UNTER DRUCK Zivilgesellschaft - am Beispiel von - Schule ohne Rassismus

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UNTER DRUCK Zivilgesellschaft - am Beispiel von - Schule ohne Rassismus
Zivilgesellschaft
UNTER
DRUCK  am Beispiel von
   Schule ohne Rassismus –
      Schule mit Courage

  Netzwerkarbeit zwischen
   (konstruktiver) Kritik
   und offenen Angriffen

           Prof. Dr. Dierk Borstel
  unter Mitarbeit von Jennifer Brückmann
        Fachhochschule Dortmund
UNTER DRUCK Zivilgesellschaft - am Beispiel von - Schule ohne Rassismus
Impressum
    © 2021 Aktion Courage e. V.

    Herausgeberin:
    Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage
    Bundeskoordination

    Bildnachweise:
    Seite 15: picture alliance / Reinhold Tscherwitschke / CHROMORANGE
    Seite 21: picture alliance / dpa / Google Handout
    Seite 30: picture alliance / imageBROKER Hartmut Schmidt

    Gestaltung:
    werbeproduktion bucher

    Druck:
    Druckerei Mainz

    Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage ist Mitglied im

    Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des
    BMFSFJ oder des BAFzA dar. Für inhaltliche Aussagen
    tragen die Autor*innen die Verantwortung.

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UNTER DRUCK Zivilgesellschaft - am Beispiel von - Schule ohne Rassismus
Zivilgesellschaft
UNTER
DRUCK

  Netzwerkarbeit zwischen
   (konstruktiver) Kritik
   und offenen Angriffen

         Prof. Dr. Dierk Borstel
unter Mitarbeit von Jennifer Brückmann
      Fachhochschule Dortmund

                                         3
Inhaltsverzeichnis

1   Zur Bedeutung der Zivilgesellschaft und
    Typologien von Kritik und Angriffen................... Seite 6

2   Druckfelder
    von rechts .............................................................. Seite 13

3   Druckfelder
    von links.................................................................Seite 24

4   Druckfeld:
    wissenschaftliche Kritik ...................................... Seite 26

5   Druckfeld:
    sonstige Angriffe ................................................. Seite 29

6   Zusammenfassung ...............................................Seite 31

7   Konstruktiver Umgang
    mit den Angriffen ................................................ Seite 32

    Ausblick und Danksagung................................. Seite 35

    Literaturverzeichnis.............................................. Seite 36

    Quellenverzeichnis............................................... Seite 38

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Einleitung

Seit einem Vierteljahrhundert gibt es die Initiative   In Deutschland ist die Lage (noch) eine andere. Das
Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage des         Ehrenamt ist weiterhin hochgeschätzt. Bundes- und
Vereins Aktion Courage mit Sitz in Berlin. Mehr als    Landesprogramme versprechen die Förderung zivil-
3.500 Schulen im gesamten Bundesgebiet tragen          gesellschaftlichen Engagements – allerdings nach
am Eingang das Schild der Initiative, verpflichten     zum Teil engen staatlichen Kriterien, die eigentlich
sich zu mindestens einer passenden Aktion im Jahr      der Idee einer freien, nicht-staatlichen Zivilgesell-
und sorgen so dafür, dass die Auseinandersetzung       schaft entgegenzustehen scheinen (vgl. Borstel/
mit Fragen von Rassismus, Ausgrenzung und Viel-        Greschner 2020).
falt in den Schulen zur Regel und Selbstverständ-
lichkeit wird.                                         Trotzdem verändern sich auch hier Diskurswelten
                                                       und zivilgesellschaftliche Träger geraten in teils öf-
Das Schulnetz wird ergänzt um 16 Landeskoordina-       fentliche, teils verdeckte Druckfelder, werden teil-
tionen, 104 Regionalkoordinationen, eine Bun-          weise demokratiekonform kritisiert, in Teilen aber
deskoordination und einer dreistelligen Zahl von       auch schlicht verächtlich gemacht und es wird die
Netzwerkpartner*innen aus Politik, Verwaltung,         Einstellung ihres Engagements gefordert. Sie gerät
Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Aus    somit auch hier unter Druck und muss sich dieser
gutem Grund bezeichnet eine Jubiläumsbroschüre         Herausforderung mit großem Zeitaufwand stellen –
des Trägervereins seine Geschichte als „Beitrag        neben ihren eigentlichen Zielen und Aufgaben.
von Schüler*innen zur Demokratieentwicklung in
Deutschland“ und dokumentiert vielfältige Glück-       Diese Broschüre will diese Druckfelder am Beispiel
wünsche ans Netzwerk.                                  des Leitprojektes Schule ohne Rassismus – Schule
                                                       mit Courage von Aktion Courage näher beschreiben
Bekanntlich sorgt viel Ehr auch für viel Neid. Um      und analysieren. Dazu wird mit Beispielen gearbei-
den soll es in dieser Studie jedoch nur am Rande       tet, es werden ausgewählte Akteure und Strategien
gehen.                                                 genannt und diese Druckfelder anhand von Katego-
                                                       rien sortiert. Dies dient einerseits dazu, das grund-
Besorgniserregender sind offene und verdeckte          legende Problemfeld mit empirischen Hinweisen
Formen von Angriffen und Kritiken auf dieses           auszuleuchten. Es soll andererseits auch zielgenaue
Netzwerk und auf Aktion Courage als Trägerver-         Antworten der Zivilgesellschaft ermöglichen. Über
ein. Der Blick über den nationalen Tellerrand verrät   allen schwebt der Fragekanon: Wie gestaltet sich
mahnend: Wie selten zuvor steht die demokratische      das Druckfeld? Was davon ist demokratiekompa-
Zivilgesellschaft auch in (bisherigen) Rechtsstaaten   tibel und was nicht? Wie kann den Druckfeldern
unter Druck (vgl. z. B. 2018, Gessen 2020). Selbst     konstruktiv begegnet werden?
Regierungschefs innerhalb der Europäischen Union
scheuen sich nicht mehr vor der populistischen         Entsprechend ist der Beitrag gegliedert. Er beginnt
Verächtlichmachung demokratischen Engagements          mit einer theoretischen Grundlegung, analysiert
und Parlamente beschließen kriminalisierende           dann ausgesuchte Druckfelder und endet mit der
Gesetze gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteuren     Suche nach konstruktiven Antworten.
(vgl. u. a. Vetter 2017).

                                                                                                                5
1                   Zur Bedeutung der
                       Zivilgesellschaft und
                       Typologien von Kritik
                                                                                 Alternativen zum staatlichen Handeln und erfüllen
                                                                                 auch oft eine Laborfunktion für Zukunftsthemen.
                                                                               > Sie sind ein Lernort für demokratisches Handeln
                                                                                 und Leben.
                       und Angriffen
                                                                               Während eine autoritäre Herrschaft wahlweise auf
                       Dieses Kapitel dient einer Grundlegung der eigenen      der Idee unterwürfiger Untertanen oder abgelenk-
                       Untersuchung. Vier Aspekte stehen in den folgen-        ter Konsument*innen fußt, die mit dem Marktange-
                       den Abschnitten im Mittelpunkt:                         bot zufriedengestellt sich politischer Einmischung
                                                                               entziehen, entwirft die Zivilgesellschaft ein Bild
                       > die Bedeutung der Zivilgesellschaft für das 		        „mündiger“ oder „kompetenter“ Bürger*innen, die
                         demokratische System und die Begründung der           sich selbstbewusst und politisch einbringen und
                         Angriffe auf sie                                      bereit sind, staatliches Handeln und damit auch
                       > eine Typologisierung der Grundbegriffe Kritik und     Herrschaft zu hinterfragen (vgl. Münkler 1997, Lim-
                         Angriff, deren Gemeinsamkeiten und Differenzen        bach 2003: 23ff).
                       > einige Besonderheiten des untersuchten
                         Netzwerkes                                            Für autoritäre Herrscher kommt dieses Bild des
                       > das methodische Vorgehen                              Bürgertums einer offenen Bedrohung gleich. Auch
                                                                               zeigt die Geschichte der Idee der Zivilgesellschaft
                       1.1. Zivilgesellschaft, Demokratie                      beispielsweise in der osteuropäischen Dissi-
                       und autoritäre Herrschaft                               dent*innenszene die Langatmigkeit eines solchen
                                                                               Handelns als quasi ewiger Stachel im Wissen und
   Die Zivilgesell-    Ein stabiles demokratisches Staatssystem be-            Gewissen autoritärer Herrschaft. Es überrascht
  schaft entwirft      steht aus drei Systemelementen, die sich einander       daher nicht, dass sich das Interesse entsprechender
   ein Bild „mün-      unterstützen und ergänzen. Natürlich braucht es         Herrschaftssysteme meist schon zu ihrem Beginn
       diger“ oder     ein demokratisches und rechtstaatlich fundiertes        neben der Gleichschaltung der Presse auf eine
   „kompetenter“       Grundsystem zum Beispiel durch die Existenz von         möglichst breit gefächerte Ausschaltung der kriti-
    Bürger*innen,      Parlamenten, klaren Wahlverfahren und durch die         schen, das heißt zumeist auf staatliches Handeln
    die sich selbst-   Teilung der Gewalten. Stabilität erlangt es jedoch      bezogenen, zivilgesellschaftlichen Organisationen
bewusst einbrin-       nur, wenn es auch mit „Leben“ im System gefüllt         und Netzwerke richtet (vgl. das Beispiel Ungarn:
    gen und bereit     wird. Dazu braucht es Bürger*innen, die demokrati-      Müller 2013).
 sind, staatliches     sche Werte teilen und im Alltag zu leben verstehen.
     Handeln und       Es braucht aber auch demokratisches Engagement          NEGATIVES FRAMING
     Herrschaft zu     in verschiedenen, demokratischen Organisationen
     hinterfragen.     (vgl. Himmelmann 2002).                                 Ein typisches Mittel der Wahl ist dabei – neben den
                                                                               offenen Verboten – ein negatives Framing. Damit
                       Unter dem Begriff der Zivilgesellschaft wird vor        ist eine Diskursstrategie gemeint, die an dieser
                       allem solches Engagement in nichtstaatlichen Or-        Stelle einen bestimmten Akteur durch wiederholte,
                       ganisationen und Netzwerken verstanden. Typische        öffentliche Kontextualisierung mit bestimmten Ei-
                       Formen sind zum Beispiel eingetragene Vereine,          genschaften kennzeichnet und damit seinen öffent-
                       Bürgerinitiativen, gemeinnützige Stiftungen und         lichen „Ruf“ bestimmt (vgl. Oswald 2019). Framing
                       Gesellschaften sowie soziale Bewegungen (vgl.           kann dabei positive wie negative Zuschreibungen
                       Schmidt 2007). Sie übernehmen im demokrati-             enthalten, sich mehr oder weniger an Fakten orien-
                       schen System eine Vielzahl von Aufgaben. Zu ihnen       tieren oder auf Lügen beruhen. Ihr Adressat ist
                       gehören:                                                die öffentliche Meinung. Negative Zuschreibungen
                                                                               beispielsweise als vermeintliche „kriminelle Vereini-
                       > Sie dienen der sozialen und kulturellen Integration   gung“, „extremistisch“ oder „gewaltorientiert“ die-
                         der Gesellschaft.                                     nen dazu, dem betroffenen Akteur die öffentliche
                       > Sie übernehmen Aufgaben für die Gesellschaft, die     Unterstützung und damit den gesellschaftlichen
                         der Staat nicht leisten kann oder will.               Rückhalt für sein Handeln zu entziehen. Sie gehen
                       > Sie kritisieren staatliches Handeln, entwickeln       in autoritären Systemen oft der Kriminalisierung

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und später folgenden Verboten voraus – schaffen         – für regionale Räume vor (vgl. Theune/Borstel
de facto den nötigen, gesellschaftlichen Rückhalt       2008, Borstel 2011, Schellenberg 2013, Quent/
und damit die Voraussetzungen für entsprechende         Schulz 2015). Aktuellere, theoriegeleitete Hinweise
Handlungen. Solche Angriffe auf Träger der demo-        zum Phänomen liefern Heitmeyer/Freiheit (2020)
kratischen Zivilgesellschaft starten dabei nicht erst   und begründen diese vor allem mit Statistiken zu
mit der Machtübernahme entsprechender Systeme.          Straftaten, können so jedoch nur das Hell- und
Das „Abarbeiten am Feind“ ist vielmehr ein We-          nicht das Dunkelfeld lokaler und regionaler Interak-
sensmerkmal unterschiedlicher Ausformungen von          tionen abdecken. Abnehmende Spielräume für zi-
Radikalisierungen unterschiedlichen Inhalts.            vilgesellschaftliches Handeln würden dabei zu einer
                                                        deutlichen Abnahme der demokratiefördernden
SHRINKING SPACES                                        Wirkungen der Zivilgesellschaft beitragen (vgl. Graf
                                                        Strachwitz 2014) und auch das konkrete Handeln
In der Forschung zum deutschen Rechtsextremis-          in örtlichen Netzwerken erheblich erschweren (vgl.
mus und -populismus wird zunehmend mit dem Be-          Heitmeyer 2013). Diese Studie versucht somit auch
griff der „shrinking spaces“ operiert (beispielhaft:    für diesen Theoriediskurs erste empirische Fundie-
Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit 1/2019).         rungen zu liefern.
Dieser stammt ursprünglich aus der Entwick-
lungshilfe und beschreibt Prozesse abnehmender          1.2. Typologien von Kritik und Angriffen
Handlungsfähigkeit und die Begrenzung von Hand-
lungsräumen für zivilgesellschaftliches Handeln         In dieser Studie soll von Kritik, Framing und Angrif-
beispielsweise durch Kriege oder auch staatliche        fen gesprochen werden. Was ist damit aber konkret
Wandlungen in Richtung autoritärer Herrschaften         gemeint? Wie lassen sie sich typologisieren und
oder Diktaturen. Grundlegende empirische Unter-         welche Kategorien zur Einordnung gibt es?
suchungen zu dieser Entwicklung stehen aber noch
aus.                                                    Es lassen sich zwei äußere Enden in der theoreti-
                                                        schen Einordnung markieren. Die Spannweite reicht
Fallgeschichten liegen unter anderem von ehren-         von Kritik über Negativ-Framing bis zu strafrecht-
amtlichen Bürgermeister*innen (vgl. Nierth/Streich      lich relevanten Handlungen.
2016, Neubauer 2019) sowie – jedoch älterer Natur

                                             STRAFRECHT

                                      NEGATIVES FRAMING

                                                  KRITIK

                                                                                                                7
Wer sich an öffentlichen Diskursen beteiligt, öffent-   umfassen aber auch Erscheinungen, die sich vor-
    lich auftritt und öffentlich finanziert wird, darf im   rangig gegen Personen richten, wie zum Beispiel
    Rahmen eines demokratischen Diskurses pointiert         Beleidigungen (§ 185 StGb), Formen übler Nachrede
    kritisiert werden. Dazu gehört auch grundsätzliche      (§ 186StGb) oder verschiedene Abstufungen von
    Kritik beispielsweise an dem methodischen Ansatz,       Bedrohungen (§ 241 StGb). Zumeist bezieht sich das
    den verwendeten, theoretischen Konzepten oder           Strafgesetzbuch auf einzelne Menschen und ist nur
    den realen Ausführungen in der Praxis. Solche Kriti-    in Teilen auf Organisationen als Ganzes anwendbar.
    ken dürfen grundsätzlicher Natur sein. Die grund-
    gesetzlich verankerte Meinungsfreiheit gilt auch für    Zwischen den beiden Polen wird es in dieser Studie
    Kritik an zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie   insbesondere um Angriffe auf das Netzwerk und
    deckt auch satirische und humorvolle Formen der         Netzwerkpartner*innen gehen, die (noch) nicht
    Konfrontation, darf robust, pointiert und ironisch      strafrechtlich relevant sind, aber auch nicht auf
    sein. Dies ist der eine Pol des hier verwendeten        einen demokratischen Diskurs zielen, sondern vor
    Spektrums.                                              allem der strategischen Verächtlichmachung von
                                                            Träger, Organisation, Netzwerk und Idee dienen
    In diesem konkreten Fall, mit Blick auf Schule          und das Ziel verfolgen, mit bestimmten Kontextua-
    ohne Rassismus – Schule mit Courage, ist jedoch zu      lisierungen die Arbeit des Netzwerkes mindestens
    bedenken, dass sich das Netzwerk nicht primär           zu erschweren und am besten zu verunmöglichen.
    als politischer Akteur begreift, der von sich aus       Dazu gehört auch die schlichte Beschäftigung
    aktiv politische Stellungnahmen oder tagesaktu-         entsprechender Akteure und dadurch bedingte
    elle politische Forderungen vornähme. Anders als        Bindung von Ressourcen und Kapazitäten in der
    zivilgesellschaftliche Akteure wie zum Beispiel die     Dauerabwehr diskursiver Angriffe.
    Amadeu Antonio Stiftung, die diesbezüglich deut-
    lich offensiver agieren. Eine solche Selbstpositio-     Das übliche Mittel der Wahl ist dabei ein Framing in
    nierung schützt nicht vor Kritik, macht aber einen      Bezug auf den Träger und das Netzwerk, was dazu
    Unterschied im Detail, da sich das Netzwerk nur in      dient, geschäftsschädigende Gerüchte zu streuen
    Ausnahmefällen zu tagespolitischen Fragen äußert        und Geldgeber*innen und Partner*innen zu ver-
    und diesbezüglich auch nicht Teil des allgemeinen       unsichern. Ein beliebtes Mittel ist die Umkehrung
    Diskurses zu entsprechenden Fragen ist.                 von Zuweisungen zum Beispiel als „ausgrenzend“,
                                                            „gewalttätig“ oder „extremistisch“.
    Der entgegengesetzte Pol zur Kritik setzt sich aus
    strafrechtlich relevanten Positionen und Handlun-       In dieser Studie werden diese drei Grundtypen ver-
    gen zusammen. Sie können sich gegen materielle          wendet:
    Dinge richten (Sachbeschädigungen / § 303StGb),

           KRITIK                                 FRAMING                             STRAFRECHT

           Ziel:                                  Ziel:                               Ziel:
           Diskurs                                Verächtlichmachung                  Unterdrückung

           Mittel:                                Negative                            Strafrechtlich
           Diskussion                             Kontextualisierung                  relevante Tätigkeiten

8
Einige Beispiele sollen diese Differenzierung ver-      Diese Studie will dabei helfen, solche Auseinander-
deutlichen:                                             setzungen zu sortieren, weil Kritik und Angriffe
                                                        völlig unterschiedliche Antworten verdienen. Kritik
Beispielaussage 1: „Das Netzwerk arbeitet mit           kann sachlich angenommen oder auch zurück-
einem veralteten Bild vom Rassismus, weil es            gewiesen werden. Sie öffnet im besten Fall einen
aktuelle Forschungen und Weiterentwicklungen zu         fachlichen Diskurs. Bei Angriffen ist das anders: Sie
wenig berücksichtigt.“                                  dienen alleine der Blockade und Zerstörung des
                                                        Engagements und nicht der Qualitätsentwicklung.
Eine solche Aussage wäre eine fachliche Kritik, die     Kritik und Angriffe verfolgen somit völlig unter-
richtig oder falsch sein, bestätigt oder zurückge-      schiedliche Ziele.
wiesen werden. Sie ist auf jeden Fall zulässig.
                                                        Für alle drei Kategorien gilt in der Praxis, dass nicht   Angriffe die-
Beispielaussage 2: „Das Netzwerk unterstützt            immer ganz klar herauskristallisiert werden kann,         nen alleine der
offensiv gewalttätige Organisationen und verleitet      ob sich die Kritik, das Framing oder auch Straftaten      Blockade und
junge Menschen dazu, sich dschihadistischen Grup-       gegen das Netzwerk oder einzelne Akteure inner-           Zerstörung des
pierungen anzuschließen.“                               halb des Netzwerkes richten. Wichtig ist zudem,           Engagements
                                                        dass bei der Größe des Netzwerkes unterschiedli-          und nicht der
Eine solche haltlose Aussage würde dem negativen        che Sichtweisen innerhalb des Netzwerkes wahr-            Qualitätsent-
Framing dienen. Das Netzwerk soll ohne Belege           scheinlich sind. Was dem einen bereits Alltag ist, an     wicklung. Kritik
und Anhaltspunkte als „gewalttätig“ und „extre-         dem er oder sie sich gewöhnt hat, kann von jemand         und Angriffe
mistisch“ gekennzeichnet werden.                        anderem völlig anders bewertet werden. Wahr-              verfolgen somit
                                                        scheinlich sind auch unterschiedliche Sichtweisen         völlig unter-
Beispielaussage 3: „Die Mitarbeiter des Netzwer-        je nach Organisationseinheit: Die Bundeskoordina-         schiedliche
kes gehören standesrechtlich erschossen.“               tion beschäftigt sich möglicherweise mit überge-          Ziele.
                                                        ordneten Themen mehr als regionale Einheiten, die
Das wäre ein Beispiel für eine strafrechtlich rele-     den jeweils konkreten Kontext betrachten müssen.
vante Aussage.
                                                        Als Richtlinie wurde deshalb bestimmt, dass ein
Wichtig und bedeutend für diese Studie ist, dass        Bezug zum Netzwerk immer gegeben sein muss. So
an keiner Stelle von einer Gleichsetzung der drei       ist ein angezündeter Mülleimer auf dem Schulhof
Bereiche gesprochen werden kann – im Gegen-             einer Courage-Schule in der Regel kein Angriff auf
teil. Sie dient der Differenzierung unterschiedlicher   das Netzwerk. Wird hingegen die Fahne mit dem
Auseinandersetzungen und schafft somit einerseits       Logo des Netzwerkes verbrannt, ist selten von
Übersicht und andererseits erleichtert sie (hoffent-    einem Zufall auszugehen. Trotzdem muss in jedem
lich) das konkrete Handeln.                             Einzelfall der individuelle Kontext betrachtet und
                                                        bewertet werden. Ist dies nicht möglich, wird es in
Inhaltliche Kritik am Netzwerk, Ansatz oder der         der Studie gekennzeichnet.
konkreten Praxis eines solchen Netzwerkes kann
für die beteiligten Personen durchaus unangenehm        POLITISCH VERSUS RELIGIÖS
und auch schmerzhaft sein. Sie kann sich auch
„wie ein Angriff anfühlen“, ohne einer zu sein. In      Neben Kritik, Framing und strafrechtlich relevante
solchen, zivilgesellschaftlichen Netzwerken inves-      Tat/Äußerung gehört auch die Unterscheidung,
tieren tausende Menschen viel Energie, Arbeit und       ob die Handlungen politisch und/oder religiös
Freizeit und identifizieren sich oft mit diesem Tun.    motiviert sind, zur nötigen Differenzierung. Vor
Nicht immer gelingt es dann, zwischen einem „An-        allem bei den Angriffen auf das Netzwerk werden
griff“ und einer „Kritik“ sachlich und ohne Emotio-     Begriffe wie Rechtsextremismus, Rechtspopulis-
nen zu unterscheiden – vor allem dann nicht, wenn       mus oder auch Druckfelder von links verwendet.
die Kritik „scharf“ und/oder polemisch zuspitzend       Da die Auseinandersetzungen um diese Begriffe an
formuliert ist.                                         anderer Stelle ausführlich erfolgt, sollen hier nur
                                                        die eigenen Bezüge kurz skizziert werden:
                                                        Die Extremismustheorie von Backes/Jesse (Backes/

                                                                                                                               9
Jesse 1993) findet in dieser Studie keine Anwen-        überzeugte Rechtsextremist*innen. Derweil wird
                   dung und wird an anderer Stelle ausführlich und         auch dieses Verständnis von „Populismus“ kriti-
                   konstruktiv in Frage gestellt (vgl. Neugebauer          siert. Es sei verharmlosend, meint unter anderem
                   2000 und in Bezug auf den Autor dieser Studie in:       Wilhelm Heitmeyer. Es unterschätze den Willen
                   Borstel 2011: 34ff). Sie zielt in ihrem Kern auf die    dieser Parteien zur Zerstörung demokratischer Kul-
                   Gefährdung staatlicher Strukturen und Handlungs-        turen und Strukturen, gerade durch die Teilnahme,
                   fähigkeiten durch „Extremist*innen“ am linken und       Besetzung von Positionen und damit vom Inneren
                   rechten politischen „Rand“ und ist neben vielen         des Systems aus und nicht von außen gegen das
                   anderen Kritikpunkten für eine Studie mit zivilge-      System. Er bezeichnet diese Strömungen deshalb
                   sellschaftlichem Schwerpunkt wenig geeignet.            als autoritären Nationalradikalismus (Heitmeyer
                                                                           2018: 231ff) und die Studie wird zeigen, dass dieser
                   Stattdessen wird sich beim Rechtsextremismus-           Aspekt überlegenswert ist.
                   begriff auf das grundlegende Verständnis von Heit-
                   meyer bezogen (vgl. Heitmeyer 1992: 13f). Seine         Andere Begriffe werden in dieser Studie erheblich
                   Theorie hat ihren Ursprung in sozialarbeiterischen      weniger Gewicht haben und sollen deshalb nur kurz
                   und pädagogischen Debatten und blickt vor allem         mit Hinweisen auf die dazu grundlegende Literatur
                   auf die Ideologie- und Handlungsebene der Rechts-       erwähnt werden. Theoretische Konzeptionierungen
                   extremist*innen. Zwei zentrale Aspekte müssen           zum Islamismus liefern unter anderem Neumann
                   für ihn dabei vorhanden sein, um den Begriff zu         (2017), zum Dschihadismus Priester (2017) und zur
                   verwenden: die Ideologie der Ungleichwertigkeit         linken Radikalisierung und Militanz unter anderem
                   sowie eine Akzeptanz von Gewalt zur Durchsetzung        Jaschke (2001 a und b). Zu antipluralistischen Strö-
                   politischer Ziele.                                      mungen mit christlichen Bezügen in Deutschland
                                                                           gibt es erstaunlich wenig Forschungen. Einblicke
Der Titel Schule   Umstritten ist auch der Begriff des Rechtspopulis-      mit journalistischem Blick bietet immerhin ein Band
   ohne Rassis-    mus. Er basierte auf der Analyse einer seit den         von Bednarz (2018).
   mus – Schule    achtziger Jahren neu entwickelten, europäischen
    mit Courage    Parteifamilie mit Schwerpunkten in Frankreich (Frü-     1.3. Aktion Courage und das Netzwerk
 bedeutet nicht,   her Front National), Österreich (Freiheitliche Partei   Schule ohne Rassismus – Schule mit
  dass es keinen   Österreich) aber auch Ablegern in den skandina-         Courage
  Rassismus an     vischen Staaten und derweil in fast allen europäi-
der Schule gebe.   schen Ländern. Erste Analysen sahen in ihnen zu-        Aktion Courage ist der Trägerverein der Bundes-
                   nächst „nur“ rechtsextreme Parteien, die moderner       koordination und damit des Netzwerkes Schule
                   und volkstümlicher zu kommunizieren gelernt hät-        ohne Rassismus – Schule mit Courage (SOR-SMC).
                   ten. Andere Autor*innen, in Deutschland vor allem       An dieser Stelle sollen einige seiner Grundsätze
                   Frank Decker, dessen Begriffsverständnis in dieser      aufgeführt werden, die unmittelbare Bezüge zum
                   Studie verwendet werden soll (Decker 2004),             Untersuchungszweck aufweisen.
                   widersprachen und sahen keine alte Bewegung im
                   neuen Gewand, sondern eine neue Bewegung mit            > Die Schulen bewerben sich freiwillig um
                   zum Teil rechtsextremen Ideologiemomenten, aber           die Teilnahme und brauchen dafür per
                   auch mit neuen Themen, Diskursstrategien und              Abstimmung die Unterstützung von 70
                   Selbstverständnissen. Ein wesentlicher Unterschied        Prozent aller Statusgruppen der Schule. Eine
                   zum Rechtsextremismus sieht Decker darin, dass            Zwangsverpflichtung gibt es nicht.
                   diese Parteien sich selbst nicht als „Antidemokra-      > Der Titel bedeutet nicht, dass es keinen
                   ten“ bezeichnen, sondern als „wahre Demokraten“.          Rassismus an der Schule gebe und dies
                   Sie bekämpfen auch nicht offen demokratische und          womöglich noch geprüft worden sei. Er
                   rechtsstaatliche Grundlagen, sondern sehen sich           signalisiert den Anspruch der Schule, sich
                   als deren Verteidiger gegen „abgehobene Eliten“           der Thematik regelmäßig zu stellen und
                   und andere vermeintliche Feinde des Volkes, in            entsprechende Angebote zu unterbreiten.
                   dessen Namen sie zu agieren meinen. In mehreren         > Das Netzwerk ist explizit überparteilich und
                   Ländern boten Parteien dieser Richtung auch Koali-        nicht an eine bestimmte Konfession, Partei,
                   tionen zur Regierungsbildung an – ein „No Go“ für         Gewerkschaft oder ein Unternehmen gebunden.

10
Es versteht sich auch nicht als politisch „rechts“    Dies waren in der Vergangenheit einerseits christ-
  oder „links“ stehend, sondern ist offen für           lich-fundamentalistische Gruppierungen und
  alle Menschen und Partner*innen, die die              andererseits Organisationen des islamistischen
  Grundwerte des Netzwerkes teilen.                     Spektrums.
> Normativer Ausgangspunkt jedes Handelns ist
  die Vorstellung der prinzipiellen Gleichwertigkeit    In beiden Strömungen dient Religion zur Legiti-
  der Menschen im Sinne des Artikels 1 des              mation politisch-autoritärer Forderungen, die auf
  Grundgesetzes sowie der unveräußerlichen              eine Deliberalisierung der Gesellschaft und Ein-
  Menschenrechte. Damit verbunden ist eine              schränkung grundgesetzlich garantierter Freiheiten
  Kritik an allen Ideologien der Ungleichwertigkeit,    zielen. Beide forderten zunächst eine Rücknahme
  zu denen neben dem im Namen erwähnten                 beziehungsweise Korrektur der jeweils von ihnen
  Rassismus unter anderem Antisemitismus,               kritisierten Publikation. Da keine weitreichenden
  Homosexuellenfeindlichkeit, Antiziganismus und        Korrekturen vorgenommen wurden und die Publi-
  Sexismus gehören.                                     kationen im Umlauf blieben, wurden anschließend
> Offensiv vertritt das Netzwerk Menschenrechte         Partner*innen und Unterstützernetzwerke mobili-
  wie die Religionsfreiheit. Es betrachtet              siert, um Druck vor allem auf die Bundeskoordina-
  Religionen mit grundsätzlichem Respekt                tion aufzubauen. Dies geschah in Form von Briefen,
  und Neugierde und sortiert sie nicht nach             Anrufen bei Geldgebern und offenen (aber nicht
  „zugehörig“ oder gar „nicht zugehörig“.               zu beweisenden) Drohungen gegenüber einzelnen
                                                        Personen des Netzwerkes.
Das Netzwerk dürfte zu den größten zivilgesell-
schaftlichen Netzwerken im Feld der Demokratie-         Solche Strömungen reagieren vor allem anlassbe-
entwicklung zählen und genießt entsprechende            zogen auf das Netzwerk, arbeiten sich aber nicht
Aufmerksamkeit.                                         dauerhaft am Netzwerk ab. Das unterscheidet
                                                        diese Angriffe von jenen aus dem rechtsextremen
1.4. Frühere Druckfelder                                Spektrum. Hier gibt es eine nahezu ungebrochene
auf das Netzwerk                                        Kontinuität der aggressiven Auseinandersetzung.

Diese Untersuchung konzentriert sich auf die An-        1.5. Methodischer Ansatz dieser
griffe im Zeitraum der Jahre ab 2016. Neu sind dem      Untersuchung
Netzwerk solche Auseinandersetzungen jedoch
nicht. Vor allem Angriffe – zum Beispiel anonyme        Diese Untersuchung basiert auf einer Textanalyse
Briefe, Schmierereien – mit mal beweisbaren, mal        angelehnt an die Methode der qualitativen Inhalts-
anhand der Umstände zu vermutenden rechten              analyse nach Mayring (vgl. Mayring 1983). Folgende
bis rechtsextremen Hintergründen sind auf ein           Kategorien lagen der Untersuchung zugrunde:
Netzwerk, das sich gegen Rassismus richtet, nicht
überraschend.                                           >   Formen der Kritik
                                                        >   Formen des Framings
Vor allem Publikationen stießen in früheren Zeiten      >   strafrechtliche Relevanz
auch jenseits des offen rechtsextremen Spektrums        >   sonstige Angriffe
auf aggressive Abwehr. In besonderer Weise galt         >   Argumentationsweisen
das für Gruppierungen und politische Strömungen,        >   Medienstrategie
die zuvor in den Publikationen kritisiert wurden.
Besonders, wenn Haltungen und Werte, die das            Ergänzt wurden sie durch folgende Kategorien,
Netzwerk offensiv verteidigt, wie das Recht der         die sich aus dem Untersuchungsmaterial ableiten
eigenen sexuellen Orientierung entsprechend zu          lassen:
leben und zu lieben, nicht ihren religiös-politischen
Normen entsprachen.                                     > genaue Zielrichtung
                                                        > Welche Ideologie der Ungleichwertigkeit
                                                          steht im Mittelpunkt?
                                                        > religiöser Hintergrund

                                                                                                             11
> politischer Hintergrund – rechts
     > politischer Hintergrund – links

     Das vorliegende Datenmaterial im Umfang mehre-
     rer Aktenordner wurde von der Geschäftsstelle von
     Aktion Courage gesammelt und umfasst folgende
     Materialien:

     > Presseberichte, öffentlich zugänglich
     > interne Schreiben von Netzwerkpartner*innen
     > Reden, Anträge und weitere Beiträge aus den
       Landesparlamenten sowie dem Bundestag
     > Onlineveröffentlichungen, Videos und
       Hinweise in soziale Medien

     Hinzu kommen Gedächtnisprotokolle von zwei
     Gesprächen mit Vertreter*innen der Bundeskoordi-
     nation.

     Geplant war ursprünglich eine Befragung ausge-
     wählter Netzwerkpartner*innen des Netzwerkes in
     den Ländern und ausgesuchten Kommunen. Diese
     Befragung konnte aufgrund der Covid-19-Pandemie
     nicht durchgeführt werden.

     Im Fließtext werden die Quellenangaben numme-
     riert, in Klammern angegeben (z. B. Q01, Q02, Q03)
     und im Quellenverzeichnis dokumentiert, so die
     Quelle nicht als Ganzes im Text genannt ist. Einige
     dieser Quellen stehen beispielhaft für andere, wor-
     auf im Text verwiesen wird. Dies soll die Lesbarkeit
     vereinfachen.

12
Druckfelder von rechts

Es erfolgt an dieser Stelle keine Dokumentation
                                                        die Stelle eines inklusiven Grundgedankens tritt die
                                                        Idee einer sehr eng definierten, leistungsorientier-
                                                        ten Förderung und die frühe Trennung der Schü-
                                                        ler*innen. Vor allem sollen wieder (mehr) Schul-
                                                                                                               2
aller Angriffe und Kritiken, sondern eine Analyse       formen unterschieden werden. Bloß das Abitur auf
der Art und Weise entsprechender Angriffe und           dem Gymnasium soll zum Studieren befähigen und
Kritiken. Wo das Datenmaterial quantifizierbare         die Zulassung an einer Hochschule ermöglichen
Ergebnisse zulässt, erfolgen diese mit entsprechen-     (vgl. Hafeneger u. a. 2020). Der Hauptschulab-
der Kennzeichnung.                                      schluss und der Realschulabschluss sollen allein „zu
                                                        qualifizierter Berufsausbildung befähigen“. Auch
2.1. Die Partei Alternative für                         Förder- und Sonderschulen sollen so „als wichtiges
Deutschland und Schule ohne                             Element einer bedarfsgerechten Bildungslandschaft
Rassismus – Schule mit Courage                          erhalten bleiben“ (vgl.: https://www.afd.de/bil-
                                                        dung-schule/).
Mit dem Erstarken und den bundesweiten Wahler-
folgen der AfD konnte der parteiförmige, autoritäre     Auch inhaltlich wird ein „Zurück“ in frühere Zeiten
Nationalradikalismus Unterstützungsstrukturen sei-      gefordert, wenn es heißt: „Wir fordern die Abkehr
ner Politik finanzieren, Verbündete unter anderem       von geschwätziger Kompetenzorientierung und
aus dem Kreis engagierter Studierender integrieren      die Rückkehr zur Vermittlung des Fachwissens
und jungen Kräften Anstellungen und Karriere-           als zentrales Anliegen der Schule“ (vgl. hier und
perspektiven anbieten. Heitmeyer arbeitet in einer      nachfolgend: https://www.afd.de/bildung-schule/).
seiner jüngsten Studien heraus, dass es diesen poli-    Die AfD wirft der deutschen Schulpolitik vor, „die
tischen Bewegungen und deren Parteien nicht um          unkritische Übernahme ideologischer Vorgaben“
eine konstruktive Reform innerhalb eines liberalen      bei den Schüler*innen zu fördern und setzt dem
Staates und einer offenen Gesellschaft gehe, son-       die Forderung entgegen: „Leitbild der schulischen
dern um deren Unterdrückung und Überwindung             Bildung muss der selbstständig denkende Bürger
(vgl. Heitmeyer 2018). Dazu verfahren deren Träger      sein“. Konkret wird die Partei dazu an dieser Stelle
mehrgleisig: Sie nutzen ihre parlamentarischen          nicht.
Möglichkeiten zur Besetzung von Positionen inner-
halb des Systems, um es von innen auszuhöhlen.          Wenig überraschend lehnt sie auch jeden Islam-
Sie setzen auf normative und diskursive Normali-        unterricht an den Schulen ab und begründet dies
tätsverschiebungen, deren bekanntester Satz wohl        damit, dass „die islamischen Gemeinschaften in
lautet: „Man wird doch wohl noch sagen dürfen           Deutschland keine kirchenähnliche Struktur aufwei-
…“. Sie setzen aber auch Repräsentant*innen und         sen“ (ebenda).
Träger einer offenen Gesellschaft unter Druck, be-
zweifeln deren Legitimität und Professionalität (vgl.   Es verwundert angesichts solcher Grundlagen nicht,
ebenda).                                                dass auch die Internationalisierung der Schuldebat-
                                                        ten zurückgeführt werden soll. Vergleichsmöglich-
Gängiges Mittel der Wahl ist ein offensives, negati-    keiten wie die bekannten Pisa-Studien sollen nicht
ves Framing mit dem Ziel der Verächtlichmachung         mehr durchgeführt werden. Die Partei interpretiert
durch permanentes, negatives Markieren in der           solche Ziele als „Ökonomisierung und Globalisie-
Öffentlichkeit. Dieser Hintergrund ist wichtig, um      rung des deutschen Bildungswesens“ (ebenda),
die Permanenz, Breite und den Umfang der AfD-Tä-        denen sie entgegenzutreten verspricht.
tigkeiten in Bezug auf das Netzwerk verstehen zu
können (vgl. ebenda, S. 277ff).                         Im Hochschulbereich will die Partei zentrale Be-
                                                        reiche des europäischen Bologna-Prozesses wieder
AFD-BILDUNGSPOLITIK – EINIGE ECKPUNKTE                  verlassen. Dazu gehört die Reaktivierung von
                                                        Diplom- und Magisterabschlüssen, aber auch die
Die Bildungspolitik der AfD stellt sich gegen zahl-     Beendigung des modularen Aufbaus der Studien-
reiche Bildungsreformen der letzten Jahrzehnte          gänge. „Deutsch“ soll dabei als „Wissenschaftsspra-
und Grundsätze liberaler Schulentwicklungen. An         che“ erhalten bleiben (ebenda).

                                                                                                               13
ÜBERGEORDNETE KAMPAGNE „NEUTRALI-                      Trotzdem zeigten sich an einigen Schulen auch
     TÄT“ UND DAS AFD-MELDESYSTEM                           zeitweilige Unsicherheiten vieler Lehrkräfte, die zu-
                                                            nächst schwer einschätzen konnte, welche Folgen
     In nahezu allen Auseinandersetzungen der AfD mit       eine Meldung für sie vielleicht haben könnte (vgl.
     dem SOR-SMC-Netzwerk findet sich der Hinweis           Erziehung und Wissenschaft 3/2020, S. 17-26). An
     auf die vermeintlich umfassende Neutralitätspflicht    vielen Courage-Schulen führten Schüler*innen
     der Schulen (vgl. 01). Sie wird in der Regel auf den   Gegendemonstrationen und Informationsveranstal-
     Beutelsbacher Konsens der politischen Bildung be-      tungen durch. Ihr Leitmotiv lautete: „Schule ohne
     zogen (ebenda). Die AfD leitet es aus den Prinzipien   Denunziation – Schule mit Courage“ (vgl. Q04).
     des Überwältigungsverbots, der Kontroversität und
     der Schülerorientierung ab, dass eine „einseitige“     An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass das
     Beschäftigung zum Beispiel mit rechtspopulisti-        Meldesystem sich an alle Schulen richtete und nicht
     schen Parteien im Unterricht unzulässig sei (vgl.      alle Meldungen das Courage-Netzwerk betrafen.
     ebenda). Ebenso dürfe es keine Sonderbehandlung
     von in demokratischen Wahlen legitimierten Partei-     2.2. Konkrete Auseinandersetzung
     en geben. Dies geschehe beispielsweise bei einer       mit dem Courage-Netzwerk
     Nichteinladung einer relevanten Partei zu schuli-
     schen Veranstaltungen, auf denen Vertreter*innen       AfD-Abgeordnete und -Fraktionen verwenden für
     unterschiedlicher Parteien vertreten wären. Dem        ihre konkrete Auseinandersetzung mit dem Coura-
     SOR-SMC-Netzwerk wirft sie diesbezüglich „linke        ge-Netzwerk unter anderem folgende Mittel:
     Indoktrination an unseren Schulen“ (Q02) vor, die
     zu beenden sei.                                        >   Kleine Anfragen in diversen Landtagen
                                                            >   Kleine Anfragen im Bundestag
     Aufbauend auf dieser Grundargumentation ver-           >   Pressemitteilungen
     kündete die AfD den Aufbau eines parteieigenen         >   Hinweise in den sozialen Medien der Partei
     Meldesystems, an das vermeintliche Verletzungen        >   Reden in Landtagen
     des Neutralitätsgebots von Schulen anonym gemel-       >   Briefe an die Bundeskoordination
     det werden könnten. Die AfD würde sich dann um         >   Briefe an Partner*innen des Netzwerkes
     Aufklärung und gegebenenfalls rechtliche Klärung       >   Briefe an teilnehmende Schulen
     der Geschehnisse kümmern.
                                                            Um die Aktivitäten und Inhalte besser analysieren
     Es überraschte nicht, dass dieses Meldesystem aus      zu können, wurden mehrere Kategorien gebildet.
     dem Kreis der Courage-Schulen kritisiert wurde.        Einige Aktivitäten bedienen sich mehrerer Kate-
     Verurteilt wurde eine Verschiebung staatlich ge-       gorien. In dieser Studie soll keine Vollständigkeit
     sicherter und rechtlich eindeutiger Zuständigkeiten    hergestellt, sondern eine Übersicht vor allem über
     für schulische Beschwerden zu einer politischen        die Qualität der Angriffe gegeben werden.
     Partei. Befürchtet wurde auch ein Klima anonymer
     Anklagen, Petzen und Bespitzelungen und schon          Im Mittelpunkt dieser Analyse stehen die Anfra-
     gar nicht schien eine Partei mit rechtsextremem        gen der AfD-Fraktionen in den Landtagen sowie
     Flügel ein geeigneter Partner für die Sicherstellung   im Bundestag. In Klammern finden sich jeweils
     einer demokratischen Kultur an Schulen zu sein.        Ausschnitte aus entsprechenden Schriftstücken.
                                                            Zwar finden sich auch in den sozialen Medien der
     Das Meldesystem selbst erwies sich nach einigen        AfD viele Verweise auf das Courage-Netzwerk. Sie
     Monaten eher als ein lose geknüpfter Flickentep-       brachten jedoch keinen gesonderten Erkenntnisge-
     pich, denn als gut organisierte Struktur. In mehre-    winn zur inhaltlichen Qualität der Angriffe und den
     ren Bundesländern boten wahlweise die Landes-          Argumentationen bei kritischen Darstellungen. Sie
     fraktionen oder auch nur einzelne Abgeordnete          dienten mehr der Konzentration von Kernanliegen
     an, entsprechenden Beschwerden nachzugehen.            und waren somit eher Zusammenfassungen und
     Einzelne AfD-Akteure verzichteten zunächst auf         Pointierungen und keine Ergänzungen mit eigener,
     eine Teilnahme oder lehnten diese sogar ab (vgl.       inhaltlicher Qualität, die es gelohnt hätte, geson-
     beispielhaft Q03).                                     dert aufzuführen.

14
15
TYPOLOGIEN DER ANGRIFFE                                   Davon zu unterscheiden sind jene Anfragen, die
                                                               offensichtlich nicht einer allgemeinen Informations-
     Folgende Kategorien konnten aus den untersuchten          beschaffung dienen, sondern Framing zur Verächt-
     Materialien abgeleitet werden:                            lichmachung des Netzwerkes betreiben.

     a) Linksextremismusverdacht                               a) Linksextremismusverdacht
     b) Neutralitätsdebatte
     c) Gezielte Personenangriffe                              Ein gängiges Mittel von rechtspopulistischer Seite
        innerhalb des Netzwerkes                               ist die Umkehrung des – häufig auf sich selbst
     d) Strukturangriffe                                       gerichteten – „Extremismusverdachts“ und seine
                                                               Umlenkung auf „den Feind“. Kritiker*innen und
     Herausgenommen aus der Analyse von Angriffen              Gegner*innen der eigenen Position wird dann
     wurden jene Anfragen und Papiere, die der Informa-        wahlweise fehlende Distanz, Nähe oder Integration
     tionsbeschaffung zum Netzwerk und dessen Träger           in linksextreme Netzwerke vorgeworfen.
     dienten. Zwar ist aus der Rechtsextremismusfor-           Entsprechend formuliert sind ausgewählte Anfra-
     schung hinlänglich bekannt, dass rechtsextreme Par-       gen der AfD.
     teien das Mittel der parlamentarischen Anfrage nut-
     zen, um einerseits ihre „Feinde“ auszukundschaften        Ausschnitt aus: Schriftliche Anfrage des Abgeord-
     und ihnen andererseits zu signalisieren, dass man         neten Thorsten Weiß (AfD) vom 22. August 2017 im
     sie im Blick habe (vgl. z. B. Hafeneger/Schönfelder       Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 18/12127 zum
     2007). Nicht selten führt dies zu einem Rückgang          Thema Linksextremistische Netzwerke in Berlin
     des zivilgesellschaftlichen Engagements und Angst         „46. Kam es seit 2010 zu Fällen von öffentlicher
     bei den Betroffenen (vgl. z. B. Borstel 2011: 435). Ein   Unterstützung linksextremistischer Organisationen,
     Übertrag auf die AfD wäre aber zu diesem Zeitpunkt        Personen, Veranstaltungen oder Aktionen durch
     noch verfrüht, da entsprechende Forschungen dazu          zum jeweiligen Zeitpunkt aktive, ehemalige oder
     bisher nicht vorliegen. Zu betonen ist auch das Recht     spätere Mitglieder der Aktion Courage e. V.?“
     und die Aufgabe einer parlamentarischen Oppo-
     sition unter anderem mit dem Mittel der Anfrage,          Die an das Netzwerk gerichteten Vermutungen
     Themen zu setzen und auch Regierungs- und Ver-            lauten unter anderem:
     waltungshandeln zu kontrollieren. Da das Netzwerk
     öffentliche Gelder empfängt, sind entsprechende           > „linke Indoktrination“ durch das Netzwerk
     Informationsfragen beispielsweise zu den Zielen,            (vgl. Q02)
     Aktivitäten, konkreten Verwendungen, beteiligten          > Verstrickung in linksextreme Netzwerke
     Schulen und Umsetzungen vor Ort legitim. Folgende           (vgl. Q05)
     Anfrage gibt dafür ein Beispiel:
                                                               Vereinzelt gibt es auch indirekte Anspielungen. So
     Ausschnitt aus: Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr.       seien zwei Mitarbeiter*innen der Bundeskoordina-
     Rolf Weigandt (AfD) aus dem sächsischen Landtag,          tion früher bei der von der AfD als „linksextrem“
     Drucksache 7/940                                          eingestuften „tageszeitung“ tätig gewesen oder
     „Frage 1: Welche Schulen gehören aktuell dem              hätten Funktionen in der Gewerkschaft Erziehung
     Netzwerk ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit              und Wissenschaft bekleidet, was suggeriere, dass
     Courage’ im Freistaat Sachsen an? (…)                     es heute zu linksextremen Strömungen keine Dis-
     Frage 2: Welche Projekte und Veranstaltungen wur-         tanz gebe. In anderen Anfragen wird Aktion Coura-
     den im Rahmen des Netzwerkes der sogenannten              ge mit der Kampagne der AfD gegen die Amadeu
     Courage-Schulen in den vergangenen drei Jahren            Antonio Stiftung verknüpft (vgl. Q01).
     durchgeführt? (…)
     Frage 3: In welcher Höhe wurde das Netzwerk               Entsprechende Anfragen werden von den Landes-
     ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage’ in           regierungen durchgehend abschlägig beschieden.
     den vergangenen fünf Jahren vonseiten des Frei-           Die AfD wird hier auch kaum auf reale Informatio-
     staats gefördert und wozu wurden die ausgegebe-           nen hoffen. Es geht ihr vielmehr um ein gezieltes
     nen Mittel verwendet?“                                    Framing, in dem eine Nähe zum Linksextremismus

16
oder zu Gruppen von vermeintlich linker Militanz          fene Schüler*innen und andere Schulangehörige in
diskursiv hergestellt werden soll. Auch die Bundes-       ihrem Kampf um die Meinungsfreiheit unterstützen
tagsfraktion bediente sich dieses Ansatzes und            könne (siehe oben).
stellte eine entsprechende Anfrage:
                                                          Darüber hinaus sieht sich die AfD in die Opferrolle
Ausschnitt aus: Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im        gezwängt. So würde sie zu Unrecht als beispiels-
Deutschen Bundestag (Drucksache 19-5247) aus              weise „rechtspopulistisch“ oder „rechtsextrem“
dem Jahr 2018:                                            bezeichnet, was eine fehlende Neutralität gegen-
„7. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über eine        über demokratisch gewählten Parteien zeige (vgl.
Zusammenarbeit des Vereins Aktion Courage e. V.           Q01). Da dieser Themenkomplex ein Dauerbrenner
mit dem linksextremistischen Spektrum zugehöri-           und inhaltlicher Schwerpunkt der AfD-Tätigkeiten
gen Organisationen?“                                      darstellt, erfolgt eine ausführlichere Analyse an
                                                          späterer Stelle.

b) Neutralitätsdebatte                                    c) Gezielte Personenangriffe innerhalb
                                                          des Netzwerkes
Eine Kernargumentation der AfD gegenüber Aktion
Courage lautet, dass unter Bezugnahme auf den             Gegen einzelne Repräsentant*innen des Netzwer-
Beutelsbacher Konsens Schule ein politisch neutraler      kes wird mit Namensnennung und persönlich diffa-
Raum zu sein habe. Das Netzwerk von SOR-SMC               mierend vorgegangen. Vor allem die Direktorin der
verletze diesen Grundsatz, „indoktriniere“ die Schü-      Bundeskoordination wird auffallend oft namentlich
ler*innen mit linker, politischer Ideologie (vgl. Q01).   genannt. Die Vorwürfe lauten wiederkehrend, sie
                                                          sei „links“ orientiert, wobei auf ihr gewerkschaft-
Ausschnitt aus: Drucksache 7/2880 vom 16.5.2015           liches Engagement und diesbezügliche Netzwerke
aus dem Landtag von Sachsen-Anhalt mit dem Titel          verwiesen wird. Hinzu kommen aber auch Hinweise
„Linke Indoktrination an unseren Schulen been-            auf „islamistische“, vermeintlich „pro-islamische“
den – Förderung des Schulnetzwerks ‚Schule ohne           Einstellungen, was für die AfD ein Vorwurf ist, und
Rassismus – Schule mit Courage’ einstellen“               „anti-christliche“ Haltungen.
„Der Landtag wolle beschließen:
Der Landtag bekennt sich zur Schule als Ort der           Ausschnitt aus: Schriftliche Kleine Anfrage des
geistigen, körperlichen und gesellschaftlichen            Abgeordneten Dr. Alexander Wolf (AfD) vom
Bildung, an dem ideologische Indoktrination sowie         4.10.2016 in der Hamburger Bürgerschaft:
politischer Meinungs- und Gesinnungsterror kei-           „Die Mitarbeiter der Bundeskoordination – das be-
nen Platz finden. In diesem Sinne spricht er dem          legt eine Analyse ihrer Lebensläufe – sind weltan-
Programm ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit              schaulich und institutionell klar im politisch linken
Courage’ seine Missbilligung aus.                         Spektrum verankert und vertreten anti-konser-
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, die in       vative, pro-islamische und zum Teil anti-christliche
der Landeszentrale für politische Bildung ansäs-          Positionen. Die Leiterin der Initiative, Sanem Kleff,
sige Landeskoordination des Schulnetzwerkes (…)           eine türkischstämmige Deutsche, übte verschiede-
ersatzlos zu streichen.“                                  ne Ämter in der GEW Berlin aus und ist Mitglied der
                                                          Amadeu Antonio Stiftung. (…) Kleff verantwortete
Vereinzelt wird vermutet, dass die Schulen zur Mit-       presserechtlich im Jahr 2008 das Schüler-Magazin
arbeit verpflichtet würden (vgl. Q06). Schüler*in-        Q-rage. In dem Heft finden sich Anfeindungen
nen mit vom Netzwerk nicht unterstützten poli-            gegen evangelikale Christen. Sie werden dort als
tischen Einstellungen würden gezielt unterdrückt          intolerant, verfassungsfeindlich, gefährlich und
und die Meinungsfreiheit an den Schulen dadurch           dumm bezeichnet und mit Islamisten verglichen.
verletzt. Dadurch entstünde ein Klima der Angst           Der Geschäftsführer der Initiative, Eberhard Seidel,
für Schüler*innen mit abweichenden Positionen.            war vor seinem Engagement bei SOR-SMC Ressort-
Um dem entgegenzuwirken, startete die AfD eine            leiter bei der politisch weit linksstehenden Tages-
bundesweite Kampagne mit dem Aufruf, entspre-             zeitung taz.“
chende Vorfälle zu melden, damit die AfD betrof-

                                                                                                                  17
Diese gezielten Markierungen sind ein Beispiel für     Hinzu kommen exemplarische Auseinandersetzun-
     ein personenbezogenes Framing mit dem Ziel der         gen mit einzelnen Schulen des Netzwerkes, die in
     Verächtlichmachung führender Repräsentant*innen        einem späteren Abschnitt dargestellt werden.
     des Netzwerkes und damit der Idee des Projektes
     und des Netzwerkes auch an sich.                       Zum Teil wird die Forderung, die Förderung ein-
                                                            zustellen, mit der Kampagne der AfD gegen die
     Spannend sind diesbezüglich auch Versuche der          Amadeu Antonio Stiftung verknüpft, zu der eine
     bayerischen AfD, Mitarbeiter*innen des Netzwer-        besondere inhaltliche und personelle Nähe herge-
     kes nicht mehr nur als politisch „fehlorientiert“ zu   stellt wird. Damit sollen an die Stiftung gerichtete
     kennzeichnen, sondern auch Eindrücke einer Nähe        Vorwürfe auf Aktion Courage und SOR-SMC ab-
     zu kriminellen Netzwerken herzustellen. Die Forde-     färben (vgl. Q01).
     rung nach einem „erweitertem Führungszeugnis“
     der in den Schulen eingesetzten Personen dient nur     Eine Besonderheit stellt ein Antrag einer AfD-Grup-
     oberflächlich dem Schutz der Schüler*innen. Viel-      pe aus NRW auf ihrem eigenen Landesparteitag
     mehr suggeriert das Bild einen nicht vorhandenen       dar. Darin wird eine Überwindung des Netzwerkes
     Bedarf und zielt darauf, eine vermeintliche „Ge-       zugunsten eines neuen Netzwerkes mit dem Titel
     fährdung“ der Jugendlichen durch die Aktionen des      „Schule ohne Extremismus“ gefordert. Der Antrag
     Netzwerkes zu suggerieren.                             verpuffte ohne nachhaltige Wirkung.

     Ausschnitt aus: Schriftliche Anfrage des Abgeord-      Eine Ausnahme zu den bisherigen Strukturangriffen
     neten Andreas Winhart (AfD) vom 27.2.2019 im           ist die folgende Anfrage der thüringischen AfD zu
     bayerischen Landtag, (Drucksache 18/1408)              den rechtlichen Grundlagen des Ansatzes des Netz-
     „4. Werden Personen, welche über den Verein            werkes.
     Aktion Courage e. V. an Schulen gelangen (Mit-
     wirkende und Paten) hinsichtlich pädagogischer         Ausschnitt aus: Kleine Anfrage 1480/2016 der Ab-
     Kompetenzen bzw. strafrechtlicher Zuverlässigkeit      geordneten Muhsal und Brandner (AfD) im thürin-
     (‚erweitertes Führungszeugnis‘) überprüft?“            gischem Landtag.
                                                            „Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache,
                                                            dass minderjährige Schüler mit ihrer Unterschrift
     d) Strukturangriffe                                    eine Rechtsfolge, nämlich die Teilnahme am
                                                            Projekt, erwirken können? Wird die Zustimmung/
     Mehrere Anfragen und Anträge der AfD zielen auf        Genehmigung von (beiden) Sorgeberechtigten der
     die Zerschlagung der strukturellen und finanziellen    minderjährigen Schüler eingeholt?“
     Grundlagen des Netzwerkes. Wiederholt wird eine
     Einstellung jeder öffentlichen Förderung gefordert.    Die Frage nach den Rechtsfolgen der früheren
     In einigen Landtagen wurde damit verbunden             Praxis der Sammlung von Unterschriften der
     auch die Schließung der Träger der Landeskoordi-       Schüler*innen als Voraussetzung für die Teilnahme
     nationen zum Beispiel in den Landeszentralen für       der Schule an dem Programm ist legitim. Vor allem
     politische Bildung gefordert.                          in der Grundschule taucht auch die Frage auf, ob
                                                            nicht (so vorhanden) beide Erziehungsberechtigte
     Ausschnitt aus: Drucksache 7/2880 vom 16.5.2015        gefragt werden müssten, ob ihre Kinder unter-
     aus dem Landtag von Sachsen-Anhalt mit dem Titel       schreiben dürfen.
     „Linke Indoktrination an unseren Schulen been-
     den – Förderung des Schulnetzwerks ‚Schule ohne        Das Netzwerk hat derweil diese Praxis übrigens
     Rassismus – Schule mit Courage’ einstellen“            grundlegend verändert. Seit Mitte 2020 ist das
     „Der Landtag wolle beschließen: (…)                    Aufnahmeverfahren aus datenschutzrechtlichen
     Der Landtag trifft die Übereinkunft, das Schulnetz-    Erwägungen auf ein anonymisiertes Wahlverfahren
     werk (…) bei künftigen Haushaltsplanungen nicht        mit Stimmzetteln umgestellt worden.
     mehr zu berücksichtigen.“

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Allerdings dürfte auch diese Anfrage kaum auf die     rungen keinen Raum zur Entfaltung bekommen
qualitative Weiterentwicklung und mögliche Schaf-     dürfen. Hier drohe eine Normalisierung dieser
fung erweiterter Rechtssicherheit des Programmes      menschenfeindlichen Einstellungen. Deshalb sollten
gezielt haben, worauf die anderen Anträge und         Vertreter*innen zum Beispiel der AfD keine Mög-
Schreiben der unterzeichnenden Abgeordneten           lichkeit bekommen, ihre Positionen öffentlich in
deuten. Sie zeigen vielmehr, dass es eine intensive   den Schulen zu vertreten.
Beschäftigung mit dem methodischen Ansatz des
Netzwerkes in der AfD gegeben zu haben scheint,       Andererseits gelten an einer Schule ohne Rassismus
in deren Folge entsprechende Details zu Recht         – Schule mit Courage demokratische Spielregeln.
hinterfragt werden können.                            Dazu gehöre es auch, Positionen einer Partei wie
                                                      der AfD mit Blick auf die Meinungsfreiheit zunächst
In Nordrhein Westfalen versucht die AfD, dem          zuzulassen, um ihnen dann gegebenenfalls offensiv
Netzwerk sogar seine inhaltliche Notwendigkeit        zu widersprechen und demokratische Alternativen
zu leugnen, um so eine Einstellung aller Mittel zu    aufzuzeigen. Deshalb dürften AfD-Vertreter*innen
begründen:                                            nicht anders behandelt werden als andere Politi-
                                                      ker*innen.
Ausschnitt aus Kleine Anfrage 1962 vom 25.1.2019
des Abgeordneten Helmut Seifen (AfD)im Landtag        Für beide Positionen gibt es im Courage-Netzwerk
Nordrhein-Westfalen                                   Beispiele, die in folgenden Erfahrungen mündeten:
„Inwiefern hält die Landesregierung dieses Projekt
für notwendig und hilfreich, obwohl jede Schule in    > Vereinzelt wurden Veranstaltungen gar nicht erst
diesem Land aus ihrem Bildungs- und Erziehungs-         geplant, wenn deutlich wurde, dass eine Debatte
auftrag heraus die vorgegebenen Ziele dieses            zur Teilnahme der AfD kontrovers werden
Projektes ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit           könnte. Dies ist keine offensive und eine wenig
Courage’ seit jeher verfolgt und anstrebt?“             mutige Strategie der Auseinandersetzung.
                                                      > Vereinzelt wurden AfD-Vertreter*innen nicht zu
                                                        Schuldiskussionen mit anderen Politiker*innen
UMGANG MIT VERTRETER*INNEN DER AFD                      eingeladen. Hier gerierte sich die AfD als Opfer.
IN DEN NETZWERKSCHULEN – ANLASS FÜR                     In Zukunft wird es hierzu womöglich auch
PROTESTE VON RECHTS UND LINKS                           noch gesetzliche Anordnungen und Urteile zur
                                                        Klärung geben, inwieweit ein solcher Ausschluss
Eine besondere Herausforderung ist die Einladung        tatsächlich auch bei steigendem Erfolg der AfD
von Politiker*innen im schulischen Kontext. Kon-        zulässig sein mag oder nicht.
sens ist das Gebot der pluralistischen Darstellung    > Beispielhaft für die Einladung eines AfD-
von Positionen. So soll nicht nur einer, sondern        Politikers war eine Diskussionsrunde mit
möglichst immer allen relevanten, demokratischen        dem Parteivorsitzenden Meuthen 2018
Parteien die Möglichkeit geboten werden, sich im        in Brandenburg. Hier protestierten vorab
Sinne eines demokratischen Konsenses den Schü-          Schüler*innen gegen den Auftritt. Hinzu kam
ler*innen zu präsentieren. Wie verhält sich dieses      die örtliche Linksjugend mit dem Spruch
Gebot aber mit der AfD, die inzwischen in den           „Schule mit Rassisten“. Die Presseberichte und
Landtagen sowie im Bundestag legitimiert durch          einige Stellungnahmen aus dem Schulkontext
demokratische Wahlen vertreten ist, die aber zu-        lassen vermuten, dass Meuthen kaum punkten
mindest in Teilen auch von Verfassungsschutzorga-       konnte. Die Schüler*innen wurden als sehr gut
nen als rechtsextrem und damit antidemokratisch         vorbereitet beschrieben. Die Diskussion sei
eingestuft wurde?                                       kontrovers, aber fair im Ton geführt worden.

Zwei Grundpositionen stehen sich in dieser Debatte    Diese Debatte wird das Netzwerk sicherlich noch
vor dem Hintergrund des Netzwerkes gegenüber:         länger beschäftigen. Vielleicht lässt sich aus der
                                                      Veranstaltung in Brandenburg aber ein wichtiger
An einer Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage   Punkt herauskristallisieren: Zentral sind die um-
sei es selbstverständlich, dass rassistische Äuße-    fassende Vorbereitung, das Vertrauen in und das

                                                                                                            19
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