Teodor Currentzis - Kölner Philharmonie
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Teodor Currentzis Das Gastspiel mit dem Stardirigenten, dem Mahler Chamber Orchestra und der Mezzosopranistin Marianne Crebassa bringt in Hochstimmung Legenden des Jazz Brad Mehldau, Duo Aki Takase/Daniel Erdmann und Lionel Loueke Nick Cave und Franz Schubert? Charly Hübner beschwört ihre musikalischen Welten herauf NR. 3 OKTOBER 2020
KOLUMB A Editorial MĂCELARU DIRIGIERT Liebe Besucherinnen und Besucher, liebe Freundinnen und Freunde der BRUCH Das kleine Kölner Philharmonie, schon seit über vier Wochen läuft der Spiel Konzertbetrieb wieder. Darüber sind wir FR 2. Oktober 2020 zwischen dem alle überglücklich. Das Erlebnis eines Live- Konzerts berührt so elementar, dass es aus Kölner Philharmonie Ich dem Leben nicht wegzudenken ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir alle aus dem und dem 20.00 Uhr Krisenmodus heraus- und in der Normalität angekommen sind. Im Alltag wie in der Kölner Mir Philharmonie heißt es bis auf Weiteres, flexibel zu bleiben. Grażyna Bacewicz Bei allen Unwägbarkeiten wird die künstlerische Linie im Blick behalten. Auch in der Max Bruch Spielzeit 2020/21 setzen wir die Reihe „Beethoven unerhört“ fort mit Kompositionen, die Igor Strawinsky Kunst und Choreografie sich auf Beethovens Konversationshefte beziehen. Diese neuen Werke u. a. von Vito Žuraj, Johannes Maria Staud und Saed Haddad werden im Oktober in der Kölner Philharmonie uraufgeführt. Dem Jubilar wird so auf unterschiedlichste Weise gehuldigt. Hervorzuheben WDR Sinfonieorchester Eine Kooperation von ist in diesem Kontext auch das Projekt der Gruppe Novoflot aus Berlin, das sich in einer Cristian Măcelaru Leitung Kolumba und tanz.köln Performance mit den Fragmenten von Beethovens 10. Sinfonie beschäftigt. 14.9.2020 – 16.8.2021 Die Konzerte sind komprimierter und das Konzertprogramm wird an die neue Realität angepasst. Es lebt auch im Oktober von den Gegensätzen. Wir können den grandiosen Dirigenten Teodor Currentzis begrüßen, der mit der gefeierten Mozart-Interpretin Marianne Crebassa zu erleben ist. Der Pianist Tobias Koch gibt gemeinsam mit dem jungen Original- klang-Ensemble [oh!] orkiestra historyczna sein Debüt. Den Schauspieler Charly Hübner können Sie statt als Kommissar als Interpret u. a. von Nick Cave’s düsteren Chansons kennenlernen. Der Gitarrist Lionel Loueke widmet Herbie Hancock einen ganzen Abend. Mozarts Geige steht im Mittelpunkt des Konzerts mit Les Musiciens du Louvre und dem Violinisten Christoph Koncz. Thomas Adès ist eine Dreifachbegabung. Erst ist er als Diri gent seiner Komposition »Lieux retrouvés« (Stätten der Erinnerung) mit dem Cellisten Steven Isserlis zu erleben und am folgenden Tag als Solist seiner Komposition für Klavier und Kammerensemble. Wir sind überzeugt, Ihnen wieder ein attraktives Programm zu bieten. Natürlich bleiben wir im Austausch mit dem Publikum, haben ein offenes Ohr und werden im Laufe des Monats das Hygienekonzept so nachjustieren, dass bei Neubuchungen im Saal bei KölnMusik- Konzerten das Schachbrett-Prinzip gilt. Wahrscheinlich befinden wir uns nicht nur in diesen Zeiten, sondern lebenslang in einem Stadium des Experimentierens. Ihr Heinz Breloh Der Bildhauer Harald Kreutzberg 1995 Kunstmuseum des Louwrens Langevoort Erzbistums Köln Intendant Kolumbastraße 4 www.kolumba.de Das Magazin 3
Zentrum für Prävention und Rehabilitation (PUR) OKTOBER 2020 Marion Ravot am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach Ferrenbergstraße 24 | 51465 Bergisch Gladbach ® Tel.: 02202 / 122-7300 | pur@evk-gesund.de Zentrum für Sport und Medizin (ZSM) am Evangelischen Klinikum Köln Weyertal Weyertal 76 | 50931 Köln Tel.: 0221 / 479-2299 | zsm@evk-gesund.de kurse - seminare - vorträge Fitness & Prävention Rehasport Entspannung & Stressbewältigung Schwangerschaft & Geburt Kinder & junge Familien die kurse entsprechen der Coronarschutzverordnung Teodor Currentzis evk- 06 Wider die Routine Teodor Currentzis dirigiert das Mahler Chamber Orchestra gesund.de 8 Sängerin mit Charakter Marianne Crebassa 9 Fütterung der Raubtiere 18 Klingende Vexierspiele und feurige Funkenschläge Die Liebe des Pianisten Tobias Koch zu alten Instrumenten Auftragskomposition von Vito Žuraj trifft Schubert und Haydn Bleiben Sie gesund – Werden Sie fit. 10 Miteinander auf Augenhöhe 20 Schuld und Sühne Aki Takase & Daniel Erdmann Charly Hübner mit dem Ensemble Resonanz 12 Fantastik und Feuer Daniel Müller-Schott und das Symphonieorchester des BR Musik ist Lionel Loueke ansteckend … … leider auch das Coronavirus Um wieder ein Live-Konzerterlebnis in der Kölner Philharmonie zu er- möglichen, haben wir ein auf den Saal abgestimmtes und genehmigtes Hygienekonzept aufgelegt: Wenn die sitzplatzgenaue Rückverfolgung durch Konzertveranstalter gewährleistet ist, können unsere Gäste auch ohne einen Mindestabstand von anderthalb Metern im Saal platziert werden. Neubuchungen für die KölnMusik-Konzerte erfolgen ab sofort nach dem Schachbrettprinzip, so dass ein Sitzplatz links und rechts neben Ihnen frei bleibt. 22 Neue Blumen Bitte halten Sie beim Einlass und auf allen Wegen im Haus den Min- Lionel Loueke spielt Herbie Hancock destabstand von 1,5 Metern zu anderen Gästen ein. Bitte tragen Sie Brad Mehldau 24 Mozarts Geige zum Schutze aller eine Mund-Nasen-Maske. Der Einlass in die Kölner Christoph Koncz und Les Musiciens du Louvre mit Mozart Philharmonie beginnt 45 Minuten vor Konzertbeginn. Alle Konzerte 14 Brad Mehldau 26 Musik für den Tanzboden finden vorerst ohne Pause statt und sind zunächst auf eine Dauer von Vom Küchentisch auf die Bühne Ein romantischer Liederabend mit Florian Boesch und Franui unter 90 Minuten angelegt. Gute Durchlüftung vermeidet Infektionen. 15 Indie Meets Chamber Meets »Beet« 28 Rising Stars – die Stars von morgen Deshalb wird die Klimaanlage mit Frischluft-Zufuhr in der Kölner Phil- Schlagzeuger Greg Saunier trifft auf st a rgaze Die Saxophonistin Jess Gillam harmonie in vollem Einsatz sein. Bitte bleiben Sie nach dem Konzert 16 Prometheus von gestern und heute 28 Wir sind so frei #3 – Die 10. Sinfonie solange auf Ihrem Platz, bis Sie aus dem Saal geführt werden. Das ge- Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit Isserlis und Adès Für Ludwig van Beethoven von Novoflot schieht Reihe für Reihe. 17 Kaleidoskopartig verspielte Höllenfahrt 29 Jede Kunst ist ein eigenes Leben Wir tun alles, damit Sie sich in dieser Zeit in der Kölner Philharmo- Komponist Thomas Adès ist Solist seines »Concerto Conciso« Das Ensemble Musikfabrik spielt Haddad, Hirsch und Czernowin nie wohlfühlen. Wir informieren Sie beim Kartenkauf und auf der 18 Schlagzeug pur 30 Infos zum Kartenkauf – Impressum – Bildnachweis Homepage der Kölner Philharmonie unter koelner-philharmonie.de/ Martin Grubinger & Friends mit mitreißendem Programm Kontaktdaten und Sitzplan besucherregistrierung. (Stand: 7. September) km
Herausragende NEUHEITEN bei Sony Classical Wider die Routine Das Leben von Teodor Currentzis ist bewegt, da bleibt kaum Gele- genheit zum Atemschöpfen. Geboren in Griechenland, Violinstu- dium in Athen, Ambitionen als Schauspieler, Dirigierstudium am jonaskaufmann.com Staatlichen Konservatorium St. Petersburg. 2004 erste Festanstel- lung als Chefdirigent: am Opernhaus in Nowosibirsk, wo im Winter die Temperaturen auf unter minus 40 Grad fallen können. Mit Ext- Teodor Currentzis dirigiert remen hat Teodor Currentzis keine Probleme. Er gründete sein ei- das Mahler Chamber Orchestra genes Orchester Musica Aeterna und war bald weltweit ungemein gefragt. Doch er hielt Sibirien noch lange die Treue, als Musikdi- Jonas Kaufmann Selige Stunde rektor der Oper in Perm, der östlichsten Millionenstadt Europas. Jonas Kaufmann hat mit seinem langjährigen Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, wie der Bremer Musikfest- Klavierbegleiter Helmut Deutsch ein sehr persönliches Preis, der Kairos-Preis der Alfred Toepfer Stiftung und acht Mal die Lied-Album aufgenommen - mit romantischen Liedern Goldene Maske, der bedeutendste russische Theaterpreis, pflas- von Beethoven, Schumann, Brahms u.a. tern seinen Weg. Seit 2018 ist Teodor Currentzis Chefdirigent des SWR Symphonie- orchesters. Seine Winter sind wärmer geworden, sein Wille, den Dingen auf den Grund zu gehen, ist ungebrochen. Currentzis ver- langt von sich selbst sehr viel und gehört zu den Menschen, die regulamuehlemann.com mit wenig Schlaf auskommen. Idealerweise sollten das auch sei- ne Musiker können. »Ich verlange von meinen Musikern, dass sie noch dreimal verrückter sind als ich«, sagt der hochgewachsene Grieche lachend. Was Teodor Currentzis zu bieten hat, bedeutet Vollblutmusikern sehr viel: hochenergetisches Musizieren, akribi- sches und detailversessenes Arbeiten an kompromisslosen Inter- pretationen, die emotional packend sind, eine enorme dynamische Regula Mühlemann Mozart Arias II Bandbreite aufweisen und niemals routiniert klingen. »Bei uns sind Für ihr erstes Mozart-Album erhielt Regula Mühlemann die Musiker keine Fabrikarbeiter. Musik ist für uns eine Mission und begeistertes Lob der Kritik. Jetzt präsentiert sie mit dem Kammerorchester Basel unter Umberto Benedetti kein simpler Beruf«, sagt Currentzis. »Es ist wie ein sonderbarer Michelangeli weitere Arien aus Die Zauberflöte, Traum, in dem man Kontinente und Dimensionen wechselt.« Lucio Silla, Zaide, Idomeneo u.a. Das Wechseln von Kontinenten sind die Musiker des Mahler Chamber Orchestra gewohnt, sie stammen aus 20 verschiedenen Ländern und geben als freies Kollektiv etwa 60 bis 70 Konzerte im Jahr, auf allen fünf Kontinenten. Was geschieht, wenn Teodor Currentzis, der Mann des Augenblicks, und dieses spielfreudige Ensemble zusammentreffen und sich gemeinsam in die Details der Interpretation stürzen, ist hochspannend – ein Geben und Nehmen für beide Seiten. Currentzis bringt die Erfahrung der historischen Aufführungspraxis mit, die bei ihm ebenso bei klassischer wie zeit- igor-levit.de Konzerttermin genössischer Musik zum Einsatz kommt. Etwa bei der ausdrucks- Sonntag, 18. Oktober 2020 20:00 vollen Musik des serbischen Komponisten Marko Nikodijevic oder Marianne Crebassa Mezzosopran bei Luciano Berios Folk Songs, Musik von entwaffnender Klarheit Mahler Chamber Orchestra Igor Levit Encounter und Schönheit. Die junge französische Mezzosopranistin Marianne Teodor Currentzis Dirigent Encounter bedeutet „Begegnung“ und entstand Crebassa leiht diesen kostbaren Songs ihre faszinierende Stimme. Mit Werken von Marko Nikodijevic während des Corona-Lockdowns aus den „Hauskonzerten“ und Luciano Berio u.a. Was ist für Teodor Currentzis ein gelungenes Konzert? Der eigen- von Igor Levit. Mit berührenden Chorälen von Bach willige Grieche zögert nicht mit der Antwort: »Erfolg heißt für mich: und Brahms in der Klavierfassung von Busoni. Ich fülle die Stille, die man mir für 100 Minuten schenkt, mit einer Lehrstunde, wie man in die Tiefen des Herzens taucht.« SONYCLASSICAL.DE Teodor Currentzis Dorle Ellmers 6 Das Magazin
Sängerin mit Die Liebe des Pianisten Tobias Koch zu alten Instrumenten Charakter Fütterung Marianne Crebassa der Raubtiere Schon das Cover bezaubert: In weißem Her- nenpanzer«, so die Kritik. Den klassischen auf alten Schallplatten oder in Anthologien Er hat ein rheinisches Gemüt, heiter, in gewisser Hinsicht unerschüt- ihn und die rasche Erkenntnis, »dass es überhaupt nicht funktioniert, renhemd und schwarzer Fliege präsentiert Gesang habe sie als Teenager merkwürdig entdeckt, teils hatten sie ihm auch Freunde terlich, auch im Katastrophenfall noch für einen augenzwinkernden wenn man auf einem modernen Flügel versucht, das Spiel historisch sich Marianne Crebassa, kapriziös und mit und künstlich empfunden, erinnert sich die vorgesungen. Rhythmisch und harmonisch Schlenker gut. Tobias Koch ist Pianist. Dass sein Name nicht an groß- anzugleichen«. So hat Tobias Koch sich seinen Weg zur Kunst ge- spitzbübischem Blick. Dazu passt das Motto heute 33-Jährige, die zu jener Zeit in einer bearbeitet, »in gewissem Sinn also neu kom- mediale Vermarktung gekoppelt ist, lässt ihn eher kalt. Umso leiden- bahnt: »Für mich sind das Suchen, das Spielen und Entdecken die »Oh, Boy!« des Debütalbums, das eine Aus- Rockband Hits coverte und auch in Jazzclubs poniert«, so der musikalische Abenteurer und schaftlicher, umso nachhaltiger stößt er in Nischen vor, für die sich eigentliche Aufgabe, nicht das Abliefern, das in Stein Meißeln, das wahl aus Hosenrollen-Arien versammelt und auftrat. Damals lernte sie Bühnenpräsenz; mit Grenzgänger selbst über seine Adaptionen, am ehesten Kenner, echte Liebhaber interessieren. Deren Tendenz ist Hochglanzpolieren«, hat er einmal in einem Interview zugegeben. Die bei seinem Erscheinen 2017 prompt einen Stimmentwicklung und -umfang (mittlerwei- spiegeln sie die multikulturelle Gesellschaft, steigend. Koch macht um die großen schwarzen Konzertflügel heuti- Experimente mit dem Klang, mit den Möglichkeiten von Klang sind für anerkennenden Ausruf provozierte: »Junge, le bis zum hohen C) wuchs auch Marianne der sich Berio und seine Frau Cathy Berberian ger Bauart meist einen großen Bogen. Dafür kennt er sich mit anderen Koch die reinste Inspiration. Suchen und Finden bezeichnen lediglich Junge!«, so war ein Porträt über die junge Crebassas Interesse an der großen Ausdruck- zugehörig fühlten. Denn ihr, einer der größ- Namen aus: Kisting, Klems, Streicher, Érard, Pleyel, Tröndlin – Firmen, einen Weg, nicht die Aussicht auf Endgültigkeit. Eine Auffassung, die Französin betitelt, die ihre stimmlichen Quali- spalette in Oper und Konzert. Sie studierte ten Interpretinnen neuer Musik, hat er die elf die im 19. Jahrhundert Klaviere gebaut haben, alle anders im Klang, Koch mit Jakob Lehmann und dem Ensemble [oh!] orkiestra history- täten auf dieser ersten, mit dem Echo Klassik Gesang, Klavier und Musikwissenschaft in Volksweisen quasi auf den Leib geschrieben. alle mit einem individuellen Farbspektrum. Koch gerät ins Schwär- czna teilt. geadelten Solo-CD so hinreißend gebündelt Montpellier. Und wurde über Nacht zum Star, Cathy Berberian gelang es denn auch, jedem men, wenn er von Holzmaserungen, von Palisander-Tönungen spricht, Es ist immer wieder die Faszination für das Unentdeckte, für das Ab- hatte. »Ein Debüt, das durch enorme stimm- als sie bei den Salzburger Festspielen 2017 Folk Song eine unterschiedliche Stimme zu wenn er den Goldton von Messingsaiten beschreibt, wenn er das Prin- seitige, die man bei Koch erkennen kann, verbunden mit der Notwen- liche Beweglichkeit, ein breites Farbspekt- mit Teodor Currentzis als Dirigent als Sesto in verleihen. An dieser legendären Vokalartistin zip der Dämpfung erklärt und jedes Pedal ein bisschen anders geartet digkeit, hin und wieder auch einen Schritt zurückzugehen. Etwa bei rum, Intensität und Frische einnimmt«, urteilte der Oper »La Clemenza di Tito« das Publikum musste sich später jede neue Interpretin mes- ist. der Frage nach dem idealen Tempo. Auch da können unterschiedliche die Kritik. Dieser Eindruck vertiefte sich noch mit ihrer Ausdruckskraft begeisterte. sen lassen. Marianne Crebassa wird die Her- Wenn man Tobias Koch bittet, über diese Instrumente, ihre Reize, ihre Instrumente unterschiedliche Resultate hervorrufen. Seinen rheini- in Crebassas folgendem Soloalbum »Sec- Doch ihr lyrischer Mezzo mit einer Glut, die ausforderung, sich die populären Songs um Möglichkeiten zu erzählen, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Er ist schen Humor hat er sich natürlich bewahrt: »Die Leute stehen manch- rets«, das Preziosen des französischen Im- an die große Brigitte Fassbaender erinnert, Liebe, Trauer, Tanz und Freude anzueignen, ein Klangforscher, ein Suchender – und: ein Pianist im umfassenden mal ums Klavier herum, beobachten teilweise wie bei der Fütterung pressionismus in geheimnisvollen Nuancen klingt nicht nur authentisch in den Mozart- gewiss mit Vergnügen annehmen. Zumal ihr Sinne. Ob Clavichord, Cembalo, Orphica – eine tragbare Hammerkla- der Raubtiere im Zoologischen Garten, wenn ein Klavierbauer oder schimmern ließ. Und sehr eigenwillig mit Partien, die einen Großteil ihres Repertoires mit dem Mahler Chamber Orchestra ein Spit- vier-Variante –, ob Hammer-, Pedal- oder Tangentenflügel: Koch weiß Klavierstimmer etwas repariert. Aber das gehört zu diesem wunder- der Ballade »Gezi Park 3« endete, einer Kla- ausmachen. Auch im Barock oder der zeit- zenensemble zur Seite steht. um die Tücken und Vorteile all dieser Instrumente und ihrer Stamm- baren Spektakel eines Konzertes ja dazu.« Christoph Vratz ge ohne Worte und politische Botschaft ihres genössischen Musik, etwa in der Oper »Char- Annette Schroeder baum-Verästelungen. Entsprechend ist seine Arbeit nicht allein auf Klavierbegleiters Fazil Say. Mit diesem Album lotte Salomon« von Marc-André Dalbavie, das Studieren von Noten und Exerzitien am Instrument begrenzt, er habe sie ein Zeichen setzen wollen, sagt die hat Crebassa Erfolge gefeiert, wie auch 2020 will wissen, wie Restauratoren arbeiten, wie sich Klavierbauer einer Konzerttermin Sängerin, die nach eigenem Bekunden viel in Salzburg als lebenslustige Dorabella. Und längst vergangenen Ära nähern und wie man diese Instrumente heute Sonntag, 4. Oktober 2020 16:00 nachdenkt über den »Mut zur Differenz«, über nun präsentiert sie die »Folk Songs« von Lu- Konzerttermin am besten konserviert. Tobias Koch Klavier Sonntag, 18. Oktober 2020 20:00 Ruhe, Stille und die eigene Position im Mu- ciano Berio, abermals unter der Leitung von Geboren in Kempen, ausgebildet in Düsseldorf, Wien, Zürich, inspi- [oh!] orkiestra historyczna Marianne Crebassa Mezzosopran Jakob Lehmann Dirigent sikbetrieb. keinem Geringeren als Teodor Currentzis in riert von Lehrmeistern wie Jos van Immerseel und Malcolm Bilson hat Mahler Chamber Orchestra Mit Werken von Stanislaw Moniuszko, Ferdinand Hiller und Kein Zweifel, die Mezzosopranistin, geboren der Kölner Philharmonie. Die Volksweisen aus Teodor Currentzis Dirigent Tobias Koch früh erkannt, was ihn lockt: »Mich haben der Klang und Felix Mendelssohn Bartholdy im südfranzösischen Béziers, ist eine Sän- Armenien und Amerika, aus der Provence, Si- Mit Werken von Marko Nikodijevic das unterschiedliche Spielgefühl mehr interessiert als die Instrumen- KölnMusik GmbH gemeinsam mit gerin mit Charakter, aber »ohne Primadon- zilien oder Sardinien hatte der Italiener 1964 und Luciano Berio u.a. te selbst.« Fragen der historischen Aufführungspraxis beschäftigten zamus – Zentrum für Alte Musik / KGAM e.V. 8 Das Magazin Das Magazin 9
Miteinander auf Augenhöhe Aki Takase & Daniel Erdmann Wenn die Beziehung zwischen einem Lehrer und sei- Dass Takase und Erdmann das oftmals als intim be- nem Schüler stimmt und funktioniert, dann ist es oft- schriebene Duo-Format für sich gewählt haben, kommt mals mehr als nur die reine Wissensvermittlung oder nicht von ungefähr. Der Saxophonist ist längst zu einer das Beibringen handwerklicher Fertigkeiten. Dann lie- weithin vernehmbaren Stimme im Jazz und der impro- fert der Lehrer erst den geschützten Raum, in dem sich visierten Musik geworden, der zumeist in kleinen Be- sein Schüler entfalten und entwickeln kann, in dem setzungen auch auf seinen politischen Anspruch als sich forschen und experimentieren lässt und Probleme Künstler verweist – wie zum Beispiel mit dem paneu- und Thesen offen diskutiert werden; ein Labor im bes- ropäischen Trio Das Kapital. Takase wiederum war in ten Sinne also, in dem der Schüler all das ausprobieren ihrer langen Karriere oft als Duopartnerin zu hören – mit kann, was er für seinen späteren Lebensweg braucht: ihrem Ehemann, dem Pianisten Alexander von Schlip- den sprichwörtlichen aufrechten Gang beispielsweise penbach ebenso wie mit der Berliner Saxophonistin ebenso wie das Stellen der »richtigen« Fragen. Silke Eberhard, dem französischen Klarinettisten Louis Sclavis oder dem amerikanischen Saxophonisten Vor 25 Jahren studierte der 1973 in Wolfsburg geborene David Murray. Daniel Erdmann an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« in Berlin Tenorsaxophon. Seinen Instrumental- Das Duo ist für Takase und Erdmann also die Beset- unterricht bekam er von Gebhard Ullmann, der ihm all zung ihrer Wahl. Es liefert ihnen die Plattform, auf der die instrumentaltechnischen Fertigkeiten beibrachte, sie sich im wahrsten Wortsinn austauschen, um im anti- die er brauchte, um sich später als freischaffender Jazz- zipierenden Prozess des kommunikativen Miteinanders musiker auf der »freien Wildbahn« bemerkbar zu ma- neue Ideen entwickeln, aber auch wieder verwerfen zu chen und durchsetzen zu können. Aber Erdmann hatte können. Im Duo gestalten sie den Raum, in dem sich der auch eine Weile lang Unterricht bei Aki Takase. Es war Gegensatz aus Be- und Entgrenzung gleichermaßen die 1948 im japanischen Osaka geborene Pianistin, die manifestiert wie aufgehoben wird. Die Beschränkung dem damals jungen Tenorsaxophonisten den Weg zur durch die Form ermöglicht erst die Freiheit im Ausleben Quelle seiner Kreativität zeigte – dort, wo tief im Innern des musikalischen Diskurses. der Seele der Fluss entspringt, der mit aller Kraft an die Oberfläche sprudelt und sich fortan als reißender Strom Dafür haben sie jeder für sich ihr eigenes Vokabular seinen Weg bahnt. entwickelt, das zur Grundlage wird für den improvisa- torischen Austausch über das musikalische Material. Gleich nach dem Ende seines Studiums in Berlin hol- Und beide haben von den Leistungen der Altvor- te ihn Takase in ihr damaliges Sextett. Doch Erdmanns deren im Jazz gelernt: Aller harmonischer, me- Lebensweg hatte anderes vor mit dem Saxophonisten. lodischer und rhythmischer Komplexität zum Im Jahr 2000 zog er nach Paris, später übersiedelte er Trotz besitzt ihre improvisierte Kammermusik nach Reims. Zwar hatte er weiterhin einen Koffer in Ber- stets auch etwas Fleischig-Bauchiges und lin, doch zu einer neuen Kooperation mit der 25 Jahre Rohes, Archaisches und Expressives. Und älteren Pianistin kam es lange Zeit nicht mehr (obwohl auch das ist wichtig: Das Gefälle von vor die beiden weiterhin in Kontakt blieben). Erst ein zufälli- 25 Jahren, als Takase Lehrerin von ges Treffen am Flughafen vor drei Jahren war dann der Erdmann war, ist einem Miteinan- Konzerttermin Startschuss für Takase und Erdmann, wieder zusam- der auf Augenhöhe gewichen. Donnerstag, 8. Oktober 2020 20 Uhr menzuarbeiten – erst in Takases aktuellem Quintett Ja- Martin Laurentius Daniel Erdmann ts panic und nun auch im Duo. Aki Takase p 10 Das Magazin Das Magazin 11
Konzerttermin Samstag, 17. Oktober 2020 20:00 Daniel Müller-Schott Violoncello Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Andrew Manze Dirigent Robert Schumann Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129 Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21 Eine Pause gibt es nicht. Was pandemie- Werks jedoch wurde anfangs leider noch bliert. In der Idylle des langsamen Satzes bedingt für die Philharmonie-Programme verkannt. Der vorgesehene Solist Robert dann harmoniefremde Akkorde und typisch der nächsten Zeit gilt, das wandte Robert Emil Bockmühl verlangte zahlreiche Ände- Beethoven’sche Sforzati, im Menuett eine Schumann im Kleinen und aus rein musika- rungen, auf die sich Schumann verständli- stürmisch vorwärtsdrängende Bewegung, lischen Erwägungen auf sein Cellokonzert cherweise nicht einlassen mochte. So kam die eher an ein Scherzo denken lässt, und an. Dieses hat zwar die üblichen drei Sät- es zu seinen Lebzeiten zu keiner Auffüh- im Finale eine pathetische Adagio-Einlei- ze in der Abfolge schnell-langsam-schnell, rung oder Publikation des Konzerts. Heute tung, die sich durch das folgende muntere doch sie gehen ohne Unterbrechung in- dagegen ist es der Traum jedes Cellisten. Allegro-Thema als musikalischer Witz er- einander über. Was ist damit gewonnen? weist. Beethovens Sinfonie-Erstling gefiel Vor allem wohl der Eindruck eines großen In Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 1 jedenfalls, und das obwohl die von ihm en- Bogens und einer poetischen Einheit über gibt es die üblichen Satzpausen. Die Erste gagierten Orchestermusiker offenbar ganz alle Stimmungswechsel hinweg. Den ers- ist jedoch der Tradition besonders eng ver- erbärmlich spielten. »Im zweiten Teil der ten Satz prägen ganz die für Schumann so bunden, und das schlug sich in den positi- Sinfonie«, so heißt es in der oben zitierten typischen Umbrüche zwischen lyrischem ven Kritiken nach der Uraufführung im Jahr Kritik, »wurden sie sogar so bequem, dass Gesang und dunklen, abgründigen, auch 1800 nieder. »Sehr viel Kunst, Neuheit und allen Taktierens ungeachtet kein Feuer kämpferischen oder verzweifelten Cha- Reichtum an Ideen«, bescheinigte die Leip- mehr besonders in das Spiel der Blasinst- rakteren – so versteht ihn zumindest Da- ziger »Allgemeine Musikalische Zeitung« rumente zu bringen war.« Das Symphonie- niel Müller-Schott, der Solist des Abends. dem Stück, ohne dabei den gewöhnlichen orchester des Bayerischen Rundfunks wird Dann folgt mit dem kurzen zweiten Satz Vorwurf des Bizarren und gesucht Neu- seine Sache unter der kundigen Leitung eine Idylle, vielleicht eine Liebeserklärung, en zu erheben. Auch beim konservativen des früheren Originalklang-Spezialisten und mit dem Finale ein insgesamt eher rus- Wiener Publikum kam die Sinfonie an – si- Andrew Manze zweifellos besser machen ... tikaler, fröhlicher Ausklang. Einige Stellen cher nicht zuletzt, weil sie sich in Umfang, Jürgen Ostmann darin klingen jedoch so skurril, dass frü- Besetzung und formaler Anlage noch an he Kommentatoren sie, sicher zu Unrecht, die anerkannten Vorbilder Haydn und Mo- Fantastik mit Schumanns geistiger Verwirrtheit am zart hielt. Motivbildung und harmonische Ende seines Lebens in Verbindung brach- Strukturen könnten sogar direkt durch Mo- ten. Verklammert ist all das durch mehrfach zarts »Jupiter-Sinfonie« beeinflusst worden wieder aufgegriffene Themen und Erinne- sein. Einige Details mussten Kennern aber rungsmotive. Sie und natürlich die fehlen- dennoch Kopfzerbrechen bereiten. So zum den Satzpausen lassen das Cellokonzert Beispiel der Beginn des ersten Satzes, der letztlich wie eine einzige große, durchkom- die Haupttonart C-Dur erst nach mancher- ponierte Fantasie wirken. Diese Qualität des lei Dissonanzen und Trugschlüssen eta- und Mondschein mit Mondstein Feuer Ring von ANGELA HÜBEL Cellist Daniel Müller-Schott und das ® Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Di - Fr 10.00 - 18.00 Uhr Daniel Müller-Schott Sa 10.00 - 16.00 Uhr 12 Das Magazin
Indie Meets Brad Chamber Meets »Beet« Mehldau Vom Küchentisch auf die Bühne Schlagzeuger Greg Saunier trifft auf stargaze Aus der Verbindung dürfte Explosives entstehen, denn hier treffen ein junges Kammerensemble, das sich selbst lieber als Band versteht, ein komponierender Drummer, der klanglich eine Eruption an seinem In- strument ist, und einer der klassischsten Komponisten überhaupt aufeinander. Die Rede ist vom Ensemble stargaze aus Berlin, dem Konzerttermin amerikanischen Schlagzeuger Greg Saunier, den man von seiner Band Samstag, 24. Oktober 2020 20:00 Deerhoof kennen dürfte – und Ludwig van Beethoven. Brad Mehldau solo Brad Mehldau p 2013 aus einer Gruppe von Musikenthusiasten geboren hat sich das be- André de Ridder rührungsangstfreie Ensemble stargaze innerhalb weniger Jahre hier- zulande und international zu einer der besonders offenen Institutionen entwickelt. Weder Komponisten wie Steve Reich oder Terry Riley noch Wie kaum ein anderer Kulturzweig braucht der Jazz große Namen, um Derzeit herrscht jedoch Funkstille. Keine Tourneen und Auftritte. Nicht Elektro-Soundtüftlern oder experimentellen Rockbands gilt alleinige rockigen Gitarrenexperimenten, dem Gesang und Sauniers intellektuel- nicht in Vergessenheit zu geraten. Es wäre interessant zu ergründen, nur für den wohl meistbeschäftigten Klavierspieler des Jazz ein hartes Aufmerksamkeit – dazu ist das Musikgeschehen ja auch viel zu bunt. lem Überbau, sondern auch und gerade seinem überschäumenden, oft warum diese Aufgabe in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend Los. Als sich im März die Konzertsäle schlossen, musste Mehldau seine Diese Offenheit hat zu reizvollen Projekten geführt. Auf Popfestivals und gerne schier Purzelbäume schlagen wollenden, kraftvollen Schlag- in den Händen von Pianisten lag. Herbie Hancock, Bill Evans, Oscar Pe- Aktivitäten jäh abbrechen. Er zog sich in die Nähe von Amsterdam zu- ist die Gruppe ebenso gern gesehen wie in klassischen Konzertsälen zeugspiel. Wie auch immer, fehlendes Abenteuerreichtum mag man terson oder Esbjörn Svensson schienen zu ihrer Zeit fast im Alleingang rück, wo seine Familie lebt. Wie so viele anderen Menschen, die in diese oder bei den ehrwürdigen »BBC Proms« in der Londoner Royal Albert der Sache getreu dem selbstgewählten Motto »Keep it boxy and harsh!« die Fahne des Genres hochzuhalten. Nach dem krankheitsbedingten Art eines erweiterten Hausarrests gerieten, scheint ihm die Erfahrung Hall. Dort durfte sie 2016 höchst eindrucksvoll eine gerade verstorbene jedenfalls kaum unterstellen. Rückzug Keith Jarretts rückt nun ein anderer in den Mittelpunkt des öf- zuweilen neu und manchmal bedrohlich, aber auch mit angenehmen Legende ehren: David Bowie. Wie passend. Seit 2014 organisiert das fentlichen Interesses: Brad Mehldau. Aspekten verbunden. Wie meist im Leben des amerikanischen Pianis- Ensemble ein eigenes Festival in der Bundeshauptstadt oder trägt bei Die beiden Gruppen sind sich also alles andere als fremd, und 2019 Seine Musik ist die eines gleichermaßen neugierigen wie anspruchs- ten erfährt man dergleichen nicht über Interviews, sondern in Form sei- Hollywood-Blockbustern wie »The Revenant« (2015) zum Soundtrack veröffentlichte das Ensemble bei Saunier angefragte Kompositionen/ vollen Künstlers, der erstmals Mitte der 1990er Jahre an der Seite des nes aktuellen Soloalbums, das den Titel »April 2020« trägt. bei. Der Ensemblename ist Programm: »Yes, we stargaze. In Berlin, Co- Bearbeitungen für die individuellen Bandmitglieder vor der Folie von Saxophonisten Joshua Redman Bekanntheit erlangte. Seither folgten Mithilfe einer zwölfteiligen Suite, in welcher Brad Mehldau Stimmun- logne, London, Amsterdam, Sydney and wherever people love to listen. Fugazis epochalem Hardcore-Album »In on the Kill Taker« (1993). Jetzt die verschiedensten künstlerischen Exkurse, die der 50-Jährige aus gen, Emotionen und Momente festhielt, lässt sich sein innerer Rückzug It’s a journey, take the train!«, heißt es bei den Musikern. Das Album bringt man mit »Beet128 – stargaze« gemeinsam ein anderes besonde- Jacksonville/Florida mit Persönlichkeiten und Ensembles aus der klas- und der gleichzeitige Drang nach Reisen, nach Kontakt zu Menschen, »Deerhoof Chamber Variations« erschien 2015: Darauf spielen die Inst- res Werk auf die Bühne: Es geht um Beethovens (frühe) Sinfonien, und sischen Musik wie Anne Sofie von Otter oder dem Orpheus Chamber zum Publikum, nach Freiheit in jeder Note nachempfinden. Seine Ein- rumentalisten spezielle Songbearbeitungen der amerikanischen Indie- zwar gleich mehrere davon. Zündstoff und Sternenstaub dürfte dieses Orchestra genauso wie mit großen Namen des Jazz wie Pat Metheny, drücke aus der Zeit des maximalen Lockdowns verstehen sich jedoch Noise-Rock-Pop-Band Deerhoof, und damit taucht Schlagzeuger Greg Aufeinandertreffen also ohne jeden Zweifel enthalten. Charlie Haden oder Wayne Shorter unternahm. Mehldau begleitete mitnichten als programmatische Musik. Es sind eher kleine, hübsche, Saunier als Komponist in den Weiten des stargaze -Universums auf. Ingo Baron Stummfilme, definierte die Kunst des Pianotrios mit dem Kontrabas- bescheidene Kompositionen, die dem Alltäglichen mit jeder Menge sisten Larry Grenadier und dem Schlagzeuger Jeff Ballard durch sei- Fantasie, manchmal auch mit dem Instrument des Slapsticks, einen Die Geschichte von Deerhoof beginnt ihrerseits 1994 in San Francisco: Konzerttermin ne CD-Reihe »The Art Of The Trio« völlig neu und lotete seine eigenen völlig neuen Anstrich verleihen. Seine Titel lauten »Waiting«, »Stepping Der klassisch ausgebildete Schlagzeuger Saunier und ein befreundeter Mittwoch, 7. Oktober 2020 20:00 Grenzen in Abenteuern mit dem Mandolinisten Chris Thile, großen Or- Out«, »Keeping Distance«, »In The Kitchen« oder »Remembering All Bassist gründen eine Band – eine Band, die ihrerseits keine Grenzen Beet128 - stargaze chestern oder Exkursen durch Bachs »Wohltemperiertes Klavier« aus. This«. Richtig groß erscheinen die Stücke jedoch erst, wenn er seine zwischen Pop, Rock und Noise kennt. Irgendwann kommt eine jun- Greg Saunier Drums Kein anderer Künstler offenbart sich so sehr über seine Musik. Doch persönlichen Standards offenbart – »Don’t Let It Bring You Down« von ge japanische Sängerin mit einer, sagen wir mal, etwas individuellen sta rga ze ein Wort scheint all diese Projekte zu verbinden: Exzellenz. Für einen Neil Young, den Broadway-Schlager »Look For Silver Lining« oder das Gesangsstimme dazu, und der Charakter von Deerhoof ist geboren. André de Ridder Leitung wie Mehldau bedeutete dies freilich nie, sich von seiner Zielgruppe zu berührende, von Heimweh getränkte »New York State Of Mind« aus der Man schreibt gemeinsam Songs, die irgendwo zwischen süßlich-ver- entfernen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Gemessen an Besucherzahlen Feder Billy Joels. So viel Sehnsucht, so viel Wärme in den Akkorden spieltem Radiopop und brutalem, hakenschlagartig serviertem Rock- seiner Konzerte darf man ihn mit Fug und Recht als eine der rar ge- kann nur im häuslichen Umfeld in der holländischen Tiefebene, an je- Sound-Experiment angesiedelt sind. Das macht Eindruck und hält sich wordenen Lichtgestalten der Szene bezeichnen, die heute ein Publikum nem hölzernen Tisch, der auf dem Cover des Albums abgebildet ist und in treuer Fangemeinde. Über die Jahre zieht auch Elektronik verstärkt erreicht, das sich keineswegs mehr ausschließlich auf Jazz-Liebhaber auf dem ein Strauß Feldblumen und ein Kaffeebecher ohne Henkel ste- ins Deerhoof-Haus ein. Das aktuelle Album, »Future Teenage Cave Ar- beschränkt. hen, keimen. Reinhard Köchl tists«, ist gerade erschienen. Geprägt wird das Ganze nicht allein von 14 Das Magazin Das Magazin 15
Wenn man Musiker nach ihren Vorbildern fragt, nennen sie üblicher- weise andere, große Musiker: Geiger werden Heifetz oder Oistrach erwähnen, Pianisten wahlweise Horowitz oder Rubinstein. Das Vor- bild des britischen Cellisten russischer Abstammung, Steven Isserlis, ist allerdings – ein Verrückter. Er hieß Harpo Marx, war das jüngste Mitglied der Komikertruppe The Marx Brothers, seine Rolle bestand darin, dass er eine Wischmopp-Frisur trug, hobbymäßig Harfe spiel- te und stumm die Welt auf den Kopf stellte. Das heißt, woran Steven Isserlis sich orientiert, ist weniger der Wohlklang des Vorbildes, als dessen Humor: Alle Interpretationen des Cellisten lassen, wo möglich, immer auch einen Schalk aufblitzen. Er ist zugleich der poetischste und der witzigste Interpret großer Musik; er findet üb- licherweise in jedem Werk neue Facetten, aber er schlägt sie dem Publikum danach nicht um die Ohren, wie andere Stars seines Alters es gerne tun, sondern integriert sie spielerisch in seine Werk- sichten. Er kommt mit einem seiner Leib-und-Magen-Ensembles, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, unter der Leitung sei- nes Freundes, des Komponisten Thomas Adès. Und die begin- nen, im Beethovenjahr, mit weithin unbekannter Musik dieses Thomas Adès Heroen: Auszüge aus dem Ballett »Die Geschöpfe des Prometheus«. Dank eines eher konventionellen Librettos – vom primo uomo Sal- Kaleidoskopartig vatore Viganò – führte dieses Ballett zeitweise ein Schattenda- sein, obwohl es nach der Uraufführung 29 Mal gegeben wurde, für damals ein Riesenerfolg. Am populärsten ist nach wie vor die Ouvertüre: Sie taucht immer mal wieder in Sinfoniekonzerten auf, ein verspielte »gewichtiges« Beethoven-Programm abrundend. In »Die Geschöpfe des Prometheus« nämlich versucht der Titan, »gefällig« zu sein. Na- türlich gelingt ihm das nicht; seine Musik hat all den Zauber dessen, Höllenfahrt der Großes schrieb und hier auf seine exzentrische Art Moden der Zeit Prometheus nachahmt. Adès und die Kammerphilharmonie spielen die Ouvertüre. Als »klassische« Konzerteinlagen gibt man Schuberts Ouvertüre »im italienischen Stile« C-Dur und die sechste Sinfonie von Sibelius. Der Komponist Thomas Adès ist Solist Der 1971 in London geborene Thomas Adès ist Pianist, Dirigent, Komponist und einer der ältesten Freunde von Steven Isserlis. seines »Concerto Conciso« »Lieux retrouvés« (Stätten der Erinnerung), ein Triptychon für von gestern Violoncello und Klavier, entstand für den Freund und ist diesem Thomas Adès ist nicht nur einer der gefragtesten Komponisten der Ge- auch gewidmet. Adès untersucht darin den Kontrast zwischen genwart, er ist auch ein begnadeter Pianist. Als Klaviervirtuose betritt er freier Natur und »gebundenem« Stadtleben, als das Preziöse, gemeinsam mit ausgewählten Solistinnen und Solisten der Deutschen Getüftelte lehnt sich der zeitgenössische Tonsetzer an den Barock- Kammerphilharmonie Bremen das Podium der Kölner Philharmonie, komponisten Couperin an, der wie kein Zweiter »urbanes« Leben um drei Meisterwerke von besonderer musikalischer Intimität aufzu- verkörperte. Die Sprache der Natur ist eine avancierte, ganz und gar führen. Im Zentrum steht dabei sein eigenes »Concerto Conciso«. Es und heute zeitbezogene. Adès fungierte als Gewinner zahlreicher nobler Preise, erweist sich als kaleidoskopartig verspielte Höllenfahrt, die schließlich im Laufe seiner bisherigen Karriere wurden ihm zahlreiche honorige auf unheimlichen meditativen Grund läuft. Das so glasklare wie kom- Posten zugesprochen. Sogar vor dem Schwierigsten zuckte er nicht plexe Werk wird eingerahmt von Ludwig van Beethovens nahezu mo- zurück: Drei Opern gehen auf sein Konto, darunter eine nach dem zartischem Quintett für Bläser und Klavier (das einen Bogen zwischen wohl komplexesten Sujet, das es für ein Bühnenwerk geben kann, Grübelei und Glückseligkeit spannt) und dem außergewöhnlichen »The Tempest«, Der Sturm, Shakespeares am meisten verrätseltes »Concertino« von Leoš Janáček: Filigran und zauberhaft entwickelt sich Drama. Thomas Rübenacker dieser »kleine musikalische Scherz«, in welchem der Komponist die Natur in Töne goss und musikalische Szenen für einen zaudernden Igel, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen tritt mit den Freunden Konzerttermin ein flinkes Eichhörnchen und eine Schar Nachtvögel schuf. km Steven Isserlis und Thomas Adès auf Sonntag 4. Oktober 2020 20:00 Steven Isserlis Violoncello Konzerttermin Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Montag, 5. Oktober 2020 20:00 Thomas Adès Dirigent Thomas Adès Klavier Ludwig van Beethoven Ouvertüre. Adagio – Allegro molto con brio Mitglieder der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen aus: Die Geschöpfe des Prometheus op. 43 Mit Werken von Ludwig van Beethoven, Thomas Adès und Thomas Adès Lieux retrouvés für Violoncello und Klavier Leoš Janácek Franz Schubert Ouvertüre »im italienischen Stile« C-Dur op. 170 D 591 Steven Isserlis Jean Sibelius Stormen (Der Sturm) Suite Nr. 2 op. 109 Gefördert vom Kuratorium KölnMusik e.V. 16 Das Magazin Das Magazin 17
Klingende Vexierspiele Martin Grubinger Schlagzeug und feurige pur Funkenschläge Martin Grubinger & Friends präsentieren Auftragskomposition von Vito Žuraj ein mitreißendes Programm trifft Schubert-Rondo und Haydn-Sinfonie Wie kaum ein anderer hat sich Martin Grubinger in den vergange- Wenn Vito Žuraj, Preisträger des Claudio-Abbado-Kompositions- nen Jahren in die Herzen des Publikums getrommelt. Seine Power preises, komponiert, setzt er sich stets mit der Musikgeschichte und sein Sinn für Performance sorgen ebenso für die Unwidersteh- auseinander. Kein Komponist schöpfe aus dem Nichts. Ob in dem lichkeit des Percussion-Stars wie sein Charme und seine Sensi- Stück »Schub’rdy G’rdy« für Sopran und Ensemble, in dem er ei- Marion Ravot bilität. Das Fundament für die verblüffende Virtuosität, mit der er nige Schubert-Lieder »durch den Fleischwolf gedreht und wieder scheinbar Unmögliches meistert, sind seine immer noch ganz ur- neu zu einem falschen Hasen zusammengesetzt hat«, oder in der sprüngliche Begeisterung und seine Liebe zur Musik. Grubinger Komposition »Übürall«, die sich auf Bernd Alois Zimmermanns brennt für die Kunst. Mit zwei Freunden – beide Schlagzeugmeis- »Musique pour les soupers du Roi Ubu« bezieht – Žurajs Werke anderes übrig, denn nur ein paar dürftige Fakten sind darüber be- ter gleichen Ranges – präsentiert er eine ganze Palette von atem- scheinen akustische Verwirrspiele zu sein, die neue Klangwelten kannt: Schubert, damals gerade 18 Jahre alt, schrieb das Rondo beraubenden Kompositionen. Neben Klassikern der jüngeren erobern, ohne jedoch die Vergangenheit aus den Augen zu ver- 1816 in Wien, also im letzten Jahr seiner Kompositionsstudien bei Schlagwerk-Literatur finden sich darunter auch eine farbenreiche lieren. Eine weitere Inspirationsquelle, vor allem in struktureller Antonio Salieri und zeitnah zu seiner 5. Sinfonie. Die Geige (und Suite aus der Feder seines Vaters (der selbst ein renommierter Hinsicht, bietet sein leidenschaftliches Hobby: das Tennisspiel. auch die Bratsche) war Schuberts Instrument: Als Konzertmeis- Perkussionist ist), die deutsche Erstaufführung eines neuen Werkes Es hat ihn zu Werken mit Titeln wie »Changeover« (Seitenwech- ter im Orchester des Wiener Stadtkonvikts spielte er zu Hause mit von Johannes Maria Staud sowie das große, atmosphärisch dichte sel) oder »Runaround« angeregt. Žurajs Vater spielte Gitarre, aber Freunden und Geschwistern im Streichquartett, später dann in Konzert »Sieidi« (Heilige Stätte) von Kalevi Aho, eines seiner Lieb- auch Arthur Rubinsteins Einspielungen der Chopin’schen Polo- diversen Amateurorchestern. Da Schubert sich überraschender- lingsschlagzeugkonzerte. km naisen weckten schon früh seine Begeisterung für Musik. Schon weise nie an ein umfangreiches Violinkonzerts wagte, haben wir bald verspürte der gebürtige Slowene den Drang, selbst zu kom- uns mit einem »Koncertstück«, einer »Polonaise« und eben jenem Konzerttermin ponieren. So studierte er bei Marko Mihevc, Lothar Voigtländer, Rondo zu begnügen. Wann seine Uraufführung stattfand und ob Konzerttermin Montag, 19. Oktober 2020 20:00 Wolfgang Rihm und Thomas A. Troge und gehört heute zu den Schubert sie überhaupt erlebt hat, liegt im Dunkeln. Und wie so oft Sonntag, 11. Oktober 2020 18:00 bedeutenden Komponisten der jungen Generation. Prägend für bei Schuberts Werken sammelte sich einiger Staub auf der Parti- Martin Grubinger Percussion Ilya Gringolts Violine Slavik Stakhor Percussion ihn wurde die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern, die tur, bevor diese einundachtzig Jahre nach Fertigstellung publiziert Marion Ravot Harfe Richard Putz Percussion im April 2017 von einem Porträtkonzert in der Elbphilharmonie wurde. Völlig staubfrei geht es Ilya Gringolts als Solist an. Haydns Münchener Kammerorchester Mit Werken von Maki Ishii, Kalevi Aho, Johannes Maria Staud, gekrönt wurde. Žurajs Werk »Begehren – zersplittert« für Harfe, Sinfonie Nr. 59 wiederum hat ihren Beinamen »Feuer-Sinfonie« – Clemens Schuldt Dirigent Martin Grubinger sen. und John Psathas Perkussion und Streicher, 2020 im Auftrag der Kölner Philharmo- wie viele andere hinzugedachte Titel auch – aus einer späteren, Vito Žuraj Begehren – zersplittert für Harfe solo, Perkussion und Streicher Nachholtermin für Dienstag, den 07.04.2020 20:00 Uhr Kompositionsauftrag der Kölner Philharmonie (KölnMusik) für das »non Bereits erworbene Karten behalten ihre Gültigkeit. nie geschaffen, setzt dem Beethoven-Jahr einen wirkungsvollen nicht verifizierten Quelle. Auch hat sie nichts mit jenem Schauspiel bthvn projekt« 2020 Die für 19 Uhr geplante Konzerteinführung findet nicht statt. Kontrast entgegen. Die junge Französin Marion Ravot wird den (»Die Feuersbrunst«) zu tun, das 1774 in Eszterháza aufgeführt wur- Franz Schubert Rondo für Violine und Streichorchester A-Dur D 438 Joseph Haydn Sinfonie A-Dur Hob. I:59 (1768–69?) »Feuer-Sinfonie« Gefördert vom Kuratorium KölnMusik e.V. Solopart interpretieren. Ihre Leidenschaft für neue Musik führte de. Feurig ist sie trotzdem, besticht durch ihren impulsiven, drama- Ein Konzert im Rahmen von BTHVN 2020. Das Beethoven-Jubiläum wird er- die junge Harfenistin zu Žuraj und seinem Opus. tischen Gestus. Haydn arbeitet hier mit so knappen wie konträren möglicht durch Fördermittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nord- Motiven, die teils voneinander abgeleitet und untereinander vari- rhein-Westfalen, des Rhein-Sieg-Kreises und der Bundesstadt Bonn. »Zu Schubert«, so der Physiker Albert Einstein, »habe ich nur zu be- iert sind und vor allem in den Rahmensätzen die Funken schlagen merken: Musizieren, lieben und – Maul halten!« Im Falle des Ron- lassen. Das Münchener Kammerorchester unter Clemens Schuldt dos für Violine und Streichorchester bleibt einem auch nicht viel entzündet dieses »Feuer«. Christoph Guddorf 18 Das Magazin Das Magazin 19
Schuld und Sühne Charly Hübner zelebriert zusammen mit dem Ensemble Resonanz eine Séance zwischen Nick Cave und Franz Schubert Franz Schubert verstarb bekanntlich bereits mit 31 Der australische Poet, Songwriter und Sänger Nick Jahren. Kurz vor seinem Tod notierte er in sein Ta- Cave ist ebenfalls kein genuin politischer Künstler. gebuch: »Eine Straße muß ich gehen, die noch kei- Mit seinen Songs versuche er nicht, so erklärte er ner ging zurück.« Ein Grabsteinsatz, aufgeladen mit einmal, »die Welt zu retten«. Doch ginge es ihm, und dem Pathos schwarzer Romantik. Der aus ärmlichen daran erkennt man den rebellischen Romantiker, Verhältnissen stammende Komponist litt in seinen den Cave seit Jahrzehnten mit missionarischer In- letzten Lebensjahren an Syphilis, doch seine Schaf- brunst gibt, »darum, die Seele der Welt zu retten«. fenskraft blieb bis zum Schluss vital; ja, er beschleu- Seine schwarzromantischen Lieder ähneln darin de- nigte gar seine Produktion, je schwieriger ihm die nen Schuberts: In beiden geht es um die existenziel- Krankheit die Arbeit machte. Die Auseinanderset- len Abgründe des Individuums. Aber eben nicht nur. zung mit den gesellschaftlichen Missständen sei- In ihnen liegt mal mehr, mal weniger verborgen die ner Zeit blieb ihm dabei ein Thema, das sich immer Sehnsucht nach der Befreiung des Menschen aus wieder mittelbar in seiner Musik niederschlug. Denn ungerechten Verhältnissen. auch wenn die Lebens- und Todesumstände Schu- berts ihren Teil zum Verkitschen seines Werks bei- Wenn Charly Hübner nun die Lieder Caves mit denen trugen, verbirgt sich in seiner romantischen Musik Schuberts zusammenführt und dabei die Geschich- auch immer eine gesellschaftskritische Dimension. te eines zum Tode Verurteilten entstehen lässt, dann An die Stelle des Bildes eines selbstzerstörerisch- geht es um diese ungerechten Verhältnisse. Wenn melancholischen, liebestollen Genies, das die bür- der Todgeweihte auf dem Weg zum »mercy seat« gerliche Rezeption gerne von ihm malt, darf und (dt. Gnadenstuhl; so der Titel eines Songs von Cave) sollte man das Bild eines Künstlers stellen, der in Fragen nach Schuld und Sühne verhandelt, dann der Habsburgermonarchie enge Kontakte zu Oppo- stellt er auch eine Gesellschaft in Frage, in der mit sitionellen pflegte, der selbst sogar unter Verdacht anonymer Staatsgewalt unmenschliche Urteile ex- geriet und bespitzelt wurde. Schubert positionierte ekutiert werden. An aktueller Brisanz mangelt es sich couragiert gegen den Polizeistaat Metternichs, diesem Stoff, hat man die Welt zum Horizont, wahr- ebenso gegen die katholische Kirche und brachte lich nicht. Dass man Schauspieler Hübner vor allem es wohl deswegen auch nie zu einer lukrativen An- als Rostocker Polizeiruf-Kommissar kennt, gibt dem stellung. In den dunklen musikalischen Stimmun- eher schwer verdaulichen Thema dabei eine gewis- gen, die er schuf, lassen sich entsprechend subtile se ironische Note und sein bewusst ungeschliffe- Spitzen gegen die reaktionär-repressive Atmosphä- ner, mitunter Brecht’sche Verfremdung zitierender re im k.u.k. Wien finden. Doch ist die »Winterreise« Vortrag wird dafür sorgen, dass keine rührselige kein »Wintermärchen« und die darin vertonten Tex- Betroffenheitsstimmung aufkommt. Mit hochkaräti- te Wilhelm Müllers bleiben vieldeutig – auch wenn gen Jazzmusikern und dem renommierten Ensem- man letzteren mitunter als Vorläufer Heines würdigt. ble Resonanz entsteht so ein Abend, der leichtfüßig schwermütige Gedanken bewegt und dabei ganz Konzerttermin nebenbei die zu Unrecht verkitschte Romantik Freitag, 9. Oktober 2020, 20:00 wieder auf ihre gesellschaftskritischen Füße stellt. Charly Hübner Stimme Bastian Tebarth Kalle Kalima E-Gitarre Carlos Bica Kontrabass Max Andrzejewski Schlagzeug Sebastian Schottke Klangregie Ensemble Resonanz mercy seat – winterreise (Eine Séance zwischen Nick Cave und Franz Schubert. Bearbeitung: Tobias Schwencke) Charly Hübner 20 Das Magazin
Neue Blumen Konzerttermin Donnerstag, 15. Oktober 2020 20:00 Lionel Loueke plays Herbie Hancock Lionel Loueke git Lionel Loueke spielt Herbie Hancock Im Jazz sind Revolutionäre rar geworden. Zeit verhalf er dem modalen Jazz an der setzung des Vokabulars seines Mentors Tabubrüche oder radikale Richtungs- Seite von Miles Davis zum Durchbruch. Ab spielt es keine Rolle, in welcher Periode wechsel sind kaum mehr vorstellbar. Im- 1968 zählte er zu den Pionieren des Elec- die Vorlagen entstanden sind oder ob sie merhin gibt es noch einige Künstler, die tric Jazz, und sein damals sträflich unter- aus heutiger Sicht zu den traditionelleren, der Palette des Jazz neue Farben beizu- bewertetes Album »Sextant« nahm 1973 avantgardistischeren oder groovigeren steuern verstehen. Zu ihnen gehört der bereits den Techno vorweg. Wenig später Songs des Langzeit-Innovators gehören. amerikanische Gitarrist Lionel Loueke. war er mit dem Funk seiner Headhunters Auch vom Bekanntheitsgrad der Origina- Mit seinem unaufdringlichen, westafri- ein Mitbegründer des Fusion Sounds. In le lässt sich Loueke auf seinem neuen So- kanisch angehauchten Fusion-Bop setzt den 1980er Jahren öffnete Hancock sich loalbum »HH« nicht beeindrucken. Einige der 1973 in Benin geborene Musiker dem als einer der ersten Jazzmusiker über- Nummern genießen den Status von Klas- seit einem Jahrhundert den Jazz über- haupt dem HipHop. Sein von Bill Laswell sikern, andere sind nahezu unbekannt, spannenden Dualismus von Tradition produzierter Song »Rockit« schlug nicht aber jeder Song spricht für sich selbst. und Avantgarde einen heiteren Individu- nur in den Pop-Charts ein, sondern avan- alismus entgegen. Nach Stationen in der cierte zur Hymne der Breakdance-Szene. Lionel Loueke interpretiert Hancock nicht Elfenbeinküste und Frankreich führte ihn Hancock ist ein musikalisches Chamäle- einfach, kraft seiner künstlerischen Integ- sein Weg 1999 nach Boston und später an on, das seiner jeweiligen Zeit stets eine rität erfindet er ihn auf sechs Saiten und die University of Southern California, wo Albumlänge voraus war. Selbst mit 80 gelegentlich mit seiner Stimme buch- sein späterer Förderer Herbie Hancock Jahren gewinnt er seinen Standards wie stäblich neu. Das erfordert Mut und Ein- auf ihn aufmerksam wurde. Sein eben- »Watermelon Man«, »Cantaloup Island« fühlungsvermögen. Aber Hancock selbst so originäres wie flexibles Idiom machte oder »Maiden Voyage« improvisatorisch hat’s vorgemacht. Loueke handelt ganz ihn im Handumdrehen zum gefragten Si- wie auch klanggestalterisch immer noch im Sinne seines Meisters, denn bei allem deman. Er nahm nicht nur Alben höchst neue Facetten ab. Respekt vor dem Chamäleon trägt der Gi- unterschiedlicher Couleur auf, sondern tarrist seine eigene Farbenpracht auf und bereicherte mit seiner Klangfarbenpo- Dass Lionel Loueke sich mit seinem neu- lässt in Herbie Hancocks Garten neue esie auch Arbeiten von Jazzgrößen wie en Programm auf den Kosmos Herbie Blumen voll wunderbarer Exotik erblü- Terence Blanchard oder Charlie Haden. Hancocks verlegt, ist in mehr als nur ei- hen. Wolf Kampmann Das Magazin Jazztimes attestierte ihm, ner Hinsicht folgerichtig. Seit anderthalb er mache aus einer einzigen Gitarre ein Jahrzehnten findet man den Gitarristen »Afro-Western Orchestra«. an der Seite des Keyboarders, der sich seinerseits mit lobenden Worten für Lou- Herbie Hancock gehört zu den Musikern, eke nicht zurückhält. Da sich der Saiten- die den Jazz mehr als nur einmal revoluti- zauberer keiner eindeutigen Stilistik oder oniert haben. In den 1960er Jahren sorgte Schule des Jazz verpflichtet fühlt, kann er er mit risikofreudigen Improvisationen für sich Hancocks Gesamtwerk völlig unvor- frischen Wind bei Blue Note, zur selben eingenommen nähern. Bei seiner Über- 22 Das Magazin Das Magazin 23
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