Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023

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Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
position // februar 2023
Umwelt und ­Klima schützen –
­Wohnraum schaffen –
 Lebensqualität verbessern
Empfehlungen von UBA und KNBau für einen
nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau
Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
Impressum

Herausgeber:
Umweltbundesamt
Fachgebiet I 2.5 und III 1.4
Postfach 14 06
06813 Dessau-Roßlau
Tel: +49 340-2103-0
buergerservice@uba.de
Internet: www.umweltbundesamt.de

   /umweltbundesamt.de
   /umweltbundesamt
   /umweltbundesamt
   /umweltbundesamt

 Autor*innen:
 UBA: Susanne Schubert, Stephan Bartke, Katja Becken,
 Maresa Breitmeier, Frank Brozowski, Sarah DeTroy, ­Detlef
 Grimski, Outi Ilvonen, Hermann Keßler, Dirk Messner,
 ­Valentin Meilinger, Ulrike von Schlippenbach, Alice
­Schröder, Jens Schuberth

KNBau: Annette Hillebrandt, Matthias Lerm,
Thomas Lützkendorf, Christa Reicher

Unter Mitwirkung weiterer Kolleg*innen des
­Umweltbundesamts und Mitgliedern der KNBau

Satz und Layout:
Atelier Hauer + Dörfler GmbH

Publikationen als pdf:
www.umweltbundesamt.de/publikationen

Bildquellen:
Titel: finecki/AdobeStock
S. 6: Mariola Anna S/shutterstock.com
S. 11, 12, 13: Annette Hillebrandt
S. 16, 20, 25, 28: Matthias Lerm
S. 22: shutterstock.com
S. 24: Mo Photography Berlin/shutterstock.com

Stand: Februar 2023

ISSN 2363-8273
Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
position // februar 2023
Umwelt und ­Klima schützen –
­Wohnraum schaffen –
 Lebensqualität verbessern
Empfehlungen von UBA und KNBau für einen
nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau
Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,
Wir stehen vor einer gewaltigen Herausforde-           (vgl. Kap. 2.1) oder flexible Grundrisse bei Um- und
rung: Die Klimakrise und die Ressourcenknapp-          Neubau, um eine lange Nutzung zu ermöglichen (vgl.
heit erfordern einen konsequenten Paradigmen-          Kap. 4.1).
wechsel im Wohnungs- und Städtebau. Es gilt,
Lebensqualität, Gesundheit und Ästhetik mit Um-        Andere Maßnahmen und Instrumente sind schwie-
welt-, Ressourcen- und Klimaschutz zusammenzu-         riger umzusetzen oder die konkreten Lösungen und
denken. Wohnraumschaffung muss zukünftig nach-         Umsetzungswege sind noch offen (sogenannte „dicke
haltiger werden. Die Ziele des Green Deals der EU      Bretter“). Beispiele sind der Einsatz alternativer bio-
und die ambitionierten nationalen und europäi-         gener Baustoffe (vgl. Kap. 2.2.), die Erreichung einer
schen Klimaschutzziele können ohne eine Verän-         Flächenkreislaufwirtschaft (vgl. Kap. 2.5) oder die
derung im Bausektor nicht erreicht werden.             Vorschläge, den Trend der zunehmenden Wohnfläche
                                                       pro Kopf zu stoppen (vgl. Kap. 3.4). Insbesondere auf
Zugleich muss Wohnen bezahlbar sein. Wohnraum-         die Frage, welche angemessenen und umsetz­baren
schaffung sollte gesellschaftlichen Zusammenhalt       Lösungen es für das umwelt-, klima- und ressour-
fördern und durch die Gestaltung nachhaltiger urba-    cenpolitisch problematische Wohnflächenwachstum
ner Räume gute Lebens- und Umweltqualität schaf-       gibt, müssen Politik und Forschung schnell nachhal-
fen. Hierfür bedarf es städtebaulicher, technischer,   tige Antworten finden.
umwelt- und gesellschaftspolitischer Antworten.
                                                       Es gibt zahlreiche Maßnahmen und Instrumente,
Diese sozial-ökologische Transformation urbaner        bei denen wir bereits einen politischen und gesell-
Räume braucht nicht nur politischen Willen, son-       schaftlichen Konsens haben, der die Umsetzung
dern auch ein schnelles und radikales Umdenken         von Lösungen vereinfacht. Gute Beispiele sind die
in entscheidenden Handlungsfeldern des nachhalti-      Bereitstellung besserer Planungsgrundlagen für eine
gen Bauens, insbesondere beim Einsatz von Baustof-     klimasensible Stadtentwicklung (vgl. Kap. 2.4) und
fen, in der Wärmeversorgung und im Städtebau.          die verstärkte Forschung zu den Möglichkeiten nach-
Der Erhalt, die Weiterentwicklung, der Umbau und       haltiger Wohnraumschaffung, die zugleich ressour-
die Umnutzung des vorhandenen Gebäudebestan-           censchonend und angepasst an die Anforderungen
des müssen Priorität bekommen, um die hohen Ener-      des Klimawandels ist (vgl. Kap. 4.4).
gie- und Stoffströme sowie zusätzliche Flächeninan-
spruchnahme durch Neubau zu vermeiden.                 Aber: Es gibt auch Kontroversen, bei denen nicht
                                                       alle Akteurinnen und Akteure einen gemeinsamen
Mit diesem Positionspapier legt das Umweltbun-         Lösungs- und Umsetzungsweg teilen. Beispiele sind
desamt gemeinsam mit der Kommission Nach-              die Einführung einer Solaranlagenpflicht bei allen
haltiges Bauen (KNBau) am Umweltbundesamt              Wohngebäuden an geeigneten Standorten (vgl. Kap.
Empfehlungen zur umwelt-, klima- und ressour-          2.1) und die Schaffung eines besseren Marktzugangs
censchonenden, gleichzeitig klimaangepassten,          für Sekundärbaustoffe durch eine Primärbaustoff-
gesundheits- und sozialverträglichen Schaffung         steuer (vgl. Kap. 2.2). Hier müssen wir noch stärker in
bezahlbaren Wohnraums vor. Adressat der Emp-           den Austausch gehen, um deutlich zu machen, wo die
fehlungen ist in erster Linie die Bundespolitik, vor   Vorteile für Umwelt- und Klimaschutz liegen. Und wir
allem die Ressorts Bau- und Stadtentwicklung, Um-      brauchen gute, praxistaugliche Umsetzungswege und
welt, Klimaschutz, Verkehr und Gesundheit.             Transformationsallianzen zur Umsetzung.

Die Vorschläge zeigen das Spektrum an Handlungs-       Mit Blick auf die Stellschrauben des dringend not-
möglichkeiten auf. Es finden sich dabei Maßnahmen      wendigen Wandels stellen wir fest (vgl. Kap. 4): Für
und Instrumente, die einfach umsetzbar sind und        eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformati-
entsprechend zügig angegangen werden könnten           on brauchen wir einen viel stärkeren Fokus auf den
(­sogenannte “Low-Hanging Fruits”). Beispiele hier-    Gebäudebestand. Wohnraumschaffung und Bauen
für sind ein ambitionierter Klimaschutz im Neubau      muss vorrangig klima- und ressourcenschonender

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Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
Vorwort

Bestandsumbau sein. Hierbei müssen Bauweisen                Eine andere Ebene sind Zielkonflikte, die durch Maß-
mit zirkulären Ansätzen sowie klima- und ressour-           nahmen und Instrumente an der Schnittstelle von
censchonende Baumaterialien an Bedeutung gewin-             Umwelt-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik beein-
nen. Am klimafreundlichsten ist der Wohnraum,               flusst werden. Hierzu gehört beispielsweise die Frage,
der nicht neu gebaut werden muss.                           wie wir die Innenverdichtung forcieren können,
                                                            um Flächen zu sparen und gleichzeitig für den
Wo Neubau unausweichlich ist, müssen Treibhaus-             Erhalt und die Qualifizierung von Freiflächen zu
gasemissionen in der Bau- und Nutzungsphase sowie           sorgen, u. a. für die Klimaanpassung, für Erholung
Ressourcen- und Flächenverbräuche auf ein Mini-             und Gesundheit.
mum gesenkt werden. Hierbei geht es um zirkuläres
Wirtschaften, Ressourcenschonung, Treibhaus-                Eine weitere Ebene betrifft das Spannungsfeld von
gasneutralität und Netto-Null-Flächenverbrauch –            nachhaltiger Entwicklung bei der Beziehung von
und zwar gleichzeitig. Es geht um resiliente, an den        Stadt und Land. Wir brauchen eine Strukturpolitik,
Klimawandel angepasste urbane Strukturen, die               die schrumpfende Räume stärkt und dazu beiträgt,
Rückgewinnung der öffentlichen Räume, die Ermög­            den Wohnflächenentwicklungsdruck auf Ballungs-
lichung eines engeren sozialen Miteinanders im Stadt-       räume zu reduzieren. Die letzte Ebene greift un-
quartier, den Erhalt und die Entwicklung schöner und        ser Kernanliegen auf: das Spannungsfeld von Neu-
sparsamer Baustrukturen und den Erhalt und den              bau versus Umbau des Gebäudebestands. Der
Ausbau der grün-blauen Infrastrukturen in den urba-         Bestands­erhalt muss klaren Vorrang erhalten – dies
nen Räumen. Wir brauchen neue, innovative plane­            setzt wiederum die Umsetzung von hohen Energi­e­
rische Ansätze wie die dreifache Innenentwicklung,          effizienzstandards auch im Bestand voraus.
die Wohnen, Mobilität und Grünflächen nachhaltig
verbindet, und einen stärkeren Fokus auf das Quartier       Diese konstruktive Auflösung der Zielkonflikte und
als entscheidende Handlungsebene.                           Spannungsfelder brauchen umwelt-, bau- und stadt­
                                                            entwicklungspolitische Antworten, die über Zu-
Unsere Diskussion zu den Empfehlungen hat gezeigt,          ständigkeitsgrenzen hinweggehen – und den Mut,
dass Zielkonflikte auf unterschiedlichen Ebenen ad-         gerade an deren Reibungspunkten anzusetzen, um
ressiert werden müssen. Eine Ebene betrifft die Rah-        Lösungsmöglichkeiten zu finden. Das vorliegende Po-
menbedingungen des politischen Handelns für einen           sitionspapier will genau hierzu einen Beitrag liefern.
nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau. Dazu gehört
nicht zuletzt die gesellschaftliche und soziale Situation
von Wohlstand und Armut, die weit über den Einfluss-
bereich von Wohnungs- und Städtebau hinausgeht.

Prof. Dirk Messner             Prof. Christa Reicher         Dr. habil. Matthias Lerm     Prof. Annette Hillebrandt
Präsident des Umwelt­          Vorsitzende der               Vorsitzender der             stellvertretende Vorsit­
bundesamts                     KNBau am UBA                  KNBau am UBA                 zende der KNBau am UBA

                                                                                                                  5
Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023


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Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
Inhalt

Inhalt

1	Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und
   Klimaschutz gleichzeitig erreichen������������������������������������������������������������������������������� 8
   1.1	Wohnungs- und Städtebau als wichtiger Faktor für Umwelt-,
        Ressourcen- und Klimaschutz���������������������������������������������������������������������������������������� 8
   1.2 Übergeordnete europäische Weichenstellung und Ziele��������������������������������������������������������� 9
   1.3 Über dieses Positionspapier���������������������������������������������������������������������������������������� 10

2 Ökologische Dimension��������������������������������������������������������������������������������������������� 11
   2.1 Die Klimaschutzziele erreichen – den Klimawandel antizipieren ���������������������������������������������            11
   2.2 Ressourcen schonen, Abfälle vermeiden, Stoffkreisläufe schließen�����������������������������������������              12
   2.3	Das Null-Schadstoff-Ziel der “Zero Pollution Ambition”
        im Bau- und Gebäudebereich erreichen���������������������������������������������������������������������������       14
   2.4 Die Anpassung an den Klimawandel vorantreiben��������������������������������������������������������������            15
   2.5	Flächenneuinanspruchnahme reduzieren –
        Bestandspotenziale nutzen, Zersiedlung stoppen��������������������������������������������������������������          17

3 Soziale Dimension���������������������������������������������������������������������������������������������������� 19
   3.1	Hohe Lebensqualität, gesunde Wohn­verhältnisse, grüne und
        emissionsarme Städte schaffen������������������������������������������������������������������������������������    19
   3.2 Kostensparend bauen – gesamte Lebenszykluskosten bewerten��������������������������������������������                 21
   3.3	Zusammenspiel von Ästhetik und nachhaltigem Bauen –
        Neues Europäisches Bauhaus stärken����������������������������������������������������������������������������       22
   3.4	Suffizienz im Wohnen: Wohnflächenkonsum als Thema
        nachhaltiger Lebensstile adressieren�����������������������������������������������������������������������������    23

4 Stellschrauben des Wandels�������������������������������������������������������������������������������������� 25
   4.1   Gebäudebestand erhalten, weiter­entwickeln, umbauen und umnutzen�������������������������������������               25
   4.2   Prüfung der Rahmenbedingungen und Transformation der Regelwerke ������������������������������������                26
   4.3   Quartier als Handlungsebene stärken�����������������������������������������������������������������������������    28
   4.4   Vernetzung, Aus- und Weiterbildung sowie Forschung stärken�����������������������������������������������           29

Endnoten���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 30

                                                                                                                                7
Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig erreichen

1 Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt-
und Klimaschutz gleichzeitig erreichen
Die Bundesregierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt:       können hier innovative Ideen sein, wie sie beispiels-
Bis zu 400.000 neue Wohnungen sollen pro Jahr                weise in der EU-Initiative zum „Neuen Europäi-
entstehen, insgesamt bis zu 1,6 Millionen in dieser          schen Bauhaus“ entstehen, die die Bauwende vor-
Legislaturperiode, um dem dringenden Bedarf an be-           anbringen soll und dabei Klima- und Umweltschutz
zahlbarem Wohnraum zu begegnen. Zugleich müs-                neu in Beziehung setzt zu Baukultur und Ästhetik
sen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Europäi-          für sozial inklusive Räume mit hoher Lebensqualität.
schen Green Deals, ambitionierte Ziele im Umwelt-,           Für die Bürger*innen wird Lebensqualität in ihrem
Klima- und Naturschutz erreicht werden.                      Quartier greifbar. Die Auswirkungen des Klimawan-
                                                             dels und des Verlustes von Biodiversität werden hier
                                                             spürbar, ebenso wie erfolgreiche oder ausbleibende
    Emissionen und Ressourcenverbrauch –                     Anpassungsmaßnahmen, bauliche Entwicklungen
    Die Dimension in wenigen Zahlen                          und Nutzungsänderungen im öffentlichen Raum.

    Der Gebäudesektor ist entscheidend: Rund 30–35 %         1.1 Wohnungs- und Städtebau als wichtiger
    der Treibhausgas (THG)-Emissionen in Deutschland         Faktor für Umwelt-, Ressourcen- und Klima-
    entfallen auf Errichtung, Erhalt und Betrieb von Ge-     schutz
    bäuden (siehe Abbildung 1). Auch der Ressourcenver-      Der Bau- und Gebäudebereich verfehlte bei sektoraler
    brauch (Boden und Fläche, Rohstoffe, Wasser etc.) ist    Betrachtung der direkten Treibhausgas (THG)-Emis-
    enorm – so werden 50 % der gesamten Rohstoffge-          sionen im Betrieb wiederholt die gesetzten Klima-
    winnung in Deutschland für Baumaterialien benötigt1      ziele. Mit der Novellierung des Bundes-Klimaschutz-
    und Bauprodukte sind nach Verpackungen der zweit-        gesetzes (KSG) 2021 wurden bisherige Ziele weiter
    größte Anwendungsbereich für Kunststoffe2.               verschärft. Treibhausgasneutralität muss bei Um-
                                                             und Neubau erreicht werden, unter Beachtung
    Gleichzeitig entfielen im Jahr 2020 in Deutschland       des vollständigen Lebenszyklus der Immobilien
    55 % des gesamten Abfallaufkommens auf Bau- und          über Herstellungs-, Nutzungs- und Rückbauphase der
    Abbruchabfälle3.                                         Gebäude und Infrastrukturen.

                                                             Jede Neubauaktivität geht mit weiteren Ressourcenbe-
Ein „weiter so“ im Wohnungsbau kann daher nie-               darfen und THG-Emissionen einher. Diese gilt es um-
mand wollen. Eine kritische Diskussion muss die              gehend zu minimieren sowie eine klimaangepasste
Fragen beantworten: Wie, wo und für wen soll Wohn-           Bauweise und Quartiersentwicklung (naturbasier-
raum geschaffen werden? Welche Art von Wohnraum              te Lösungen wie natürliche Kühlung und Stadtgrün,
wird benötigt? Wie nutzen wir den Bestand und ent-           Wasserrückhalt/-versickerung etc.), die drastische
wickeln ihn weiter? Wie sieht eine Strategie aus, die        Reduktion der THG-Emissionen und Einbindung von
einen Beitrag zu umwelt- und klimapolitischen Ziel-          erneuerbaren Energien (v. a. Solarenergie, Geother-
setzungen leistet? Zudem erfordern Rohstoffknapp-            mie und Umgebungswärme mittels Wärmepumpen)
heiten und krisenbedingte Lieferkettenprobleme,              sicherzustellen. Aus Umweltsicht besonders kritisch
Fachkräftemangel und angespannte B    ­ odenmärkte           bleiben bei Neubauten, insbesondere bei Einfamili-
in vielen Städten und Regionen neue, ­innovative             enhaussiedlungen am Stadtrand, die zusätzliche Flä-
Handlungsansätze. Entscheidend wird sein, wie                chenumwandlung und -versiegelung sowie der damit
die Wohnraumentwicklung umwelt- und sozial­                  einhergehende Druck auf Freiflächen und Ver-
verträglich gelingt und wie die K­ limaschutzziele           lust von Ökosystemen und Biodiversität. Deshalb
kurz- und langfristig erreicht werden können, zu             kommt der Nutzung des Gebäudebestands eine be-
denen sich Deutschland verpflichtet hat. Die Stadt­          sondere Bedeutung zu. Diese muss – einschließlich
entwicklung ist dabei nicht nur eine sozial- und kli-        Sanierung, Um- und Weiterbau – ins Zentrum der
mapolitische Herausforderung, sie ist vor allem auch         Bemühungen zur nachhaltigen Wohnraumschaf-
eine gesellschaftspolitische Chance. Wegweisend              fung rücken. Dabei gilt es, den Bestand qualitativ

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Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig erreichen

aufzuwerten, durch Instandhaltung länger zu nutzen                                        Maßnahmen des umfangreichen „Fit for 55“-Gesetz-
und entsprechend des Bedarfs und unter Einhaltung                                         bündels um mindestens 55 % netto gegenüber 1990
der Umwelt- und Klimaschutzziele umzubauen und                                            reduzieren. Im Rahmen des EGD stellte die Kommis-
zu ergänzen.                                                                              sion im Mai 2021 den “Zero Pollution A    ­ ction Plan”
                                                                                          (Null-Schadstoff-Aktionsplan) vor mit dem Ziel, die
1.2 Übergeordnete europäische                                                             Schadstoffbelastung von Luft, Wasser und Boden bis
Weichenstellung und Ziele                                                                 2050 deutlich zu reduzieren. Auch in anderen Poli-
Die nationalen Ziele können nicht losgelöst von der                                       tikbereichen sind die Ambitionen hoch: Die „Reno-
EU-Ebene betrachtet werden. Mit dem European                                              vierungswelle“ für private und öffentliche Gebäude
Green Deal (EGD) hat die Europäische ­Kommission                                          soll die Energieeffizienz und Erschwinglichkeit von
ein ambitioniertes Programm für die Transforma-                                           Gebäuden fördern. Die EU-Bodenstrategie verankert
tion vorgelegt. Ziel ist es, die europäische Wirt-                                        das Ziel, den Flächenverbrauch bis zum Jahr 2050 auf
schaft so umzubauen, dass im Jahr 2050 netto keine                                        „Netto Null“ zu senken. Mit der Initiative „Neues
THG-Emissionen mehr freigesetzt werden und dass                                           Europäisches Bauhaus“ (NEB) erhielt der EGD ein
das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennut-                                            Gesicht. Das NEB ist eine kreative ­interdisziplinäre
zung abgekoppelt ist. Der EGD ist ein umfassendes                                         ­Initiative, die eine Schnittstelle zwischen Kunst,
Programm für die nachhaltige Transformation                                                ­Kultur, sozialer Inklusion, Umwelt- und Klimaschutz,
Europas zu einem treibhausgasneutralen Konti-                                               Wissenschaft und Technologie bildet, um eine nach-
nent: Die Biodiversität soll wiederhergestellt, das Na-                                     haltige, lebenswerte, schöne und inklusive Zukunft in
turkapital der EU bewahrt und die Gesundheit und                                            Städten, Kommunen und ländlichen Räumen zu ver-
das Wohlergehen der Menschen vor umweltbeding-                                              wirklichen. Die interdisziplinäre Europäische Bauhaus-­
ten und sozialen Risiken geschützt werden. Zentraler                                        Bewegung verknüpft die ambitionierten ­Ziele des EGD
Baustein ist das Europäische Klimagesetz, das das Er-                                       für mehr Umwelt- und Klimaschutz mit der Lebenswelt
reichen der THG-Neutralität bis 2050 festschreibt. Bis                                     und L­ ebensqualität der Menschen in ­Europa.
2030 sollen sich die THG-Emissionen der EU durch

Abbildung 1

Anteil der Gebäude an der Treibhausgas-Bilanz

                                                                                                                                                                        Je nach Bilanzgrenze ist der
                                                                                                                      Vorketten für Energiebereitstellung im AuslandΔ

                                                                                                                                                                        Anteil der Gebäude an den
                                                                                                                                                                        Treibhausgasemissionen unter-
                                                                                                                                                                        schiedlich hoch: Die direkten
                                                                                                                                                                        Emissionen machen nur 15 %
                                                                          Gebäude                                                                                       aus, der Gebäudebetrieb ein-
                                                                          indirekt                                                                                      schließlich der indirekten Emis-
                                                                          (Strom,                                                                                       sionen 22 %, Gebäudebetrieb
                                                                          Fern-
                                  Energiewirtschaft                       wärme)                                                                                        im Inland 30 %. Bezöge man
                                                                          56 Mt
                                  247 Mt (2021)●                                           Gebäude direkt
                                                                          (2020)○                                                                                       Ausland ein, stiege der Anteil
                                  358 Mt (2014)●                                           (Gas, Öl, [Kohle])
                                                                          82 Mt
                                                                                           115 Mt (2021)●                                                               auf 35 %.
                                             16 Mt (2014) in En.w.Δ       (2014)○
                                                                                           119 Mt (2014)●

        Weitere Sektoren des                                                                                                              Gebäude
        Klimaschutzgesetzes
                                             produktion Inland
        (Verkehr, Landwirt-                                                                                                               Ausland
        schaft, Abfallwirtschaft)                                                                                                         35 Mt (2014)Δ
                                             41 Mt (2014) in Ind.Δ

        DE gesamt                          Industrie
        762 Mt (2021)●                     181 Mt (2021)●
        902 Mt (2014)●                     181 Mt (2014)●

●
     https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/treibhausgasemissionen-stiegen-2021-um-45-prozent
○
      BA-Berechnungen auf Basis Arbeitsgemeinschaft Energiebilanz, Anwendungsbilanzen, Stand 09/2021; Umweltbundesamt, Zentrales System Emissionen, Stand 10/2022;
     U
    ­Umweltbundesamt, CO2-Emissionsfaktoren, Stand 06/2022.
Δ
   Umweltfußabdruck von Gebäuden in Deutschland, BBSR-Online-Publikation Nr. 17/2020 [Achtung – THG womöglich mit Vorkette (unklar), und bei Wohngebäuden inkl.
  ­Haushaltsstrom]

                                                                                                                                                                                                           9
Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig erreichen

1.3 Über dieses Positionspapier                                Die Gliederung folgt den Schwerpunkten des EGD
In diesem Papier werden zentrale Empfehlungen                und wendet diese auf die Herausforderungen der
des Umweltbundesamts gemeinsam mit der Kom-                    Wohnraumschaffung an: Ökologische Ziele der
mission Nachhaltiges Bauen (KNBau) am Umwelt-                ­Dekarbonisierung, Zirkularität, Zero Pollution und
bundesamt zur umwelt-, klima- und ressourcenscho-             ­Erhalt des Naturkapitals sowie soziale Ziele mit
nenden sowie klimaangepassten, gesundheits- und                Teil­­habe- und Partizipationsaspekten, die gemäß
sozialverträglichen Schaffung bezahlbaren Wohn-                NEB-Leitbild zusammen mit den Aspekten Kosten-
raums vorgestellt. Die Empfehlungen richten sich in            wahrheit und Ästhetik betrachtet werden. Ein Kapitel
erster Linie an die Bundespolitik mit den Ressorts für         zu Stellschrauben, die quer zu den anderen Zielsetzun-
Bau- und Stadtentwicklung, Umwelt, Klimaschutz,                gen und Handlungsfeldern liegen und für deren Trans-
Verkehr und Gesundheit. Darüber hinaus sind weitere            formation entscheidend sind, rundet das Papier ab.
Akteure angesprochen, wie politische Entscheidungs-
träger*innen auf EU-, Landes- und kommunaler Ebe-
ne, Verbände, Planungspraxis und die Fachöffentlich-
keit. Wir wollen aus der Perspektive von Umwelt- und
Klimaschutz unter Einbeziehung der sozialen Dimen-
sion einen Diskussionsbeitrag zum Erreichen der Zie-
le der Wohnraumschaffung in Verbindung mit Zielen
einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Stadtent-
wicklung leisten.

Abbildung 2

Überblick über die zentralen Forderungen

                          Ökologische                 Soziale
                           Dimension                 Dimension
                                                                                              Stellschrauben
                                                                                               des Wandels
               Klimaschutzziele                             Kostensparend
                   erreichen                               Bauen – Lebens-
                                                             zykluskosten                    Bestand erhalten
                                                                                              und entwickeln
     Ressourcen schonen                 Wohnraum
         schließen                                                 Hohe Lebens-                 Quartier als
                                   und Klimaschutz               qualität, gesunde            Handlungsebene
                                    voranbringen,                Wohnverhältnisse                 stärken
                                    Lebensqualität
                                      verbessern
                                                                                              Transformation
                                                            Ästhetik und nach-                der Regelwerke
                                                              haltiges Bauen/
              Anpassung an den                              Neues Europäisches
                Klimawandel                                       Bauhaus                       Ausbildung,
                                                                                              Vernetzung und
                                                                                             Forschung stärken
                          Flächenneu-
                       inanspruchnahme             Wohnen/Wohn-
                           reduzieren

                                                                                                    Quelle: Umweltbundesamt

10
Ökologische Dimension

2 Ökologische Dimension
Drängende Herausforderungen des Umwelt-, Klima- und    Über den Betrieb hinaus verursacht die H ­ erstellung
Ressourcenschutzes müssen im Zuge der Wohnraum-        der Baustoffe und der Anlagentechnik hohe THG-­
schaffung mit hoher Priorität adressiert werden. Die   Emissionen, die aber in der sektoralen Betrachtung
deutschen und europäischen Ziele zu Klima- und Res-    des KSG der Industrie zugerechnet und ebenso stark
sourcenschutz sowie das Null-Schadstoff-Ziel werden    reduziert werden müssen. Bauen mit nachwachsen-
nur erreicht, wenn wir anders neu- und umbauen und     den Rohstoffen, langlebige Materialien und die konse-
den Bestand nachhaltig nutzen. Die notwendige An-      quente Führung von Baumaterialien in geschlossenen
passung an die Folgen des Klimawandels und der spar­   Kreisläufen wirken sich positiv auf die Lebenszyklus-
same Umgang mit Ressourcen und Flächen stellen hohe    bilanz von Neu- und Erweiterungsbauten aus und sen-
Anforderungen an die Gestaltung von Gebäuden und       ken diese vorgelagerten THG-Emissionen. Der Klima-
an die integrierte Quartiers- und Stadt­entwicklung.   wandel verschärft die Lage, indem er u. a. zu heißeren
                                                       Sommern führt. Sie lassen die Städte und Innenräume
2.1 Die Klimaschutzziele erreichen –                   stärker überhitzen. Das beeinträchtigt zunehmend die
den Klimawandel antizipieren                           Gesundheit der Bewohner*innen. Auch der Bedarf an
Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) gibt vor, dass      Klimatisierung und Kälteversorgung steigt, was die
die direkten THG-Emissionen des Gebäudebestandes       Klimaschutzziele konterkariert.
von 2020 bis 2030 um 43 % sinken müssen, damit
Deutschland im Jahr 2045 die Netto-THG-Neutralität     Ziele
erreicht. Laut Projektionsbericht 2021 der Bundesre-   Die THG-Emissionen, die neuer Wohnraum verursacht,
gierung werden die Ziele mit der bisherigen Politik     sind auf ein Minimum zu begrenzen. Sie sind jedoch,
verfehlt. Zusätzlicher Wohnraum, der nicht vollstän-   vor allem für die Herstellung klimafreundlicher Bau­
dig mit erneuerbaren Energien versorgt wird, erhöht    stoffe, noch nicht vollständig vermeidbar. Die Nutzungs-
die THG-Emissionen des Gebäudebestandes.                phase kann nach Stand der Technik mit Energieeffizienz
                                                        und erneuerbaren Energien THG-neutral werden. Wo
                                                        dies heute noch nicht gelingt, brauchen wir Ansätze,
                                                        die sicher zur THG-Neutralität bis 2045 führen und da-
                                                        bei auch die Herstellungsphase einschließen. Gegen die
                                                        fortschreitende Überhitzung von Innenräumen im Som-
                                                        mer sollten vorbeugende Maßnahmen an den Gebäuden
                                                        ergriffen und durch städtebauliche und freiraumplane-
                                                        rische Maßnahmen Vorsorge getroffen werden. Dazu
                                                       zählt auch die Nutzung naturbasierter Lösungen, wie­
                                                       ­Fassaden- oder Dachbegrünungen.

                                                       Zentrale Empfehlungen
                                                       ▸ Neuer Wohnraum, sowohl in unvermeidlichen
                                                          Neubauten als auch in umgenutzten Bestands­
                                                          bauten, sollte
                                                          · ein Wärmeschutzniveau erhalten, wie es für
                                                             das „Effizienzhaus 40“ oder das Passivhaus
                                                             als Zusatzkriterium festgelegt ist,
                                                          · mit Wärmepumpen (vgl. Kap 4.1) oder über
                                                             Wärmenetze erneuerbar (d.h. nicht lokal mit
                                                             Brennstoffen) versorgt,
                                                          · aus möglichst klimafreundlichen Baustoffen
                                                             (siehe Kap. 2.2) errichtet und
                                                          · so effizient betrieben werden wie in der
Kombination von PV-Elementen und Altholzfassade              ­Planung vorgesehen.

                                                                                                            11
Ökologische Dimension

▸ Dieses Wärmeschutzniveau sollte bei Sanierungen              2.2 Ressourcen schonen, Abfälle vermeiden,
  nur im Einzelfall verringert werden, wenn andern-            Stoffkreisläufe schließen
  falls eine Sanierung aus technischen oder, trotz             Ein Viertel der mit Gebäuden über den gesamten Le-
  Inanspruchnahme von Fördermitteln, wirtschaft-                benszyklus einhergehenden THG-Emissionen entfällt
  lichen Gründen verhindert würde. Ein Ersatzneu-              auf die vorgelagerten Lieferketten der Herstellung,
  bau sollte erst zulässig sein, wenn seine Lebens-            Errichtung, Modernisierung und die direkten Emis-
  zyklus-Treibhausgasemissionen niedriger sind als             sionen der Bauwirtschaft. Gleichzeitig zeugen seit
  die einer bestmöglichen Sanierung.                           Jahrzehnten immense Abfallströme aus dem Bauwe-
                                                               sen von verschwendeten Ressourcen und ineffizien-
▸ Der sommerliche Wärmeschutz sollte an Datensät-              ten Nutzungen. So entfielen im Jahr 2020 in Deutsch-
  zen bemessen werden, die das zukünftig wärmere               land etwas mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens
  Klima beschreiben, um Überhitzung im Sommer                  auf Bau- und Abbruchabfälle (vgl. Kasten Kap. 1, S.4).
  langfristig vorzubeugen.                                     Bei gleichzeitig knapp werdendem Deponievolumen
                                                               hat dies absehbar Kostensteigerungen für auf De-
▸ Übergreifende Gesetzgebungsinitiativen für                   ponien abgelagerte Bauabfälle zur Folge und damit
  ­klima- und ressourcenschonendes Bauen und                   ­höhere Baukosten bei jeder zukünftigen Instandset-
   ­Modernisieren sollten auf den Weg gebracht wer-             zung oder bei Abriss. Die vermeintlich hohen Quoten
  den, bspw. die Einführung einer Solaranlagen-                 der Verwertung von Bauschutt umfassen auch Down­
  pflicht bei Wohngebäuden, auf denen Solaranla-                cycling – geschlossene Stoffkreisläufe ohne M ­ asse-
  gen wirtschaftlich betrieben werden können.                   oder Qualitätsverlust sind sehr selten. Die direkte
                                                                Wieder­verwendung von Altbauteilen und -­materia­lien
                                                                ist die effektivste Art, Ressourcen zu schonen. Obwohl
     Klimaneutraler Gebäudebestand 2050                         Rohstoffe weltweit knapp sind, fristet die Weiternut-
                                                               zung aktuell noch ein Nischendasein.
     Konzepte und verfügbare Techniken, die den Gebäude­
     bestand in einen nahezu klimaneutralen ­Zustand über-     Ziele
     führen können, sind in der ­Publikation „Klimaneutraler   Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – von der
     Gebäudebestand 2050: Energie­effizienzpotenziale          bisher überwiegend linearen hin zur zirkulären Bau-
     und die Auswirkungen des Klima­wandels auf den            wirtschaft: Die Weiter- und Wiederverwendung des
     ­Gebäudebestand“ des UBA dargestellt.                     vorhandenen Bauwerksbestands (s. Kapitel 4.1),
     ▸ www.umweltbundesamt.de/publikationen/klima-              die stoffliche Verwertung von Rückbaumaterial auf
     neutraler-gebaeudebestand-2050-0                           höchstem Niveau und das Bauen für ein ­zukünftiges
                                                               Recycling (RC) müssen in Zukunft Hand in Hand
                                                               ­gehen. Bereits bei der Planung neuer Gebäude oder
                                                                Sanierungen sind die Grundsteine für eine lange Nut-
                                                                zungsphase, die Möglichkeiten späterer Umnutzung
                                                                und die Kreislaufführung der eingesetzten Materiali-
                                                                en beim Rückbau zu legen.

                                                               Die Herstellung neuer energieintensiver Baustoffe so-
                                                               wie der Verbrauch endlicher Ressourcen wie M ­ etalle,
                                                               Sand, Kies oder Gips muss durch die Verwendung
                                                               recyclingfähiger und auf nachwachsenden Rohstof-
                                                               fen basierender Produkte sowie durch materialspa-
                                                               rendes Bauen reduziert werden; das Potenzial von
                                                               Bauen als Senke muss klar identifiziert und zukünftig
                                                               ausgeschöpft werden. Durch eine intensive Nutzung
                                                               von Holz ist ein treibhausgasneutraler Bau und lang-
                                                               fristiger Erhalt von Gebäuden nach aktuellen Berech-
                                                               nungen möglich. Die Treibhausgasemissionen aus
Wandaufbau mit Strohdämmung                                    den notwendigen Betonbauteilen in der Bauphase

12
Ökologische Dimension

lassen sich durch optimierten Holz-Einsatz vermin-         Ressourcenschonung im Bauwesen, die den Re-
dern4. Nur voll recyclingfähige oder mindestens einen      gelungsrahmen der EU-Ökodesign-Verordnung
erhöhten Rezyklatanteil besitzende, schadstoffarme,        und der EU-Bauprodukte-Verordnung voll aus-
mehrfach verwendbare, langlebige und reparierbare          schöpfen – ersatzweise bzw. ergänzend auf Bun-
Bauprodukte sollten in den Verkehr gebracht werden.        desebene und Hinwirken auf eine entsprechende
                                                           Verankerung der Ressourcenschonung in den Lan-
                                                           desbauordnungen.
   Umweltfreundliche Bauprodukte für
   nachhaltiges Bauen                                   ▸ Einführung eines „Top-Runner-Programms“ für
                                                          kreislauffähige, CO2-reduzierte Produkte.
   In der Datenbank des Blauen Engels sind tages­
   aktuell Bauprodukte am deutschen Markt, die          ▸ Einführung einer Primärbaustoffsteuer in markt-
   ­strenge Schadstoffanforderungen für Umwelt und        wirtschaftlich relevanter Höhe speziell für den
   Gesundheit erfüllen, leicht auffindbar.                Einsatz von Kies, Sand und Naturgips im Bauge-
   ▸ www.blauer-engel.de/de/produktwelt                   werbe, um Recycling-Baustoffen einen diskrimi-
                                                          nierungsfreien Zugang zu regionalen und ortsna-
                                                          hen Wertstoffmärkten zu ermöglichen.

                                                        ▸ Im Rahmen der Verfügbarkeiten sollten Holzbau-
                                                          weisen und die Kaskadennutzung des Baustoffes
                                                          Holz gefördert und mit dem naturnahen Waldum-
                                                          bau in Einklang gebracht werden.

                                                        ▸ Der Einsatz schadstoffarmer, weniger klima-
                                                          schädlicher alternativer Baustoffe (Laubholz, Ton,
                                                          Lehm, Stroh etc.) und Bauweisen (Leichtbauwei-
                                                          sen), low-tech-Ansätze sowie das Potenzial von
                                                          Bauten als Senke sollte beforscht und gefördert/
                                                          genutzt werden.

Lehmverputz auf Strohdämmung                            ▸ Bei einem stark steigenden Einsatz kompostier-
                                                          barer und für die Bioabfallverwertung geeigneter
Zentrale Empfehlungen                                     Bauprodukte wie Stroh sollte geprüft werden, ob
▸ Rechtssichere Vorgabe von verbindlichen Leitlini-       es notwendig ist, die Gewerbeabfallverordnung
   en zur Ressourcenschonung für die Vergabe von          (Erfassung und Getrennthaltung) und die Bio-­
   Bauprojekten v. a. durch die öffentliche Hand.         Abfallverordnung (Einsatzstoffe für die Kompos-
                                                          tierung) anzupassen.
▸ Schaffung flächendeckender Rückgabemöglich-
  keiten für Bauteile, ggf. unter Kostenbeteiligung
  der Bauproduktehersteller und Klärung der Über-          Urban Mining
  nahme der Gewährleistungspflichten.
                                                           Informationen zu den Möglichkeiten und Chancen
▸ Erarbeitung eines prospektiven, wissensbasier-           des Urban Mining sind im Atlas Recycling5 zusammen-
  ten Materialkatasters für regionale Gebäudebe-           gestellt sowie hier: ▸ www.urban-mining-design.de
  stände und einer Urban-Mining-Strategie analog
  der F
      ­ orderung des Ressourceneffizienzprogramms          Das Tool “Urban Mining Index” ermöglicht Archi-
  (ProgRess III) der Bundesregierung.                      tekt*innen schon bei der Planung eine möglichst
                                                           hohe Zirkularitätsrate der verplanten und verbauten
▸ Nutzung von Ermächtigungen des Kreislaufwirt-            ­Materialen zu erreichen.
  schaftsgesetzes im Zusammenspiel mit einem               ▸ https://urban-mining-index.de/
  Hinwirken auf europäische Lösungen für die

                                                                                                                 13
Ökologische Dimension

Abbildung 3

Materialkreisläufe im Bauwesen

       Außerhalb                                    Innerhalb                                                          Qualitätserhalt
     Hochbauwesen                                 Hochbauwesen
                                                                                                                       Qualitätserhalt
                                                                                                                       biotischer Kreislauf

                                                                                                                       Geringer Qualitätsverlust
                                                       Weiter-                                                         Höherer Qualitätsverlust
                                                     verwertung
                                                                                                                       Aufgabe von Qualität

                                                                                                                       Verwendung
                                                                                                                       Erhalt der Produktgestalt
                            Aufbe-                     Wieder-
                            reitung                  verwertung                                                        Verwertung

                                                                                                                       gestalt

      Kompostierung
                                                      Wieder-
                                                    verwendung

       energetische
                                 Rückbau
         Nutzung

                                              Beseitigung
        keine
     Nachnutzung

                                  Quelle: Annette Hillebrandt, Petra Riegler-Floors, Anja Rosen, Johanna Seggewies: Atlas Recycling, Edition DETAIL, München 2018

2.3 Das Null-Schadstoff-Ziel der                                         Bis heute fehlen in Deutschland oft noch verbindliche
“Zero Pollution Ambition” im Bau-                                        Vorgaben für die Freisetzung von zugesetzten Schad-
und Gebäudebereich erreichen                                             stoffen aus Bauprodukten, die eine Vorsorge vor dem
Im Rahmen des European Green Deal hat die Euro­                          Einbau ermöglichen würden. Die diffuse Schadstoff-
päische Kommission das Null-Schadstoff-Ziel für                          belastung aus Gebäuden ist ein Grund, weshalb die
 eine schadstofffreie Umwelt (Luft, Wasser, Boden)                       Erreichung der Umweltqualitätsziele der Wasserrah-
 ausgesprochen. Auch Gebäude sowie deren Errich-                         menrichtlinie, der Oberflächengewässerverordnung
 tung, Betrieb und Rückbau tragen zur Verschmut-                         und der Grundwasserverordnung im urbanen Raum
zung von Luft, Wasser und Boden bei, was insbeson-                       gefährdet ist. Gleichzeitig ist es mit sorgfältiger Pla-
dere in Ballungsräumen zu relevanten Belastungen                         nung möglich, eine nicht toxische Umwelt und eine
führen kann. Beispiele sind organische Zusatzstoffe,                     für die Bewohner*innen gesundheitlich unbedenk-
die etwa aus Putzen, Fassadenfarben (z. B. Biozide                       liche Innenraumluft zu erreichen. Im Übrigen ist die
­Diuron und Terbutryn) oder Dachabdichtungsbahnen                        möglichst weitgehende Schadstofffreiheit von Baustof-
 (z. B. Wurzel­schutzmittel Mecoprop und MCPA) aus-                      fen eine Voraussetzung für ihre Kreislaufführung am
 laugen und Konzentrationen im Regenwasser­kanal                         Nutzungsende.
 erreichen, die Grenzwerte für Oberflächengewässer
 überschreiten. Als Quelle für I­ nnenraumschadstoffe                    Studien zeigen, dass durch die Nutzung schadstoff­
 haben Bauprodukte eine hohe Bedeutung, weil sie                         armer Bauprodukte Betriebskosten (Lüftung) gesenkt
 sich schwer austauschen lassen. Ein Verzicht auf Bau-                   werden können, sodass höhere Anschaffungskosten
 produktprüfungen im Vorfeld kann im Schadensfall                        relativiert werden6.
 zu kostenintensiven Rückbaumaßnahmen führen.

14
Ökologische Dimension

Ziele                                                   2.4 Die Anpassung an den Klimawandel
Vermeidung oder Reduzierung der stofflichen Be­         vorantreiben
lastung der Umwelt, insbesondere der Gewässer,          Die Klimawirkungs- und Risikoanalyse des Bun-
sowie der menschlichen Gesundheit durch entspre-        des zeigt, dass Deutschlands Städte und Regionen
chende Auswahl der Bauprodukte und konstruktive         ­zunehmend von den Folgen des Klimawandels b­e­
Maßnahmen.                                               troffen sind.

Zentrale Empfehlungen                                   Steigende Höchsttemperaturen und die Verlängerung
▸ Die Länder sollten aktiv bei der Etablierung ­eines    sommerlicher Hitzeperioden verschärfen das Gesund-
   hohen Schutzniveaus für einen vorsorgenden            heitsrisiko durch urbane Hitzeinseleffekte, insbeson-
   ­Umwelt- und Gesundheitsschutz mit adäquaten          dere für vulnerable Bevölkerungsgruppen wie ältere
    Mindeststandards für die Freisetzung von zuge-       und chronisch erkrankte Menschen. Der hohe Flä-
   setzten Schadstoffen aus Bauprodukten durch aus-      chendruck in Städten durch bauliche Entwicklung
   reichende Ermächtigungsgrundlagen in Bundes-          begrenzt die Möglichkeiten, städtisches Grün zur
   gesetzen unterstützt werden. Die Länder sollten      ­Hitzeminderung auszuweiten.
    entsprechend das Schutzniveau in den Landes­
    bauordnungen erhöhen, sodass Risiken durch          Häufiger auftretende Starkregenereignisse und damit
    Emissionen aus Bauprodukten vorgebeugt wird.        verbundene Mischwasserüberläufe und Hochwässer
                                                        können erhebliche Schäden an Gebäuden, Infrastruk-
▸ Sich dafür einsetzen, eine EU-Richtlinie              tur und Umwelt verursachen und die Gesundheit
  für ­gesunde Innenraumluft auf einem hohen            und das Leben von Menschen gefährden. Besonderes
  ­Schutz­niveau zu initiieren, um die Lücken der       Augenmerk gilt auch hochwassergefährdeten Lagen
   EU-­BauPVO zu schließen.                             (bspw. in Flusstälern/an Küsten).

▸ Geringfügigkeitsschwellen für Boden und Grund-        Ziele
  wasser aus dem Umweltrecht verbindlich für            Entsprechend dem Vorsorgeprinzip der Deutschen
  ­Bauprodukte im Hochbau übertragen, beispiels-        Anpassungsstrategie an den Klimawandel soll zu-
   weise analog der Methodik der Ersatzbaustoff­          künftige Wohnraumschaffung so erfolgen, dass
   verordnung.                                            Schäden für Menschen und Umwelt durch Klimafol-
                                                        gen vermieden oder verringert werden. Dies betrifft
▸ Bei der Planung im Wohnungsbau Produkte ohne          in Städten insbesondere Klimarisiken durch Hitze,
  stoffliche Belastung festlegen und in der Aus-        Trockenheit und Starkregen. Einerseits muss neu-
  schreibung explizit fordern.                            er Wohnungsbau selbst vor Klimarisiken geschützt
                                                        werden, z. B. durch eine passende Standortwahl und
▸ Durch konstruktive Gestaltung eine nicht toxi­        durch technische und naturbasierte Maßnahmen.
  sche, gesunde Umwelt ermöglichen: beispielswei-         Insbesondere naturbasierte Maßnahmen, wie bspw.
  se schattenspendende große Dachüberstände zum         Grün­strukturen, Bäume und Gewässer zur Kühlung
  Schutz vor Sonneneinstrahlung und Schlagregen,        und als Retentionsflächen für Regenrückhalt sowie
  Fassaden ohne Biozide, adäquate Lüftung für ge-         Grünstrukturen an Gebäuden wie Dach- und Fassa-
  sunde Innenraumluft, begrünte Fassaden und              denbegrünung sind auch beim Bauen im Bestand es-
  ­Dächer sowie Verschattung vorsehen.                  sentiell. Andererseits müssen die stadtklimatischen
                                                        ­Effekte von neuer Wohnungsbauentwicklung, wie die
▸ Die Europäische Kommission bitten, das Null-           Erhöhung städtischer Temperaturen durch zusätzli-
  Schadstoff-Ziel bei der Novelle der EU-BauPVO7        che Flächenversiegelung und die Verringerung von
  zu berücksichtigen.                                   Kaltluftentstehung, möglichst vollständig vermieden,
                                                         ­minimiert bzw. kompensiert werden.
▸ Den rechtlichen Rahmen für die Gewährleistung
  beim Einbau wiederverwendeter Gebrauchtteile
  ­zügig entwickeln.

                                                                                                            15
Ökologische Dimension

Grüne und blaue Infrastruktur für Klimaanpassung

Zentrale Empfehlungen                                    ▸ Hitzeaktionspläne aufbauend auf lokalen Klima­
▸ Die Umsetzung des Leitbildes der wassersensiblen         risikoanalysen in den Kommunen erstellen und
   Stadt/Schwammstadt beschleunigen, bspw. durch           bei der Wohnraumschaffung wie auch bei der
   die Spezifizierung der Klimaschutzklausel des § 1 a     ­klimaangepassten Ertüchtigung von Bestands­
   Abs. 5 BauGB in Bezug auf erforderliche Vorkeh-          gebäuden (z. B. Verschattung durch Stadtbäume
   rungen zum Vorrang der Niederschlagsversicke-            und Außenjalousien) berücksichtigen.
   rung vor Ort als Baustein eines klimaangepassten
   Wasserrückhalts und zur Bewältigung zunehmen-         ▸ Überarbeitung untergesetzlicher Regelungen und
   der Hitzebelastungen in Städten.                        Normen, die der klimaangepassten Stadtgestal-
                                                           tung mit naturbasierten Lösungen entgegenstehen
▸ Antragsteller verstärkt auffordern und unter-            (z. B. „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen
   stützen, die Möglichkeiten für klimaangepass-           (RASt 06)“, DIN 1998 Unterbringung von Leitun-
  tes B
      ­ auen im Rahmen der Städtebauförderung zu           gen und Anlagen im öffentlichen Straßenraum –
  nutzen, insbesondere für Gründächer und Grün­            Richtlinie für die Planung).
  fassaden sowie kombinierte Solargründächer;
  ­keine Förderung ohne Beitrag zu Klimaschutz
   und -anpassung.                                          Tatenbank Klimaanpassung

▸ Die Planungsgrundlagen für eine klimaangepass-            Die Tatenbank zur Klimaanpassung des Umwelt­
  te Stadtentwicklung verbessern, vor allem durch           bundesamts ermöglicht einen weiten Überblick
  Rahmensetzung für kommunale Klimarisikoana-               über erfolgreiche Umsetzungsprojekte der
  lysen in einem Klimaanpassungsgesetz des Bun-             Klimaanpassung in diversen räumlichen und
  des sowie durch verpflichtende Aufstellung von            sozialen Kontexten und liefert Inspiration.
  kommunalen Starkregenrisikokarten und Hitze­              ▸ www.umweltbundesamt.de/themen/klima-
  belastungskarten.                                         energie/klimafolgen-anpassung/werkzeuge-der-
                                                            anpassung/tatenbank

16
Ökologische Dimension

2.5 Flächenneuinanspruchnahme                              zur weiteren ­Flächenneuinanspruchnahme für Sied-
reduzieren – Bestandspotenziale nutzen,                    lungs- und Verkehrszwecke führen, da es in Deutsch-
Zersiedlung stoppen                                        land genügend Bestandsflächenpotenziale gibt, um
In Deutschland wurden im Jahr 2020 pro Tag im              die wohnungspolitischen Ziele zu erreichen.
Schnitt 54 Hektar Land für neue Siedlungs- und Ver-
kehrsflächen in Anspruch genommen (sogenann-               Zentrale Empfehlungen
ter „Flächenverbrauch“) und u. a. mit Wohnhäusern          ▸ Fahrplan in Richtung Flächenverbrauch „Netto
bebaut. Damit ist Deutschland noch weit von seinen            Null“ bis 2050 konkret festlegen, d. h.
selbst gesteckten Zielen in der Deutschen Nachhaltig-         · Konkretisierung des „30 Hektar minus X“-­
keitsstrategie entfernt, den Flächenverbrauch bis zum            Flächenzieles der Bundesregierung und Festle-
Jahr 2030 auf unter 30 ha pro Tag und bis zum Jahr               gung linear abnehmender konkreter Zwischen-
2050 auf „Netto Null“ zu senken.                                 ziele bis 2050 sowie Vereinbarung regionaler
                                                                 Flächenziele mit den Bundesländern und de-
Durch den Flächenverbrauch geht Freiraum verloren                ren rechtsverbindliche Implementierung,
und steht nicht mehr für wichtige Ökosystemleistun-           · „Netto Null“-Flächenverbrauch für den Woh-
gen, Biodiversität und andere Nutzungen wie natürli-             nungsneubau durch Nutzung der vorhandenen
chen Klimaschutz, Nahrungsmittelerzeugung und den                Flächenpotenziale sofort umsetzen (Qualitäten
Ausbau der erneuerbaren Energien zur Verfügung.                  in der Innentwicklung vgl. Kap. 3.1),
                                                              · Realisierungskonzept für eine Flächenkreis-
Besonders in schrumpfenden suburbanen und ländli-                laufwirtschaft („Netto Null“) erarbeiten, kon-
chen Räumen ist die Fortsetzung der Zersiedelung auch            krete Maßnahmen identifizieren und zeitnah
aus ökonomischer Sicht unvernünftig. Bei ­stagnierender          implementieren.
oder schrumpfender Bevölkerung entstehen pro Kopf
mehr Kosten für die Wartung und Instandhaltung der         ▸ Förderung der Innenentwicklung ­forcieren z. B.
existierenden Gebäude und Infrastrukturen.                   durch Erfassung und Entwicklung von Flächen-
                                                             reserven, Berücksichtigung der THG-Emissionen
                                                             und Folgekosten bei der Baulandentwicklung.
   Flächenrechner
                                                           ▸ Rückfahren der Anwendbarkeit der Förderinstru­
   Der Flächenrechner des Umweltbundesamtes ermög-           mente für flächenextensive Kleinhausbauten
   licht eine ein­fache Abschätzung, was das bundes­         (bspw. KfW-Programme, Baukindergeld, kommu-
   weite Ziel, im Jahr 2030 täglich weniger als 30 Hek-      nale Familien-Bauland-Förderungen).
   tar Fläche zu verbrauchen, für die flächenbezogene
   Planung in Kommunen und Regionen bedeuten               ▸ BauGB für eine flächensparende ­Bauleitplanung
   ­würde. ▸ https://aktion-flaeche.de/flaechenrechner-­     im Außenbereich schärfen, bspw. § 1 Abs. 3
   neuem-gewand                                              BauGB, § 1 a Abs. 2 BauGB und § 35 BauGB anpas-
                                                             sen sowie § 13 b BauGB abschaffen.

Ziele                                                      ▸ Kommunales Förderprogramm „Brachflächen­
Wohnraumschaffung und Flächensparen müssen ge-               recycling für den Wohnungsbau und zur Entwick-
meinsam gedacht werden. Bund und Länder müssen               lung von urbaner grüner Infrastruktur“ auflegen,
Instrumente bereitstellen und beispielhaft Lösungs-          insbesondere für den Umbau und die Nachnut-
wege aufzeigen, wie der unvermeidliche Neubau von            zung von Industriebrachen.
Wohnungen vorrangig auf den in den Städten und
Gemeinden vorhandenen Innenentwicklungspoten-              ▸ Gute Beispiele verbreiten und Wettbewerbe initi-
zialen realisiert werden kann und zur Wohnraum-              ieren für kompaktes, mehrgeschossiges Wohnen
schaffung verstärkt die Potenziale im Gebäudebe-             auch im suburbanen Raum sowie für flächenspa-
stand mobilisiert und genutzt werden können. Es gilt,        rende und kompakte Gewerbebauten.
die bestehende Siedlungsdichte in den Städten und
Gemeinden mindestens zu erhalten, wenn möglich
sogar zu erhöhen. Wohnraumschaffung darf nicht

                                                                                                             17
Ökologische Dimension

     Kompakte vs. kleinteilige Bauformen

     Der Bau von kleinteiligen Wohnformen, wie freistehen-      Die technische Erschließung erfolgt unabhängig von der
     den Ein- und Zweifamilienhäusern, weist gegenüber          Siedlungsdichte, sodass der Aufwand in Relation zur ab-
     kompakten Bauformen einen etwa doppelt so hohen            nehmenden Bebauungsdichte überproportional steigt.
     Heiz- und Kühlenergiebedarf auf8. Einfamilienhäuser ver-   Basierend hierauf lässt sich die Faustformel „Halbe
     ursachen in der Regel auch im Lebenszyklus mehr Treib-     Dichte = doppelter Erschließungsaufwand pro Wohnein-
     hausgase und Ressourcenaufwand (kumulierter Energie-       heit“ formulieren11.
     aufwand) pro m² als Mehrfamilienhäuser . 9

                                                                Ähnliches gilt für den Flächenverbrauch. Bei kleinteili-
     Die negative Bilanz gilt auch für die Erschließungs­       gen Wohnformen wird eine Fläche von ca. 700 m² pro
     kosten. Werden kleinteilige Bauformen auf 100 % der        Wohnung benötigt, während kompakte Baustrukturen
     Kosten gesetzt, sind diese bei kompakten Baustrukturen     nur etwa 100 m² pro Wohnung benötigen12. Auch die
     (offenen mehrgeschossigen Zeilen, Blockrandbebauung)       Wohnfläche pro Kopf ist im Ein- und Zweifamilienhaus
     bei ca. 20 % anzusetzen . Das gilt auch für den dadurch
                             10
                                                                i.d.R. höher als in kompakteren Bauformen. Die gerin-
     entstehenden Ressourcenbedarf.                             ge Dichte der kleinteiligen Bauweisen macht diese zu-
                                                                dem schwerer erschließbar durch die Verkehrsmittel
                                                                des ­Umweltverbunds und begünstigt so eine Dominanz
                                                                des motorisierten Individualverkehrs.

Abbildung 4

Flächenbedarf kompakter vs. kleinteiliger Bauformen

                                                                                                   Quelle: Umweltbundesamt und KNBau

18
Soziale Dimension

3 Soziale Dimension
Wohnen ist ein Grundbedürfnis und eine ­zentrale               Ein wichtiger Bestandteil einer intakten urbanen
Aufgabe der Daseinsvorsorge. Wohnen ist in vielen              Umwelt ist die biologische Vielfalt. Urbane Räume
Kommunen Deutschlands eine wichtige soziale                    bieten einerseits auf engem Raum vielfältige Lebens-
­Frage – die Kosten des Bauens und Wohnens stehen              räume für Tier- und Pflanzenarten. Gleichzeitig stel-
 oftmals im Vordergrund der Diskussion und müssen              len U
                                                                   ­ rbanisierung, Versiegelung von Flächen sowie
 mit den ökologischen Anforderungen gemeinsam                  das ungebremste Wachstum von Städten nach wie
 betrachtet werden. Wohnraumschaffung hat einen                vor eine der Hauptgefährdungsursachen für die bio-
 Einfluss auf die Qualität der gebauten Umwelt und             logische Vielfalt dar.
 das Zusammenleben der Menschen.

3.1 Hohe Lebensqualität, gesunde Wohn­                            Toolbox Umweltgerechtigkeit
verhältnisse, grüne und emissionsarme
Städte schaffen                                                   Die webbasierte „Toolbox Umweltgerechtigkeit“ bie-
Lebensqualität in urbanen Räumen braucht neben                    tet Akteuren aus Kommunalverwaltung und -politik
­einem attraktiven Städtebau öffentliche Räume mit                Informationen und Tipps rund um das Thema Um-
 ­hohen Aufenthaltsqualitäten, in denen sich Menschen             weltgerechtigkeit. Interessierte finden Argumente für
  unterschiedlicher sozialer Herkunft begegnen kön-               das Engagement einer Kommune zu Umweltgerech-
  nen und die zum Verweilen und Aneignen einladen.                tigkeit und praxisnahe Informationen, z. B. wie das
  Lebens­qualität entsteht in vielfältigen Räumen, in             Thema in Stadtentwicklungskonzepte integriert wer-
  ­denen Menschen auf kurzen Wegen ihrem Alltag nach-             den kann. Praxisbeispiele und Checklisten stehen
   gehen (Wohnen, Arbeiten, Kita, Einkaufen, Freizeit),           ebenfalls zur Verfügung.
   die fußläufig erlebbar sind und nicht durch den motori-        ▸ https://toolbox-umweltgerechtigkeit.de/
   sierten Individualverkehr dominiert werden (vgl. auch
   Kap. 4.3). Neben sozialer Sicherheit fördert eine intakte
   Umwelt eine gesunde Entwicklung der Menschen und            Ziele
   ist eine wichtige Voraussetzung für eine gute Lebens-       Eine umwelt- und sozialverträgliche Wohnraumschaf-
   qualität. Die Reduktion von Umweltbelastungen wie           fung muss mit ambitionierten Umweltqualitäts­zielen
   Schadstoffen in Baumaterialien, Feinstaub oder Lärm         verbunden werden und gesundes Leben in S      ­ tädten
   sind sowohl im Neubau als auch in der Weiterentwick-        und Gemeinden eine hohe Priorität erhalten. Ein
   lung des Bestands wichtige Themen für die nachhaltige       Schlüsselthema einer zukunftsfähigen Stadtentwick-
   Wohnraum-, Quartiers- und Stadtentwicklung.                 lung ist ein neuer Umgang mit der knappen ­Ressource
                                                               Fläche, sowohl im Hinblick auf die baulichen Struk-
Von hoher Bedeutung sind die Auswirkungen der                  turen als auch hinsichtlich der Verkehrs-, Frei- und
Erd­erwärmung auf die menschliche Gesundheit und               Grünräume. Einen Ansatz für eine neue urbane
der daraus entstehende Anpassungsbedarf. Fragen                ­Flächenaufteilung bietet das Leitbild der dreifachen
der sozialen (Ungleich-)Verteilung von Umweltbelas-             Innenentwicklung, welches darauf zielt, gebaute Räu-
tungen und der Umweltgerechtigkeit spielen dabei                me, Freiräume und Mobilitätsoptionen in Städten in
eine zentrale Rolle. Das Einkommensniveau ist ein               den räumlichen Vernetzungen und inhaltlichen Zu-
entscheidender Faktor für die ­Wohnverhältnisse –               sammenhängen als ein Grundgerüst nachhaltiger
Menschen mit hohem Einkommen wohnen häu-                        Stadt- und Quartiersentwicklung zu verstehen und zu
figer in Lagen mit guten Umweltqualitäten (grün,                entwickeln. Nicht zuletzt gilt es, im Zuge der Wohn-
lärmarm), während Menschen mit geringeren Ein-                  raumschaffung den Schutz und die Förderung von
kommen häufiger in mehrfachbelasteten Lagen woh-                gebäudebewohnenden Tierarten im Sinne „lebendi-
nen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung              ger Gebäude“ sowie die Entwicklung der biologischen
der Schaffung von sozialem Wohnraum entschei-                   Vielfalt im Wohnumfeld zu stärken.
dend, der zugleich durch gute Umweltstandards am
Gebäude und im Wohnumfeld gesunde Wohnverhält-
nisse schafft (vgl. auch Kap. 3.2).

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Soziale Dimension

Grüne Wohnumfeldgestaltung und Lebensqualität im Stadtteil Wien Aspern

Zentrale Empfehlungen                                              ▸ Stärkung der Grünordnungsplanung und Ein-
▸ Umweltschutz, Klimaanpassung, Umweltgerech-                        führung eines verpflichtenden Freiflächengestal-
   tigkeit und Biodiversität in der Innenentwicklung                 tungsplans zum Bauantrag zur Bündelung der
   stärken, bspw. durch Weiterentwicklungen im                       Belange von Klimaanpassung, Erholung, Lebens-
   Baurecht, § 13 a, § 34 und § 176 a BauGB.                         qualität und Biodiversität auch im unbeplanten
                                                                     Innenbereich.
▸ Das Leitbild der doppelten Innenentwicklung zu
  einem Leitbild der dreifachen Innenentwicklung
  erweitern: Neuer Umgang mit der Ressource Flä-                         Definition des Leitbilds
  che und Verknüpfung von klimaangepasstem und                           dreifache Innenentwicklung
  nachhaltigem Bauen, blau-grünen Infrastrukturen
  und Mobilitätswende in urbanen Räumen.                                 Das Umweltbundesamt hat eine Definition des
                                                                         ­Leitbilds der „dreifachen Innentwicklung“ und ei-
▸ Ökologische und soziale Belange in der Städte­                         ne Einordnung des Handlungshintergrunds und der
  bauförderung durch Vergabekriterien stärken,                           Chancen aus Perspektive einer umweltorientierten
  wie bspw. hohe Anforderungen an eine klima­                            Stadtentwicklung vorgelegt: ▸ www.umweltbundes-
  gerechte Quartiersgestaltung, an innovative                            amt.de/sites/default/files/medien/479/publikatio-
  Mobilitäts­lösungen, an multi-funktionale, öffent­                     nen/221208_uba_hg_dreifacheinnenentwicklung.pdf.
  liche Räume und an die Verbesserung von Umwelt-
  gerechtigkeit.

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