Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung

 
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Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung
2/2021
                  Glaube

                              und

                                                                                      Info
                  Behinderung

Unerhört –
ungerecht!

  SEITE 3 – 7                  SEITE 8 – 9                        SEITE 15                  SEITE 17

Rückblick            Hartnäckig – gelassen              20 Jahre für die Info-ZS            Oasen
Familientag und      Interview mit Simone Leuenberger       Helen Bircher erzählt –         Einblicke in
 Ferienwoche               und Markus Fankhauser            und verabschiedet sich    die Camps in Modawien
Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung
Editorial

    Liebe Leserinnen und Leser
    Zum Zeitpunkt, da ich dieses Editorial schreibe, finden etliche Diskussionen über die
    Abstimmung «Ehe für alle» statt. Die verschiedenen Gruppen setzen sich unermüdlich
                                                                                                  Nachruf von Ruth Bai-Pfeifer
    für ihren Standpunkt ein. Wenn ich mitdiskutiere, dann geht es mir jeweils nicht ums
                                                                                                  Christine Penticost-Räber
    Polarisieren, sondern darum gehört zu werden. Wo will ich gehört werden? Und wo
                                                                                                  10. Januar 1961 bis 10. April 2021
    kann ich mich für meinen Glauben stark machen, wenn die Abstimmungen vorbei
    sind? Habe ich den Mut dazu? Diese Fragen bewegen mich immer wieder, wenn ich
                                                                                                  Christine starb nach einem kurzen Krebsleiden.
    Menschen auf der Strasse sehe, die sich für eine Sache einsetzen. Es beschämt mich,
                                                                                                  Glaube und Behinderung war für Christine im-
    dass ich manchmal keine Lust oder Zeit habe für ein ausgiebiges Gespräch, wenn ich
                                                                                                  mer wichtig. Solange sie in der Schweiz lebte,
    unterwegs bin.
                                                                                                  nahm sie regelmässig an unseren Veranstaltun-
                                                                                                  gen teil und arbeitete gerne im Weekend mit.
    Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass es viele Gelegenheiten gibt, von mei-
    nem Glauben zu sprechen. Ich reite zum Beispiel regelmässig mit einer jungen Frau
                                                                                                  Das Leben war nicht immer einfach für Christine.
    aus. Sie steht mitten im Abschluss ihrer Matur. Es ist interessant, mit ihr zu diskutieren.
                                                                                                  Sie wurde mit Spina Bifida geboren. Später lernte
    Sie stellt mir immer wieder Fragen über den Glauben. Ich bin eher der Typ, der Ge-
                                                                                                  sie bei GuB ihren ersten Mann Roger Kopf ken-
    spräche unter vier Augen liebt. So kann ich meine Meinung besser darlegen, als wenn
                                                                                                  nen. Nach acht Jahren starb er an Krebs. Einige
    ich auf der Strasse Menschen anspreche, die mir vielleicht gar nicht zuhören wollen.
                                                                                                  Zeit später heiratete sie Alan und zog nach Eng-
                                                                                                  land. Trotzdem reisten sie regelmässig extra für
    Wie geht es dir? Bist du gern im Gespräch mit deinen Freunden und Nachbarn?
                                                                                                  das GuB-Weekend in die Schweiz. Der Glaube
                                                                                                  an Gott half Christine, auch in den letzten Wo-
    Ich staune immer wieder, wie sich Gott Zeit nimmt und mir zuhört, wenn ich zu
                                                                                                  chen tapfer und voller Zuversicht ihr Leiden zu
    ihm bete. In den letzten Monaten erlebten wir als Familie Freud und Leid sehr nahe
                                                                                                  ertragen, im festen Wissen, dass es in der Ewig-
    beieinander. Es brauchte viel Zeit für Gespräche um sich zu freuen, aber auch um
                                                                                                  keit bei Jesus keinen Schmerz mehr gibt. Wir sind
    zu trauern.
                                                                                                  dankbar, Christine gekannt zu haben und wün-
                                                                                                  schen ihrem Mann Alan sowie ihren Geschwis-
    Ich habe schon mehrmals erlebt, dass ich in meinem Umfeld nicht gehört worden bin,
                                                                                                  tern Gottes Trost und Kraft.
    aber Gott hat jederzeit ein offenes Ohr für mich – und genauso für dich!

    Susanne Furrer

2   Glaube und Behinderung | Info 2/2021
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                      Ihr seid meine Familie!
                 Ferienwoche in Interlaken vom 17. bis 24. Juli
                                                      VON MARKUS ZUBERBÜHLER

Am letzten Abend der Ferienwoche in In-        Woche lautete: «Geliebt, gefordert, ge-        Beispiel zeigt sich, dass Gott uns nach un-
terlaken trifft sich die bunt gemischte        sandt». Bereits in der Andacht vom Sonn-       serer Bedürftigkeit Gnade erweist und
Gruppe aus allen Teilen der Deutsch-           tagmorgen durften wir uns neu bewusst          nicht nach unserer Leistung. Und ganz
schweiz noch einmal im Saal des Hotel Ar-      werden, was es heisst, von Gott geliebt        wichtig: Erfahrene Gnade lässt sich nicht
tos. Nach zwei Lobpreisliedern lädt Simone     zu sein. Anhand des Gleichnisses der bei-      zurückbezahlen, sondern kann nur eimer-
uns zu einer Art Zeugnisrunde ein um zu        den verlorenen Söhne zeigte uns Chris-         weise weitergegeben werden.
berichten, was wir in dieser Woche mitei-      toph auf, dass wir nicht aufgrund von un-
nander und mit Gott erlebt haben. Unter        serer Leistung geliebt sind, sondern weil      Persönliche Gespräche mit Tiefgang
den vielen schönen und berührenden Bei-        wir mit Gott Gemeinschaft haben. Gottes        Was unsere Ferienwochen von anderen
trägen trifft vor allem diese Aussage mitten   Liebe ist zudem reine Gnade und nicht          Ferien unterscheidet, sind die vielen Mög-
in unsere Herzen: «Ich habe diese Woche in     die Folge unseres moralisch einwand-           lichkeiten für einen persönlichen und auch
Interlaken mit euch so sehr genossen; denn     freien Lebens. Und schliesslich ist Gott ein   offenen Austausch über die Herausforde-
ihr seid meine Familie!» Und so empfinden      grosszügiger Gott, der uns an seiner Fülle     rungen des Lebens. Sei dies in den offizi-
wohl noch andere im Saal. Doch wie wurde       Anteil haben lässt.                            ellen aber freiwilligen Gesprächsgruppen
unsere traditionelle Ferienwoche auf ein-      In einer weiteren Andacht zeigte uns           nach den Andachten oder bei anderen
mal zu Familienferien?                         Andreas aufgrund des Gleichnisses der          sich bietenden Gelegenheiten im Verlauf
                                               Taglöhner im Rebberg (Mt 20,1–16) auf,         der Woche. Neben Seelsorgegesprächen
Herausfordernde und                            dass Gnade oft unfair erscheint. Auch jene     mit ausgebildeten Gesprächspartnerinnen
mutmachende Andachten                          Arbeiter, die erst um fünf Uhr eingestellt     und -partnern ist es für unsere Feriengäste
Jeden Tag kamen wir in den Genuss ei-          wurden, erhielten den vollen Lohn von ei-      ein grosses Plus, mit Menschen austau-
ner Andacht von einem unserer beiden           nem Denar. Dies ist übrigens auch der Be-      schen zu können, die Ähnliches erleben
Theologen Christoph Marti und Andreas          trag, den jemand brauchte, um seine Fa-        oder in vergleichbaren Situationen das Le-
Hahn. Der thematische rote Faden der           milie durchbringen zu können. An diesem        ben meistern.

                                                                                                           Glaube und Behinderung | Info 2/2021   3
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Lobpreis zum Abheben                                                                                 Wanderung auf die Schwarzwaldalp
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                Auch in diesem Jahr waren wir mit einer
                genialen Lobpreisband gesegnet. Den
                Kern bildeten Lynn am Piano, Simone mit
                ihrer Stimme und Andreas mit der Bass-
                gitarre. Sporadisch gesellten sich andere
                dazu und halfen mit, zum Beispiel ihr Lieb-
                lingslied zu singen. Das Lied «I bi nid
                Opfer» begleitete uns durch die ganze
                Woche und stärkte unser Vertrauen auf
                den liebenden Vater, der immer bei uns
                ist und uns nie alleine lässt.

                Vielseitige Ausflüge
                Zwei grössere und zwei kleinere Ausflüge
                standen heuer auf dem Programm. Die
                grossen Ausflüge führten uns auf das Nie-
                derhorn und auf die Schwarzwaldalp. Die-
                ses Jahr haben wir ganz besonders darauf
                geachtet, dass die Ausflugsziele verschie-
                dene Möglichkeiten für Aktivitäten der Teil-
                nehmenden boten. So gab es jeweils Grup-
                pen, die einen Teil des Wegs gewandert

                Stärkung in Lauterbrunnen

                                                                                                                    Unsere «vielsaitige» Lobpreisgruppe

                                                               sind. Auf der Schwarzwaldalp konnten die       men! Am Mittwochnachmittag konnten
                                                               Rollstuhlfahrer/-innen zurück bis zur Ro-      sich alle für verschiedene Workshops ein-
                                                               senlaui fahren und die wunderbare Land-        schreiben. Auf dem Programm stand ein
                                                               schaft an sich vorbeiziehen lassen. Für eine   Handlettering-Einführungskurs, eine Partie
                                                               kurze Zeit verfügte die Schwarzwaldalp so-     Pétanque unter Interlakens Platanen, Ge-
                                                               gar über ein Behinderten-WC und zwar un-       sellschaftsspiele oder eine Rundfahrt in
                                                               ser eigenes, selbst entwickeltes und gebau-    Interlaken mit einem Vierer-Velo.
                                                               tes rollstuhlgängiges WC. Denn wie sagte
                                                               Simone so schön: «Wir lassen uns nicht von     Tolle Infrastruktur im Hotel Artos
                                                               den Behinderten-WCs vorschreiben, wohin        Einen nicht zu unterschätzenden Erfolgs-
                                                               wir reisen dürfen.»                            faktor für erholsame Familienferien bildet
                                                               Ähnlich vielseitig gestaltbar war auch der     auch die tolle Infrastruktur im Hotel Artos.
                                                               Besuch in Lauterbrunnen. Zug fahren,           Es ist sehr viel wert, wenn man schon im
                                                               wandern von Zweilütschinen nach Lau-           Voraus weiss, dass grundsätzlich alles vor-
                                                               terbrunnen, E-Bike und Handbike fahren         handen und für unsere Zwecke eingerich-
                                                               oder einfach spazieren von Lauterbrun-         tet ist. Auch die Spitex und die Physiothe-
                                                               nen in Richtung Stechelberg. Die Palette       rapie im Haus sind für viele ein Trumpf, der
                                                               der Möglichkeiten bot für alle etwas. Es       immer wieder sticht. In diesem Sinne wer-
                                                               gab aber auch ruhigere Tage in und rund        den wir die Karten wieder neu mischen
                                                               um Interlaken. Käfele, lädele und Coupe        und freuen uns auf die Interlakenferien im
                Unterwegs zur Rosenlaui                        essen darf in GuB-Ferien nie zu kurz kom-      Sommer 2023!

            4   Glaube und Behinderung | Info 2/2021
Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung
Impressionen und Einblicke
Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung
Wer macht die grösste Seifenblase?
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                 Bombenstimmung am Familientag
                                                       Langenthal – 12. Juni 2021
                                                                    VON MARKUS ZUBERBÜHLER

                Nach drei Jahren Pause durften wir end-       grammen weiter. Die Kinder wurden von        die Helferinnen und Helfer durften am
                lich wieder zu einem Familientag einladen.    Franziska Bütikofer und ihrem Betreuungs-    Ende des Tages so eine Bombe mit nach
                Noch mitten in der Coronapandemie hat         team übernommen. Gespannt lauschten          Hause nehmen. Wir wurden quasi ausge-
                Lukas Bütikofer mit seinem Team die Pla-      alle der Geschichte von Herrn Glück und      sandt, in düsteren Ecken unseres Quartiers
                nung vorangetrieben, immer in der Hoff-       Frau Unglück, die plötzlich und unverhofft   oder Dorfs für blühende Freude zu sorgen.
                nung, dass die notwendigen Lockerungen        nebeneinander wohnten. Das Haus von
                der behördlich angeordneten Einschrän-        Herr Glück war farbig und hell und in        Während die Kinder gut umsorgt und
                kungen rechtzeitig kommen werden.             seinem Garten blühten die prächtigsten       beschäftigt waren, trafen sich die Eltern
                                                              Blumen. Das Haus von Frau Unglück war        unter sich. Christine Bütikofer hielt zwei
                Der Mut hat sich ausgezahlt. Fünf Familien, hingegen grau und düster und ihr Garten        Referate zum Thema «Achtsamer Umgang
                respektive 26 Erwachsene und Kinder.          glich einer Wüste. Zu Beginn wehrte sich     mit mir selbst und meinen Mitmenschen».
                haben sich auf das Treffen gefreut und        Frau Unglück gegen die wuchernden und        Einer ihrer Merksätze lautete: «Von der
                sind zwischen 9 und 10 Uhr in der FEG         aussamenden Blumen von Herrn Glück.          Autobahn auf den Wanderweg!» Christine
                Langenthal eingetroffen. Nach einem Will- Dies gelang aber hinten und vorne nicht.         ermutigte uns, uns nicht nur vom Alltag
                kommenskaffee mit Züpfe lud Christoph         Irgendwann war das Haus von Frau Un-         treiben zu lassen, sondern ganz gezielt
                Fankhauser Gross und Klein zum Warm-up glück genauso farbig wie jenes von Herrn            auf der Autobahn die Ausfahrt zu nehmen
                ein. Christoph hat sich an den letzten Fa-    Glück und ihr Garten blühte ebenfalls in     und uns auf den Wanderweg zu begeben.
                milientagen in die Herzen Aller gesungen den schönsten Farben.                             Das braucht Mut! Die Energie der Acht-
                und musiziert und ist eigentlich kaum                                                      samkeit entsteht, wenn wir uns dem was
                mehr wegzudenken. Ihm gelingt es immer Danach wurde die Geschichte in die Praxis           wir gerade erleben, bewusst zuwenden.
                wieder und in kurzer Zeit, allfälliges Eis zu umgesetzt. Aus Erde, Sand, Katzenstreu       Achtsamkeit lässt sich mit einem Muskel
                brechen und für Bewegung zu sorgen.           und Blumensamen «bauten» die Kinder          vergleichen, den wir trainieren sollen. Am
                Anschliessend ging es in separaten Pro-       Samenbomben. Alle Familien und auch          Nachmittag erzählte uns Christine die

            6   Glaube und Behinderung | Info 2/2021
Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung
Am feinen Mittagsbuffet                  Geschichte von Zachäus. Als Zöllner war       Nach einer herausfordernden Schnitzel-

                                                                                                                                              RÜCKBLICK
                                         Zachäus unbeliebt und isoliert. Viele Zoll-   jagd gab es noch eine tolle Überraschung.
                                         gänger fühlten sich betrogen, weil er den     Vor dem Gemeindezentrum standen Kes-
                                         Leuten zu viel Geld verlangte. Auch Za-       sel mit Seifenwasser sowie Seilschlaufen
                                         chäus fuhr Vollgas auf der Autobahn und       und andere Utensilien, um riesige Seifen-
                                         verpasste das Leben. In der Begegnung         blasen entstehen zu lassen. Grosse Kugeln
                                         mit Jesus erkennt er sein falsches Handeln.   und sogar Schlangen schwebten über
                                         Er übernimmt Verantwortung und ändert         unseren Köpfen bis sie lautlos zerplatzten
                                         sein Leben.                                   und den einen oder anderen schon mal
                                                                                       für die abendliche Dusche einseiften.
                                         Auch wir dürfen dazu stehen, dass nicht
                                         immer alles rund und in gesunden Bah-         Mit strahlenden Augen sowie neuen Er-
                                         nen läuft. Jesus sieht mich, und ich kann     lebnissen und Erkenntnissen liessen wir
                                         jederzeit mein Handeln korrigieren, die       den Tag bei Kaffee und Kuchen gemütlich
                                         Autobahnausfahrt nehmen und den Wan-          ausklingen. Vielen herzlichen Dank allen
                                         derweg beschreiten.                           Helferinnen und Helfern, dem tollen
                                                                                       Küchenteam, das uns ein feines Zmittag
                                         Während die Eltern noch ungestört über        zubereitete, und auch den Spenderinnen
                                         ihr Erleben von Achtsamkeit austauschten,     und Spendern, die diesen Tag möglich
                                         waren die Kinder draussen unterwegs.          gemacht haben.

Aufmerksam der Geschichte lauschen                     Christoph Fankhauser fordert das Publikum heraus.

Zufriedene Familien beim Abschlussfoto

                                                                                                   Glaube und Behinderung | Info 2/2021   7
Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung
Mit Gelassenheit
THEMA

                                          hartnäckig bleiben …
                     MARKUS ZUBERBÜHLER IM GESPRÄCH MIT SIMONE LEUENBERGER UND MARKUS FANKHAUSER ÜBER UNERHÖRTES
                                      UND UNGERECHTES IN IHREM LEBEN, IN KIRCHE UND GESELLSCHAFT

            Liebe Simone, lieber Markus. Vielen             weiss, dass ich dabei sein werde, und man    Wie erlebt ihr das «Gehörtwerden» in
            Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt für          wählt einen Ort aus mit zwei Treppenstu-     der Kirche/Gemeinde? Werdet ihr dort
            dieses Gespräch. Könnt ihr uns zum              fen vor dem Eingang, dann fühle ich mich     eher wahr- und ernstgenommen?
            Einstieg aufzeigen, in welchen Situati-         nicht wirklich willkommen.                   Markus: Aus meiner Erfahrung steht und
            onen es vorkommt, dass ihr euch nicht                                                        fällt es mit den Leuten. Haben die Men-
            gehört bzw. ernstgenommen fühlt?                Was erlebt ihr mit Blick auf euer eige-      schen in der Kirche/Gemeinde ein Herz
            Oder gibt es ein bestimmtes Erlebnis,           nes Leben als besonders ungerecht?           für Menschen mit Behinderungen? In mei-
            das euch noch besonders in Erinne-              Markus: Sehr verletzend finde ich, wenn      ner Jugendgruppe habe ich es zum Bei-
            rung ist?                                       ich zum Beispiel bei einer Begrüssung ein- spiel sehr gut erlebt. Weil die Leitung mich
            Simone: Es wird immer dann problema-            fach übergangen werde. Beispielsweise in immer mitgedacht hat und auch keinen
            tisch, wenn andere meinen, sie wissen es        einer Begrüssungsrunde, da wird allen an- Aufwand gescheut hat, mir das Dabeisein
            besser und mich nicht fragen. Oder wenn         deren die Hand geschüttelt (mindestens       zu ermöglichen, hat sich in der ganzen
            man sogar für mich entscheidet, was geht        war es vor Corona so) und wenn dann ich Gruppe auch eine Kultur der Inklusion ent-
            und was nicht geht. «Da kannst du nicht         an die Reihe komme, macht die Person         wickelt. In den Homecamps hatte ich zum
            mitkommen» oder «Wir sind dann schon            nur eine Winkbewegung aus der Ferne.         Beispiel immer die Hilfe, die ich brauchte,
            da und helfen dir …» und reissen dann           Dies löst in mir ein Gefühl der Distanzie-   und musste auch nie hungrig ins Bett. Alle
            an meinem Rollstuhl herum oder wollen           rung und des Unberührbar-seins aus und hatten wie selbstverständlich auch ein
            mich auf einen Stuhl hieven.                    das schmerzt.                                Auge für mich. Inzwischen war ich aber
            Ein konkretes Beispiel ist auch der öffentli-   Simone: Ich habe keine Hemmungen,            auch schon in Gemeinden unterwegs,
            che Verkehr, den ich nach wie vor nur mit       meine Stimme zu erheben und weiss auch, in denen ich mir eher wie ein Fremdkör-
            vorgängiger Anmeldung benützen kann.            wie ich mich wehren kann. Es macht mich per vorkam. Wenn ich in Gesprächen auf
            Ich habe es auch schon erlebt, dass ich         aber traurig und zugleich wütend zu se-      meine Behinderung reduziert werde, dann
            mich zwar angemeldet habe und sogar             hen, dass es viele Leute gibt, die das nicht fühle ich mich sehr unwohl. Ich denke, es
            die Bestätigung in der Hand hatte. Meine        können und wirklich übergangen und un- hat etwas mit dem Spannungsfeld zu tun,
            Reservation war aber nicht im Compu-            gerecht behandelt werden. Anderseits         in welchem viele Christen stecken. Die Bi-
            ter und so sagte man mir, dass ich deswe-       finde ich es belastend, wenn meine Freun- bel ruft uns einerseits auf, alle Menschen
            gen nicht befördert werden kann. Wenn           dinnen und Freunde wegen mir unnötige        zu lieben und zu achten (sozial zu sein …),
            du dann alleine am Gare de Lyon in Pa-          Aufwände auf sich nehmen müssen, weil        anderseits sind einige überfordert, dies in
            ris stehst und nach Hause willst, fühlst du     es zum Beispiel kein Behinderten-WC in der der Praxis umsetzen und zu leben. Schwie-
            dich schon ziemlich daneben.                    Nähe hat und durch die Suche nach einer      rig finde ich, wenn gegen aussen kommu-
            Markus: Mir fallen dazu Situationen ein, in     Lösung viel Zeit verloren geht. Ein weiterer niziert wird, wie willkommen Menschen
            denen jemand zum Beispiel in einem Res-         Punkt: Unter dem Begriff «crip time» ver-    mit Behinderungen sind, einem dann in
            taurant oder in einem Spital mit mir etwas      steht man vor allem im englischsprachigen der Praxis ein kühles Klima begegnet und
            besprechen wollen, aber nur mit meiner          Raum die Zeit, die ich als Behinderte mehr ich mich dann doch nicht so willkommen
            Begleitperson kommunizieren. Bei Leu-           brauche, um meinen Alltag zu bewältigen. fühle. Das erlebe ich aber nicht nur in Kir-
            ten, die mich zum ersten Mal sehen, habe        Ich brauche mehr Zeit zum Aufstehen, für     chen, sondern auch in anderen Bereichen
            ich da zu Beginn sogar noch Verständ-           den Unterhalt meiner Hilfsmittel, vielleicht unserer Gesellschaft.
            nis. Wenn sie aber erkannt haben, dass ich      mehr Arzttermine oder auch nur mehr Zeit, Simone: Ich bin Teil einer Hausgemeinde.
            sprechen kann und im Kopf gesund bin,           mich auszuruhen. Dieses Verständnis ist      Dort bin ich ein vollwertiger Teil der Ge-
            dann erwarte ich, dass sie direkt mit mir       hierzulande noch nicht wirklich vorhanden meinschaft wie alle anderen auch. Ich
            sprechen. Ab und zu muss ich meine Be-          Und zum Schluss: Auch die Tatsache, dass     werde nicht auf meine Behinderung redu-
            gleitpersonen darauf hinweisen, dass sie        ich erst bei einer Arbeitsunfähigkeit von    ziert, kann mich in allen Themen einbrin-
            am besten keine Antwort geben sollen.           mehr als 40 % Anrecht auf eine IV-Rente      gen und werde als Person ernst genom-
            Manchmal gibt es aber auch Probleme,            habe, finde ich unerhört, weil es eine Sozi- men. Dort gehöre ich wirklich dazu. Weil
            wenn ich in einer Gruppe unterwegs bin          alversicherung mit einem Selbstbehalt von man mich schon lange kennt, haben alle
            oder eingeladen wurde. Wenn man schon           40 % eigentlich nicht geben darf.            einen ganz natürlichen Umgang mit mir.

        8   Glaube und Behinderung | Info 2/2021
Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung
Wenn ich in eine andere Gruppe bzw. Ge-      ten nicht schweigen muss, sondern mich            tert zu werden. Das hilft aber weder uns

                                                                                                                                                       THEMA
meinde gehe, dann macht es einen grossen     wehren darf. Bereits Mose hat dem Volk            noch unserem Umfeld, noch jenen, die
Unterschied, ob ich alleine dort aufkreuze   Israel mitgegeben: «Du sollst dem Tau-            uns übersehen oder übergehen. Es ist gut,
oder Leute dabeihabe, die mich kennen.       ben nicht fluchen und sollst vor den Blin-        wenn wir diesen Frust immer wieder bei
Gute erste Begegnungen sind möglich,         den kein Hindernis legen, …» (3. Mose             Gott deponieren und ihn um Hilfe bitten
wenn eine mir unbekannte Person mich als     19,14). Daraus erkenne ich den Auftrag an         können. Wenn wir lernen, aus einer inne-
Mensch wahrnimmt und mich als Mensch         die Gemeinde, ein hindernisfreies Um-             ren Ruhe heraus zu reagieren, dann kön-
kennenlernen will.                           feld zu schaffen. Es gibt mir auch die Legi-      nen wir viel mehr bewirken, als wenn wir
Auf einer ganz allgemeinen Ebene habe        timation, mich dafür einzusetzen. Es gibt         zu verbitterten Stänkerern werden.
ich aber den Eindruck, dass Behinderung      auch viele Vorbilder in der Bibel: Mose
in der Kirche nach wie vor kein Thema ist.   lebte zum Beispiel mit Assistenz; Aaron           Welche Erwartungen habt ihr an die
Es ist ähnlich wie in der Welt: Die «Gesun-  sprach für ihn vor dem Pharao. Zachäus            Gesellschaft und auch an die Kirche/
den» sind die Starken und die Menschen       hatte als Kleinwüchsiger einen Arbeits-           Gemeinde bzw. an die Menschen? Was
mit Behinderung sind die Schwachen, de-      platz auf dem ersten Arbeitsmarkt. Je-            müsste sich aus eurer Sicht ändern?
nen man helfen und die man schützen          sus behandelte Zachäus wie jeden ande-            Markus: Ich wünsche mir Kirchen und Ge-
muss. Diese Haltung verhindert, dass wir     ren auch und lud sich bei ihm zum Essen           meinden, in denen alle willkommen sind;
teilhaben können. Wir sind zwar irgendwie    ein. Paulus war als Missionar in der gan-         auch Menschen mit Behinderung. Das ist
dabei, gehören aber nicht wirklich dazu.     zen Welt unterwegs, obwohl er an chro-            aber nicht einfach mit baulichen Massnah-
Ich vermisse den echten Wunsch, Men-         nischen Schmerzen litt. Auch die ausge-           men oder einem Inklusionskonzept getan.
schen mit Behinderung auf Augenhöhe zu       renkte Hüfte hinderte Jakob nicht daran,          Es braucht eine entsprechende Herzens-
begegnen, sie ernst zu nehmen und ihnen      seine Aufgabe wahrzunehmen. Das macht             haltung der Leitenden, welche die Kultur
zu ermöglichen, gleichwertige Teile der      mir Mut, mich für eine inklusive Gemeinde         der Gemeinde prägt. Cool fände ich, wenn
Gemeinschaft zu sein.                        einzusetzen. Dies möchte ich aber nicht           Christen aktiv auf Menschen mit Behin-
                                             als nervige «Stänkerin» machen, sondern           derung zugehen und sie einladen in un-
Wie hilft euch der Glaube an Jesus, mit bei einer Beanstandung den Menschen                    sere Gemeinde und fragen, was es denn
solchen Situationen und den betref-          mit Wertschätzung begegnen.                       braucht, damit sie Teil der Gemeinde wer-
fenden Menschen umzugehen? Habt              Markus: Mir hilft der Glaube dahinge-             den können.
ihr Vorbilder aus der Bibel, die euch        hend, dass ich mich in enttäuschenden             Simone: Meine Hoffnung ist es, dass Kir-
Mut machen?                                  oder verletzenden Situationen nicht ver-          chen und Gemeinden mit der gleichen
Simone: Ich interpretiere die Bibel so, dass krampfe und den Menschen mit Barmher-             Selbstverständlichkeit Behinderung mit-
ich über den erlebten Ungerechtigkei-        zigkeit und Vergebung begegnen kann.              denken, wie sie Kinder mitdenken. 15 %
                                             Oft versuche ich in Situationen, in denen         der Menschen in der Schweiz leben mit ei-
                                             ich nicht persönlich angesprochen und             ner Behinderung und sind zugleich die am
                                             damit nicht ernst genommen werde, die             wenigsten mit dem Evangelium erreichte
                                             Leute zu sensibilisieren. Das braucht im-         und in den Kirchen vertretene Bevölke-
                                             mer wieder viel Geduld und Liebe. Es wäre         rungsgruppe.
                                             viel einfacher, seinem Frust freien Lauf zu       Die Kirche dürfte sich auch mehr in gesell-
                                             lassen. Ich bin aber dankbar, dass mir Gott       schaftspolitischen Diskussionen für Men-
                                             immer wieder die Gelassenheit gibt, ruhig         schen mit Behinderungen einsetzen. Im
                                             zu reagieren und positiv zu bleiben.              Zusammenhang mit der Abstimmung
                                                                                               zum Thema «Ehe für alle» betonen ge-
                                                 Ihr seid beide beruflich aktiv und in         wisse christliche Kreise die Wichtigkeit von
 Markus Fankhauser ist 30 Jahre alt, von Beruf   verschiedenen Gesellschaftsbereichen          Vater und Mutter für das Kind. Dass es in
 Jurist und engagiert sich politisch.            wie Politik und Verbände engagiert            der Schweiz Tausende von Kindern mit Be-
                                                 und habt gelernt, euch vernehmbar zu          hinderung gibt, die aufgrund von Lücken
                                                 machen. Habt ihr Tipps, wie uns dies          in unserem Sozialsystem nicht bei ihren El-
                                                 auch besser gelingen kann?                    tern aufwachsen können, hat aber noch
                                                 Simone: Ein wichtiger Faktor ist aus mei-     nie jemand bemängelt geschweige denn
                                                 ner Sicht, dass wir als Menschen mit Behin-   etwas dagegen unternommen.
                                                 derung uns selbst akzeptieren und lieben.     Abschliessend möchte ich betonen, dass
                                                 Nur aus dieser Haltung kann es uns gelin-     es nicht darum geht, eine aus Sicht von
                                                 gen, uns auf eine gute und positive Weise     Menschen mit Behinderung vollkommen
                                                 für unsere Rechte einzusetzen.                gerechte Welt zu schaffen. Diese Gerech-
 Simone Leuenberger ist Vorstandsmitglied
 von Glaube und Behinderung, lebt mit einer      Markus: Als Menschen mit Behinderun-          tigkeit gibt es hier in dieser Welt nicht.
 Muskelkrankheit und setzt sich beruflich und    gen werden wir wohl viel öfter nicht wert-    Aber es geht um eine Gesellschaft, in
 ehrenamtlich für die Gleichberechtigung von     schätzend oder ungerecht behandelt. Wir       der alle gleich nach ihren Wünschen und
 Menschen mit Behinderung ein.
                                                 hätten allen Grund, mit der Zeit verbit-      Möglichkeiten teilhaben können.

                                                                                                            Glaube und Behinderung | Info 2/2021   9
Unerhört - ungerecht! - Glaube Behinderung - Glaube und Behinderung
«Dass die Stärke des Volkes sich
THEMA

                misst am Wohl der Schwachen»
                                                                        VON PETER HENNING

             Dieser Satz am Ende der Präambel unserer        Lebenschancen und Lebensperspektiven          Eine neue Wahrnehmung von behinder-
             Bundesverfassung ist grossartig!                hatten. Sie waren sozial tot und es war       ten Menschen wurde der Gesellschaft
             Und provoziert ständig die Frage: Prägt er      «soziale Gnade», wenn sie am Rand weiter-     durch die beiden Weltkriege aufgezwun-
             auch unseren Umgang miteinander?                leben konnten.                                gen. Denn die kriegsbedingten Schäden
                                                                                                           und Beeinträchtigungen betrafen Körper,
                                                             Ausnahmen schufen die Kirchen und Klös- Seele und Geist von jung bis alt in allen
             1. Der Umgang mit «Schwachen» –                 ter seit dem frühen Mittealter: Sie boten     Bevölkerungsschichten. Staat und Öffent-
             ein historischer Rückblick                      Asyle der Barmherzigkeit, Inseln und Oa-      lichkeit reagierten mit sozialen, ökonomi-
             Die Gesellschaft hat bis weit in die Neu-       sen der Fürsorge an mit dem System der        schen, medizinischen und humanen Ein-
             zeit hinein recht hilflos auf körperlich und/   «milden Gaben», dem sogenannten Almo- gliederungsmassnahmen.
             oder geistige Schwächen und Behinde-            senwesen – Lichtblicke der Barmherzigkeit Dieser bisher noch nie da gewesene Inte-
             rungen reagiert. Ein chronischer Defekt         nach damaligem Empfinden.                     grations- und Rehabilitationsschub wurde
             körperlicher und geistiger Funktionen           Eine Wende setzte im 19. Jahrhundert ein:     vor sechzig Jahren noch einmal verstärkt
             hatte seit der Antike den Ausschluss aus        Die Medizin – wie andere Wissenschaften       durch die Contergan-Katastrophe. Die
             der Gemeinschaft zur Folge. Die Gründe          auch – befand sich in einem unbändigen        Medien trugen das Schicksal und die Pro-
             für diese Reaktion waren vielfältig und         Fortschrittsglauben. Davon profitierten       bleme körperbehinderter Menschen ins
             mochten vielleicht aus damaliger Sicht          auch chronisch Kranke und Behinderte. Die Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit.
             durchaus vernünftig gewesen sein, zum           Medizin begann zu forschen, um das bisher Seitdem werden die Anliegen behinder-
             Beispiel der Schutz der Nichtbehinderten        Unerklärliche zu verstehen und zu lindern. ter Menschen auf allen Ebenen unserer
             in hygienischer Hinsicht. Aber in Verbin-       Sie richtete ihr Interesse zunächst stark auf Gesellschaft wahrgenommen und disku-
             dung mit Vorurteilen und religiös-magi-         operative Eingriffe, um die Lebensqualität    tiert. Inzwischen gibt es Verordnungen,
             schen Vorbehalten führten sie dazu, dass        zu verbessern und den Alltag erträglicher     Gesetzesvorlagen und sozialpolitische
             behinderte Menschen praktisch keinerlei         zu gestalten – und das mit einigem Erfolg. Entscheidungen, um deren Lebensqualität
                                                                                                           durch berufliche und gesellschaftliche In-
                                                                                                           tegration zu verbessern. Es gibt zwar noch
                                                                                                           berechtigte Wunschlisten, aber das bisher
                                                                                                           Erreichte ist nicht wenig!
                                                                                                           Menschen mit körperlicher und/oder geis-
                                                                                                           tiger Beeinträchtigung werden in ihrer
                                                                                                           Würde geachtet, wahrgenommen und
                                                                                                           begleitet. Sie sind vollwertige Bürger.
                                                                                                           Diese Entwicklung wurde nachweislich
                                                                                                           durch Impulse des Evangeliums befördert.
                                                                                                           Die christliche Basis hat Europa zu der Hu-
                                                                                                           manität verholfen, von der jetzt alle profi-
                                                                                                           tieren können.

                                                                                                           2. Die Bilanz bleibt trotz
                                                                                                           aller Erfolge noch ambivalent
                                                                                                           Ohne das Erreichte zu schmälern – es gibt
                                                                                                           trotzdem noch Handlungsbedarf.
                                                                                                           Auch wenn sich die allgemeine Umgangs-
                                                                                                           kultur positiv verändert hat, gibt es noch
                                                                                                           immer Unwissenheit, Missverständnisse,
             Mag. theol. Peter Henning: nach zwei Pfarrämtern, Rektor und Dozent am TDS in Aarau,          Misstrauen und manche unsensiblen
             jetzt Referententätigkeit                                                                     Reaktionen. In Gesellschaft und Öffent-

        10   Glaube und Behinderung | Info 2/2021
lichkeit werden Vorbehalte und Abwehr-            betonten Werbung: «Tue das Richtige
                                                                                                                      ?

                                                                                                                                                         THEMA
haltungen bleiben. Auch Kosten-Nut-               und du bist fit!»
zen-Abwägungen können jederzeit
wieder aufleben. Die Pandemie beweist         4. Die Lobpreiskultur mancher Gemeinden                IHRE MEINUNG IST GEFRAGT!
wieder einmal, dass ausgrenzende Reflexe          blendet oft die Realität des Lebens aus
besonders in schwierigen Zeiten keimen.           und neigt zu einem einseitigen Got-
                                                                                                  Unter dem Titel «unerhört – un-
                                                 tesbild. Gerade in Gottesdiensten wäre
                                                                                                  gerecht» haben wir in dieser Zeit-
Woran mag das liegen?                            die Vielfalt von Biografien liturgisch zu
                                                                                                  schrift ein Thema aufgegriffen, das
                                                 berücksichtigen. Da, wo Glück und Un-
                                                                                                  bewegt und vielleicht auch aneckt.
1. Viele gesunde Menschen sind unerfah-         glück, Freud und Leid, Gewinn und Ver-
                                                                                                  Möchten Sie mit uns Ihre Erfahrun-
   ren im Umgang mit Menschen, die be-           lust, geheilt und nicht-geheilt oft dicht
                                                                                                  gen teilen? Was haben die Beiträge
   einträchtig sind. Entsprechend reagieren      nebeneinandersitzen.
                                                                                                  in dieser Zeitschrift bei Ihnen aus-
   sie auf das Anderssein ratlos, distanziert    Dafür sensibilisiert uns die Bibel. Sie for-
                                                                                                  gelöst? Wie hilft Ihnen der Glaube
   und sogar abweisend. Das Fremdartige          dert zur uneingeschränkten Annahme
                                                                                                  in Situationen, da Sie nicht gehört
   verunsichert.                                 aller Menschen auf – gerade auch der
                                                                                                  werden?
                                                 Leidenden, Schwachen und Fremden.
2. Im Medienzeitalter wird alles themati-
                                                                                                  Schreiben Sie uns per E-Mail an
    siert, so auch die Anliegen behinderter
                                                                                                  info@gub.ch oder per Post an
    Menschen. Und das nachdrücklich, ver-     3. Ein Platz in der Gesellschaft –
                                                                                                  Glaube und Behinderung,
    ständnisvoll und aufklärend. Die Berichte Der Beitrag des Evangeliums
                                                                                                  Parkweg 39, 3053 Münchenbuchsee
    von den Paralympics oder das Echo auf     Vor knapp 100 Jahren soll Fritz von Bodel-
    den Film «Ziemlich beste Freunde» zei-    schwingh als Leiter der Krankenstadt
    gen das. Wo Handlungsbedarf besteht,      «Bethel» die Urkunde zur Grundsteinlegung
    wird von Journalisten für Solidarität und eines Jungeninternats als erster unterschrei-
    Nächstenliebe insistiert.                 ben. Vom Podium aus sieht er in der gros-
    Mehrheitlich stehen jedoch die gängi-     sen Schar kranker Kinder ein stark gehbe-
    gen, rein körperbetonten Schönheitside- hindertes Mädchen in einem Korbwagen. Er
    ale im Vordergrund. Ein glückliches, un- geht herab, hebt es aus dem Wagen, trägt
    beschwertes und problemarmes Leben es nach oben und lässt es die Urkunde un-
    sowie Schönheit und Gesundheit sind       terschreiben – als erste Person!
    tatsächlich hohe Werte. Aber unsere       Zwanzig Jahre später verhindert er mit
    westliche Kultur tut sich schwer mit den seinem im Eingangstor Bethels liegenden
    Schattenseiten des Lebens und der Welt. Körper die Nazi-Lastwagen daran, soge-
    Die Erlebnis- und Unterhaltungsindustrie nannt «unwertes Leben» abzuholen.
    lenkt Tag für Tag davon ab. Sie hat auch
    in Corona-Zeiten eine mächtige Lobby      Genau das hat Jesus Christus vorgelebt:           nen. Heute wird über Wege der Inklusion
    für «the fun must go on».                 Grenzenlos lieben und heilen, verbinden           intensiv nachgedacht und Kurse in Palliativ
                                              und trösten, aufrichten und begleiten! Wer        Care sind stark frequentiert.
3. M anche Christen tun sich schwer im       in dieser Gesinnung Jesu lebt, macht kei-
    Umgang mit Behinderungen und un-          nen Unterschied mehr.                             So wollen wir weitermachen, Vorbehalte,
    heilbaren Krankheiten und behaupten: Jeder Mensch – in welcher Gestalt auch                 instinktive Abwehrhaltung und Desinte-
    «Wer richtig glaubt, wird nicht krank!    immer – ist jetzt «der Erste», eine von Gott      resse überwinden, wieder aufkeimendes
    Und wenn doch, hat das mit Sünde,         geliebte Persönlichkeit und nicht nur ein         Stigmatisieren abbauen, füreinander und
    nicht vergebener Schuld oder Glau-        Patient. Gerade die Menschen, die oft             miteinander die Barmherzigkeit Gottes le-
    bensarmut zu tun.» Nur noch mehr          nicht gehört, erhört und gesehen werden,          ben sowie Verständnis füreinander konkret
    Gebet, Busse und Frömmigkeit könnten gehören in unsere Mitte.                               und individuell erarbeiten! Das fällt keinem
    Gott bewegen, völlig zu heilen. Diese                                                       von uns in den Schoss. Aber Gottes Wort
    Denkkonstruktion versteht Krankheit       Jesus hat diese göttliche Umgangskultur           und Geist befreien uns zu dieser uneinge-
    und Behinderung als Strafe Gottes.        einer vorbehaltlosen Offenheit, Solidarität,      schränkten Solidarität, wo einer des An-
    Kranke Menschen so zu stigmatisieren, Liebe und Hoffnung proklamiert. Seitdem               deren Lasten trägt. Nachfolger Jesu gehö-
    ist ein pseudochristlicher Rückfall in    haben Kirchen, Klöster, Orden und Pio-            ren zur Avantgarde des Reiches Gottes. Je
    magisch-heidnisches Denken.               niere unerhört revolutionierende Impulse          mehr wir Gottes Liebe miteinander leben,
    Diese Christen meinen es ja irgend-       für kranke, behinderte und schwache               desto mehr wird die Gesellschaft davon
    wie gut, aber sie wollen von Gott ein     Menschen gesetzt. Sie haben sich in der           mitgeprägt.
    «Leben ohne Leid» erzwingen. Das ist      Gesellschaft wohltuend ausgewirkt und             Die Präambel ist ein schöner Ausdruck da-
    eine fromm getarnte Variante weltlicher die öffentliche Meinung für mehr Nächs-             für, was auch der Auftrag jeder Kirche und
    Diesseitsideale und gleicht der glücks-   tenliebe und humanen Strukturen gewon-            Gemeinde in unserem Land ist!

                                                                                                             Glaube und Behinderung | Info 2/2021   11
Als Mensch wahrgenommen werden
THEMA

                                                    MARKUS ZUBERBÜHLER IM INTERVIEW MIT PETER TSCHANNEN

             Lieber Peter, wenn man ältere Zeit-            Hattet ihr auch schon Glaubenskrisen         Was wünscht ihr euch von eurem
             schriften durchblättert, dann sieht            zu bewältigen?                               Umfeld, von der Gesellschaft,
             man, dass du und Vera schon länger             Ja klar, immer wieder. Ich glaube, es ge-    von der Gemeinde?
             mit GuB unterwegs seid. Kannst du              hört zu unserem Leben als Christen, dass     Wir brauchen praktische Hilfe, vor al-
             euch den neueren Leserinnen und                wir immer wieder mit Krisen zu kämpfen       lem im «handwerklichen» Bereich. Ich
             Lesern kurz vorstellen?                        haben. Auch als Paar haben wir immer         brauche zum Beispiel in meinem Büro
             Gerne, ich selber bin 46 Jahre alt und habe    wieder Krisen, die ein Stück weit auch       immer wieder ein paar helfende Hände,
             drei jüngere Geschwister. Mein grösstes        Glaubenskrisen sind. Zu oft versuchen wir    damit ich mich zurechtfinden und arbei-
             Hobby ist Malen. Ich habe 2007 die Aqua-       aufgrund vergangener Enttäuschungen          ten kann. Aber mir ist bewusst: Ich muss
             relltechnik kennengelernt und bin seither      die Sache selber in die Hand zu nehmen       den Mund auftun und meine Bedürf-
             mehr oder weniger fleissig am Üben. Ich        und rechnen gar nicht mit Gottes Hilfe.      nisse anmelden. Da habe ich noch nicht
             bin kaufmännischer Angestellter, habe          Was uns beiden am meisten hilft am Glau-     ausgelernt.
             bis kurz vor der Coronazeit in einer Insti-    ben festzuhalten, das sind enge Freunde,     Da wir im Moment nicht in einer Ge-
             tution in der Buchhaltung gearbeitet und       die viel Erfahrung im Glauben haben und      meinde dabei sind, dürfen wir nicht
             versuche nun, mir von zu Hause aus et-         diesen auch authentisch leben.               wirklich Erwartungen haben. Und wenn,
             was im Bereich Treuhand aufzubauen. Ich                                                     dann wünschte ich mir, dass in der Ge-
             lebe seit Geburt mit einer Muskelerkran-       Kennt ihr Situationen im Leben, da ihr       meinde Menschen mit Behinderungen
             kung mit der Bezeichnung Artrogryposis         euch nicht gehört, wahr- oder ernst-         als Menschen wahrgenommen und wert-
             multiplex, welche vor allem Gelenke und        genommen fühlt? Habt ihr dies auch           geschätzt werden; dass man auch gerne
             die Bänder über den Gelenken betrifft.         schon unter Christen bzw. in der Ge-         mit ihnen zusammen ist und sie eine Be-
             Anfang der neunziger Jahre hatte ich die       meinde erlebt?                               reicherung für die Gemeinschaft sind. Ich
             letzten operativen Eingriffe, durch die ich    Wer könnte davon nicht erzählen?! Das        denke aber, dass hier ein Umdenken ein-
             in Sachen Mobilität ganz neue Freiheiten       Ganze ist aber ein gesellschaftliches Pro-   gesetzt hat. Darf ich auch noch Erwartun-
             erlangen konnte.                               blem. Ich selber habe mich nach mei-         gen an Glaube und Behinderung äussern?
             Meine Frau Vera ist 37 Jahre alt und hat       nem Jobverlust von den Behörden nicht        Vielleicht braucht es nicht noch mehr Fe-
             zwei Geschwister. Sie hat Hauswirtschafts-     ernst genommen gefühlt. Vera hatte im        rienangebote und dafür mehr Angebote
             mitarbeiterin gelernt und konnte stets auf     Zusammenhang mit medizinischen Be-           im Bereich Beratung und Begleitung.
             diesem Beruf in der Westschweiz, in Bern       handlungen auch schon den Eindruck,
             und nun auch in Basel arbeiten. Vera trifft    dass ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht      Lieber Peter, vielen Dank für deine Offen-
             sich gerne mit Freundinnen und hat auch        gehört werden. In christlichen Gemein-       heit und den ehrlichen Einblick in euer
             Freude an ihrem zweijährigen Gottimeitli.      den hatte ich manchmal das Gefühl,           Leben. Gott möge euch segnen und
             Im Alter von vier Jahren wurde bei Vera        bloss als der «behinderte Mann meiner        euch wundersam im Alltag begegnen.
             aufgrund von wiederholten Stürzen Epi-         kranken Frau», reduziert zu werden, was
             lepsie entdeckt und diagnostiziert.            den Aufbau einer Beziehung auf Augen-
                                                            höhe sehr schwierig machte.
             Wie und wann seid ihr zum Glauben
             gekommen?                                      Wie hilft euch der Glaube, solche
             Ich habe mich mit elf Jahren nach ei-          Situationen zu ertragen bzw. positiv
             nem Kindergottesdienst entschieden,            zu bewältigen?
             Jesus nachzufolgen. Wichtiger als die-         Die Ferienwoche in Interlaken hat uns
             ses Bekehrungserlebnis ist mir aber die        sehr gutgetan. Aber sind wir ehrlich,
             Frage, ob sich mein Glaube im Alltag           die Corona-Pandemie macht uns einsa-
             bewährt. Und das ist ehrlich gesagt            mer und hindert uns daran, mit anderen
             durch alle Herausforderungen in mei-           Christen Leben zu teilen. Denn als So-
             nem Leben nicht immer gelungen. Mein           lochrist funktioniert es nicht. Authenti-
             Glaube hat in den letzten Jahren eher          sche Christen sind für uns eine der gröss-
             gelitten. Vera ist in einem christlichen       ten Ermutigungen. Menschen, die Höhen
             Elternhaus aufgewachsen und hat ihren          und Tiefen im Glauben erlebt haben und
                                                                                                         Vera und Peter Tschannen auf der Schwarz-
             Glauben im Rahmen eines Glaubens-              uns in unseren Herausforderungen be-         waldalp in der letzten GuB-Ferienwoche in
             grundkurses festgemacht.                       gleiten und ermutigen können.                Interlaken

        12   Glaube und Behinderung | Info 2/2021
Schönheitsfehler im Hirn

                                                                                                                                                                                                                                                     THEMA
                                                     VON MARKUS ZUBERBÜHLER

Flavia Ubaka-Loser ist Mitglied bei Glaube     Mit diesem siebten Klinikaufenthalt en-                                                   erfüllung. Auch diese Psychiatriegeschichte
und Behinderung und hat vor Kurzem ein         dete meine Psychiatriekarriere und heute                                                  hätte ich ohne meinen Halt und meine
autobiographisches Buch geschrieben.           lache ich nur noch darüber. Danach                                                        Zuversicht im Glauben nicht so gut über-
Trotz einer turbulenten Geschichte in ihren    lernte ich meinen Mann kennen, fand                                                       standen und wäre vielleicht heute noch im
jüngeren Jahren, in denen sie sich oft un-     eine Arbeitsstelle in Zug. Mit meiner Hei-                                                gleichen Fahrwasser. Jesus hat uns nie ver-
gehört und ungerecht behandelt fühlte,         rat endet das Buch.                                                                       sprochen, dass er uns vor Schwierigkeiten
hat sie auch dank ihrem Glauben zurück zu                                                                                                bewahrt, wenn wir ihm nachfolgen. Aber
einem glücklichen und erfüllten Leben ge-      In der Kurzbeschreibung steht, dass                                                       er steht uns immer bei und lässt uns nie
funden. Wir haben Flavia ein paar Fragen       dein Leben durch die Einweisung in                                                        allein. Er geht mit uns durch die Schwierig-
zu ihrem Leben und ihrem Buch gestellt.        die Psychiatrie ausgebremst wurde.                                                        keiten hindurch, kämpft für uns und kann
                                               Wie gross hattest du Einfluss darauf,                                                     sogar Türen öffnen, wenn es menschlich
Liebe Flavia, vor Kurzem ist dein Buch         was mit dir geschieht? Was löst dies in                                                   unmöglich erscheint. Ich sehe viele Seg-
erschienen mit dem herausfordernden            deinen Gedanken und Gefühlen aus?                                                         nungen in meinem Leben und ich denke,
Titel «Schönheitsfehler im Hirn». Was          Ich wurde immer zwangseingewiesen.                                                        das ist Gottes Belohnung, wenn wir ihm
erwartet die Leserin und den Leser?            Darauf hatte ich nicht den geringsten                                                     nachfolgen.
Mit meinem Buch möchte ich die einer-          Einfluss. Am schlimmsten sind die Psy-                                                    Als ich mit 30 Jahren nach Zug zog, liess
seits ermutigen, niemals aufzugeben und        chopharmaka mit denen ich ruhigge-                                                        ich bewusst alles Vergangene hinter mir.
andererseits aufzeigen, dass es auch nach      stellt wurde und alles über mich ergehen                                                  Heute geht es mir sehr gut, ich habe drei
einer schwierigen Kindheit möglich ist, zu     lassen musste. Ich war hilflos dem Pfle-                                                  wunderbare Kinder im Alter von 14, 18
einem glücklichen und erfüllten Leben          gepersonal und den Ärzten ausgeliefert                                                    und 20 Jahren und erfreue mich am Le-
zu finden.                                     und wurde nicht ernstgenommen. Meine                                                      ben ohne Medikamente!
Ich erlitt mit sieben Jahren einen Autoun-     Vermutung, dass die «Anfälle» mit meiner
fall mit Schädel-Hirn-Trauma. Alles musste     Hirnverletzung zu tun haben könnten,                                                      Was wünscht du dir und anderen be-
ich wieder neu lernen: sprechen, laufen        wurde als «Wichtigtuerei» in den Wind                                                     troffenen Menschen in der heutigen
usw. Schulisch kam ich danach wieder gut       geschlagen. Erst als eine gute Neuropsy-                                                  Zeit, die in einer ähnlichen Situation
mit, aber zwischenmenschlich hatte ich         chologin eine Computertomografie ver-                                                     stecken wie du damals?
jede Menge Probleme. Nach der Sekun-           anlasste, erkannte man eine Hirnnarbe                                                     Heute mag die Psychiatrie ja anders, sanf-
darschule absolvierte ich widerwillig eine     und meine Vermutung wurde bestätigt.                                                      ter oder moderner sein als damals. Meine
kaufmännische Berufslehre. Unmittelbar                                                                                                   Klinikaufenthalte waren 1986 bis 1990 und
danach begann ich ein Praktikum in ei-         Wie hast du zurück ins Leben gefun-                                                       1997. Aber Zwangseinweisungen gibt es
nem Sonderschulheim. Aus mysteriösen           den und wie hat dir der Glaube dabei                                                      immer noch. Ein starker Glaube, Hoffnung,
Gründen wurde ich in eine psychiatrische       geholfen?                                                                                 Zuversicht und niemals aufgeben, helfen
Klinik eingewiesen. Nach meiner Entlas-        Ich weiss nicht, wo ich ohne meinen Glau-                                                 immer. Aber es ist schwer in einer solchen
sung war mein Selbstwertgefühl tief im         ben wäre! Ich bin so dankbar, dass ich im                                                 Situation und unter Medikamenteneinfluss
Keller und ich traute mir keine Zweitausbil-   Teenageralter zum Glauben kam. Meine                                                      den Glauben nicht zu verlieren. Da hilft
dung mehr zu. Während der nächsten fünf        Kindheit davor war nur Mühsal und Pflicht-                                                es sehr, wenn du in deinem Freundeskreis
Jahre arbeitete ich im Büro und musste                                                                                                                jemanden hast, der für dich
insgesamt fünf Mal in die Klinik. An-                                                                                                                 glaubt und an dich glaubt,
schliessend wollte ich in die soziale Arbeit                                                                                                          dass du es schaffst.
einsteigen. Aber leider kam es an dieser
                                                                                                                                                                                                             Erhältlich
Schule zu einer mobbingartigen Ausgren-                                                                                                                                                                                    am GuB -W
                                                                                                                                                                                                             o d er b ei o              ochenend
zung und das Diplom wurde mir schliess-                                                                                                                                                                                    rellfuessli           e
                                                                                                                                                                                                                                       .ch
lich auch verwehrt. Während der als Erho-                                                                                                                                                                              Flavia Ubak
                                                                                                                                                                                               Hirn

                                                                                   Flavia Uba
                                                                                                ka erlitt als                                                                                                                     a-Looser
lung geplanten Zeit in Kapstadt wurde ich                                         Hirn-Traum                  Kind einen
                                                                                                 a.                         Autounfall
                                                                                  gestaltete sich Alles musste sie wie                  mit schwerem
                                                                                                                              der neu erle               Schädel-
                                                                                 dazu bei, dass schwierig, die körp
                                                                                                                                                                                                   hler im

                                                                                                                                           rnen. Ihre

                                                                                                                                                                                                              Schönheits
                                                                                                    sie ausgegre            erlichen Ein                Schulzeit
                                                                                 empfand.                         nzt wurde              schränkung

nach einem Gefühlschaos ein weiteres Mal
                                                                                             Später geri                       und sich nie           en trugen

                                                                                                                                                                                                                            fehler im H
                                                                                wollte ihr                 et sie in die                     als dazuge
                                                                                               glauben, dass              Mühlen der
                                                                                zusammenh                                               Psychiatrie. hörend

                                                                                                                                                                                                                                       ir
                                                                                                                  ihre

                                                                                                                                                                                                                                               n
                                                                                               ängen.                   »An  fälle« mit               Nie
                                                                                                                                          der Hirnve mand
                                                                                                                                                                                       Schönheitsfe

                                                                                                                                                       rletzung
                                                                                                                                                                                                                  Wie ich trotz
in eine psychiatrische Klinik eingewiesen
                                                                               Ihr Leben
                                                                                            lag vor ihr
                                                                                                                                                                                                                                Hi
                                                                                                                                                                                                                    und Psychiatrnverletzung
                                                                              sich völlig                 wie ein einz
                                                                                             ausgebremst                iger Scherbe
                                                                              Leben wie                     . Dennoch                nhaufen und
                                                                                          der selbst                       gelang es                sie fühlte

                                                                                                                                                                                                                   das Leben lie rietrauma
                                                                             beschreibt                 in  die Hand                  der  jungen Frau
                                                                                           sie                          zu nehmen

und landete nach meinem Austritt ausge-                                      Erfolge. Imm die Verletzungen, abe                     . Mit groß            , ihr
                                                                                                                                                er Offenheit
                                                                                              er
                                                                            anders zu sein mit einem wachen
                                                                                               als die verm
                                                                                                                          r auch ihre
                                                                                                                         Blick
                                                                                                                                       kleinen und
                                                                                                              eintlich »No dafür, was es heißt,
                                                                                                                                                     großen                                                                      ben lernte
                                                                            Dieses Buc                                      rmalen«.                   etwas

raubt und geschlagen auf einem Polizei-
                                                                                         h nimmt die
                                                                           Leben der                      Leser mit auf
                                                                                       Autorin und                       eine Reise
                                                                           nie die Hoff                 möc                          dur
                                                                                         nung zu verl hte Mut machen, niem ch das turbulente
                                                                                                         ieren.                       als aufzuge
                                                                                                                                                  ben und

posten. Zurück in der Schweiz erwartete
mich ein erneuter Klinikaufenthalt.
                                                                                                                                                                          oser   -Lo
                                                                                                                                                                    Flavia Ubaka
Zachäus – der geächtete Oberzöllner
GEISTLICHER INPUT

                                                                      VON HELEN BIRCHER FREI NACH LUKAS 19,1–10

                                                                                                                                                                  Illustration von Petra Lefin aus „Zachäus auf dem Baum (Bildkartenset) © Don Bosco Medien München
                          2126610035808874608.indd 9                                                                                                       23.09.21 12:08

                         Die Leute, die noch in Jericho beisam-         Er ist stolz, dass er einen Beruf ergrei-   Die Menschen, die immer noch in der
                         menstehen und sich unterhalten, nach-          fen durfte, der es ihm – unabhängig         Gasse von Jericho ihre schlechten Erfah-
                         dem sich die Menschenmenge aufge-              von seinen Massen – ermöglicht eine         rungen teilen, ahnen nicht, dass Zachäus
                         löst hat, sind sich einig: Was sich dieser     gewisse Macht auszuüben. Als Zöllner        bald bei ihnen vor der Tür stehen wird
                         Zachäus heute geleistet hat, ist eine          kann er die Grossen abzocken und es         um Wiedergutmachung anzubieten. Wie
                         Frechheit! Vorausgerannt ist er, die-          ihnen so richtig zeigen. Doch gerade        werden sie reagieren?
                         ser hinterlistige Zwerg, und auf einen         dieser Beruf wirft einen Schatten auf Za-
                         Baum geklettert. Sie alle hatten sich ge-      chäus. Er macht ihn zwar einflussreich,    «Es gibt doch noch Gerechtigkeit auf
                         wünscht, möglichst viel von Jesus zu           aber auch sehr einsam. Niemand ver-        dieser Welt! Es gibt doch noch ehrliche
                         hören und zu sehen. Sie hatten gehofft,        kehrt mit ihm, ja er wird regelrecht ge-   Menschen, sogar unter diesen Schmarot-
                         er würde nahe bei ihnen stillstehen,           mieden. Seine Arbeit liess ihn zum Aus-    zern von Zöllnern», werden sich die einen
                         er würde ihnen vielleicht ins Gesicht          senseiter werden.                          freuen. Anderen wird die Situation pein-
                         blicken, sie ansprechen … Und dann                                                        lich sein. Da kommt diese kleine Gestalt
                         musste dieser rücksichtslose Zöllner sich      Auch die Beförderung zum Oberzöllner       mit dem miesen Charakter, die sie bei je-
                         vordrängen! Und Jesus fiel auch noch           war ein Trugschluss. «Als Oberzöllner      der Gelegenheit um ihr Geld gebracht
                         rein auf dieses Theater! Ausgerechnet Za-      kann ich über meine kleine Gestalt hin-    hatte, redet etwas von Entschuldigung
                         chäus suchte er sich aus und begleitete        auswachsen!» So hatte er gehofft. Doch     und streckt ihnen Silbermünzen entgegen.
                         ihn nach Hause!                                leider hat sein Ruf dadurch noch zusätz-   Was für ein lächerlicher Anblick! Wer sich
                                                                        lich gelitten.                             an besonders ungute Begegnungen mit
                         Die verärgerte Gruppe Gleichgesinnter                                                     Zachäus erinnert, wird sich mit Misstrauen
                         ahnt nicht, was sich gerade im Haus von        Jesus schaut den kleinen Mann liebevoll    seine Bitte um Verzeihung und sein Wie-
                         Zachäus abspielt. Zachäus, bei dem Je-         an, losgelöst von dem, was dieser ist oder dergutmachungsangebot anhören, ohne
                         sus zu Besuch ist, führt ein komfortables      getan hat. Ohne seine Taten zu beschöni- ihm wirklich zu glauben. «Das ist bestimmt
                         Leben. Er kann sich leisten, wovon An-         gen, akzeptiert er ihn und bietet ihm Ver- eine neue Betrugsmasche!»
                         dere nur träumen. Doch der Schein trügt,       gebung an. Zachäus ist zur Umkehr be-
                         denn glücklich ist dieser Gastgeber nicht.     reit. Die Begegnung mit Jesus hilft ihm,   Viele Menschen waren Jesus an diesem
                         Zachäus leidet unter seiner kleinen Ge-        sein Leben zu ändern, zu seinen unrech- Tag in Jericho gefolgt, weil sie ein Wun-
                         stalt. Oft verdecken ihm die Grossen die       ten Taten zu stehen, sogar Dinge wieder der miterleben wollten. Ob sie es erken-
                         Sicht, oder er wird übersehen.                 in Ordnung zu bringen.                     nen werden, das Wunder an Zachäus?

                    14   Glaube und Behinderung | Info 2/2021
20 Jahre für die Info-Zeitschrift

                                                                                                                                                                                                        INTERN
                                                           VON HELEN BIRCHER

                                       Eines Tages wurde ich an-        Korrigierte ich damals die Texte mit dem Kugelschreiber oder
                                       gefragt, ob ich die nächste      manchmal per Telefon, werden die Beiträge inzwischen in ei-
                                       Ausgabe der Info-Zeitschrift     ner Dropbox gesammelt, auf die alle Berechtigten bequem von
                                       von Glaube und Behinde-          ihrem Laptop oder Tablet aus zugreifen können. In dieser Box
                                       rung lesen und korrigie-         wird zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten durch die
                                       ren würde. Es war die Aus-       einzelnen Teammitglieder an Formulierungen herumgeschlif-
                                       gabe 2/2001. Da ich gerne        fen, und Satzzeichen werden neu gesetzt. Da ich noch immer
                                       schreibe und mir die deut-       lieber auf Papier lese, auf dem ich rumkritzeln kann, drucke ich
                                       sche Orthographie und            mir bis heute mindestens die erste Fassung eines Aufsatzes aus.
                                       Grammatik keine grosse           Die Papiere kann ich überall hin mitnehmen. So lese ich am
                                       Mühe bereiten, sagte ich         Schreibtisch, auf dem Sofa, aber auch einmal im Bett, im Zug,
                                       zu. Damals lektorierte ich       im Strandbad oder in der Badewanne.
noch allein die Zeitschrift neben Ruth Bai, die als Redakteu-
rin jeweils Texte und Bilder verschiedener Autoren und Foto-            Ich verfasste auch eigene Beiträge. Ich traf mich mit beeindru-
grafinnen einholte, Artikel verfasste und alles zu einer neuen          ckenden Menschen zum Interview und fand das immer span-
Ausgabe zusammenfügte. Das Team wuchs mit der Zeit, und                 nend, aber auch anstrengend und zeitintensiv.
ich reiste zu Redaktionssitzungen. Es gab im Laufe der Jahre
personelle Wechsel. Die Aufmachung der Zeitschrift wurde                Kräfte- und Zeitmangel sind denn auch die Hauptgründe, warum
mehrmals modernisiert. Die Notwendigkeit des Lektorierens               ich nun zurücktrete aus dem Team der Info-Zeitschrift. Ich werde
hingegen blieb: Einsendungen werden gelesen und, wo nö-                 sie in Zukunft lesen, ohne stets nach Fehlern Ausschau zu halten.
tig, verbessert, allenfalls gekürzt. Nach einem ersten Entwurf
                                                                        Anzeige
aus der Druckerei heisst es, alles erneut zu lesen, diesmal noch
genauer auf Details konzentriert. Eine weitere Kontrolle folgt

                                                                                              Die Verteilkalender
beim Gut zum Druck.

                                                                                                                                                                 2022
Ich lernte, wo sich Fehler besonders gerne verstecken: z. B. in Bild-
legenden, die oft im letzten Moment hinzugefügt werden. Bei
der Umplatzierung eines Artikels wird gerne vergessen, die Sei-
tenzahl im Inhaltsverzeichnis anzupassen. Ins Auge stechen mir
jeweils Wiederholungen von Begriffen oder Inhalten.
                                                                                       Für die Kleinsten
                                                                                                                               chulkinder
Es war mir immer ein Anliegen, Texte interessanter erscheinen zu                                                   Für Grunds                         Für Teen
                                                                                                                                                              ager
lassen, ohne den Schreibstil oder gar die Aussage zu verfälschen.
Ich geriet dabei ab und zu in Konflikt mit Teammitgliedern, die
bei dieser Gelegenheit meine Hartnäckigkeit kennenlernten.                                                                                            IDEAL ZUM VERTEILEN
                                                                                        Für Eltern                                             • bei Verteilaktionen
                                                                                                                                                 z.B. an Halloween statt Süssigkeiten
Die Aufgabe ist gleich geblieben. Was sich änderte ist die Tech-                                              Für Lebenserfahrene              • auf Weihnachtsmärkten und Ad-
nik: Sitzungen finden mittlerweile online aus dem Homeoffice                                                                                     ventsfeiern
                                                                                                                                               • an Freunde, Bekannte, Nachbarn
statt. Wurden die Entwürfe anfänglich per Post geschickt, die                                                                                  • in Gemeindegruppen (Jungschar,
                                                                                                     DIE NEUEN
Abzüge der Druckerei auf Papierbahnen zugestellt, erhalten wir                                                                                   Seniorenkreis, Mutter-Kind-Treff)
                                                                                                                                               • als Mitbringsel
heute alles elektronisch.                                                                                                                                                    e np
                                                                                          s Them
                                                                                                a                                                                         eng reis
                                                                                  Rund um gkeit                                                                      M
                                                                                                                                                                                          ea

                                                                                  Nachhal
                                                                                          ti                                                                               CHF
                                                                                                                                                                                            b

                                                                                                           Für M
                                                                                                                itarbe
                                                                                                                                                                     1.70
                                                                                                                       itend                                         ro
                                                                                                                            e
                                                                                                                                                                  p

                                                                                                                                                                          K ale n d er*

                                                                                           Jetzt die beste Botschaft weitergeben!
                                                                                                                                                                                 * zzgl. Versand

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                                                                                                     www.bundes-verlag.ch/kalender

                                                                                                                                            Glaube und Behinderung | Info 2/2021                   15
Die Champions aus dem Emmental
INKLUSION

                                                                     VON MARKUS ZUBERBÜHLER

                 An einem aussergewöhnlich warmen Sonntag im August fahre             angefragt, ob ihr Kind mit Trisomie 21 auch an diesem Programm
                 ich nach Hasle Rüegsau zur HOPE & LIFE CHURCH. Der Saal im           teilnehmen dürfe. «Selbstverständlich» lautete die Antwort. Und
                 Eventlokal Kalchofen ist vorbereitet für die sonntägliche Celebra-   so kamen mit der Zeit weitere Kinder mit kognitiven Beeinträchti-
                 tion. Es ist dunkel im Saal, klimatisiert und unter dem Scheinwer-   gungen dazu. Die Leiterinnen und Leiter des Programms erkann-
                 ferlicht auf der Bühne stimmt uns die Band in den Lobpreis ein. In   ten aber, dass es für diese Kinder sehr schwierig ist, sich zu kon-
                 der Predigt von Pastor Konrad Blaser geht es um unsere Familien.     zentrieren und etwas von der Botschaft mitzubekommen.
                 Wir werden ermutigt, in allen Herausforderungen unserer Zeit für
                 unsere Ehe und unsere Familien zu kämpfen und – besonders an      Bei einem Besuch in der Lakewood Church in den USA hat die
                 die Adresse der Väter – die Familie wie einen Bund Farbstifte mit Delegation aus dem Emmental das Konzept des Champions
                 einem Gummiband zusammen zu halten.                               Clubs kennengelernt. Ohne zu zögern haben sich Mirianne und
                                                                                   Simeon daran gemacht, das Konzept auch in der HOPE & LIFE
                 Diese Predigt passte wunderbar zum Grund meines Besuchs.          CHURCH umzusetzen. «Dies war aber nur möglich, weil es dem
                 Denn die HOPE & LIFE CHURCH bietet mit dem Champions Club Herzschlag unserer Gemeinde und unserer Pastoren entspricht,
                 ein aussergewöhnliches Kinderprogramm für Familien mit be-        dass alle Kinder Gottes Liebe und seine Annahme spüren dür-
                 sonderen Herausforderungen an. Mirianne Fisch und ihr Mann        fen und sollen; auch jene, die mit einer Behinderung leben» be-
                 Simeon, beide Sozialpädagog/-innen, stellen mir den Champions tont Mirianne Fisch.
                 Club vor. Das Angebot richtet sich vor allem an Kinder mit kog-
                 nitiven Einschränkungen wie z. B. Autismus oder Trisomie 21. Das Begeistert und beeindruckt mache ich mich wieder auf die Heim-
                 Konzept besteht aus drei Räumen, welche die Kinder durchlau-      reise. Zuerst schnappte ich mir noch die fast 100-seitige Image-
                 fen. Der erste Raum ist ein Ort der Ruhe und Entspannung. Die     broschüre der HOPE & LIFE CHURCH. Zu Hause im Liegestuhl
                 Kinder können sich durch die beruhigenden Farben, Musik und       schlage ich die erste Seite auf und stosse auf das Editorial der
                 Elemente wie Wassersäulen und Sternentunnel entspannen und Pastoren mit dem Titel «Gott hat ein JA zu deinem Leben». Das
                 ankommen. Im zweiten Raum dürfen sie sich aktiv betätigen. Es ist es! Eine Kirche oder Gemeinde, bei der das bedingungslose JA
                 gibt Boden- und Wandmatten zum Hüpfen, ein grosses Wandxy- Gottes zu unseren Leben – ob behindert oder nicht – gelebt wird
                 lophon, eine Hängematte und grosse Bauklötze aus Schaumstoff. und aus allen Poren dringt, verfügt über die idealen Vorausset-
                 Hier dürfen sich die körperlich aktiven Kinder in einem sicheren  zungen, zu einer inklusiven Gemeinde zu werden.
                 Rahmen austoben. Der dritte Raum ist der «Celebration»-Raum.      Anzeige
                 Hier hören die Kinder die Botschaft von der Liebe Gottes in einer
                 Sprache und Art, die sie verstehen. Damit die Betreuung sicher-
                 gestellt ist, melden die Familien ihre Kinder für den Champions
                 Club an. Die Kinder werden 1:1 betreut, damit die Eltern ent-
                 spannt die Celebration geniessen können.

                 Doch wie ist der Champions Club überhaupt ins Emmental ge-
                 kommen? Normalerweise treffen sich über 90 Kinder in der Turn-
                 halle, erleben ein fätziges Programm und hören eine biblische
                 Botschaft. Vor einiger Zeit wurde Mirianne Fisch von einer Mutter

            16   Glaube und Behinderung | Info 2/2021
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