Schulschließungen, fehlende Ausbildungsplätze, keine Jobs: Generation ohne Zukunft? - ifo Institut

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Schulschließungen, fehlende
Ausbildungsplätze, keine Jobs:
Generation ohne Zukunft?
Um die Ausbreitung der Corona-Pandemie zu verlangsamen, wurden die Schulen
und Kitas deutschlandweit Mitte März 2020 geschlossen. Abschlussprüfungen wur-
den ausgesetzt, Kinder und Jugendliche ins »Home-Schooling« geschickt, Eltern auf-
gefordert, die Rolle der Lehrkräfte zu übernehmen. Wie werden sich die mehr-
monatigen Schließungen der Schulen auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen
auswirken? Kann das »Home-Schooling« den Präsenzunterricht ersetzen oder wird
der fehlende Schulunterricht die Kompetenzentwicklung und den zukünftigen Bildungs-
und Arbeitsmarkterfolg der Betroffenen dauerhaft beeinträchtigen? Wird das »Lernen zu
Hause« die Probleme bei der Bildungsgerechtigkeit in Deutschland weiter verschärfen?
Auch auf dem deutschen Bildungs- und Ausbildungsmarkt hinterlassen die Folgen der
Corona-Pandemie deutliche Spuren: Nicht nur die Zahl der Ausbildungsstellen geht
zurück, sondern auch die Anzahl der Bewerber. Droht eine wirtschaftlich und gesell-
schaftlich abgehängte »Generation Corona«?

Silke Anger und Malte Sandner*
Die Auswirkungen der Coronakrise auf die
Arbeitsmarktchancen der Corona-Abiturjahrgänge
Weltweit haben Regierungen Schulen geschlossen, um                    den meisten Bundesländern fast zehn Wochen lang
die Ausbreitung der Corona-Pandemie zu verlangsa-                     aus, je nach lokaler Entwicklung der Infektionszah-
men. Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen                    len sogar noch länger. Dieser massive Einschnitt legt
stehen durch die Schließungen von Schulen und wei-                    trotz des Umstiegs auf das Distanzlernen nahe, dass
teren Einrichtungen im Vergleich zu jüngeren Jahr-                    die Lernentwicklung der Jugendlichen beeinträch-
gangsstufen vor besonderen Herausforderungen. Der                     tigt wurde.
Wegfall der Berufsberatung sowie die Wirtschafts-                          Für Abschlussklassen bedeuteten die Schul-
krise erschweren ihren Übergang in anschließende                      schließungen – obwohl diese Klassen früher an die
Bildungswege und in den Arbeitsmarkt.                                 Schulen zurückkehrten –, dass die Vorbereitungen
                                                                      auf entscheidende Prüfungen größtenteils ohne Prä-
DIE BEDEUTUNG DER CORONA-PANDEMIE FÜR                                 senzunterricht und ohne direkten Kontakt zu den
DIE ABSCHLUSSKLASSEN                                                  Lehrkräften stattfinden mussten und Versäum-
                                                                      nisse – anders als bei den jüngeren Jahrgangsstufen
In Deutschland wurden die Schulen ab dem 15. März                     – nicht zu einem späteren Zeitpunkt in der Schule
2020 als Maßnahme zur Eindämmung der Corona-Pan-                      nachgeholt werden können. Hinzu kam die Unsicher-
demie geschlossen. Das Distanzlernen wurde zum                        heit, ob und zu welchem Zeitpunkt Abschlussprü-
Alltag und stellte Schülerinnen und Schüler, Eltern                   fungen stattfinden würden. Schülerinnen und Schü-
und Lehrkräfte vor große Herausforderungen. Bis                       ler der Abschlussklassen mussten schließlich unter
zur Öffnung der Schulen fiel der Präsenzunterricht in                 Beweis stellen, dass sie trotz teils schwieriger per-
                                                                      sönlicher und familiärer Umstände Höchstleistun-
* Unser Dank gilt Ute Leber, Judith Hild und den Kolleginnen und      gen bei den Abschlussprüfungen erbringen konn-
Kollegen des Projekt-Teams der Studie »Berufliche Orientierung: Be-
rufswahl und Studienwahl (BerO)«: Sarah Bernhard, Hans Dietrich,
                                                                      ten. Allerdings haben sich zumindest die Abitur-
Adrian Lerche, Alexander Patzina und Carina Toussaint.                noten laut der Kultusministerien der meisten Bun-

                                                                               ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020   3
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                          desländer im Durchschnitt nicht verschlechtert bzw.              zum Regelunterricht relativ wenig Zeit mit schulischen
                          teils sogar verbessert.1                                         Aktivitäten. Nach den Auswertungen der BerO-Stu-
                                                 Darüber hinaus rückte während             die verbrachte etwa ein Viertel der Schülerinnen und
                                              der Schulschließungen auch die               Schüler der beiden Abschlussklassen an Wochentagen
                                                Entscheidung bezüglich der Be-             vier und mehr Stunden pro Tag mit schulischen Aufga-
                                                rufs- und Studienwahl näher.               ben, während fast 40% aller Jugendlichen weniger als
                                                Für die Schülerinnen und Schü-             zwei Stunden täglich für die Schule aufbrachten (vgl.
                                               ler, die sich in ihrer anschließen-         Abb. 2 in Anger et al. 2020).2 Etwa 10% der befrag-
  Prof. Dr. Silke Anger                       den Bildungsentscheidung noch                ten Jugendlichen haben zwei bis drei Wochen nach
                                             unsicher waren, bedeuteten die                den Schulschließungen noch nichts für die Schule ge-
leitet den Forschungsbereich
»Bildung, Qualifizierung und Er-             temporären Schließungen von                   macht; unter Abiturientinnen und Abiturienten liegt
werbsverläufe« am Institut für               Schulen und weiterer öffentlicher             dieser Anteil sogar bei 15%.
Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
                                             Einrichtungen wie der Berufsbe-                    Der Anteil der Schüler, die wenig für die Schule
schung (IAB), Nürnberg, und ist
Professorin für Volkswirtschafts-            ratung eine starke Einschränkung              tun, ist unter männlichen Schülern und in Abschluss-
lehre, insb. Bildungsökonomik,               der außerfamiliären Unterstützung             klassen deutlich höher. Die Vermutung, dass sehr gute
an der Otto-Friedrich-Universität
                                             bei der Berufsorientierung und im             Schüler die ihnen übertragenen Aufgaben schneller
Bamberg.
Zudem ist sie Research Fellow                konkreten Bewerbungsprozess.                  erledigen und daher weniger Zeit für die Schule auf-
des Forschungsinstituts zur Zu-              Insbesondere bei Jugendlichen                 wenden müssen, bewahrheitet sich nicht, wie eine
kunft der Arbeit (IZA), Bonn.
                                             aus bildungsfernen Familien und               getrennte Betrachtung der Schülerinnen und Schüler
                                              solchen mit Migrationshinter-                nach ihrem Leistungsniveau zeigt. Allerdings ergibt eine
                                                grund dürfte dies eine große               getrennte Betrachtung nach Häufigkeit des Empfangs
                                                Beeinträchtigung darstellen                von Lernmaterialien, dass Jugendliche seltener wenig
                                                (vgl. Schwarz et al. 2020). Schü-          Zeit für die Schule verwenden, wenn sie in regelmäßi-
                                               lerinnen und Schüler, die ihren             gem Kontakt mit der Schule stehen. Entgegen bisheri-
  Dr. Malte Sandner                           Übergang in den Arbeitsmarkt                 ger empirischer Befunde zu unterschiedlichen Folgen
                                             oder in weitere Bildungswege be-              der Schulschließungen nach sozioökonomischem Sta-
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
im Forschungsbereich »Bildung,               reits geplant hatten, konnten ihre            tus (vgl. Bacher-Hicks et al. 2020; Jæger und Blaabæk
Qualifizierung und Erwerbsver-               Zukunftspläne aufgrund der wirt-              2020; Patzina et al. 2020) hängt der Lernumfang der
läufe« am Institut für Arbeits-              schaftlichen Situation und der In-            Abiturienten und angehenden Abiturienten während
markt- und Berufsforschung
(IAB), Nürnberg.                             fektionsschutz- und Hygienemaß-               der Schulschließungen nicht vom Bildungsstand der
                                             nahmen teils nicht realisieren.               Eltern ab (vgl. Anger et al. 2020).
                                                                                                Da das Lernen und die kognitive und sozio-
                        DIE SITUATION DER CORONA-ABITURJAHRGÄNGE                           emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendli-
                        WÄHREND DER SCHULSCHLIESSUNGEN                                     chen nicht nur in der Schule stattfindet, ist die zusätz-
                                                                                           liche Betrachtung von anderen Aktivitäten relevant.
                        Um die Folgen der Corona-Pandemie für die Coro-                    Im Vergleich zum durchschnittlichen Zeitaufwand für
                        na-Abiturjahrgänge besser abschätzen zu können, er-                die Schule – bei Schülerinnen 3,3 Stunden und bei
                        fasste die IAB-Studie »Berufliche Orientierung: Berufs-            Schülern 2,3 Stunden täglich – verbrachten die (an-
                        und Studienwahl (BerO)« im März und April 2020 die                 gehenden) Abiturienten ihre Wochentage hauptsäch-
                        Situation von mehr als 1 000 Gymnasiasten der bei-                 lich mit Fernsehen (knapp drei Stunden), Telefonieren
                        den Abschlussjahrgänge (11. und 12. Klasse) von 195                und Chatten (zwei Stunden), die männlichen Schüler
                        Schulen in acht Bundesländern während der Schul-                   vergleichsweise viele Stunden mit Computerspielen
                        schließungen auf Basis von Online-Befragungen und                  (knapp drei Stunden) – aufgrund der Ausgangssperre
                        bietet somit einen Einblick in die Bedingungen, unter              nicht überraschend – und alle Jugendlichen sehr we-
                        denen die Abiturprüfungen stattfanden (vgl. Anger                  nig Zeit mit persönlichen Treffen von Freunden.
                        et al. 2020). Die Autoren zeigen, dass über 90% aller
                        befragten Schülerinnen und Schüler mindestens ein-                 DIE DIREKTEN FOLGEN DER
                        mal pro Woche Lernmaterial von der Schule und fast                 SCHULSCHLIESSUNGEN
                        die Hälfte sogar tägliche Informationen erhielten. Die
                        Kommunikation erfolgte zumeist über Online-Platt-                  Im Vergleich zur Situation vor Corona haben die Schul-
                        formen oder E-Mails mit Aufgaben und Anleitungen,                  schließungen also zu einem Rückgang der mit Lernen
                        während Online-Kurse und virtueller Unterricht im                  verbrachten Zeit geführt. Die Art der Zeitverwendung
                        Frühjahr 2020 kaum verbreitet waren.                               sagt zwar noch nichts über die Qualität der Zeitver-
                             Trotz der häufigen Bereitstellung von Lernma-                 wendung aus, jedoch ist zu vermuten, dass sich die
                        terialien verbrachten die Jugendlichen im Vergleich                Schülerinnen und Schüler als Folge der geringeren

                        1                                                                  2
                           Einzelne Bundesländer wie Bremen und Sachsen haben allerdings      Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen von Wößmann et al.
                        Corona-bedingte Notenanpassungen vorgenommen. Inwieweit sol-       (2020) aus einer Elternbefragung im Juni 2020, nach der 38% der
                        che Anpassungen zu einer Abwertung des Corona-Abiturs führen,      Kinder aller allgemeinbildenden Schulen höchstens zwei Stunden
                        wird sich zeigen.                                                  pro Tag gelernt haben.

                   4    ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020
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Lernintensität und – hauptsächlich bei den jüngeren                    und Webbink 2010), geringere Kompetenzentwicklun-
Jahrgängen – des Wegfalls von Leistungsbewertungen                     gen (vgl. Baker 2013) und häufigere Arbeitslosigkeit,
weniger Wissen aneignen (vgl. Burgess und Sievertsen                   geringqualifiziertere Berufe und Einkommensverluste
2020). Dies könnte zu Produktivitätsverlusten und Ein-                 im späteren Berufsleben (vgl. Jaume und Willén 2019)
kommenseinbußen über den gesamten Erwerbsverlauf                       zur Folge. In den USA führt die lange Dauer der Som-
führen (vgl. Psacharopoulos et al. 2020).3                             merferien von zwei bis drei Monaten zum Verlust des
     Als weitere direkte Folge der Schulschließungen                   im Schuljahr angeeigneten Wissens, insbesondere in
sind die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kin-                      Mathematik und bei benachteiligten Kindern auch
dern und Jugendlichen durch die soziale Isolation und                  in den Lesekompetenzen (vgl. Cooper et al. 1996;
der psychisch belastenden Situation in manchen Fa-                     Alexander et al. 2007) sowie zu Beeinträchtigungen
milien gefährdet (vgl. van Lancker und Parolin 2020).                  der mentalen Gesundheit und des Wohlbefindens von
Hinweise auf diese Gefährdung finden sich auch bei                     Kindern und Jugendlichen (vgl. Morgan et al. 2019).
den Schülerinnen und Schülern der Abschlussklas-                            Darüber hinaus können allgemeine Zusammen-
sen gymnasialer Oberstufen: Nach eigenen Angaben                       hänge zwischen Kompetenzen, Bildungsjahren und
treffen sich über 80% der befragten (angehenden)                       Arbeitsmarkterfolg in der Literatur zur Abschätzung
Abiturienten der BerO-Studie nicht mit Freunden, etwa                  der langfristigen Folgen herangezogen werden. Das
20% haben keinen telefonischen Kontakt, und nur                        reduzierte Lernen führt durch Wissenslücken und feh-
etwa ein Viertel der Schülerinnen und Schüler bilden                   lende kognitive Kompetenzen zu einer geringeren Pro-
Lerngruppen.                                                           duktivität und Einkommenseinbußen der betroffenen
     Darüber hinaus wurde durch die Schulschließun-                    Schülerinnen und Schüler im späteren Erwerbsleben
gen und die Ausgangsperre der Zugang zu relevanten                     (vgl. Wößmann 2020).4 Hinzu kommen Effekte fehlen-
Informationskanälen für den Übergang von der Schule                    der sozio-emotionaler Kompetenzen auf den Arbeits-
in Ausbildung oder Studium erschwert. Auch wenn                        markterfolg (vgl. Heineck und Anger 2010).
Beratungsangebote außerhalb des privaten Umfelds                            Über die Schulschließungen hinaus beeinflusst
(zum Beispiel über Lehrkräfte und Berufsberatung) für                  die Corona-Pandemie die Abiturjahrgänge auch über
Abiturienten eine tendenziell geringere Rolle spielen                  den Einbruch des Arbeits- und Ausbildungsmarkts.
als für Absolventen anderer Schulformen (vgl. Schwarz                  Eine umfassende Literatur belegt den Zusammenhang
et al. 2020), dürfte sich die Berufsorientierung der Co-               zwischen den Arbeitsmarktbedingungen zum Zeit-
rona-Abiturjahrgänge im Vergleich zu den Vorjahren                     punkt des Arbeitsmarkteintritts und den Einstiegs-
durch den Wegfall der Berufsberatung verschlechtert                    löhnen (vgl. z.B. Altonji et al. 2016; Curry et al. 2019)
haben. Dies ist vor allem für jene Abiturienten von                    wie auch den langfristigen Karriereverläufen (vgl. z.B.
Bedeutung, die bis Frühjahr 2020 noch keinen Ausbil-                   Oreopoulos et al. 2012; Schwandt und von Wachter
dungsvertrag in der Tasche oder sich noch nicht für ei-                2019), insbesondere für hochqualifizierte Jugendliche
nen Studiengang entschieden hatten. Jedoch ist auch                    in einem starren Lohnregime (vgl. Cockx 2016).
für Jugendliche der Vorabschlussklassen mit Wunsch                          Angesichts ungünstiger Arbeitsmarktbedingungen
nach einem Ausbildungsplatz die Bewerbungsphase                        entscheiden sich junge Erwachsene verstärkt für den
während der Schließung der Schulen und der Berufs-                     weiteren Bildungserwerb (vgl. Clark 2011; Sievertsen
beratung angelaufen.                                                   2006). In einer international vergleichenden Studie für
                                                                       OECD-Länder zeigen Hampf et al. (2020), dass schwie-
DIE FOLGEN FÜR DEN BILDUNGSWEG UND DEN                                 rige wirtschaftliche Bedingungen eines Landes zum
ARBEITSMARKT                                                           Zeitpunkt der Hochschulzugangsberechtigung die Auf-
                                                                       nahme und den Abschluss eines Studiums begünsti-
Für vereinzelte Ereignisse in der Vergangenheit mit                    gen. Langfristig verbessert dies den Arbeitsmarkter-
einem ähnlichen Ausfall von Schulunterricht wie                        folg der Jugendlichen. Für die Corona-Abiturjahrgänge
während der Corona-Pandemie lassen sich langfris-                      ist daher zu erwarten, dass der erschwerte Zugang
tige Einbußen insbesondere bei Kompetenzen, Bil-                       und das reduzierte Angebot auf dem Ausbildungs-
dungsabschlüssen und Einkommen nachweisen. In                          markt zu einem verstärkten Hochschulzugang führen.
Deutschland führten die Kurzschuljahre in den 1960er                   Außerdem dürften insbesondere Abiturientinnen und
Jahren zu geringeren mathematischen Kompetenzen                        Abiturienten, die nach dem Abschluss ein »Gap Year«
im späteren Lebensverlauf (vgl. Hampf 2019) und zu                     mit Reisen oder Praktika geplant hatten, zu Änderun-
späteren Einkommensverlusten für die betroffenen                       gen ihrer Zukunftspläne gezwungen sein und auf eine
Schülerinnen und Schüler (vgl. Cygan-Rehm 2018).                       kurzfristige Studienaufnahme ausweichen.
In Belgien, Kanada und Argentinien hatten streikbe-                         Auch dürfte die Corona-Pandemie die Fächerwahl
dingte Schulschließungen häufigere Klassenwiederho-                    der angehenden Studierenden beeinflussen, die ihre
lungen und niedrigere Bildungsabschlüsse (vgl. Belot                   Erwartungen bzgl. ihrer Arbeitsmarktchancen an die
                                                                       4
                                                                          Psacharopoulos et al. (2020) schätzen die – durch einen Rückgang
3
   Kuhfeld et al. (2020) schätzen in einer US-amerikanischen Studie,   der Lernaktivitäten bedingten – Verluste für Länder aller Einkom-
dass die Schülerinnen und Schüler durch die lange Phase der Schul-     mensgruppen auf durchschnittlich 15% des BIP. Hinzu kommen un-
schließungen das neue Schuljahr mit maximal zwei Dritteln der Lern-    mittelbare Produktivitätsverluste durch die Schulschließungen als
fortschritte eines typischen Schuljahrs beginnen.                      Folge der Fehlzeiten von Arbeitskräften mit zu betreuenden Kindern.

                                                                                  ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020   5
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anpassen.                      In Hinblick auf die andauernde Pandemie sollte
    Empirische Studien zeigen, dass sich die Bedingun-                 der Fokus auch auf die nachfolgenden Schülerjahr-
    gen auf dem Arbeitsmarkt nicht nur auf die Bewer-                  gänge gerichtet werden, die bereits in der ersten
    berzahlen an den Hochschulen auswirken, sondern                    Pandemie-Welle massiv vom Unterrichtsausfall be-
    auch »krisensichere« Fachrichtungen stärker nachge-                troffen waren. Effektives Lernen »auf Distanz« kann
    fragt werden (vgl. Goulas und Megalokonomou 2019;                  nur durch regelmäßige Kontakte zwischen Schü-
    Ersoy 2019).                                                       lerinnen und Schülern und ihren Lehrkräften bzw.
                                                                       der Schule erfolgen. Darüber hinaus kann – neben
    BERUFLICHE SORGEN DER ABITURJAHRGÄNGE                              einer klaren Kommunikation und zügigen Entschei-
                                                                       dungen in der Bildungspolitik – die häufige Kommu-
    Die Schülerbefragung der BerO-Studie zeigt, dass sich              nikation mit der Schule die Sorgen der Jugendlichen
    Jugendliche aufgrund der Schulschließungen Sorgen                  reduzieren; Zur Sicherstellung der Berufsorientierung
    um ihre berufliche Zukunft machen (vgl. Anger et al.               kann Berufsberatung auf Distanz mit unterschiedli-
    2020): Gut ein Drittel der befragten Schülerinnen und              chen Online-, aber auch Offline-Formaten ein Weg
    Schüler macht sich große oder sehr große Sorgen um                 sein, um Schülerinnen und Schülern der Abschluss-
    die berufliche Zukunft und darüber, nicht genügend                 klassen bei der Realisierung ihrer Berufswünsche
    Informationen zur Berufsorientierung zu erhalten,                  zu unterstützen und ihre beruflichen Sorgen zu
    und noch mehr Jugendliche – fast die Hälfte aller                  reduzieren.
    Befragten – sorgen sich um ihre Schulleistungen.                        Aus bisherigen empirischen Studien lässt sich
          Die Verunsicherung der Abiturienten und an­                  ableiten, dass reduziertes Lernen und soziale Iso-
    gehenden Abiturienten wirft die Frage auf, wie die                 lation sowohl zu individuellen Folgekosten als auch
    Jugendlichen kurz vor ihrem Übergang zum Studium                   zu gesamtwirtschaftlichen Wohlstandsverlusten
    oder in Ausbildung unterstützt werden können. Ein                  führt und soziale Ungleichheit fördert. Daher sind
    zusätzlicher Befund der BerO-Studie besteht darin,                 – im Fall weiterer Schulschließungen – Maßnahmen
    dass sich Abiturientinnen und Abiturienten weniger                 erforderlich, um schulische Bildungsprozesse trotz
    Sorgen machen, wenn sie während der Schulschlie-                   teilgeschlossener Schulen aufrechtzuerhalten (vgl.
    ßung häufiger Kontakt zu ihrer Schule haben. Die-                  Danzer et al. 2020).
    ser Befund legt nahe, dass zusätzliche Beratungs­
    angebote – sowohl schulische als auch außerschu-                   LITERATUR
    lische – eine Verbesserungsmöglichkeit darstellen                  Alexander, K. L., D. R. Entwisle und L. S. Olson (2007), »Lasting conse-
    können.                                                            quences of the summer learning gap«, American Sociological Review 72,
                                                                       167–180.
          Zudem hat sich ein beträchtlicher Anteil der
                                                                       Altonji, J. G., L.B. Kahn und J.D. Speer (2016), »Cashier or consultant?
    Abiturientinnen und Abiturienten bereits um einen                  Entry labor market conditions, field of study, and career success«, Jour-
    Ausbildungsplatz in einem Betrieb beworben, der                    nal of Labor Economics 34(S1), 361–401.

    nun womöglich von der Krise betroffen ist. Auch hier               Anger, S., S. Bernhard, H. Dietrich, A. Lerche, A. Patzina, M. Sandner und
                                                                       C. Toussaint (2020), »Schulschließungen wegen Corona: Regelmäßiger
    können Beratungsangebote bei der Realisierung der                  Kontakt zur Schule kann die schulischen Aktivitäten der Jugendlichen
    angestrebten Bildungs- und Berufsziele unterstützen.               erhöhen«, IAB Forum, verfügbar unter: https://www.iab-forum. de/
                                                                       schulschliessungen-wegen-corona-regelmassiger-kontakt-zur-schu-
    Dies ist umso wichtiger, als dass ein reibungsloser                le-kann-die-schulischen-aktivitaten-der-jugendlichen-erhohen.
    Übergang ins Studium oder in den Arbeitsmarkt lang-                Bacher-Hicks, A, J. Goodman und C. Mulhern (2020), »Inequality in
    fristige Narbeneffekte verhindert (vgl. Schmillen und              Household Adaptation to Schooling Shocks: Covid-Induced Online Lear-
                                                                       ning Engagement in Real Time«, NBER Working Paper 27555.
    Umkehrer 2018).
                                                                       Baker, M. (2013), »Industrial actions in schools: Strikes and student
                                                                       achievement«, Canadian Journal of Economics 46(3), 1014–1036.
    FAZIT: LANGFRISTIGE NACHTEILE DES                                  Belot, M. und D. Webbink (2010), »Do teacher strikes harm educational
    CORONA-ABITURS NICHT AUSGESCHLOSSEN                                attainment of students?«, Labour 24(4), 391–406.
                                                                       Burgess, S. und H. H. Sievertsen (2020), »Schools, skills, and learning:
                                                                       The impact of COVID-19 on education«, VoxEu.org, 1, verfügbar unter:
    Das Lernen und die Prüfungsvorbereitungen »auf                     https://voxeu.org/article/impact-covid-19-education.
    Distanz« gestalteten sich für viele Jugendliche des                Clark, D. (2011), »Do Recessions Keep Students in School? The Impact
    Corona-Abiturjahrgangs schwierig. Trotz vergleichba-               of Youth Unemployment on Enrolment in Post-Compulsory Education in
                                                                       England«, Economica 78(311), 523–545.
    rer Abiturleistungen zu den Vorjahren können lang-
                                                                       Cockx, B. (2016), »Do Youths graduating in a recession incur permanent
    fristige Nachteile des Corona-Abiturs im späteren Be-              losses?«, IZA World of Labor, Nr. 281.
    rufsleben nicht ausgeschlossen werden. Die Schlie-                 Cooper, H., B. Nye, K. Charlton, J. Lindsay und S. Greathouse (1996),
    ßung der Schulen, das Aussetzen der Berufsberatung,                »The effects of summer vacation on achievement test scores: A narra-
                                                                       tive and meta-analytic review«, Review of Educational Research 66(3),
    fehlende Kontaktmöglichkeiten sowie ein reduziertes                227–268.
    Ausbildungsplatzangebot erschweren den Übergang                    Curry, M. (2019), »The Great Recession and shifting patterns of college
    in den Arbeitsmarkt. Mögliche Folgen sind weniger                  effects for young men«, Research in Social Stratification and Mobility 59,
                                                                       34–45.
    attraktive Arbeitgeber für die Schulabsolventen sowie
                                                                       Cygan-Rehm, K. (2018), »Is additional schooling worthless? Revising the
    häufigere Studien- und Ausbildungsabbrüche durch                   zero returns to compulsory schooling in Germany«, CESifo Working Pa-
    die geringere Passung von Schulabgängern mit ihren                 per 7191, CESifo, München.
    weiteren Bildungswegen.

6   ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Danzer, A. M., N. Danzer, C. Felfe de Ormeno, C. K. Spieß, S. Wie-          Oreopoulos, P., T. von Wachter und A. Heisz (2012), »The short-and long-
derhold und L. Wößmann (2020), Bildung ermöglichen! Unterricht              term career effects of graduating in a recession«, American Economic
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Bildungsökonomischer Aufruf, verfügbar unter: https://www.ifo.de/
                                                                            Patzina, A., H. Dietrich und A. Lerche (2020), »Social Inequality in Home
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                                                                            Schooling during the COVID-19 Pandemic in Germany«, mimeo.
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                                                                            Psacharopoulos, G., V. Collis, H. A. Patrinos und E. Vegas (2020), »Lost
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                                                                            Wages: The COVID-19 Cost of School Closures«, World Bank Policy Rese-
https://ssrn.com/abstract=2746337.
                                                                            arch Working Paper, Nr. 9246.
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Hampf, F. (2019), »The effect of compulsory schooling on skills: Evidence   national Labour Review 156(3/4), 465–494.
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                                                                            Schwandt, H. und T. Von Wachter (2019), »Unlucky cohorts: Estima-
Hampf, F., M. Piopiunik und S. Wiederhold (2020), »The Effects of Gradu-    ting the long-term effects of entering the labor market in a recession
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                                                                            grund besonders wichtig«, IAB-Forum, im Erscheinen.
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                                                                            e243-e244. doi:10.1016/S2468-2667(20)30084-0.
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                                                                            nen«, ifo Schnelldienst 73(6), 38–44.
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Alexander M. Danzer
Auswirkungen der Schulschließungen auf Kinder mit
Migrationshintergrund
Daten des internationalen PISA-Kompetenztests                               Unterschieden zwischen Kindern mit und ohne
2018 zeigen, dass Kinder mit Migrationshintergrund                          Migrationshintergrund schlecht ab: Lediglich vier
in Deutschland substanziell schwächere Leistungen                           der 25 OECD-Länder in der Studie weisen eine grö-
erbringen als ihre Mitschüler ohne Migrationshinter-                        ßere Lücke in den Mathematikkompetenzen zwi-
grund (durchschnittlich 13 (Mathematik) bis 17 (Lesen)                      schen Migranten der ersten Generation und Einhei-
Prozentpunkte).                                                             mischen ohne Migrationshintergrund auf. Bei Kin-
                                                                            dern der zweiten Migrationsgeneration liegt die
BESTANDSAUFNAHME: KINDER MIT                                                Kompetenzlücke in Deutschland im internationalen
MIGRATIONSHINTERGRUND IM SCHULSYSTEM IN                                     Mittelfeld.
DEUTSCHLAND                                                                     Die Weichen für spätere ökonomische Erfolge am
                                                                            Arbeitsmarkt werden bereits in der frühen Kind- und
Seit dem Jahr 2009 ist die relative schulische Leis-                        Schulzeit gelegt (vgl. Heckman
tung von Kindern mit Migrationshintergrund gefallen.                        2006). Dementsprechend drohen
Dahinter verbergen sich jedoch zwei unterschiedli-                          schulische Bildungslücken von
che Trends (vgl. Abb. 1): Die relativen Leistungen von                      Kindern mit Migrationshinter-
eingewanderten Kindern (Migranten der ersten Gene-                          grund deren langfristige Chan-
ration) fielen deutlich, während sich bei in Deutsch-                       cen am Arbeitsmarkt zu schmä-
land geborenen Kindern von Migranten (Migranten                             lern. Die Migrationsliteratur
der zweiten Generation) die relativen Leistungen                            verweist auf die große Persistenz             Prof. Alexander M. Danzer, Ph.D.
verbesserten, wenngleich langsamer. Die fallenden                           ökonomischer Benachteiligung                ist Inhaber des Lehrstuhls für
Leistungen der ersten Generation sind vermutlich teil-                      über Generationen hinweg (vgl.              Volkswirtschaftslehre, insbe-
weise durch die verstärkte Flüchtlingszuwanderung                           Borjas 1994). Aus diesem Grund              sondere Mikroökonomik, an
                                                                                                                        der KU Eichstätt-Ingolstadt und
zu erklären.                                                                sind die bereits vor Ausbruch der           Gründungsdirektor des KU
     Im internationalen PISA-Vergleich der Bil-                             Corona-Pandemie bestehenden                 Research Institute BESH.
dungskompetenzen schneidet Deutschland bei den                              Leistungsdefizite der Schüler mit

                                                                                         ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020   7
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Abb. 1                                                                                                                 Ebenso zeigt sich, dass Eltern von Kindern mit Migra-
Kompetenzlücke von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland                                                    tionshintergrund – trotz teils überdurchschnittlicher
PISA 2003–2018                                                                                                         Ambitionen – in geringerem Maße mit Bildungsein-
   100% = Kompetenzen der Kinder                       Erste Generation:       Zweite Generation:                      richtungen interagieren oder am Lernerfolg der Kinder
      ohne Migrationshintergrund                           Lesen                  Lesen
100                                                        Mathematik             Mathematik                           mitwirken, teilweise aufgrund von fehlendem insti-
                                                           Naturwissenschaften    Naturwissenschaften
                                                                                                                       tutionellem Wissen oder sprachlichen Hürden (vgl.
                                                                                                                       Nusche 2009).
 90

                                                                                                                       Geografische Faktoren
 80
                                                                                                                       Seit den späten 1980er Jahren belegen Ökono-
                                                                                                                       men, dass die ethnische Umgebung, in der Kinder
 70
                                                                                                                       aufwachsen, einen Einfluss auf ihren langfristigen
            2003              2006              2009               2012            2015           2018                 ökonomischen und schulischen Erfolg haben (vgl.
Quelle: Berechnungen des Autors.                                                                      © ifo Institut   Borjas 1994). Eine größere räumliche Konzentration
                                                                                                                       von Kindern mit Migrationshintergrund korreliert mit
                                   Migrationshintergrund äußerst beunruhigend. Woher                                   schwächeren schulischen Leistungen von Migranten
                                   aber stammen diese Nachteile?                                                       (vgl. Schneeweis 2015) und teilweise auch von Kin-
                                                                                                                       dern ohne Migrationshintergrund (vgl. Jensen und
                                   Sozioökonomische Faktoren                                                           Würtz Rasmussen 2011). Da diese Korrelationsmus-
                                                                                                                       ter auch durch die Wohnortwahl der Eltern – und
                                   Ein großer Teil der schulischen Leistungsdefizite                                   die damit einhergehende Wahl eines bestimmten
                                   von Kindern mit Migrationshintergrund ist auf deren                                 Schulsprengels – beeinflusst werden können, ist zu-
                                   schwächere sozioökonomische Situation zurückzufüh-                                  nächst unklar, ob Kinder tatsächlich durch das Auf-
                                   ren (vgl. Lüdemann und Schwerdt 2013). Das bedeutet,                                wachsen in ethnischen Enklaven benachteiligt sind.
                                   dass Kinder aus dieser Bevölkerungsgruppe schwä-                                    Für Deutschland zeigt sich jedoch, dass Kinder von
                                   chere Leistungen erbringen, weil sie beispielweise                                  Gastarbeitern selbst dann über schwächere deutsche
                                   in Familien mit geringeren Einkommen aufwachsen                                     Sprachkenntnisse verfügen und die Schule häufiger
                                   oder ihre Eltern über geringere Bildungsabschlüsse                                  ohne Bildungsabschluss verlassen, wenn ihre Eltern
                                   verfügen. Daraus resultiert eine Ressourcenbenachtei-                               per behördlicher Wohnortzuweisung quasi zufällig in
                                   ligung: laut PISA 2015 haben Kinder mit Migrationshin-                              eine Arbeitsmarktregion mit zahlreichen Mitgliedern
                                   tergrund relativ seltener Zugang zu Computern (laut                                 der gleichen Ethnizität geschickt wurden (vgl. Dan-
                                   index of computer availability). Aktuelle repräsentative                            zer et al. 2018). Die schwächeren Sprachleistungen
                                   Daten für Deutschland belegen auch, dass Kinder aus                                 der Kinder sind zumindest teilweise auf mangelnde
                                   Haushalten mit Migrationshintergrund seltener über                                  Sprachkenntnisse der Eltern zurückzuführen. Dies ist
                                   ein eigenes Zimmer und Zugang zu Lernmaterialien                                    insofern beunruhigend, als fehlende linguistische Fer-
                                   (Bücher und Computer) verfügen (vgl. Geis-Thöne                                     tigkeiten den kognitiven, sozialen und emotionalen
                                   2020).1 Erschwert wird die Situation dadurch, dass                                  Kompetenzaufbau bremsen (vgl. Heckman 2006) und
                                   Kinder aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund                                  damit langfristige negative Effekte auf den ökonomi-
                                   laut PISA-Test eine etwas geringere Bildungsunter-                                  schen Erfolg haben können. Dies spiegelt sich schon
                                   stützung und Förderung durch ihre Eltern erhalten.                                  im vorschulischen Bereich: Die Betreuung von Kin-
                                   1
                                      Basierend auf Daten des Deutschen Sozio-oekonomischen Panels
                                                                                                                       dern mit Migrationshintergrund in Kindertagesstätten
                                   (SOEP) 2017/2018.                                                                   hat positive Wirkungen auf deren sprachliche und
                                                                                                                       sozio-emotionale Entwicklung (vgl. Felfe und Lalive
Abb. 2                                                                                                                 2018). Die Ergebnisse verdeutlichen die essentielle
Ressourcenlücke für Kinder mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland                                           Rolle regelmäßiger Kontakte zu Muttersprachlern für
PISA 2018                                                                                                              den Spracherwerb.
                                                                                  Zweite Generation
                                                                                  Erste Generation
                                                                                  Ohne Migrationshintergrund           Infrastrukturelle Faktoren

Mangel an Bildungsmaterial                                                                                             Kinder mit Migrationshintergrund besuchen statis-
                                                                                                                       tisch häufiger Schulen mit schwächerer infrastruk-
                                                                                                                       tureller und personeller Ausstattung wie PISA-Daten
                                                                                                                       für Deutschland im Jahr 2018 belegen. Dies äußert
      Mangel an Lehrkräften                                                                                            sich insbesondere hinsichtlich Lehrmaterialien und
                                                                                                                       Lehrermangel: Bei beiden Mangelindikatoren liegen
                             -3          -2         -1           0          1            2         3                   die Werte für Kinder mit Migrationserfahrung signi-
              Antworten der Schulleiter skaliert von –3 bis +3 (null = Durchschnitt aller PISA-Länder)                 fikant höher als die Werte für Kinder ohne Migrati-
Quelle: Berechnungen des Autors.                                                                      © ifo Institut   onserfahrung (vgl. Abb. 2). Metastudien zeigen, dass

                          8        ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020
ZUR DISKUSSION GESTELLT

eine bessere Ressourcenausstattung mit besseren            noch weiter abgehängt fühlen und das Vertrauen in
schulischen Leistungen der Kinder einhergeht (vgl.         staatliche Institutionen verlieren.
Greenwald et al. 1996).                                          Neben der Vermittlung kognitiver Kompetenzen
                                                           sind Schulen soziale Institutionen, die die sozio-emo-
WELCHE AUSWIRKUNGEN HABEN DIE DURCH                        tionale Entwicklung prägen und soziale Schutzmecha-
CORONA BEDINGTEN SCHULSCHLIESSUNGEN AUF                    nismen bieten, beispielsweise gegen familiäre Überfor-
KINDER MIT MIGRATIONSHINTERGRUND?                          derung. Während der Schulschließungen gehen soziale
                                                           Kontrollmechanismen und Versorgungsmöglichkeiten
In Deutschland verfügt der Staat über das Bildungs-        verloren, beispielsweise mit ausgewogener Nahrung.
monopol. Darin reguliert er nicht nur Form, Inhalte        Da Kinder aus Haushalten mit Migrationshintergrund
und Abschlüsse der Bildungsinstitutionen, sondern          häufig schlechter ernährt sind, sich weniger bewegen
verpflichtet mit Hilfe der Schulpflicht auch alle Kinder   und mehr Medienzeit zur Unterhaltung konsumieren
zum Besuch der Bildungseinrichtungen. Während der          (vgl. Lange et al. 2010), dürfte der Wegfall relativ ge-
Corona-Pandemie hat der Staat seinen Bildungsauf-          sunder Schulmahlzeiten und des Sportunterrichts hier
trag temporär an die Eltern übertragen und damit           besonders negative Auswirkungen auf den schulischen
das Prinzip des gleichen Zugangs zu Bildung für alle       Erfolg haben (vgl. Bélot und James 2011).
Kinder faktisch außer Kraft gesetzt: Es mehren sich              Da die Corona-bedingten Schulschließungen lang-
Hinweise darauf, dass Lehrer in der Corona-Pandemie        fristige Verdienst- und Einkommensverluste erwarten
den Kontakt besonders zu Schülern mit Migrations-          lassen (für einen Überblick vgl. Wößmann 2020), dro-
hintergrund verloren haben. Für benachteiligte Kinder      hen Kinder sozial benachteiligter Haushalte in eine
dürfte der soziale Aufstieg durch die Schulschließun-      Armutsfalle zu geraten. Dies trifft keineswegs aus-
gen noch schwieriger geworden sein.                        schließlich, aber doch häufig Haushalte mit Migrati-
     Die Bildungskluft zwischen Kindern mit und ohne       onserfahrung. Zur Sicherstellung von Chancengleich-
Migrationshintergrund droht weiter zu wachsen. Der         heit und zur Vorbeugung langfristiger Alimentierung
Spracherwerb der Kinder wird durch die fehlende            in den Sozialsystemen sollte die Politik spezifische
Interaktion mit Lehrkräften und muttersprachlichen         Maßnahmen ergreifen, um den sozialen Aufstieg von
Mitschülern leiden, was zu langfristigen Bildungs-         Kindern mit Migrationshintergrund zu fördern.
nachteilen führt. Doch bereits in der kurzen Frist
werden Schulschließungen den fachlichen Kompe-             HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
tenzerwerb der Kinder mit Migrationshintergrund in
besonderem Maße bremsen. Empirische Studien zu             Bildungsökonomen haben bereits während der Schul-
Schulschließungen haben zwar bislang nicht explizit        schließungen auf die drohenden Bildungsnachteile für
die Auswirkungen auf Kinder mit Migrationshinter-          Kinder mit Migrationshintergrund hingewiesen und
grund beleuchtet. Allerdings zeigen Ergebnisse zu          Handlungsempfehlungen gegeben (vgl. Danzer et al.
Lehrerstreiks in Argentinien, dass Schulschließungen       2020). Das grundsätzliche Ziel muss sein, geregelten
den Kompetenzerwerb von Kindern im untersten Ein-          Unterricht für alle Kinder, auch jene mit Migrations-
kommensquartil und von Kindern schlechter gebilde-         hintergrund, zu allen Zeiten sicherzustellen und dem
ter Eltern überproportional treffen (vgl. Jaume und        Eindruck entgegenzuwirken, die Corona-Pandemie
Willén 2017, Tab. 18).                                     führe zu einer Pausierung der Regelbeschulung. Dane-
     Mögliche Problemfelder liegen in der Lernum-          ben sollten Kinder mit Migrationshintergrund speziell
gebung, besonders für die Herausforderungen des            gefördert werden:
(digitalen) Distanzlernens: Kinder mit Migrationshin-
tergrund leben statistisch häufiger in beengten Wohn-      ‒   Dazu zählt zunächst eine klare und zeitnahe Kom-
verhältnissen und verfügen seltener über angemes-              munikation über Herausforderungen, Ziele und
sene Endgeräte für digitalen Unterricht. Ihre Eltern           Maßnahmen mit Schülern und deren Eltern. Da-
stehen häufiger vor ökonomischen Herausforderun-               bei muss im Interesse der Kinder sichergestellt
gen und/oder haben keine Erfahrungen mit dem deut-             werden, dass Anforderungen und staatliche Vor-
schen Schulsystem gemacht. Damit entfällt häufig die           gaben auch von Eltern ohne (ausreichende) deut-
entscheidende Unterstützung beim Lernen. Verschärft            sche Sprachkenntnisse rechtzeitig zur Kenntnis
wird dieses Problem durch fehlendes Vertrauen in               genommen und umgesetzt werden. Es müssen
das Bildungssystem: Empirische Studien zeigen, dass            Wege gefunden werden, die Eltern von Kindern
Eltern der zweiten Migrantengeneration im Vergleich            mit Migrationshintergrund auf Augenhöhe in den
zu Eltern von Kindern ohne Migrationshintergrund               Bildungsprozess (Betreuung und Kommunikation)
generell über eine niedrigere Zufriedenheit mit dem            einzubinden.
Bildungssystem verfügen (Eltern, die zusammen mit          ‒   Zur Ermöglichung von Distanzunterricht und
ihren Kindern eingewandert sind, haben häufig noch             Lehrer-Schüler-Kommunikation müssen entspre-
eine höhere Zufriedenheit) (vgl. Maxwell 2010). Es             chende Endgeräte vorgehalten, erklärt und ge-
bleibt zu befürchten, dass sich Eltern und Kinder mit          wartet werden, gerade für Kinder aus ökonomisch
Migrationshintergrund durch die Schulschließungen              benachteiligten Familien.

                                                                    ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020   9
ZUR DISKUSSION GESTELLT

     ‒     Zu Kindern, die per Distanzunterricht zu Hause               LITERATUR
           lernen, sollten Schulpsychologen regelmäßigen                Belot, M. und J. James (2011), »Healthy school meals and educational
           Kontakt halten. Eine bessere Versorgung mit                  outcomes«, Journal of Health Economics 30(3), 489–504.

           schulpsychologisch geschultem Personal er-                   Borjas, G. (1994), »The Economics of Immigration«, Journal of Economic
                                                                        Literature 32, 1667–1717.
           scheint notwendig.
                                                                        Danzer, A. M., N. Danzer, C. Felfe de Ormeno, C. K. Spieß, S. Wiederhold
     ‒     Sollte es zu erneuten Schulschließungen kommen,              und L. Wößmann (2020), Bildung ermöglichen! Unterricht und frühkind-
           sollten Kinder aus Haushalten mit Migrationshin-             liches Lernen trotz teilgeschlossener Schulen und Kitas, Bildungsökono-
                                                                        mischer Aufruf, verfügbar unter: https://www.ifo.de/DocDL/2020_05_04_
           tergrund eine zusätzliche Notbetreuung erhalten,             Wößmann_et_al.pdf, aufgerufen 5. Mai 2020.
           um den Spracherwerb aufrechtzuerhalten und                   Danzer, A.M., C. Feuerbaum, M. Piopiunik und L. Wößmann (2018),
           Leistungsrückstände aufzuholen.                              »Growing up in Ethnic Enclaves: Language Proficiency and Educational
                                                                        Attainment of Immigrant Children«, CESifo Working Paper No. 7097,
     ‒     Zum Abbau bereits gebildeter bzw. fortschrei-                München.
           tender Bildungsungleichheiten müssen Struk-                  Felfe, C. und R. Lalive (2018), »Does Early Child Care Help or Hinder
           turen für umfangreichen Förderunterricht ge-                 Child Development?«, Journal of Public Economics 159, 33–53.

           schaffen werden. In den USA wurde seit den spä-              Geis-Thöne, W. (2020), Häusliches Umfeld in der Krise: Ein Teil der Kinder
                                                                        braucht mehr Unterstützung, IW-Report 15, Institut der deutschen Wirt-
           ten 1980er Jahren mit dem Programm SMART                     schaft, Köln.
           (Summer Migrants Access Resources through                    Greenwald, R., L. V. Hedges und Laine, R. D. (1996), »The Effect of School
           Technology) ein flexibles, schülerzentriertes                Resources on Student Achievement«, Review of Educational Research
                                                                        66(3), 361–396.
           Fernlernsystem entwickelt, mit dem den beson-
                                                                        Heckman, J.J. (2006), »Skill Formation and the Economics of Investing in
           deren Bedürfnissen von Kindern mit Migrations-               Disadvantaged Children«, Science 312, 1900–1902.
           hintergrund Rechnung getragen wird. In Sommer-               Jaume, D. und A. Willén (2019), »The Long-Run Effects of Teacher
           camps, Wochenendklassen und Zusatzunterricht                 Strikes: Evidence from Argentina«, Journal of Labor Economics 37(4),
                                                                        1097–1139.
           wird es den Kindern möglich, ortsunabhängig mit
                                                                        Jensen, P. und A. Würtz Rasmussen (2011), »The effect of immigrant
           vertrauten Lehrern zu kommunizieren und Leis-                concentration in schools on native and immigrant children’s reading and
           tungsrückstände abzubauen (vgl. Meyertholen                  math skills«, Economics of Education Review 30(6), 1503–1515.
           et al. 2004).                                                Lange, D., S. Plachta-Danielzik, B. Landsberg et al. (2010), »Soziale Un-
                                                                        gleichheit, Migrationshintergrund, Lebenswelten und Übergewicht bei
                                                                        Kindern und Jugendlichen«, Bundesgesundheitsblatt 53, 707–715.
     FAZIT                                                              Lüdemann, E. und G. Schwerdt (2013), »Migration background and
                                                                        educational tracking«, Journal of Population Economics 26(2), 455–481.
     Kinder mit und ohne Migrationshintergrund weisen                   Maxwell, R. (2010), »Evaluating Migrant Integration: Political Attitudes
                                                                        Across Generations in Europe«, International Migration Review 44(1), 25–52.
     deutliche Unterschiede in Ressourcen und schulischen
     Kompetenzen auf. Damit die Corona Pandemie nicht                   Meyertholen, P., S. Castro und C. Salinas (2004), »Project SMART: Using
                                                                        Technology to Provide Educational Continuity for Migrant Children«,
     zu einer weiteren Verschärfung der Chancenungleich-                in: C. Salinas und M. E. Franquiz (Hrsg.). Scholars in the Field: The Chal-
     heit führt, sollten entsprechende bildungspolitische               lenges of Migrant Education, AEL Publisher, Jerusalem, Chapter 13,
                                                                        181–191.
     Maßnahmen zügig umgesetzt werden.
                                                                        Nusche, D. (2009), »What Works in Migrant Education?: A Review of Evi-
                                                                        dence and Policy Options«, OECD Education Working Papers, No. 22,
                                                                        OECD Publishing.
                                                                        Schneeweis, N. (2015), »Immigrant concentration in schools: Consequen-
                                                                        ces for native and migrant students«, Labour Economics 35, 63–76.
                                                                        Wößmann, L. (2020), »Folgekosten ausbleibenden Lernens: Was wir über
                                                                        die Corona-bedingten Schulschließungen aus der Forschung lernen kön-
                                                                        nen«, ifo Schnelldienst 73(6), 38–44.

10   ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Axel Plünnecke
Die Digitalisierung im Bildungswesen als Chance
Zahlreiche Studien zeigen, dass das Wachstum von          Feedback an die Schülerinnen und Schüler geben
Volkswirtschaften und der individuelle Erfolg auf dem     konnten (vgl. Hachfeld et al. 2020). Auch Feedback
Arbeitsmarkt signifikant durch die kognitiven Fähigkei-   zum digitalen Fernunterricht durch andere Lehrkräfte
ten der Erwerbsbevölkerung beziehungsweise durch          gab es kaum.
die Bildungsqualität beeinflusst werden (vgl. Hanus-          Berechnungen mit PISA-Daten durch Anger und
hek und Wößmann 2008; Wößmann 2016). Falck et             Plünnecke (2020a) zeigen, dass höher gebildete Eltern
al. (2016) betonen basierend auf Auswertungen der         bereits vor der Coronakrise ihre Kinder öfter bei den
PIAAC-Daten, dass Kompetenzen in Informations- und        Schulaufgaben unterstützten. Die Unterschiede sind
Kommunikationstechnologien dabei eine besondere           dabei unabhängig von den Kompetenzen der Kinder.
Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt haben.                     Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien
     Die Digitalisierung hat während der Coronakrise      haben neben diesen Nachteilen während des digitalen
weiter an Bedeutung gewonnen. Dies gilt sowohl für        Fernunterrichts zusätzlich ungünstigere Bedingungen,
den Gesundheitsbereich selbst (Datenanalysen, Mus-        da sie seltener über einen eigenen PC oder ein Tablet
tererkennung, Schnelltests, Bilddaten, Apps) als auch     und auch deutlich seltener über einen ruhigen Arbeits-
für die Wirtschaft (autonome Logistik, Lieferdienste,     platz verfügen (vgl. Geis-Thöne 2020).
Plattformen, eCommerce, Homeoffice etc.). Datenge-
triebene Geschäftsmodelle werden zunehmend zu ei-         AUSGANGSLAGE DER DIGITALISIERUNG AN
nem wettbewerbsentscheidenden Faktor (vgl. Anger et       SCHULEN
al. 2020). Fritsch und Krotova (2020) zeigen, dass sich
Unternehmen, die bereits über ein datengetriebenes        Um der von den Schulschließungen betroffenen Gene-
Angebot verfügen, am meisten von fehlenden Fach­          ration an Schülerinnen und Schülern gute Zukunfts-
experten gehemmt fühlen. Um digitalisierte Geschäfts-     perspektiven zu sichern, sollte für den Fall weiterer
modelle erfolgreich zu implementieren, ist die simul-     regional und temporär möglicher Schulschließungen
tane Verfügbarkeit von qualifizierten IT-Arbeitskräften   ein hochwertiger digitaler Fernunterricht zur Verfü-
und einer adäquaten Infrastruktur notwendig, was          gung stehen. Ferner sollte auch die Unterrichtsqualität
den Bedarf an IT-Experten und -Fachkräften weiter         im Regelbetrieb durch Digitalisierung erhöht werden,
steigern wird und sich auch während der Coronakrise       um entstandene Rückstände aufzuholen. Auch können
in einer vergleichsweise stabilen Arbeitskräftelücke in   hierdurch die zunehmend wichtigen computer- und in-
IT-Berufen widerspiegelt (vgl. Anger et al. 2020). Um     formationsbezogenen Kompetenzen gestärkt werden.
Wachstumschancen der Digitalisierung langfristig zu            Die Ausgangslage an den deutschen Schulen
nutzen und Zukunftschancen der aktuellen Schülerge-       lässt sich anhand der International Computer and
nerationen zu sichern, sollte das Bildungssystem den      Information Literacy Study (ICILS) auch mit anderen
Schülerinnen und Schülern die notwendigen Kompe-          Ländern vergleichen. In dieser Studie wurden die
tenzen vermitteln.                                        computer- und informationsbezogenen Kompeten-
                                                          zen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahr-
KALTSTART DER DIGITALEN FERNBESCHULUNG                    gangsstufe erhoben. Nach ICILS war die Ausstattung
                                                          der Schulen in Deutschland mit digitalen Geräten im
Mit den durch die Coronakrise verbundenen Schul-          Jahr 2018 deutlich schlechter als im internationalen
schließungen dürften dauerhafte Kompetenzverluste         Durchschnitt, die Schulen verfügten deutlich seltener
der Schülerinnen und Schüler verbunden sein, die          über WLAN (schlechtester Wert der
durch die Fernbeschulung vermutlich nur zu einem Teil     teilnehmenden Länder) und setz-
kompensiert werden konnten (vgl. Wößmann 2020).           ten digitale Geräte seltener im
Neben dem geringeren zeitlichen Umfang, mit dem           Unterricht ein (vgl. Eickelmann
sich die Schülerinnen und Schüler mit der Schule be-      et al. 2019).
schäftigten, ist die (noch) fehlende Qualität der Fern-        In der PISA-Erhebung aus
beschulung dabei von hoher Bedeutung. Befunde von         dem Jahr 2018 wurden die Schü-
                                                                                                          Prof. Dr. Axel Plünnecke
Hattie (2013) zeigen deutlich, dass sich positive Ef-     lerinnen und Schüler ebenso be-
fekte auf die Qualität ergeben, wenn Lehrpersonen         fragt, wie häufig digitale Geräte in          leitet das Kompetenzfeld »Bil-
Feed­back zu ihrem Unterricht einholen, gezielt an der    verschiedenen Unterrichtsstunden              dung, Zuwanderung und Innova-
                                                                                                        tion« am Institut der deutschen
Verbesserung ihres Verhaltens im Unterricht arbeiten      eingesetzt werden. Ein Vergleich              Wirtschaft, Köln.
und Feedback an die Schüler geben. Hausaufgaben           von Deutschland mit Dänemark                  Zudem lehrt er Wirtschafts-
hingegen haben nur kleinere Effekte. Befragungen der      als Benchmark in ICILS-2018 macht             wissenschaften an der
                                                                                                        Deutschen Hochschule für
Lehrkräfte zeigen jedoch, dass sie während der ersten     deutlich, dass in Deutschland in              Prävention und Gesundheits-
Phase des Fernunterrichts vor allem Aufgabenblätter       der Zeit vor der Coronakrise ein              management in Saarbrücken.
verteilten und nur in sehr eingeschränktem Rahmen         großer Nachholbedarf beim Einsatz

                                                                   ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020   11
ZUR DISKUSSION GESTELLT

     digitaler Endgeräte im Unterricht bestand. Wenn in                 Hierdurch nimmt die Verbindlichkeit zu, hochwertigen
     Deutschland digitale Geräte eingesetzt werden, erfolgt             digitalen Fernunterricht sicherzustellen. Auch andere
     die Nutzung relativ häufig durch die Lehrkraft allein.             Bundesländer entwickeln entsprechende Konzepte
     Vor allem der Vergleich mit Dänemark zeigt, dass dort              und Strategien (vgl. Anger und Plünnecke 2020b). Auch
     viel häufiger eine gemeinsame Nutzung der digitalen                sieht nach Eickelmann und Drossel (2020) ein Teil der
     Geräte durch Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften                Lehrkräfte die Chance, digitale Lehrangebote zu eta-
     im Unterricht stattfindet (vgl. Anger et al. 2020).                blieren und auszubauen.
          Die in Dänemark deutlich stärkere Nutzung digi-                    Hemmnisse bei Hardware und Software werden
     taler Geräte im Unterricht geht auch mit im Vergleich              seit dem Sommer in ersten Schritten abgebaut. Dies
     zu Deutschland signifikant höheren computer- und                   betrifft Leihgeräte für Schülerinnen und Schüler und
     informationsbezogenen Kompetenzen der Schülerin-                   Dienstgeräte für Lehrkräfte. WLAN in Schulen wird in
     nen und Schüler in ICILS-2018 einher. In Dänemark                  den kommenden Jahren im Zuge der Umsetzung des
     ist nicht nur die Ausstattung der Schulen mit digi-                Digitalpakts zur Verfügung gestellt. Dazu soll nach Ko-
     talen Medien und WLAN deutlich besser, auch neh-                   alitionsbeschluss von Ende August 2020 eine bundes-
     men die Lehrkräfte stärker an Weiterbildungen teil                 weite Bildungsplattform mit hochwertigen digitalen
     und geben sich gegenseitig mehr Feedback (vgl. Ei-                 Lehrinhalten aufgebaut werden. Wichtig wäre es dar­
     ckelmann et al. 2019). Falck et al. (2018) zeigen auf              über hinaus, die Schulen mit zusätzlichen IT-Stellen
     Basis der TIMMS-Erhebung aus dem Jahr 2011, dass                   für Administration und zur Unterstützung der Lehr-
     der Einsatz von Computern im Unterricht insgesamt                  kräfte auszustatten (vgl. Anger et al. 2020).
     bisher keine signifikant positiven Effekte auf die Kom-
     petenzen der Schülerinnen und Schüler hat, jedoch                  WEITERE SCHRITTE FÜR MEHR CHANCEN
     für unterschiedliche Einsatzbereiche sowohl positive
     als auch negative Effekte feststellbar sind und damit              Um die Kompetenzen der Schülerinnen und Schü-
     die Art der Verwendung der Computer im Unterricht                  ler durch die Digitalisierung zu erhöhen und durch
     entscheidend ist. Eine Metastudie zum Einsatz digi-                die Schulschließungen entstandene Rückstände
     taler Medien kommt zu dem Schluss, dass ihr Einsatz                aufzuholen, sind Lehrkräfte für den Einsatz digita-
     die Leistungen in den MINT-Schulfächern erhöhen                    ler Technologien im Unterricht und für das Lernen
     kann. Der Effekt ist größer, wenn der Einsatz mit tra-             zu Hause zu qualifizieren. Der Nationale Bildungs-
     ditionellen Methoden kombiniert und nicht zu stark                 bericht 2020 verdeutlicht jedoch, dass bisher nur
     ausgeweitet wird und wenn die Lehrkräfte vorab für                 fünf Bundesländer einheitliche Vorgaben erlassen
     den Einsatz digitaler Medien entsprechend qualifiziert             haben, dass im Lehramtsstudium in Grundschule und
     wurden (vgl. Hillmayr et al. 2017, S. 11 f.). ICILS-2018           Sekundarbereich I Veranstaltungen zum Erwerb di-
     zeigt in diesem Zusammenhang jedoch, dass nur ein                  gitaler Kompetenzen anzubieten sind (vgl. Autoren-
     Drittel der Achtklässlerinnen und Achtklässler Schulen             gruppe Bildungsberichterstattung 2020). Hier sind
     besuchen, in denen viele Lehrkräfte interne Fortbil-               entsprechende Vorgaben auch in anderen Ländern
     dungsangebote zu digitalen Medien wahrgenommen                     umzusetzen.
     haben. Nur sehr wenige Lehrkräfte in Deutschland                        Um durch zusätzliche Fort- und Weiterbildungs-
     machen ferner Unterrichtshospitationen zum Einsatz                 angebote für digitale Lernformate die Qualität des
     digitaler Medien (vgl. Eickelmann et al. 2019).                    Unterrichts zu erhöhen (vgl. Eickelmann und Drossel
                                                                        2020), sind Zeiten für deren Nutzung sicherzustellen.
     ERSTE SCHRITTE DER TRANSFORMATION DER                              Durch das Feedback der Lehrkräfte untereinander
     SCHULEN                                                            kann die Unterrichtsqualität weiter gesteigert wer-
                                                                        den. Die kommenden Vergleichsarbeiten sollten be-
     Für den Erfolg der Transformation des schulischen                  züglich der damit verbundenen Möglichkeiten zur
     Bildungssystems ist es zunächst wichtig, den Wandel                Evaluation so weiterentwickelt werden, dass bereits
     als dringlich zu erkennen, eine Konzeption zu entwi-               erste Erkenntnisse zum bisherigen digitalen Unterricht
     ckeln, Unterstützer zu gewinnen und Hemmnisse für                  gewonnen werden können.
     den Wandel zu beseitigen (vgl. Anger und Plünnecke                      Um Rückstände aufzuholen, ist auch die Moti-
     2020b).                                                            vation zu erhöhen, digitale Lernformate begleitend
          Die Schulschließungen haben die Notwendigkeit                 zum Unterricht zu Hause zu nutzen. Grundsätzlich
     zum Wandel verdeutlich. Der erste Impuls in Richtung               besteht bei den Schülerinnen und Schülern eine hohe
     Digitalisierung der Schulen könnte jedoch wieder ver-              Motivation, digitale Formate zum Lernen im privaten
     lorengehen, wenn sich die Schulen für das Schuljahr                Umfeld einzusetzen. Engels und Schüler (2020) zeigen
     2020/2021 allein auf einen möglichst unveränderten                 auf Basis einer Befragung von Jugendlichen, dass Vi-
     Regelbetrieb fokussieren. Bayern und Sachsen haben                 deos von Schülerinnen und Schülern als persönlich
     als erste Bundesländer transparente Pläne vorgelegt,               beste Lernmethode betrachtet werden. Montag et
     ab welchen wöchentlichen Neuinfektionszahlen pro                   al. (2019) beschreiben verschiedene psychologische
     100 000 Einwohner in den Kreisen vom Regelbetrieb                  Mechanismen, die kommerzielle Anbieter digitaler
     auf digitalen Fernunterricht umgestellt werden soll.               Plattformen verwenden, um die Nutzungsdauer der

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