UTOPOLY METAPHERN DER STADT ZHDK, 2015 DIANA BÄRMANN, DANIEL DROGNITZ, LAURA SABEL, TOBIAS STREBEL - COMMON | JOURNAL FÜR KUNST UND ...
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Das Brettspiel Utopoly ist eine Weiterentwicklung des 1904 von Elizabeth J. Magie als Kapitalismuskritik entworfenen Spiels The Landlord's Game. Utopoly reproduziert das historische und soziale Gewebe einer Stadt, welches immer von Konflikten und unterschiedlichen Interessen geprägt ist. Gleichzeitig basiert es auf der Auseinandersetzung mit alternativen Orten der drei Städte Hamburg, Hongkong und Zürich, die utopisches Potenzial in sich tragen, aber immer wieder auch von kapitalistischen Strukturen geprägt sind. Utopoly will dies für die Spielenden nicht nur erlebbar machen, sondern auch zu möglichen Alternativen inspirieren. Durch das Hinzufügen von Spielregeln und -elementen haben wir das ursprüngliche Spiel nach der damaligen Praxis modifiziert und aktualisiert. Mit Utopoly laden wir dazu ein die Bedingungen des „Rechts auf Stadt“ zu diskutieren und neu zu denken. Unser Vorbild The Landlord's Game ist die Grundlage des heute weltweit bekannten Spiels Monopoly. Verbreitung fand das Spiel vor allem über Mund-zu-Mund- Propaganda und leicht veränderte, selbst erstellte Einzelausgaben. Jahrzehntelang galt Charles Darrow, dem die Firma Parker Brothers 1935 das Patent „seines“ Spiels abkaufte als Erfinder von Monopoly. Während er bald zum Millionär wurde, geriet Elizabeth J. Magie in Vergessenheit. Erst in den 1970er Jahren wurde aufgedeckt, dass sie die eigentliche Erfinderin des Spiels ist. Die feministische Quäkerin und Anhängerin des Ökonomen Henry George hatte The Landlord’s Game entwickelt, um dessen wirtschaftspolitische Theorien einer breiten Bevölkerung zu vermitteln. Der US-amerikanische politische Ökonom war Mitte des 19. Jahrhunderts der einflussreichste Verfechter der Einheitssteuer auf Grundbesitz, wozu er eigens ein neues Steuersystem entwickelte. Diese Forderung ging aus seinem Grundgedanken hervor, dass Boden und Rohstoffe Gaben der Natur seien und sie nicht durch menschliche Arbeit erzeugt oder vermehrt werden können. Folglich sollten alle Menschen das gleiche Recht auf den Boden und seine Schätze haben. Die Enteignung der Volksmasse vom Grundbesitz war für George die Ursache für die Spaltung der Bevölkerung in Arme und Reiche. The Landlord's Game sollte anschaulich und niederschwellig zeigen, wie monopolistischer Landbesitz die Verarmung der Landbevölkerung verursacht. Im Gegensatz zum späteren und heute noch gespielten Monopoly war Elizabeth J. Magie’s Landlord's Game anti-kapitalistisch konzipiert. Utopoly greift diesen ursprünglichen Gedanken wieder auf, aktualisiert und erweitert ihn um Potentiale des Utopischen. Utopoly lässt sich herunterladen, ausdrucken, spielen, verbreiten und anpassen.
Das vorliegende Booklet beinhaltet die Spielanleitung zu Utopoly, Erläuterungen der Orte auf den Spielfeldern und ein Glossar. Die folgende Spielanleitung setzt sich aus zwei Textebenen zusammen: Kursiv der originale, jedoch gekürzte Text von Lizzy J. Magie, den sie The Landlord’s Game angefügt hat. Nicht kursiv Erweiterungen und Aktualisierungen von Utopoly. Wie auch beim Spielbrett möchten wir die ursprüngliche Spielidee sichtbar und auch die Erweiterungen kenntlich machen. Im 2. Kapitel werden alle Orte auf den Spielfeldern kurz erläutert. Es handelt sich um Orte, die uns bei unserer Recherche in Zürich, Hamburg und Hongkong zum Thema „Recht auf Stadt“ begegnet sind. Sie stellen eine Auswahl dar, die mögliche Szenarien im städtischen Umfeld näher bringen können. Das Glossar ist theoretischer Unterbau des Spiels und dient als Nachschlagewerk. Es gibt einen Überblick der Ideen und Aspekte mit denen wir uns im Zusammenhang mit dem Thema „Recht auf Stadt“ auseinandergesetzt haben und die in das Spiel eingeflossen sind.
INHALT 1. Spielanleitung 2. Orte 3. Glossar
1. Spielanleitung „To all whom it may concern: Be it known that I, Lizzie J. Magie [...] have invented certain new and useful Improvements in Game-Boards, of which the following is a specification. My invention [...] „The Landlord’s game,“ relates to game boards, and more particularly to games of chance. The object of the game is to obtain as much wealth or money as possible, the player having the greatest amount of wealth at the end of the game after a certain predetermined number of circuits of the board have been made being the winner.“ Utopoly schlägt alternative Wege dazu vor: Das Ziel des Spiels ist die Verwirklichung von sozialen und gesellschaftlichen Utopien. Das Spiel endet entweder, wenn mehr als die Hälfte aller Felder mit Utopia-Marken besetzt sind oder ein Spieler mehr als die Hälfte aller Liegenschaften besitzt. So wird das Spiel gespielt: Jede_r Spieler_in würfelt zu Beginn zweimal hintereinander mit einem Würfel. Beide Augenzahlen werden jeweils mit 100 multipliziert. Die erste ergibt das jeweilige Startkapital, die Hälfte der zweiten Zahl das Einkommen, das nach jeder Runde ausbezahlt wird. Kommt man nach einer Runde direkt auf das Startfeld, erhält man den doppelten Betrag. „The lot tickets [...] are placed face downward upon the board, and each player draws [four of them]. [...] Each player looks at the tickets he has drawn and may purchase the lot corresponding to his ticket [...]. If he does not purchase, he puts the ticket back into the wages-box again. [...] If a player chooses to buy a lot, he must pay into the ‚Public treasury‘ [Öffentliche Kasse] the price of it and place his deed upon it. If he chooses to rent it, he must pay the rent to the ‚Public treasury‘.“
Spielfelder: „Absolute necessities: These spaces [...] indicate absolute necessities – each as bread, coal, shelter, and clothing – and when a player stops upon any of these he must pay five dollars into the ‚Public treasury‘. No trespassing: Spaces marked ‚No trespassing‘ represent property held out of use, and when a player stops on one of these spaces he must go to jail and remain there [for three rounds] or until he pays into the ‚Public treasury‘ a fine of fifty dollars. Railroad: ,R. R.‘ [Öffentlicher Verkehr] represents transportation, and when a player stops upon one of these spaces he must pay five dollars to the ,R.R.‘ If a player throws a double, he ,Gets a pass‘ and has the privilege of jumping once from one railroad to another, provided he would in his ordinary moving pass a ,R. R.‘ If he stops upon it, however, he must pay five dollars. Luxuries: These spaces [...] represent the luxuries of life, and if a player stops on a ,Luxury‘ he pays fifty dollars to the ‚Public treasury‘, receiving in return a luxury ticket, which counts him sixty dollars at the end of the game. The player may purchase the luxury or not [...]. Franchises: These spaces [...] indicate light franchise and water franchise and are public necessities. The first player who stops upon one of these franchises puts his charter upon it, and all though the game he has the privilege of taxing all the other players five dollars whenever they chance to stop upon it. [...] Poorhouse: If at any time a player has no money with which to meet expenses and has no property upon which he can borrow, he must go to the poorhouse and remain there until he makes such throws as will enable him to finish the round.“
Spielvorgänge: „Rent: When a player stops upon a lot owned by any of the players, he must pay the rent to the owner. [...] If two players stop upon the same lot, the second must pay to the first one-half of the rent. [...] If a third player's throw brings him on the same lot, he cannot occupy it, but must remain upon the space next to it, counting his throw one less. [...] Borrowing: A player may borrow from the “Bank" in amounts of one hundred dollars, and for every one hundred dollars borrowed the " Bank" takes a mortgage on one or more of the borrower's lots, the total value of which must be at least ten dollars more than is borrowed. For every one hundred dollars borrowed from the "Bank" a bank mortgage is placed upon the property on which the loan is made, and the player puts his note in the "Bank," paying upon each note five dollars (interest) every time he receives his wages. One player may borrow from another, giving a mortgage on any property he may own and making the best bargain he can as to interest, terms of payments. The player loaning the money places his individual, mortgage on the top of the borrower's deed to show that he has a mortgage on that property. Should a loan be repaid before passing the beginning-point, the borrower saves the interest.“ Verkauf von Eigentum: Alle Spielenden können erworbenes Eigentum auch wieder verkaufen. Die „Public Treasury“ kauft Eigentum für den um 10 Prozent geminderten Erstkaufpreis zurück. Bei einem Verkauf an Mitspielende ist der Preis selbst auszuhandeln. Tod eines_einer Spieler_in: Stirbt deine Spielfigur durch Ereignisse im Spiel, kannst du das Spiel als neue Spielfigur von vorne beginnen. Würfle dazu wie am Anfang des Spiels um dein Startguthaben und dein Einkommen. Utopia-Marken: Wenn ein Feld erfolgreich von einer utopischen Idee oder Organisation besetzt wurde, kann eine Utopia-Marke darauf gelegt werden. Jede_r Spieler_in hat die Möglichkeit, wenn er_sie am Zug ist zu entscheiden, ob eine oder mehrere der eigenen Liegenschaften Projekten gewidmet werden sollen, die die Gesellschaft näher an die Utopie bringen. Für diese Liegenschaften erhält man
grundsätzlich keine Miete mehr. Falls eine Liegenschaft, die von einer Utopia-Marke „besetzt“ ist, verkauft werden soll, verdreifachen sich ihr Wert und ihre Miete. „Five times around: When a player has been around the board five times he may move in either direction, provided he is clear of debt, until each of the other players has been around five times; but having passed the beginning-point the required number of times he receives no more wages. The game is finished when the last player has passed the beginning-point the fifth time.“ „Counting up: As the deeds are removed from the lots each player is credited with the value of the lots owned by him. His cash on hand is counted, and the amount set down under the total value of the lots. Then the luxuries are counted [...] and the amount set down under cash. [The] player who has the largest sum-total [could be] the winner. [...] Emergencies: Should any emergency arise which is not covered by the rules of the game, the players must settle the matter between themselves; but if any player absolutely refuses to obey the rules as above set forth he must go to jail and remain there [for three rounds] or pays his fine, as explained in paragraph ‚No trespassing‘.“
2. Orte 1 Stadionbrache Als das in die Jahre gekommene Hardturmstadion in Zürich 2008 den Betrieb einstellte, wurde es, ehe es abgerissen wurde, für drei Tage besetzt. 2011 wurde die Verwaltung des Areals dem Verein Stadionbrache zur Gebrauchsleihe übertragen. Dort sind seither u.a. ein Gemeinschaftsgarten, ein Skatepool und eine Kletterwand entstanden, während die weite Fläche des Stadions immer wieder Zirkussen, Fahrenden und Events Platz bietet. Diese Nutzung soll noch für weitere drei Jahre fortbestehen bis beschlossen wird, wie mit dem Gelände weiter verfahren werden soll. 2 Kowloon Walled City Die befestigte Stadt Kowloon in Hongkong wurde während des zweiten Weltkriegs rückgebaut. Während der 1950er Jahre wurde begonnen, dort um eine ehemalige Kaserne herum in die Höhe zu bauen. Bereits während der 1960er Jahre wucherten auf den Gebäuden illegale Aufbauten und das Gelände wurde immer dichter bebaut. Zugleich erhielt der Stadtteil den Ruf, Produktions- und Umschlagsplatz für Drogen zu sein und Schutz für viele illegale Geschäfte zu bieten. Vor der Zerstörung der Walled City 1993 wohnten über 40'000 Menschen auf dem 0,026 km² grossen Gelände, was damit die dichteste je von Menschen besiedelte Fläche war. Nach der Zerstörung wurde ein Park mit einem kleinen Museum angelegt, das an die Walled City erinnern soll. 3 Nagelhaus Als Nagelhaus wird ein Gebäude bezeichnet, dessen Besitzer_innen sich gegen eine Veräusserung ihres Hauses, meist für einen grösseren Neubau, wehren. Der in China entstandene Neologismus vergleicht das Haus mit einem Nagel, der in einem harten Stück Holz steckt. Visuell ragen die Nagelhäuser oft aus einer bereits umliegenden Brache oder gar einer Baugrube heraus. Prominentes Beispiel in Zürich ist das Arbeiterwohnhaus aus dem 19. Jahrhundert im Industriequartier Zürich-West, das mittlerweile mit den Lettern „Resistance“ versehen wurde, ein künstlerisch-ironischer Kommentar zum benachbarten Renaissance Hotel. Nachdem das Bundesgericht nach einem 15jährigen Rechtsstreit die Enteignung der Hauseigentümer_innen entschieden hat, muss das Haus nun einer Strasse weichen.
4 Chungking Mansions Ein vielfältig genutzter Gebäudekomplex in Tsim Scha Tsui, Hongkong. Neben Gaststätten und Gästehäusern befinden sich darin auch eine Mall und Wohnungen. Durch die chaotische Organisation und Atmosphäre im Haus wird es häufig mit der Kowloon Walled City verglichen. 5 Dreieck Die Genossenschaft Dreieck besteht hauptsächlich aus Häusern, die zwischen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts erbaut wurden. Die Häuser bilden ein kleines dreieckförmiges Viertel im Zürcher Kreis 4. Ursprünglich wurden sie von der Stadt Mitte der 1980er Jahre als Abrissobjekte gekauft. Die Mieter_innen verhinderten jedoch den Abbruch mit grossem Engagement und setzten sich für eine sanfte und ökologische Renovation der Häuser ein. Schliesslich konnten sie die Bauten, die heute rund 60 Wohnungen und 30 Gewerberäume umfassen, als Genossenschaft 1996 übernehmen. 6 Park Fiction Hafenstrasse Park Fiction ist ein seit Mitte der 1990er Jahre bestehendes künstlerisches und gesellschaftspolitisches Projekt in Hamburg. Es ging aus der Forderung von Bewohner_innen hervor, statt Wohn- und Bürobebauung einen öffentlichen Park in ihrem Quartier zu errichten. Eine Nachbarschaftsinitiative legte Ideenvorschläge und Skizzen für den Park vor. Die von der Kulturbehörde Hamburg eingeladenen Künstler_innen Christoph Schäfer und Cathy Skene konzipierten Park Fiction und realisierten, neben mehreren kulturellen Veranstaltungen einen Planungscontainer und arbeiteten im Sinne der „kollektiven Wunschproduktion“ mit den Bewohner_innen, anderen Künstler_innen und Architekt_innen zusammen. So wurde zwischen 2003 und 2005 der Antonipark realisiert. 2013 wurde dieser im Rahmen einer Solidaritätskundgebung für die Protestierenden in Istanbul in Gezi-Park Hamburg umbenannt. 7 Binz Die Besetzung Binz im gleichnamigen Industriequartier des Zürcher Stadtteils Wiedikon bestand von 2006 bis 2013 in einem mehrteiligen Fabrikgebäude mit grossen Hallen. Als Wohn- und Kulturkollektiv nutzten mehrere hundert Menschen
das Areal einer ehemaligen Druckerei für verschiedene Projekte. Es bot Raum für die unterschiedlichsten Aktivitäten und Initiativen, u.a. einen Wagenplatz, mehrere Werkstätten, als Probe- und Aufführungsort für Film- und Theatergruppen, für Veranstaltungen von Konzerten und Partys oder eine regelmässige Volksküche. Die Besetzung verstand sich als Ort ohne hierarchische Struktur, an dem Kultur nicht nur konsumiert, sondern unter Mitwirkung der Besucher_innen selbst geschaffen wird. 8 Labitzke Areal Nach der Stilllegung der 1913 in Zürich Altstetten erbauten Farbenfabrik Labitzke sammelte sich seit den 1990er Jahren auf dem Areal mit mehreren Gebäudekomplexen eine vielfältige Mieterschaft an. Zu Autowerkstätten, Kulturvereinen, Clubs, Grossraum-WGs, Ateliers, einem Bordell und einer Moschee kam 2011 die Besetzung Autonomer Beauty Salon hinzu. Die ungewöhnliche Nachbarschaft mit vielfältigen kulturellen Veranstaltungen wurde nach dem Verkauf an eine grosse Immobilienfirma und einem folgenden gemeinsamen Kampf der Besetzer_innen und einigen Mieter_innen 2014 geräumt und, zum Zwecke von Neubauten, abgerissen. 9 Gängeviertel Als Gängeviertel werden in Hamburg eng bebaute Wohnquartiere in der Altstadt und Neustadt bezeichnet. Der Begriff steht heute auch für das Valentinskamp, das eines der wenigen erhaltenen ist. Als die 2001 unter Denkmalschutz gestellten Häuser 2008 an einen dänischen Investor verkauft wurden, besetzten rund 200 Künstler_innen und Aktivisten_innen die Häuser, um eine bessere Nutzung zu finden, die die Bausubstanz erhalten solle. Nach einem langen Prozess werden nun die Gebäude saniert und danach einer von den Künstlern gegründeten Genossenschaft zur Verwaltung übergeben. 10 Reclamation Street Der Hongkonger Strassenname verweist auf die Massnahmen zur Landgewinnung, die wegen des begrenzten Platzes auf der Insel und ihrer felsigen Berglandschaft für das Wachstum der Stadt grundlegend waren. Die ersten grossen Landgewinnungsprojekte fanden deshalb bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts statt, kurz nach der Kolonisierung der Stadt durch die Briten. Seitdem wuchsen die Wirtschaft und
Bevölkerung stetig. Auf dem neu gewonnenen Land entstanden Fabriken, Wohngebiete, der internationale Flughafen und auch das Disney Resort. 11 Esso-Häuser Als Esso-Häuser wird ein Gebäudekomplex im Stadtteil St. Pauli in Hamburg bezeichnet. Nachdem das Areal verkauft worden war, drohte der Abriss und ein Neubau mit Gewerbe- und Wohnfläche. Diese Entwicklung löste eine grosse Debatte aus und erhielt bundesweite Aufmerksamkeit, woraufhin sich seit 2010 die „Initiative Esso-Häuser“ für den Erhalt und die Sanierung der Häuser einsetzte. Nach einer spontanen Räumungsaktion aufgrund von Einsturzgefahr, forderten sie Entschädigungen, das Rückkehrrecht aller Mieter_innen in die Neubauten, die transparente Offenlegung der statischen Untersuchungen an den Häusern, eine neue Planung für das Gelände und zu 100 Prozent geförderten Wohnraum mit günstigen Mieten. Im Jahr 2014 wurde die Abrissgenehmigung erteilt und ein Beteiligungsverfahren der Bürger_innen des Stadtteils bei den Plänen für den Neubau beschlossen, wofür die Planbude eingerichtet worden ist. 12 Oi! Street Artist Village Nachdem der Royal Hongkong Yacht Club seine exklusive Lage am Hafen durch Landgewinnungsmassnahmen verlor, wurde das Gebäude lange als Lager und Quartier für Regierungsmitarbeiter_innen verwendet. Um die Jahrtausendwende wurden die Gebäude günstig an Kunst- und Kulturakteure vermietet, die dann jedoch mangels Erlaubnis oder/und Versicherung geräumt wurden. Seither dienen die Gebäude als staatlich betriebene Ausstellungsräume für junge Künstler_innen, urbane und kollektive (Kunst-)Projekte. 13 Containerdorf Altstetten Das Containerdorf in Zürich Altstetten, auf dem heute das „Basislager“, eine Asylunterkunft und die so genannten Sexboxen zu finden sind, wurde auf einer ehemaligen Mülldeponie errichtet. Zuerst wurde im Jahr 2010 eine vom Architektenbüro NRS konzipierte Asylunterkunft aus Containern gebaut. Da man den Strassenstrich in der Stadtmitte Zürichs verlagern wollte, plante die Stadt 2011 einen Strichplatz auf dem Areal des Containerdorfs einzurichten, woraufhin eine heftige Debatte ausbrach. Nach der Auflösung des alten Standorts zog 2012 das Basislager mit
135 Containerbüros und -ateliers, ebenfalls vom NRS-Team konzipiert, auf das Areal und bildet nun die Mitte zwischen den Asylunterkünften und dem Strichplatz, der 2013 auf dem Areal eröffnet wurde. Das Areal gehört der Stadt Zürich. Diese stellt es für 15 Jahre Swiss Life, der Eigentümerin und Vermieterin der Container, zur Verfügung. Swiss Life schafft auf dem Areal eine Zwischennutzung bis ca. 2027. 14 Cattle Depot Artist Village 1908 als Schlachthof im Hongkonger Stadtteil Kowloon erbaut, wurde das Cattle Depot nach seiner Stilllegung renoviert und 2001 in ein Künstlerdorf umgewandelt. Etwa 20 Künstlergruppen mieten auf dem Gelände mit mehreren flachen Backsteinhäusern Räumlichkeiten von der Stadt und nutzen diese zum Arbeiten und für öffentliche Veranstaltungen wie Ausstellungen und Konzerte. 15 Kraftwerk1 Die Genossenschaft Kraftwerk1 wurde 1993 in Zürich gegründet und; 2001 wurde der erste Standort mit 100 Wohneinheiten eröffnet. Seither entstanden zwei weitere Projekte. Das Kraftwerk1 steht seither für gemeinschaftliches und nachhaltiges Wohnen und bietet zahlreiche Möglichkeiten der partizipativen Mitgestaltung und der Integration verschiedener Ethnien. 16 Kalkbreite Die Zürcher Bau- und Wohngenossenschaft ging u.a. aus den Aktivitäten von engagierten Quartierbewohner_innen hervor, die ihr erstes Bauprojekt auf dem Kalkbreite-Areal, das zuvor sieben Jahre lang besetzt war, in einem breiten partizipatorischen Prozess entwickelte. Formuliertes Ziel ist ein gemeinschaftliches und ökologisches Zusammenleben und die Unterstützung von alternativen Familienformen durch neue Wohnmodelle. Die Eröffnung des Neubaus der Wohn- und Gewerbesiedlung fand 2014 statt. Das zweite Bauprojekt „Zollhaus“ ist in Planung und soll 2020 bezogen werden. 17 Elbphilharmonie Das Konzerthaus Elbphilharmonie in der HafenCity Hamburg ist seit 2007 im Bau und gilt wegen massiven Kostensteigerungen und starker zeitlicher Verzögerung heute
als Skandalprojekt. 2013 verkündet der Bürgermeister Hamburgs, dass der Kostenumfang des Projektes für die Steuerzahler_innen insgesamt 780 Millionen Euro beträgt. Die Fertigstellung des Gebäudes war vorerst für das Jahr 2010 geplant, stattdessen fand in jenem Jahr nach dreijähriger Bauzeit das Richtfest statt, wobei die Abnahme 2016 erfolgen und die Eröffnung im Jahr 2017 gefeiert werden soll. 18 Tung Chung Yat Tung Estate Hochpreisiger Wohnraum nahe des Hongkong Airport auf Lantau Island. 19 Toni-Areal Das Toni Areal ist ein Gebäudekomplex in Zürich-West, dem ehemaligen Industriegebiet Zürichs. 1977 wurde nach einer fünfjährigen Bauzeit die Toni- Molkerei (später Swiss Dairy Food) eröffnet, der damals europaweit der grösste Milchverarbeitungsbetrieb. 1999 wurde die Toni-Molkerei stillgelegt und 2000 an einen anderen Standort verlegt. Nachdem die Zürcher Kantonalbank als neue Eigentümerin einen Bürokomplex bauen wollte, diesen Plan jedoch später fallen liess, gab sie das Areal zur kulturellen Zwischennutzung frei. 2005 fiel der Beschluss, das Toni-Areal als Campus zu nutzen und 2011 begann der definitive Umbau – geplant vom Zürcher Architekturbüro EM2N und durchgeführt von der Generalunternehmung Allreal. Neben dem Campus enthält der Komplex 90 Wohnungen zu hohen Mietpreisen. Mit einer baulichen Verzögerung von einem Jahr sind im Sommer 2014 die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) sowie die Departemente Soziale Arbeit und Angewandte Psychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in das Gebäude eingezogen. 20 Übersee-Boulevard Die HafenCity ist ein geplanter Stadtteil von Hamburg, der bis 2020 einen grossen Teil des ehemaligen Freihafens einer neuen Nutzung zuführt. Der Überseeboulevard der HafenCity führt quer durch das Überseequartier, das nach der Fertigstellung Wohnraum für etwa 1000 Personen und 7000 Arbeitsplätze bietet. Die Nutzung wird vielseitig sein und neben Wohnungen in allen Preissegmenten auch Sozialwohnungen, Flagshipstores, einem Science Center, Aquarium und Filialen internationaler Firmen Raum bieten.
21 Europaallee Die Europaallee im Stadtzentrum Zürichs ist ein städtebauliches Grossprojekt, das über und neben den Gleisen der Liegenschaften der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) kommerzielle Nutzungen vorsieht. Die Planung des neuen Stadtteils Europaallee begann bereits im Jahr 1995 und umfasst Einkaufspassagen, die Pädagogische Hochschule Zürich und mehrere Bürokomplexe. Diese konnten bereits seit 2015 bezogen werden. Bis 2020 entstehen auf dem zur Europaallee gehörigen Areal rund 400 Eigentums- und Mietwohnungen, ein Hotel, ein Kino sowie ein Alterswohnungsprojekt. Die Planungen wurden von Anfang an von Kritik begleitet. Trotzdem wurde das Projekt in einer Volksabstimmung 2006 von der Mehrheit der Zürcher Stimmbürger_innen angenommen. 22 M+ Museum M+ ist das neue Museum für visuelle Kultur in Hongkong. Es versteht sich als Teil des West Kowloon Cultural District und setzt seinen Fokus auf chinesische Gegenwartskunst. Das von Herzog & de Meuron entworfene Gebäude liegt direkt am Victoria Harbour und soll 2019 eröffnet werden.
3. Glossar A Auroville Auroville wurde 1968 in Südostindien, in der Nähe von Puducherry, als Idee einer „universalen, internationalen“ Stadt, die frei von von politischen, religiösen oder hierarchischen Strukturen ist, gegründet. Sie basiert auf der Gesellschaftstheorie des indischen Philosophen und Yogi Sri Aurobindo. Seine spirituelle Gefährtin und Auroville Begründerin Mirra Afassa entwarf die futuristische Stadt, die keinem Staat und keiner Regierung verpflichtet sein soll, mit einem Architekten in Form einer Spiralgalaxie in deren Zentrum der goldene kugelförmige Meditationsraum Matrimandir steht. Derzeit leben mehr als 2000 Menschen aus über 40 Nationen in der u.a. von der UNESCO unterstützten Experimentalstadt, die eine Fläche von ca. 20 km² umfasst. Angelegt ist das Projekt zur Realisierung einer Stadtutopie für 50000 Einwohner_innen, die dort mit neuen Wohn- und Lebensbedingungen experimentieren und neue Formen des sozialen Zusammenlebens entwickeln. Als „Zentrum für die Erforschung der menschlichen Einheit“ widmet sich Auroville der Untersuchung von kulturellen, ökologischen, sozialen und spirituellen Bedürfnissen der Menschen. B Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) Konzept, nach dem jede_r Bürger_in eines Landes ein staatlich finanziertes Einkommen erhält, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Die finanzielle Zuwendung ist dabei für alle gleich, unabhängig von der wirtschaftlichen Lage der Person. Sozialbezüge entfallen bis auf Ausnahmen. Das BGE soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen. Das bedingungslose Grundeinkommen wird heute in vielen Ländern unter unterschiedlichen Bezeichnungen kontrovers diskutiert. Befürworter_innen argumentieren, dass das BGE u.a. die Voraussetzung zur individuellen Freiheit und
Selbstverwirklichung schafft. Zusätzlich würden soziales Engagement und andere nicht als Erwerbsarbeit entlohnte Tätigkeiten honoriert. Zum ökonomischen Ansatz gehört die Überlegung, dass in der modernen Wohlfahrtsgesellschaft bereits heute über die Hälfte der Bevölkerung vom Einkommen anderer oder von Sozialleistungen abhängig sind. Dazu sinkt der Bedarf an Arbeitskräften durch Rationalisierungsprozesse stetig. Besetzung Unter einer Besetzung (bspw. Hausbesetzungen, Platzbesetzungen oder Grundstücksbesetzungen/Squatting (engl. Squatter „Besetzer“, von squat „hinhocken“) versteht man eine kurzzeitige oder dauerhafte Besitznahme fremden Eigentums. Sie wird ohne die Zustimmung des jeweiligen Eigentümers bzw. Besitzberechtigten als rechtswidrige Störung aufgefasst und ist strafbar. Besetzungen sind meist politisch motiviert und gewaltfrei. In seltenen Fällen kann aus einer Besetzung unter bestimmten Konditionen eine dauerhafte Einrichtung geschaffen werden. Bolo'bolo Vom Schweizer Autor mit dem Pseudonym P.M. 1983 verfasster Entwurf einer Utopie. Er beschreibt eine Gesellschaftsordnung ohne übergeordnete Strukturen, die nur noch aus selbstverwalteten Organisationseinheiten bis 500 Personen bestehen (Bolo). Jedes dieser Bolos könne seine Ausrichtung und Gestaltung selbst bestimmen, solange gewisse Grundsätze (z.B. das Gastrecht oder das Höchstmass privaten Eigentums) gewahrt bleiben. Da keine einheitliche Sprache besteht, kreierte P.M. ein Set von Begriffen, die keinerlei sprachliche Vorbelastung haben und es so allen ermöglichen könnte, miteinander über die essenziellsten Dinge in Austausch zu treten, auch wenn man über keine gemeinsame Sprache verfügt. Weitere wichtige Aspekte sind das Selbstversorgertum, Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung sowie der vertraglich geregelte Austausch zwischen den Bolos und Individuen. Brache Eine Brache beschreibt ein aus wirtschaftlichen, regenerativen oder anderen Gründen unbestelltes Grundstück (Acker oder Wiese), wobei jede Kulturlandschaft, also grundsätzlich Landschaft die dauerhaft vom Menschen geprägt ist, als „brach liegend“
bezeichnet werden kann. Unter Kulturbrachen fallen neben landwirtschaftlichen Brachen, auch Industrie- oder Gewerbebrachen. Grob unterscheidet man zwischen Kulturbrache, Brachland, unbestellbarem Ödland und unproduktiver Fläche. C Commons Englischer Begriff für Gemeingüter, die sich nicht in den kapitalistischen Verwertungsprozess einbinden lassen, wie z.B. Regen oder Sonnenlicht, aber auch kulturelle Errungenschaften wie ein bestimmtes Wissen. “Das Gemeinsame, das Kommune, ist zunächst einmal der Name für den gemeinsamen Reichtum der materiellen Welt – die Luft, das Wasser, die Früchte der Erde und die Schätze der Natur –, also für etwas, von dem in klassischen politischen Texten der europäischen Tradition häufig gesagt wird, es gehöre zum Erbe der gesamten Menschheit, auf dass alle daran teilhaben. Das Gemeinsame bezeichnet nach unsere Verständnis darüber hinaus und wichtiger noch all jene Ergebnisse gesellschaftlicher Produktion, die für die soziale Interaktion ebenso wie für die weitergehende (Re-)Produktion erforderlich sind, also Wissensformen, Sprachen, Codes, Information, Affekte und so weiter.” (Hardt, Michael; Negri, Antonio: Common Wealth. Frankfurt am Main, 2010. S. 9f.) D Dystopie (gr. dys-: schlecht und topos: Platz, Stelle) Dystopie ist ein Gegenbild zur positiven Utopie, der Eutopie. Synonym zum Begriff werden auch Anti-Utopie, negative Utopie, schwarze Utopie oder Gegenutopie verwendet. Dystopische Literatur wird vor allem seit dem 19. Jahrhundert verfasst und bezeichnet fiktionale, in der Zukunft handelnde Erzählungen mit einem negativen Ausgang. Obwohl es schon immer Gegner_innen von Naturwissenschaften und technologischem Fortschritt gab, hatten sie erst im Zuge der industriellen Revolution Grund diese anzugreifen, als ihre Befürchtungen von der Realität eingeholt wurden. Die erste Verwendung des Begriffs wird John Stuart Mill zugeschrieben, der den
Begriff als Gegenentwurf zu Thomas Morus’ Utopia prägte und darüber hinaus einen Ort meinte, an dem es im weitesten Sinne schlecht um die Dinge bestellt ist. E F Fourier, Charles (1772–1836) Frühsozialistischer Gesellschaftstheoretiker, Reformer und Utopist. Fourier beschäftigte sich intensiv mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und wird heute als Vater des Begriffs Feminismus bezeichnet. Er forderte ausserdem das bedingungslose Grundeinkommen („Die falsche Industrie“) als Recht auf Versorgung jedes Menschen einer Gesellschaft mit dem Lebensnotwendigen, da in der Zivilisation das existenzsichernde „erste Naturrecht“ auf Jagen, Sammeln, Fischen und Weiden verloren gegangen sei. Mit seinen Ideen dazu beeinflusste er den Philosophen John Stuart Mill. G Gentrifizierung (engl. gentry: niederer Adel) Bezeichnet langfristige Prozesse der Stadtentwicklung, die meist nach dem selben Schema ablaufen: Ein Stadtteil, der hauptsächlich von einkommensschwachen Schichten bewohnt wird, wird durch Kulturakteure, die auf günstige Arbeitsräume angewiesen sind, zum Szeneviertel, was es wiederum für Investoren interessant macht, dort zu investieren. Durch deren “Aufwertungen” werden die zuvor ansässigen Bevölkerungsgruppen, die sich die neuen Preise nicht mehr leisten können, verdrängt. Dabei verändert sich die soziale Zusammensetzung mehrmals drastisch, was mitunter sehr konfliktreich sein kann. George, Henry (1839–1897) Der US-amerikanische politische Ökonom war der einflussreichste Verfechter der Einheitssteuer auf Landsitz, wozu er eigens ein neues Steuersystem entwickelte. Diese Forderung ging aus seinem Grundgedanken hervor, dass Boden und Rohstoffe Gaben
der Natur seien und sie nicht durch menschliche Arbeit erzeugt oder vermehrt werden können, folglich sollten alle Menschen das gleiche Recht auf den Boden und seine Schätze haben. Sein erfolgreichstes Werk Progress and Poverty (Fortschritt und Armut), das 1879 erschien, wurde zum Bestseller und machte ihn international bekannt. 1886 kandidierte George als Bürgermeister in New York. Seine erklärten Ziele waren u.a. die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern und die Einführung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Nach ihm ist die Philosophie Georgism benannt, nach der alle in der Natur vorgefundenen Güter, insbesondere Land, allen Menschen zu gleichen Teilen gehören sollten. H Hausbesetzung Als Hausbesetzung wird die Inbesitznahme eines fremden und ungenutzten bzw. leerstehenden Gebäudes bezeichnet. Dieser Akt der Aneignung hat seit den 70er Jahren eine lange Geschichte innerhalb Europas. Hausbesetzungen sind rechtswidrig und werden nur in seltenen Fällen geduldet, wobei die Bewohner_innen mit den Eigentümer_innen meist Duldungs-, Miet- oder Nutzungsverträge abgeschlossen haben. Einige Mietverhältnisse sind nicht formell legalisiert, diese haben dann jedoch einen inoffiziellen Status durch Duldung. In der Schweiz haben besetzte Häuser häufig einen „Gebrauchsleihvertrag“, durch diesen ist den Eigentümer_innen zugesichert, dass die Haubesetzer_innen Strom und Wasser bezahlen. Beweggründe für Hausbesetzungen können mangelnder oder zu teurer Wohnraum oder Raum für soziale oder kulturelle Veranstaltungen sein. Ein weiteres Motiv besteht in dem Protest gegen steigende Mietpreise und spekulativen Leerstand. Heterotopie (gr. hetero: anders und topos: Ort) Foucault beschreibt in einem kurzen, eher literarischen Text von 1967 eine Konzeption "anderer Orte". Damit beschreibt er all die Orte einer Gesellschaft als Heterotopien, die sich als real gewordene Utopien (also Nicht-Orte) verstehen lassen. Die realen Orte werden so in den Heterotopien „zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins
Gegenteil verkehrt.“ Über sechs Grundsätze hinweg definiert er deren Besonderheiten. So gäbe es 1. keine Kultur, die nicht die ihr entsprechenden Heterotopien hervorbrächte. Weiter beschreibt er 2. die Veränderbarkeit der Heterotopien über die Geschichte hinweg und dass immer wieder neue entstehen würden. Er führt 3. an, dass Heterotopien die Fähigkeit hätten, auch im Allgemeinen miteinander unverträgliche reale Orte nebeneinander zu stellen. 4. würden Heterotopien nach einer anderen Zeitlichkeit funktionieren und meist in Verbindung mit zeitlichen Brüchen stehen. Des Weiteren würden Heterotopien 5. ein (meist rituelles) System der Öffnung und Schliessung voraussetzen. 6. verfügten Heterotopien über einen speziellen Bezug zum übrigen Raum, der sich meist zwischen zwei extremen Polen bewege. Beispiele für Heterotopien sind der Friedhof, das Freudenhaus, das Gefängnis, der Garten, die psychiatrische Anstalt, das Museum, die Bibliothek, das Theater, das Schiff. (Foucault, Michel: Dits et Ecrits. Schriften in vier Bänden. Frankfurt am Main, 2005. S. 931–942) Holzschuh Der Holzschuh ist das Symbol für Sabotage. Der Ursprung des Begriffs ist nicht genau geklärt. Als sicher gilt, dass das Wort Sabotage vom französischen sabot (Holzschuh) abstammt und der Begriff im 19. Jahrhundert in der französischen Arbeiterbewegung als Mittel des Arbeiter-, bzw. Klassenkampfs diskutiert wurde und im französischen Eisenbahnerstreik 1910 international Bekanntheit erlangte. Zudem beruht der Begriff vermutlich darauf, dass die Holzschuhe von den Arbeiter_innen in die Fabrik- und Erntemaschinen geworfen wurden um bis zur Reparatur nicht mehr zu arbeiten und so Druck auszuüben. Von den Anarchisten wurde der Holzschuh im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts symbolisch im Kampf um den 8-Stunden-Tag benutzt. I J
K Konsensprinzip Das Konsensprinzip ist eine Form der Entscheidungsfindung innerhalb einer Gruppe, bei der es keine Gegenstimme gibt. Es unterscheidet sich hier wesentlich von dem Prinzip der Mehrheit. Für eine Konsensentscheidung ist allerdings keine allgemeine Zustimmung notwendig, vielmehr werden alle Einzelstimmen gleichwertig gewichtet. Somit erfordert das Konsensprinzip die Diskussion über Entscheidungen. Falls alle mit dem Entscheid einverstanden sind, wird dieser auch von allen getragen. L The Landlord’s Game Das Brettspiel, das seine Erfinderin Elizabeth J. Magie 1904 patentieren liess, ist die Grundlage des heute weltweit bekannten Spiels Monopoly. Die feministische Quäkerin und Anhängerin des Ökonomen Henry George hatte The Landlord’s Game entwickelt, um dessen wirtschaftspolitischen Theorien einer breiten Bevölkerung zu vermitteln. Es sollte eine praktische Demonstration sein, wie monopolistischer Landbesitz die Verarmung der Landbevölkerung verursacht. So ging es in der Hauptsache darum, Land zu kaufen und mit der Pacht Geld zu verdienen, bis die anderen pleite waren. Auch das quadratische Design des Spielbretts ähnelte schon demjenigen des späteren Monopoly. Verbreitung fand das Spiel vor allem über Mundpropaganda, meist durch leicht veränderte selbst gemachte Einzelausgaben. Eine dieser modifizierten Versionen verkaufte Charles Darrow 1935 als Patent an die Firma Parker Brothers, die das Spiel als Monopoly herausbrachte. Während Darrow jahrelang als der Urheber galt, geriet Elizabeth J. Magie in Vergessenheit. Erst während eines jahrelangen Rechtsstreits in den 1970er Jahren um die Markenrechte an dem Namen Monopoly zwischen Parker Brothers und dem US- amerikanischen Professor Ralph Anspach, der das Brettspiel Anti-Monopoly entwickelte, wurde auch Magies Geschichte aufgerollt und sie als eigentliche Erfinderin von Monopoly öffentlich bekannt.
M Magie Phillips, Elizabeth (1866 – 1948) Die Quäkerin und Spielerfinderin wurde als Elizabeth J. Magie geboren. Sie arbeitete u.a. auch als Stenografin und Journalistin. Die Anhängerin des Ökonomen Henry George ist die Erfinderin des Brettspiels The Landlord’s Game, das sie 1904 patentieren liess. Das Spiel war als Kapitalismuskritik gedacht, mit dem Magie zeigen wollte, wie monopolistischer Landbesitz die Verarmung der Landbevölkerung verursacht. Es ist die Grundlage des heute weltweit bekannten Spiels Monopoly. Migration (lat. migratio: (Aus-)Wanderung, Umzug) Im Bezug auf Personenbewegungen wird damit das Verlassen des Ursprungslandes und ein dauerhafter Wohnortwechsel bezeichnet. Findet dieser innerhalb einer Nation oder eines anderweitig definierten Gebiets statt, wird auch von Binnenmigration gesprochen. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der Flucht aus Krisengebieten über den Verlust der Existenzgrundlage bis zur Suche eines besseren Lebens. In der ökonomisch motivierten Migrationsforschung wird von „Push- und Pull-Faktoren“ gesprochen. Push-Faktoren umfassen so ökonomische (Arbeitslosigkeit...), gesellschaftliche (Armut, Diskriminierung...), politische (Unruhen, Verfolgung...) und demografische Grössen (Überbevölkerung...) sowie Umweltprobleme (Dürre, Überschwemmungen...). Auf der Gegenseite gehören zu den Pull-Faktoren Sicherheit, Toleranz, eine gute Konjunktur und Raumplanung sowie die Anerkennung von (illegalen) Einwanderern in den Zielstaaten. In vielen Europäischen Ländern wird gewissen Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund mit grosser Skepsis und teils offener Ablehnung begegnet. Diese Ablehnung trifft jedoch nicht immer dieselben Gruppen, was heisst, dass nicht die Gruppe selbst Ablehnung hervorruft, sondern vielmehr deren Stellung in der Gesellschaft. Gerade in letzter Zeit ist ein starker Anstieg der Äusserungen und Gewalt gegen Migrierende zu beobachten.
Mill, John Stuart (1806–1873) Der englische Philosoph und Ökonom gilt als einer der einflussreichsten liberalen Denker des 19. Jahrhunderts. Er prägte den Begriff Dystopia. Damit beschreibt er eine pessimistische Zukunftsvision in Philosophie und Literatur als Gegenentwurf zur Utopie. Multitude Ein auf Spinoza zurückgehender Begriff, der eine Menge, Vielheit, Vielfalt von Personen, Subjektivitäten, „Singularitäten“ bezeichnet und von Antonio Negri und Michael Hardt in ihrem Buch Empire (2000) wieder aufgegriffen wurde. Er soll vereinheitlichenden, identitären und ideologisch geladenen Begriffen wie “Volk” oder “Arbeiterklasse” entgegenstehen und die netzwerkartigen Assoziationen von Subjektivitäten hervorstreichen. N O P Phalanstère Das Phalanstère ist die von dem frühsozialistischen französischen Gesellschaftstheoretiker und Utopisten Charles Fourier (1772–1836) beschriebene Idee eine Produktions- und Wohngenossenschaft. Diese Gemeinschaft (Phalanx) sollte im Idealfall aus maximal 1800 Mitgliedern bestehen, die dort gemeinsam leben, arbeiten, konsumieren und nicht zuletzt lieben sollten. Die freie Liebe war Bestandteil des Konzepts, das sich baulich am Grundriss von Schloss Versailles orientierte. Die von Fourier als Miniaturstadt bezeichneten Phalanstères boten Räume mit öffentlichen Funktionen, einen Speisesaal, eine Bibliothek, einen Wintergarten, Werkstätten und eine Herberge. Nur durch den Bruch mit den überkommenen bürgerlichen Siedlungs- und Wohnstrukturen konnten nach Fourier die utopischen Gemeinschaften entstehen, in denen sich alle individuell entfalten können sollten. Die kleinbürgerlichen Einfamilienhäuser an den Stadträndern waren für den Feministen Orte des Ausschlusses und der Unterdrückung der Frauen.
Polis (altgr. pólis: Stadt oder Staat) Die Gemeinschaft der Menschen lebt nicht nur in der Stadt, sie ist selbst die Stadt. Die gebaute Stadt ist nur die kristalline Hülle oder fragmentiertes Abbild des Lebensorganismus Stadt, der sich dadurch definiert, einen Raum ausserhalb der Natur aufzuspannen. Wenn man sich eine Differenz zwischen altgriechischem und neuzeitlichem Stadtverständnis vor Augen führen will, kann man sich eine Stadt vorstellen, deren ökonomisches, soziales und kultisches Zentrum auf dem höchsten Punkt eines Hügels liegt und eine zweite, in der sich diese Zentrumsfunktionen eher im Tal befinden. Q R Recht auf Stadt Laut David Harvey, zwar ein leerer Signifikant, der jedoch oft missbraucht würde und ein vernachlässigtes Menschenrecht darstelle, die eigene Umwelt mitzugestalten. Er greift damit einen Begriff von Henri Lefebvre wieder auf, den dieser in den 1960er Jahren geprägt hat und der seit einer Dekade wieder in linken Bewegungen kursiert. “Das Recht auf Stadt … zu beanspruchen … bedeutet, grundsätzlich und radikal die Macht einzufordern, Urbanisierungsprozesse zu gestalten und mit zu entscheiden, wenn es darum geht auf welche Art und Weise unsere Städte erschaffen und erneuert werden sollen.” (Harvey, David: Rebellische Städte. Berlin, 2013. S. 29) S Saint-Imier (dt. Sankt Immer) Saint-Imier ist eine Gemeinde im Berner Jura auf 820 m.ü.M. in der Schweiz. In einem Gasthof wurde hier am 15./16. September 1872 die erste Antiautoritäre Internationale (auch Saint-Imier Internationale) gegründet. Sie formierte sich aus antiautoritären und kollektivistischen Sektionen und Föderationen der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) als Reaktion auf die von Karl Marx initiierte Internationale, die sie als autoritär kritisierten. Während des zweitägigen Gegenkongresses
beschlossen die Delegierten die Zerstörung aller Herrschaftsstrukturen und die Anarchie als Ziel. Der letzte Kongress der antiautoritären Internationale fand 1877 in Veviers statt, danach hörte sie faktisch zu existieren auf. Soziales Kapital (nach Pierre Bourdieu) Kapital ist akkumulierte Arbeit. Dieser Annahme folgend erweitert Bourdieu den bislang ökonomisch besetzten Begriff um drei weitere Kapitalsorten: Das kulturelle, soziale und symbolische Kapital. Die Sorten sind ineinander umwandelbar, dies jedoch nicht ohne Transaktionskosten (um z.B. in einem Studium kulturelles Kapital zu erwerben, muss Zeit und ökonomisches Kapital aufgewendet werden). Das soziale Kapital bezeichnet „alle Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit einer Gruppe beruhen.“ (S. 63) Es hänge direkt von der Ausdehnung des Netzes an mobilisierbaren Beziehungen ab und über welche Anteile an ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital diese verfügten. So bietet die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, einem Club oder einer Familie immer auch die Vorzüge und Privilegien dieser Zugehörigkeit. Diese gehen von Anerkennung, Respekt und Freundschaft über Rechtsansprüche und Titel bis hin zu finanziellen Mitteln. Damit sind alle Kapitalsorten mit dem sozialen verknüpft. (Bourdieu, Pierre: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg, 1997. S. 497–9) Stadt (althochdeutsch stat: Standort, Stätte) Siedlungsverdichtungen an wichtigen Verkehrsschnittpunkten. Auch wenn viele Flächen in Städten privatisiert sind, stellen sie doch Orte des Gemeinsamen dar, da sie nur durch das Zusammenwirken vieler (re-)produzierbar sind. “Für Negri und Hardt ist ‚die Metropole … sozusagen eine Fabrik zur Produktion des Gemeinsamen.’“ (Zitat Negri, Hardt nach Harvey, David: Rebellische Städte. Berlin, 2013. S. 127)
T Thoreau, Henry David (1817–1862) Der US-amerikanische Schriftsteller und Philosoph ist der Namensgeber des zivilen Ungehorsams. Auslöser war eine Nacht, die Thoreau im Gefängnis verbringen musste, weil er sich weigerte seine Kopfsteuer zu bezahlen und damit die Regierung, die Skalverei und den Krieg unterstütze. Über die Gründe seiner Zahlungsverweigerung begann er Vorträge zu halten und fasste diese schliesslich 1849 in einem Essay zusammen, der unter dem Titel Civil Disobedience (dt. Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat) bekannt wurde. 1845 lebte Thoreau zwei Jahre lang in einer selbsterbauten Blockhütte in der Nähe von Concord am Walden-See. Dabei ging es ihm um den Versuch, einen alternativen Lebenstil zu verwirklichen. In seinem Buch Walden. Oder das Leben in den Wäldern (1854) beschreibt er sein einfaches Leben in der Natur und geht auch auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen ein. Thoreaus Werke dienten u.a. Mahatma Gandhi und Martin Luther als Inspiration, ebenso wie der Naturschutzbewegung und der 68er-Generation im 20. Jahrhundert. Turm zu Babel Der Turmbau zu Babel ist eine biblische Erzählung aus dem Alten Testament. Darin bauen die Babylonier einen Turm, der bis zu Gott reichen sollte. Doch dieser bestrafte des Menschen Übermut und brachte das ambitionierte Werk zum Stillstand, indem er ihre Sprache verwirrte und sie sich nicht mehr verständigen konnten. Der Bau wurde abgebrochen und die Menschen zerstreuten sich auf der ganzen Erde. Die Existenz eines Turms in Babylon wurde 1913 archäologisch nachgewiesen. Heute sind die Worte „Turmbau zu Babel“ ein Ausdruck von Grössenwahn und Überheblichkeit der Menschen. U Utopia (Roman) Utopia ist der Titel des 1516 veröffentlichten philosophischen Dialogs des Engländers Thomas Morus. Seine Beschreibung einer fernen, „idealen“ Gesellschaft auf der erdachten Insel Utopia zählt zu den ersten neuzeitlichen Sozialutopien. Der abgeleitete
Begriff Utopie wurde zum übergeordneten Gattungsbegriff für fiktive Staats- und Gesellschaftsentwürfe. Im Buch berichtet ein portugiesischer Seefahrer über die Zustände auf der entlegenen Insel Utopia (griech. nirgendwo) auf der eine weitgehend demokratische Gesellschaft lebt, die Geld und Privateigentum abgeschafft hat. Die vernünftigen und glücklichen Menschen können sich dort mit nur sechs Stunden Arbeit am Tag versorgen. Dahinter steht die Idee, dass erst die Not die Menschen schlecht macht und jede Gesellschaft allen angemessene Lebensbedingungen ermöglichen muss. Neben der fiktiven Erzählung kritisiert Morus in seinem Buch die englischen Verhältnisse und reagiert damit auf die Phänomene seiner Zeit. Utopie („Nicht-Ort“ von altgr. ou-: nicht- und tópos: Ort, Stelle, Land) Der Begriff ist abgeleitet von Thomas Moru's Roman Utopia (1516) und bezeichnet die literarischen, soziologischen oder philosophischen vom Wunschdenken geprägten Entwürfe einer idealen Gesellschaft, die sich in der Realität nicht umsetzen lassen. Nach dem Utopieforscher Arno Waschkuhn verfolgen Utopien nicht die Erreichung ihrer selbst, sondern die Anregung zur Kritik an bestimmten bestehenden gesellschaftlichen Zuständen. Unter anderem sieht Theodor W. Adorno utopische Intentionen als menschliche Eigenschaft, die daher in jeder kulturellen Ausdrucksform zu finden sind. V W X Y
Z Zwischennutzung Als Zwischennutzung wird eine zeitlich befristete Übergangsnutzung von brachliegenden Räumen oder Flächen beschrieben. Sie folgt dem Prinzip: „Günstiger Raum gegen befristete Nutzung“. Zwischennutzer_innen können meist zu guten Konditionen eigene Ideen umsetzen und erproben, wobei mit einer geringen Chance zur Verstetigung des Probevorhabens zu rechnen ist. Gleichzeitig müssen sie auf eine längerfristige Planungs- und Standortsicherheit verzichten. Die Eigentümer_innen beziehen ebenfalls einige Vorteile aus einer Zwischennutzung: Die Beaufsichtigung der baulichen Anlage, die Vermeidung von Vandalismus, Leerstand oder Besetzung, geringe Investitionen für die Instandhaltung der Anlage, immerhin eine geringe Rendite, Aufwertung der Räume und Flächen und mögliche Wertsteigerung.
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