UZH magazin Nr. 2/2020 Die Wissenschaftszeitschrift
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Nr. 2/2020 UZHmagazin Die Wissenschaftszeitschrift Welt aus den Fugen Was wir aus Krisen lernen — 3 0 ausserdem: Gewebe aus der Schwerelosigkeit — 10 Asger Jorns Kalbskopfthesen — 16 Hegel: Alles oder nichts — 65 Articles in English: www.magazin.uzh.ch/en
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E D ITO R IA L Resilienz, Solidarität und Neues lernen D as Coronavirus hat die Welt aus den Matthieu Leimgruber, «doch sie befreien die Fugen gebracht. Vieles, was uns selbst Menschen vor der Angst um die Zukunft.» verständlich erschien, wird in Frage Zusammenarbeit – eine Pandemie lässt sich gestellt. Der unscheinbare Keim ist eine existen nur erfolgreich bewältigen, wenn alle zusammen zielle Bedrohung für uns geworden – für spannen, Politik, Forschung und Gesellschaft. Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft. Die Bisher fällt hier die Bilanz durchzogen aus. For Welt befindet sind im Krisenmodus. Im Dossier schende aus aller Welt arbeiten momentan in dieses UZH Magazin wollen wir die aktuelle bisher noch nie gekanntem Ausmass zusammen, Krise nicht nur als Störung und Bedrohung des um das Virus zu erforschen, Behandlungsmetho Bewährten und Bekannten betrachten, sondern den zu verbessern und einen Impfstoff zu entwi auch als Wendepunkt. Wir stehen vor der Frage: ckeln. Das ist erfreulich. Gesellschaftlich waren Wie weiter? Was können wir aus Krisen wie der wir bisher erstaunlich solidarisch, obwohl das aktuellen lernen? nicht selbstverständlich ist. Denn solidarisch zu Bei unseren Gesprächen mit Forschenden sein, ist kognitiv anspruchsvoll, sagt der Psycho der UZH haben sich drei Themen herauskristalli loge Johannes Ullrich, und es widerspricht siert: Resilienz, Zusammenarbeit und Neues unserer Neigung zum Eigennutz. lernen. Resilienz – die Krise stellt unsere Wider Schlechte Noten hingegen bekommt die standsfähigkeit auf die Probe, individuell und als internationale Zusammenarbeit der Politik. Die Gemeinschaft. Die Psychologin Ulrike Ehlert und meisten Staaten setzen bei der Krisenbewälti der Theologe Thomas Schlag wissen, was uns in gung weitgehend auf nationale Alleingänge. Dabei lässt sich eine globale Pandemie nur gemeinsam bekämpfen. Das wäre etwa die Aufgabe der Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese bemüht sich redlich, doch sie wird zum Teil gezielt geschwächt, etwa wenn die USA den Geldhahn zudrehen. Schliesslich verpflichtet uns die Corona- Krise dazu, Neues zu lernen. Das gilt zuerst für die Biologie des Virus und seine Wirkung. Das wurde bei vergangenen Pandemien wie etwa Sars 2003 zu wenig getan, kritisiert der Epidemio Optimismus macht widerstandsfähig: Ulrike Ehlert. loge Milo Puhan, «diese Informationen fehlen uns heute». Puhan leitet eine grosse Studie, die solchen Momenten stark macht. Zu den persönli die Ausbreitung des Coronavirus in der Schweiz chen Energiequellen gehören: Optimismus, untersucht und wichtige Informationen für den Selbstwirksamkeit, Glaube und Spiritualität. Sie Ausstieg aus dem Lockdown liefern soll. helfen uns, Widrigkeiten besser zu bewältigen. Zu den Lehren der Corona-Pandemie Voraussetzung dafür ist die radikale Akzeptanz gehört, dass wir uns in Zukunft mehr Gedanken der Probleme. Wir müssen uns Schwierigkeiten über die Zukunft machen sollten. Konkret stellen und einen Umgang damit finden. müssen wir Szenarien für künftige Krisen entwi Wie wir gerade sehen, können auch Staaten ckeln und Massnahmen dagegen. «Vielleicht und Gesellschaften mehr oder weniger krisen braucht es einen Stab von Science-Fiction- Ti telbi ld: Yve s Noyau; Bild ob en: zvg resistent sein. Besser durch die Krise kommen Autoren», sagt der Ökonom Joachim Voth, «die Länder, die gut organisiert sind und über darüber nachdenken, was in Zukunft alles leistungsfähige Sozialwerke verfügen, die die passieren könnte.» Menschen unterstützen, wie beispielsweise die Schweiz oder Deutschland. «Unsere sozialen Wir wünschen eine anregende Lektüre, Institutionen kosten etwas», sagt der Historiker Thomas Gull und Roger Nickl UZH magazin 2 /2 0 3
UZHmagazin — Nr. 2 / Juni 2 0 2 0 D OS S I ER Welt aus den Fuge Was wir aus Krisen lernen — 3 0 Resiliente Staaten, Optimisten 10 und Zukunftsvisionäre: Im Dossier zeigen wir, wie wir MED IZ I N Krisen bewältigen und was wir Knochen aus dem Weltall — 10 daraus lernen können. Oliver Ullrich versucht in der Schwerelosigkeit Gewebe zu züchten. Deshalb hat er Proben mit Stammzellen zur Raumstation ISS geschickt. Hochgradig ansteckend: Yves Noyaus Illustrationen L ITER ATU RWISSE NS C H A F T kommentieren mit Witz und Geräuchte Standpauken — 16 Schärfe die Corona-Krise und ihre Auswüchse. N E U RO Ö KO N OMI E Geben macht glücklich — 21 P HYS IO LO GI E Mütterlicher Zaubertrank — 24 Ignorante Online-Nutzer — 2 8 Weniger Stress trotz Krise — 2 8 Krebsmedikamente zu teuer — 2 9 Mangelnde Nahrung für Bienen — 2 9 ARTICLES IN ENGLISH: Find a selection of articles of this issue on: www.magazin.uzh.ch/en 4 UZH magazin 2 / 20 Bilder: PD, Yves Noyau, Stefan Walter
s en 54 I NTERVI EW — Epidemiologe Milo Puhan Immune Schweizer — 54 Milo Puhan untersucht, wie verbreitet die Immunität gegen das Coronavirus in der Schweiz ist. Das sind wichtige Informationen für den Ausstieg aus dem Lockdown. PORTR ÄT — Ökonomin Uschi Backes-Gellner Oft die Erste — 60 ES SAY — Philosoph Christoph Halbig Hegels Felsenmelodie — 65 RÜC KS PI EG EL — 6 B UC H FÜ RS L EB EN — 7 AUS D ER WER KZEUG K ISTE — 7 D R EIS PRU NG — 8 ER FU N D EN AN D ER UZH — 9 B ÜC H ER — 68 IM PR ES S UM — 69 UZH magazin 2 /2 0 5
und lernt, lag ein Sandhaufen, auf dem Tricks beschafft. Die Studierenden sich Studierende bei gemeinsamem liessen diesen auf den Namen eines «Sändele», Trommelspiel und Gesang Universitätsinstituts liefern; dies unter vergnügten und für eine kindergarten dem Vorwand, das Balzverhalten der ähnliche Atmosphäre sorgten. Was Wanderameisen studieren zu wollen. steckte hinter dieser skurrilen Szenerie? Die Protestaktion im Lichthof sorg Die Protestaktion wurde von der te für Ärger. Privatpersonen, die um die Arbeitsgruppe «Kindergarten» des FFU korrekte Verwendung der Steuergelder (Aktionskomitee für eine freie Uni) lan besorgt waren, machten ihrem Unmut ciert. Sie entstand im Zusammenhang in Briefen an Rektor Hilty Luft. Auch mit den Jugendunruhen, die in Zürich von Dozierenden und Studierenden durch den «Opernhauskrawall» keine wurde die Aktion kritisiert, da durch vier Wochen zuvor ausgelöst worden das Trommelspiel Lehrveranstaltungen waren. Die Aktion richtete sich insbe gestört wurden. Zum Streitpunkt wurde sondere gegen den damaligen Erzie auch die Frage, wer die Kosten der Ak «Sändele» aus Protest im Lichthof der UZH. hungsdirektor Alfred Gilgen, der die tion tragen müsse. Da das FFU dem Vorführung eines Opernhauskrawall- Verband Studierender an der Universi Videofilms des Ethnologischen Seminars tät (VSU) nahestand, wurde die Rech R ÜC KS P I E GE L — 1980 verboten hatte. Studierende des Semi nung für die Zuführung des Sandes an nars begleiteten und filmten als «teil den VSU weitergeleitet. Zusätzlich wurde Balzende nehmende Beobachter» die Proteste im Rahmen einer Lehrveranstaltung zum dem VSU auch eine Samstagsschicht des Reinigungsdienstes in Rechnung Wanderameisen Thema Jugendkultur. Durch das Vor führungsverbot fühlten sich die Studie gestellt, die notwendig war, um den Sand zu entfernen. Der VSU weigerte sich renden vom Erziehungsdirektor wie zunächst, die Rechnungen zu begleichen, Am 25. Juni 1980 bot der Lichthof im Kinder behandelt, deshalb wollten sie musste schlussendlich dann aber doch Hauptgebäude der Universität dem Be sich an diesem Tag auch wie solche auf für die Kosten der Protestaktion gera trachter ein wunderliches Bild. Wo man führen. Nebenbei bemerkt: Die drei destehen. sich für gewöhnlich begegnet, verpflegt Kubikmeter Sand wurden mithilfe eines Text: Sandra Morach, UZH-Archiv Die Gegenwart besser Ziel Matura verstehen Gymnasium | Sekundarschule A Mittelschulvorbereitung > www.nsz.ch ...von der 1. Sek bis zur Matura im Hochschulquartier Entdecken Sie den Alltag aus neuer Perspektive und bestellen Sie unser neuestes Magazin zum Thema «Existenz. Über das Leben in schwieriger Zeit» jetzt online: voegelekultur.ch Pfäffikon SZ VKZ_IM_UZHmag_94x126_RZ2.indd 1 13.05.20 12:30
BUC H FÜ RS LE B E N — Wolfgang Behr AUS D ER WER KZEUG K ISTE Ein Buch: Absurd! den Titel und 22 Dollar mit dem Bestellvermerk «second hand, but unused» an einen obskuren taiwane sischen Händler schickte, traf sechs Wochen später die Raubkopie ein. Meine ist rot mit goldener Schrift, Versteinerte Buchrücken und Frontcover fielen Kopffüssler bereits vor Jahrzehnten ab. Sie enthält nicht nur die wichtigsten 7773 chine Thomas Brühwiler, Sie sind Präparator am sischen Schriftzeichen, sondern auch Paläontologischen Institut und Museum der allerlei nützliche Tabellen und einen UZH. Was machen Sie genau? englischen Index, um klassisch-ge Unsere Arbeitsgruppe präpariert Ammo lehrt korrespondieren zu können. noideen, ausgestorbene Kopffüssler und Eine Liste, die ich noch immer Verwandte der Tintenfische, die aus der nur als experimentelle Poesie ver Trias stammen (vor 250–200 Millionen stehe, führt zum Beispiel die Korres Jahren). Forscher, die im Feld solche Fossi Mein Grossvater, die längste Zeit pondenzen der «28 Mondhäuser» auf, lien, die in der Regel im Kalkstein sind, seines Lebens blind, besass etwa in denen Jupiter sich auf seiner Jah gefunden haben, schicken sie zu uns ins 30 000 Bücher und führte mit seiner reswanderung durchs Firmament Labor und wir legen sie frei. Momentan Frau einen erbitterten Kampf um niederlässt: «1 ~ Mondhaus: Horn ~ arbeite ich mit Material aus Oman. Ablageplätze in einer eigentlich Element: Holz ~ Tier: Schuppendra geräumigen Münchner Wohnung. che ~ Längengrad 201'3'0 ~ Konstella Für Ihre Arbeit ist der Presslufthammer Kurz vor dem Tod liess er Stahlträger tion: Spica ζ, θ, ι Virgo». Im zweiten wichtig. Wann kommt er zum Einsatz? einziehen, damit die Fussböden unter Semester hatte der Chinesischdozent Andauernd. Die Sedimentgesteine, die im den Büchern hielten, die er nicht uns verschmitzt nahegelegt, bei jeder Labor eintreffen, sind entweder zu einem mehr lesen konnte. Ein Buch fürs Suche im «Mathews’» einen Punkt an grossen Teil bereits freigelegt und wir Leben: absurd! den Rand zu setzen. Manche der machen dann die Detailarbeit, oder das Auf die sprichwörtliche Insel Zeichen in meinem Raubdruck haben Fossil verbirgt sich noch ganz im Stein. Bei nähme ich wohl lieber einen kurbelbe über 50 Punkte und ich muss sie gröberen Arbeiten kommen Hammer oder triebenen Weltempfänger mit. Als Stu immer noch nachschlagen. Steinsäge zum Einsatz, aber ich arbeite dent in Nordostchina hatte ich einen Das zehnte Buch aus dem Trans vorwiegend mit dem Presslufthammer. von Sony, mit dem man im Frühling sib-Rucksack trage ich stets bei mir. 1989 eine Stunde am Tag knackend- Es ist das «Junior Woodchucks’ Guide Wie lange dauert eine paläontologische krächzend BBC und Voice of America book», das Tick, Trick und Track Präparation? empfangen konnte, umgeben von schon seit 1954 benutzen, als es Emil Das ist ganz unterschiedlich. Ich arbeite bis Freunden, die im volksrepublikani Erpel in Entenhausen wiederent zu einer Woche an einem Präparat. Hat der schen Informationsvakuum begierig deckte. Darin finden sich Antworten Panzer eines Fossils noch Stacheln, kann es lauschten, wie es mit dem Hunger auf alle Fragen, die man in Krisensi noch länger dauern, da ist Feinarbeit gefragt. streik auf dem Platz des Himmlischen tuationen stellt, aber nichts, was ein Friedens weiterging. Am 2. Juni ver pfiffiger Schüler sowieso wissen Welche Fähigkeiten braucht ein Präparator? schiffte ich einen Kubikmeter Bücher müsste. Jedenfalls viel mehr, als man Geduld und Präzision. Zudem ist drei nach Hamburg, in der Nacht, als die irgendwie ergoogeln kann: eine kurz dimensionale Vorstellungskraft von Vorteil: Panzer auf Peking zurollten, bestieg gefasste Morphosyntax der Sprache Man sollte voraussehen, wie das Fossil ich die Transsibirische Eisenbahn. Im von Atlantis, zum Beispiel, die Funk aufgebaut ist und wie es das Gestein Gepäck waren zehn Bücher für die tionstastenbelegung aller Betriebssys durchläuft. siebentägige Zugreise nach Moskau, teme seit Konrad Zuses Z3, der exakte Bilder: Oli via Heussl er, 19 80 (S eite 6); privat aber das Radio obendrauf! Wortlaut der jemals in Zürich ange Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit? Acht davon waren Romane, das legten Fieselschweifling-Fichen. Und Die Fossilien selber finde ich faszinierend. neunte steht auch heute in Armlänge natürlich: sagenhaft detaillierte Pan Es sind sehr schöne Objekte. Die Arbeit ist bereit: die 13. Auflage von «Mathews’ demie-Statistiken aller Länder aus für mich wie ein langsames Auspacken Chinese-English Dictionary» (Shang den Jahren 2021–25! eines Geschenks: Man weiss nicht recht, hai: China Inland Mission, 1931). Wolfgan Behr ist Professor für Sinologie an der UZH. was zum Vorschein kommt. Text: Raphael Borer Wenn man Mitte der 1980er-Jahre UZH magazin 2 /2 0 7
DR E IS P R U N G — Eine Frage, drei Antworten Was macht uns glücklich? 3 1 Guter Charakter hilft Wie glücklich wir sind, hängt von äus- Sich für andere 2 seren Umständen ab. Aber auch unter den gleichen äusseren Bedingungen engagieren unterscheiden sich Menschen stark Glücklich macht uns, Glück zu haben: Flucht aus der Zeit darin, wie glücklich sie sind. Woran liegt das? Menschen unterscheiden sich in unverhoffte Dinge, die uns zustossen, Die Suche danach, was uns glücklich ihren Gefühlen, Gedanken und in ihrem ohne dass wir etwas dafür können. Wie macht, verweist gerade jetzt auf die Frage: Verhalten – in ihrer Persönlichkeit. ein Lottogewinn. Was aber ist dann «Wo und wann sind wir glücklich?» Lange hat sich die Psychologie als mit Dingen, die selbst erarbeitet sind? Dinge, Erfahrungen und Augenblicke Wissenschaft bemüht, Persönlichkeits Etwa die geglückte Karriere als Pianist? erfahren eine grundlegende Umdeutung eigenschaften als nichtbewertete, neu Aber auch die wurde früh gefördert. durch veränderte Bedingungen von trale Eigenschaften zu betrachten. Erst Überhaupt: Was kann ich für mein Ta Raum und Zeit im Alltag. Städte, einst seit etwa 20 Jahren beschäftigt sich die lent, meinen disziplinierten Charakter, Bühnen geteilten Glücks an Events, sind Forschung wieder mit dem «guten Cha meine Freude an Musik? Und was für im Lockdown leergefegt. Glückliche rakter», also mit Eigenschaften, die zu ein Riesenzufall, dass ich gleich die Auszeiten bei Treffen im Freundeskreis einem guten Leben beitragen. Das geht Chance hatte, bei einem Top-Orchester oder an Familienfesten verboten, Sport natürlich weit über das individuelle vorzuspielen! Ist Glück so gesehen nicht und Spiele mit Publikum untersagt. Glücklichsein hinaus, hängt aber damit immer Glückssache? Steigerungsformen des eventisierten durchaus zusammen: Empirisch zeigen Glücklich macht uns, Glück zu Glücks, wie sie unseren Alltag beherrsch alle Charakterstärken positive Zusam empfinden: das grosse, an sich erstre ten, entfallen. Viele sprechen vom Rück menhänge damit, wie glücklich eine benswerte Gefühl. Aber weshalb ist das zug als Chance, von der Freude an «klei Person ist – einige starke (etwa Dank so erstrebenswert? Vielleicht weil sich nen Dingen» wie gärtnern, kochen oder barkeit) und andere eher schwache (etwa Glück besonders anfühlt? Aber ist das dem Betrachten der Zeit, die langsamer Bescheidenheit). Bei genauerer Betrach Glücksgefühl beim Schmecken eines zu vergehen scheint. tung zeigt sich aber auch, dass unter leckeren Gerichts nicht ganz verschieden Aus kulturwissenschaftlicher Per schiedliche Charakterstärken mit un vom Glücksgefühl beim Anblick der spektive bedeutet Flucht aus der Zeit terschiedlichen Wegen zum Glücklich Angebeteten? Was haben diese Glücks immer den Versuch, der Gesellschaft sein zusammenhängen: beispielsweise gefühle gemeinsam? Eigentlich nicht zu entfliehen. Gerade heute zeigt sich, Humor mit dem Erleben von positiven mehr, als dass sie sich auf Dinge bezie dass Raum und Zeit als Faktoren der Emotionen, Neugier mit Engagement, hen, die wir uns gewünscht haben? Was glücklichen Lebensführung ungleich Bindungsfähigkeit mit positiven Bezie aber wünschen wir uns? Nun, Dinge, zur Verfügung stehen. Einschneidend hungen, Spiritualität mit Sinnerleben die sich für uns gut anfühlen, wenn wir sind die ungleichen Voraussetzungen, oder Ausdauer mit Erfolg. an sie denken! Man dreht sich im Kreis. etwa in engen räumlichen Verhältnissen Jeder Mensch hat Charakterstär Glücklich macht uns, Glück zu leben zu müssen, Zeit als Lebens- und ken, und es geht darum, diese bestmög finden. Dabei gilt: Andere und anderes Berufsperspektive als prekär zu erfah lich einzusetzen. Guter Charakter wird machen unser Leben erst sinnvoll. Glück ren oder im Fall von älteren Menschen, dabei als veränderbar verstanden – und liegt nicht zuletzt im Engagement für das Glück einer übervoll zur Verfügung damit zu einem gewissen Grad auch Dinge jenseits von uns selbst. stehenden Zeit mit sich alleine zu teilen. unser Glücklichsein. Sebastian Muders ist Studien- und Geschäftsleiter Gabriela Muri ist Titularprofessorin am Institut Lisa Wagner ist Postdoktorandin am der Advanced Studies in Applied Ethics. für Sozialanthropologie und Empirische Psychologischen Institut Kulturwissenschaft. 8 UZH magazin 2 / 20
ERFUNDEN AN DER UZH Kleines Elektronenhirn Unser Hirn ist ein Wunderwerk der Evolution und schlägt punkto Energie- effizienz jeden Computer. Giacomo Indiveri vom Institut für Neuroinfor matik von UZH und ETHZ nutzt die Eigenschaften des menschlichen Hirns. Sein Spin-off aiCTX, das er mit zwei Partnern gegründet hat, entwickelt neuromorphe Chips, die die Funktions weise von biologischen Neuronen und Synapsen nachahmen. Aus 1024 künstli chen Neuronen besteht DynapSE2 (im Bild), der neuste Prozessor der Firma. Er ist ein Grundbaustein für die Ent wicklung von intelligenten Sensoren und smarten Haushaltsgeräten. Text: Roger Nickl; Bild: zvg www.aictx.ai UZH magazin 2 /2 0 9
ME D IZ I N Knochen aus dem All Die Schwerelosigkeit im All könnte das Züchten von menschlichem Gewebe erleichtern. Forschende am UZH Space Hub schickten Stammzellen zur internationalen Raumstation ISS, um dies zu testen. Jetzt sind die Proben zurück. 10 UZH magazin 2 / 20
Am 6. März 2020 um 23.50 Uhr startet die Trägerrakete mit dem Raumschiff Dragon von Cape Canaveral – an Bord 250 Teströhrchen mit Stammzellen der UZH. UZH magazin 2 /2 0 11
Oliver Ullrich untersuchte 2004 erstmals das Verhalten von Zellen in der Schwerelosigkeit – die Veränderungen waren fundamental. Ohne Schwerkraft: In einem mobilen Mini Text: Michael T. Ganz leiterin am Institut für Anatomie der UZH. Vom Projekt im All versprechen sich die beiden Wis A m Dienstag vor Ostern schwebt 800 Kilo senschaftler und ihr Team neue Erkenntnisse da meter vor der kalifornischen Küste eine rüber, wie Schwerkraft die Entwicklung und Funk Raumkapsel an drei bunten Fallschirmen tion von Zellen beeinflusst. dem Pazifik zu. Dragon, so lautet der Name des Ohne Schwerkraft wachsen unbemannten Transporters, bringt wertvolle Fracht zur Erde zurück: 250 Teströhrchen mit Geweben Mit dieser Frage beschäftigt sich Oliver Ullrich, von menschlichen Stammzellen, die einen Monat der nebenbei auch in Jena, Magdeburg und Bejing an Bord der Raumstation ISS in 400 Kilometern lehrt, schon seit sechzehn Jahren. In Magdeburg Höhe die Erde umkreist haben. Ein Schiff bringt untersuchte er 2004 erstmals, wie Zellen sich ver die Röhrchen nach Los Angeles, ein Flugzeug von halten, wenn die Schwerkraft entfällt – und erschrak. dort nach Florida. Am Karfreitag treffen die Proben «Ich hatte nicht erwartet, dass sie so stark darauf im Kennedy Space Center ein, und am Karsamstag reagieren. Das waren keine kleinen Veränderungen, schrauben zwei Wissenschaftlerinnen die Deckel das waren fundamentale Prozesse.» Schon damals auf. Es ist der Augenblick der Wahrheit. erkannte Ullrich das Potenzial seiner Entdeckung In Zürich hält Oliver Ullrich den Atem an. Er für die Herstellung von Gewebe. ist Professor für Anatomie an der Universität Zürich In herkömmlichen Labors wird menschliches und leitet den UZH Space Hub (siehe Kasten). Das Gewebe stets mithilfe einer sogenannten Matrix Experiment mit der ISS geht auf seine und auf die gezüchtet. Dieses winzige Gerüst stützt die wach Initiative seiner Kollegin Cora Thiel zurück. Thiel senden Zellen und schützt sie vor der erdrückenden ist Molekularbiologin und forscht als Abteilungs Schwerkraft. «Das ist freilich alles andere als na 12 UZH magazin 2 / 20
labor wachsen die Stammzellen der UZH auf der ISS-Raumstation zu Gewebestücken heran. turgemäss», sagt Oliver Ullrich. In der Schwerelo einfach», sagt Ullrich. Die Universität Zürich begann sigkeit, so war er nach ersten Experimenten über eine Partnerschaft mit Airbus Defence and Space. zeugt, sollte sich menschliches Gewebe ohne «Wir lieferten die Biotechnologie, Airbus die Hard künstliche Matrix dreidimensional züchten lassen. ware, und die Projektkosten wurden geteilt.» Air Also auf weitaus einfachere und womöglich auch bus hatte ein Förderprogramm für Innovationen kostengünstigere Art. im Weltraum ausgeschrieben, es gab rund 500 2019 begannen Ullrich und Thiel in Zürich Eingaben; das Zürcher Projekt landete auf einem mit einer Bodensimulationsstudie. Schwerelosigkeit der vordersten Plätze und wurde berücksichtigt. lässt sich auf der Erde zwar nicht wirklich nach Die zweite Jahreshälfte 2019 verbrachte das For ahmen, doch in einer rotierenden Flüssigkeit blei scherteam der UZH mit den Vorbereitungen auf ben die zu testenden Objekte – in diesem Fall den Raumflug. «Wir haben jeden einzelnen Schritt menschliche Stammzellen – immerhin in der wieder und wieder getestet», sagt Oliver Ullrich. Schwebe. Die Studie war erfolgreich: Es gelang, Die 250 Röhrchen waren auf Versorgungsflug kleine Gewebestücke ohne Matrix herzustellen. SpaceX CRS-20 vom 6. März gebucht. Einen Monat Parabelflüge, bei denen ein Spezialflugzeug Schwe vorher begannen die Zürcher Forschenden damit, relosigkeit erzeugt, kamen als zweite Teststufe nicht die Zellen vorzubereiten – pluripotente Stammzel in Frage: Die schwerelose Phase dauert hier nur len aus menschlichem Knochenmark, die zu Kno gerade zwanzig Sekunden – zu kurz, um beobach chen-, Knorpel-, Fett- und Leberzellengewebe ten zu können, wie aus Stammzellen Körpergewe heranwachsen sollten, je nach dem «Wachstums be wächst. cocktail», den man ihnen mitgab. «Wachstums So ging es denn vom Boden gleich hinaus ins cocktail» nennt Oliver Ullrich eine Mischung von All. «Das klingt kompliziert, war aber alles recht künstlich erzeugten Botenstoffen und anderen Bilder: zvg UZH magazin 2 /2 0 13
UZH Space Hub Das Erbe der Aviatikpioniere nale Innovationspark Zürich. Er Kleingeisterei erlischt. In dem Mit beherbergt unter anderem den Space einander von Innovationspark und Hub der Universität – Luft- und Flugplatz Dübendorf liegt eine Raumfahrt ist eines von vier Schwer enorme Kraft, die sich durch Neu punktthemen des Innovation Hub der gierde, Wissen, Leistung und Bereit UZH (www.innovation.uzh.ch). schaft zum Risiko voll entfalten Wo einst tollkühne Menschen in kann», schreibt Oliver Ullrich, UZH- ihre fl iegenden Kisten stiegen, treffen Professor und Direktor des Space sich heute nicht minder pionierhafte Hub, im Vorwort zur B roschüre Wissenschaftlerinnen und Wissen «Flügel der Forschung». Ullrich hat schaftler aus den Bereichen Aviatik, rund zwanzig Projekte mit Parabel Raumfahrt, Medizin, Robotik und flügen und ein Dutzend Missionen im Astrophysik. Die Bandbreite ihrer Orbit geleitet. Auf dem Gebiet der interdisziplinären Arbeit reicht von Luft- und Raumfahrt ist er interna der Grundlagenforschung bis hin zur tional vernetzt; seine Forschung wird Schwerelosigkeit erzeugen: Parabelflug. Produktentwicklung gemeinsam mit unter anderem von der NASA und Start-ups und der Industrie; auch die der European Space Agency Auf einem grünen Feld bei Düben ETH und die Materialprüfungsanstalt unterstützt. dorf nahm vor gut hundert Jahren die Empa sind Partner des Space Hub. Die Schweiz war Gründungs Schweizer Luftfahrt ihren Anfang. «Das Neue braucht die richtige mitglied der ESA und gilt als euro Seit 2018 entsteht am Rande des Umgebung, damit nicht der erste päische Raumfahrtnation der ersten heutigen Militärflugplatzes der Natio Ideenfunke in Mutlosigkeit und Stunde. Substanzen, die denen im menschlichen Körper Zwei Tage dauerte die Reise, bis Dragon an der ISS entsprechen und die Art des zu züchtenden Ge andockte. Die Crew der Raumstation versorgte die webes bestimmen. Schweizer Fracht zusammen mit Forschungsob jekten aus anderen Ländern im Bordlabor. Zu tun Mobiles Minilabor gab es nichts, das Gewebe würde von selbst wach Kurz vor dem Starttermin füllte das Team um Ull sen – oder auch nicht. Aber es wuchs tatsächlich: rich und Thiel die Proben ab, versorgte sie in dem Als Ullrichs Mitarbeitende am Karsamstag die von Airbus entwickelten CubeLab-Modul, einem Deckel der 250 Röhrchen aufschrauben, erkennen mobilen Minilabor, und übergab das ganze Paket sie das Gewebe mit blossem Auge. In der Nähr den Weltraumspediteuren. Dann folgte banges flüssigkeit schwimmen kleine Klumpen, nicht bloss Warten. Denn Frachtflüge zur Raumstation ISS Zellfasern. Richtige Gewebestücke also, und grösser können sich verzögern, «und lebende Zellen», so als jene aus der Bodensimulationsstudie. Ullrich, «kann man nicht eine Woche im Lagerhaus Corona und kosmische Strahlung rumgammeln lassen». Das Team hatte deshalb vorsichtshalber im Abstand von jeweils drei Tagen Beinahe hätte das Coronavirus den Zürcher For Ersatzkulturen angelegt. schenden einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch diesmal lief auf Cape Canaveral alles Die USA erlaubten vor Ostern keine Einreisen mehr, rund: Am 6. März um 23.50 Uhr Lokalzeit hob die der Transport der Proben von Kalifornien nach zweistufige Trägerrakete mit der Dragon-Raum Florida war nicht gesichert, die Labors im Kenne kapsel planmässig ab. Oliver Ullrich hatte in Zürich dy Space Center blieben geschlossen. Doch die zu tun und konnte nicht dabei sein. Hat er den US-Behörden reagierten rasch und unbürokratisch. Start wenigstens auf NASA Television verfolgt? Gerade noch rechtzeitig konnten Ullrichs Mitar Ullrich lacht: «Ich kann mir kaum vorstellen, dass beitende mit allerlei Sondergenehmigungen in der irgendjemand aus unserem Team da nicht zuge Tasche von Zürich nach Miami fliegen und die schaut hat.» Proben aus dem All in Empfang nehmen. Vor der 14 UZH magazin 2 / 20
«Wir sollten den unteren Orbit als natürlichen Raum für die industrielle Produktion nutzen.» Oliver Ullrich, Direktor UZH Space Hub Abreise hatten sie über zwei Wochen zuhause in noch die Löhne eines zweiköpfigen Teams hinzu, selbstauferlegter Quarantäne verbracht. das die Proben für den Flug bereitstellt und danach Ostersonntag. Nach der ersten Sichtung wer wieder in Empfang nimmt. «Das alles ergibt Be den die 250 Proben in flüssigem Stickstoff einge träge, die für medizinische Interventionen durch froren. Irgendwann sollen sie in die Schweiz ge aus im Rahmen sind.» Und vielleicht sogar nied langen. Doch wegen Corona sind die Zürcher riger als bei der umständlichen Gewebezucht in Forschenden erst einmal vorsichtig. «Wir möchten irdischen Labors. nicht, dass die Zellen auf irgendeinem Flughafen Oliver Ullrich ist vom Träumer zum Visionär stranden, auftauen und kaputtgehen», sagt Oliver geworden. Als Junge faszinierten ihn glitzernde Ullrich. Einmal in Zürich angelangt, wird man das Raumschiffe und ferne Galaxien; er interessierte gewachsene Gewebe histologisch und molekular sich für alles, was ausserhalb unseres Planeten lag. biologisch untersuchen. Und auch sein Genom Heute rechnet er jene Flughöhe, auf welcher sich sequenzieren. Denn im All waren die Zellen einen Raumstationen wie die ISS bewegen, nicht mehr Monat lang kosmischer Strahlung ausgesetzt, «und», zum All. «Der untere Orbit gehört für mich zur sagt Ullrich, «wir wollen ja niemandem Zellen mit Erde», sagt Ullrich, «da sind wir ja nicht bei den beschädigter DNA implantieren». Sternen im Outer Space.» Wir sollten, sagt er, den unteren Orbit nicht nur als Forschungsstätte be Vom Träumer zum Visonär trachten, sondern auch als natürlichen Raum für Vom Implantieren ist man freilich noch ein ganzes die industrielle Produktion nutzen. Schwerelosig Stück entfernt. Vorerst gilt es, den Schritt vom For keit sei für viele Herstellungsprozesse hilfreich, schungsprojekt zum Businessmodell zu wagen. bei der Legierung von Metallen etwa oder bei der Also ein Spin-off zu gründen, Investoren zu finden Entwicklung von Medikamenten. «Es geht darum, und die Gewebezucht im All auf Produktionsstu Denkbarrieren abzubauen», sagt Ullrich. «Das erd fe zu erheben. Oliver Ullrich ist zuversichtlich, dass nahe Weltall ist von Zürich kaum weiter entfernt dies gelingt. «Es müssen vorerst gar keine Trans als Genf.» plantate sein. Gewebeproben dienen auch dazu, Michael T. Ganz ist freier Journalist. Medikamente zu testen, und da ist der Markt heute KONTAKT: gross.» Kein Wunder, denn auf diese Art lassen Prof. Oliver Ullrich, oliver.ullrich@uzh.ch sich Tausende von Tierversuchen vermeiden. Und die Kosten? Ullrich schmunzelt: «Die Raumfahrt ist kein Wettlauf zwischen den Staaten mehr, der Milliarden verschlingt.» Und er rechnet vor: Lässt sich das CubeLab-Modul durch regel mässige Gewebezucht amortisieren und das ganze Prozedere vereinfachen, bleiben fast nur noch die Flugkosten. Das Retourticket Florida-ISS kostet pro Kilogramm rund 5000 US-Dollar, und in einem Kilogramm finden viele Proben Platz. Kommen UZH magazin 2 /2 0 15
L ITER ATU RWISSE NS C H A F T Geräuchte Standpauken Berühmt wurde Asger Jorn (1914–1973) mit wilden expressionistischen Gemälden voll wunderlicher Wesen. Der dänische Künstler hat aber auch Bücher zu Kunstwerken gemacht und subversive Sprachtheorien inszeniert. Der Nordist Klaus Müller-Wille untersucht sie. Text: Simona Ryser M al sind es fantastische Tiere, wilde Wesen, dunkle Monster, mal grosse, leuchtende Gemälde, wütende Pinselstriche, dann sind es riesige Keramikplastiken, dynamische Tuschzeichnungen, kleine Radierungen, Illustra tionen, Holzschnitte, Grafiken. Er muss ein Ber serker gewesen sein, der dänische Künstler Asger Jorn (1914–1973). Sein Œuvre umfasst eine schier unermessliche Vielfalt an künstlerischen Formen. Neben den umfangreichen bildnerischen Arbeiten hat er auch ein immenses schriftstellerisches Werk mit Essays, Manifesten, Artikeln und Büchern ge schaffen. Subversive Buchkunst: Doppelseite aus dem Buch «Mémoires» von Asger Jorn Bisher wurde Asger Jorn vor allem als Maler von expressionistischen Gemälden voller wunder bekannt machen. Noch immer sei er überwältigt licher Figuren wahrgenommen, die oft an die nor von der schieren Materialfülle, wenn er wieder in dische Mythologie erinnern. Die ganze Bandbrei Dänemarks Museen und Archiven in den Jorn’schen te seiner Kunst samt seinen kunstästhetischen Kosmos eintaucht, sagt Müller-Wille. Reflexionen aber ist längst nicht entdeckt. Klaus Aktionistische Störungen Müller-Wille will Abhilfe schaffen. Es ist ein Her zensprojekt des Professors für Nordische Philolo Angetan ist Klaus Müller-Wille vor allem von Jorns gie. In einer breit angelegten Studie will der Forscher, ausgeklügelter Buchkunst, wo sich die kunstästhe der im Nebenfach Kunstgeschichte studiert hat, tischen und sprachtheoretischen Reflexionen des den schillernden Künstler Jorn in seiner Vielfalt Künstlers zeigen. Tatsächlich lösen Bilder seiner 16 UZH magazin 2 / 20
und Guy Debord, 1959. Bücher ein Kitzeln in den Fingern aus. Wie gern Vermarktung des touristischen Kopenhagen. Die würde man sie anfassen! Es muss ein haptisches Produktion des Buches war ein Kunstexperiment. Erlebnis sein. Der Umschlag von «Fin de Copen Jorn und Debord, die später die Künstlergruppe Bild: akg-im age s, Mondadori Por tfolio, Car lo Cantini hague» – Asger Jorn hat das Buch 1957 gemeinsam «Situationistische Internationale» gründeten, haben mit dem Kollegen Guy Debord innerhalb von 24 einen grossen Stapel Zeitungen und Magazine zu Stunden hergestellt – besteht aus einem tiefen sammengetragen und daraus 32 Collagen hergestellt, Schriftrelief. In den mit Filz unterlegten Coverkar die aus dänischen, englischen, französischen und ton sind Anzeigen des Warenhauses Illums einge deutschen Inseraten, Werbeemblemen, Comic-Aus stanzt, die in einer dänischen Tageszeitung erschie schnitten und Reklamebildern bestehen und sie nen sind. Das Buch entlarvt und inszeniert die mit Farbspuren, -spritzern und -klecksen versehen. UZH magazin 2 /2 0 17
«Bildkunst und Schrift sind das gleiche. Ein Bild ist geschrieben und Schrift ist Bild.» Asger Jorn «Prophetische Harfen» (1944) Dabei bedienten sie sich bereits verwendeter Wör einflusst die Bedeutung. Die Materialität des Buches ter, sie recycelten diese gewissermassen, fügten hat eine Eigendynamik, genauso ist es beim Malen, gebrauchte Textversatzstücke, Buchstaben, vorge wo die Farben nicht immer das tun, was der Künst fundendes Material zusammen und machten so ler geplant hat, sagt Müller-Wille. neue Bezüge sichtbar. Das sogenannte Détourne Einflussreich war Asger Jorn auch bei der ment, was etwa mit Zweckentfremdung, Verdre Gestaltung der Bulletins der Cobra-Gruppe. Klaus hung, auch Entwendung oder Umkodierung über Müller-Wille hatte Jorn entdeckt, als er den Auftrag setzt werden kann, war ein beliebtes Verfahren der erhielt, an der Université de Strasbourg einen Situationistischen Internationale. Diese Gruppierung Vortrag über die Künstlerbewegung zu halten – linker, avantgardistischer Künstlerrebellen – und Cobra ist ein Akronym der Städte Copenhagen, Vorläufer der 68er-Bewegung – richtete sich mit Brüssel und Amsterdam. Die Gruppe um Asger überraschenden öffentlichen Interventionen, Jorn und den Schriftsteller Christian Dotremont Strassenaktionen, politischen Flyern, Graffitis und versuchte, kleinere Hauptstädte als Avantgarde anderen aktionistischen Störungen gegen das Bür zentren zu inszenieren, und machte sich stark für gertum und den Kapitalismus. eine natürliche, spontane, primitive Kunst. Da sei ihm Asger Jorn aufgefallen, sagt Mül Dinghafte Schrift ler-Wille. Er sei überrascht gewesen vom intellek Asger Jorn war ein Mensch, der viele Fäden zog. tuellen Impact, der in diesem reichen Werk des Heute würde man es Networking nennen, sagt Künstlers zum Vorschein kam, den er bis dahin Klaus Müller-Wille. Der Künstler war engagiert wie die meisten nur als Maler gekannt hatte. Be und sozial aktiv, brachte Kulturschaffende ver sonders fasziniert haben ihn Jorns ästhetische schiedener Länder zusammen. Müller-Wille hat Schriften. In «Heil und Zufall» etwa wendet der in den Archiven wunderbare Korrespondenzen Künstler das Collageverfahren auf seine eigenen gefunden. In allen möglichen Sprachen schrieb Texte an, indem er diese zerschneidet und neu zu Jorn Briefe – neben Dänisch und Englisch auch in sammenklebt und so seine Reflexionen und Argu einem abenteuerlichen Italienisch und einem ar mentationen inszeniert und dekonstruiert. chaischen Deutsch. Kalbskopfthesen Jorns Faible für die Buchkunst war schon früh sichtbar. Klaus Müller-Wille zeigt wunderschöne Der Philologe verweist schmunzelnd auf ein wei Illustrationen, die der Künstler zu Gedichten von teres Buch mit dem vieldeutigen Titel: «La langue Genja Katz Rajchmann angefertigt hatte, schwe verte et la cuite», das Jorn mit Noël Arnaud 1968 bende Farbkreise und -flächen über, neben und im herausgebracht hat. La Langue meint sowohl «die Text, erschienen 1939 unter dem Titel «Pigen i Ilden» Sprache» wie auch «die Zunge». Tatsächlich wim (Das Mädchen im Feuer). «Bildkunst und Schrift melt es in Jorns Buch von eingefärbten, herausge sind das gleiche. Ein Bild ist geschrieben, und Schrift streckten Zungen, darunter etwa das berühmte ist Bild», schreibt Asger Jorn im Essay «Prophetische Bild von Albert Einstein, aber auch anonyme Zun Harfen» von 1944. Für Jorn sei Schrift dinghaft, genfotos, Zungengemälde und zahlreiche Abbil erklärt Müller-Wille, darin besteht der Kern seiner dungen von Zungenmonstern, die in die Aussen sprachtheoretischen Reflexion, die so spannend fassaden gotischer Kirchen gemeisselt sind. Das ist. Schrift besteht aus Wortdingen. Die Sinnlichkeit Buch ist eine Persiflage auf den Strukturalismus. des Textes, also auch die Typografie, das Papier, Der Titel verrät eine Anspielung auf die «Mytho das Layout, all das macht das Lesen aus und be logica I: Le cru et le cuit», («Das Rohe und das Ge 18 UZH magazin 2 / 20
Asger Jorn Widerstandskämpfer und vergleichender Vandalist deutschen Besatzungszeit lebte Asger Jorn in Dänemark als Widerstandskämpfer. Nach dem Zweiten Weltkrieg tat sich der engagierte Künstler mit Kollegen zur Cobra- Gruppe zusammen, die sich für eine natürliche, primitive, spontane Kunst stark machte. Die Bewegung nahm ein jähes Ende, als Asger Jorn 1951 schwer an Tuberkulose erkrankte und sich nach einem 18-monatigen Aufenthalt im Sana torium in Silkeborg in Chesières (Kanton Waadt) erholte. Nach seiner Genesung zog er nach Albi sola an die ligurische Küste, von wo aus er sein künstlerisches und intellektuelles Beziehungs netz in alle Welt weiterspann. Für die Situatio nistische Internationale, die er mit Guy Debord 1957 initiierte und die als Vorreiter der Pariser 68er-Bewegung gilt, engagierte er sich mit Asger Jorns Leben war ein wilder Ritt durch die diversen aktionistischen Interventionen, 1961 künstlerischen Avantgarden Europas. Zuerst gründete er dann das Skandinavische Institut schien der 1914 geborene Jorn noch in die Fuss- für vergleichenden Vandalismus. stapfen der Eltern zu treten – beide waren Lehrer – Jorns Werk umfasst eine grosse Bandbreite und absolvierte einige Semester am Lehrer künstlerischer Formen – von einer sehr expres seminar im dänischen Silkeborg. Doch mit siven, emotionalen Malerei bis hin zu Formen 24 Jahren, so will es die Legende, schwang sich von Konzeptkunst. Zudem verfasste er zahlreiche der angehende Künstler auf sein Motorrad und Manifeste und Essays zu ästhetischen Theorien preschte nach Paris – mitten ins Herz der ange und war ein wichtiger Mittler in der inter sagten Avantgarde. Dort studierte er in der nationalen Kunstszene. Dem Museum in seiner Meisterklasse von Fernand Léger an der Heimatstadt Silkeborg schenkte Jorn immer Académie Moderne, traf die Crème der Szene – wieder Gemälde seiner berühmten Pariser Miro, Picasso und andere – und kopierte für Kollegen, sodass es heute eine überraschende Le Corbusier grossformatige Kinderzeichnungen, Sammlung der gesamten Nachkriegsavantgarde mit denen dieser die Wände seines Pavillons an präsentieren kann. Asger Jorn starb 1973 an den der Weltausstellung in Paris zierte. Während der Folgen einer Krebserkrankung. kochte»), mittlerweile ein wissenschaftlicher Klas zum Beispiel eine Sermon fumé – eine geräuchte siker des französischen Strukturalisten und An Standpauke – aufgetragen oder eine Pathétique thropologen Claude Lévi-Strauss. Asger Jorns Buch surgelée – tiefgefrorenes Pathos. Danach wird etwa versammelt eine Reihe von sprachspielerischen eine Thèse de veau à la vinaigrette, eine Kalbs und sprachtheoretischen Reflexionen, serviert in kopfthese serviert und zum Nachtisch eine Tarte Form von kulinarischen Gängen – deshalb auch de rigolade, ein Ohrfeigenspasskuchen. Da bekommt der Untertitel: Etude gastrophonique sur la marmy man Appetit auf mehr. Zum Glück wird Klaus thologie musiculinaire. Müller-Willes Forschungsprojekt, das in einer Mo Jorn kritisiert darin den Strukturalismus, der nografie zusammengefasst erscheinen soll, bald die Sprache als abstraktes, geschlossenes Zeichen mehr Jorn’sche Seh- und Lesenahrung auftischen. system begreife und dabei die Körperlichkeit und Wohl bekomms! Sinnlichkeit der Schrift verdränge. Seine Textsamm Simona Ryser ist Journalistin und freie Autorin. lung ist gespickt mit Wortspielereien und -verdre KONTAKT: hungen. Schon die Lektüre des Inhaltsverzeich Prof. Klaus Müller-Wille, klaus.mueller-wille@ds.uzh.ch nisses ist ein Genuss. Da wird zum Hors d’œuvre Bilder: PD UZH magazin 2 /2 0 19
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N E U RO Ö KO NOM I E Geben macht glücklich Grosszügigkeit ist mit Kosten verbunden. Was sie uns nützt, ist ungewiss. Warum sind wir trotzdem spendabel anderen gegenüber? Der Neuroökonom Philippe Tobler hat in die Gehirne grosszügiger Menschen geschaut und eine Antwort gefunden. Text: Ümit Yoker Geld an diejenigen, die das Schicksal härter trifft Illustration: Christoph Fischer als uns selbst. «Die Corona-Krise hat uns verstärkt vor Augen geführt, dass wir alle miteinander ver D er direkte Weg zum Glück, dies legen die bunden sind und unser Verhalten nicht ohne vergangenen Monate nahe, ist mit vielen Wirkung für andere bleibt», sagt Philippe Tobler. Lagen Toilettenpapier ausgelegt, eng ge «Wir sind auf die Menschen um uns herum an pflastert mit Hefewürfeln und üppig von Küchen gewiesen und sie auf uns.» Tobler ist Neuroökonom kräutern gesäumt. Die Hamsterkäufe in der Coro an der UZH, das bedeutet: Er beschäftigt sich mit na-Krise werfen nicht gerade das beste Licht auf der Frage, was im Gehirn vorgeht, wenn wir wirt unsere Fähigkeit zu teilen: Der Mensch sucht sein schaftliche Entscheidungen treffen. Wohl in der Regel darin, das Beste für sich selbst Wohliges Gefühl herauszuholen. Da stehen die anderen schon ein mal vor leergeräumten Regalen. Die Neuroökonomie ist eine junge Disziplin an der Grosszügigkeit scheint vor allem mit Kosten Schnittstelle von Ökonomie, Neurowissenschaften verbunden; welcher Nutzen für uns herausspringt, und Psychologie. In der Forschung von Tobler geht bleibt erst einmal ungewiss. Gerade Krisenzeiten es oft um jene Fälle, in denen neuronale Abläufe jedoch bringen auch unsere solidarische Seite aus dem Ruder laufen: wenn Menschen drogen zum Vorschein: Wir kaufen für die betagte Nach süchtig sind, zum Beispiel, an Schizophrenie leiden barin ein, obwohl wir sie kaum kennen. Wir in oder an Parkinson erkrankt sind. Der Wissenschaft szenieren Theateraufführungen für Kinder, die ler untersucht aber auch die Gehirne von gesunden den ganzen Tag zu Hause hocken. Wir spenden Menschen – und hat sich dabei unter anderem damit UZH magazin 2 /2 0 21
beschäftigt, welche Prozesse dort ablaufen, wenn den vier Wochen insgesamt je hundert Schweizer wir uns spendabel verhalten. Franken erhalten würden. Dann teilten sie die Die Wissenschaft hält unterschiedliche Ant Versuchspersonen zufällig in zwei Gruppen auf: worten darauf bereit, was uns zu grosszügigem Die erste verpflichtete sich dazu, den Betrag jeweils Handeln bewegt: So wirken sicher Verwandtschafts für eine andere Person auszugeben und diese zum bande mit, oder wir erhoffen uns, das Gegebene Beispiel zum Essen einzuladen oder ihr ein Ge in irgendeiner Form eines Tages zurückzubekom schenk zu machen. Die zweite Gruppe wurde auf men. Vielleicht sind wir auch um unseren Ruf be gefordert, das Geld für sich selbst zu nutzen. Alle sorgt. Tobler hält noch eine weitere Erklärung parat: Versuchspersonen mussten danach in einer davon Grosszügigkeit macht glücklich. «Wir unterschät unabhängigen Aufgabe entscheiden, welchen Be zen, dass eine Gabe an andere uns oft zufriedener trag sie für eine andere Person aufzuwenden bereit macht, als sich eigennützig zu verhalten», sagt der wären; dabei wurde mittels funktioneller Magnet Professor für Neuroökonomie und Soziale Neuro resonanztomografie die Gehirnaktivität der Pro wissenschaften am Volkswirtschaftlichen Institut. bandinnen und Probanden gemessen (siehe Kasten). Gemeinsam mit der Psychologin Soyoung Wohliges Gefühl Park und weiteren Forschenden untersuchte Tob ler in einem Experiment, wie Grosszügigkeit und Was Tobler und sein Team überraschte: Allein der Glück auf neuronaler Ebene zusammenhängen. verbindlich gefasste Vorsatz, den Betrag für jemand Die Wissenschaftler informierten fünfzig Proban anders auszugeben, reichte bereits aus, dass sich dinnen und Probanden, dass sie in den kommen die entsprechenden Probanden in der unabhängi gen Aufgabe grosszügiger verhielten. Zudem schätz ten sie sich als glücklicher ein als die Kontrollgrup pe. Das wohlige Gefühl, das Ökonomen «warm Neuronale Belohnung glow» nennen, scheint zudem nicht viel mit dem objektiven Wert der Gabe zu tun zu haben. In an Was Grosszügigkeit deren Worten: Ob wir der Bürokollegin ein Schog gistängeli zum Kaffee mitbringen oder eine ganze im Gehirn auslöst Schachtel Pralinen, hat keinen wesentlichen Einfluss darauf, wie zufrieden wir danach mit uns selbst sind. Nicht zuletzt zeigen die Ergebnisse: Gross Wenn wir uns grosszügig verhalten, ist im zügigkeit ist eine veränderbare und manipulierba Gehirn insbesondere der Schläfen-Scheitel re Grösse. Sie kann, Schoggistängeli um Schoggi lappen-Übergang aktiv. Diese Region ist unter stängeli, erlernt und geübt werden. anderem zuständig dafür, dass es uns gelingt, Vor Weihnachten erhält Tobler jeweils beson die Perspektive anderer zu übernehmen und ders viele Anfragen zu seiner Forschung. Spenden vom eigenen Standpunkt zu abstrahieren. vereine erhoffen sich gerade dann Antworten auf Der Schläfen-Scheitellappen-Übergang die Frage, was Menschen grosszügig macht. Ein kommuniziert bei grosszügigeren Menschen paar Tipps hat er für sie durchaus bereit: «Es ist zudem intensiver mit dem Striatum als bei eher zum Beispiel wichtig, dass potenzielle Spender geizigen Menschen. Das Striatum, auch möglichst viel über die Empfänger wissen.» So Streifenkörper genannt, ist Teil des neuronalen nimmt Grosszügigkeit normalerweise mit zuneh Belohnungssystems und spielt eine entschei mender sozialer Distanz ab. Zudem sollten die dende Rolle in unserem Glücksempfinden. Je Erwartungen der Spender nicht zu hoch geschraubt intensiver die beiden Gehirnstrukturen werden, etwa durch das Versprechen, dass Kinder miteinander in Verbindung stehen, desto durch eine Patenschaft geradewegs aus der Armut grosszügiger – und zufriedener – sind wir mit befreit werden könnten. Besser sei es, regelmässig entsprechenden Entscheidungen. darüber zu informieren, welche Fortschritte dank Wenn grosszügige Menschen anderen der Spende erreicht werden konnten. etwas geben, bearbeiten bestimmte Teile ihres Wie grosszügig wir sind, hängt von ganz ver Belohnungssystems diese Handlung ganz schiedenen Faktoren ab. Gerade im Zusammenhang ähnlich wie eine Belohnung für sie selbst. Das mit Spenden und Philanthropie gibt es dazu zahl Belohnungssystem weniger spendabler Zeit reiche Untersuchungen, und nicht alle Forscher genossen hingegen reagiert deutlich stärker auf kommen zum selben Schluss: So legen manche eine Belohnung für sie selbst als für andere Studien nahe, dass Arme im Verhältnis grosszü Menschen. giger sind als Reiche, weil sie sich besser in die 22 UZH magazin 2 / 20
«Wir unterschätzen, dass eine Gabe an andere oft zufriedener macht, als sich eigennützig zu verhalten.» Philippe Tobler, Neuroökonom Notlage anderer Menschen hineinversetzen können. ten. Ebenso seien Männer nicht schlicht Egoisten. Andere Arbeiten gelangen hingegen zur Feststel Es gebe ganz unterschiedliche Arten prosozialen lung, dass Menschen an beiden Enden des Ein Verhaltens, sagt Tobler. «Männer begeben sich zum kommensspektrums mehr spenden als die grosse Beispiel eher für andere in Gefahr als Frauen.» Mehrheit dazwischen. Ältere sind in der Regel Egoismus ist nicht grundsätzlich schlecht grosszügiger als junge; dies mag aber auch damit zusammenhängen, dass sie mit grösserer Wahr Wenn sich Grosszügigkeit so mühelos pharmako scheinlichkeit über mehr Geld verfügen. logisch manipulieren lässt: Könnte man der Mensch heit dann nicht einfach ein Mittel verabreichen, Frauen sind grosszügiger damit wir alle spendabler werden? Tobler lächelt: Eine Rolle spielt auch das Geschlecht: So gelten «Eigennutz ist ja nicht ausschliesslich schlecht.» Er Frauen in der Regel als grosszügiger als Männer. zitiert aus der Fachliteratur den Fall eines Mannes, Tobler ist mit dem Neuroökonomen Alexander dessen Grosszügigkeit nach einem Hirnschlag keine Soutschek und weiteren Forschenden auch hier Grenzen mehr kannte: «Zum Leidwesen seiner der Frage auf den Grund gegangen, ob und wie Frau verschenkte er in kürzester Zeit ihr ganzes sich dieser Unterschied im Gehirn manifestiert. Hab und Gut.» Die Annahme der Wissenschaftler: Das neurona Ümit Yoker ist freie Journalistin. le Belohnungssystem von Frauen reagiert sensibler KONTAKT: auf prosoziales Verhalten wie etwa Spenden als Prof. Philippe Tobler, phil.tobler@econ.uzh.ch dasjenige von Männern, der Botenstoff Dopamin wird in solchen Situationen verstärkt ausgeschüt tet. Grosszügigkeit wirkt in weiblichen Gehirnen also in der Regel stärker belohnend als in männ lichen. Die Verabreichung eines Dopaminhemmers führt entsprechend dazu, dass die Grosszügigkeit bei den Frauen abnimmt, nicht aber bei den Män nern. Ähnlich führt in einem anderen Experiment die Vergabe von Testosteron dazu, dass sich M änner eigennütziger verhalten – allerdings hauptsächlich gegenüber Menschen, die ihnen nicht nahestehen. Der Schluss, dass Grosszügigkeit einfach in der Natur von Frauen liegt, greift laut Tobler jedoch eindeutig zu kurz. Mädchen erhalten oftmals von klein auf deutlich mehr positive Rückmeldung als Jungen dafür, dass sie sich altruistisch verhalten und auf andere Rücksicht nehmen. Grosszügigkeit ist ein Verhalten, für das sie belohnt werden – und Dopamin spielt eine entscheidende Rolle darin, bestimmte Handlungen zu stärken und zu bewer UZH magazin 2 /2 0 23
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