STANDPUNKTE - Siegessäule
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SIEGESSAULE WE ARE QUEER BERLIN FEBRUAR 2021 • SIEGESSAEULE.DE STANDPUNKTE Positionen Schwarzer LGBTI*: Die Arbeiten des Künstlers Isaiah Lopaz Heißes Eisen: Maren Kroymann über Coming-out in der Schauspielbranche Berlinale mal anders: Das Filmfestival während der Pandemie BERLINS MEISTGELESENES STADTMAGAZIN EXPANDED CONTENT IN ENGLISH
INHALT 3 12 Community Die neue Ausgabe von Maren Kroymanns Satireshow „Kroy- mann“ (Foto) ist ein klares State- ment zur oft schwierigen Lage von LGBTI*-Schauspieler*innen. Wir baten Maren zum Interview FOTO: RADIO BREMEN 24 FOTO: MATT LAMBERT Titel Die Illustrationen und Texte des Künstlers Isaiah Lopaz (Foto) setzen sich mit vielfältigen Positionen und Realitäten Schwarzer LGBTI* auseinander. In diesem Heft gestaltete er nach FOTO: MARCUS WITTE seinen Konzepten unsere Titelstory „ByeDon!“ Viel Spaß mit der 33 Februarausgabe der Musik SIEGESSÄULE wünscht Chefredakteur Jan Noll Der/die nicht binäre Multiinstrumentalist*in Tash Sultana meldet sich mit ihrem/seinem zweiten Album „Terra Firma“ zurück FOTO: DARAMUNNIS Special Media SDL GmbH SIEGESSÄULE Ritterstr. 3 Themen Kultur Service 10969 Berlin 5 INTRO 32 MUSIK 47 KLATSCH Redaktion, Tel.: 23 55 39-0 Der Klima- und Queer-Aktivist Tadzio Nordischer Pomp: Das neue Album der redaktion@siegessaeule.de SIEGESSÄULE.DE Müller über die Kampagne „Zero Covid“ Isländer*innen Sigur Rós, María Huld 50 ESSEN Markan Sigfúsdóttir u. a. Schöner Shoppen im Shutdown: Redaktionsschluss: 05.02. 08 COMMUNITY Feinkostläden in Berlin Programmtermine: -33, -46 Christopher Schreiber und Alexander 36 BÜHNE termine@siegessaeule.de Scheld sind die neuen Geschäftsführer „Das Musikgeschäft“ von Komponist* 52 KLEINANZEIGEN Terminschluss: 08.02. des Lesben- und Schwulenverbandes Neo Hülcker und Dramaturg Bastian Anzeigen: -13 Berlin-Brandenburg Zimmermann 58 DAS LETZTE Kolumne von Wolfgang Müller anzeigen@siegessaeule.de Anzeigenschluss: 09.02. 10 POLITIK 38 FILM Kritik am Umgang des Bundesamts Berlinale verschoben, Eric Steels 58 IMPRESSUM Kleinanzeigen bitte online für Migration und Flüchtlinge mit Spielfilmdebüt „Minjan“ aufgeben: Asylanträgen queerer Geflüchteter siegessaeule.de/marktplatz 42 BUCH Kleinanzeigenschluss: 10.02. 48 ENGLISH Über den Rassismus gegenüber Sinti The queer indie porn scene, losing und Roma: „Fragmente über das Über- Abonnement: -55 friends to corona, white Germans and leben“ von Elsa Fernandez abo@siegessaeule.de racism SIEGESSÄULE 03/2021 erscheint am 25.02.
INTRO 5 Leben statt arbeiten Choose living Die Kampagne „Zero Covid“ fordert, im Lockdown nicht nur unser A new campaign dubbed Zero Covid calls for a shutdown of not only Sozial-, sondern auch unser Arbeitsleben konsequent runterzufahren. our social lives but consequently our working lives as well. Climate Klima- und Queer-Aktivist Tadzio Müller erklärt, warum er den Aufruf and queer activist Tadzio Müller explains why he supports this call unterstützt Januar 2021. „Flatten the curve“ ist gescheitert. Wir arbeiten, aber January 2021. “Flatten the curve” has failed. We are working, but we wir leben nicht. Eigentlich sollte der Lockdown schon vorbei sein, aren’t living. Lockdown actually should have already been over, but jetzt wird er bundesweit verschärft, mindestens bis Mitte Februar. instead it’s now been tightened nationwide – at least until the middle Infizierten- und Todeszahlen bleiben zu hoch. of February. Infection rates and death tolls are still too high. Tag für Tag gehen die meisten von uns dennoch wie gewohnt zur Nonetheless, most of us go to work as usual every day. It’s not only Arbeit. Nicht nur an systemrelevanten Arbeitsplätzen wie Kranken- system-relevant jobs like hospitals, assisted living facilities and su- häusern, Altenheimen und Supermärkten wird weitergemacht wie permarkets that continue as usual, but objectively subordinate ones zuvor, sondern auch an objektiv nachrangigen, wie in Rüstungs- as well, like defense manufacturers or banks. The home office quota fabriken oder Banken. Die Homeofficequote ist lachhaft. Aber wie is laughable. But living our lives as usual? Not possible. The office is gewohnt leben? Geht nicht. Das Büro ist offen, der Club ist zu. Mehr open, the club closed. Meeting with more than one other person to als einen anderen Menschen treffen, queere und poly Beziehungs- experience queer and poly relationship models? No way. Images of modelle erleben? Nix da. Die Bilder von verlassenen Innenstädten abandoned city centers may suggest real lockdown but on the other mögen einen wirklichen Lockdown suggerieren, aber abseits der side of those closed shopping streets, Germany is diligently produc- geschlossenen Einkaufsstraßen produziert Deutschland fleißig wei- ing more cars. The pandemic is not under control, the mutation will ter Autos. Die Pandemie ist nicht unter Kontrolle, die Mutationen be arriving here soon or is already here, and an effective vaccination kommen hierzulande an oder sind schon da und die Durchimpfung of the country and the world will take some time. des Landes und der Welt wird auch noch dauern. The federal government’s only reaction seems to be (and ditto for Die Reaktion der Bundesregierung scheint – dito Klimakrise – zu the climate crisis): continue the strategy that’s been failing us thus sein: die bisherige gescheiterte Strategie weiterzufahren, nur mehr far, but more of it. It’s this dystopian perspective of an increasing- davon. Gegen diese dystopische Perspektive eines sich stetig ver- ly-extended half-lockdown that international initiative Zero Covid is längernden Halblockdowns wendet sich die internationale Initiative fighting against. In January, the campaign launched in Germany by „Zero Covid“. Im Januar ging die Kampagne auch in Deutschland u. means of a petition, among other things, with a call for a “solidary, a. mittels einer Petition an den Start, mit dem Ruf nach einem „euro- European-wide lockdown”. The goal: to get down to zero infections päischen, solidarischen Lockdown“. Das Ziel: so schnell wie möglich as soon as possible, or respectively, to reduce the infections to such auf null Infektionen zu kommen bzw. die Infektionen so weit zu an extent that each individual contagion is traceable again. To come verringern, dass jede einzelne Ansteckung wieder nachvollziehbar close to achieving this, “the economy” must be brought to a com- ist. Um dies annähernd zu erreichen, müsste sofort „die Wirtschaft“ plete standstill immediately, with very few exceptions. This would stillgelegt werden, mit nur wenigen Ausnahmen. Das hätte nicht nur not only have a positive epidemiological effect; it would also raise epidemiologisch positive Effekte, es würde auch die gesellschaftli- the social acceptance of corona measures: wage labor over living is che Akzeptanz der Corona-Maßnahmen erhöhen: Lohnarbeit über not a formula that creates longterm legitimacy. Everything must Leben ist keine Formel, die langfristig Legitimi- be designed with solidarity in tät schafft. Das Ganze müsste solidarisch gestal- Das Büro ist offen mind. That means stabilized tet, d. h. durch ein umfassendes Rettungspaket ... der Club ist zu and enabled through a com- stabilisiert und ermöglicht werden, fi- prehensive rescue package fi- nanziert durch eine Covid-Abgabe auf The office is open nanced through a Covid-tax on hohe Vermögen, Unternehmensgewin- huge wealth, corporate profit, ... the club closed ne, Finanztransaktionen und die höchs- financial transactions and the ten Einkommen (womit man auch in der Krise beginnen würde, den highest incomes (this could also be a starting point to repair the neoliberal demontierten Sozialstaat zu stärken). damage neoliberalism has caused the social state). Natürlich lassen sich die Forderungen der Kampagne im Detail kri- Of course, the campaign’s demands can be criticized in detail: Are tisieren: Sind solche Pläne überhaupt durchsetzbar? Was würde ein such plans even enforceable? What would a harder lockdown, one harter Lockdown, inklusive geschlossener Grenzen, für das Thema that would include closed borders, mean in terms of migration and Migration und die Situation an den EU-Außengrenzen bedeuten? the situation at the outer borders of the EU? And certainly the most Und, sicherlich am schwerwiegendsten: ist dieser Vorschlag nicht serious, isn’t this suggestion deeply authoritarian? However, this zutiefst autoritär? Jedoch würde das die „Zero Covid“-Kampagne von means to fundamentally misunderstand the Zero Covid campaign: Grund auf missverstehen: Der Aufruf ist kein politisches Programm the call is not a political program – it’s a discourse intervention. It’s – er ist eine Diskursintervention. Es geht nicht um die genaue Um- not about the exact implementation of every single point, but about setzung jedes einzelnen Punktes, sondern um eine Verschiebung a shift in social priorities: is it more important to live? Or to work? der gesellschaftlichen Gewichtung: Ist es wichtiger, zu leben? Oder Zero Covid says: let’s shut down (almost) everything now. So that we zu arbeiten? „Zero Covid“ sagt: Lasst uns jetzt (fast) alles herunter- can soon live again. Together. fahren. Damit wir bald wieder leben können. Zusammen. Translation: Walter Crasshole
6 MAGAZIN FOTO: BRIGITTE DUMMER Nachruf Astrid Stenzel ist tot. Die szenebekann- FOTO: DANIEL WALCHER te Goldschmiedin starb am 29.12.2020 in ihrem Haus am Müggelsee an den Folgen einer Krebserkrankung. 1989 kam Astrid nach Berlin und eröffne- te 1999 ihre Werkstadt Schwermetall am Winterfeldtplatz, die sie bis Ende Auf die Pauke 2011 betrieb. Ihr unermüdliches En- Von Berlin als „Sexhauptstadt“ Euro- gagement für die Berliner Community pas ist ja dank Corona derzeit nicht wird in Erinnerung bleiben: So war mehr viel übrig. Die Zeit bis zum nächs- sie Mitinitiatorin der Berliner Lichter- ten Exzess möchte nun der Bild- und welt, einer Weihnachtsillumination Gedichtband „Ficken Berlin“ überbrü- FOTO: JASON HARRELL im Regenbogenkiez, baute und ent- cken. Das Berlin-Buch zu Themen wie warf unentgeltlich rund 20 Jahre lang „Sex, freie Liebe, Feiern, Party und Ex- den Berlinale-Filmpreis Teddy Award zess“ enthält Gedichte von Adrian von FOTO: SALLY B. nach einer Zeichnung von Ralf König, Nettesheim, Fotos von Daniel Walcher erstellte den Rainbow Award des Les- Auf den Punkt und Zeichnungen von Dominik Gam- bisch-Schwulen Stadtfests nach der mersbach. Während die teils queeren Stele des Künstlers Salomé und war Mitte Januar ging Pink.Life online, eine Gedichte mit Titeln wie „Ode an den zeitweise künstlerisch verantwortlich vom Berliner Senat geförderte Inter- Darkroom“, „Zyklus: Milchbrötchen für den Zivilcouragepreis des Berliner netplattform, die queeren Künstler*in- & Syphilis“ oder „Note on ketamine“ Auf den Schirm CSDs. Astrid wurde 59 Jahre alt. nen aus allen kulturellen Bereichen zu ganz geil rüberkommen, funzt die Be- mehr Sichtbarkeit in der Corona-Krise bilderung nicht wirklich. Vor allem die Der Black History Month im Februar und darüber hinaus verhelfen will. Erotik der Fotos wirkt oft muffig und stammt ursprünglich aus den USA und Auf der Website, die von Ina Rosen- (hetero)normativ. Amazon Print, 88 soll Geschichte und Errungenschaften thal (RuT; Foto, li.) und Bastian Peters Seiten für 29,69 Euro. von Menschen aus Schwarzen Com- (TfD; Foto, re.) initiiert wurde, können munitys sichtbar machen. 1990 wurde Kulturschaffende kostenfrei ihre Arbeiten präsentieren und dabei über von der Initiative Schwarze Menschen ein „Soli-Ticket“ Spenden sammeln. Die Erlöse landen zu 100 Pro- in Deutschland e. V. (ISD) zum ers- zent bei den Künstler*innen. Die Plattform bietet ein breites Spektrum ten Mal ein Black History Month in Deutschland organisiert. Seitdem beteiligen queerer Kultur von Konzertvideos, Podcasts, Lesungen, Shows, Male- sich jährlich viele Initiativen mit einem Programm: neben der ISD zum Beispiel rei, Musik bis hin zu Podiumsdiskussionen und virtuellen politischen auch die Vereine Each One Teach One (EOTO) e. V. und Berlin Postkolonial e. Veranstaltungen. Interessierte Künstler*innen und Kulturschaffende V., die Initiative Diversifying Matters oder das Forum Adefra e. V. – Schwarze können sich unter post@pinkdot-ggmbh.de beim Pink.Life-Team mel- Frauen in Deutschland. Coronabedingt stand das diesjährige Programm zu Re- den. pinkdot-life.de daktionsschluss noch nicht fest.
MAGAZIN 7 03. FEB 19:00 Es ist ein Unrecht, über das noch kaum gesprochen wird, selbst innerhalb queerer Communitys nicht, obwohl es ver- Gespalten. Lehren mutlich Tausende betraf: Noch bis in die 90er-Jahre hin- der Atomenergie ein entzogen Gerichte in der Bundesrepublik Müttern das Online-Diskussion Sorgerecht für ihre Kinder, wenn im Zuge einer Scheidung Mit Rabea Koss, Sprecherin von bekannt wurde, dass die Mutter lesbisch war. Viele ver- Klimaneustart Berlin und Wolfram König, Präsident des Bundesamts heimlichten deshalb aus Angst ihre lesbischen Beziehungen für die Sicherheit der nuklearen und Neigungen. Dem Thema hat erstmals die Historikerin Entsorgung (BASE). Kirsten Plötz eine Studie in Rheinland-Pfalz gewidmet. Am 14. Januar wurde sie auf einer digitalen Pressekonferenz vorgestellt. Das Bemerkenswerte: auf der Konferenz äußer- 18. FEB 18:00 te sich auch die Frauen- und Familienministerin von Rhein- Machbar! land-Pfalz, Anne Spiegel (Grüne, Foto), entschuldigte sich ausdrücklich bei den Betroffenen und forderte die Bundes- Let’s do it, Europe! regierung auf, ihrem Beispiel zu folgen: „Es ist wichtig, dass English only FOTO: MFFJIV sich auch der Bundestag entschuldigt, denn das Unrecht A joint event between the Schwarz- kopf Foundation Young Europe and wurde ja nicht nur in Rheinland-Pfalz begangen, sondern Futurium. bundesweit.“ Das Leid, das die betroffenen Mütter und ihre TOP: Kinder erfahren mussten, sei „bedrückend und beschämend zugleich“. Dass es eine breitere öffentliche Debatte zu dem 24. FEB 18:30 Thema gibt, sei auch deshalb so wichtig, weil viele Be- Aufarbeitung lesbischer troffene sich nach wie vor nicht trauen, über das Erlebte Klimaschutz. Mütterschicksale offen zu sprechen. Mit dem Verlust der Kinder waren oft Dieselben Ziele! starke Schuld- und Schamgefühle verbunden. Als ein ers- Derselbe Weg? tes Ergebnis der historischen Studie bezeichnete Ministerin Eine Zukunftsdebatte Anne Spiegel entsprechend die Erkenntnis, dass bis heute zwischen Wissenschaft Schweigen vorherrscht, sich aus der Vergangenheit bis in und Industrie die Gegenwart fortsetzt. Dieses Schweigen müsse endlich Mit Antje Boetius, Direktorin des gebrochen werden. Alfred-Wegener-Instituts und Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF. Mal wieder hat es Nina Queer in unsere Rubrik „Flop des Monats“ geschafft! Mal wieder geht es darum, was sie ge- sagt oder was sie nicht gesagt haben will. Aber der Reihe nach: RTL kündigte Anfang Januar an, dass Nina Queer Kan- didatin der „Dschungelshow“ sei – eine Art Ersatzformat © Alfred-Wegener-Institut / Kerstin Rolfes für den pandemiebedingt ausgefallenen Quotenhit „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“. Angeblich habe dar- aufhin die Kabarettistin Désirée Nick, die mit Queer früher befreundet gewesen sein soll, den Sender auf ein Zitat der Dragqueen im Tagesspiegel vom Juni 2020 aufmerksam ge- macht. Angesprochen auf einen ihrer Facebook-Posts, der als rassistisch kritisiert worden war, hatte Nina sich hier selbst als „Hitler-Transe“ bezeichnet. Da RTL laut einer Stel- lungnahme „jegliche Form von Antisemitismus, Rassismus sowie Diskriminierung“ ablehnt, wurde Queer nur wenige Tage nach der Ankündigung aus der Show geworfen. Ein Boulevard-Skandälchen war geboren, das sich erstaunlich lange in der Presse hielt. Auch weil es Queer mal wieder FLOP: versäumte, sich eindeutig und vor allem glaubwürdig von ihren Aussagen zu distanzieren. Stattdessen inszenierte sie sich als Opfer einer „Cancel Culture“, sprach von Rufmord Dauergast Nina Queer und dass ihre Zitate aus dem Zusammenhang gerissen wor- © BASF SE den seien. Auch die Wortschöpfung „Hitler-Transe“ sei ihr vom Tagesspiegel-Redakteur in den Mund gelegt worden. Dumm nur, dass dieser anhand eines Mitschnitts des Ge- sprächs belegen konnte, dass diese Aussage genau so von ihr gefallen ist. Die nächste Rechtfertigung von Queer folg- te auf dem Fuße: Alles sei nur aufgeblasen und überhaupt Alle Veranstaltungen „eine Vendetta von Désirée Nick“. Selbsterkenntnis gleich online erleben auf null. Bis zum nächsten „Flop“ mit Nina! FUTURIUM.DE
8 COMMUNITY Foto: Alexander Scheld (li.) und Christopher Schreiber (re.) schäftsführung. Die Stelle des ehemaligen Geschäftsführers Jörg Steinert teilen wir also unter uns auf. Aber gab es denn nicht die Möglich- keit, die Stelle zum Beispiel zwischen einem Schwulen und einer Lesbe aufzuteilen? C: In einem kleinen Verein mit wenigen Mitarbeiter*innen wie dem LSVD Berlin-Brandenburg muss man eben schauen: Wer arbeitet denn schon bei uns und kann die Arbeit überhaupt machen? Und natürlich sucht man sich für eine Stel- le der Geschäftsführung Menschen aus, die den Laden in- und auswendig kennen. Der Vorstand hat sich dann für uns entschie- den. Aber zu der Frage können wir auch deswegen gar nicht so viel sagen, weil wir natürlich nicht in den Entscheidungspro- zess involviert waren. Ich muss trotzdem noch einmal nach- FOTO: LSVD BERLIN-BRANDENBURG E. V. fragen: Könnt ihr denn verstehen, dass viele Lesben es leid sind, dass in schwul-lesbischen Vereinen so oft Männer das Ruder übernehmen? C: Natürlich! Lesbische Sichtbarkeit ist ein Anliegen in der Community und der Ge- sellschaft, ein wichtiges Anliegen, das auf- grund der strukturellen Diskriminierung Führungswechsel von Frauen* besteht. Die Repräsentation von Lesben ist beim LSVD BB auf Vor- Christopher Schreiber und Alexander Scheld haben vor Kurzem die standsebene aber gegeben. Von sieben Geschäftsführung des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Bran- Vorstandsmitgliedern sind drei Frauen. Im denburg (LSVD BB) übernommen und damit das Erbe des umstritte- Betrieb selbst sind von fünf Bereichslei- nen Jörg Steinert angetreten. Jeff Mannes sprach für SIEGESSÄULE ter*innen auch drei Frauen. Wir haben in mit den beiden über Kritik am und Zukunft beim LSVD der Belegschaft einen Frauenanteil von 60 Prozent. Also lesbische Repräsentation ist G berlin.lsvd.de lückwunsch zu eurer neuen Stelle als Geschäfts- bei uns da. Und der LSVD ist ja auch keine führung des LSVD BB! Das von euch veröffentlich- Two-Men-Show. Wir sind ein Team aus 15 te Pressefoto dazu hat ja einige Kritik nach sich Mitarbeiter*innen und wir beide fassen die gezogen. Euch wurde vorgeworfen, mit dem Foto, Arbeit unseres Teams lediglich strategisch auf dem Alexander in Drag zu sehen ist, fehlende Diver- zusammen. Den LSVD BB auf uns beide zu sität zu kaschieren. Schließlich wurde die Doppelspitze reduzieren ist eine Verkürzung, die der mit zwei weißen cis Männern besetzt. Wie seht ihr das? Vielfalt des Teams nicht gerecht wird. Alexander: Mit dem Foto wollten wir nichts kaschieren, sondern Nun wurde der LSVD BB nicht zu- unsere Persönlichkeiten darstellen. Und zu meiner Persönlichkeit letzt auch wegen der Person Jörg gehört ganz klar seit über 20 Jahren die Drag-Kunst. Das wollten Steinert stark kritisiert, dessen Erbe wir ausdrücken und nicht beschönigen, dass zwei cis Männer die ihr ja nun angetreten habt. Viele aus Stelle angenommen haben. Wir hoffen, dass wir auch die Chance der Community sind wegen Steinert bekommen, nach unserer zukünftigen Arbeit bewertet zu werden. vom LSVD BB enttäuscht, weil der Christopher: Bei uns können alle Menschen Mitglied werden. sich zum Beispiel unreflektiert mit Diese Mitglieder wählen dann den Vorstand, und der beruft die dem schwulen Rechtspopulisten und Geschäftsführung, also uns. Es handelt sich hier allerdings nicht Ex-US-Botschafter Richard Grenell um eine klassische Doppelspitze, sondern um eine geteilte Ge- fotografieren ließ und für weitere
COMMUNITY 9 kritikwürdige Ereignisse sorgte. Wie gedenkt ihr, mit die- munity erreichen. Hierbei werden wir unsere eigenen Angebote sem Erbe umzugehen? C: Es ist uns wichtig, zu betonen, dass kritisch in den Blick nehmen. Wir wollen ein Verein sein, der auch die Community uns nicht egal ist. Wir sehen uns als Teil davon, im 21. Jahrhundert für viele Menschen attraktiv ist. A: Auch hier beteiligen uns aktiv und hören zu. Das ist unsere Reaktion auf ist unser Wunsch wieder ausdrücklich, miteinander statt gegen- das Geschehene. Wir möchten nicht übereinander, sondern mit- einander zu reden. Wir können nicht genug betonen, dass wir einander reden. Deswegen möchten wir hier auch in die Zukunft hoffen und uns darauf freuen, mit vielen Menschen innerhalb und blicken und hoffen, mehr Kooperationen anstoßen zu können und außerhalb der Community gut zusammenzuarbeiten. Wir beide, Synergien zu schaffen – um so vielleicht auch die Fördermittel- Christopher und ich, stehen deswegen ganz klar für Kommunika- konkurrenz zu lindern, die alle Träger in der Community betrifft. tion und Kooperation. Da geht beim LSVD noch mehr. Das ist ein Wir sagen deswegen ganz klar: Sollte es mal zukünftig Probleme persönliches Anliegen von uns beiden. geben, dann werden wir den Telefonhörer in die Hand nehmen, Könnt ihr noch etwas konkreter werden, welche Ziele ihr direkten Kontakt suchen und proaktiv miteinander reden. A: Eine euch sonst noch gesetzt habt? C: Wir befinden uns 2021 in neue Geschäftsführung bringt natürlich auch immer einen neuen einem Superwahljahr, in dem nicht nur der Bundestag, sondern Wind mit. Das Wichtigste für uns ist, dass wir nicht in der Ver- auch das Berliner Abgeordnetenhaus neu gewählt wird. Das be- gangenheit fischen, sondern dass wir jetzt zukunftsorientiert nach deutet natürlich eine Anspannung für alle Vereine, die von staat- vorne schauen. Das heißt nicht, dass wir das Vergangene ignorie- lichen Fördermitteln abhängig sind. Aber auch politisch blickt die ren. Wir schauen uns an, wo die Herausforderungen liegen, nicht LSBTIQ-Community mit Anspannung auf diese Wahlen. Wir wol- nur beim LSVD, sondern auch in der Community allgemein. Damit len deswegen so schnell wie möglich die starke Vernetzungsplatt- wollen wir dann lösungs- und zukunftsorientiert handeln. form des LSVD weiter ausbauen, um sicherzugehen, dass unsere Wie sieht denn dieser neue Wind, wie sieht die Zukunft Projekte auch weiterhin gefördert werden und LSBTIQ in Berlin des LSVD BB aus? Was sind eure Pläne? C: Wir sind zualler- gut und diskriminierungsfrei leben können. Dann wollen wir das erst natürlich ein Verband, der versucht, etwas in der heterosexu- Ehrenamt auch wieder attraktiver machen und mehr Mitglieder ellen Mehrheitsgesellschaft zu verändern. Unser Augenmerk liegt für den LSVD gewinnen und als Verband wachsen. Das würde darauf, die rechtliche, soziale und kulturelle Gleichstellung von letztendlich auch bedeuten, dass man eine breitere Repräsentanz LSBTIQ zu verbessern. Das ist der Kern des LSVDs und das haben in den Mitgliederversammlungen hat, womit wir besser sicher- wir in der Vergangenheit auch erfolgreich gemacht. Zum Beispiel stellen können, dass auch alle Menschen aus der Community mit dem Bündnis gegen Homophobie – ein Zusammenschluss von Gehör finden und mitwirken können. Ein persönliches langfristi- aktuell 120 Organisationen aus der heterosexuellen Mehrheits- ges Ziel ist für mich auch das Aufbrechen von Geschlechterbina- gesellschaft. Darüber hinaus initiierten wir Pilotprojekte wie das ritäten in der Gesellschaft. Hier gibt es vieles, das man verbessern deutschlandweit erste Regenbogenfamilienzentrum oder MILES, oder abschaffen kann, wie zum Beispiel gegenderte Spielsachen das Projekt für queere Migrant*innen und Geflüchtete, das es bei für Kinder oder gegenderte Preise wie unfaire Besteuerung von uns schon seit über 20 Jahren gibt. Wir sind in vielen Bereichen Menstruationsprodukten. also bereits erfolgreich. Eine der Stellschrauben, die wir jetzt iden- Ihr beiden, gibt es noch etwas, das ihr unbedingt loswer- tifiziert haben, und an denen wir deswegen nun drehen wollen, den möchtet? A: Die Sichtbarkeit und das Miteinander stehen ist eine Evaluierung unserer Angebote. Wir müssen schauen, was für uns ganz weit oben. Und deswegen gilt für alle (nach Corona erneuert werden muss. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Zu- natürlich): Bei uns stehen die Türen offen! Wir sind für jede*n da. kunft ist die Frage, wie wir jüngere Menschen besser ansprechen, Es sind alle – und ich meine wirklich alle – herzlich eingeladen, z. B. über eine optimierte Social-Media-Präsenz. Wir möchten auch bei uns jederzeit im Büro vorbeizuschauen, mit uns einen Kaffee verstärkt weniger repräsentierte Menschen aus der LSBTIQ-Com- zu trinken und uns persönlich kennenzulernen! ates Trans Inter tD Jan 30 x Ne Feb 27 Non-Binary Day Mar 27 HIV/STI -Tests | Behandlung | PrEP | Beratung Check deine sexuelle Gesundheit! Jeden letzten Samstag im Monat 14:00–17:00 exklusiv für euch da. HIV/STI tests | Treatment | PrEP | Counseling Every last Saturday of the month 2pm–5pm. Come as you are! Hermannplatz CheckpointBLN checkpoint-bln.de
10 POLITIK tal Media, das er in Deutschland begonnen hatte, noch nicht hatte beenden können. Emad, der auf keinen Fall nach Ägypten zurückkehren wollte, stellte deshalb in der Folge einen Antrag auf Asyl. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flücht- linge (BAMF) jedoch ab. Die Begründung: Aufgrund seines Bildungsstandes sei es für Emad möglich, in Ägypten als Homosexuel- ler zu leben. „Ich war einfach nur fassungs- los“, erinnert er sich an den Moment, in dem er das Schreiben des BAMF in den Händen hielt. Nach dem langen und steinigen Weg, den er bereits hinter sich hatte, empfand er dies als herben Rückschlag. Bei Emads Geschichte handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Dass Asylanträge von geflüchteten LGBTI* in Deutschland mit zweifelhaften Begründungen abgelehnt werden, ist laut queeren Beratungsstellen ein strukturelles Problem. So beschreibt dies ILLUSTRATION: MERAJ SHARIFI (INSTAGRAM.COM/MERAJ.SHARIFI/) etwa die Fachstelle für LSBTI*Geflüchtete der Schwulenberatung Berlin, die seit 2016 queere Geflüchtete während ihrer Asylver- fahren begleitet. In den letzten Jahren seien wiederholt Mängel bei der Bearbeitung von Asylanträgen aufgefallen: konkret bei 24 Anträgen, die Geflüchtete aus Georgien, Iran, Kamerun, Libanon, Jordanien und Syrien gestellt hatten und die das BAMF ablehnend beschieden hatte. In einer kürzlich veröf- fentlichten Stellungnahme wirft die Schwu- lenberatung dem BAMF vor, sich nicht ausreichend mit den Herkunftsländern, den Kampf um Asyl dort herrschenden Gesetzen und der spezi- fischen Verfolgung von Minderheiten aus- einandergesetzt zu haben. Immer wieder lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Stephan Jäkel, Abteilungsleiter HIV/STI-Prä- Asylanträge queerer Geflüchteter ab. Oft mit dem Argument, es gebe zu vention und Flucht bei der Schwulenbera- wenig Informationen, die eine Verfolgung belegen würden – selbst bei tung, kritisiert, dass bei den Ablehnungen Herkunftsländern wie Iran, in denen LGBTI* erwiesenermaßen staatlich „kein Bezug auf die Situation von LGBTI* in verfolgt werden. Queere Beratungsstellen, darunter die Schwulenbera- den jeweiligen Herkunftsländern genom- tung Berlin, kritisieren diese Praxis scharf. David Vilentchik berichtet men wird“. Das BAMF unterliege eigentlich einer sogenannten Amtsermittlungspflicht: E schwulenberatung- mad trägt einen Dreitagebart und leicht gelocktes Haar. Mit Das bedeutet, die Behörde muss selbststän- berlin.de ruhiger Stimme berichtet der 33-Jährige im Videocall mit dig aufklären, ob im Herkunftsland eine Ver- SIEGESSÄULE von seiner Vergangenheit, lächelt hin und folgung vorliegt oder nicht. Dieser Pflicht wieder – trotz des schwierigen Themas. komme das BAMF in vielen Fällen nicht 2017 kam Emad in Düsseldorf an. „Ich sah in Ägypten keine Zukunft nach, berichtet Jäkel. Die Schwulenbera- mehr“, erzählt er. „Es ist viel zu gefährlich, dort als Homosexueller tung sieht darin eine rechtswidrige Praxis. zu leben.“ Als Kritiker des ägyptischen Regimes sei er zudem in der „Wir haben zum Beispiel häufiger feststellen Vergangenheit schon „aufgefallen“ und habe auch deshalb negative müssen, dass LGBTI* aus Iran eine Ableh- Konsequenzen für sich befürchtet. Emad beantragte ein Studenten- nung erhalten haben, obwohl die rechtliche visum für Deutschland. „In den ersten Tagen war ich hoffnungsvoll und gesellschaftliche Lage eindeutig ist.“ und optimistisch, hier studieren und arbeiten zu können.“ Vor drei Es gebe nicht genügend offizielle Informa- Jahren lief sein Visum aus, obwohl er sein Masterstudium in Digi- tionen, die die von den Antragsteller*innen
POLITIK 11 behauptete Verfolgung stützen würden, so die Argumentation des BAMF. Die Realität sieht anders aus: In Iran werden LGBTI* staatlich verfolgt, homosexuelle Handlungen sind verboten und können laut dem iranischen Gesetz mit Inhaftierung, Folter oder auch mit dem Tod bestraft werden. Ähnlich absurd argumentierte das BAMF in den Verfahren einiger queerer Geflüchteter aus Georgien, die die Schwulenberatung begleitet hatte. „Vor allem trans* Personen wer- den in Georgien verfolgt, einige haben dennoch eine Ablehnung er- halten“, erzählt Stephan Jäkel. Trotz der nachweisbaren Verfolgung habe „das BAMF in mehreren Fällen dies nicht gesehen“. Auf Anfrage von SIEGESSÄULE schickte das BAMF kurz vor Druck dieses Heftes noch eine Stellungnahme, in der es die Vorwürfe zu- rückweist. Die Behörde sei nur verpflichtet, solche Umstände zu recherchieren, „die die Antragstellenden unmöglich selbst in Erfah- rung bringen können“. Dies schränke die Amtsermittlungspflicht des BAMF ein. Die Schwulenberatung sieht das anders. Auch der Verweis darauf, dass dem BAMF nur unzureichende Informationen vorlägen, sei in vielen Fällen nicht nachvollziehbar, findet Jäkel. Für die Asylverfahren könnte man noch viel mehr Erkenntnisquellen heranziehen, z. B. Datenbanken wie die Migrations-InfoLogistik (MiLo) oder eben Institutionen wie das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) oder das Auswärtige Amt. Auch Emads Fall zeigt, dass es oft noch an Kenntnissen über die Lage in einem Land hapert: „Ich hatte den Eindruck, dass meine Sachbearbeiterin nicht viel über Ägypten wusste“, erzählt Emad. „Ich habe ihr schließlich sogar die Gesetze vorgetragen, die Homosexuelle kriminalisieren.“ Neben den mangelhaften, zum Teil falschen Informationen, die ablehnenden Bescheiden des BAMF zugrunde liegen können, gibt es noch andere Verfahrenshürden, die viele Beratungsstellen für Kleinanzeigen jetzt noch queere Geflüchtete als große Probleme benennen. Dazu zählen etwa unsaubere Übersetzungen oder die Praxis, Antragsteller*in- einfacher online aufgeben. nen dazu zu drängen, sich kurz zu fassen, sodass diese ihre eigene Verfolgungsgeschichte nur unvollständig vermitteln können. Die Asylsuchenden stellen in den Verfahren nämlich selbst die im Grun- siegessäule.de/marktplatz de wichtigste Beweisquelle dar, indem sie von ihren Erlebnissen erzählen. So hatte auch Emad extra einen Berater von Pro Asyl kon- taktiert, bevor er beim BAMF zu seinem Asylantrag vorsprach, und beantragt, die Befragung auf Englisch machen zu dürfen. Jedoch sagte ihm das BAMF, er solle auf Arabisch vortragen, und wies ihm einen Übersetzer zu. Er habe damals Panik bekommen, erinnert sich Emad, weil er befürchtete, dass falsch übersetzt werden könnte. Zum Glück beschloss Emad, gegen die Ablehnung des BAMF zu kla- gen. In einem gerichtlichen Eilverfahren bekam er im März 2019 Recht, ihm wurde der Flüchtlingsstatus zugesprochen. Dabei stellte das Gericht, das seiner Klage nachgegangen war, Mängel im Ver- fahren des BAMF fest. Ähnlich erklärte, im Fall der Geflüchteten aus Georgien, ein Verwaltungsgericht die Ablehnungen des BAMF im Nachhinein für ungültig. Dies ist zwar erfreulich, eigentlich sollte es aber nicht erst dazu kommen, dass Bescheide angefochten wer- den müssen, findet Jäkel. Nicht zuletzt zwingt dies die Geflüchteten dazu, ihre potenziell traumatischen Erfahrungen immer wieder erklären zu müssen. Die Schwulenberatung fordert deshalb vom BAMF, Sachverhalte in Zukunft umfassend aufzuklären. Emad, der mittlerweile in einer WG im Rheinland lebt, wünscht sich stellver- Viele neue Rubriken. Sofort online. tretend für alle anderen queeren Geflüchteten: „Ich will nicht mehr in Angst, sondern in Freiheit leben und akzeptiert werden.“
12 COMMUNITY nen jetzt, 2021, mal eine größere Aktion dazu machen wollten – etwas, das über ein individuelles Coming-out hinausgeht. Du hast dich 1993 mit einem Inter- view im Magazin Stern geoutet und dich dazu mit deiner damaligen Le- bensgefährtin fotografieren lassen. Heute muss man das natürlich anders machen. Wir haben mittlerweile eine viel fortschrittlichere Gesetzgebung, und ein Coming-out kann deshalb aus einer ganz anderen Haltung heraus geschehen: Es ist nicht mehr etwas so Exotisches, es braucht nicht dieses Seht-her-ich-bin‘s-Pathos. Auch sind wir inzwischen viel präsenter und haben ganz andere Möglichkeiten, die wir nutzen können. Wie Jannik Schümann unlängst auf Instagram durch ein schlichtes Foto mit seinem Lebenspartner. Ja, das war wirklich cool und sehr lässig. Ich habe FOTO: MATHIAS BOTHOR den Kolleg*innen dann vorgeschlagen, doch meine Sendung für das Coming-out zu nutzen, in der geht es schließlich um Humor und Satire. Da lässt sich das ganz beiläufig mit Witz, Leichtigkeit und Selbst- verständlichkeit, und vielleicht auch mit Coming-out mit Witz etwas Ironie erledigen. Wieso ist Lesbisch-, Schwul- oder Transsein überhaupt immer noch eine Kategorie, auf der Besetzungs- Die neue Ausgabe von Maren Kroymanns Satireshow „Kroymann“ ist entscheidungen fußen? So kam es zu der ein klares Statement zur schwierigen Lage von LGBTI*-Schauspieler*in- Idee, das Musikvideo, mit dem die Sendung nen. Denn noch immer spüren viele in der Branche den Druck, ihre Sexu- meist aufhört, diesem Thema zu widmen. alität oder Identität verheimlichen zu müssen. Aus diesem Grund hat das In diesem Song wird vordergründig „Kroymann“-Team eine Folge mit ausschließlich queeren Mitwirkenden nur über Kurzsichtigkeit gesungen, gemacht – während ein Teil davon schon lange out ist, haben einige das die man glaubt verheimlichen zu Format für ihr öffentliches Coming-out genutzt. Über die Probleme von müssen. Es ist genauso hirnrissig, jeman- LGBTI*-Darsteller*innen bei Film und Fernsehen erzählt Maren Kroy- den wegen der Kurzsichtigkeit nicht zu mann im Interview, das bereits Ende letzten Jahres geführt wurde besetzen wie wegen Homosexualität. Die Art, wie ich liebe, darf einfach keine Rolle M „Kroymann“ aren, wie kam es zu dieser besonderen Folge spielen, ob ich in einem Film oder in einem 28.01., 23:35, ARD, von „Kroymann“? Auf mich sind immer wieder Theaterstück besetzt werde oder nicht. online in der jüngere Kolleg*innen zugekommen, die unzufrieden Im Video singen zuletzt rund 50 quee- ARD-Mediathek waren mit ihrem ungeouteten Zustand, aber einfach re Schauspieler*innen und Enter- abrufbar nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten, um aus diesem Di- tainer*innen und andere Menschen, lemma herauszukommen. Bisher sind sie immer einzeln den Weg die vor der Kamera stehen. Manche marenkroymann.de gegangen, Clemens Schick etwa hat das wunderbar vorgemacht. waren bislang nicht öffentlich out. Diesmal war es anders: Es war eine Gruppe, die strukturell etwas Das nahm eine sehr interessante Ent- bewegen wollte. Alle hatten ungute Erfahrungen gemacht. Es geht wicklung. Die ursprüngliche Gruppe von letztlich immer darum, die eigene sexuelle Identität aus beruf- Schauspieler*innen wurde immer größer lichen Gründen verleugnen zu müssen. Solche Situationen sind und vielfältiger, und es entstand das Be- kein Einzelfall, und ich kann super verstehen, dass die Kolleg*in- dürfnis, über ein seriöses journalistisches
COMMUNITY 13 Medium das Thema „Queersein in der Schauspielbranche“ radika- schaden würde. Wie aber passt dies zu unserer doch deutlich ler zu bearbeiten. Das wird tatsächlich auch umgesetzt. Ich verrate toleranter gewordenen Gesellschaft und zu dem, was wir schon nicht, wie – aber da kommt demnächst was. Es haben sich aber erkämpft haben? Wir können heiraten und Kinder adoptieren! Da sehr schnell jede Menge andere Kolleg*innen gefunden, die beim kann nicht sein, dass uns geraten wird, nicht zu sagen, wer wir Video mitgemacht haben. Das war eine tolle Erfahrung und ich sind. Ich habe gerade auch in der Vorbereitung der Sendung noch bin wahnsinnig glücklich über das Ergebnis. Es ist für mich ein einmal mehr erlebt, wie sehr die Kolleg*innen zum Teil hadern, kleines Fest für die Einheit der Community und ihre Vielfalt und Vor- und Nachteile abwägen und nach ihrem persönlichen Weg auch ein Ausdruck von Solidarität – ungeachtet der Debatten, der suchen. Denn eines ist natürlich klar: Niemand kann die Folgen Konflikte und der Zersplitterung, die wir sonst erleben. Wir wollen eines Coming-outs wirklich absehen und einen Schritt zurück gibt zeigen, was uns verbindet, und nicht, was uns trennt. Wir machen es nicht. Aber je mehr wir sind, desto selbstverständlicher wird es hier etwas gemeinsam und – was ich sehr wichtig finde – außer- eben auch. halb unserer eigenen Blase. Ist denn die Gesellschaft so konservativ-gestrig, dass die Wenn auch im Spätprogramm, so aber doch auf einem an- für einen Schwulen oder eine Lesbe in der Hauptrolle gestammten Sendeplatz. Für mich ist es ein großer Erfolg, dass nicht einschalten oder kein Kinoticket lösen möchten? ich in der ARD – also für den Mainstream – ein solches Video ma- Oder sind die Castingagenturen, die Redakteur*innen so chen darf. Vor zehn Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen. rückständig und glauben, dass etwa ein schwuler Dar- Als Person, die im Fernsehen arbeitet, habe ich die Möglichkeit, steller als Liebhaber einer Frau nicht überzeugend sein die Community in die breite Gesellschaft zu tragen. Dazu nutze kann? Die entscheidenden Leute in der Branche sind die Cas- ich viele Gelegenheiten in Talkshows wie auch in meinen eigenen ter*innen, Redakteur*innen, Regisseur*innen und die Produk- Bühnenprogrammen oder eben in meiner Fernsehsendung. tionsfirmen. Dort ist diese Haltung leider immer noch sehr tief Im Video singen zuletzt alle gemeinsam mit Inbrunst: „Wir verwurzelt. Weshalb Schauspielagent*innen zum Teil sehr deut- sind, wie wir sind/wir verstell‘n uns nicht mehr/Ihr sollt lich von einem Coming-out abraten. Ich denke, dass das Publikum es jetzt alle erfahr’n.“ Diese Botschaft klingt heute gerade- da schon viel weiter ist. Die Leute wissen ja auch, dass man kein zu antiquiert. Ist die Film- und Fernsehbranche so rück- Mörder sein muss, um einen Mörder spielen zu können. Und sie ständig, dass Schauspieler*innen 2021 es als so befreiend wissen auch um Sein und Schein der Branche. Dass es unser Beruf empfinden, das endlich mal laut und deutlich loszuwer- ist, etwas anderes darzustellen, als wir tatsächlich sind. den? Das ist für Außenstehende wirklich schwer zu verstehen. In der am 28. Januar ausgestrahlten „Kroymann“-Folge ist, Mir erzählen immer wieder Kolleg*innen, dass ihre Agent*innen was die Besetzungspolitik angeht, dein Team mit bestem dringend davon abraten, sich zu outen, weil das ihrer Karriere Beispiel vorangegangen. Zum Cast gehören beispielsweise > weiter S. 14
14 COMMUNITY machen: Ihr eigenes Coming-out kann vielen anderen tatsächlich „Ich möchte, dass es bei sehr helfen. den Caster*innen, Heute leben wir ja glücklicherweise in einer ganz ande- ren gesellschaftlichen wie rechtlichen Situation als vor Produzent*innen und zehn oder zwanzig Jahren. Ich beobachte bei jüngeren Regisseur*inen kein Schauspieler*innen, dass sie – wie andere ihrer Genera- Thema mehr ist, welche tion – viel selbstverständlicher und auch offener mit ihrer Sexualität man lebt“ Homosexualität umgehen. Es ist richtig, dass sie viel offener leben und sich beispielsweise innerhalb des Ensembles oder Film- teams nicht verstellen müssen. Aber es kommt dann irgendwann Gustav Peter Wöhler, Christina Hecke, doch der Zeitpunkt, nämlich wenn man eine größere öffentliche Merve Aksoy, Sylvia Mayer, Lukas von Wahrnehmung erreicht hat, dass man das noch einmal öffent- Horbatschewsky oder auch Roland lich klarmachen muss. Ich kenne viele jüngere Kolleg*innen, die Riebeling, den viele aus dem Kölner ganz relaxt mit ihrer Homosexualität umgehen, aber eben diesen „Tatort“ kennen dürften. Ja, wir haben Schritt doch nicht wagen. Zum Beispiel, weil sie nicht abschätzen alle Rollen in den verschiedenen Sketchen können, ob es ihrer Karriere doch schaden könnte. mit Lesben, Schwulen und mit einem trans Unter den deutschen Schauspieler*innen gibt es ja doch Mann besetzt; einige sind out, manche eine Reihe von wirklich großen Stars, die sich bislang waren es bislang nur in ihrem engeren noch nicht öffentlich geoutet haben. Haben die einfach Umfeld. den Zeitpunkt verpasst oder müssen sie noch weiter Mut Ist dieses Problem, dass queere sammeln? Das könnte beides zutreffen. Ich habe beispielsweise Schauspieler*innen ihre sexuelle einige ältere Kolleg*innen aus meiner Generation für die Sendung Identität verbergen müssen, nur ein angesprochen. Die haben sich in ihrem Status eingerichtet und Phänomen der Film- und Fernseh- möchten sich einfach nicht mehr outen. Je länger man damit war- branche? Im Showbusiness wird offen ge- tet, desto schwerer wird es natürlich, weil es dann beim Publikum lebte Homosexualität viel eher akzeptiert. so ankommen könnte, dass sie die ganze Zeit gelogen haben. Bei RTL dürfen Schwule gerne auch in der Wobei es nie zu spät ist. Im März hat sich der polnische Jury sitzen. Das ist Unterhaltung und das Schauspieler Witold Sadowy im Alter von 100 Jahren geou- verachtet der/die korrekte Bildungsbür- tet. Es ist nie zu spät! Und das möchte ich noch mal hervorheben: ger*in ohnehin. Wenn’s aber um „Kultur“ Es ist etwas total Befreiendes. Es macht souverän und unangreif- oder gar „Hochkultur“ geht, sieht die Sache bar. Außerdem bin ich fest der Ansicht, dass die Menschen diese anders aus. Auch im Theater gibt es viele, Schauspieler*innen, gerade wenn sie bereits eine größere Be- sehr bedeutende Schauspieler*innen, die kanntheit haben, für diesen Schritt lieben werden. Das haben wir sich nicht trauen. ja gerade jetzt bei Jannik Schümann erlebt. Wann ist eigentlich der richtige Zeit- In den USA, so scheint es, sind Schauspieler*innen – auch punkt für Schauspieler*innen, sich solche aus der A-Liga – viel mutiger und offener. Denken zu outen? Als ich mein Coming-out hatte, wir etwa an Zachary Quinto, Neil Patrick Harris, Kristen war ich – nach Hella von Sinnen, die viele Stewart oder Elliot Page. Es gibt dort, gerade im Kulturbereich, Denkmäler verdient hätte – weit und breit ein sehr politisches Bewusstsein. Das ist wahrscheinlich den fa- die einzige offen lesbische Schauspielerin talen vier Trump-Jahren mitgeschuldet. Auch die Debatten um und wurde daher darauf reduziert. Das MeToo, die gleiche Bezahlung für Frauen oder die Black-Lives-Mat- trübte natürlich den Blick auf das, was ter-Bewegung haben dazu beigetragen. Die Menschen wurden ich sonst zu bieten habe. Es ist immer dazu gebracht, sich zu überlegen, wie sie sich in der Gesellschaft einfacher, man arbeitet, bis man einen positionieren wollen: Was ist gerecht? Werde ich gesehen? Habe unumstößlichen Qualitäts- und vor allem ich Anteil? Oder auf unsere Branche bezogen: Bekomme ich die Popularitätsstand hat, das macht die Sache Gagen, die Rollen und die Behandlung, die ich verdiene? In diesem sicherlich leichter. So wie jetzt Jannik Zuge entstand auch eine größere Offenheit, über Homosexualität Schümann oder damals Ulrike Folkerts. nachzudenken. Gerade in der jungen Generation der Frauen sind Wenn du mal 9 Millionen Zuschauer*innen viele zutiefst politisch und feministisch. Das ist ermutigend. hast, wirst du als „Tatort“-Kommissarin Was würdest du dir als bestmöglichen Erfolg dieser „Kroy- nicht mehr so schnell entlassen. Man muss mann“-Ausgabe wünschen? Dass es eine Selbstverständlichkeit aber diesen Schritt souverän und bewusst ist, wenn Schauspieler*innen sagen, dass sie schwul, lesbisch oder gehen. Denn ein Coming-out als öffentli- trans sind. Ich möchte, dass es bei den Caster*innen, Produzent*in- che Figur soll ja auch ermutigen, und das nen und Regisseur*innen kein Thema mehr ist, welche Sexualität sollten sich eigentlich alle Menschen, die man lebt, um engagiert zu werden, sondern einfach, ob man für in der Öffentlichkeit stehen, auch bewusst die Rolle passt. Interview: Axel Schock
COMMUNITY 15 Foto: Zeichnung des geplanten RuT- Wohnprojekts in der Berolinastraße der Zusammenarbeit von Stadt und Politik nicht einberechnet wurden. „Wir fühlen uns ein Stück weit damit alleingelassen“, sagt Jutta über die noch aufzubringenden Gelder. Über Drittmittelanträge und Spenden versu- chen sie die Summe zu akquirieren. Doch große Spenden zu bekommen ist RuT bisher noch nicht gelungen. „Ich denke, da fehlen uns die entsprechenden Netzwerke und Kontakte, wenn es da Unterstützung geben kann – von wem auch immer –, wären wir sehr dankbar. Einen Teil, 70.000 Euro, bean- tragen wir direkt beim Senat für Stadtent- FOTO: GALDINI SCHIRMER GMBH wicklung.“ Ein weiteres Problem ist das aufwendige und langwierige Prüfverfahren. Die bereits zuge- sprochenen Lottomittel in Höhe von 5,5 Mil- lionen Euro stellen da eine Herausforderung dar, sie sind ausschließlich für die Baukosten vorgesehen. In dem dazugehörigen drei- Mehr Geld! stufigen Verfahren hat RuT gerade erst die zweite Stufe beendet. Für die dritte muss RuT allerdings schon sehr detaillierte Unterlagen 2022 soll der Bau des bundesweit einzigartigen Lesbenwohnprojekts einreichen, Pläne über die ganze Haustech- der Initiative RuT beginnen. Doch erneut gibt es Probleme: Unter an- nik, die komplette Ausstattung für das Haus derem fehlen eine Million Euro für die Umsetzung. Wir sprachen mit und über vieles Weitere, was dazugehört. Projektleiterin Jutta Brambach über die aktuellen Hürden „Das zieht sich einfach irrsinnig lange hin. Es wird fast noch ein Jahr dauern, dass wir RuT– Frauen Kultur Seit 2009 plant RuT ein Zentrum für ältere lesbische Frauen, das überhaupt von Lotto den abschließenden Be- & Wohnen, ein selbstbestimmtes und diskriminierungsfreies Zusammenleben scheid bekommen. Und dann können wir rut-wohnen.de ermöglichen soll. Ein Ort, der Wohnen, Pflege, Beratung und kul- eigentlich mit dem Projekt erst so richtig turelle Veranstaltungen verbindet. Nach Rückschlägen wie einem anfangen. Der abschließende Prüfbescheid verlorenen Grundstücksstreit mit der Schwulenberatung ging RuT sagt, dass alle Baukosten-Ausgaben, die wir eine Kooperation mit der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte haben werden, von Lotto genehmigt werden. mbH (WBM) ein, um das Projekt in der Berolinastraße umsetzen Grundsätzlich stehen uns 5,5 Millionen zur zu können. Die Zusammenarbeit mit der Wohnungsbaugesellschaft Verfügung, davon 1,4 Millionen Darlehen laufe auch gut, erzählt Jutta Brambach, die maßgeblich verantwort- und 3,6 Millionen Zuschuss, aber nur, wenn lich für den Aufbau des Lesbenwohnprojekts ist. Doch es gebe Pro- wir im Detail nachweisen können, dass sie bleme: „Die Kooperation wird vom Senat als eine Art Selbstläufer tatsächlich ‚verbaut‘ werden.“ gesehen. Nach dem Motto: Ihr habt da jetzt was und das funktioniert Für Jutta ist das auch ein klarer Ausdruck alles. Dem ist aber nicht so.“ Als Eigentümerin des neu angedachten von Geschlechterungerechtigkeit. Als Frau- Grundstücks wird die WBM einen Mietvertrag über 25 Jahre mit en- und Lesbenprojekt sei man nicht wirk- RuT schließen. „Mehr lässt das Mietrecht schlichtweg nicht zu. Wir lich gut ausgestattet und habe eigentlich gehen aber davon aus, so wie die Kooperation mit der WBM verläuft, alles rund um den Aufbau mehr oder we- dass wir da auch relativ sicher sein können, dass dann nach dieser niger ehrenamtlich gestemmt: „Es braucht Zeitspanne neu verhandelt wird und der Mietvertrag auch entspre- einfach mehr – wenn man ein Leuchtturm- chend verlängert wird.“ Eine Garantie dafür gibt es aber nicht. projekt lesbischer Sichtbarkeit wirklich um- Zudem fehlen finanzielle Mittel in Höhe von insgesamt einer Million setzen möchte. Die Politik muss auch Geld Euro für Projektsteuerung, fachliche Beratung und für die Ausstat- in die Hand nehmen. Das geht dann nicht tung sowie langfristige Sicherung des Wohnprojekts, die zu Beginn anders.“ Amanda Beser
16 SPECIAL: JOB/AUSBILDUNG Foto: Das Team von „qu:ib – queer im Beruf“: JJ Maurer (li.) und Jane Rieck dass sie besondere Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen zu bewältigen haben. Zum Beispiel wenn mit dem inneren und äußeren Coming-out gekämpft werden muss oder das Elternhaus nicht genügend Akzeptanz und Rückhalt für den Umgang mit struktureller Diskriminierung geben kann oder will.“ Sam, 27 Jahre alt und nonbinäre BIPoC-Per- son aus Berlin, erinnert sich an die Schul- zeit: „In der Schule hatte ich Angst, mich mit meiner Sexualität und meiner Genderidenti- tät auseinanderzusetzen. Ich habe gesehen, wie andere queere Schüler sowohl von Mit- schüler*innen als auch vom Lehrpersonal massiv gemobbt worden sind. Und da ich mit meiner Hautfarbe bereits negativ aufge- fallen bin, wollte ich keine zusätzliche Ziel- scheibe auf dem Rücken haben.“ Ein Kampf, der auch nach der Schule noch nicht vorbei FOTO: SALLY B. war. Erst als Praktikant*in, dann als Sach- bearbeiter*in war Sam für einen schwulen Anwalt tätig: „Er gewann die meisten Fälle, bekam aber nur wenige vom Richter zuge- Harte Schule wiesen, weil er schwul war. Sowohl Rich- ter als auch Kollegen haben öfter negative Fernab der Heteronormativität zu leben ist eine Herausforderung, ge- bzw. homophobe Äußerungen gemacht und rade für queere Jugendliche und junge Erwachsene auf dem prägenden der Anwalt musste sich einfach viel mehr Weg von der Schule bis hin zum ersten Job. Mit welchen Problemen als seine Partner in der Kanzlei beweisen.“ sie konfrontiert sind und welche Erfahrungen sie auf ihrem Bildungs- Sam, damals noch ungeoutet, wurde es ir- weg machen, fragte SIEGESSÄULE-Autor Florian Bade u. a. das Projekt gendwann zu viel: „Ich konnte dem Druck „qu:ib – queer im Beruf“ und junge Queers vom Theater X nicht mehr standhalten, wollte mein wahres Ich ausleben und habe gekündigt. Und siehe A qu:ib – queer im uch wenn die gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTI* in da – meine Panikattacken sind weniger ge- Beruf Deutschland tendenziell eher zunimmt, wird dennoch worden.“ Infos zu Kontakt vielen queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen Was Sam beschreibt, ist kein Einzelfall, son- und Beratung unter der Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt erschwert. dern für viele junge Queers Alltag! Aus einer trialog-berlin.de Den Support von LGBTI* während der Schul-, Ausbildungs- und Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) Berufszeit hat sich deshalb das Spandauer Projekt „qu:ib – queer zur Lebenssituation von homosexuellen Ju- E-Mail: queer-im-be- im Beruf“ auf die Fahnen geschrieben. Unter der Trägerschaft der gendlichen aus dem Jahr 2018 geht hervor, ruf@trialog-berlin.de Trialog Jugendhilfe gGmbH, finanziert vom Bezirksamt Spandau, dass die Hälfte der Befragten diskriminie- bieten Sozialarbeiter*innen seit einem haben Jahr in ihrem Be- rende verbale Angriffe erlebt. Ein Drittel zirk Berufsorientierung für queere Jugendliche im Alter von 15 bis klagte über Ausgrenzung und jede*r Zehn- 25 Jahren an. Als deutschlandweit erstes und einziges Projekt in te sogar über körperliche Gewalt. Besonders diesem Bereich berät das Team bei Fragen wie: Was habe ich für schwierig wird es für sie, wenn der Support Möglichkeiten nach der Schule? Wie will ich meine trans Identität durch die eigene Familie wegfällt. Stuart B. in Beruf und Ausbildung thematisieren? Sie helfen aber auch mit Cameron, u. a. Gründer der LGBTI*-Berufs- bürokratischem Know-how, der Vermittlung an queer-freundliche messe Sticks and Stones, ist Experte in Sa- Unternehmen und beraten bei Problemen in der Schule oder an chen Förderung von LGBTI*-Personen und der Arbeitsstelle. Als Teil der Leitung von qu:ib unterstreicht Jane -Netzwerken. Er hebt die wirtschaftliche Ab- Rieck die Notwendigkeit, queeren Jugendlichen Kraft und Support hängigkeit der Jugendlichen von der Her- zu geben: „Ihnen fällt der Übergang von der Schule in Beruf und kunftsfamilie hervor: „Wenn die sexuelle Ausbildung mitunter schwerer als anderen. Das hat damit zu tun, Orientierung oder geschlechtliche Identi-
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