Umwelt und Klima schützen - Wohnraum schaffen - Lebensqualität verbessern - position // februar 2023
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position // februar 2023 Umwelt und Klima schützen – Wohnraum schaffen – Lebensqualität verbessern Empfehlungen von UBA und KNBau für einen nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau
Impressum Herausgeber: Umweltbundesamt Fachgebiet I 2.5 und III 1.4 Postfach 14 06 06813 Dessau-Roßlau Tel: +49 340-2103-0 buergerservice@uba.de Internet: www.umweltbundesamt.de /umweltbundesamt.de /umweltbundesamt /umweltbundesamt /umweltbundesamt Autor*innen: UBA: Susanne Schubert, Stephan Bartke, Katja Becken, Maresa Breitmeier, Frank Brozowski, Sarah DeTroy, Detlef Grimski, Outi Ilvonen, Hermann Keßler, Dirk Messner, Valentin Meilinger, Ulrike von Schlippenbach, Alice Schröder, Jens Schuberth KNBau: Annette Hillebrandt, Matthias Lerm, Thomas Lützkendorf, Christa Reicher Unter Mitwirkung weiterer Kolleg*innen des Umweltbundesamts und Mitgliedern der KNBau Satz und Layout: Atelier Hauer + Dörfler GmbH Publikationen als pdf: www.umweltbundesamt.de/publikationen Bildquellen: Titel: finecki/AdobeStock S. 6: Mariola Anna S/shutterstock.com S. 11, 12, 13: Annette Hillebrandt S. 16, 20, 25, 28: Matthias Lerm S. 22: shutterstock.com S. 24: Mo Photography Berlin/shutterstock.com Stand: Februar 2023 ISSN 2363-8273
position // februar 2023 Umwelt und Klima schützen – Wohnraum schaffen – Lebensqualität verbessern Empfehlungen von UBA und KNBau für einen nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau
Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, Wir stehen vor einer gewaltigen Herausforde- (vgl. Kap. 2.1) oder flexible Grundrisse bei Um- und rung: Die Klimakrise und die Ressourcenknapp- Neubau, um eine lange Nutzung zu ermöglichen (vgl. heit erfordern einen konsequenten Paradigmen- Kap. 4.1). wechsel im Wohnungs- und Städtebau. Es gilt, Lebensqualität, Gesundheit und Ästhetik mit Um- Andere Maßnahmen und Instrumente sind schwie- welt-, Ressourcen- und Klimaschutz zusammenzu- riger umzusetzen oder die konkreten Lösungen und denken. Wohnraumschaffung muss zukünftig nach- Umsetzungswege sind noch offen (sogenannte „dicke haltiger werden. Die Ziele des Green Deals der EU Bretter“). Beispiele sind der Einsatz alternativer bio- und die ambitionierten nationalen und europäi- gener Baustoffe (vgl. Kap. 2.2.), die Erreichung einer schen Klimaschutzziele können ohne eine Verän- Flächenkreislaufwirtschaft (vgl. Kap. 2.5) oder die derung im Bausektor nicht erreicht werden. Vorschläge, den Trend der zunehmenden Wohnfläche pro Kopf zu stoppen (vgl. Kap. 3.4). Insbesondere auf Zugleich muss Wohnen bezahlbar sein. Wohnraum- die Frage, welche angemessenen und umsetzbaren schaffung sollte gesellschaftlichen Zusammenhalt Lösungen es für das umwelt-, klima- und ressour- fördern und durch die Gestaltung nachhaltiger urba- cenpolitisch problematische Wohnflächenwachstum ner Räume gute Lebens- und Umweltqualität schaf- gibt, müssen Politik und Forschung schnell nachhal- fen. Hierfür bedarf es städtebaulicher, technischer, tige Antworten finden. umwelt- und gesellschaftspolitischer Antworten. Es gibt zahlreiche Maßnahmen und Instrumente, Diese sozial-ökologische Transformation urbaner bei denen wir bereits einen politischen und gesell- Räume braucht nicht nur politischen Willen, son- schaftlichen Konsens haben, der die Umsetzung dern auch ein schnelles und radikales Umdenken von Lösungen vereinfacht. Gute Beispiele sind die in entscheidenden Handlungsfeldern des nachhalti- Bereitstellung besserer Planungsgrundlagen für eine gen Bauens, insbesondere beim Einsatz von Baustof- klimasensible Stadtentwicklung (vgl. Kap. 2.4) und fen, in der Wärmeversorgung und im Städtebau. die verstärkte Forschung zu den Möglichkeiten nach- Der Erhalt, die Weiterentwicklung, der Umbau und haltiger Wohnraumschaffung, die zugleich ressour- die Umnutzung des vorhandenen Gebäudebestan- censchonend und angepasst an die Anforderungen des müssen Priorität bekommen, um die hohen Ener- des Klimawandels ist (vgl. Kap. 4.4). gie- und Stoffströme sowie zusätzliche Flächeninan- spruchnahme durch Neubau zu vermeiden. Aber: Es gibt auch Kontroversen, bei denen nicht alle Akteurinnen und Akteure einen gemeinsamen Mit diesem Positionspapier legt das Umweltbun- Lösungs- und Umsetzungsweg teilen. Beispiele sind desamt gemeinsam mit der Kommission Nach- die Einführung einer Solaranlagenpflicht bei allen haltiges Bauen (KNBau) am Umweltbundesamt Wohngebäuden an geeigneten Standorten (vgl. Kap. Empfehlungen zur umwelt-, klima- und ressour- 2.1) und die Schaffung eines besseren Marktzugangs censchonenden, gleichzeitig klimaangepassten, für Sekundärbaustoffe durch eine Primärbaustoff- gesundheits- und sozialverträglichen Schaffung steuer (vgl. Kap. 2.2). Hier müssen wir noch stärker in bezahlbaren Wohnraums vor. Adressat der Emp- den Austausch gehen, um deutlich zu machen, wo die fehlungen ist in erster Linie die Bundespolitik, vor Vorteile für Umwelt- und Klimaschutz liegen. Und wir allem die Ressorts Bau- und Stadtentwicklung, Um- brauchen gute, praxistaugliche Umsetzungswege und welt, Klimaschutz, Verkehr und Gesundheit. Transformationsallianzen zur Umsetzung. Die Vorschläge zeigen das Spektrum an Handlungs- Mit Blick auf die Stellschrauben des dringend not- möglichkeiten auf. Es finden sich dabei Maßnahmen wendigen Wandels stellen wir fest (vgl. Kap. 4): Für und Instrumente, die einfach umsetzbar sind und eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformati- entsprechend zügig angegangen werden könnten on brauchen wir einen viel stärkeren Fokus auf den (sogenannte “Low-Hanging Fruits”). Beispiele hier- Gebäudebestand. Wohnraumschaffung und Bauen für sind ein ambitionierter Klimaschutz im Neubau muss vorrangig klima- und ressourcenschonender 4
Vorwort Bestandsumbau sein. Hierbei müssen Bauweisen Eine andere Ebene sind Zielkonflikte, die durch Maß- mit zirkulären Ansätzen sowie klima- und ressour- nahmen und Instrumente an der Schnittstelle von censchonende Baumaterialien an Bedeutung gewin- Umwelt-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik beein- nen. Am klimafreundlichsten ist der Wohnraum, flusst werden. Hierzu gehört beispielsweise die Frage, der nicht neu gebaut werden muss. wie wir die Innenverdichtung forcieren können, um Flächen zu sparen und gleichzeitig für den Wo Neubau unausweichlich ist, müssen Treibhaus- Erhalt und die Qualifizierung von Freiflächen zu gasemissionen in der Bau- und Nutzungsphase sowie sorgen, u. a. für die Klimaanpassung, für Erholung Ressourcen- und Flächenverbräuche auf ein Mini- und Gesundheit. mum gesenkt werden. Hierbei geht es um zirkuläres Wirtschaften, Ressourcenschonung, Treibhaus- Eine weitere Ebene betrifft das Spannungsfeld von gasneutralität und Netto-Null-Flächenverbrauch – nachhaltiger Entwicklung bei der Beziehung von und zwar gleichzeitig. Es geht um resiliente, an den Stadt und Land. Wir brauchen eine Strukturpolitik, Klimawandel angepasste urbane Strukturen, die die schrumpfende Räume stärkt und dazu beiträgt, Rückgewinnung der öffentlichen Räume, die Ermög den Wohnflächenentwicklungsdruck auf Ballungs- lichung eines engeren sozialen Miteinanders im Stadt- räume zu reduzieren. Die letzte Ebene greift un- quartier, den Erhalt und die Entwicklung schöner und ser Kernanliegen auf: das Spannungsfeld von Neu- sparsamer Baustrukturen und den Erhalt und den bau versus Umbau des Gebäudebestands. Der Ausbau der grün-blauen Infrastrukturen in den urba- Bestandserhalt muss klaren Vorrang erhalten – dies nen Räumen. Wir brauchen neue, innovative plane setzt wiederum die Umsetzung von hohen Energie rische Ansätze wie die dreifache Innenentwicklung, effizienzstandards auch im Bestand voraus. die Wohnen, Mobilität und Grünflächen nachhaltig verbindet, und einen stärkeren Fokus auf das Quartier Diese konstruktive Auflösung der Zielkonflikte und als entscheidende Handlungsebene. Spannungsfelder brauchen umwelt-, bau- und stadt entwicklungspolitische Antworten, die über Zu- Unsere Diskussion zu den Empfehlungen hat gezeigt, ständigkeitsgrenzen hinweggehen – und den Mut, dass Zielkonflikte auf unterschiedlichen Ebenen ad- gerade an deren Reibungspunkten anzusetzen, um ressiert werden müssen. Eine Ebene betrifft die Rah- Lösungsmöglichkeiten zu finden. Das vorliegende Po- menbedingungen des politischen Handelns für einen sitionspapier will genau hierzu einen Beitrag liefern. nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau. Dazu gehört nicht zuletzt die gesellschaftliche und soziale Situation von Wohlstand und Armut, die weit über den Einfluss- bereich von Wohnungs- und Städtebau hinausgeht. Prof. Dirk Messner Prof. Christa Reicher Dr. habil. Matthias Lerm Prof. Annette Hillebrandt Präsident des Umwelt Vorsitzende der Vorsitzender der stellvertretende Vorsit bundesamts KNBau am UBA KNBau am UBA zende der KNBau am UBA 5
Inhalt Inhalt 1 Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig erreichen������������������������������������������������������������������������������� 8 1.1 Wohnungs- und Städtebau als wichtiger Faktor für Umwelt-, Ressourcen- und Klimaschutz���������������������������������������������������������������������������������������� 8 1.2 Übergeordnete europäische Weichenstellung und Ziele��������������������������������������������������������� 9 1.3 Über dieses Positionspapier���������������������������������������������������������������������������������������� 10 2 Ökologische Dimension��������������������������������������������������������������������������������������������� 11 2.1 Die Klimaschutzziele erreichen – den Klimawandel antizipieren ��������������������������������������������� 11 2.2 Ressourcen schonen, Abfälle vermeiden, Stoffkreisläufe schließen����������������������������������������� 12 2.3 Das Null-Schadstoff-Ziel der “Zero Pollution Ambition” im Bau- und Gebäudebereich erreichen��������������������������������������������������������������������������� 14 2.4 Die Anpassung an den Klimawandel vorantreiben�������������������������������������������������������������� 15 2.5 Flächenneuinanspruchnahme reduzieren – Bestandspotenziale nutzen, Zersiedlung stoppen�������������������������������������������������������������� 17 3 Soziale Dimension���������������������������������������������������������������������������������������������������� 19 3.1 Hohe Lebensqualität, gesunde Wohnverhältnisse, grüne und emissionsarme Städte schaffen������������������������������������������������������������������������������������ 19 3.2 Kostensparend bauen – gesamte Lebenszykluskosten bewerten�������������������������������������������� 21 3.3 Zusammenspiel von Ästhetik und nachhaltigem Bauen – Neues Europäisches Bauhaus stärken���������������������������������������������������������������������������� 22 3.4 Suffizienz im Wohnen: Wohnflächenkonsum als Thema nachhaltiger Lebensstile adressieren����������������������������������������������������������������������������� 23 4 Stellschrauben des Wandels�������������������������������������������������������������������������������������� 25 4.1 Gebäudebestand erhalten, weiterentwickeln, umbauen und umnutzen������������������������������������� 25 4.2 Prüfung der Rahmenbedingungen und Transformation der Regelwerke ������������������������������������ 26 4.3 Quartier als Handlungsebene stärken����������������������������������������������������������������������������� 28 4.4 Vernetzung, Aus- und Weiterbildung sowie Forschung stärken����������������������������������������������� 29 Endnoten���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 30 7
Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig erreichen 1 Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig erreichen Die Bundesregierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: können hier innovative Ideen sein, wie sie beispiels- Bis zu 400.000 neue Wohnungen sollen pro Jahr weise in der EU-Initiative zum „Neuen Europäi- entstehen, insgesamt bis zu 1,6 Millionen in dieser schen Bauhaus“ entstehen, die die Bauwende vor- Legislaturperiode, um dem dringenden Bedarf an be- anbringen soll und dabei Klima- und Umweltschutz zahlbarem Wohnraum zu begegnen. Zugleich müs- neu in Beziehung setzt zu Baukultur und Ästhetik sen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Europäi- für sozial inklusive Räume mit hoher Lebensqualität. schen Green Deals, ambitionierte Ziele im Umwelt-, Für die Bürger*innen wird Lebensqualität in ihrem Klima- und Naturschutz erreicht werden. Quartier greifbar. Die Auswirkungen des Klimawan- dels und des Verlustes von Biodiversität werden hier spürbar, ebenso wie erfolgreiche oder ausbleibende Emissionen und Ressourcenverbrauch – Anpassungsmaßnahmen, bauliche Entwicklungen Die Dimension in wenigen Zahlen und Nutzungsänderungen im öffentlichen Raum. Der Gebäudesektor ist entscheidend: Rund 30–35 % 1.1 Wohnungs- und Städtebau als wichtiger der Treibhausgas (THG)-Emissionen in Deutschland Faktor für Umwelt-, Ressourcen- und Klima- entfallen auf Errichtung, Erhalt und Betrieb von Ge- schutz bäuden (siehe Abbildung 1). Auch der Ressourcenver- Der Bau- und Gebäudebereich verfehlte bei sektoraler brauch (Boden und Fläche, Rohstoffe, Wasser etc.) ist Betrachtung der direkten Treibhausgas (THG)-Emis- enorm – so werden 50 % der gesamten Rohstoffge- sionen im Betrieb wiederholt die gesetzten Klima- winnung in Deutschland für Baumaterialien benötigt1 ziele. Mit der Novellierung des Bundes-Klimaschutz- und Bauprodukte sind nach Verpackungen der zweit- gesetzes (KSG) 2021 wurden bisherige Ziele weiter größte Anwendungsbereich für Kunststoffe2. verschärft. Treibhausgasneutralität muss bei Um- und Neubau erreicht werden, unter Beachtung Gleichzeitig entfielen im Jahr 2020 in Deutschland des vollständigen Lebenszyklus der Immobilien 55 % des gesamten Abfallaufkommens auf Bau- und über Herstellungs-, Nutzungs- und Rückbauphase der Abbruchabfälle3. Gebäude und Infrastrukturen. Jede Neubauaktivität geht mit weiteren Ressourcenbe- Ein „weiter so“ im Wohnungsbau kann daher nie- darfen und THG-Emissionen einher. Diese gilt es um- mand wollen. Eine kritische Diskussion muss die gehend zu minimieren sowie eine klimaangepasste Fragen beantworten: Wie, wo und für wen soll Wohn- Bauweise und Quartiersentwicklung (naturbasier- raum geschaffen werden? Welche Art von Wohnraum te Lösungen wie natürliche Kühlung und Stadtgrün, wird benötigt? Wie nutzen wir den Bestand und ent- Wasserrückhalt/-versickerung etc.), die drastische wickeln ihn weiter? Wie sieht eine Strategie aus, die Reduktion der THG-Emissionen und Einbindung von einen Beitrag zu umwelt- und klimapolitischen Ziel- erneuerbaren Energien (v. a. Solarenergie, Geother- setzungen leistet? Zudem erfordern Rohstoffknapp- mie und Umgebungswärme mittels Wärmepumpen) heiten und krisenbedingte Lieferkettenprobleme, sicherzustellen. Aus Umweltsicht besonders kritisch Fachkräftemangel und angespannte B odenmärkte bleiben bei Neubauten, insbesondere bei Einfamili- in vielen Städten und Regionen neue, innovative enhaussiedlungen am Stadtrand, die zusätzliche Flä- Handlungsansätze. Entscheidend wird sein, wie chenumwandlung und -versiegelung sowie der damit die Wohnraumentwicklung umwelt- und sozial einhergehende Druck auf Freiflächen und Ver- verträglich gelingt und wie die K limaschutzziele lust von Ökosystemen und Biodiversität. Deshalb kurz- und langfristig erreicht werden können, zu kommt der Nutzung des Gebäudebestands eine be- denen sich Deutschland verpflichtet hat. Die Stadt sondere Bedeutung zu. Diese muss – einschließlich entwicklung ist dabei nicht nur eine sozial- und kli- Sanierung, Um- und Weiterbau – ins Zentrum der mapolitische Herausforderung, sie ist vor allem auch Bemühungen zur nachhaltigen Wohnraumschaf- eine gesellschaftspolitische Chance. Wegweisend fung rücken. Dabei gilt es, den Bestand qualitativ 8
Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig erreichen aufzuwerten, durch Instandhaltung länger zu nutzen Maßnahmen des umfangreichen „Fit for 55“-Gesetz- und entsprechend des Bedarfs und unter Einhaltung bündels um mindestens 55 % netto gegenüber 1990 der Umwelt- und Klimaschutzziele umzubauen und reduzieren. Im Rahmen des EGD stellte die Kommis- zu ergänzen. sion im Mai 2021 den “Zero Pollution A ction Plan” (Null-Schadstoff-Aktionsplan) vor mit dem Ziel, die 1.2 Übergeordnete europäische Schadstoffbelastung von Luft, Wasser und Boden bis Weichenstellung und Ziele 2050 deutlich zu reduzieren. Auch in anderen Poli- Die nationalen Ziele können nicht losgelöst von der tikbereichen sind die Ambitionen hoch: Die „Reno- EU-Ebene betrachtet werden. Mit dem European vierungswelle“ für private und öffentliche Gebäude Green Deal (EGD) hat die Europäische Kommission soll die Energieeffizienz und Erschwinglichkeit von ein ambitioniertes Programm für die Transforma- Gebäuden fördern. Die EU-Bodenstrategie verankert tion vorgelegt. Ziel ist es, die europäische Wirt- das Ziel, den Flächenverbrauch bis zum Jahr 2050 auf schaft so umzubauen, dass im Jahr 2050 netto keine „Netto Null“ zu senken. Mit der Initiative „Neues THG-Emissionen mehr freigesetzt werden und dass Europäisches Bauhaus“ (NEB) erhielt der EGD ein das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennut- Gesicht. Das NEB ist eine kreative interdisziplinäre zung abgekoppelt ist. Der EGD ist ein umfassendes Initiative, die eine Schnittstelle zwischen Kunst, Programm für die nachhaltige Transformation Kultur, sozialer Inklusion, Umwelt- und Klimaschutz, Europas zu einem treibhausgasneutralen Konti- Wissenschaft und Technologie bildet, um eine nach- nent: Die Biodiversität soll wiederhergestellt, das Na- haltige, lebenswerte, schöne und inklusive Zukunft in turkapital der EU bewahrt und die Gesundheit und Städten, Kommunen und ländlichen Räumen zu ver- das Wohlergehen der Menschen vor umweltbeding- wirklichen. Die interdisziplinäre Europäische Bauhaus- ten und sozialen Risiken geschützt werden. Zentraler Bewegung verknüpft die ambitionierten Ziele des EGD Baustein ist das Europäische Klimagesetz, das das Er- für mehr Umwelt- und Klimaschutz mit der Lebenswelt reichen der THG-Neutralität bis 2050 festschreibt. Bis und L ebensqualität der Menschen in Europa. 2030 sollen sich die THG-Emissionen der EU durch Abbildung 1 Anteil der Gebäude an der Treibhausgas-Bilanz Je nach Bilanzgrenze ist der Vorketten für Energiebereitstellung im AuslandΔ Anteil der Gebäude an den Treibhausgasemissionen unter- schiedlich hoch: Die direkten Emissionen machen nur 15 % Gebäude aus, der Gebäudebetrieb ein- indirekt schließlich der indirekten Emis- (Strom, sionen 22 %, Gebäudebetrieb Fern- Energiewirtschaft wärme) im Inland 30 %. Bezöge man 56 Mt 247 Mt (2021)● Gebäude direkt (2020)○ Ausland ein, stiege der Anteil 358 Mt (2014)● (Gas, Öl, [Kohle]) 82 Mt 115 Mt (2021)● auf 35 %. 16 Mt (2014) in En.w.Δ (2014)○ 119 Mt (2014)● Weitere Sektoren des Gebäude Klimaschutzgesetzes produktion Inland (Verkehr, Landwirt- Ausland schaft, Abfallwirtschaft) 35 Mt (2014)Δ 41 Mt (2014) in Ind.Δ DE gesamt Industrie 762 Mt (2021)● 181 Mt (2021)● 902 Mt (2014)● 181 Mt (2014)● ● https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/treibhausgasemissionen-stiegen-2021-um-45-prozent ○ BA-Berechnungen auf Basis Arbeitsgemeinschaft Energiebilanz, Anwendungsbilanzen, Stand 09/2021; Umweltbundesamt, Zentrales System Emissionen, Stand 10/2022; U Umweltbundesamt, CO2-Emissionsfaktoren, Stand 06/2022. Δ Umweltfußabdruck von Gebäuden in Deutschland, BBSR-Online-Publikation Nr. 17/2020 [Achtung – THG womöglich mit Vorkette (unklar), und bei Wohngebäuden inkl. Haushaltsstrom] 9
Ambitionierte Ziele für Wohnraumschaffung, Umwelt- und Klimaschutz gleichzeitig erreichen 1.3 Über dieses Positionspapier Die Gliederung folgt den Schwerpunkten des EGD In diesem Papier werden zentrale Empfehlungen und wendet diese auf die Herausforderungen der des Umweltbundesamts gemeinsam mit der Kom- Wohnraumschaffung an: Ökologische Ziele der mission Nachhaltiges Bauen (KNBau) am Umwelt- Dekarbonisierung, Zirkularität, Zero Pollution und bundesamt zur umwelt-, klima- und ressourcenscho- Erhalt des Naturkapitals sowie soziale Ziele mit nenden sowie klimaangepassten, gesundheits- und Teilhabe- und Partizipationsaspekten, die gemäß sozialverträglichen Schaffung bezahlbaren Wohn- NEB-Leitbild zusammen mit den Aspekten Kosten- raums vorgestellt. Die Empfehlungen richten sich in wahrheit und Ästhetik betrachtet werden. Ein Kapitel erster Linie an die Bundespolitik mit den Ressorts für zu Stellschrauben, die quer zu den anderen Zielsetzun- Bau- und Stadtentwicklung, Umwelt, Klimaschutz, gen und Handlungsfeldern liegen und für deren Trans- Verkehr und Gesundheit. Darüber hinaus sind weitere formation entscheidend sind, rundet das Papier ab. Akteure angesprochen, wie politische Entscheidungs- träger*innen auf EU-, Landes- und kommunaler Ebe- ne, Verbände, Planungspraxis und die Fachöffentlich- keit. Wir wollen aus der Perspektive von Umwelt- und Klimaschutz unter Einbeziehung der sozialen Dimen- sion einen Diskussionsbeitrag zum Erreichen der Zie- le der Wohnraumschaffung in Verbindung mit Zielen einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Stadtent- wicklung leisten. Abbildung 2 Überblick über die zentralen Forderungen Ökologische Soziale Dimension Dimension Stellschrauben des Wandels Klimaschutzziele Kostensparend erreichen Bauen – Lebens- zykluskosten Bestand erhalten und entwickeln Ressourcen schonen Wohnraum schließen Hohe Lebens- Quartier als und Klimaschutz qualität, gesunde Handlungsebene voranbringen, Wohnverhältnisse stärken Lebensqualität verbessern Transformation Ästhetik und nach- der Regelwerke haltiges Bauen/ Anpassung an den Neues Europäisches Klimawandel Bauhaus Ausbildung, Vernetzung und Forschung stärken Flächenneu- inanspruchnahme Wohnen/Wohn- reduzieren Quelle: Umweltbundesamt 10
Ökologische Dimension 2 Ökologische Dimension Drängende Herausforderungen des Umwelt-, Klima- und Über den Betrieb hinaus verursacht die H erstellung Ressourcenschutzes müssen im Zuge der Wohnraum- der Baustoffe und der Anlagentechnik hohe THG- schaffung mit hoher Priorität adressiert werden. Die Emissionen, die aber in der sektoralen Betrachtung deutschen und europäischen Ziele zu Klima- und Res- des KSG der Industrie zugerechnet und ebenso stark sourcenschutz sowie das Null-Schadstoff-Ziel werden reduziert werden müssen. Bauen mit nachwachsen- nur erreicht, wenn wir anders neu- und umbauen und den Rohstoffen, langlebige Materialien und die konse- den Bestand nachhaltig nutzen. Die notwendige An- quente Führung von Baumaterialien in geschlossenen passung an die Folgen des Klimawandels und der spar Kreisläufen wirken sich positiv auf die Lebenszyklus- same Umgang mit Ressourcen und Flächen stellen hohe bilanz von Neu- und Erweiterungsbauten aus und sen- Anforderungen an die Gestaltung von Gebäuden und ken diese vorgelagerten THG-Emissionen. Der Klima- an die integrierte Quartiers- und Stadtentwicklung. wandel verschärft die Lage, indem er u. a. zu heißeren Sommern führt. Sie lassen die Städte und Innenräume 2.1 Die Klimaschutzziele erreichen – stärker überhitzen. Das beeinträchtigt zunehmend die den Klimawandel antizipieren Gesundheit der Bewohner*innen. Auch der Bedarf an Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) gibt vor, dass Klimatisierung und Kälteversorgung steigt, was die die direkten THG-Emissionen des Gebäudebestandes Klimaschutzziele konterkariert. von 2020 bis 2030 um 43 % sinken müssen, damit Deutschland im Jahr 2045 die Netto-THG-Neutralität Ziele erreicht. Laut Projektionsbericht 2021 der Bundesre- Die THG-Emissionen, die neuer Wohnraum verursacht, gierung werden die Ziele mit der bisherigen Politik sind auf ein Minimum zu begrenzen. Sie sind jedoch, verfehlt. Zusätzlicher Wohnraum, der nicht vollstän- vor allem für die Herstellung klimafreundlicher Bau dig mit erneuerbaren Energien versorgt wird, erhöht stoffe, noch nicht vollständig vermeidbar. Die Nutzungs- die THG-Emissionen des Gebäudebestandes. phase kann nach Stand der Technik mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien THG-neutral werden. Wo dies heute noch nicht gelingt, brauchen wir Ansätze, die sicher zur THG-Neutralität bis 2045 führen und da- bei auch die Herstellungsphase einschließen. Gegen die fortschreitende Überhitzung von Innenräumen im Som- mer sollten vorbeugende Maßnahmen an den Gebäuden ergriffen und durch städtebauliche und freiraumplane- rische Maßnahmen Vorsorge getroffen werden. Dazu zählt auch die Nutzung naturbasierter Lösungen, wie Fassaden- oder Dachbegrünungen. Zentrale Empfehlungen ▸ Neuer Wohnraum, sowohl in unvermeidlichen Neubauten als auch in umgenutzten Bestands bauten, sollte · ein Wärmeschutzniveau erhalten, wie es für das „Effizienzhaus 40“ oder das Passivhaus als Zusatzkriterium festgelegt ist, · mit Wärmepumpen (vgl. Kap 4.1) oder über Wärmenetze erneuerbar (d.h. nicht lokal mit Brennstoffen) versorgt, · aus möglichst klimafreundlichen Baustoffen (siehe Kap. 2.2) errichtet und · so effizient betrieben werden wie in der Kombination von PV-Elementen und Altholzfassade Planung vorgesehen. 11
Ökologische Dimension ▸ Dieses Wärmeschutzniveau sollte bei Sanierungen 2.2 Ressourcen schonen, Abfälle vermeiden, nur im Einzelfall verringert werden, wenn andern- Stoffkreisläufe schließen falls eine Sanierung aus technischen oder, trotz Ein Viertel der mit Gebäuden über den gesamten Le- Inanspruchnahme von Fördermitteln, wirtschaft- benszyklus einhergehenden THG-Emissionen entfällt lichen Gründen verhindert würde. Ein Ersatzneu- auf die vorgelagerten Lieferketten der Herstellung, bau sollte erst zulässig sein, wenn seine Lebens- Errichtung, Modernisierung und die direkten Emis- zyklus-Treibhausgasemissionen niedriger sind als sionen der Bauwirtschaft. Gleichzeitig zeugen seit die einer bestmöglichen Sanierung. Jahrzehnten immense Abfallströme aus dem Bauwe- sen von verschwendeten Ressourcen und ineffizien- ▸ Der sommerliche Wärmeschutz sollte an Datensät- ten Nutzungen. So entfielen im Jahr 2020 in Deutsch- zen bemessen werden, die das zukünftig wärmere land etwas mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens Klima beschreiben, um Überhitzung im Sommer auf Bau- und Abbruchabfälle (vgl. Kasten Kap. 1, S.4). langfristig vorzubeugen. Bei gleichzeitig knapp werdendem Deponievolumen hat dies absehbar Kostensteigerungen für auf De- ▸ Übergreifende Gesetzgebungsinitiativen für ponien abgelagerte Bauabfälle zur Folge und damit klima- und ressourcenschonendes Bauen und höhere Baukosten bei jeder zukünftigen Instandset- Modernisieren sollten auf den Weg gebracht wer- zung oder bei Abriss. Die vermeintlich hohen Quoten den, bspw. die Einführung einer Solaranlagen- der Verwertung von Bauschutt umfassen auch Down pflicht bei Wohngebäuden, auf denen Solaranla- cycling – geschlossene Stoffkreisläufe ohne M asse- gen wirtschaftlich betrieben werden können. oder Qualitätsverlust sind sehr selten. Die direkte Wiederverwendung von Altbauteilen und -materialien ist die effektivste Art, Ressourcen zu schonen. Obwohl Klimaneutraler Gebäudebestand 2050 Rohstoffe weltweit knapp sind, fristet die Weiternut- zung aktuell noch ein Nischendasein. Konzepte und verfügbare Techniken, die den Gebäude bestand in einen nahezu klimaneutralen Zustand über- Ziele führen können, sind in der Publikation „Klimaneutraler Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – von der Gebäudebestand 2050: Energieeffizienzpotenziale bisher überwiegend linearen hin zur zirkulären Bau- und die Auswirkungen des Klimawandels auf den wirtschaft: Die Weiter- und Wiederverwendung des Gebäudebestand“ des UBA dargestellt. vorhandenen Bauwerksbestands (s. Kapitel 4.1), ▸ www.umweltbundesamt.de/publikationen/klima- die stoffliche Verwertung von Rückbaumaterial auf neutraler-gebaeudebestand-2050-0 höchstem Niveau und das Bauen für ein zukünftiges Recycling (RC) müssen in Zukunft Hand in Hand gehen. Bereits bei der Planung neuer Gebäude oder Sanierungen sind die Grundsteine für eine lange Nut- zungsphase, die Möglichkeiten späterer Umnutzung und die Kreislaufführung der eingesetzten Materiali- en beim Rückbau zu legen. Die Herstellung neuer energieintensiver Baustoffe so- wie der Verbrauch endlicher Ressourcen wie M etalle, Sand, Kies oder Gips muss durch die Verwendung recyclingfähiger und auf nachwachsenden Rohstof- fen basierender Produkte sowie durch materialspa- rendes Bauen reduziert werden; das Potenzial von Bauen als Senke muss klar identifiziert und zukünftig ausgeschöpft werden. Durch eine intensive Nutzung von Holz ist ein treibhausgasneutraler Bau und lang- fristiger Erhalt von Gebäuden nach aktuellen Berech- nungen möglich. Die Treibhausgasemissionen aus Wandaufbau mit Strohdämmung den notwendigen Betonbauteilen in der Bauphase 12
Ökologische Dimension lassen sich durch optimierten Holz-Einsatz vermin- Ressourcenschonung im Bauwesen, die den Re- dern4. Nur voll recyclingfähige oder mindestens einen gelungsrahmen der EU-Ökodesign-Verordnung erhöhten Rezyklatanteil besitzende, schadstoffarme, und der EU-Bauprodukte-Verordnung voll aus- mehrfach verwendbare, langlebige und reparierbare schöpfen – ersatzweise bzw. ergänzend auf Bun- Bauprodukte sollten in den Verkehr gebracht werden. desebene und Hinwirken auf eine entsprechende Verankerung der Ressourcenschonung in den Lan- desbauordnungen. Umweltfreundliche Bauprodukte für nachhaltiges Bauen ▸ Einführung eines „Top-Runner-Programms“ für kreislauffähige, CO2-reduzierte Produkte. In der Datenbank des Blauen Engels sind tages aktuell Bauprodukte am deutschen Markt, die ▸ Einführung einer Primärbaustoffsteuer in markt- strenge Schadstoffanforderungen für Umwelt und wirtschaftlich relevanter Höhe speziell für den Gesundheit erfüllen, leicht auffindbar. Einsatz von Kies, Sand und Naturgips im Bauge- ▸ www.blauer-engel.de/de/produktwelt werbe, um Recycling-Baustoffen einen diskrimi- nierungsfreien Zugang zu regionalen und ortsna- hen Wertstoffmärkten zu ermöglichen. ▸ Im Rahmen der Verfügbarkeiten sollten Holzbau- weisen und die Kaskadennutzung des Baustoffes Holz gefördert und mit dem naturnahen Waldum- bau in Einklang gebracht werden. ▸ Der Einsatz schadstoffarmer, weniger klima- schädlicher alternativer Baustoffe (Laubholz, Ton, Lehm, Stroh etc.) und Bauweisen (Leichtbauwei- sen), low-tech-Ansätze sowie das Potenzial von Bauten als Senke sollte beforscht und gefördert/ genutzt werden. Lehmverputz auf Strohdämmung ▸ Bei einem stark steigenden Einsatz kompostier- barer und für die Bioabfallverwertung geeigneter Zentrale Empfehlungen Bauprodukte wie Stroh sollte geprüft werden, ob ▸ Rechtssichere Vorgabe von verbindlichen Leitlini- es notwendig ist, die Gewerbeabfallverordnung en zur Ressourcenschonung für die Vergabe von (Erfassung und Getrennthaltung) und die Bio- Bauprojekten v. a. durch die öffentliche Hand. Abfallverordnung (Einsatzstoffe für die Kompos- tierung) anzupassen. ▸ Schaffung flächendeckender Rückgabemöglich- keiten für Bauteile, ggf. unter Kostenbeteiligung der Bauproduktehersteller und Klärung der Über- Urban Mining nahme der Gewährleistungspflichten. Informationen zu den Möglichkeiten und Chancen ▸ Erarbeitung eines prospektiven, wissensbasier- des Urban Mining sind im Atlas Recycling5 zusammen- ten Materialkatasters für regionale Gebäudebe- gestellt sowie hier: ▸ www.urban-mining-design.de stände und einer Urban-Mining-Strategie analog der F orderung des Ressourceneffizienzprogramms Das Tool “Urban Mining Index” ermöglicht Archi- (ProgRess III) der Bundesregierung. tekt*innen schon bei der Planung eine möglichst hohe Zirkularitätsrate der verplanten und verbauten ▸ Nutzung von Ermächtigungen des Kreislaufwirt- Materialen zu erreichen. schaftsgesetzes im Zusammenspiel mit einem ▸ https://urban-mining-index.de/ Hinwirken auf europäische Lösungen für die 13
Ökologische Dimension Abbildung 3 Materialkreisläufe im Bauwesen Außerhalb Innerhalb Qualitätserhalt Hochbauwesen Hochbauwesen Qualitätserhalt biotischer Kreislauf Geringer Qualitätsverlust Weiter- Höherer Qualitätsverlust verwertung Aufgabe von Qualität Verwendung Erhalt der Produktgestalt Aufbe- Wieder- reitung verwertung Verwertung gestalt Kompostierung Wieder- verwendung energetische Rückbau Nutzung Beseitigung keine Nachnutzung Quelle: Annette Hillebrandt, Petra Riegler-Floors, Anja Rosen, Johanna Seggewies: Atlas Recycling, Edition DETAIL, München 2018 2.3 Das Null-Schadstoff-Ziel der Bis heute fehlen in Deutschland oft noch verbindliche “Zero Pollution Ambition” im Bau- Vorgaben für die Freisetzung von zugesetzten Schad- und Gebäudebereich erreichen stoffen aus Bauprodukten, die eine Vorsorge vor dem Im Rahmen des European Green Deal hat die Euro Einbau ermöglichen würden. Die diffuse Schadstoff- päische Kommission das Null-Schadstoff-Ziel für belastung aus Gebäuden ist ein Grund, weshalb die eine schadstofffreie Umwelt (Luft, Wasser, Boden) Erreichung der Umweltqualitätsziele der Wasserrah- ausgesprochen. Auch Gebäude sowie deren Errich- menrichtlinie, der Oberflächengewässerverordnung tung, Betrieb und Rückbau tragen zur Verschmut- und der Grundwasserverordnung im urbanen Raum zung von Luft, Wasser und Boden bei, was insbeson- gefährdet ist. Gleichzeitig ist es mit sorgfältiger Pla- dere in Ballungsräumen zu relevanten Belastungen nung möglich, eine nicht toxische Umwelt und eine führen kann. Beispiele sind organische Zusatzstoffe, für die Bewohner*innen gesundheitlich unbedenk- die etwa aus Putzen, Fassadenfarben (z. B. Biozide liche Innenraumluft zu erreichen. Im Übrigen ist die Diuron und Terbutryn) oder Dachabdichtungsbahnen möglichst weitgehende Schadstofffreiheit von Baustof- (z. B. Wurzelschutzmittel Mecoprop und MCPA) aus- fen eine Voraussetzung für ihre Kreislaufführung am laugen und Konzentrationen im Regenwasserkanal Nutzungsende. erreichen, die Grenzwerte für Oberflächengewässer überschreiten. Als Quelle für I nnenraumschadstoffe Studien zeigen, dass durch die Nutzung schadstoff haben Bauprodukte eine hohe Bedeutung, weil sie armer Bauprodukte Betriebskosten (Lüftung) gesenkt sich schwer austauschen lassen. Ein Verzicht auf Bau- werden können, sodass höhere Anschaffungskosten produktprüfungen im Vorfeld kann im Schadensfall relativiert werden6. zu kostenintensiven Rückbaumaßnahmen führen. 14
Ökologische Dimension Ziele 2.4 Die Anpassung an den Klimawandel Vermeidung oder Reduzierung der stofflichen Be vorantreiben lastung der Umwelt, insbesondere der Gewässer, Die Klimawirkungs- und Risikoanalyse des Bun- sowie der menschlichen Gesundheit durch entspre- des zeigt, dass Deutschlands Städte und Regionen chende Auswahl der Bauprodukte und konstruktive zunehmend von den Folgen des Klimawandels be Maßnahmen. troffen sind. Zentrale Empfehlungen Steigende Höchsttemperaturen und die Verlängerung ▸ Die Länder sollten aktiv bei der Etablierung eines sommerlicher Hitzeperioden verschärfen das Gesund- hohen Schutzniveaus für einen vorsorgenden heitsrisiko durch urbane Hitzeinseleffekte, insbeson- Umwelt- und Gesundheitsschutz mit adäquaten dere für vulnerable Bevölkerungsgruppen wie ältere Mindeststandards für die Freisetzung von zuge- und chronisch erkrankte Menschen. Der hohe Flä- setzten Schadstoffen aus Bauprodukten durch aus- chendruck in Städten durch bauliche Entwicklung reichende Ermächtigungsgrundlagen in Bundes- begrenzt die Möglichkeiten, städtisches Grün zur gesetzen unterstützt werden. Die Länder sollten Hitzeminderung auszuweiten. entsprechend das Schutzniveau in den Landes bauordnungen erhöhen, sodass Risiken durch Häufiger auftretende Starkregenereignisse und damit Emissionen aus Bauprodukten vorgebeugt wird. verbundene Mischwasserüberläufe und Hochwässer können erhebliche Schäden an Gebäuden, Infrastruk- ▸ Sich dafür einsetzen, eine EU-Richtlinie tur und Umwelt verursachen und die Gesundheit für gesunde Innenraumluft auf einem hohen und das Leben von Menschen gefährden. Besonderes Schutzniveau zu initiieren, um die Lücken der Augenmerk gilt auch hochwassergefährdeten Lagen EU-BauPVO zu schließen. (bspw. in Flusstälern/an Küsten). ▸ Geringfügigkeitsschwellen für Boden und Grund- Ziele wasser aus dem Umweltrecht verbindlich für Entsprechend dem Vorsorgeprinzip der Deutschen Bauprodukte im Hochbau übertragen, beispiels- Anpassungsstrategie an den Klimawandel soll zu- weise analog der Methodik der Ersatzbaustoff künftige Wohnraumschaffung so erfolgen, dass verordnung. Schäden für Menschen und Umwelt durch Klimafol- gen vermieden oder verringert werden. Dies betrifft ▸ Bei der Planung im Wohnungsbau Produkte ohne in Städten insbesondere Klimarisiken durch Hitze, stoffliche Belastung festlegen und in der Aus- Trockenheit und Starkregen. Einerseits muss neu- schreibung explizit fordern. er Wohnungsbau selbst vor Klimarisiken geschützt werden, z. B. durch eine passende Standortwahl und ▸ Durch konstruktive Gestaltung eine nicht toxi durch technische und naturbasierte Maßnahmen. sche, gesunde Umwelt ermöglichen: beispielswei- Insbesondere naturbasierte Maßnahmen, wie bspw. se schattenspendende große Dachüberstände zum Grünstrukturen, Bäume und Gewässer zur Kühlung Schutz vor Sonneneinstrahlung und Schlagregen, und als Retentionsflächen für Regenrückhalt sowie Fassaden ohne Biozide, adäquate Lüftung für ge- Grünstrukturen an Gebäuden wie Dach- und Fassa- sunde Innenraumluft, begrünte Fassaden und denbegrünung sind auch beim Bauen im Bestand es- Dächer sowie Verschattung vorsehen. sentiell. Andererseits müssen die stadtklimatischen Effekte von neuer Wohnungsbauentwicklung, wie die ▸ Die Europäische Kommission bitten, das Null- Erhöhung städtischer Temperaturen durch zusätzli- Schadstoff-Ziel bei der Novelle der EU-BauPVO7 che Flächenversiegelung und die Verringerung von zu berücksichtigen. Kaltluftentstehung, möglichst vollständig vermieden, minimiert bzw. kompensiert werden. ▸ Den rechtlichen Rahmen für die Gewährleistung beim Einbau wiederverwendeter Gebrauchtteile zügig entwickeln. 15
Ökologische Dimension Grüne und blaue Infrastruktur für Klimaanpassung Zentrale Empfehlungen ▸ Hitzeaktionspläne aufbauend auf lokalen Klima ▸ Die Umsetzung des Leitbildes der wassersensiblen risikoanalysen in den Kommunen erstellen und Stadt/Schwammstadt beschleunigen, bspw. durch bei der Wohnraumschaffung wie auch bei der die Spezifizierung der Klimaschutzklausel des § 1 a klimaangepassten Ertüchtigung von Bestands Abs. 5 BauGB in Bezug auf erforderliche Vorkeh- gebäuden (z. B. Verschattung durch Stadtbäume rungen zum Vorrang der Niederschlagsversicke- und Außenjalousien) berücksichtigen. rung vor Ort als Baustein eines klimaangepassten Wasserrückhalts und zur Bewältigung zunehmen- ▸ Überarbeitung untergesetzlicher Regelungen und der Hitzebelastungen in Städten. Normen, die der klimaangepassten Stadtgestal- tung mit naturbasierten Lösungen entgegenstehen ▸ Antragsteller verstärkt auffordern und unter- (z. B. „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen stützen, die Möglichkeiten für klimaangepass- (RASt 06)“, DIN 1998 Unterbringung von Leitun- tes B auen im Rahmen der Städtebauförderung zu gen und Anlagen im öffentlichen Straßenraum – nutzen, insbesondere für Gründächer und Grün Richtlinie für die Planung). fassaden sowie kombinierte Solargründächer; keine Förderung ohne Beitrag zu Klimaschutz und -anpassung. Tatenbank Klimaanpassung ▸ Die Planungsgrundlagen für eine klimaangepass- Die Tatenbank zur Klimaanpassung des Umwelt te Stadtentwicklung verbessern, vor allem durch bundesamts ermöglicht einen weiten Überblick Rahmensetzung für kommunale Klimarisikoana- über erfolgreiche Umsetzungsprojekte der lysen in einem Klimaanpassungsgesetz des Bun- Klimaanpassung in diversen räumlichen und des sowie durch verpflichtende Aufstellung von sozialen Kontexten und liefert Inspiration. kommunalen Starkregenrisikokarten und Hitze ▸ www.umweltbundesamt.de/themen/klima- belastungskarten. energie/klimafolgen-anpassung/werkzeuge-der- anpassung/tatenbank 16
Ökologische Dimension 2.5 Flächenneuinanspruchnahme zur weiteren Flächenneuinanspruchnahme für Sied- reduzieren – Bestandspotenziale nutzen, lungs- und Verkehrszwecke führen, da es in Deutsch- Zersiedlung stoppen land genügend Bestandsflächenpotenziale gibt, um In Deutschland wurden im Jahr 2020 pro Tag im die wohnungspolitischen Ziele zu erreichen. Schnitt 54 Hektar Land für neue Siedlungs- und Ver- kehrsflächen in Anspruch genommen (sogenann- Zentrale Empfehlungen ter „Flächenverbrauch“) und u. a. mit Wohnhäusern ▸ Fahrplan in Richtung Flächenverbrauch „Netto bebaut. Damit ist Deutschland noch weit von seinen Null“ bis 2050 konkret festlegen, d. h. selbst gesteckten Zielen in der Deutschen Nachhaltig- · Konkretisierung des „30 Hektar minus X“- keitsstrategie entfernt, den Flächenverbrauch bis zum Flächenzieles der Bundesregierung und Festle- Jahr 2030 auf unter 30 ha pro Tag und bis zum Jahr gung linear abnehmender konkreter Zwischen- 2050 auf „Netto Null“ zu senken. ziele bis 2050 sowie Vereinbarung regionaler Flächenziele mit den Bundesländern und de- Durch den Flächenverbrauch geht Freiraum verloren ren rechtsverbindliche Implementierung, und steht nicht mehr für wichtige Ökosystemleistun- · „Netto Null“-Flächenverbrauch für den Woh- gen, Biodiversität und andere Nutzungen wie natürli- nungsneubau durch Nutzung der vorhandenen chen Klimaschutz, Nahrungsmittelerzeugung und den Flächenpotenziale sofort umsetzen (Qualitäten Ausbau der erneuerbaren Energien zur Verfügung. in der Innentwicklung vgl. Kap. 3.1), · Realisierungskonzept für eine Flächenkreis- Besonders in schrumpfenden suburbanen und ländli- laufwirtschaft („Netto Null“) erarbeiten, kon- chen Räumen ist die Fortsetzung der Zersiedelung auch krete Maßnahmen identifizieren und zeitnah aus ökonomischer Sicht unvernünftig. Bei stagnierender implementieren. oder schrumpfender Bevölkerung entstehen pro Kopf mehr Kosten für die Wartung und Instandhaltung der ▸ Förderung der Innenentwicklung forcieren z. B. existierenden Gebäude und Infrastrukturen. durch Erfassung und Entwicklung von Flächen- reserven, Berücksichtigung der THG-Emissionen und Folgekosten bei der Baulandentwicklung. Flächenrechner ▸ Rückfahren der Anwendbarkeit der Förderinstru Der Flächenrechner des Umweltbundesamtes ermög- mente für flächenextensive Kleinhausbauten licht eine einfache Abschätzung, was das bundes (bspw. KfW-Programme, Baukindergeld, kommu- weite Ziel, im Jahr 2030 täglich weniger als 30 Hek- nale Familien-Bauland-Förderungen). tar Fläche zu verbrauchen, für die flächenbezogene Planung in Kommunen und Regionen bedeuten ▸ BauGB für eine flächensparende Bauleitplanung würde. ▸ https://aktion-flaeche.de/flaechenrechner- im Außenbereich schärfen, bspw. § 1 Abs. 3 neuem-gewand BauGB, § 1 a Abs. 2 BauGB und § 35 BauGB anpas- sen sowie § 13 b BauGB abschaffen. Ziele ▸ Kommunales Förderprogramm „Brachflächen Wohnraumschaffung und Flächensparen müssen ge- recycling für den Wohnungsbau und zur Entwick- meinsam gedacht werden. Bund und Länder müssen lung von urbaner grüner Infrastruktur“ auflegen, Instrumente bereitstellen und beispielhaft Lösungs- insbesondere für den Umbau und die Nachnut- wege aufzeigen, wie der unvermeidliche Neubau von zung von Industriebrachen. Wohnungen vorrangig auf den in den Städten und Gemeinden vorhandenen Innenentwicklungspoten- ▸ Gute Beispiele verbreiten und Wettbewerbe initi- zialen realisiert werden kann und zur Wohnraum- ieren für kompaktes, mehrgeschossiges Wohnen schaffung verstärkt die Potenziale im Gebäudebe- auch im suburbanen Raum sowie für flächenspa- stand mobilisiert und genutzt werden können. Es gilt, rende und kompakte Gewerbebauten. die bestehende Siedlungsdichte in den Städten und Gemeinden mindestens zu erhalten, wenn möglich sogar zu erhöhen. Wohnraumschaffung darf nicht 17
Ökologische Dimension Kompakte vs. kleinteilige Bauformen Der Bau von kleinteiligen Wohnformen, wie freistehen- Die technische Erschließung erfolgt unabhängig von der den Ein- und Zweifamilienhäusern, weist gegenüber Siedlungsdichte, sodass der Aufwand in Relation zur ab- kompakten Bauformen einen etwa doppelt so hohen nehmenden Bebauungsdichte überproportional steigt. Heiz- und Kühlenergiebedarf auf8. Einfamilienhäuser ver- Basierend hierauf lässt sich die Faustformel „Halbe ursachen in der Regel auch im Lebenszyklus mehr Treib- Dichte = doppelter Erschließungsaufwand pro Wohnein- hausgase und Ressourcenaufwand (kumulierter Energie- heit“ formulieren11. aufwand) pro m² als Mehrfamilienhäuser . 9 Ähnliches gilt für den Flächenverbrauch. Bei kleinteili- Die negative Bilanz gilt auch für die Erschließungs gen Wohnformen wird eine Fläche von ca. 700 m² pro kosten. Werden kleinteilige Bauformen auf 100 % der Wohnung benötigt, während kompakte Baustrukturen Kosten gesetzt, sind diese bei kompakten Baustrukturen nur etwa 100 m² pro Wohnung benötigen12. Auch die (offenen mehrgeschossigen Zeilen, Blockrandbebauung) Wohnfläche pro Kopf ist im Ein- und Zweifamilienhaus bei ca. 20 % anzusetzen . Das gilt auch für den dadurch 10 i.d.R. höher als in kompakteren Bauformen. Die gerin- entstehenden Ressourcenbedarf. ge Dichte der kleinteiligen Bauweisen macht diese zu- dem schwerer erschließbar durch die Verkehrsmittel des Umweltverbunds und begünstigt so eine Dominanz des motorisierten Individualverkehrs. Abbildung 4 Flächenbedarf kompakter vs. kleinteiliger Bauformen Quelle: Umweltbundesamt und KNBau 18
Soziale Dimension 3 Soziale Dimension Wohnen ist ein Grundbedürfnis und eine zentrale Ein wichtiger Bestandteil einer intakten urbanen Aufgabe der Daseinsvorsorge. Wohnen ist in vielen Umwelt ist die biologische Vielfalt. Urbane Räume Kommunen Deutschlands eine wichtige soziale bieten einerseits auf engem Raum vielfältige Lebens- Frage – die Kosten des Bauens und Wohnens stehen räume für Tier- und Pflanzenarten. Gleichzeitig stel- oftmals im Vordergrund der Diskussion und müssen len U rbanisierung, Versiegelung von Flächen sowie mit den ökologischen Anforderungen gemeinsam das ungebremste Wachstum von Städten nach wie betrachtet werden. Wohnraumschaffung hat einen vor eine der Hauptgefährdungsursachen für die bio- Einfluss auf die Qualität der gebauten Umwelt und logische Vielfalt dar. das Zusammenleben der Menschen. 3.1 Hohe Lebensqualität, gesunde Wohn Toolbox Umweltgerechtigkeit verhältnisse, grüne und emissionsarme Städte schaffen Die webbasierte „Toolbox Umweltgerechtigkeit“ bie- Lebensqualität in urbanen Räumen braucht neben tet Akteuren aus Kommunalverwaltung und -politik einem attraktiven Städtebau öffentliche Räume mit Informationen und Tipps rund um das Thema Um- hohen Aufenthaltsqualitäten, in denen sich Menschen weltgerechtigkeit. Interessierte finden Argumente für unterschiedlicher sozialer Herkunft begegnen kön- das Engagement einer Kommune zu Umweltgerech- nen und die zum Verweilen und Aneignen einladen. tigkeit und praxisnahe Informationen, z. B. wie das Lebensqualität entsteht in vielfältigen Räumen, in Thema in Stadtentwicklungskonzepte integriert wer- denen Menschen auf kurzen Wegen ihrem Alltag nach- den kann. Praxisbeispiele und Checklisten stehen gehen (Wohnen, Arbeiten, Kita, Einkaufen, Freizeit), ebenfalls zur Verfügung. die fußläufig erlebbar sind und nicht durch den motori- ▸ https://toolbox-umweltgerechtigkeit.de/ sierten Individualverkehr dominiert werden (vgl. auch Kap. 4.3). Neben sozialer Sicherheit fördert eine intakte Umwelt eine gesunde Entwicklung der Menschen und Ziele ist eine wichtige Voraussetzung für eine gute Lebens- Eine umwelt- und sozialverträgliche Wohnraumschaf- qualität. Die Reduktion von Umweltbelastungen wie fung muss mit ambitionierten Umweltqualitätszielen Schadstoffen in Baumaterialien, Feinstaub oder Lärm verbunden werden und gesundes Leben in S tädten sind sowohl im Neubau als auch in der Weiterentwick- und Gemeinden eine hohe Priorität erhalten. Ein lung des Bestands wichtige Themen für die nachhaltige Schlüsselthema einer zukunftsfähigen Stadtentwick- Wohnraum-, Quartiers- und Stadtentwicklung. lung ist ein neuer Umgang mit der knappen Ressource Fläche, sowohl im Hinblick auf die baulichen Struk- Von hoher Bedeutung sind die Auswirkungen der turen als auch hinsichtlich der Verkehrs-, Frei- und Erderwärmung auf die menschliche Gesundheit und Grünräume. Einen Ansatz für eine neue urbane der daraus entstehende Anpassungsbedarf. Fragen Flächenaufteilung bietet das Leitbild der dreifachen der sozialen (Ungleich-)Verteilung von Umweltbelas- Innenentwicklung, welches darauf zielt, gebaute Räu- tungen und der Umweltgerechtigkeit spielen dabei me, Freiräume und Mobilitätsoptionen in Städten in eine zentrale Rolle. Das Einkommensniveau ist ein den räumlichen Vernetzungen und inhaltlichen Zu- entscheidender Faktor für die Wohnverhältnisse – sammenhängen als ein Grundgerüst nachhaltiger Menschen mit hohem Einkommen wohnen häu- Stadt- und Quartiersentwicklung zu verstehen und zu figer in Lagen mit guten Umweltqualitäten (grün, entwickeln. Nicht zuletzt gilt es, im Zuge der Wohn- lärmarm), während Menschen mit geringeren Ein- raumschaffung den Schutz und die Förderung von kommen häufiger in mehrfachbelasteten Lagen woh- gebäudebewohnenden Tierarten im Sinne „lebendi- nen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung ger Gebäude“ sowie die Entwicklung der biologischen der Schaffung von sozialem Wohnraum entschei- Vielfalt im Wohnumfeld zu stärken. dend, der zugleich durch gute Umweltstandards am Gebäude und im Wohnumfeld gesunde Wohnverhält- nisse schafft (vgl. auch Kap. 3.2). 19
Soziale Dimension Grüne Wohnumfeldgestaltung und Lebensqualität im Stadtteil Wien Aspern Zentrale Empfehlungen ▸ Stärkung der Grünordnungsplanung und Ein- ▸ Umweltschutz, Klimaanpassung, Umweltgerech- führung eines verpflichtenden Freiflächengestal- tigkeit und Biodiversität in der Innenentwicklung tungsplans zum Bauantrag zur Bündelung der stärken, bspw. durch Weiterentwicklungen im Belange von Klimaanpassung, Erholung, Lebens- Baurecht, § 13 a, § 34 und § 176 a BauGB. qualität und Biodiversität auch im unbeplanten Innenbereich. ▸ Das Leitbild der doppelten Innenentwicklung zu einem Leitbild der dreifachen Innenentwicklung erweitern: Neuer Umgang mit der Ressource Flä- Definition des Leitbilds che und Verknüpfung von klimaangepasstem und dreifache Innenentwicklung nachhaltigem Bauen, blau-grünen Infrastrukturen und Mobilitätswende in urbanen Räumen. Das Umweltbundesamt hat eine Definition des Leitbilds der „dreifachen Innentwicklung“ und ei- ▸ Ökologische und soziale Belange in der Städte ne Einordnung des Handlungshintergrunds und der bauförderung durch Vergabekriterien stärken, Chancen aus Perspektive einer umweltorientierten wie bspw. hohe Anforderungen an eine klima Stadtentwicklung vorgelegt: ▸ www.umweltbundes- gerechte Quartiersgestaltung, an innovative amt.de/sites/default/files/medien/479/publikatio- Mobilitätslösungen, an multi-funktionale, öffent nen/221208_uba_hg_dreifacheinnenentwicklung.pdf. liche Räume und an die Verbesserung von Umwelt- gerechtigkeit. 20
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