Tod - Trauer - Hoffnung - Nr. 1/2017 - Bathildisheim eV

Die Seite wird erstellt Christian Lenz
 
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Tod - Trauer - Hoffnung - Nr. 1/2017 - Bathildisheim eV
Mitglied in der Diakonie Hessen
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             Tod – Trauer –
             Hoffnung
Tod - Trauer - Hoffnung - Nr. 1/2017 - Bathildisheim eV
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      VERANSTALTUNGEN – TERMINE

                              29. April                                                                                IMPRESSUM
                              Rund um den Aktiontag 5. Mai – Aktion Mensch – Europäischer                              ın ist die Zeitschrift des
                              Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen –                           Bathildisheim e. V.
                              „Wir gestalten unsere Stadt“, 9–12 Uhr, Marktplatz Bad Arolsen                           Herausgeber:
                                                                                                                       Bathildisheim e. V.
                                                                                                                       Bathildisstraße 7
                              18. Mai                                                                                  34454 Bad Arolsen
                              BBW-Stand beim Jobday in Korbach                                                         Fon 05691 899-266
                                                                                                                       pr@bathildisheim.de
                                                                                                                       www.bathildisheim.de
                              18. Juni
                              Barocksonntag in Bad Arolsen                                                             Redaktion:
                                                                                                                       Dr. Ursula Braun
                                                                                                                       Irene Dittmann-Mékidèche
                                                                                                                       Christian Geyer
                              22. Juni                                                                                 Jutta Hoffmann
                              Ausbildungsbörse Nordwaldeck im BBW Nordhessen, Bad Arolsen                              Gaby Kißmer
                                                                                                                       Bernhard Kreutzer
                                                                                                                       Irene Sax
                              Bei der Ausbildungsbörse im Berufs-                                                      Jörg Schumacher

                              bildungswerk Nordhessen können                                                           Fotos:
                                                                                                                       © Bathildisheim e. V.,
                              sich Schüler aus der Region über ihre                                                    privat (S. 13, 14, 28),
                              beruflichen Perspektiven informieren.                                                    Museum für Sepulkralkultur (S. 16, 17)
                                                                                                                       fotolia (S. 15, 18/19, 28)
                              Aussteller aus dem Landkreis sowie                                                       Illustrationen:
                              dem benachbarten Westfalen stellen                                                       Heimbüchel PR (S. 6, 7)
                                                                                                                       Logo Leichte Sprache:
                              ihre Produkte sowie die Möglichkeiten                                                    Inclusion Europe
                              der Ausbildung von der Ausbildung                                                        Anzeigen:
                              bis zum dualen Studium vor.                                                              Öffentlichkeitsarbeit
                                                                                                                       Fon 05691 899-266
                                                                                                                       Anzeigenpreisliste 2017
                              13. August                                                                               Layout und Satz:
                              Aufnahmetag BBW Nordhessen, Bad Arolsen                                                  Träger & Träger, Kassel
                                                                                                                       www.traegerundtraeger.de

                              27. August                                                                               Druck:
                                                                                                                       USE gGmbH, Berlin
                              Sommerfest des Bathildisheim e. V. in Neu-Berich
                                                                                                                       Die USE gGmbH ist ein innovatives und zukunftsori-
                                                                                                                       entiertes Sozialunternehmen für die berufliche Re-
                              28. August bis 3. September                                                              habilitation. Über 850 Menschen mit überwiegend
                                                                                                                       psychischen Behinderungen finden hier Bildungs-,
                              Zirkusprojekt der Karl-Preising-Schule                                                   Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten in mehr
                                                                                                                       als 20 attraktiven Berufsfeldern. Neben der Werk-
                                                                                                                       statt für behinderte Menschen (WfbM) mit über 25
                              31. August                                                                               Gewerken und Dienstleistungsbereichen ist die USE
                              BBW-Stand beim Tag der Ausbildung in Frankenberg                                         gGmbH auch Träger von Integrationsfachdiensten.

                                                                                                                       Erscheinungsweise:
                                                                                                                       zweimal jährlich
                              23. November
                              Fortbildungsangebot im Bathildisheim e. V.:                                              Auflage:
                                                                                                                       3.000
                              „Die Wirksamkeit von Teilhabe in der Eingliederungshilfe“
                                                                                                                       © Bathildisheim e. V.
                                                                                                                       Nachdruck, auch auszugsweise,
                                                                                                                       nur mit schriftlicher Genehmigung.

                                                                                                                       Spenden:
                                                                                                                       Evangelische Bank eG
                                                                                                                       IBAN: DE78 5206 0410 0000 2020 10

                                                                                                                                           in 1/2017 |
Tod - Trauer - Hoffnung - Nr. 1/2017 - Bathildisheim eV
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                                                                                                                    INHALT

                                            Liebe Leserin, lieber Leser,

         „Tod, Trauer, Hoffnung“ mag mitten im Frühling, so kurz nach                                 TOD – TRAUER – HOFFNUNG
         Ostern, als Titelthema der in überraschen. Das Thema fällt nicht
         nur aus der Jahreszeit, sondern – so scheint es – insgesamt aus                              Der Vorsprung des Lebens –
         der Zeit. Das Sterben und der Tod sind immer mehr anonymisiert                               Eine christliche Deutung des Todes 4
         worden: Menschen sterben nur noch selten zu Hause im Kreis                                   Nach dem Tod leben alle Menschen
         ihrer Familie, der Trauerzug zum Friedhof ist kein Ritual mehr, das                          bei Gott – in Leichter Sprache     6
         gepflegt wird, und die Bestattungen auf der grünen Wiese oder im                             Wenn Mitschüler sterben –
         Wald nehmen zu. Eine Auseinandersetzung mit so existenziellen                                Trauerbegleitung in der Schule     8
         Krisen wie Krankheit, Vergänglichkeit und Tod werden in unserer                              Gedichte                          15
         Gesellschaft verdrängt. Dieser Abwehrmechanismus, der vermeint-
                                                                                                      Wenn ihr nicht werdet wie
         lich schützen soll, verstellt aber den Blick für ein würdiges Sterben.
                                                                                                      die Kinder …                      21
         Die segensreiche medizinische Entwicklung führt zunehmend dazu,
         dass Sterbende nicht sterben dürfen, sondern ihnen noch das
                                                                                                      INTERVIEWS
         letzte bisschen Leben abgerungen wird, um der profitgetriebenen
         Gesundheitsindustrie zu dienen. Lebensverlängerung in Richtung
                                                                                                      Sonja Damm (Haus Emilie)      10
         Ewigkeit wird suggeriert und zugleich erhofft. Das aber ist pervers,
         weil es unseren menschlichen Grundbedingungen widerspricht
                                                                                                      Gitta Ziech                   12
         und verhindert, durch die Hoffnung auf die Auferstehung, unser                               Jutta Lange (Sepulkralmuseum) 14
         begrenztes Leben zu lieben.
                                                                                                      BERICHTE
         Lange haben wir uns Zeit gelassen, in der in über Sterben, Tod
         und Trauer nachzudenken. Nunmehr liegt ein buntes und vielfälti-                             Gedenken zur Progromnacht           23
         ges Magazin vor, in dem wir davon erzählen, was uns im Umgang                                Zwischen Willkommenskultur
         mit Tod und Trauer orientiert und welche Rituale uns helfen, mit                             und Abwehrhaltung                   24
         unseren Gefühlen und Gedanken umzugehen. Dabei war und ist                                   Hessisches Sozialministerium
         uns wichtig, vom Leben zu erzählen: Denn das Sterben und der                                 unterstützt BBW Nordhessen          25
         Tod gehören zum Leben. In einem einführenden Beitrag, der auch
         in Leichte Sprache übertragen wurde, wird eine christliche Deutung                           RUBRIKEN
         des Todes vorgestellt. Die Schule berichtet von ihren Ritualen, wenn
         ein Schüler, eine Schülerin verstirbt, um Zeit und Raum bewusst zu                           Veranstaltungen/Termine              2
         gestalten und Trost spürbar werden zu lassen. Unter den Interviews                           Buchtipps                           18
         in diesem Heft berührt besonders der Beitrag „… ein guter Tag                                Nachdenkliches		                    20
         zum Sterben“, der davon erzählt, wie ein ehemaliger Internats-                               Spenden                             26
         schüler sein Sterben wahrgenommen hat und wie seine Mutter mit
                                                                                                      Rezepte                             28
         dem Tod ihres Sohnes umgeht. Wie unterschiedlich Sterben und
                                                                                                      Spots			                            29
         der Tod in den verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen ver-
                                                                                                      Personalities		                     31
         standen werden, macht der Beitrag über das Sepulkralmuseum in
                                                                                                      Impressum		                          2
         Kassel deutlich.

         So lädt dieses Magazin ein, eigene Memento mori wieder zuzu-
         lassen und im Bewusstsein zu leben, dass Sterben, Tod und Trauer
         zum Leben gehören, aber der triumphale Osterjubel „Tod, wo ist
         dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ das letzte Wort behält.

         Es grüßt Sie herzlich
         Ihr Christian Geyer

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                                  TITELTHEMA
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                                                                                                                                     in 1/2017 |
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         Der Vorsprung des Lebens
         Eine christliche Deutung des Todes

         Tod und Leben sind wie die beiden Seiten einer Münze. Sie          Dagegen laufen jegliche Ideen und Wünsche nach ewiger
         gehören zusammen. Dem irdischen Leben sind sowohl zeit-            Jugend und Unsterblichkeit auf die Forderung nach einer
         liche als auch räumliche Grenzen gesetzt. Eines Tages wird         ganz anderen Welt hinaus, die nur mit ganz anderen Men-
         jedes Leben auf der Erde ein Ende finden. Wissenschaftlich         schen vorstellbar ist. Der Glaube stimmt positiv in die Be-
         ist die Feststellung des Todes verbunden mit dem irreversi-        dingungen der menschlichen Existenz in Zeit und Raum ein
         blen Funktionsverlust der Atmung, des Kreislaufs und des           und ermöglicht so dem Menschen, sich hineinzufinden in
         Zentralnervensystems.                                              das Leben und das Sterben. Wer sterben kann, ist einverstan-
                                                                            den mit der einmaligen Lebenszeit, in der unterschiedlichste
         Die Bibel erzählt von Gott als dem Schöpfer des Lebens, der        Möglichkeiten verwirklicht, aber auch verwirkt werden kön-
         das Leben aller Kreaturen fördert, erhält und begrenzt. So         nen. Die damit beschriebene Freiheit ist durch die Zeit und
         kann die ablaufende Zeit als die eigene Zeit erkannt und           den Raum strukturiert und betont so die unwiederholbare
         genutzt werden. Sie schenkt den Menschen die Möglichkeit,          Einmaligkeit des Lebens mit ihren Höhen und Tiefen.
         in diesem Zeitraum das eigene Leben zu leben und zu pro-
         filieren. Das eigene Leben ist damit ein von Gott gegebener        Der christliche Glaube kennt nur diesen einen Lebenszeit-
         Lebensraum, der eine Licht- und eine Schattenseite hat. Zur        raum, indem ich entweder mit oder ohne Gott existiere.
         Lichtseite zählen all die schönen und lebenserhaltenden,           Wenn ich aber mit Gott meine Lebenszeit gestalte, dann
         ja lebensförderlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten.             erfahre ich, dass Gott in Jesus Christus in dieser Welt wohnt
         Die Schattenseite spiegelt sich in der Verletzlichkeit und in      und sie zum Begegnungsraum mit ihm macht. In der Begeg-
         der Befristung des Lebens. Krankheit und Tod sind die Folge        nung mit Jesus Christus werden Menschen in eine Atmo-
         dieser Schatten. Angesichts dieser Todesschatten protestiert       sphäre versetzt, die Luft zum Atmen und den Raum für in-
         das menschliche Leben gegen seine Befristung und verlangt          dividuelle Entfaltung schenkt. Dadurch werden die Grenzen
         nach Dauer. Denn die Erkenntnis, dass das eigene Leben             und Begrenzungen des Lebens nicht aufgehoben, aber der
         unvollständig und fragmentarisch bleibt, schmerzt.                 eigene Lebensraum über den Tod hinaus auf die Ewigkeit
                                                                            hin geweitet und so das Leben vom Fluch des Todes ent-
         Der Verlust eines geliebten Menschen schmerzt dagegen auf          lastet. Menschen können hoffen, dass Christus die Toten in
         ganz andere Weise. Der Tod raubt einen intimen Beziehungs-         Empfang nimmt und ins Gericht führt. Das Gericht Gottes
         raum, in dem Menschen sich gegenseitig getragen und be-            erwarten die, die auf Christus vertrauen als einen Raum, der
         geistert, geliebt und bereichert haben. Der Tod des Anderen        von Versöhnung und Aussöhnung geprägt ist. Christus wird
         greift hindurch auf das eigene Leben und zerstört soziale          als Richter das individuelle Leben in seinen Zusammenhän-
         Bindungen. Er beraubt mich unzähliger Möglichkeiten, die           gen aufdecken und zurechtbringen. Der Dialog zwischen
         ich in meinem Leben nur mit dem Verstorbenen verwirkli-            Gott und dem Menschen bleibt so auch in der Ewigkeit
         chen könnte. Der vorzeitige Tod von Kindern und jungen             bestehen.
         Menschen ist besonders schwer erträglich, weil sie nur kurze
         Zeit zum Leben hatten.                                             Auferstehung von den Toten meint dann: Gott verwandelt
                                                                            das gelebte Leben in ein neues, ewiges Leben bei und mit
         Dennoch sieht der christliche Glaube im Lebensende eine            ihm. Eine solche Hoffnung schafft Raum für die Trauer. Denn
         Wohltat der Schöpfung Gottes: erst durch die Frist, die dem        mit der Trauer um einen geliebten Menschen schenken wir
         Leben gesetzt ist, kommt den einzelnen Lebensphasen ein            uns Zeit zur Erinnerung, lassen den Schmerz und die Klage
         besonderer Wert zu. Ohne diese Begrenzung und Befristung           zu, ohne in der totalen Verzweiflung und Resignation zu
         wüssten wir nicht, wie wir uns und unser Leben erleben             versinken. Die Hoffnung auf das ewige Leben verändert
         würden. Die Befristung macht unser Leben wertvoll und gibt         unsere Perspektive auf den Tod: Unsere Toten sind Lebende
         jeder Stunde eine besondere Bedeutung. Deshalb bittet der          bei Gott. Das Leben behält das letzte Wort.
         Beter im Psalm 90 Gott: „Lehre uns bedenken, dass wir ster-
         ben müssen, auf dass wir klug werden.“                             Christian Geyer

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          TOD – TRAUER – HOFFNUNG         RUBRIK

                               Das ist ein Text in Leichter Sprache.
                               Alle schweren Worte sind in Blau geschrieben.
                               Im Text wird gesagt:
                               Was die Worte heißen.

                            Nach dem Tod leben alle Menschen bei Gott

                            Gott schenkt allen Menschen das Leben.
                            Die Menschen nutzen das Leben für schöne Dinge.
                            Sie bestimmen in ihrem Leben selbst.

                            Die Menschen wissen, dass ihr Leben einmal endet.
                            Jeder Mensch muss am Ende vom Leben sterben.

                                                                                                                                     in 1/2017 |
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         Alle Menschen sind traurig,
         wenn ein geliebter Mensch stirbt.

         Die Menschen, die an Gott glauben sagen:
         Ihr müsst nicht traurig sein.
         Nach dem Tod leben alle Menschen bei Gott im Himmel.
         Dort ist es schön.
         Es geht den Menschen gut bei Gott.

         Wenn ihr an Gott glaubt, dann ist er bei euch.
         Und nach dem Tod werdet ihr bei Gott im Himmel sein.
         Dort lebt ihr weiter.

         Außerdem sagen sie:
         Bis zum Tod könnt ihr die Zeit für schöne Dinge nutzen.

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          TOD – TRAUER – HOFFNUNG

                           Wenn Mitschüler sterben
                            Trauerbegleitung in der Schule

                           Die Mitarbeitenden einer Förderschule wie der Karl-Preising-        Bei uns werden folgende Wege der Trauerbegleitung für die
                           Schule stehen immer wieder vor der Aufgabe, sterbenskran-           Mitschüler und Mitschülerinnen angeboten:
                           ke Kinder bis zum Tod zu begleiten. Obwohl das sterbende
                           Kind und seine Angehörigen dabei im Mittelpunkt stehen                Das Sterben und der Tod eines Mitschülers hat Priorität
                           und stehen müssen, darf die Aufmerksamkeit für die Mit-               vor anderen Unterrichtsinhalten und wird im Unterricht
                           schüler und Mitschülerinnen nicht verloren gehen.                     ausführlich mit den Kindern thematisiert. Ein Koffer mit
                                                                                                 vielfältigen Unterrichtsmaterialien steht dazu bereit. Im
                           Die Begegnung mit dem Tod vertrauter Menschen ist eine                Klassenverband finden individuelle Gedenkrituale statt,
                           Erfahrung, die Kinder und Jugendliche in der Regel mit                die den Kindern aktive Handlungsmöglichkeiten eröffnen.
                           Menschen machen, die erheblich älter sind als sie selbst.
                           So traurig es für sie ist, geliebte Großeltern zu verlieren, so       Ein Gedenktisch mit dem Foto des verstorbenen Kindes,
                           wenig müssen sie diese Erfahrung mit ihrer eigenen End-               Blumenstrauß und Kreuz wird an zentraler Stelle der
                           lichkeit in Beziehung setzen. Sterben wird erst bedeutsam,            Schule aufgestellt und bietet Platz für individuelle Briefe,
                           wenn man „alt“ ist, also ist es für sie selbst noch endlos lang       gemalte Bilder oder andere Botschaften für das Kind.
                           entfernt. Ganz anders gestaltet sich das, wenn Kinder und
                           Jugendliche mit dem Tod von Altersgenossen konfrontiert               Ein kindgerechter Gottesdienst, zu dem auch die Familie
                           werden, denn hier besteht ein direkter Zusammenhang mit               des verstobenen Kindes eingeladen ist, wird von der Seel-
                           ihrer eigenen Lebenssituation und somit eine unmittelbare             sorgerin des Bathildisheims gestaltet. Ein Foto des verstor-
                           Bedrohung für sie selbst.                                             benen Kindes wird an den Gedenkstelen angebracht.

                           Den Tod von Klassenkameraden und Klassenkameradinnen                  Die Mitarbeitenden der Schule signalisieren den Mitschü-
                           zu verarbeiten, stellt für Kinder und Jugendliche somit nicht         lern und Mitschülerinnen jederzeit, auch lange nach dem
                           nur eine schmerzhafte Erfahrung dar, sondern kann auch die            Tod des Kindes, ihre Offenheit und Gesprächsbereitschaft.
                           eigene Verletzlichkeit deutlich machen und stark verunsi-
                           chernd wirken. Eine sensible pädagogische und seelsorgeri-          Die erwachsenen Bezugspersonen trauernder Kinder stehen
                           sche Begleitung bleibt daher unerlässlich.                          mit dieser Aufgabe vor einer immensen Verantwortung, der

                                                                                                                                     in 1/2017 |
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         sie nur gerecht werden können, wenn es ihnen gelingt, sich
         die eigenen Gefühle und Ängste angesichts der Thematik
         „Tod und Sterben“ zu vergegenwärtigen.

         Eine Arbeitsgruppe zum Thema Trauer, ein gemeinsames
         Ritual aller Mitarbeitenden sowie der vertrauensvolle Aus-
         tausch innerhalb des Kollegiums haben dazu beigetragen,
         dass in der Karl-Preising-Schule offen und voller christlicher
         Hoffnung mit der Trauer umgegangen werden kann.

         Dr. Ursula Braun
         Förderschulkonrektorin Karl-Preising-Schule

                                      Baumhaus für die verstorbene Großmutter in deren
                                      geliebtem Apfelbaum,
                                      Gemälde eines Grundschülers

                               | in 1/2017
Tod - Trauer - Hoffnung - Nr. 1/2017 - Bathildisheim eV
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                                     INTERVIEW

                                          Wenn man
                                       den Tod in den
                                          Alltag lässt
                                                                        Damm: Ich arbeite seit 27 Jahren mit         zuletzt erfahren die Sterbenden und
                                                                        Menschen mit Behinderungen, somit            deren Angehörige oder Betreuer und
                            in: Frau Damm, viele Menschen schieben      wurde ich schon einige Male mit dem          wir seelsorgerischen Beistand durch
                            das Thema Tod und damit verbunden die       Thema konfrontiert. Sicherlich ist die       unsere Pfarrerin oder einen ortsansäs-
                            Trauer ganz weit weg. Müssen Sie sich       beste Voraussetzung für einen guten          sigen Seelsorger. Das ist ganz wichtig,
                            in dieser Wohngemeinschaft oft damit        Umgang mit Sterbenden, ihnen in ers-         weil es gut tut.
                            beschäftigen?                               ter Linie respekt- und achtungsvoll zu
                                                                        begegnen. Man muss Mensch sein und           in: Trotz aller Bemühungen ist das Thema
                            Sonja Damm: Aufgrund der Alters-            Offenheit sowie eine besondere Wach-         Tod und Trauer noch immer ein nicht
                            struktur und der teilweise schweren         samkeit mitbringen.                          gern gesehenes in unserer Gesellschaft.
                            Krankheitsbilder bei unseren Bewoh-
                            nern ist das Sterben für uns im Zu-         Zum Glück sind in unserem Team die           Damm: In einem Zusammenleben wie
                            sammenleben immer wieder Thema.             Fähigkeiten und die Bereitschaft, von-       hier im Haus Emilie ergibt sich das The-
                            Seit dem Einzug in dieses Haus im Jahr      einander zu lernen, gegeben. Für die         ma selbstverständlich. Wir lassen es in
                            2012 sind vier Bewohner gestorben.          jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die       unseren Alltag! Die Bewohner nehmen
                            Davon zwei im Krankenhaus, und zwei         sich möglicherweise noch nicht häufig        wahr, dass einer ihrer Freunde oder
                            durften in ihrem gewohnten Umfeld,          mit dem Tod beschäftigen mussten,            Mitbewohner plötzlich fehlt, bei den
                            in ihrem Zimmer hier im Haus, friedlich     sind die älteren eine große Hilfe. Man-      Mahlzeiten oder im Tagesablauf. Wir
                            einschlafen.                                che unserer Mitarbeitenden besuchen          erklären dann, dass derjenige schwer
                                                                        Seminare zum Thema Sterbebeglei-             krank ist und ins Krankenhaus musste,
                            in: Es gehörte sicherlich nicht zu Ihrer    tung. Das ist eine Bereicherung für den      vielleicht auch dort gestorben ist. Im-
                            Ausbildung, Kranke und Sterbende bis        Einzelnen, aber auch für das gesamte         mer begleiten wir das mit Gesprächen
                            zu ihrem Tod zu begleiten. Wie gehen Sie    Team. Auch die optimale Begleitung           und Ritualen. Im Gruppenraum haben
                            damit um?                                   durch unseren Hausarzt hilft natürlich,      wir eine Fotowand, die alle Bewohner
                                                                        bestehende Ängste abzubauen. Nicht           zeigt, auch die, die verstorben sind. So

                                                                                                                                     in 1/2017 |
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         können schöne Erinnerungen, aber             gehen sie mit eher kindlichen Vorstel-          Sonja Damm, die Leiterin des Hauses Emilie, vor
         auch traurige Gedanken erlebt werden.        lungen mit dem Thema um. Das nimmt              einer Fotowand im Gruppenraum. Porträts von
         Dankbar sind wir allerdings, wenn die        einen großen Teil der Angst. Außerdem           dort lebenden, aber auch verstorbenen Bewohnern
         Menschen, die gehen müssen, das hier         möchten sie spüren und begreifen,               geben Raum für Erinnerungen.
         in ihrem vertrauten Umfeld machen            dass ein Freund, ein Mitbewohner bald
         dürfen. Nicht nur wir als Team, sondern      nicht mehr da ist und entwickeln ganz           Im Haus Emilie in Volkmarsen, einer Wohngemein-
         auch die Mitbewohner haben so die            selbstverständlich Rituale, z. B. regel-        schaft unter dem Dach des Bathildisheims, leben
         Gelegenheit, mit großer Achtsamkeit          mäßig an das Kranken- oder Sterbebett           26 erwachsene Menschen mit Einschränkungen,
         diese Situation zu begleiten. Wir kön-       zu gehen und Zuwendung zu geben.                teilweise mit schwerst-mehrfachen Behinderungen.
         nen spüren, was die Sterbenden, aber         Bis zuletzt.                                    Das Haus wurde im Jahr 2012 eingeweiht und bezo-
         auch die Mitbewohner, die Angehöri-                                                          gen, seither sind vier Bewohner verstorben.
         gen oder die Betreuer brauchen.              in: Frau Damm, vielen Dank für das In-
                                                      terview.
         in: Welche Erkenntnisse haben Sie aus
         den bisherigen Erlebnissen mitgenom-         Das Interview führte Gaby Kißmer
         men?

         Damm: Die besondere Beziehung,
         die wir zu unseren Klienten aufgebaut
         haben, berührt mich als Mensch in der
         Situation des Sterbens natürlich beson-
         ders. Da wünsche ich mir manchmal die
         Leichtigkeit und Unbefangenheit eini-
         ger unserer Bewohner. Aufgrund ihrer
         teilweise schweren Behinderungen

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                                     INTERVIEW
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                                                                         denn alle Dinge meines Lebens sind anwesend.
                                                                         Indianische Weisheit

                                                            … ein guter Tag
                                                                         seinem Wohnheim mit den Worten            könnte – das sollte ich eigentlich nicht
                                                                         „Du kannst zusammenpacken, ich wer- hören.
                                                                         de dieses Zimmer von innen nicht mehr
                                                                         sehen“ verabschiedet hat.                 in: Er hat sich in seinen letzten Tagen
                                                                                                                   irgendwie verabschiedet. Ist Abschied
                                                                         in: Also hat er das gespürt …             ein Begriff, mit dem Du etwas anfangen
                                                                                                                   kannst?
                                                                         Ziech: Er hat es gespürt. Sören wusste,
                                                                         dass er sterben wird.                     Ziech: Ja, auf jeden Fall. Man hat uns
                                                                                                                   beiden, als feststand, dass man an sei-
                                                                         in: Kannst Du im Nachhinein sagen,        ner Lungenembolie nichts mehr ma-
                                                                         woran er das festgemacht hat? Hat man     chen kann – und er wollte auch nichts
                                                                         mit ihm gesprochen?                       mehr machen lassen –, ganz viel Zeit
                                                                                                                   gelassen. Und es gab eine Situation, als
                                                                         Ziech: Es gab wohl schon Anzeichen: Er wir allein auf der Intensivstation waren,
                                                                         war zweimal nach vorne gekippt und        als er zu mir gesagt hat: „Na, Mama, ich
                                                                         wäre fast erstickt. Er hat gemerkt, dass  will, dass Du hierbleibst, aber Du musst
                                                                         er schwächer wird, dass er mehr Hilfe     mich gehen lassen!“
                                                                         braucht. Daran hat er wohl für sich fest- (Stille)
                            in: Gitta, Du hast mir erzählt, dass Sören   gemacht: Wenn ich noch einmal nach
                            diese indianische Weisheit als Zitat aus     vorne kippe und niemand bemerkt es,       in: Du musstest Dich sehr früh mit dem
                            dem Film „Stirb langsam“ gesagt hat, als     dann war’s das, dann sterbe ich. Er sah   Thema Abschied auseinandersetzen,
                            ihm klar war, dass es zu Ende geht. Ein      in der letzten Zeit, so im letzten halben aufgrund der Diagnose schon nach
                            Satz, der, wenn man Sören kannte, gut        Jahr, auch sehr, sehr krank aus.          Sörens Geburt. Ich erinnere mich an Aus-
                            nachvollziehbar ist, der in der Situation                                              sagen zur Lebenserwartung von ca. zwei
                            des Abschiednehmens und des Fest-            Irgendwie habe ich es auch gespürt.       Jahren. Dann ist Abschiednehmen und
                            haltenwollens aber eher erschreckend         Wir hatten, bei allen Mutter-Sohn-        Sterben ja irgendwie latent immer Thema
                            wirken kann. Wie hast Du seine Aussage       Problemen, immer schon eine enge          gewesen.
                            damals empfunden?                            Verbindung. Ich habe in der Zeit oft
                                                                         davon geträumt, dass ich seine Beerdi- Ziech: Ja, zunächst sprach man vom
                            Gitta Ziech: Das war furchtbar, das          gung ausrichten muss. Mein Hausarzt       Werdnig-Hoffmann-Syndrom. Nach
                            wollte ich damals überhaupt nicht            hat mich beruhigen wollen und meinte, weiteren Tests wurde die Diagnose
                            hören. Ich habe ihm im Krankenhaus           er würde aufgrund seiner Konstitution     Spinale Muskelatrophie gestellt mit
                            gesagt: „Lass dieses Geschwätz oder          uns beide sicher überleben. Auf der       einer geschätzten Lebenserwartung
                            ich fahre nach Hause.“ Ich wusste zu         anderen Seite habe ich von einer Pfle-    von etwa zehn Jahren. In diesem Alter
                            diesem Zeitpunkt nicht, dass er sich am      gekraft zufällig mitbekommen, dass es hatte er dann aufgrund seiner starken
                            Abend vorher von einer Pflegekraft in        bei Sören einmal ganz schnell gehen       Skoliose immense Atemprobleme. Die

                                                                                                                                     in 1/2017 |
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                                                            zum Sterben
         damalige Operation zur Wirbelsäulen-       auf den Anrufbeantworter gesprochen            dann: Wer soll das denn essen? Das
         versteifung hat dazu beigetragen, dass     hattest, um den Termin für dieses In-          geschieht ganz unbewusst. Seine Um-
         er weiterleben konnte. Ohne die wäre       terview zu machen, war das ein Gefühl:         zugskartons stehen noch unangetastet.
         das nicht mehr lange gut gegangen.         „Sch…, Wohngruppe Hosara ruft an“ –            Ich könnte, wenn du Regale aufstellen
                                                    wie früher, von dem Anschluss hat er ja        würdest, alles so einräumen wie es bei
         in: Kann man sich an Abschiednehmen        auch immer angerufen. Das wirft dich           Sören war.
         gewöhnen?                                  erstmal total aus der Bahn. Es hat mich
                                                    zwei Nächte beschäftigt, und eigentlich        in: Hast Du einen Ort der Trauer?
         Ziech: Nein. In der Anfangszeit war ich ist es doch nur ein Telefonanschluss.
         viel auf dem Friedhof. Da hat jemand       „Die Zeit heilt alle Wunden“ ist ein           Ziech: Ja. Warum auch immer haben
         zu mir gesagt: „Du, die Leute reden        Spruch – den würde ich noch nicht ein-         wir uns schon vorher einmal darüber
         schon über Dich, weil Du so oft auf        mal anwenden, wenn ein Tier verstirbt.         unterhalten – ich selbst habe ja meh-
         dem Friedhof bist. Aber du hast es doch Da verändert sich was, ganz klar.                 rere Krebserkrankungen hinter mir –,
         immer gewusst, dass er nicht alt wird.“                                                   wo wir mal beerdigt werden möchten.
         Ja gewusst habe ich das, aber darauf       in: Trauer geschieht ja ganz unterschied-      Ich hatte dann einen Artikel über den
         vorbereitet? – Überhaupt nicht.            lich, der eine zieht sich zurück, der andere   Ruheforst in Bad Arolsen gelesen. Sören
                                                    wird aktiv, macht und tut. Wie trauerst        fand das gleich gut, weil er meinte, dass
         in: Also dann doch „plötzlich und uner-    Du?                                            die Zeit in Bad Arolsen seine „geilste“
         wartet“, obwohl man über Jahre schein-                                                    Zeit gewesen sei. Aber er hat dann
         bar vorbereitet wurde?                     Ziech: Ich leide wie ein Schwein – so          irgendwann im Blick auf mich gesagt,
                                                    richtig. Als ich einmal das Gefühl             es wäre wohl besser, hier an meinem
         Ziech: Ja, genau so.                       bekam, ich kann mich nicht mehr an             Wohnort beerdigt zu werden, weil ich
                                                    Sörens Stimme erinnern, hatte ich              sonst ständig pendeln würde – da hatte
         in: Steckt in Sprüchen wie „Die Zeit heilt einen Zusammenbruch. So stark, dass            er wohl Recht. Jetzt hat er einen Platz
         alle Wunden“ etwas Wahres? Es ist jetzt    mein Gesprächspartner den Notarzt              unter einem Baum auf dem Friedhof,
         fast zwei Jahre her, dass Sören verstorben rufen wollte. Ich bin dann nach Hause          mit Bank. Da kann ich sitzen, so lange
         ist.                                       gegangen und habe mich erinnert,               ich will.
                                                    dass ich eine Aufnahme aus der Wohn-
         Ziech: Das sind Phasen. Ich habe ge-       gruppe habe, die ihr uns Eltern damals         in: Plötzlich allein. Wie hat sich das ange-
         nerell das Gefühl, dass es schlimmer       zu Weihnachten geschenkt hattet. Ich           fühlt? Macht Trauer einsam?
         wird. Gerade im Sommer nach der Be-        musste sie nicht hören, aber da wusste
         stattung von Sören war ich unheimlich ich: Ich werde Sörens Stimme niemals                Ziech: Ob Trauer einsam macht? Mein
         oft auf dem Friedhof. Und dann gibt        vergessen!                                     bester Freund hat sich ein halbes
         es Anlässe: Weihnachten, Geburtstag,                                                      Jahr nach Sörens Tod erhängt. Er war
         sein Freund Richard kündigt sich an.       Es gibt immer wieder Situationen, da
         Da bist du schon Tage vorher nervös        greife ich im Geschäft nach Dingen, die
         und stehst eigentlich neben dir. Als Du Sören gerne gegessen hat, und denke

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                                                                          Gitta Ziech ist Mutter eines ehema-
                                                                          ligen Schülers im Schülerinternat
                                                                          des Kinder- und Jugendwohnens im
                                                                          Bathildisheim. Ihr Sohn kam im Alter
                                                                          von sieben Jahren in die Wohngrup-
                                                                          pe Hosara und wohnte dort bis zu
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                                     INTERVIEW                            seinem 18. Lebensjahr. Im Alter von
                                                                          29 Jahren starb er am 17. Mai 2015.

                                                                          Behinderungsbild:
                                                                          Spinale Muskelatrophie

                            derjenige, der die schlimmste Zeit mit-     Ziech: Ja, genau. Sören hat scheinbar        So konnte ich bis zum Schluss bei ihm
                            gemacht hat, der mit mir das Zimmer         genau gewusst, wie es mir gehen wür-         sein und bleiben. Im Nachhinein muss
                            ausgeräumt hat, der immer für mich          de. Deshalb hat er alle lebensverlän-        ich sagen, es war alles gut so wie es
                            da war, vertraut sich mir nicht an und      gernden Maßnahmen in einer Patien-           war.
                            nimmt sich das Leben. Das waren zwei        tenverfügung abgelehnt – ohne mich
                            extreme Schläge in meinem Leben.            zu fragen. Das war schon ein Schock. Im      in: Gitta, dies war ein ganz besonderes
                                                                        Nachhinein muss ich sagen, war es gut,       Interview, herzlichen Dank für Deine
                            in: Haben sich Freunde aufgrund Deiner      dass es diese Verfügung gab. Ich hätte       Offenheit.
                            Situation zurückgezogen?                    eine solche Entscheidung nicht treffen
                                                                        können, hätte ihn nicht loslassen kön-       Das Interview führte Karsten Meyer,
                                                                                                                     Gruppenleiter Wohngruppe Hosara und
                            Ziech: Mein Freundeskreis ist eigent-       nen. Das fällt mir ja jetzt noch schwer.     Taufpate von Sören
                            lich noch intensiver als vorher. Es gibt
                            Menschen um mich herum, die nicht           in: … so hat er für Dich gesorgt.
                            angenervt sind, wenn ich mal wieder
                            extrem traurig bin.                         Ziech: Genau, irgendwie tut das weh,
                                                                        ist aber auch schön.
                            in: … die das mittragen und ertragen?
                                                                        in: Was würdest Du Menschen in Deiner
                            Ziech: Ja, und die sich das immer und       Situation raten?
                            immer wieder anhören. Es gibt dann
                            auch mal Ansagen von Freunden nach          Ziech: Mein Problem war die Patienten-
                            dem Motto „Es muss jetzt dann auch          verfügung, die Sören mit einer Bekann-
                            mal wieder gut sein, morgen möchte          ten ohne mich verfasst hatte. Im Nach-
                            ich meine alte Frau Ziech wiederha-         hinein war ich froh, dass er das geregelt
                            ben“. Aber wenn ich anrufe und sage,        hat. Jemand, der so etwas verfasst, hat
                            dass ich auf den Friedhof möchte, muss      sich Gedanken um sich gemacht, aber
                            ich nicht alleine gehen.                    auch um seine Angehörigen. Sören hat
                                                                        für mich gesorgt, war vielleicht besorgt.
                            in: Hat sich etwas für dich im Umgang       Es brauchte Zeit, das zu verstehen
                            mit Trauer verändert?                       und zu akzeptieren. So konnte ich ihn
                                                                        gehen lassen, er hatte es mir ja auch in
                            Ziech: Ich habe zwei wichtige Men-          seinen letzten Momenten gesagt: „Du
                            schen in meinem Leben verloren, mei-        musst mich gehen lassen.“
                            ne Oma und Sören. Jemanden nicht
                            mehr bei sich zu haben, nicht mehr
                            berühren zu können, ist für mich ganz
                            schwer. Sören konnte ich nicht loslas-
                            sen. Ich wollte nicht gehen, ich wusste,
                            wenn ich jetzt gehe, war´s das.

                            in: Ein endgültiger Abschied?

                                                                                                                                      in 1/2017 |
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                                         Marie Luise Kaschnitz                                 (unbekannt)

                                         Nicht mutig                                           Mein Samenkorn

                                         Die Mutigen wissen                                    Ich halte ein Samenkorn in der Hand.
                                         Dass sie nicht auferstehen                            Mein einziges Korn.
                                         Dass kein Fleisch um sie wächst
                                         Am jüngsten Morgen                                    Sie sagen, ich soll das Korn in die Erde legen,
                                         Dass sie nichts mehr erinnern                         ich muss mein Korn schützen,
                                         Niemandem wiederbegegnen                              mein einziges Korn.
                                         Dass nichts ihrer wartet                              Ich habe es nie erlebt, dass es Frühling gibt.
                                         Keine Seligkeit
                                         Keine Folter                                          Sie sagen, es wächst neues Leben aus dem Korn.
                                         Ich                                                   Ich verliere mein Korn,
                                         Bin nicht mutig.                                      mein einziges Korn.
                                                                                               Ich habe es nie erlebt, dass es Frühling gibt.

                                                                                               Sie sagen, ich muss mein Korn riskieren.
                                         „Nicht mutig“, aus: Marie Luise Kaschnitz, Gesam-     Mein einziges Korn.
                                         melte Werke in sieben Bänden, Band 5: Die Gedichte.
                                         © Insel Verlag, Frankfurt am Main 1985. Alle Rechte
                                                                                               Aber ich habe nie Frühling erlebt.
                                         bei und vorbehalten durch Insel Verlag Berlin.        Mein Geliebter sagt: Es gibt Frühling!
                                                                                               Ich lege mein Korn in die Erde.

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                            Der Tod ist heute überwiegend medial als Teil von ,Sensationen‘

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                                     INTERVIEW

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                                                                                                                        Betroffenheit verbunden. Deshalb hat
                                                                                                                        das Museum für Sepulkralkultur sich
                                                                                                                        zur Aufgabe gemacht, die Intimität
                                                                                                                        dieses Themas zu respektieren und zu
                                                                                                                        bewahren. Es stellt sich den vielfältigen
                                                                                                                        Fragen von Sterben, Tod und Bestatten
                                                                                                                        nicht durch das Finden von Antworten,
                                                                                                                        sondern vielmehr, indem es auf der
                                                                                                                        Suche nach ihnen neue Fragen aufwirft.
                                                                                                                        In seiner Schausammlung schafft es
                                                                                                                        Raum für eine Auseinandersetzung mit
                                                                                                                        unserer westlichen Sterbe- und Trauer-
                                                                                                                        kultur. Exponate der Alltagskultur – da-
                                                                                                                        bei handelt es sich um Stücke sowohl
                                                                                                                        der sogenannten Hochkultur als auch
                                                                                                                        der Alltagskultur – kontrastieren dabei
                                                                                                                        bewusst mit Werken zeitgenössischer
                                                                                                                        Kunst. Zusammen bieten sie Antworten
                                                                                                                        auf die Fragen „Wie gingen die Men-
                                                                                                                        schen früher mit Sterben und Tod um?“
                                                                                                                        und „Welchen Stellenwert hat es heute
                                                                                                                        in einer säkularisierten und weltan-
                                                                                                                        schaulich differenzierten Gesellschaft?“.
                                                                                                                        Der Tod ist heute überwiegend medial
                                                                                            Sarg in Form eines Hahns,   präsent: Bilder von Toten und vom
                                                                                            Paa Joe, Ghana, 2002
                                                                                                                        Töten werden uns heute täglich durch
                                                                                                                        Fernsehen und Zeitungen frei Haus
                                                                                                                        geliefert. Doch die unmittelbare Erfah-
                                                                        im Zusammenhang mit Sterben, Tod,               rung des Einzelnen im Umgang mit
                                                                        Bestatten, Trauern und Erinnern: Grä-           Sterben und Tod ist selten geworden.
                            in: Was erwartet den Besucher in einem      ber, Särge und Bestattungsriten und             Hier ist große Unsicherheit zu spüren
                            Museum für Sepulkralkultur?                 -bräuche, auch Werke zeitgenössischer           und der Wunsch nach mehr Informati-
                                                                        Künstlerinnen und Künstler können so            on. Deshalb fühlt sich das Museum für
                            Jutta Lange: Das Museum für Sepulk-         im weitesten Sinne auch als Trauer- und         Sepulkralkultur einem besonderen Auf-
                            ralkultur ist einzigartig in Deutschland.   Begräbniskultur verstanden werden.              trag verpflichtet. Eine Zielvorstellung ist
                            In einem Backsteingebäude von 1903                                                          es, den Tod wieder stärker ins Leben zu
                            und in einem Neubau ist 1992 ein le-        in: Sterben ist das einzige Erlebnis, das       integrieren, dem Tod wieder ein Stück
                            bendiges Museum entstanden, welches         auf jeden von uns zukommt. Was kann             jener Normalität zurückzugegeben, die
                            die Besucher auf 1400 Quadratmetern         ein Museum dazu beitragen, das Thema            er früher besessen haben soll.
                            einlädt, sich mit den Themen Sterben,       transparent zu machen?
                            Tod und Trauer zu beschäftigen. Der                                                         in: In der Vergangenheit verstarben viele
                            Begriff Sepulkralkultur leitet sich vom     Lange: Sterben und Tod sind sehr                Menschen im häuslichen Umfeld, wur-
                            lateinischen sepulcrum ab und be-           existentiell, mal scheint das Thema             den aufgebahrt und die Familie konnte
                            deutet Grab, Grabstätte und umfasst         sehr weit weg, mal bricht es unvor-             trauern und Abschied nehmen. Heute ist
                            hier alle kulturellen Erscheinungen         hergesehener Maßen auf uns ein. Das             das vielfach anders. Bringen die Besucher

                                                                                                                                        in 1/2017 |
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       präsent, aber im Alltag weitesTgehend verdrängt
                                            Jutta Lange, Pressesprecherin, Museum für Sepulkralkultur in Kassel

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         daher bei Ihren Führungen eine gewisse       Formaten von Information, Forschung
         Anspannung oder Angst mit?                   und Vermittlung verpflichtet.

         Lange: Nein, das kann man so nicht           in: Wenn das Sterben, der Tod und die
         sagen. Vielleicht ist bei manchen eine       Trauer wirklich einer lebenslangen Vor-
         gewisse Unsicherheit zu spüren, was          bereitung bedürfen, liegt die Vermutung
         sie wohl im Museum erwartet, aber im         nahe, dass Sie mit Ihrem Museum auch
         Laufe des Ausstellungsbesuches ver-          Kinder ansprechen möchten.
         fliegt die Angst schnell. Die Menschen
         kommen mit großem persönlichen               Lange: Auf jeden Fall. Angesichts der                        Europaweit einzigartig ist in dem eins-
         Interesse und sind begeistert von un-        existentiellen Thematik kommt bei uns                        tigen Anwesen der Fabrikantenfamilie
         serem vielfältigen Angebot. Nicht nur        der museumspädagogischen Vermitt-                            Henschel im Jahr 1992 auf dem Wein-
         für Konfirmanden, Schulen oder für die       lung und den entsprechenden Veran-                           berg in Kassel ein lebendiges Museum
         helfenden Berufe und Auszubildenden,         staltungen besondere Bedeutung zu.                           für Sepulkralkultur entstanden Nicht
         auch für viele nicht nur Kulturinte-         Gerade Kinder und Jugendliche stehen                         düster und todernst, sondern hell und
         ressierte ist das Museum zu einem            im Fokus unserer Arbeit. Es gibt mu-                         freundlich präsentieren sich die Aus-
         wichtigen Ort der Auseinandersetzung         seumspädagogische Projekte für alle                          stellungsräume. Die Zusammenfüh-
         geworden. Manch einer erklärt das            Altersstufen, auch für Kitas. Und mit ca.                    rung von Alt und Neu erzeugt einen
         Museum sogar zu seinem Lieblings-            zehn Jahren feiern Kinder regelmäßig                         spannungsreichen architektonischen
         museum.                                      begeistert ihren Geburtstag in unseren                       Gesamtkomplex, was als inhaltliches
                                                      Räumen.                                                      Prinzip auch in der Schausammlung
         Und was man vielleicht nicht erwartet,                                                                    seine Entsprechung findet.
         aber ganz besonders für uns ist: Hier        Mit der Dauerausstellung und den zahl-
         darf auch gelacht werden. Das zeigte         reichen Sonderausstellungen ist das
         bereits die erste Sonderausstellung          Museum ein einzigartiger außerschu-
         1992 „Schluß jetzt!“ mit Karikaturen         lischer Lernort. Für schulische Projekte
         zum Thema Sterben, Tod und Trauer.           haben wir für Lehrer und Erzieher Pro-
         Nach 25 Jahren im Herbst 2016 fand           gramme entwickelt, die museumsspezi-
         eine erfolgreiche Fortsetzung in der         fisch alltagsbezogenen Fragestellungen
         Sonderausstellung „Einer geht noch!          nachgehen.                                                                          Jutta Lange,
         – Cartoons und Karikaturen auf Leben                                                                                             Pressesprecherin
         und Tod“ statt. Auch wenn wir uns mit        Auch weil der Tod vor der Schule
         den ernsten „letzten Dingen“ beschäf-        nicht halt macht, gehen wir zu den                           Museum für Sepulkralkultur
         tigen, so möchten wir immer ein Haus         Kindern: mit dem Museumskoffer                               Weinbergstraße 25–27
         des Lebens sein.                             „Vergissmeinnicht“ und einer mobilen                         34117 Kassel
                                                      Mitmachausstellung für Vorschul- und                         Fon 0561 91893-0
         „Das Sterben muss man das ganze              Grundschulkinder im Alter von fünf bis                       info@sepulkralmuseum.de
         Leben lang lernen“, sagte bereits der        zwölf Jahren. Mit Hands-on-Angeboten                         www.sepulkralmuseum.de
         römische Philosoph Seneca, und so            werden Kinder in spielerischer Weise an
         führt die Auseinandersetzung mit             die Themen Sterben, Bestatten, Trauern                       Öffnungszeiten:
         Sterben und Tod hin zu sowohl persön-        und Gedenken herangeführt.                                   dienstags 10–17 Uhr
         lichen, als auch gesellschaftspolitischen                                                                 mittwochs 10–20 Uhr
         Fragen des Lebens – und damit mitten         in: Vielen Dank für das Interview,                           donnerstags bis sonntags 10–17 Uhr
         ins Leben. So sieht sich das Museum          Frau Lange!                                                  Jeden Mittwoch findet um 18 Uhr eine
         für Sepulkralkultur den vielfältigen           			                                                        öffentliche Führung statt.
         Aufträgen in den unterschiedlichsten         Das Interview führte Gaby Kißmer

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                                    BUCHTIPPS

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                                                                                                                   meinsam mit Kindern zu entdecken,
                                                                                                                   Fantasien und Hoffnungen zu wagen.
                                                                                                                   Zugleich ist mit dem Anhang eine
                                           Mein trauriges Buch            Das Buch beschreibt den Weg, den         wertvolle Hilfe für Eltern und Erziehen-
                                                                          Hannes zurücklegt zwischen seinem        de gegeben, um Kinder in der Trauer
                                            Auf der ersten Seite          Kinderglauben und der reiferen Vorstel- begleiten zu können. Themen wie
                                            stellt er sich vor: Michael   lung, dass Gott nicht das Leid wegzau- „Wie sag ich’s meinem Kinde?“ oder
                                            Rosen erzählt, wie die        bert, sondern im Leid beisteht. Täglich  „Soll man Kinder auf eine Beerdigung
                                            Traurigkeit ihn gefangen      betet er: „Gott, mach, dass Bobo wieder mitnehmen“ werden verständlich und
                                            hält, was sie mit ihm         gesund wird. Ich verspreche dafür auch, praxisnah entfaltet.
                                            macht, in wie vielen          mich mit der Schwester und den Eltern
                           Formen sie ihn heimsucht, seit sein            immer zu vertragen.“                     Christine Hubka mit Illustrationen von
                           Sohn Eddie gestorben ist. Manchmal                                                      Nina Hammerle. Ein Bilderbuch für Kinder
                           ist sie als Wut da, manchmal als große         Sensibel erzählt die Autorin von den     ab 4 Jahren. Verlagsanstalt Tyrolia, 2008,
                           gähnende Leere oder als dunkle Wolke,          vielen Spuren Gottes, die Hannes in die- 14,95 Euro
                           die ihn ein-hüllt. Ein Mal sucht er die        ser Zeit entdeckt – bis er zum Schluss
                           Einsamkeit, ein anderes Mal tut es gut,        beten kann: „Wenn Bobo sterben muss,
                           mit jemandem zu reden.                         dann streichle ihn, Gott. Er mag das.“   Die besten Beerdigungen der Welt

                           In kindgerechter Form macht dieses             Angela Kunze-Beiküfner mit Bildern von    Einen Tag
                           Buch Mut, den vielen verschiedenen             Christine Mahler. RPA-Verlag Landshut,    lang be-
                           Formen der Trauer ins Gesicht zu sehen.        9,95 Euro                                 gleitet das
                           Es hilft, Trauernden eine einfühlsame                                                    Buch drei
                           Begleitung zu sein auf dem Weg zurück                                                    Kinder, die
                           ins Leben.                                     Wo die Toten zuhause sind                 Beerdigung
                                                                                                                    spielen.
                           Erzählt von Michael Rosen. Mit Bildern                                                   Nein, sie
                           von Quentin Blake. Verlag Freies Geistesle-                                              spielen
                           ben Stuttgart, 2007, 15,90 Euro                                                          nicht. Mit
                                                                                                                    vollem
                                                                                                                    Ernst, großer Fantasie und tiefer Ergrif-
                           Hannes sucht Gott                                                                        fenheit widmen sie sich dem Thema
                                                                                                                    Tod. Liebevoll und würdig werden eine
                                                Hannes sorgt sich                                                   tote Hummel bestattet, mehrere tote
                                                um seinen besten                                                    Mäuse, ein überfahrener Hase … auch
                                                Freund: den Hund                                                    die toten Fische, die sie im Kühlschrank
                                                Bobo, der schwer                                                    der Großmutter finden.
                                                erkrankt ist. Der Tier-
                                                arzt kann ihm nicht                                                 Beeindruckend, die Unbefangenheit
                                                helfen. „Da kann nur                                                und die Furchtlosigkeit, mit der sich die
                                                noch Gott helfen“,        Kinder fragen: Wohin gehen die Toten?     Kinder diesem Thema stellen.
                                                sagt eine Nachbarin.      Was passiert nach dem Sterben? Der
                                                                          Text bezieht sich in einfacher Sprache    Ulf Nilson und Eva Erikson, Moritz Verlag
                                                                          auf den Bibelvers Johannes 14,2.          Frankfurt am Main, 13,95 Euro

                                                                                                                                     in 1/2017 |
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                                                      Im Digitale Hamsterrad                      Irgendwo im Glück

                                                      Warum machen wir uns zu digitalen           Ein Roman voller Humor, Liebe, Trau-
                                                      Sklaven? Das Buch zeigt, wie es auch        rigkeit und Hoffnung, der im Jahr 1995
                                                      anders geht, ohne die Technologien          in Dublin spielt. Maisie Bean, eine Frau,
                                                      zu verdammen. Das Buch von Gerald           die sich nicht unterkriegen lässt, glaubt,
                                                      Lemke ist ein Plädoyer für den gesun-       nun endlich ihr Leben im Griff zu ha-
                                                      den Umgang mit Smartphone und Co.           ben. Da verschwindet ihr Sohn Jeremey
                                                      Gerald Lembke ist Professor für Digitale    spurlos.
                                                      Medien und Medienmanagement
                                                      an der Dualen Hochschule Baden-             E-Book, Rowohlt Verlag, 10,99 Euro (D)
                                                      Württemberg.
                                                      Als Gestalter
                                                      von digitalen
                                                      Welten und
                                                      zugleich
         Wenn Menschen mit geistiger Be-              kritischer
         hinderung trauern. Vorschläge                Beobachter
         zur Unterstützung                            kennt er
                                                      beide Seiten
         Die Autorinnen beschreiben allgemein-        der digitalen
         gültige Abläufe des Trauerprozesses          Medaille.
         und dessen Besonderheiten bei Men-
         schen mit einer geistigen Behinderung.       Medhochzwei
         Es sind sowohl Anregungen für körper-        Verlag,
         liche Übungen, musikalische Unterstüt-       19,99 Euro (D)
         zung und verbale Hilfen zu finden als
         auch rituelle Handlungsmöglichkeiten,
         religiöse und spirituelle Angebote.          Raumpatrouille

         Dieses Buch beschäftigt sich zwar spe-       Dies ist ein von Matthias
         ziell mit den besonderen Bedingungen         Brandt wunderbar geschrie-
         für Menschen mit geistiger Behinde-          bener Erzählband über eine
         rung, trotzdem ist es hervorragend           Kindheit in der Bonner Re-
         geeignet, Kindern oder auch Erwach-          publik.
         senen ohne Behinderung, die sich auf
         kreative Bewältigung ihrer Trauer ein-       Matthias Brandt ist Schau-
         lassen, beizustehen.                         spieler und Sohn des
                                                      früheren Bundeskanzlers
         Charlene Luchterhand und Nancy Mur-          Willy Brandt.
         phy, Beltz Verlag, Weinheim und Basel,
         19,95 Euro (D)                               Kiepenheuer & Witsch,
                                                      18,00 Euro (D)

                           | in 1/2017
Chance
ver-
         20

passt?
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                         NACHDENKLICHES

                                                                        Ein Krankenhausseelsorger beschreibt
                                                                        in einem Buch* folgendes Erlebnis:

                                                                        „Ich sitze lange am Bett eines unheil-
                                                                        bar an Krebs erkrankten Mannes. Am
                                                                        Schluss fleht er mich an: ,Ich weiß, dass
                                                                        ich sterben werde, aber sagen Sie um
                                                                        Gottes Willen nichts meiner Frau. Sie
                                                                        würde das nicht ertragen.‘
                                                                        Ich verspreche es ihm. Dann gehe ich.

                                                                        Im Foyer treffe ich zufällig seine Frau.
                                                                        Wir kommen ins Gespräch. Es ist ein
                                                                        gutes Gespräch. Am Schluss fleht sie
                                                                        mich an: ,Ich weiß, dass er sterben wird,
                                                                        aber sagen Sie um Gottes Willen nichts
                                                                        meinem Mann. Er würde das nicht er-
                                                                        tragen.‘ “

                                                                        Wie entsetzlich!
                                                                        Wie viele gemeinsame Gefühle, Ängste
                                                                        und Hoffnungen haben die beiden
                                                                        einander verwehrt, wie viele Sorgen
                                                                        aber auch vorsichtige Visionen? Welche
                                                                        Chance haben sie einander versagt?

                                                                        Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …

                                                                        Irene Dittmann-Mékidèche
                                                                        Pfarrerin

                                                                        * Autor und Titel unbekannt

                                                                                                                                     in 1/2017 |
HRISSI
                                                                                                                                                             21

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                     Wenn ihr nicht
                     werdet wie die
                         Kinder …
         Lange kannte ich Chrissi. Als Zweit-             Abendgottesdienst. Ich erzähle eine
         klässler hatte er vom Tod einer Klassen-         Geschichte über die „Spuren“ Gottes
         kameradin erfahren. Tief saß dieses Er-          und habe Tonpapierfußabdrücke vor-
         schrecken in ihm. Immer wieder sagte             bereitet. Wir suchen Ideen. Welche Spu-

RIC      er: „Die kleine Steffi ist tot, ist im kalten,
         dunklen Grabloch!“ Chrissi selbst litt an
         einer Behinderung, die sein Leben sehr
         verkürzen würde. Deshalb war es mir
         zu seiner Konfirmandenzeit so wichtig,
         ihm andere Bilder und Vorstellungen
         vom Tod anzubieten. Wie habe ich mich
         abgestrampelt! Und wie brav hat er
         mitgespielt. Aber immer, wenn ich noch
         einmal nachfragte, wo denn Steffi wäre,
         kam sein Credo: „Im kalten, dunklen
         Grabloch.“ Chrissi ist mit 17 Jahren ge-
         storben.

         Im Trauergespräch erzählt mir dann ein
         Mitarbeiter, dass Chrissi ihm etwa drei
         Monate vor seinem Tod anvertraut hat:
         „Wenn ich einmal tot bin – dann werde
                                                          ren hinterlässt Gott in unserem Leben?
                                                          Die Kinder finden viele Ideen: Tiere,
                                                          Menschen, Ozeane, Sonnenuntergän-
                                                          ge (für Schöpfer), Freude, Verzeihen,
                                                          Seelenschutzengel, Liebe (für Geist),
                                                          Abendmahl, Glaube, keine Angst vor
                                                          dem Tod, Gottvertrauen (für Jesus). Ich
                                                          beschrifte die Fußabdrücke mit den
                                                          Kinderäußerungen und lege sie als
                                                          runde Spur in unseren Kreis.
                                                          Völlig unerwartet bittet Danny dar-
                                                          um, auf den Spuren Gottes gehen zu
                                                          dürfen. Er zieht die Schuhe aus und
                                                          geht vorsichtig seine Runde. Setzt sich
                                                          wieder und meint mit feierlich ergriffe-
                                                          nen Stimme: „Das ist eigentlich wie ein
                                                          Versprechen.“ „Hast du jetzt Gott etwas
                                                          versprochen oder Gott dir?“, frage
                                                                                                     tiert jede Fußspur: „Ich danke dir, dass
                                                                                                     ich ein fröhlicher Mensch bin“, „Ich dan-
                                                                                                     ke dir für die Musik“ ... Vor dem Fußab-
                                                                                                     druck „Keine Angst vor dem Tod“ bleibt
                                                                                                     er lange und nachdenklich stehen.
                                                                                                     Unentschlossen wiegt er sich mit sei-
                                                                                                     nem Rollstuhl vor und zurück. Er bleibt
                                                                                                     regelrecht hängen. Dann geht ein Ruck
                                                                                                     durch seinen Körper. Entschlossen und
                                                                                                     deutlich sagt er: „Ich habe keine Angst.“
                                                                                                     Er vollendet seine Runde, findet noch
                                                                                                     einige spontane Sätze zu anderen
                                                                                                     Begriffen, sitzt schließlich wieder auf
                                                                                                     seinem Platz.

         ich auf einer Wolke sitzen und Geige             ich. „Wir uns gegenseitig“, antwortet      Beim anschließenden Abendmahl legt
         spielen.“                                        er. Das leuchtet mir ein. Ich gehe in      er den Kopf auf die Knie. Er scheint sehr
                                                          Socken selbst noch einmal die Runde        weit weg zu sein. Ich überlege, ob es
         Die Geigenmusik bei seiner Trauerfeier           und sage bei jedem Fußtritt einen          ihm vielleicht schlecht geht und ich ihn
         war ergreifend.                                  kleinen Kommentar: „Ich danke dir für      ansprechen sollte. Nach dem Gottes-
                                                          die Menschen“, „Hilf mir, mit den Tieren   dienst tue ich das. „Ich habe gebetet“,
                                                          respektvoll umzugehen“, „Schenke mir       erklärt er mir. Dann zeigt er mir seinen
                                                          Gottvertrauen in traurigen Zeiten“.        Handrücken, das Handgelenk und die
                                                                                                     Unterarme. Er hat eine ausgeprägte
                                                          Eric (13 Jahre, progressive Muskeldys-     Gänsehaut. Alle Härchen stehen zu Ber-
                                                          trophie; er ahnt, dass sein Leben nicht    ge. Und er sagt: „Du, ich habe gespürt,
                                                          sehr lange dauern wird) hört aufmerk-      wie der Gott durch meine Haut in mich
                                                          sam zu. „Darf ich mit meinem Rolli auch    reingegangen ist.“ „Und überall kribbelt
                                                          noch mal die Runde machen?“ „Klar!“ Er     es?“, frage ich. „Ja“, sagt er und strahlt.
                                                          macht sich auf den Weg und kommen-

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          TOD – TRAUER – HOFFNUNG

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                                                                           Planungstreffen Schulanfang. Wir            die Augen wirklich geschlossen zu
                                                                           planen den gemeinsamen Themenvor-           halten – umgeben von so vielen frem-
                                                                           mittag mit Abschluss-Gottesdienst für       den Kindern. Aber, dass er bitte beim
                                                                           die Klassen 2 bis 4 der Karl-Preising-      Herausklettern aus dem Bollerwagen
                                                                           Schule und der Helser Grundschule           die Augen aufmachen sollte, damit er
                                                                           aus Bad Arolsen. Sie werden sich in         nicht stolperte.
                                                                           gemischten Kleingruppen treffen und
                                                                           die Arbeitsergebnisse in einem ge-          Es ist so weit: Circa 100 Kinder sitzen
                                                                           meinsamen Gottesdienst vorstellen. Sie      im Saal. Die Seitentür geht auf. Der
                                                                           werden malen, basteln, singen zu „Mut-      Leichenzug, vom „Pfarrer“ angeführt,
                                                                           ter Erde“, „Bruder Feuer“ und „Schwester    kommt herein. 15 schwarz gekleidete
                                                                           Quelle“.                                    Kinder folgen. Brad liegt bewegungslos
                                                                                                                       und entspannt im Bollerwagen. Auch
                                                                           Spontan ergänzt die Lehrerin Frau Op-       als die „Hinterbliebenen“ schluchzen,
                                                                           per: „Und Bruder Tod“. Viele der am Pla-    getröstet werden, sich verabschieden
                                                                           nungstreffen Beteiligen sind entsetzt:      – Brad zuckt nicht mit einer Wimper.
                                                                           Mit diesem Thema kann man Kinder            Dann geht der „Pfarrer“. Eine gefühlte
                                                                           nicht belasten!                             Ewigkeit lang sitzen 100 Kinder schwei-
                                           Grabstätte von den Haustieren                                               gend um den Bollerwagen herum, in
                                           Hund und Wellensittich,         Frau Opper und ich wagen es. Wir            dem Brad einsam als „Leiche“ liegt, mit
                                           Gemälde eines Grundschülers
                                                                           bieten in unserer Gruppe ein Rollen-        geschlossenen Augen. Dann kommt –
                                                                           spiel an: „Beerdigung“. Die Kinder sind     in weißem Gewand mit Flügeln – ein
                                                                           begeistert. Requisiten werden verteilt.     Engel herein, ein zartgliedriges Mäd-
                                                                           Brad will unbedingt die Leiche sein,        chen aus der Helser Grundschule. Es
                                                                           mit geschlossenen Augen vom Pfarrer         reicht Brad die Hand, berührt ihn leise.
                                                                           feierlich in einem kleinen mit Kissen       Mit geschlossenen Augen erhebt sich
                                                                           ausgestatteten Bollerwagen in den Saal      unsere „Leiche“. Mit geschlossenen
                                                                           gezogen werden. Schwarz gekleidete          Augen legt Brad seine Hand in die
                                                                           Trauernde würden sich anschließen.          unbekannte Hand, klettert mit traum-
                                                                           Wir hatten Brad den Hergang des Rol-        wandlerischer Sicherheit aus seinem
                                                                           lenspiels erklärt: „Falls du es schaffst,   Bollerwagen und folgt dem Engel, ohne
                                                                           lass deine Augen geschlossen. Beweg         die Augen zu öffnen. Beide verlassen
                                                                           dich nicht. Lieg einfach entspannt in       den Saal und gehen in einen anderen
                                                                           dem Wagen. Der Pfarrer zieht dich in        Raum …!
                                                                           den Saal. Nach der Zeremonie wirst du
                                                                           ganz allein in deinem Wagen liegen.         Irene Dittmann-Mékidèche
                                                                                                                       Pfarrerin
                                                                           Mit geschlossenen Augen. Aber fürchte
                                                                           dich nicht: Ein Engel wird kommen. Der
                                                                           berührt dich zärtlich. Er wird dir aus
                                                                           dem Bollerwagen helfen und mit dir in
                                                                           einen anderen Raum gehen. Ich hatte
                                                                           Brad erklärt, wie schwer es sein würde,

                                                                                                                                        in 1/2017 |
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         Gedenkveranstaltung zur Progromnacht
         Schüler der Mittelstufe und Hauptstufe   Am Ende ihres Vortrages formulierten            Schulleiter Eberhard Eckhard erinnerte
         der Karl-Preising-Schule gestalteten     die jungen Menschen ihre persönlichen           an die Verantwortung der Schule, in-
         das Rahmenprogramm der Gedenkfeier       Gedanken und Schlussfolgerungen so:             dem er Theodor W. Adorno zitierte:
         anlässlich des Jahrestages der Progrom-  „Heute aber gibt es immer noch Men-             „Die Forderung, dass Ausschwitz nicht
         nacht vom November 1938 auf dem          schen, die ähnlich denken, wie am 9.            noch einmal sei, ist die allererste an
         jüdischen Friedhof in Bad Arolsen.       November 1938. Sie rufen ,Wir sind              Erziehung.“ Diese Forderung an Er-
                                                  das Volk‘ und wollen bestimmen, wer             ziehung und Bildung macht sich die
         Mit einer jahrgangsübergreifenden        dazu gehört und wer nicht! Sie hassen           Karl-Preising-Schule auch weiterhin
         Arbeitsgemeinschaft „Geschichtswerk-     und grenzen Menschen aus, weil sie              zu eigen. Dazu gehören natürlich ein
         statt“ hatten sich Schülerinnen und      einen anderen Glauben haben, anders             lebendiger Geschichtsunterricht, wie
         Schüler der Hauptstufe gemeinsam mit aussehen, eine andere Meinung ha-                   auch fächerübergreifende Menschen-
         ihrem Lehrer Jürgen Wießner auf die      ben. Sie sagen: ,Die anderen, die nicht         rechtsbildung und die lebensweltbe-
         Veranstaltung vorbereitet. Sie setzten   zu uns gehören, oder die Flüchtlinge            zogene Vermittlung von Werten im
         sich mit dem Leiden der Arolser Juden    sind schuld.‘ Einige von ihnen zünden           Ethik- und Religionsunterricht. Ent-
         zur Zeit des Nationalsozialismus ausein- Flüchtlingsheime an, demütigen und              scheidend ist jedoch, dass Toleranz,
         ander und nahmen darüber hinaus an       üben Gewalt aus. Wenn wir das dulden,           Mitmenschlichkeit und gegenseitige
         einem Projekttag in der Gedenkstätte     dann könnte eines Tages der Hass wie-           Achtung auch weiterhin im Schulalltag
         des ehemaligen KZ Buchenwald teil. Für der siegen!“                                      gelebt werden.
         ihren Vortrag wählten sie Zitate aus Do-
         kumenten und Berichten Überlebender, Der Chor der Mittel- und Hauptstufe                 Jürgen Wießner
                                                                                                  Sozialpädagoge , Karl-Preising-Schule
         die vor allem die Leidensgeschichte der gestaltete den musikalischen Rahmen
         Arolser Familie Katz dokumentieren.      der Gedenkfeier. Mit ihrem Musiklehrer
                                                  Stefan Helg präsentierten sie unter
                                                  dem Motto „Jüdischer Widerstand“ drei
                                                  Lieder in jiddischer Sprache.

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