswil-Jona durchleuchtet.

« Heute geht man in
die Innenstadt, weil man
etwas erleben will »
Stadtentwicklung darf sich nicht auf Architektur und Raumgestaltung beschränken,
sagt Götz Datko, Geschäftsleitungsmitglied der Intosens AG in Zürich. Im Gespräch
erklärt er, was es für eine lebendige Stadt braucht und wie man dorthin kommt.
interview
                                                                                                               Dezember 2016   13

Interview: Jacqueline Olivier                              Das klingt nach einem ziemlichen Spagat.
Fotos: Hannes Heinzer                                      Wie schafft man das?
                                                           Einerseits muss eine übergreifende Idee entwickelt
Sie beschäftigen sich mit Nutzungs- und Identitätsent-     und gemeinsam umgesetzt werden. Andererseits
wicklung unter anderem von Städten und Gemeinden.          braucht die Bevölkerung kleinere Anknüpfungs-
Was heisst das konkret?                                    punkte als das grosse Ganze. Im Zentrum Jona wird
Der Fokus der Stadtentwicklung liegt oft stark auf         eine andere Identität gelebt als in der Altstadt oder
dem Räumlichen. Man macht sich Gedanken über Ar-           in der Neustadt mit den grossen Einkaufszentren
chitektur, Städtebau und Freiraumgestaltung, über-         zwischen Cityplatz und Stadtplatz. Es ist wichtig,
legt sich aber zu wenig, dass diese abgestimmt wer-        bestehende Qualitäten nicht zu verlieren, sondern sie
den sollten mit der Nutzung und der Identität. Eine        zu pflegen und weiterzuentwickeln.
Stadt sollte so weiterentwickelt werden, dass sich
die Bevölkerung mit ihrer Stadt identifizieren kann.       Es gibt aber nicht nur Qualitäten, sondern auch Schwä-
Bei der Nutzungsentwicklung geht es darum, die er-         chen. In der Altstadt wird zurzeit über das « Lädeli-
wünschte Vielfalt und Lebendigkeit zu erreichen. Wir       sterben » geklagt. Ist die Altstadt tatsächlich bedroht?
konzentrieren uns darauf, Raum, Nutzung und Iden-          Das « Lädelisterben » wurde in letzter Zeit in den Me-
tität in Einklang zu bringen.                              dien stark thematisiert. Die Angst vor dem Ausster-
                                                           ben der Altstadt ist in fast allen Schweizer Städten
Wie gelingt das?                                           präsent. Dem Detailhandel in den Altstädten geht es
Altstädte beispielsweise können Heimatgefühl und           tatsächlich nicht so gut, ständige Wechsel sind eine
Ortsverbundenheit hervorrufen; das sind wichtige           Realität. Dass dies aber eine grundlegende Bedro-
Werte. Dabei identifizieren sich die Einwohner ins-        hung der Altstädte im Allgemeinen oder der Altstadt
besondere dann mit ihrer Altstadt, wenn sie in ihr         in Rapperswil-Jona im Besonderen bedeuten würde,
interessante Nutzungen und Angebote finden. Auch           sehen wir nicht. Ohne Zweifel ist ein intakter Detail-
bei Neuüberbauungen braucht es charakterstarke             handel wichtig, allerdings leben Altstädte nicht aus-
Räume, die gleichzeitig attraktive Nutzungen bieten,       schliesslich davon, sondern von der Nutzungsvielfalt.
damit die Bewohner und Besucher sich damit identi-
fizieren können.

Sie schliessen also eine Marktlücke?                       « Die Bevölkerung braucht kleinere An-
So würde ich das nicht sagen. Das Thema Stadtiden-
tität wird jeden Tag von einer Vielzahl von Akteuren       knüpfungspunkte als das grosse Ganze. »
bearbeitet, aber häufig unbewusst. Wenn die Bewoh-
ner ihre Altstadtgasse liebevoll pflegen, prägt dies
die Stadtidentität mit. Die täglichen Bemühungen           Es besteht also Handlungsbedarf?
von Detailhandel, Gastronomie und weiteren Anbie-          Sicher. Heute sind die Ansprüche an Konsum und
tern sind Teil der Nutzungsentwicklung einer Stadt.        Freizeitgestaltung andere als jene, welche die Alt-
Und auch Fachplaner beeinflussen mit ihrer Arbeit          städte einst verkörpert haben. Das heisst, auch Alt-
die Identität und die Nutzung von Stadträumen. Wir         städte müssen sich bewegen. Rapperswil-Jona profi-
möchten mit einer spezialisierten Sicht von aussen zu      tiert zwar vom starken Aushängeschild der schönen
neuen, überraschenden Lösungen beitragen und die           Postkartenfassaden und von der belebten Seepro-
unterschiedlichen Akteure für gemeinsame Ziele und         menade, aber die eigentliche Identität für die Bevöl-
Schritte motivieren.                                       kerung ist eine andere: Man möchte in der Altstadt
                                                           etwas Besonderes finden – den alten Laden, den es
Sie haben für Rapperswil-Jona diverse Analysen durch-      schon seit Generationen gibt, und gleichzeitig ein
geführt. Welche zentralen Schlussfolgerungen ziehen        ganz bestimmtes, innovatives Angebot, das es sonst
Sie daraus?                                                nirgends gibt. Das ist eine grosse Herausforderung.
Ein wichtiger Punkt ist sicher die Vielfalt. Die Charak-
teristika und die Mentalitäten der Stadtteile Rappers-     Sie sagen, Altstädte müssen sich bewegen. In welche
wil und Jona sowie einzelner Quartiere sind völlig         Richtung?
unterschiedlich, auch die Räume werden ganz un-            Bewegen müssen sich sowohl die Anbieter als auch
terschiedlich gestaltet und genutzt. Diese Vielfalt ist    die Stadt. Die Anbieter – also Detailhandel, Gastrono-
eine Qualität, die man bewahren muss. Deshalb ver-         mie, Hotellerie und so weiter – müssen einerseits die
folgt der Stadtrat die Strategie, dass die spezifischen    Qualitäten des historischen Orts bestmöglich aus-
Identitäten der Stadtteile gestärkt werden. Gleich-        spielen, andererseits aber auch die Bedürfnisse der
zeitig will man aber an der kollektiven Identität der      Konsumenten kennen und diesbezüglich stets einen
Gesamtstadt arbeiten.                                      Schritt voraus sein. So wie dies die Einkaufszentren 3
interview
14       Dezember 2016

Götz Datko: «Im Grunde haben alle Akteure das gleiche Interesse: eine funktionierende Stadt, ein lebendiges Zentrum.»

                   mithilfe von Trendforschungen und entsprechend             nigen anderen Altstädten, in denen fast nur noch ge-
                   vorausschauender Planung tun. Heute geht man               wohnt wird, wesentlich besser da.
                   eben nicht mehr in die Altstadt respektive in die In-
                   nenstadt, weil man etwas braucht, sondern weil man         Welche weiteren Stärken sehen Sie?
                   etwas erleben will – Freizeit gestalten, anderen Men-      Zum einen die Qualität als öffentlicher Raum. Die Alt-
                   schen begegnen, sich unterhalten. Da müssen die An-        stadt ist ein Begegnungsort, ein Kommunikationsort.
                   bieter kreativer werden. Es reicht nicht mehr, ein gros-   Dies gilt für diverse Ecken, oft fernab der Orte, wo
                   ses Sortiment an Pullovern zu haben, um etwas zu ver-      sich der Tourismus abspielt. Beispielsweise treffen
                   kaufen. Diese Zeiten sind vorbei; diesen Bedarf deckt      sich auf der Seeseite des Schlossbergs viele Familien
                   man heute im Einkaufszentrum oder im Internet.             mit kleinen Kindern – eine Zielgruppe, die in vielen
                                                                              anderen Altstädten kaum Nutzungsmöglichkeiten
                   Und was kann die Stadt tun?                                findet. Und zum andern die Herkunft. Damit ist das
                   Letztlich hängt vieles von den Mietzinsen ab. Dar-         Geschichtsträchtige gemeint, das allgegenwärtig und
                   um entwickeln sich attraktive Nischenangebote oft          auf das man in der Stadt stolz ist.
                   an B-Lagen, wo die Mieten nicht so hoch sind. Die
                   Eigentümer sollten zur Einsicht gelangen, dass sie         Ein anderer Brennpunkt der Stadt ist das Zentrum Jona,
                   querfinanzieren müssen, also Erdgeschossflächen an         mit dem Sie sich auch beschäftigt haben. Mit welchem
                   publikumsintensiver Lage auch mal zu einem nied-           Resultat?
                   rigeren Mietzins vermieten. In einem kooperativen          Das Zentrum Jona hat grosses Potenzial hinsichtlich
                   Vorgehen, das von der Stadt geführt wird, können Ei-       der Nutzungs- und Identitätsentwicklung. In Jona
                   gentümer für dieses Thema sensibilisiert werden und        wächst die Bevölkerung, es braucht neue Infrastruk-
                   man kann gemeinsam nach Lösungen suchen.                   turen, nutzbare Freiräume und Orte der Geselligkeit.
                                                                              Wir sehen aber auch eine Gefahr: Das Zentrum Jona
                   Ein solches kooperatives Vorgehen für die Altstadt von     ist stark durch die Versorgungsfunktion geprägt, und
                   Rapperswil-Jona soll nächstes Jahr gestartet werden.       wir wissen nicht, wie dies in Zukunft sein wird.
                   Richtig, und ich bin im Hinblick darauf sehr optimis-
                   tisch. Wir haben mit der Stadt Ideen entwickelt, auf       Wie meinen Sie das?
                   welchen Stärken der Altstadt man aufbauen kann. Im         Nahezu zwei Drittel des Umsatzes in diesem Gebiet
                   kooperativen Vorgehen können diese Ideen nun disku-        werden durch die beiden Grossverteiler Coop und
                   tiert und gemeinsame Lösungen gefunden werden.             Migros generiert, den Rest erwirtschaften Denner,
                                                                              Bäckereien und einige kleine Läden. Das funktioniert
                   Welches sind Ihres Erachtens die Stärken der Altstadt?     zurzeit ganz gut, aber was würde passieren, wenn ei-
                   Erstens die Vielfalt: Die Altstadt verfügt über eine       ner der beiden Grossen wegbräche? Die Lebendigkeit
                   überraschende Anzahl unterschiedlich genutzter Be-         würde darunter sicherlich leiden, denn der Einkauf
                   reiche. Da ist die wuselige Uferpromenade, da ist eine     bei den Grossverteilern wird gerne mit weiteren Akti-
                   liebevoll gepflegte « zweite Reihe », es gibt den leben-   vitäten im Zentrum Jona verbunden, seien es weitere
                   digen Schlossberg, und auf dessen Rückseite wird im        Einkäufe oder eine Verabredung im Café.
                   Sommer gebadet. Ausserdem sind die Wege zu Ange-
                   boten in der Umgebung wie der Hochschule oder den          Ist denn ein solches Szenario wahrscheinlich?
                   Einkaufszentren Sonnenhof und Albuville kurz. Mit          Es ist zumindest nicht auszuschliessen, denn die
                   diesen vielen kleinen, unterschiedlichen Nutzungs-         Konkurrenz an der Peripherie wächst: Das See-
                   bereichen steht Rapperswil-Jona im Vergleich zu ei-        damm-Center und der Linthpark wurden oder wer-
interview
                                                                                                            Dezember 2016   15

den ausgebaut, auf Stadtgebiet wird das Jona-Cen-        Wie kann die Stadt denn bei Anbietern und Eigen-
ter vergrössert, das City-Center und der Stadthof        tümern an dieses gemeinsame Interesse appellieren?
entstehen – überall kommen neue Angebote hinzu.          Wenn eine Stadt genaue Vorstellungen nicht nur
Eine Sättigung des Marktes ist aber längst erreicht.     hinsichtlich ihrer räumlichen, sondern ebenso hin-
Es findet ein Verdrängungswettbewerb statt, und          sichtlich der Nutzungsentwicklung hat, kann sie im
man weiss nicht, welche Standorte sich langfristig       Rahmen eines kooperativen Vorgehens jederzeit mit
behaupten werden. Es ist also sinnvoll, die Entwick-     einer klaren Haltung auftreten. Auch für die Investo-
lung des Zentrums Jona auch auf anderen Standbei-
nen abzustützen, damit Lebendigkeit und Gesellig-
keit zukünftig über einen guten Nutzungsmix garan-
tiert werden.
                                                         « Altstädte leben nicht ausschliesslich
                                                         vom Detailhandel, sondern von
Wie weit kann eine Stadt im Hinblick auf die Entwick-
lung des Versorgungsangebots überhaupt steuernd
                                                         der Nutzungsvielfalt. »
eingreifen?
Bleiben wir beim Beispiel des Zentrums Jona. Die         ren wird es immer wichtiger, die Nutzung ihrer Im-
Stadt hat sich überlegt, welchen Idealzustand sie        mobilien genau zu planen: Welches wäre der ideale
hier anstreben möchte. Darauf basiert der Master-        Mix, wie will man die Immobilie positionieren, wel-
plan für die Nutzungen im Zentrum Jona, den wir in       che Idee verfolgt man, wofür soll die Immobilie für
enger Abstimmung mit der Bauverwaltung erarbei-          Bewohner und Besucher stehen? Gemäss dieser Stra-
tet haben. Grundsätzlich geht es immer um die drei       tegie suchen auch sie die Anbieter gezielt aus. Darum
gleichen Stichworte: Vielfalt, Lebendigkeit, Durch-      sind viele Eigentümer und Investoren froh, wenn
mischung. Mit welcher Nutzung man diese Ziele            eine Stadt ebenfalls klare Ziele verfolgt und so als zu-
erreichen will, wo es in den Erdgeschossen welches       verlässige, effizient agierende Partnerin auftritt.
Angebot braucht und wie der öffentliche Aussen-
raum nutzbar sein sollte – dies sind die zentralen       Was bringt ein kooperatives Verfahren, wenn die Stadt
Fragen, mit denen sich eine Stadt auseinanderset-        schon ihre eigenen Vorstellungen hat?
zen sollte, um eine entsprechende Strategie entwi-       Ein kooperatives Vorgehen meint explizit kein Be-
ckeln zu können.                                         teiligungsverfahren. Bei diesem sind die Ziele vor-
                                                         gegeben und die Beteiligung beschränkt sich le-
Dennoch entscheiden letztlich die Anbieter und die       diglich auf die Frage, wie man dorthin gelangt. Im
Eigentümer, wer sich wo ansiedelt, und die verfolgen     kooperativen Verfahren hingegen werden die Ziele
ihre eigenen Interessen.                                 gemeinsam definiert. Danach werden miteinander
Das stimmt eben nicht, im Grunde haben alle Akteu-       Projekte festgelegt und umgesetzt. Die Vorstellun-
re das gleiche Interesse: Alle wollen eine funktionie-   gen der Stadt sind ja nicht in Stein gemeisselt, son-
rende Stadt, ein lebendiges Zentrum. Für die Politiker   dern werden immer wieder präzisiert und den sich
bedeutet ein lebendiges Zentrum mit Treffpunkt- und      ändernden Rahmenbedingungen angepasst. Eine
Erlebnisqualitäten, dass der Bürgerwille respektiert     Stadtentwicklung, wie sie die Stadt Rapperswil-
wurde. Für die Anbieter wiederum bedeutet es genü-       Jona nun gemeinsam mit den verschiedenen Akteu-
gend Kundschaft und für die Eigentümer wirtschaft-       ren anstrebt, ist sicher anspruchsvoll und komplex,
liche Rendite dank höheren Mieten, die sie erzielen      wir sehen aber, dass man sich auf einem guten Weg
können.                                                  befindet.                                          ■
die stadt in zahlen
16       Dezember 2016

Hoch zu Ross
Bloss rund 400 Menschen können in Rapperswil-Jona reiten oder besitzen gar ein
eigenes Pferd. Eine exklusive Gruppe! Im Spannungsfeld von Edelsport, Tierliebe und
Pferdemist.

                                                         Text: Antonio Cortesi
                                                         Fotos: Hannes Heinzer

                                                         Kleine Frage: Können Sie reiten? Okay, Sie sassen viel-
                                                         leicht schon einmal auf einem Pferd, während der Feri-
                                                         en in der Camargue oder so. Da haben Sie ein paar Run-
                                                         den gedreht, geführt von einem lokalen Cowboy. Aber
                                                         so richtig reiten? Eben! Wenn Sie das können, sind Sie
                                                         nämlich eine ziemliche Ausnahmeerscheinung.
                                                             Gemäss einer nationalen Statistik frönen in der
                                                         Schweiz bloss rund 140’000 Personen (im Alter
                                                         von 10 bis 74 Jahren) regelmässig dem Pferdesport.
                                                         Das sind rund 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.
                                                         Bricht man diesen Anteil auf die Einwohnerzahl von
                                                         Rapperswil-Jona herunter, so kommt man auf zirka
                                                         400 passionierte Reiterinnen und Reiter. Ein exklu-
                                                         siver Club!
                                                             Eine, die mittendrin steht, ist Manuela Slagmolen.
                                                         Sie betreibt seit bald zwanzig Jahren den Reit- und
                                                         Pensionsstall Grünfeld – gleich neben dem Sportcen-
                                                         ter gelegen. Sie erteilt Reitunterricht für Anfänger
                                                         und Fortgeschrittene und ist dafür besorgt, dass sich
                                                         die Pferde, seien es ihre eigenen oder Pensionäre, hier
                                                         wohl fühlen. 16 Tiere sind es insgesamt.

                                                         Eine grosse Familie von Equiden
                                                         Somit ist fast jedes vierte Pferd von Rapperswil-
                                                         Jona im Grünfeld zu Hause – jedenfalls, wenn es
                                                         nach der offiziellen Tierstatistik geht. Sie zählt fürs
                                                         ganze Stadtgebiet exakt 74 Equiden – dies der Sam-
                                                         melbegriff für pferdeartige Tiere. Dazu gehören folg-
                                                         lich auch Ponys, Kleinpferde und Esel. Mit 32 an der
                                                         Zahl sind sie in Rapperswil-Jona gut vertreten. Eine
                                                         Klasse für sich sind natürlich die rund 50 (unkast-
                                                         rierten) Hengste von Fredy Knie. Diese edlen Dres-
                                                         surpferde sind aber in der Tierstatistik nicht mitge-
                                                         zählt. Viele von ihnen sind ja auch über Monate auf
                                                         Zirkus-Tournee. Die Heimbasis befindet sich jedoch
                                                         in den Stallungen beim Kinderzoo.
                                                             Jedenfalls: Ob hohe Dressurkunst oder bloss am-
                                                         bitionierter Freizeitsport, ein Hauch von Exklusivität
                                                         umweht den Reiter immer und überall. Und dies nicht
                                                         nur, weil die Zahl von Pferden und Reitern klein ist. Ge-
                                                         wiss, auch viele Hundehalter führen ein edles Tier an
                                                         der Leine. Aber erstens gibt es diese in Überzahl (gegen
                                                         1000 Hunde auf Stadtgebiet), und zweitens fehlt dem
                                                         Hundespaziergang jegliche Eleganz. Ganz anders der
                                                         Ausritt: Der Mensch sitzt hoch zu Ross, mit erhobenem
                                                         Haupt, Pferd und Reiter bewegen sich mit vollkom-
                                                         mener Grazie – ein Bild wie aus einer anderen Zeit.
                                                             Mit Hunden hingegen gibt es bekanntlich immer
                                                         nur Probleme: Hundehalter lassen den Kot ihrer Vier-
Manuela Slagmolen betreibt den Reitstall im Grünfeld.    beiner vorschriftswidrig liegen, verletzen die Leinen-
die stadt in zahlen
                                                                                                                Dezember 2016   17

pflicht, lassen das Tier wildern. Und bei den Pferden?       und Velowege verschmutzen! Gängige Antwort:
Offenbar alles paletti. « Mindestens in den letzten          Pferde seien eben keine Fleischfresser, ihr Kot des-
Jahren gab es keine Beanstandungen oder Reklama-             halb biologisch abbaubar. Zudem sei er als Rosen-
tionen », sagt Guido Wunderlin, Chef der Ortspolizei         dünger beliebt.
und städtischer Tierschutzbeauftragter. « Problem-               Es geht aber auch anders. « Man muss nicht, kann
los » verliefen auch die Kontrollen bezüglich Tierhal-       es aber trotzdem tun, dem Frieden zuliebe », das sag-
tung, die jeweils in Zusammenarbeit mit dem kanto-           te sich Manuela Slagmolen vom Reitstall Grünfeld,
nalen Veterinäramt durchgeführt werden.                      nachdem bei der Stadtverwaltung gleich mehrere
                                                             Reklamationen wegen Pferdemist eingegangen wa-
Wer pflückt die « Pferdeäpfel » ?                            ren. Sie legte für die Ausritte drei klare Regeln fest.
Und dennoch: Es gibt ein geradezu ewiges Reiz-               Erstens: Da das Pferd im Strassenverkehr dem Auto
thema. Es heisst Pferdemist. Wieso, fragen sich nicht        gleichgestellt ist, geht es folglich nie aufs Trottoir.
bloss die « Hündeler » (zu denen auch der Schreiben-         Zweitens: Muss das Pferd « misten », so muss es kurz
de gehört), gibt es für die « Rösseler » keine Pflicht       innehalten, damit es einen hübschen Haufen gibt.
zur Kotaufnahme? Wo doch diese « Pferdeäpfel », wie          Drittens: Nach dem Ausritt fährt das Grünfeld-Team
sie beschönigend heissen, gleich kiloweise Spazier-          die Route mit dem Auto ab und sammelt die 3

Pferde sind eine Klasse für sich – als Tiere wie auch in der Haltung.
die stadt in zahlen
18       Dezember 2016

Die edlen Vierbeiner müssen täglich bewegt werden, drei Stunden pro Tag für Pflege und Ausritt müssen eingeplant werden.

                  Pferdeäpfel ein. « Das machen wir mindestens drei-       Stunden einplanen », sagt Manuela Slagmolen. Und
                  mal pro Woche », sagt Manuela Slagmolen. Und wir         nicht zuletzt: Die Pferdehaltung geht ins Geld. Allein
                  sagen: Zur Nachahmung empfohlen!                         die Fixkosten für Pension, Futter, Tierarzt, Zahnarzt
                      Der Vergleich zwischen Hunde- und Pferdehal-         und Hufschmied betragen monatlich zwischen 1000
                  tung ist auch sonst durchaus ergiebig. « Hündeler »      und 1500 Franken.
                  bezahlen in Rapperswil-Jona eine jährliche Hunde-             Reiten ist ein teures Hobby. Aber am Ende zählt
                  taxe von 100 Franken. Das Geld wird für die Bewirt-      die Qualität der Beziehung zwischen Mensch und
                  schaftung der rund 130 Hundekotbehälter (genannt         Tier. Sie ist unbezahlbar. Und kann bisweilen er-
                  Robidog) verwendet. Wieso, fragt sich mancher, gibt      staunlich intensiv sein. Manuela Slagmolen, die ihr
                  es für Pferdehalter nicht ein ähnlich finanziertes       Hobby zum Beruf gemacht hat, beschreibt dies so:
                  Kot-Entsorgungssystem? Häufig gehörte Antwort:           « Für mich sagen die Augen des Pferdes am meisten
                  Weil Pferde als Vermögen gelten und entsprechend         aus. » Im Ausdruck der Augen nehme sie Aufmerk-
                  versteuert werden müssen. Zudem müssten Pferde-          samkeit, Freude, Angst oder Krankheit wahr. Und
                  halter einen (allerdings bescheidenen) Beitrag in die    sie folgert: « Ein gesundes Pferd muss ein gutes Auge
                  kantonale Tierseuchenkasse bezahlen.                     haben. »                                             ■

                  Aufwendiges und teures Hobby
                  Wie auch immer, Pferde sind nun mal eine Klasse für
                  sich. Das beginnt schon bei den strengen Vorschrif-
                  ten des Tierschutzes. Haben Sie etwa gewusst, dass
                  Pferde grundsätzlich nicht allein gehalten werden
                  dürfen? Sie müssen immer « Sicht-, Hör- und Geruch-
                  kontakt zu einem anderen Pferd » haben. Kommt
                  hinzu: Pferde sind zeitaufwendig. « Wer ein eigenes
                  Ross hat, muss pro Tag für Pflege und Ausritt drei
die meinung
                                                                                                        Dezember 2016         19

Markus Gisler war in den vergangenen vier Jahren Mitglied des Stadtrats. Zu den letzten Wahlen
trat er nicht mehr an. Zeit für einen Rückblick.

Kompetenz in einer
dynamischen Stadt
Es sind dies meine letzten Wochen als                                               eigenen These passen, willentlich unter-
Stadtrat von Rapperswil-Jona. Die ver-                                              schlagen, wird die Behörde in ihrer ohne-
gangenen vier Jahre boten eine faszi-                                               hin schwierigen Arbeit behindert. Oder
nierende, weil gestalterische Aufgabe.                                              würden Sie einen Job antreten wollen,
Als ehemaliger Wirtschaftsjournalist                                                mit dem Sie das Risiko laufen, medial zur
mit Erfahrung in Bundesbern trat ich                                                Schnecke gemacht zu werden?
das Amt mit einer einigermassen klaren
Vorstellung von den Aufgaben einer Ver-                                             Die Arbeit als Stadtrat von Rappers-
waltung an. Das mir anvertraute Ressort                                             wil-Jona hat mir auch bestätigt, wie
Liegenschaften hält die Gebäude der                                                 sinnvoll eine politische Koalition ist. Als
Stadt in Schuss, Schulhäuser, Verwal-                                               Mitglied der FDP vertrete ich dezidiert
tungsgebäude, Werkhöfe sowie gut zwei                                               die Ansicht, dass auch linke Politiker
Dutzend Häuser und Liegenschaften, die                                              im Stadtrat vertreten sein sollten. Der
zum Finanzvermögen der Stadt zählen.                                                Konsens ist ein wesentlicher Pfeiler der
                                                                                    eidgenössischen Politik.
Diese Liegenschaften zu unterhalten,
verlangt grosses Fachwissen. Da müssen                                              Eine konkrete Meinung habe ich zur
komplexe Heizungen ersetzt oder Fenster                                             Frage, wie viele Mitglieder der Stadtrat
erneuert werden, da sind aber auch milli-                                           idealerweise haben sollte. Die für die
onenteure Gesamtsanierungen nötig und                                               kommende Amtszeit gewählte Lösung von
selbstverständlich jede Menge kleinere                                              drei vollamtlichen Stadträten, die auch die
und grössere Reparaturen und Ersatzin-                                              gesamte Verwaltung alleine führen, und
vestitionen. Die Mitarbeiterinnen und                                               vier Teilzeitstadträten, die kein Ressort
Mitarbeiter im Liegenschaftenressort wer-                                           mehr leiten und demnach von der Ver-
den – wie alle anderen in der Verwaltung –     « Die Arbeit als Stadtrat            waltung noch weiter entfernt sein werden
heute noch oft als « Beamte » bezeichnet.
Dieser Begriff ist landläufig eher negativ
                                                hat mir bestätigt, wie              als bisher, erachte ich langfristig als nicht
                                                                                    sinnvoll. Der Umstand, dass drei vollamtli-
besetzt – zu Unrecht. Der totale Einsatz       sinnvoll eine politische             che Stadtratsmitglieder als Direktoren die
und die unbedingte Identifikation mit
der Arbeit, die ich überall bei den Frauen
                                                    Koalition ist. »                Stadtverwaltung alleine führen, wäh-
                                                                                    rend die vier andern nur noch « Verwal-
und Männern in der Verwaltung ange-                                                 tungsräte » sind, verleiht Ersteren einen
troffen habe, hat mich sehr beeindruckt.                Markus Gisler               Wissensvorsprung in Sachfragen, mit dem
Sie stehen all jenen, die in der Wirtschaft     Vorsteher Ressort Liegenschaften,   die Teilzeitler nicht mithalten können. Die
tätig sind, in keiner Weise nach. In unserer        Sport, Freizeit, Tourismus      « checks and balances » – die ausgewogene
Stadtverwaltung arbeiten überall Leute                                              Kontrolle und ein Gleichgewicht zwischen
mit hoher Kompetenz, mit grossem Fach-                                              allen Mitgliedern des Stadtrats – sind so
wissen und vor allem mit Herzblut.                                                  nicht mehr gewährleistet. Ich bin über-
                                                                                    zeugt, dass die eingereichte Volksmotion
Dazu gehört auch die Kesb (Kinder- und                                              für eine (weitgehend) vollamtliche Fünfer-
Erwachsenenschutzbehörde), die fach-                                                regierung für unsere dynamische Stadt die
lich nicht Teil der städtischen Verwal-                                             bessere Lösung ist. Das Fünfermodell ist
tung ist. Sie ist fachlich dem Kanton                                               übrigens in Schweizer Städten mittlerer
unterstellt, weder Stadtverwaltung noch                                             Grösse die mit Abstand am häufigsten
Stadtrat haben ein Durchgriffsrecht.                                                gewählte Regierungsform. Offenbar mit
Auch die Kesb arbeitet professionell. Was                                           gutem Grund. In diesem Sinn hoffe ich,
ihr in einzelnen Fällen an Fehlern und                                              dass die Stimmbürgerinnen und Stimm-
Inkompetenz unterstellt wurde, entbehrt                                             bürger bis in vier Jahren einer neuen
jeder Grundlage. Wenn Journalisten wi-                                              Gemeindeordnung mit fünf vollamtlichen
der besseres Wissen Fakten, die nicht zur                                           Stadträten zugestimmt haben werden.
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