Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie

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Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Teodor Currentzis
Das Gastspiel mit dem Stardirigenten, dem Mahler Chamber Orchestra
und der Mezzosopranistin Marianne Crebassa bringt in Hochstimmung

Legenden des Jazz
Brad Mehldau, Duo Aki Takase/Daniel Erdmann und Lionel Loueke

Nick Cave und Franz Schubert?
Charly Hübner beschwört ihre musikalischen Welten herauf

                                                                             NR. 3
                                                                     OKTOBER 2020
Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
KOLUMB A

                                                                                                                                                                              Editorial

MĂCELARU
DIRIGIERT                                                                                                                           Liebe Besucherinnen und Besucher,
                                                                                                                                    liebe Freundinnen und Freunde der

   BRUCH                       Das
                               kleine
                                                                                                                                    Kölner Philharmonie,

                                                                                                                                     schon seit über vier Wochen läuft der
                               Spiel                                                                                                 Konzertbetrieb wieder. Darüber sind wir
  FR 2. Oktober 2020           zwischen dem                                                                                          alle überglücklich. Das Erlebnis eines Live-
                                                                                                                                     Konzerts berührt so elementar, dass es aus
 Kölner Philharmonie           Ich                                                 dem Leben nicht wegzudenken ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir alle aus dem
                               und dem
           20.00 Uhr                                                               Krisenmodus heraus- und in der Normalität angekommen sind. Im Alltag wie in der Kölner
                               Mir                                                 Philharmonie heißt es bis auf Weiteres, flexibel zu bleiben.

         Grażyna Bacewicz                                                          Bei allen Unwägbarkeiten wird die künstlerische Linie im Blick behalten. Auch in der
                Max Bruch                                                          Spielzeit 2020/21 setzen wir die Reihe „Beethoven unerhört“ fort mit Kompositionen, die
           Igor Strawinsky     Kunst und Choreografie                              sich auf Beethovens Konversationshefte beziehen. Diese neuen Werke u. a. von Vito Žuraj,
                                                                                   Johannes Maria Staud und Saed Haddad werden im Oktober in der Kölner Philharmonie
                                                                                   uraufgeführt. Dem Jubilar wird so auf unterschiedlichste Weise gehuldigt. Hervorzuheben
    WDR Sinfonieorchester      Eine Kooperation von
                                                                                   ist in diesem Kontext auch das Projekt der Gruppe Novoflot aus Berlin, das sich in einer
   Cristian Măcelaru Leitung   Kolumba und tanz.köln                               Performance mit den Fragmenten von Beethovens 10. Sinfonie beschäftigt.

                               14.9.2020 – 16.8.2021                               Die Konzerte sind komprimierter und das Konzertprogramm wird an die neue Realität
                                                                                   angepasst. Es lebt auch im Oktober von den Gegensätzen. Wir können den grandiosen
                                                                                   Dirigenten Teodor Currentzis begrüßen, der mit der gefeierten Mozart-Interpretin Marianne
                                                                                   Crebassa zu erleben ist. Der Pianist Tobias Koch gibt gemeinsam mit dem jungen Original-
                                                                                   klang-Ensemble [oh!] orkiestra historyczna sein Debüt. Den Schauspieler Charly Hübner
                                                                                   können Sie statt als Kommissar als Interpret u. a. von Nick Cave’s düsteren Chansons
                                                                                   kennenlernen. Der Gitarrist Lionel Loueke widmet Herbie Hancock einen ganzen Abend.
                                                                                   Mozarts Geige steht im Mittelpunkt des Konzerts mit Les Musiciens du Louvre und dem
                                                                                   Violinisten Christoph Koncz. Thomas Adès ist eine Dreifachbegabung. Erst ist er als Diri­
                                                                                   gent seiner Komposition »Lieux retrouvés« (Stätten der Erinnerung) mit dem Cellisten
                                                                                   Steven Isserlis zu erleben und am folgenden Tag als Solist seiner Komposition für Klavier
                                                                                   und Kammerensemble.

                                                                                   Wir sind überzeugt, Ihnen wieder ein attraktives Programm zu bieten. Natürlich bleiben wir
                                                                                   im Austausch mit dem Publikum, haben ein offenes Ohr und werden im Laufe des Monats
                                                                                   das Hygienekonzept so nachjustieren, dass bei Neubuchungen im Saal bei KölnMusik-
                                                                                   Konzerten das Schachbrett-Prinzip gilt.

                                                                                   Wahrscheinlich befinden wir uns nicht nur in diesen Zeiten, sondern lebenslang in einem
                                                                                   Stadium des Experimentierens.

                                                                                   Ihr
                               Heinz Breloh Der Bildhauer Harald Kreutzberg 1995

                               Kunstmuseum des                                     Louwrens Langevoort
                               Erzbistums Köln                                     Intendant

                               Kolumbastraße 4
                               www.kolumba.de                                                                                                                                             Das Magazin   3
Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Zentrum für Prävention und Rehabilitation (PUR)        OKTOBER 2020                                                          Marion Ravot
                        am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach
                        Ferrenbergstraße 24 | 51465 Bergisch Gladbach
                ®       Tel.: 02202 / 122-7300 | pur@evk-gesund.de

                        Zentrum für Sport und Medizin (ZSM)
                        am Evangelischen Klinikum Köln Weyertal
                        Weyertal 76 | 50931 Köln
                        Tel.: 0221 / 479-2299 | zsm@evk-gesund.de

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evk-                                                                      06	Wider die Routine
                                                                              Teodor Currentzis dirigiert das Mahler Chamber Orchestra

gesund.de
                                                                           8	Sängerin mit Charakter
                                                                              Marianne Crebassa
                                                                           9	Fütterung der Raubtiere                                        18	Klingende Vexierspiele und feurige Funkenschläge
                                                                              Die Liebe des Pianisten Tobias Koch zu alten Instrumenten          Auftragskomposition von Vito Žuraj trifft Schubert und Haydn
Bleiben Sie gesund – Werden Sie fit.                                      10  Miteinander auf Augenhöhe                                     20	Schuld und Sühne
                                                                               Aki Takase & Daniel Erdmann                                       Charly Hübner mit dem Ensemble Resonanz
                                                                          12	Fantastik und Feuer
                                                                               Daniel Müller-Schott und das Symphonieorchester des BR

                                                                                                                                                                                                                 Musik ist
                                                                                                                                                     Lionel Loueke

                                                                                                                                                                                                                 ansteckend …
                                                                                                                                                                                                                 … leider auch das Coronavirus

                                                                                                                                                                                                                 Um wieder ein Live-Konzerterlebnis in der Kölner Philharmonie zu er-
                                                                                                                                                                                                                 möglichen, haben wir ein auf den Saal abgestimmtes und genehmigtes
                                                                                                                                                                                                                 Hygienekonzept aufgelegt: Wenn die sitzplatzgenaue Rückverfolgung
                                                                                                                                                                                                                 durch Konzertveranstalter gewährleistet ist, können unsere Gäste auch
                                                                                                                                                                                                                 ohne einen Mindestabstand von anderthalb Metern im Saal platziert
                                                                                                                                                                                                                 werden. Neubuchungen für die KölnMusik-Konzerte erfolgen ab sofort
                                                                                                                                                                                                                 nach dem Schachbrettprinzip, so dass ein Sitzplatz links und rechts
                                                                                                                                                                                                                 neben Ihnen frei bleibt.
                                                                                                                                             22	Neue Blumen                                                     Bitte halten Sie beim Einlass und auf allen Wegen im Haus den Min-
                                                                                                                                                  Lionel Loueke spielt Herbie Hancock                            destabstand von 1,5 Metern zu anderen Gästen ein. Bitte tragen Sie
                                                                                 Brad Mehldau
                                                                                                                                             24	Mozarts Geige                                                   zum Schutze aller eine Mund-Nasen-Maske. Der Einlass in die Kölner
                                                                                                                                                  Christoph Koncz und Les Musiciens du Louvre mit Mozart         Philharmonie beginnt 45 Minuten vor Konzertbeginn. Alle Konzerte
                                                                          14	Brad Mehldau                                                   26	Musik für den Tanzboden                                         finden vorerst ohne Pause statt und sind zunächst auf eine Dauer von
                                                                              Vom Küchentisch auf die Bühne                                       Ein romantischer Liederabend mit Florian Boesch und Franui     unter 90 Minuten angelegt. Gute Durchlüftung vermeidet Infektionen.
                                                                          15	Indie Meets Chamber Meets »Beet«                               28	Rising Stars – die Stars von morgen                             Deshalb wird die Klimaanlage mit Frischluft-Zufuhr in der Kölner Phil-
                                                                              Schlagzeuger Greg Saunier trifft auf st a rgaze                     Die Saxophonistin Jess Gillam                                  harmonie in vollem Einsatz sein. Bitte bleiben Sie nach dem Konzert
                                                                          16	Prometheus von gestern und heute                               28	Wir sind so frei #3 – Die 10. Sinfonie                         solange auf Ihrem Platz, bis Sie aus dem Saal geführt werden. Das ge-
                                                                              Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit Isserlis und Adès        Für Ludwig van Beethoven von Novoflot                          schieht Reihe für Reihe.
                                                                          17	Kaleidoskopartig verspielte Höllenfahrt                        29	Jede Kunst ist ein eigenes Leben                                Wir tun alles, damit Sie sich in dieser Zeit in der Kölner Philharmo-
                                                                              Komponist Thomas Adès ist Solist seines »Concerto Conciso«          Das Ensemble Musikfabrik spielt Haddad, Hirsch und Czernowin   nie wohlfühlen. Wir informieren Sie beim Kartenkauf und auf der
                                                                          18	Schlagzeug pur                                                 30	Infos zum Kartenkauf – Impressum – Bildnachweis                 Homepage der Kölner Philharmonie unter koelner-philharmonie.de/
                                                                              Martin Grubinger & Friends mit mitreißendem Programm                Kontaktdaten und Sitzplan                                      besucherregistrierung. (Stand: 7. September) km
Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Herausragende

                                                                                                                             NEUHEITEN              bei Sony Classical

                  Wider die
                  Routine
                                                     Das Leben von Teodor Currentzis ist bewegt, da bleibt kaum Gele-
                                                     genheit zum Atemschöpfen. Geboren in Griechenland, Violinstu-
                                                     dium in Athen, Ambitionen als Schauspieler, Dirigierstudium am

                                                                                                                                                                            jonaskaufmann.com
                                                     Staatlichen Konservatorium St. Petersburg. 2004 erste Festanstel-
                                                     lung als Chefdirigent: am Opernhaus in Nowosibirsk, wo im Winter
                                                     die Temperaturen auf unter minus 40 Grad fallen können. Mit Ext-
                  Teodor Currentzis dirigiert        remen hat Teodor Currentzis keine Probleme. Er gründete sein ei-
                  das Mahler Chamber Orchestra       genes Orchester Musica Aeterna und war bald weltweit ungemein
                                                     gefragt. Doch er hielt Sibirien noch lange die Treue, als Musikdi-
                                                                                                                                      Jonas Kaufmann Selige Stunde
                                                     rektor der Oper in Perm, der östlichsten Millionenstadt Europas.
                                                                                                                                    Jonas Kaufmann hat mit seinem langjährigen
                                                     Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, wie der Bremer Musikfest-            Klavierbegleiter Helmut Deutsch ein sehr persönliches
                                                     Preis, der Kairos-Preis der Alfred Toepfer Stiftung und acht Mal die       Lied-Album aufgenommen - mit romantischen Liedern
                                                     Goldene Maske, der bedeutendste russische Theaterpreis, pflas-                    von Beethoven, Schumann, Brahms u.a.
                                                     tern seinen Weg.

                                                     Seit 2018 ist Teodor Currentzis Chefdirigent des SWR Symphonie-
                                                     orchesters. Seine Winter sind wärmer geworden, sein Wille, den
                                                     Dingen auf den Grund zu gehen, ist ungebrochen. Currentzis ver-
                                                     langt von sich selbst sehr viel und gehört zu den Menschen, die

                                                                                                                                                                               regulamuehlemann.com
                                                     mit wenig Schlaf auskommen. Idealerweise sollten das auch sei-
                                                     ne Musiker können. »Ich verlange von meinen Musikern, dass sie
                                                     noch dreimal verrückter sind als ich«, sagt der hochgewachsene
                                                     Grieche lachend. Was Teodor Currentzis zu bieten hat, bedeutet
                                                     Vollblutmusikern sehr viel: hochenergetisches Musizieren, akribi-
                                                     sches und detailversessenes Arbeiten an kompromisslosen Inter-
                                                     pretationen, die emotional packend sind, eine enorme dynamische                Regula Mühlemann Mozart Arias II
                                                     Bandbreite aufweisen und niemals routiniert klingen. »Bei uns sind         Für ihr erstes Mozart-Album erhielt Regula Mühlemann
                                                     die Musiker keine Fabrikarbeiter. Musik ist für uns eine Mission und        begeistertes Lob der Kritik. Jetzt präsentiert sie mit
                                                                                                                                dem Kammerorchester Basel unter Umberto Benedetti
                                                     kein simpler Beruf«, sagt Currentzis. »Es ist wie ein sonderbarer
                                                                                                                                    Michelangeli weitere Arien aus Die Zauberflöte,
                                                     Traum, in dem man Kontinente und Dimensionen wechselt.«                                Lucio Silla, Zaide, Idomeneo u.a.

                                                     Das Wechseln von Kontinenten sind die Musiker des Mahler
                                                     Chamber Orchestra gewohnt, sie stammen aus 20 verschiedenen
                                                     Ländern und geben als freies Kollektiv etwa 60 bis 70 Konzerte
                                                     im Jahr, auf allen fünf Kontinenten. Was geschieht, wenn Teodor
                                                     Currentzis, der Mann des Augenblicks, und dieses spielfreudige
                                                     Ensemble zusammentreffen und sich gemeinsam in die Details der
                                                     Interpretation stürzen, ist hochspannend – ein Geben und Nehmen
                                                     für beide Seiten. Currentzis bringt die Erfahrung der historischen
                                                     Aufführungspraxis mit, die bei ihm ebenso bei klassischer wie zeit-

                                                                                                                                                                               igor-levit.de
                  Konzerttermin                      genössischer Musik zum Einsatz kommt. Etwa bei der ausdrucks-
                  Sonntag, 18. Oktober 2020 20:00
                                                     vollen Musik des serbischen Komponisten Marko Nikodijevic oder
                  Marianne Crebassa Mezzosopran      bei Luciano Berios Folk Songs, Musik von entwaffnender Klarheit
                  Mahler Chamber Orchestra                                                                                                   Igor Levit Encounter
                                                     und Schönheit. Die junge französische Mezzosopranistin Marianne
                  Teodor Currentzis Dirigent                                                                                       Encounter bedeutet „Begegnung“ und entstand
                                                     Crebassa leiht diesen kostbaren Songs ihre faszinierende Stimme.
                  Mit Werken von Marko Nikodijevic                                                                            während des Corona-Lockdowns aus den „Hauskonzerten“
                  und Luciano Berio u.a.             Was ist für Teodor Currentzis ein gelungenes Konzert? Der eigen-            von Igor Levit. Mit berührenden Chorälen von Bach
                                                     willige Grieche zögert nicht mit der Antwort: »Erfolg heißt für mich:         und Brahms in der Klavierfassung von Busoni.
                                                     Ich fülle die Stille, die man mir für 100 Minuten schenkt, mit einer
                                                     Lehrstunde, wie man in die Tiefen des Herzens taucht.«                                  SONYCLASSICAL.DE
                  Teodor Currentzis                  Dorle Ellmers

6   Das Magazin
Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Sängerin
mit                                                                                                                                                  Die Liebe des Pianisten Tobias Koch
                                                                                                                                                     zu alten Instrumenten

Charakter                                                                                                                                            Fütterung
Marianne Crebassa
                                                                                                                                                     der Raubtiere

Schon das Cover bezaubert: In weißem Her-         nenpanzer«, so die Kritik. Den klassischen        auf alten Schallplatten oder in Anthologien      Er hat ein rheinisches Gemüt, heiter, in gewisser Hinsicht unerschüt-     ihn und die rasche Erkenntnis, »dass es überhaupt nicht funktioniert,
renhemd und schwarzer Fliege präsentiert          Gesang habe sie als Teenager merkwürdig           entdeckt, teils hatten sie ihm auch Freunde      terlich, auch im Katastrophenfall noch für einen augenzwinkernden         wenn man auf einem modernen Flügel versucht, das Spiel historisch
sich Marianne Crebassa, kapriziös und mit         und künstlich empfunden, erinnert sich die        vorgesungen. Rhythmisch und harmonisch           Schlenker gut. Tobias Koch ist Pianist. Dass sein Name nicht an groß-     anzugleichen«. So hat Tobias Koch sich seinen Weg zur Kunst ge-
spitzbübischem Blick. Dazu passt das Motto        heute 33-Jährige, die zu jener Zeit in einer      bearbeitet, »in gewissem Sinn also neu kom-      mediale Vermarktung gekoppelt ist, lässt ihn eher kalt. Umso leiden-      bahnt: »Für mich sind das Suchen, das Spielen und Entdecken die
»Oh, Boy!« des Debütalbums, das eine Aus-         Rockband Hits coverte und auch in Jazzclubs       poniert«, so der musikalische Abenteurer und     schaftlicher, umso nachhaltiger stößt er in Nischen vor, für die sich     eigentliche Aufgabe, nicht das Abliefern, das in Stein Meißeln, das
wahl aus Hosenrollen-Arien versammelt und         auftrat. Damals lernte sie Bühnenpräsenz; mit     Grenzgänger selbst über seine Adaptionen,        am ehesten Kenner, echte Liebhaber interessieren. Deren Tendenz ist       Hochglanzpolieren«, hat er einmal in einem Interview zugegeben. Die
bei seinem Erscheinen 2017 prompt einen           Stimmentwicklung und -umfang (mittlerwei-         spiegeln sie die multikulturelle Gesellschaft,   steigend. Koch macht um die großen schwarzen Konzertflügel heuti-         Experimente mit dem Klang, mit den Möglichkeiten von Klang sind für
anerkennenden Ausruf provozierte: »Junge,         le bis zum hohen C) wuchs auch Marianne           der sich Berio und seine Frau Cathy Berberian    ger Bauart meist einen großen Bogen. Dafür kennt er sich mit anderen      Koch die reinste Inspiration. Suchen und Finden bezeichnen lediglich
Junge!«, so war ein Porträt über die junge        Crebassas Interesse an der großen Ausdruck-       zugehörig fühlten. Denn ihr, einer der größ-     Namen aus: Kisting, Klems, Streicher, Érard, Pleyel, Tröndlin – Firmen,   einen Weg, nicht die Aussicht auf Endgültigkeit. Eine Auffassung, die
Französin betitelt, die ihre stimmlichen Quali-   spalette in Oper und Konzert. Sie studierte       ten Interpretinnen neuer Musik, hat er die elf   die im 19. Jahrhundert Klaviere gebaut haben, alle anders im Klang,       Koch mit Jakob Lehmann und dem Ensemble [oh!] orkiestra history-
täten auf dieser ersten, mit dem Echo Klassik     Gesang, Klavier und Musikwissenschaft in          Volksweisen quasi auf den Leib geschrieben.      alle mit einem individuellen Farbspektrum. Koch gerät ins Schwär-         czna teilt.
geadelten Solo-CD so hinreißend gebündelt         Montpellier. Und wurde über Nacht zum Star,       Cathy Berberian gelang es denn auch, jedem       men, wenn er von Holzmaserungen, von Palisander-Tönungen spricht,         Es ist immer wieder die Faszination für das Unentdeckte, für das Ab-
hatte. »Ein Debüt, das durch enorme stimm-        als sie bei den Salzburger Festspielen 2017       Folk Song eine unterschiedliche Stimme zu        wenn er den Goldton von Messingsaiten beschreibt, wenn er das Prin-       seitige, die man bei Koch erkennen kann, verbunden mit der Notwen-
liche Beweglichkeit, ein breites Farbspekt-       mit Teodor Currentzis als Dirigent als Sesto in   verleihen. An dieser legendären Vokalartistin    zip der Dämpfung erklärt und jedes Pedal ein bisschen anders geartet      digkeit, hin und wieder auch einen Schritt zurückzugehen. Etwa bei
rum, Intensität und Frische einnimmt«, urteilte   der Oper »La Clemenza di Tito« das Publikum       musste sich später jede neue Interpretin mes-    ist.                                                                      der Frage nach dem idealen Tempo. Auch da können unterschiedliche
die Kritik. Dieser Eindruck vertiefte sich noch   mit ihrer Ausdruckskraft begeisterte.             sen lassen. Marianne Crebassa wird die Her-      Wenn man Tobias Koch bittet, über diese Instrumente, ihre Reize, ihre     Instrumente unterschiedliche Resultate hervorrufen. Seinen rheini-
in Crebassas folgendem Soloalbum »Sec-            Doch ihr lyrischer Mezzo mit einer Glut, die      ausforderung, sich die populären Songs um        Möglichkeiten zu erzählen, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Er ist      schen Humor hat er sich natürlich bewahrt: »Die Leute stehen manch-
rets«, das Preziosen des französischen Im-        an die große Brigitte Fassbaender erinnert,       Liebe, Trauer, Tanz und Freude anzueignen,       ein Klangforscher, ein Suchender – und: ein Pianist im umfassenden        mal ums Klavier herum, beobachten teilweise wie bei der Fütterung
pressionismus in geheimnisvollen Nuancen          klingt nicht nur authentisch in den Mozart-       gewiss mit Vergnügen annehmen. Zumal ihr         Sinne. Ob Clavichord, Cembalo, Orphica – eine tragbare Hammerkla-         der Raubtiere im Zoologischen Garten, wenn ein Klavierbauer oder
schimmern ließ. Und sehr eigenwillig mit          Partien, die einen Großteil ihres Repertoires     mit dem Mahler Chamber Orchestra ein Spit-       vier-Variante –, ob Hammer-, Pedal- oder Tangentenflügel: Koch weiß       Klavierstimmer etwas repariert. Aber das gehört zu diesem wunder-
der Ballade »Gezi Park 3« endete, einer Kla-      ausmachen. Auch im Barock oder der zeit-          zenensemble zur Seite steht.                     um die Tücken und Vorteile all dieser Instrumente und ihrer Stamm-        baren Spektakel eines Konzertes ja dazu.« Christoph Vratz
ge ohne Worte und politische Botschaft ihres      genössischen Musik, etwa in der Oper »Char-       Annette Schroeder                                baum-Verästelungen. Entsprechend ist seine Arbeit nicht allein auf
Klavierbegleiters Fazil Say. Mit diesem Album     lotte Salomon« von Marc-André Dalbavie,                                                            das Studieren von Noten und Exerzitien am Instrument begrenzt, er
habe sie ein Zeichen setzen wollen, sagt die      hat Crebassa Erfolge gefeiert, wie auch 2020                                                       will wissen, wie Restauratoren arbeiten, wie sich Klavierbauer einer      Konzerttermin
Sängerin, die nach eigenem Bekunden viel          in Salzburg als lebenslustige Dorabella. Und                                                       längst vergangenen Ära nähern und wie man diese Instrumente heute         Sonntag, 4. Oktober 2020 16:00

nachdenkt über den »Mut zur Differenz«, über      nun präsentiert sie die »Folk Songs« von Lu-
                                                                                                    Konzerttermin                                    am besten konserviert.                                                    Tobias Koch Klavier
                                                                                                    Sonntag, 18. Oktober 2020 20:00
Ruhe, Stille und die eigene Position im Mu-       ciano Berio, abermals unter der Leitung von                                                        Geboren in Kempen, ausgebildet in Düsseldorf, Wien, Zürich, inspi-        [oh!] orkiestra historyczna
                                                                                                    Marianne Crebassa Mezzosopran                                                                                              Jakob Lehmann Dirigent
sikbetrieb.                                       keinem Geringeren als Teodor Currentzis in                                                         riert von Lehrmeistern wie Jos van Immerseel und Malcolm Bilson hat
                                                                                                    Mahler Chamber Orchestra                                                                                                   Mit Werken von Stanislaw Moniuszko, Ferdinand Hiller und
Kein Zweifel, die Mezzosopranistin, geboren       der Kölner Philharmonie. Die Volksweisen aus      Teodor Currentzis Dirigent                       Tobias Koch früh erkannt, was ihn lockt: »Mich haben der Klang und        Felix Mendelssohn Bartholdy
im südfranzösischen Béziers, ist eine Sän-        Armenien und Amerika, aus der Provence, Si-       Mit Werken von Marko Nikodijevic                 das unterschiedliche Spielgefühl mehr interessiert als die Instrumen-     KölnMusik GmbH gemeinsam mit
gerin mit Charakter, aber »ohne Primadon-         zilien oder Sardinien hatte der Italiener 1964    und Luciano Berio u.a.                           te selbst.« Fragen der historischen Aufführungspraxis beschäftigten       zamus – Zentrum für Alte Musik / KGAM e.V.

8    Das Magazin                                                                                                                                                                                                                                                                     Das Magazin   9
Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Miteinander
            auf Augenhöhe
             Aki Takase & Daniel Erdmann

             Wenn die Beziehung zwischen einem Lehrer und sei-             Dass Takase und Erdmann das oftmals als intim be-
             nem Schüler stimmt und funktioniert, dann ist es oft-         schriebene Duo-Format für sich gewählt haben, kommt
             mals mehr als nur die reine Wissensvermittlung oder           nicht von ungefähr. Der Saxophonist ist längst zu einer
             das Beibringen handwerklicher Fertigkeiten. Dann lie-         weithin vernehmbaren Stimme im Jazz und der impro-
             fert der Lehrer erst den geschützten Raum, in dem sich        visierten Musik geworden, der zumeist in kleinen Be-
             sein Schüler entfalten und entwickeln kann, in dem            setzungen auch auf seinen politischen Anspruch als
             sich forschen und experimentieren lässt und Probleme          Künstler verweist – wie zum Beispiel mit dem paneu-
             und Thesen offen diskutiert werden; ein Labor im bes-         ropäischen Trio Das Kapital. Takase wiederum war in
             ten Sinne also, in dem der Schüler all das ausprobieren       ihrer langen Karriere oft als Duopartnerin zu hören – mit
             kann, was er für seinen späteren Lebensweg braucht:           ihrem Ehemann, dem Pianisten Alexander von Schlip-
             den sprichwörtlichen aufrechten Gang beispielsweise           penbach ebenso wie mit der Berliner Saxophonistin
             ebenso wie das Stellen der »richtigen« Fragen.                Silke Eberhard, dem französischen Klarinettisten Louis
                                                                           Sclavis oder dem amerikanischen Saxophonisten
             Vor 25 Jahren studierte der 1973 in Wolfsburg geborene        David Murray.
             Daniel Erdmann an der Hochschule für Musik »Hanns
             Eisler« in Berlin Tenorsaxophon. Seinen Instrumental-         Das Duo ist für Takase und Erdmann also die Beset-
             unterricht bekam er von Gebhard Ullmann, der ihm all          zung ihrer Wahl. Es liefert ihnen die Plattform, auf der
             die instrumentaltechnischen Fertigkeiten beibrachte,          sie sich im wahrsten Wortsinn austauschen, um im anti-
             die er brauchte, um sich später als freischaffender Jazz-     zipierenden Prozess des kommunikativen Miteinanders
             musiker auf der »freien Wildbahn« bemerkbar zu ma-            neue Ideen entwickeln, aber auch wieder verwerfen zu
             chen und durchsetzen zu können. Aber Erdmann hatte            können. Im Duo gestalten sie den Raum, in dem sich der
             auch eine Weile lang Unterricht bei Aki Takase. Es war        Gegensatz aus Be- und Entgrenzung gleichermaßen
             die 1948 im japanischen Osaka geborene Pianistin, die         manifestiert wie aufgehoben wird. Die Beschränkung
             dem damals jungen Tenorsaxophonisten den Weg zur              durch die Form ermöglicht erst die Freiheit im Ausleben
             Quelle seiner Kreativität zeigte – dort, wo tief im Innern    des musikalischen Diskurses.
             der Seele der Fluss entspringt, der mit aller Kraft an die
             Oberfläche sprudelt und sich fortan als reißender Strom       Dafür haben sie jeder für sich ihr eigenes Vokabular
             seinen Weg bahnt.                                             entwickelt, das zur Grundlage wird für den improvisa-
                                                                           torischen Austausch über das musikalische Material.
             Gleich nach dem Ende seines Studiums in Berlin hol-           Und beide haben von den Leistungen der Altvor-
             te ihn Takase in ihr damaliges Sextett. Doch Erdmanns         deren im Jazz gelernt: Aller harmonischer, me-
             Lebensweg hatte anderes vor mit dem Saxophonisten.            lodischer und rhythmischer Komplexität zum
             Im Jahr 2000 zog er nach Paris, später übersiedelte er        Trotz besitzt ihre improvisierte Kammermusik
             nach Reims. Zwar hatte er weiterhin einen Koffer in Ber-      stets auch etwas Fleischig-Bauchiges und
             lin, doch zu einer neuen Kooperation mit der 25 Jahre         Rohes, Archaisches und Expressives. Und
             älteren Pianistin kam es lange Zeit nicht mehr (obwohl        auch das ist wichtig: Das Gefälle von vor
             die beiden weiterhin in Kontakt blieben). Erst ein zufälli-   25 Jahren, als Takase Lehrerin von
             ges Treffen am Flughafen vor drei Jahren war dann der         Erdmann war, ist einem Miteinan-                            Konzerttermin
             Startschuss für Takase und Erdmann, wieder zusam-             der auf Augenhöhe gewichen.                                 Donnerstag, 8. Oktober 2020 20 Uhr
             menzuarbeiten – erst in Takases aktuellem Quintett Ja-        Martin Laurentius                                           Daniel Erdmann ts
             panic und nun auch im Duo.                                                                                                Aki Takase p

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Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Konzerttermin
                                                                                                                                                                             Samstag, 17. Oktober 2020 20:00
                                                                                                                                                                             Daniel Müller-Schott Violoncello
                                                                                                                                                                             Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
                                                                                                                                                                             Andrew Manze Dirigent
                                                                                                                                                                             Robert Schumann Konzert für Violoncello und
                                                                                                                                                                             Orchester a-Moll op. 129
                                                                                                                                                                             Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21

                                                                              Eine Pause gibt es nicht. Was pandemie-         Werks jedoch wurde anfangs leider noch         bliert. In der Idylle des langsamen Satzes
                                                                              bedingt für die Philharmonie-Programme          verkannt. Der vorgesehene Solist Robert        dann harmoniefremde Akkorde und typisch
                                                                              der nächsten Zeit gilt, das wandte Robert       Emil Bockmühl verlangte zahlreiche Ände-       Beethoven’sche Sforzati, im Menuett eine
                                                                              Schumann im Kleinen und aus rein musika-        rungen, auf die sich Schumann verständli-      stürmisch vorwärtsdrängende Bewegung,
                                                                              lischen Erwägungen auf sein Cellokonzert        cherweise nicht einlassen mochte. So kam       die eher an ein Scherzo denken lässt, und
                                                                              an. Dieses hat zwar die üblichen drei Sät-      es zu seinen Lebzeiten zu keiner Auffüh-       im Finale eine pathetische Adagio-Einlei-
                                                                              ze in der Abfolge schnell-langsam-schnell,      rung oder Publikation des Konzerts. Heute      tung, die sich durch das folgende muntere
                                                                              doch sie gehen ohne Unterbrechung in-           dagegen ist es der Traum jedes Cellisten.      Allegro-Thema als musikalischer Witz er-
                                                                              einander über. Was ist damit gewonnen?                                                         weist. Beethovens Sinfonie-Erstling gefiel
                                                                              Vor allem wohl der Eindruck eines großen        In Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 1        jedenfalls, und das obwohl die von ihm en-
                                                                              Bogens und einer poetischen Einheit über        gibt es die üblichen Satzpausen. Die Erste     gagierten Orchestermusiker offenbar ganz
                                                                              alle Stimmungswechsel hinweg. Den ers-          ist jedoch der Tradition besonders eng ver-    erbärmlich spielten. »Im zweiten Teil der
                                                                              ten Satz prägen ganz die für Schumann so        bunden, und das schlug sich in den positi-     Sinfonie«, so heißt es in der oben zitierten
                                                                              typischen Umbrüche zwischen lyrischem           ven Kritiken nach der Uraufführung im Jahr     Kritik, »wurden sie sogar so bequem, dass
                                                                              Gesang und dunklen, abgründigen, auch           1800 nieder. »Sehr viel Kunst, Neuheit und     allen Taktierens ungeachtet kein Feuer
                                                                              kämpferischen oder verzweifelten Cha-           Reichtum an Ideen«, bescheinigte die Leip-     mehr besonders in das Spiel der Blasinst-
                                                                              rakteren – so versteht ihn zumindest Da-        ziger »Allgemeine Musikalische Zeitung«        rumente zu bringen war.« Das Symphonie-
                                                                              niel Müller-Schott, der Solist des Abends.      dem Stück, ohne dabei den gewöhnlichen         orchester des Bayerischen Rundfunks wird
                                                                              Dann folgt mit dem kurzen zweiten Satz          Vorwurf des Bizarren und gesucht Neu-          seine Sache unter der kundigen Leitung
                                                                              eine Idylle, vielleicht eine Liebeserklärung,   en zu erheben. Auch beim konservativen         des früheren Originalklang-Spezialisten
                                                                              und mit dem Finale ein insgesamt eher rus-      Wiener Publikum kam die Sinfonie an – si-      Andrew Manze zweifellos besser machen ...
                                                                              tikaler, fröhlicher Ausklang. Einige Stellen    cher nicht zuletzt, weil sie sich in Umfang,   Jürgen Ostmann
                                                                              darin klingen jedoch so skurril, dass frü-      Besetzung und formaler Anlage noch an
                                                                              he Kommentatoren sie, sicher zu Unrecht,        die anerkannten Vorbilder Haydn und Mo-

                   Fantastik
                                                                              mit Schumanns geistiger Verwirrtheit am         zart hielt. Motivbildung und harmonische
                                                                              Ende seines Lebens in Verbindung brach-         Strukturen könnten sogar direkt durch Mo-
                                                                              ten. Verklammert ist all das durch mehrfach     zarts »Jupiter-Sinfonie« beeinflusst worden
                                                                              wieder aufgegriffene Themen und Erinne-         sein. Einige Details mussten Kennern aber
                                                                              rungsmotive. Sie und natürlich die fehlen-      dennoch Kopfzerbrechen bereiten. So zum
                                                                              den Satzpausen lassen das Cellokonzert          Beispiel der Beginn des ersten Satzes, der
                                                                              letztlich wie eine einzige große, durchkom-     die Haupttonart C-Dur erst nach mancher-
                                                                              ponierte Fantasie wirken. Diese Qualität des    lei Dissonanzen und Trugschlüssen eta-

                        und                                                            Mondschein mit Mondstein

                      Feuer
                                                                                       Ring von ANGELA HÜBEL

                              Cellist Daniel Müller-Schott und das                                                       ®

                    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
                                                                                                                              Di - Fr   10.00 - 18.00 Uhr
                                                       Daniel Müller-Schott                                                   Sa        10.00 - 16.00 Uhr
12   Das Magazin
Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Indie Meets
                                                                          Brad                                                                       Chamber
                                                                                                                                                     Meets »Beet«
                                                                          Mehldau
                                                                          Vom Küchentisch auf die Bühne
                                                                                                                                                     Schlagzeuger Greg Saunier
                                                                                                                                                     trifft auf stargaze

                                                                                                                                                     Aus der Verbindung dürfte Explosives entstehen, denn hier treffen ein
                                                                                                                                                     junges Kammerensemble, das sich selbst lieber als Band versteht, ein
                                                                                                                                                     komponierender Drummer, der klanglich eine Eruption an seinem In-
                                                                                                                                                     strument ist, und einer der klassischsten Komponisten überhaupt
                                                                                                                                                     aufeinander. Die Rede ist vom Ensemble stargaze aus Berlin, dem
                                                                          Konzerttermin                                                              amerikanischen Schlagzeuger Greg Saunier, den man von seiner Band
                                                                          Samstag, 24. Oktober 2020 20:00                                            Deerhoof kennen dürfte – und Ludwig van Beethoven.
                                                                          Brad Mehldau solo
                                                                          Brad Mehldau p                                                             2013 aus einer Gruppe von Musikenthusiasten geboren hat sich das be-           André de Ridder
                                                                                                                                                     rührungsangstfreie Ensemble stargaze innerhalb weniger Jahre hier-
                                                                                                                                                     zulande und international zu einer der besonders offenen Institutionen
                                                                                                                                                     entwickelt. Weder Komponisten wie Steve Reich oder Terry Riley noch
Wie kaum ein anderer Kulturzweig braucht der Jazz große Namen, um         Derzeit herrscht jedoch Funkstille. Keine Tourneen und Auftritte. Nicht    Elektro-Soundtüftlern oder experimentellen Rockbands gilt alleinige       rockigen Gitarrenexperimenten, dem Gesang und Sauniers intellektuel-
nicht in Vergessenheit zu geraten. Es wäre interessant zu ergründen,      nur für den wohl meistbeschäftigten Klavierspieler des Jazz ein hartes     Aufmerksamkeit – dazu ist das Musikgeschehen ja auch viel zu bunt.        lem Überbau, sondern auch und gerade seinem überschäumenden, oft
warum diese Aufgabe in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend            Los. Als sich im März die Konzertsäle schlossen, musste Mehldau seine      Diese Offenheit hat zu reizvollen Projekten geführt. Auf Popfestivals     und gerne schier Purzelbäume schlagen wollenden, kraftvollen Schlag-
in den Händen von Pianisten lag. Herbie Hancock, Bill Evans, Oscar Pe-    Aktivitäten jäh abbrechen. Er zog sich in die Nähe von Amsterdam zu-       ist die Gruppe ebenso gern gesehen wie in klassischen Konzertsälen        zeugspiel. Wie auch immer, fehlendes Abenteuerreichtum mag man
terson oder Esbjörn Svensson schienen zu ihrer Zeit fast im Alleingang    rück, wo seine Familie lebt. Wie so viele anderen Menschen, die in diese   oder bei den ehrwürdigen »BBC Proms« in der Londoner Royal Albert         der Sache getreu dem selbstgewählten Motto »Keep it boxy and harsh!«
die Fahne des Genres hochzuhalten. Nach dem krankheitsbedingten           Art eines erweiterten Hausarrests gerieten, scheint ihm die Erfahrung      Hall. Dort durfte sie 2016 höchst eindrucksvoll eine gerade verstorbene   jedenfalls kaum unterstellen.
Rückzug Keith Jarretts rückt nun ein anderer in den Mittelpunkt des öf-   zuweilen neu und manchmal bedrohlich, aber auch mit angenehmen             Legende ehren: David Bowie. Wie passend. Seit 2014 organisiert das
fentlichen Interesses: Brad Mehldau.                                      Aspekten verbunden. Wie meist im Leben des amerikanischen Pianis-          Ensemble ein eigenes Festival in der Bundeshauptstadt oder trägt bei      Die beiden Gruppen sind sich also alles andere als fremd, und 2019
Seine Musik ist die eines gleichermaßen neugierigen wie anspruchs-        ten erfährt man dergleichen nicht über Interviews, sondern in Form sei-    Hollywood-Blockbustern wie »The Revenant« (2015) zum Soundtrack           veröffentlichte das Ensemble bei Saunier angefragte Kompositionen/
vollen Künstlers, der erstmals Mitte der 1990er Jahre an der Seite des    nes aktuellen Soloalbums, das den Titel »April 2020« trägt.                bei. Der Ensemblename ist Programm: »Yes, we stargaze. In Berlin, Co-     Bearbeitungen für die individuellen Bandmitglieder vor der Folie von
Saxophonisten Joshua Redman Bekanntheit erlangte. Seither folgten         Mithilfe einer zwölfteiligen Suite, in welcher Brad Mehldau Stimmun-       logne, London, Amsterdam, Sydney and wherever people love to listen.      Fugazis epochalem Hardcore-Album »In on the Kill Taker« (1993). Jetzt
die verschiedensten künstlerischen Exkurse, die der 50-Jährige aus        gen, Emotionen und Momente festhielt, lässt sich sein innerer Rückzug      It’s a journey, take the train!«, heißt es bei den Musikern. Das Album    bringt man mit »Beet128 – stargaze« gemeinsam ein anderes besonde-
Jacksonville/Florida mit Persönlichkeiten und Ensembles aus der klas-     und der gleichzeitige Drang nach Reisen, nach Kontakt zu Menschen,         »Deerhoof Chamber Variations« erschien 2015: Darauf spielen die Inst-     res Werk auf die Bühne: Es geht um Beethovens (frühe) Sinfonien, und
sischen Musik wie Anne Sofie von Otter oder dem Orpheus Chamber           zum Publikum, nach Freiheit in jeder Note nachempfinden. Seine Ein-        rumentalisten spezielle Songbearbeitungen der amerikanischen Indie-       zwar gleich mehrere davon. Zündstoff und Sternenstaub dürfte dieses
Orchestra genauso wie mit großen Namen des Jazz wie Pat Metheny,          drücke aus der Zeit des maximalen Lockdowns verstehen sich jedoch          Noise-Rock-Pop-Band Deerhoof, und damit taucht Schlagzeuger Greg          Aufeinandertreffen also ohne jeden Zweifel enthalten.
Charlie Haden oder Wayne Shorter unternahm. Mehldau begleitete            mitnichten als programmatische Musik. Es sind eher kleine, hübsche,        Saunier als Komponist in den Weiten des stargaze -Universums auf.         Ingo Baron
Stummfilme, definierte die Kunst des Pianotrios mit dem Kontrabas-        bescheidene Kompositionen, die dem Alltäglichen mit jeder Menge
sisten Larry Grenadier und dem Schlagzeuger Jeff Ballard durch sei-       Fantasie, manchmal auch mit dem Instrument des Slapsticks, einen           Die Geschichte von Deerhoof beginnt ihrerseits 1994 in San Francisco:     Konzerttermin
ne CD-Reihe »The Art Of The Trio« völlig neu und lotete seine eigenen     völlig neuen Anstrich verleihen. Seine Titel lauten »Waiting«, »Stepping   Der klassisch ausgebildete Schlagzeuger Saunier und ein befreundeter      Mittwoch, 7. Oktober 2020 20:00
Grenzen in Abenteuern mit dem Mandolinisten Chris Thile, großen Or-       Out«, »Keeping Distance«, »In The Kitchen« oder »Remembering All           Bassist gründen eine Band – eine Band, die ihrerseits keine Grenzen       Beet128 - stargaze
chestern oder Exkursen durch Bachs »Wohltemperiertes Klavier« aus.        This«. Richtig groß erscheinen die Stücke jedoch erst, wenn er seine       zwischen Pop, Rock und Noise kennt. Irgendwann kommt eine jun-            Greg Saunier Drums
Kein anderer Künstler offenbart sich so sehr über seine Musik. Doch       persönlichen Standards offenbart – »Don’t Let It Bring You Down« von       ge japanische Sängerin mit einer, sagen wir mal, etwas individuellen      sta rga ze
ein Wort scheint all diese Projekte zu verbinden: Exzellenz. Für einen    Neil Young, den Broadway-Schlager »Look For Silver Lining« oder das        Gesangsstimme dazu, und der Charakter von Deerhoof ist geboren.           André de Ridder Leitung
wie Mehldau bedeutete dies freilich nie, sich von seiner Zielgruppe zu    berührende, von Heimweh getränkte »New York State Of Mind« aus der         Man schreibt gemeinsam Songs, die irgendwo zwischen süßlich-ver-
entfernen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Gemessen an Besucherzahlen    Feder Billy Joels. So viel Sehnsucht, so viel Wärme in den Akkorden        spieltem Radiopop und brutalem, hakenschlagartig serviertem Rock-
seiner Konzerte darf man ihn mit Fug und Recht als eine der rar ge-       kann nur im häuslichen Umfeld in der holländischen Tiefebene, an je-       Sound-Experiment angesiedelt sind. Das macht Eindruck und hält sich
wordenen Lichtgestalten der Szene bezeichnen, die heute ein Publikum      nem hölzernen Tisch, der auf dem Cover des Albums abgebildet ist und       in treuer Fangemeinde. Über die Jahre zieht auch Elektronik verstärkt
erreicht, das sich keineswegs mehr ausschließlich auf Jazz-Liebhaber      auf dem ein Strauß Feldblumen und ein Kaffeebecher ohne Henkel ste-        ins Deerhoof-Haus ein. Das aktuelle Album, »Future Teenage Cave Ar-
beschränkt.                                                               hen, keimen. Reinhard Köchl                                                tists«, ist gerade erschienen. Geprägt wird das Ganze nicht allein von

14   Das Magazin                                                                                                                                                                                                                                                                 Das Magazin     15
Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Wenn man Musiker nach ihren Vorbildern fragt, nennen sie üblicher-
                                                                     weise andere, große Musiker: Geiger werden Heifetz oder Oistrach
                                                                     erwähnen, Pianisten wahlweise Horowitz oder Rubinstein. Das Vor-
                                                                     bild des britischen Cellisten russischer Abstammung, Steven Isserlis,
                                                                     ist allerdings – ein Verrückter. Er hieß Harpo Marx, war das jüngste
                                                                     Mitglied der Komikertruppe The Marx Brothers, seine Rolle bestand
                                                                     darin, dass er eine Wischmopp-Frisur trug, hobbymäßig Harfe spiel-
                                                                     te und stumm die Welt auf den Kopf stellte. Das heißt, woran Steven
                                                                     Isserlis sich orientiert, ist weniger der Wohlklang des Vorbildes,
                                                                     als dessen Humor: Alle Interpretationen des Cellisten lassen, wo
                                                                     möglich, immer auch einen Schalk aufblitzen. Er ist zugleich der
                                                                     poetischste und der witzigste Interpret großer Musik; er findet üb-
                                                                     licherweise in jedem Werk neue Facetten, aber er schlägt sie dem
                                                                     Publikum danach nicht um die Ohren, wie andere Stars seines
                                                                     Alters es gerne tun, sondern integriert sie spielerisch in seine Werk-
                                                                     sichten.

                                                                     Er kommt mit einem seiner Leib-und-Magen-Ensembles, der
                                                                     Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, unter der Leitung sei-
                                                                     nes Freundes, des Komponisten Thomas Adès. Und die begin-
                                                                     nen, im Beethovenjahr, mit weithin unbekannter Musik dieses                   Thomas Adès
                                                                     Heroen: Auszüge aus dem Ballett »Die Geschöpfe des Prometheus«.
                                                                     Dank eines eher konventionellen Librettos – vom primo uomo Sal-

                                                                                                                                              Kaleidoskopartig
                                                                     vatore Viganò – führte dieses Ballett zeitweise ein Schattenda-
                                                                     sein, obwohl es nach der Uraufführung 29 Mal gegeben wurde,
                                                                     für damals ein Riesenerfolg. Am populärsten ist nach wie vor die
                                                                     Ouvertüre: Sie taucht immer mal wieder in Sinfoniekonzerten auf, ein

                                                                                                                                              verspielte
                                                                     »gewichtiges« Beethoven-Programm abrundend. In »Die Geschöpfe
                                                                     des Prometheus« nämlich versucht der Titan, »gefällig« zu sein. Na-
                                                                     türlich gelingt ihm das nicht; seine Musik hat all den Zauber dessen,

                                                                                                                                              Höllenfahrt
                                                                     der Großes schrieb und hier auf seine exzentrische Art Moden der Zeit

     Prometheus
                                                                     nachahmt. Adès und die Kammerphilharmonie spielen die Ouvertüre.
                                                                     Als »klassische« Konzerteinlagen gibt man Schuberts Ouvertüre »im
                                                                     italienischen Stile« C-Dur und die sechste Sinfonie von Sibelius.
                                                                                                                                              Der Komponist Thomas Adès ist Solist
                                                                     Der 1971 in London geborene Thomas Adès ist Pianist, Dirigent,
                                                                     Komponist und einer der ältesten Freunde von Steven Isserlis.            seines »Concerto Conciso«
                                                                     »Lieux retrouvés« (Stätten der Erinnerung), ein Triptychon für

     von gestern
                                                                     Violoncello und Klavier, entstand für den Freund und ist diesem          Thomas Adès ist nicht nur einer der gefragtesten Komponisten der Ge-
                                                                     auch gewidmet. Adès untersucht darin den Kontrast zwischen               genwart, er ist auch ein begnadeter Pianist. Als Klaviervirtuose betritt er
                                                                     freier Natur und »gebundenem« Stadtleben, als das Preziöse,              gemeinsam mit ausgewählten Solistinnen und Solisten der Deutschen
                                                                     Getüftelte lehnt sich der zeitgenössische Tonsetzer an den Barock-       Kammerphilharmonie Bremen das Podium der Kölner Philharmonie,
                                                                     komponisten Couperin an, der wie kein Zweiter »urbanes« Leben            um drei Meisterwerke von besonderer musikalischer Intimität aufzu-
                                                                     verkörperte. Die Sprache der Natur ist eine avancierte, ganz und gar     führen. Im Zentrum steht dabei sein eigenes »Concerto Conciso«. Es

     und heute
                                                                     zeitbezogene. Adès fungierte als Gewinner zahlreicher nobler Preise,     erweist sich als kaleidoskopartig verspielte Höllenfahrt, die schließlich
                                                                     im Laufe seiner bisherigen Karriere wurden ihm zahlreiche honorige       auf unheimlichen meditativen Grund läuft. Das so glasklare wie kom-
                                                                     Posten zugesprochen. Sogar vor dem Schwierigsten zuckte er nicht         plexe Werk wird eingerahmt von Ludwig van Beethovens nahezu mo-
                                                                     zurück: Drei Opern gehen auf sein Konto, darunter eine nach dem          zartischem Quintett für Bläser und Klavier (das einen Bogen zwischen
                                                                     wohl komplexesten Sujet, das es für ein Bühnenwerk geben kann,           Grübelei und Glückseligkeit spannt) und dem außergewöhnlichen
                                                                     »The Tempest«, Der Sturm, Shakespeares am meisten verrätseltes           »Concertino« von Leoš Janáček: Filigran und zauberhaft entwickelt sich
                                                                     Drama. Thomas Rübenacker                                                 dieser »kleine musikalische Scherz«, in welchem der Komponist die
                                                                                                                                              Natur in Töne goss und musikalische Szenen für einen zaudernden Igel,
     Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen tritt mit den Freunden   Konzerttermin                                                            ein flinkes Eichhörnchen und eine Schar Nachtvögel schuf. km

     Steven Isserlis und Thomas Adès auf                             Sonntag 4. Oktober 2020 20:00
                                                                     Steven Isserlis Violoncello                                              Konzerttermin
                                                                     Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen                                   Montag, 5. Oktober 2020 20:00
                                                                     Thomas Adès Dirigent
                                                                                                                                              Thomas Adès Klavier
                                                                     Ludwig van Beethoven Ouvertüre. Adagio – Allegro molto con brio
                                                                                                                                              Mitglieder der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen
                                                                     aus: Die Geschöpfe des Prometheus op. 43
                                                                                                                                              Mit Werken von Ludwig van Beethoven, Thomas Adès und
                                                                     Thomas Adès Lieux retrouvés für Violoncello und Klavier
                                                                                                                                              Leoš Janácek
                                                                     Franz Schubert Ouvertüre »im italienischen Stile« C-Dur op. 170 D 591
     Steven Isserlis                                                 Jean Sibelius Stormen (Der Sturm) Suite Nr. 2 op. 109                    Gefördert vom Kuratorium KölnMusik e.V.

16   Das Magazin                                                                                                                                                                                     Das Magazin       17
Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
Klingende
                                                                              Vexierspiele
Martin Grubinger

Schlagzeug                                                                    und feurige
pur                                                                           Funkenschläge
Martin Grubinger & Friends präsentieren                                       Auftragskomposition von Vito Žuraj
ein mitreißendes Programm                                                     trifft Schubert-Rondo und Haydn-Sinfonie
Wie kaum ein anderer hat sich Martin Grubinger in den vergange-               Wenn Vito Žuraj, Preisträger des Claudio-Abbado-Kompositions-
nen Jahren in die Herzen des Publikums getrommelt. Seine Power                preises, komponiert, setzt er sich stets mit der Musikgeschichte
und sein Sinn für Performance sorgen ebenso für die Unwidersteh-              auseinander. Kein Komponist schöpfe aus dem Nichts. Ob in dem
lichkeit des Percussion-Stars wie sein Charme und seine Sensi-                Stück »Schub’rdy G’rdy« für Sopran und Ensemble, in dem er ei-         Marion Ravot
bilität. Das Fundament für die verblüffende Virtuosität, mit der er           nige Schubert-Lieder »durch den Fleischwolf gedreht und wieder
scheinbar Unmögliches meistert, sind seine immer noch ganz ur-                neu zu einem falschen Hasen zusammengesetzt hat«, oder in der
sprüngliche Begeisterung und seine Liebe zur Musik. Grubinger                 Komposition »Übürall«, die sich auf Bernd Alois Zimmermanns
brennt für die Kunst. Mit zwei Freunden – beide Schlagzeugmeis-               »Musique pour les soupers du Roi Ubu« bezieht – Žurajs Werke           anderes übrig, denn nur ein paar dürftige Fakten sind darüber be-
ter gleichen Ranges – präsentiert er eine ganze Palette von atem-             scheinen akustische Verwirrspiele zu sein, die neue Klangwelten        kannt: Schubert, damals gerade 18 Jahre alt, schrieb das Rondo
beraubenden Kompositionen. Neben Klassikern der jüngeren                      erobern, ohne jedoch die Vergangenheit aus den Augen zu ver-           1816 in Wien, also im letzten Jahr seiner Kompositionsstudien bei
Schlagwerk-Literatur finden sich darunter auch eine farbenreiche              lieren. Eine weitere Inspirationsquelle, vor allem in struktureller    Antonio Salieri und zeitnah zu seiner 5. Sinfonie. Die Geige (und
Suite aus der Feder seines Vaters (der selbst ein renommierter                Hinsicht, bietet sein leidenschaftliches Hobby: das Tennisspiel.       auch die Bratsche) war Schuberts Instrument: Als Konzertmeis-
Perkussionist ist), die deutsche Erstaufführung eines neuen Werkes            Es hat ihn zu Werken mit Titeln wie »Changeover« (Seitenwech-          ter im Orchester des Wiener Stadtkonvikts spielte er zu Hause mit
von Johannes Maria Staud sowie das große, atmosphärisch dichte                sel) oder »Runaround« angeregt. Žurajs Vater spielte Gitarre, aber     Freunden und Geschwistern im Streichquartett, später dann in
Konzert »Sieidi« (Heilige Stätte) von Kalevi Aho, eines seiner Lieb-          auch Arthur Rubinsteins Einspielungen der Chopin’schen Polo-           diversen Amateurorchestern. Da Schubert sich überraschender-
lingsschlagzeugkonzerte. km                                                   naisen weckten schon früh seine Begeisterung für Musik. Schon          weise nie an ein umfangreiches Violinkonzerts wagte, haben wir
                                                                              bald verspürte der gebürtige Slowene den Drang, selbst zu kom-         uns mit einem »Koncertstück«, einer »Polonaise« und eben jenem
Konzerttermin                                                                 ponieren. So studierte er bei Marko Mihevc, Lothar Voigtländer,        Rondo zu begnügen. Wann seine Uraufführung stattfand und ob            Konzerttermin
Montag, 19. Oktober 2020 20:00
                                                                              Wolfgang Rihm und Thomas A. Troge und gehört heute zu den              Schubert sie überhaupt erlebt hat, liegt im Dunkeln. Und wie so oft    Sonntag, 11. Oktober 2020 18:00
                                                                              bedeutenden Komponisten der jungen Generation. Prägend für             bei Schuberts Werken sammelte sich einiger Staub auf der Parti-
Martin Grubinger Percussion                                                                                                                                                                                                 Ilya Gringolts Violine
Slavik Stakhor Percussion                                                     ihn wurde die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern, die              tur, bevor diese einundachtzig Jahre nach Fertigstellung publiziert    Marion Ravot Harfe
Richard Putz Percussion                                                       im April 2017 von einem Porträtkonzert in der Elbphilharmonie          wurde. Völlig staubfrei geht es Ilya Gringolts als Solist an. Haydns   Münchener Kammerorchester
Mit Werken von Maki Ishii, Kalevi Aho, Johannes Maria Staud,                  gekrönt wurde. Žurajs Werk »Begehren – zersplittert« für Harfe,        Sinfonie Nr. 59 wiederum hat ihren Beinamen »Feuer-Sinfonie« –         Clemens Schuldt Dirigent
Martin Grubinger sen. und John Psathas
                                                                              Perkussion und Streicher, 2020 im Auftrag der Kölner Philharmo-        wie viele andere hinzugedachte Titel auch – aus einer späteren,        Vito Žuraj Begehren – zersplittert für Harfe solo, Perkussion und Streicher
Nachholtermin für Dienstag, den 07.04.2020 20:00 Uhr                                                                                                                                                                        Kompositionsauftrag der Kölner Philharmonie (KölnMusik) für das »non
Bereits erworbene Karten behalten ihre Gültigkeit.                            nie geschaffen, setzt dem Beethoven-Jahr einen wirkungsvollen          nicht verifizierten Quelle. Auch hat sie nichts mit jenem Schauspiel   bthvn projekt« 2020
Die für 19 Uhr geplante Konzerteinführung findet nicht statt.                 Kontrast entgegen. Die junge Französin Marion Ravot wird den           (»Die Feuersbrunst«) zu tun, das 1774 in Eszterháza aufgeführt wur-    Franz Schubert Rondo für Violine und Streichorchester A-Dur D 438
                                                                                                                                                                                                                            Joseph Haydn Sinfonie A-Dur Hob. I:59 (1768–69?) »Feuer-Sinfonie«
Gefördert vom Kuratorium KölnMusik e.V.                                       Solopart interpretieren. Ihre Leidenschaft für neue Musik führte       de. Feurig ist sie trotzdem, besticht durch ihren impulsiven, drama-
Ein Konzert im Rahmen von BTHVN 2020. Das Beethoven-Jubiläum wird er-         die junge Harfenistin zu Žuraj und seinem Opus.                        tischen Gestus. Haydn arbeitet hier mit so knappen wie konträren
möglicht durch Fördermittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur
und Medien, des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nord-                                                                            Motiven, die teils voneinander abgeleitet und untereinander vari-
rhein-Westfalen, des Rhein-Sieg-Kreises und der Bundesstadt Bonn.             »Zu Schubert«, so der Physiker Albert Einstein, »habe ich nur zu be-   iert sind und vor allem in den Rahmensätzen die Funken schlagen
                                                                              merken: Musizieren, lieben und – Maul halten!« Im Falle des Ron-       lassen. Das Münchener Kammerorchester unter Clemens Schuldt
                                                                              dos für Violine und Streichorchester bleibt einem auch nicht viel      entzündet dieses »Feuer«. Christoph Guddorf

18    Das Magazin                                                                                                                                                                                                                                                                       Das Magazin       19
Schuld und Sühne
                Charly Hübner zelebriert zusammen mit dem Ensemble Resonanz
                      eine Séance zwischen Nick Cave und Franz Schubert

             Franz Schubert verstarb bekanntlich bereits mit 31             Der australische Poet, Songwriter und Sänger Nick
             Jahren. Kurz vor seinem Tod notierte er in sein Ta-            Cave ist ebenfalls kein genuin politischer Künstler.
             gebuch: »Eine Straße muß ich gehen, die noch kei-              Mit seinen Songs versuche er nicht, so erklärte er
             ner ging zurück.« Ein Grabsteinsatz, aufgeladen mit            einmal, »die Welt zu retten«. Doch ginge es ihm, und
             dem Pathos schwarzer Romantik. Der aus ärmlichen               daran erkennt man den rebellischen Romantiker,
             Verhältnissen stammende Komponist litt in seinen               den Cave seit Jahrzehnten mit missionarischer In-
             letzten Lebensjahren an Syphilis, doch seine Schaf-            brunst gibt, »darum, die Seele der Welt zu retten«.
             fenskraft blieb bis zum Schluss vital; ja, er beschleu-        Seine schwarzromantischen Lieder ähneln darin de-
             nigte gar seine Produktion, je schwieriger ihm die             nen Schuberts: In beiden geht es um die existenziel-
             Krankheit die Arbeit machte. Die Auseinanderset-               len Abgründe des Individuums. Aber eben nicht nur.
             zung mit den gesellschaftlichen Missständen sei-               In ihnen liegt mal mehr, mal weniger verborgen die
             ner Zeit blieb ihm dabei ein Thema, das sich immer             Sehnsucht nach der Befreiung des Menschen aus
             wieder mittelbar in seiner Musik niederschlug. Denn            ungerechten Verhältnissen.
             auch wenn die Lebens- und Todesumstände Schu-
             berts ihren Teil zum Verkitschen seines Werks bei-             Wenn Charly Hübner nun die Lieder Caves mit denen
             trugen, verbirgt sich in seiner romantischen Musik             Schuberts zusammenführt und dabei die Geschich-
             auch immer eine gesellschaftskritische Dimension.              te eines zum Tode Verurteilten entstehen lässt, dann
             An die Stelle des Bildes eines selbstzerstörerisch-            geht es um diese ungerechten Verhältnisse. Wenn
             melancholischen, liebestollen Genies, das die bür-             der Todgeweihte auf dem Weg zum »mercy seat«
             gerliche Rezeption gerne von ihm malt, darf und                (dt. Gnadenstuhl; so der Titel eines Songs von Cave)
             sollte man das Bild eines Künstlers stellen, der in            Fragen nach Schuld und Sühne verhandelt, dann
             der Habsburgermonarchie enge Kontakte zu Oppo-                 stellt er auch eine Gesellschaft in Frage, in der mit
             sitionellen pflegte, der selbst sogar unter Verdacht           anonymer Staatsgewalt unmenschliche Urteile ex-
             geriet und bespitzelt wurde. Schubert positionierte            ekutiert werden. An aktueller Brisanz mangelt es
             sich couragiert gegen den Polizeistaat Metternichs,            diesem Stoff, hat man die Welt zum Horizont, wahr-
             ebenso gegen die katholische Kirche und brachte                lich nicht. Dass man Schauspieler Hübner vor allem
             es wohl deswegen auch nie zu einer lukrativen An-              als Rostocker Polizeiruf-Kommissar kennt, gibt dem
             stellung. In den dunklen musikalischen Stimmun-                eher schwer verdaulichen Thema dabei eine gewis-
             gen, die er schuf, lassen sich entsprechend subtile            se ironische Note und sein bewusst ungeschliffe-
             Spitzen gegen die reaktionär-repressive Atmosphä-              ner, mitunter Brecht’sche Verfremdung zitierender
             re im k.u.k. Wien finden. Doch ist die »Winterreise«           Vortrag wird dafür sorgen, dass keine rührselige
             kein »Wintermärchen« und die darin vertonten Tex-              Betroffenheitsstimmung aufkommt. Mit hochkaräti-
             te Wilhelm Müllers bleiben vieldeutig – auch wenn              gen Jazzmusikern und dem renommierten Ensem-
             man letzteren mitunter als Vorläufer Heines würdigt.           ble Resonanz entsteht so ein Abend, der leichtfüßig
                                                                            schwermütige Gedanken bewegt und dabei ganz
                                             Konzerttermin                  nebenbei die zu Unrecht verkitschte Romantik
                                          Freitag, 9. Oktober 2020, 20:00   wieder auf ihre gesellschaftskritischen Füße stellt.
                                                Charly Hübner Stimme        Bastian Tebarth
                                                 Kalle Kalima E-Gitarre
                                                Carlos Bica Kontrabass
                                         Max Andrzejewski Schlagzeug
                                         Sebastian Schottke Klangregie
                                                   Ensemble Resonanz
                          mercy seat – winterreise (Eine Séance zwischen
                                          Nick Cave und Franz Schubert.
                                        Bearbeitung: Tobias Schwencke)                                                              Charly Hübner

20   Das Magazin
Neue Blumen
            Konzerttermin
     Donnerstag, 15. Oktober 2020 20:00
 Lionel Loueke plays Herbie Hancock
                      Lionel Loueke git

                                          Lionel Loueke spielt Herbie Hancock

                                          Im Jazz sind Revolutionäre rar geworden.     Zeit verhalf er dem modalen Jazz an der       setzung des Vokabulars seines Mentors
                                          Tabubrüche oder radikale Richtungs-          Seite von Miles Davis zum Durchbruch. Ab      spielt es keine Rolle, in welcher Periode
                                          wechsel sind kaum mehr vorstellbar. Im-      1968 zählte er zu den Pionieren des Elec-     die Vorlagen entstanden sind oder ob sie
                                          merhin gibt es noch einige Künstler, die     tric Jazz, und sein damals sträflich unter-   aus heutiger Sicht zu den traditionelleren,
                                          der Palette des Jazz neue Farben beizu-      bewertetes Album »Sextant« nahm 1973          avantgardistischeren oder groovigeren
                                          steuern verstehen. Zu ihnen gehört der       bereits den Techno vorweg. Wenig später       Songs des Langzeit-Innovators gehören.
                                          amerikanische Gitarrist Lionel Loueke.       war er mit dem Funk seiner Headhunters        Auch vom Bekanntheitsgrad der Origina-
                                          Mit seinem unaufdringlichen, westafri-       ein Mitbegründer des Fusion Sounds. In        le lässt sich Loueke auf seinem neuen So-
                                          kanisch angehauchten Fusion-Bop setzt        den 1980er Jahren öffnete Hancock sich        loalbum »HH« nicht beeindrucken. Einige
                                          der 1973 in Benin geborene Musiker dem       als einer der ersten Jazzmusiker über-        Nummern genießen den Status von Klas-
                                          seit einem Jahrhundert den Jazz über-        haupt dem HipHop. Sein von Bill Laswell       sikern, andere sind nahezu unbekannt,
                                          spannenden Dualismus von Tradition           produzierter Song »Rockit« schlug nicht       aber jeder Song spricht für sich selbst.
                                          und Avantgarde einen heiteren Individu-      nur in den Pop-Charts ein, sondern avan-
                                          alismus entgegen. Nach Stationen in der      cierte zur Hymne der Breakdance-Szene.        Lionel Loueke interpretiert Hancock nicht
                                          Elfenbeinküste und Frankreich führte ihn     Hancock ist ein musikalisches Chamäle-        einfach, kraft seiner künstlerischen Integ-
                                          sein Weg 1999 nach Boston und später an      on, das seiner jeweiligen Zeit stets eine     rität erfindet er ihn auf sechs Saiten und
                                          die University of Southern California, wo    Albumlänge voraus war. Selbst mit 80          gelegentlich mit seiner Stimme buch-
                                          sein späterer Förderer Herbie Hancock        Jahren gewinnt er seinen Standards wie        stäblich neu. Das erfordert Mut und Ein-
                                          auf ihn aufmerksam wurde. Sein eben-         »Watermelon Man«, »Cantaloup Island«          fühlungsvermögen. Aber Hancock selbst
                                          so originäres wie flexibles Idiom machte     oder »Maiden Voyage« improvisatorisch         hat’s vorgemacht. Loueke handelt ganz
                                          ihn im Handumdrehen zum gefragten Si-        wie auch klanggestalterisch immer noch        im Sinne seines Meisters, denn bei allem
                                          deman. Er nahm nicht nur Alben höchst        neue Facetten ab.                             Respekt vor dem Chamäleon trägt der Gi-
                                          unterschiedlicher Couleur auf, sondern                                                     tarrist seine eigene Farbenpracht auf und
                                          bereicherte mit seiner Klangfarbenpo-        Dass Lionel Loueke sich mit seinem neu-       lässt in Herbie Hancocks Garten neue
                                          esie auch Arbeiten von Jazzgrößen wie        en Programm auf den Kosmos Herbie             Blumen voll wunderbarer Exotik erblü-
                                          Terence Blanchard oder Charlie Haden.        Hancocks verlegt, ist in mehr als nur ei-     hen. Wolf Kampmann

                                          Das Magazin Jazztimes attestierte ihm,       ner Hinsicht folgerichtig. Seit anderthalb
                                          er mache aus einer einzigen Gitarre ein      Jahrzehnten findet man den Gitarristen
                                          »Afro-Western Orchestra«.                    an der Seite des Keyboarders, der sich
                                                                                       seinerseits mit lobenden Worten für Lou-
                                          Herbie Hancock gehört zu den Musikern,       eke nicht zurückhält. Da sich der Saiten-
                                          die den Jazz mehr als nur einmal revoluti-   zauberer keiner eindeutigen Stilistik oder
                                          oniert haben. In den 1960er Jahren sorgte    Schule des Jazz verpflichtet fühlt, kann er
                                          er mit risikofreudigen Improvisationen für   sich Hancocks Gesamtwerk völlig unvor-
                                          frischen Wind bei Blue Note, zur selben      eingenommen nähern. Bei seiner Über-

22     Das Magazin                                                                                                                                                Das Magazin      23
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