POLITISCHE STUDIEN 478 - Hanns-Seidel-Stiftung

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POLITISCHE STUDIEN 478 - Hanns-Seidel-Stiftung
POLITISCHE
STUDIEN 478
Orientierung durch Information und Dialog

                                             69. Jahrgang | März-April 2018 | ISSN 0032-3462

/// IM FOKUS

NAHVERKEHR – INTELLIGENT
UND INNOVATIV
Mit Beiträgen von
Klaus Bogenberger / Stefan Schmöller | Gerrit Poel | Karl Rehrl

/// KLAUS ZIERER / CHRISTOPH MINNAMEIER Politische-Studien-Zeitgespräch: Pädagogik vor Technik?
/// THEO WAIGEL Joseph Bernhart und die politische Krise
/// MARTIN WAGENER Der ewige Unfrieden

                                                                              www.hss.de
POLITISCHE STUDIEN 478 - Hanns-Seidel-Stiftung
„           Eine Koalition aus CDU/CSU und SPD hat fast
                           immer eine MEHRHEIT in der Bevölkerung.
                                                                               EDITORIAL

DIE ARBEIT HAT WIEDER BEGONNEN
   Licht und Schatten sind auch in der Politik zwei Seiten derselben Medail-
   le. Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 dürften die
   Volksparteien eher auf der schattigen Seite verbuchen. Erstmals seit den
   1950er-Jahren zog eine offen rechtspopulistische Partei wieder in das
   deutsche Parlament ein. Die SPD fiel auf ein historisches Tief. Selbst der
   Union war wenig zum Jubeln zumute. Doch da sie als stärkste Kraft mit
   klarem Regierungsauftrag aus der Wahl hervorgegangen war, blieb für
   Katerstimmung wenig Zeit.
       171 Tage und vor allem Nächte später steht nun die neue Regierung.
   Was viele Bürger nur schwer verstanden haben, war weniger die Dauer der
   Verhandlungen als der abrupte Abbruch der ersten Jamaika-Sondierungs-
   gespräche durch eine wankelmütige FDP. „Zurück auf Los“ gestellt, be-
   gann im zweiten Anlauf der Versuch, eine vierte Große Koalition für die
   Bundesrepublik Deutschland zu schmieden.
       Dieses Unterfangen bereitete der SPD deutlich mehr Schwierigkeiten
   als der Union. Der dann ausgehandelte Koalitionsvertrag wurde aber von
   den Mitgliedern der SPD mit größerer Mehrheit angenommen als von den
   Funktionären der Partei. Dies unterstreicht: Eine Koalition aus CDU/CSU
   und SPD hat fast immer eine Mehrheit in der Bevölkerung. Laut For-
   schungsgruppe Wahlen fand im Februar 2018 mit 47 % fast die Hälfte der
   Bevölkerung die Bildung einer Großen Koalition gut, bei den Anhängern
   von Union und SPD waren es sogar jeweils zwei Drittel.
       Das neue Kabinett zeigt, wie Kontinuität und Wandel gut miteinander
   verbunden werden können. Dass Bayern gleich drei Minister und eine
   Staatsministerin stellt, wirft dabei einen leuchtend weiß-blauen Licht-
   strahl auf das erreichte Ergebnis. Die Arbeit an der Zukunft unserer
   Demokratie hat wieder begonnen.

   Prof. Ursula Männle
   ist Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, München
   und Staatsministerin a. D.
                                                        478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   3
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                                             INHALT
                                     06
                                          IM FOKUS                                   POLITISCHE-STUDIEN-      AKTUELLES BUCH
                                                                                                 ZEITGESPRÄCH
                                          06	
                                             NAHVERKEHR INTELLIGENT                                                            67		DIE TRANSATLANTISCHE
                                             UND INNOVATIV                           40		 LERNEN UND LEHREN                        WERTEGEMEINSCHAFT IN
                                             Einführung                                   ZWISCHEN DIGITALITÄT                      DER SINNKRISE
                                             KARL HEINZ KEIL                              UND REALITÄT                              Keine Weltgeltung mehr
                                                                                         Pädagogik vor Technik?                     ANDREAS HELLSTAB
                                          12	
                                             DER ÖFFENTLICHE PERSONEN-                   KLAUS ZIERER / CHRISTOPH MINNAMEIER
                                             NAHVERKEHR VON MORGEN
                                             Digital und autonom                                                               RUBRIKEN
                                             GERRIT POEL                             ANALYSEN
                                                                                                                               03   EDITORIAL

18                                        18	
                                             DIGIBUS
                                             Erfahrungen mit einem selbstfahrenden
                                                                                     51		 JOSEPH BERNHART UND
                                                                                          DIE POLITISCHE KRISE
                                                                                                                               70
                                                                                                                               76
                                                                                                                                    REZENSIONEN
                                                                                                                                    ANKÜNDIGUNGEN
                                             Kleinbus                                    Theologe, Philosoph, Literat          78   IMPRESSUM
                                             KARL REHRL                                  THEO WAIGEL

                                          28	
                                             SHARING-SYSTEME ALS TEIL EINER          62		 DER EWIGE UNFRIEDEN
                                             NACHHALTIGEN MOBILITÄT                      Krieg als Konstante der Geschichte
                                             Wege aus dem Stau                           MARTIN WAGENER
                                             KLAUS BOGENBERGER / STEFAN SCHMÖLLER

                                     28
4   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                          478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   5
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IM FOKUS

                                                                                                                                                                                                        Quelle: David Becker / Getty Images
/// Einführung

NAHVERKEHR INTELLIGENT
UND INNOVATIV
KARL HEINZ KEIL /// Nahverkehrsbusse – elektrisch, emissionsfrei und ohne
Oberleitung, dazu mit hochautomatisierten Fahrfunktionen. Ist das Vision oder
Realität? Auf jeden Fall umschreibt es moderne Mobilitätsbedürfnisse. Mobilität
muss heute und in Zukunft effizient, emissionsarm und ressourcenschonend sein.
In den vergangenen Jahren haben sich bereits neue und innovative Verkehrs-
konzepte und Mobilitätsangebote entwickelt, die in diese Richtung zielen.

             Die Lage                               portprojekte zur Marktreife gelangen,        Hyperloop One hat am 12. Mai 2017 das erste Mal seine Hyperloop-Technologie in einer Vakuumum-
         Der südafrikanische Milliardär Elon        muss man abwarten. Aber Musk bewegt          gebung in voller Größe getestet. Die Teststrecke befindet sich im US-amerikanischen Nevada.
         Musk hat schon manch utopisch klin-        sich in einem Geschäftsfeld mit Pers-
         gende Mobilitätsidee Realität werden       pektive, denn gute Nahverkehrskonzep-
         lassen. Mit seinem Raumfahrtunterneh-      te und Mobilitätsangebote sind wichti-
         men SpaceX fliegt er privat in das Welt-   ger denn je.                                 fälle, dichtes Gedränge. In vielen deut-             Ursachen
         all, den Markt für Elektroautos wirbelt        Einsteigen, losfahren, schnell, be-      schen Mittel- und Oberzentren sieht es           Wer nach Lösungen für dieses alltägli-
         er mit seinem Unternehmen „Tesla“ auf.     quem und sicher ankommen, ist mehr           nicht wesentlich besser aus. Manch Rei-          che Szenario sucht, sollte zunächst ge-
         Aber damit nicht genug. Mit dem Pro-       als nur die Vision eines Milliardärs. Was    sender gelangt mit dem Flugzeug schnel-          nerelle gesellschaftliche Megatrends
         jekt Hyperloop sollen in einer Doppel-     so einfach klingt, ist für viele Pendler     ler ans Urlaubsziel als der Berufspendler        und deren Auswirkungen auf die Mobi-
         röhre abgeschlossene Kapseln auf Luft-     hierzulande eher Traum als Realität.         vom Vorort in das Stadtzentrum.                  lität begreifen. Fakt ist: Räumliche Mo-
         kissen beschleunigt werden und zum         München, Montagmorgen 8 Uhr, Mitt-                                                            bilität ist die Grundlage einer modernen
         Beispiel eine 600 km lange Strecke in 35   lerer Ring: Eine kilometerlange Fahr-                                                         arbeitsteiligen Gesellschaft. Wie wir ar-
         Minuten kostengünstiger und viel           zeugkolonne bewegt sich im Schritttem-                                                        beiten und wo wir leben, wohin wir ver-
         schneller als ein Zug überwinden. Nun      po. Der Weg zur Arbeit ist für viele                                                          reisen und welche Freizeitaktivitäten
         will er auch noch mit 200 km/h auf ei-     Menschen inzwischen ein ritualisiertes      Der Nahverkehr braucht                            wir bevorzugen – nichts bleibt ohne
         nem Schlitten unter der Stadt hindurch.    Gedulds- und Nervenspiel. Die schie-        DRINGEND neue Konzepte und                        Auswirkungen auf unser Mobilitätsver-
         Musks weiteres Unternehmen „The Bo-        nengebundenen Alternativen für Pend-        Mobilitätsangebote.                               halten. Da heute soziale Aktivitäten wie
         ring Company“ hat dazu erstmals einen      ler in die bayerische Landeshauptstadt                                                        Wohnen, Arbeiten, Bildung und Erho-
         unterirdischen Autotransportschlitten      heißen Regionalzug bzw. S-Bahn, aber                                                          lung meist räumlich voneinander ge-
         getestet. Ob und welche dieser Trans-      auch hier gibt es Verspätungen, Zugaus-                                                       trennt sind, muss der Mensch räumliche
6   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                                                     478/2018 // POLITISCHE STUDIEN                   7
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IM FOKUS

         Distanzen überwinden. Daraus entsteht        chen Leben abgeschnitten werden. Mit-          Urbanisierung und Nahverkehr
         Verkehr. Ressourcenverknappung, de-          nahmeverkehren, sowohl gegen Entgelt           als globale Herausforderung
         mografischer Wandel und Globalisie-          als auch unentgeltlich, wird eine her-     Ein Kennzeichen des demografischen           Die Dynamik der Urbanisierung
         rung prägen und verschärfen dabei die        ausragende Bedeutung zukommen und          Wandels ist die Urbanisierung. Erstmals      erfordert AUTOMATISIERTE Mobilitäts-
         Ausgangslage im 21. Jahrhundert. Diese       ist nur einer von mehreren Lösungsan-      lebt heute mehr als die Hälfte der Welt-     systeme.
         drei Rahmenbedingungen werden, ge-           sätzen.                                    bevölkerung in Städten. Rund um den
         trieben durch neue Technologien und              Zum Dritten lässt sich der Mega­       Globus ziehen Menschen vom Land in
         Geschäftsmodelle, Mobilität weiter           trend Globalisierung auch als ein Syno-    die Stadt. Weltweit wachsen riesige Bal-
         nachhaltig verändern.                        nym für ein international verflochtenes    lungsräume. Man spricht auch von Ag-
             Zum Ersten müssen möglichst viele        Verkehrsnetz begreifen. Die entferntes-    glomerationen, die aus mehreren, wech-
         Verkehrsträger mittel- bis langfristig un-   ten Strecken können in immer kürzerer      selseitig verflochtenen Gemeinden be-      ter Geldmangel. Das macht die For-
         abhängig vom Öl werden, denn dies ist        Zeit bewältigt werden. Das kommt           stehen. Trotz globaler Verkehrsströme      schung an automatisierten Systemen
         eine Ressource, die bald erschöpft ist       nicht nur dem Personenverkehr, son-        ist also die Organisation des Nahver-      hier besonders interessant. Denn die
         und bei der Verbrennung eine große           dern auch der Warenwirtschaft zugute.      kehrs an vielen Orten der Welt eine zen-   Fahrer sind für bis zu zwei Drittel der
         Menge CO2 erzeugt. Für Deutschland           Viele dieser Güter lassen sich um ein      trale Herausforderung und mehr als ein     gesamten Kosten im Betrieb von Stadt-
         als Nation des Automobilbaus ist die         Vielfaches schneller in die entsprechen-   Nischenproblem unseres Mobilitätsver-      bussen verantwortlich. Automatisierte
         technologische Marktführerschaft in          den logistischen Zentren bringen. Ne-      haltens. Aber was meinen wir mit Nah-      Busse sollen nicht nur kostengünstiger
         diesem Sektor wichtig. Dass das Thema        ben beruflichen und touristischen Lini-    verkehr? Die Grenze des Nahbereichs ist    fahren, sondern vermutlich auch siche-
         Elektromobilität in diesem Zusammen-         en- und Charterflügen gelten auch Luft-    nicht genau definiert und wird auch von    rer und sie lernen schnell. Über die
         hang eine tragende Rolle spielt, ist un-     und Schiffsfracht als wesentliches und     der Größe des zentralörtlichen Raumes      Cloud können sie Informationen zum
         strittig. Die Umrüstung von Fuhrparks,       alltägliches Element unserer Weltwirt-     bestimmt. Der Begriff Nahverkehr ver-      Wetter, den Straßenverhältnissen und
         Bussen und Bahnen fördern, öffentlich        schaft. Dabei bleibt dieses Mehr an        mischt sich dadurch speziell im urbanen    zur Zahl der beförderten Personen aus-
         zugängliche Ladesäulen einrichten, aber      Fernverkehr nicht ohne Auswirkungen        Raum zunehmend mit dem Regional-           tauschen.
         gleichzeitig auf Anreize statt Verbote zu                                               verkehr, insbesondere durch den Auf-
         setzen, ist Aufgabe zukunftsfähiger Ver-                                                bau von Verkehrsverbünden, ist also            Modellversuche automatisierter
         kehrspolitik.                                                                           funktional definiert und nicht nach ex-        Busse
             Zum Zweiten verändert auch der de-                                                  akt definierter Entfernung.                Wer nach ersten Modellversuchen auto-
         mografische Wandel unser Mobilitäts-           Ressourcenverknappung,                       Die Dynamik der Urbanisierung ist      matisierter Busse Ausschau hält, muss
         verhalten. Eine immer älter werdende           demografischer Wandel und Globa-         in den Schwellen- und Entwicklungs-        dazu nicht nach Asien, Amerika oder
         Gesellschaft, die zukünftig mehr denn          lisierung BEEINFLUSSEN unser             ländern besonders hoch. Beispiel Ban-      Australien blicken. Im schweizerischen
         je in Ballungsräumen lebt, verlangt            Mobilitätsverhalten.                     galore: Die indische Millionenstadt ist    Sitten (französisch: Sion) begann 2016
         nach anderen Mobilitätsangeboten.                                                       ein bedeutender Standort der Luft- und     das sogenannte Projekt „SmartShuttle“.
         Das Problem wird dadurch differenziert                                                  Raumfahrtindustrie und eines der wich-     In der Nähe von Salzburg wurde eben-
         zu betrachten sein. Wie sieht einerseits                                                tigsten IT-Zentren des Landes. An Ar-      falls 2016 der sogenannte Digibus in ei-
         in verdichteten Räumen urbane Mobili-                                                   beitstagen nutzen mehr als die Hälfte      ner Testumgebung für automatisierte,
         tät aus und wie wird andererseits Mobi-                                                 der 8,5 Millionen Einwohner die günsti-    lokale Mobilität geprüft. Die detaillierte
         lität für ältere Menschen in spärlicher      auf den Nahverkehr. Die „letzte Meile“     gen öffentlichen Verkehrsmittel. Doch      Auswertung dieses Versuchs wird im
         besiedelten ländlichen Räumen organi-        muss bewältigt werden. Kurzstrecken-       die 6.000 Busse haben kaum eine Chan-      nachfolgenden Beitrag von Karl Rehrl
         siert? In einer vom ADAC in Auftrag          fahrten zur Verknüpfung von Mobili-        ce gegen die Flut von privaten PKWs.       vorgestellt. Auf bayerischer Seite ist im
         gegebenen Studie zum Thema „Mobili-          tätsketten, beispielsweise zu Park &       Bangalore hat deshalb, so wie auch Ot-     niederbayerischen Bad Birnbach am 25.
         tätssicherung im ländlichen Raum“            Ride-Stellplätzen oder zum Flughafen,      tawa, Jakarta oder Brisbane, separate      Oktober 2017 die erste autonom verkeh-
         vom November 2017 heißt es, dass             aber auch der wachsende Onlinehandel       Bus-Fahrspuren (Bus Rapid Transit/         rende Buslinie Deutschlands im öffentli-
         ohne Alternativen zum eigenen Auto           mit dem Boom der Paket- und Logistik-      BRT) eingerichtet. Doch viele Städte       chen Straßenverkehr gestartet. Das Pro-
         speziell viele Ältere in den nächsten        dienste und den daraus resultierenden      weltweit leiden nicht nur an der Über-     jekt hat die Deutsche Bahn (DB) ge-
         Jahren zunehmend vom gesellschaftli-         Zustellverkehren, nehmen zu.               füllung ihrer Straßen, sondern auch un-    meinsam mit dem Landkreis Rottal-Inn
8   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                                              478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   9
POLITISCHE STUDIEN 478 - Hanns-Seidel-Stiftung
IM FOKUS

          und der Marktgemeinde Bad Birnbach            Bikesharingmodelle basieren auf diesem
          in enger Zusammenarbeit mit dem               ökonomischen Prinzip. Braucht jeder ei-
          Fahrzeugentwickler EasyMile und dem           nen eigenen PKW oder reicht der einfa-
          TÜV Süd auf die Straße gebracht. Eines        che und kostengünstige Zugang? Wobei
          scheint deutlich: Es gibt vielverspre-        wiederum das Thema Bike, also das
          chende Ansätze, aber bis zu einem regu-       Fahrrad, nicht nur unter Sharing-Ge-
          lären, fahrerlosen Betrieb sind noch          sichtspunkten interessant ist. Neben
          zahlreiche Hürden zu nehmen.                  Tausenden von Leihfahrrädern von Call
                                                        a Bike und Co. in München, Köln oder
              Technologie und neue Geschäfts-           Frankfurt belief sich nach Angaben des          /// K ARL HEINZ KEIL
              modelle als Innovationstreiber im         Zweirad-Industrie-Verbandes der Fahr-           ist Leiter des Referates Medien, Digitale
              Nahverkehr                                radbestand in Deutschland 2016 auf 73           Gesellschaft, Mobilität, Innovation im
          Technologische Innovationen aus den Be-       Millionen, Tendenz in den vergangenen           Institut für Politische Bildung der
          reichen Digitalisierung, Robotik und          Jahren steigend. Das, was die Schweizer         Hanns-Seidel-Stiftung, München.
          Künstliche Intelligenz werden das Thema       so anschaulich Langsamverkehr nen-
          Automatisiertes Fahren im öffentlichen        nen, also alle traditionellen Fortbewe-
          Nahverkehr vorantreiben und veränderte        gungsarten mittels eigener Muskelkraft
          ethische und rechtliche Haftungsfragen        wie Fuß- und Radverkehr, erlebt Anfang
          im Verkehrssektor aufwerfen. Eine Ethik-      des 21. Jahrhunderts eine Renaissance
          Kommission „Automatisiertes und Ver-          und kann als Teil einer intelligenten
          netztes Fahren“ hat bereits erste Leitlini-   Mobilitätsstrategie dienen.
          en entwickelt, die eine Zulassung auto-
          matisierter Fahrsysteme erlauben, aller-
          dings im Hinblick auf Sicherheit, mensch-
          liche Würde, persönliche Entscheidungs-
          freiheit und Datenautonomie besondere           Sharing-Economy und Langsam-
          Anforderungen stellen.                          verkehr sind gute Ansätze neuer
              Aber auch neue Geschäftsmodelle             MOBILITÄTSSTRATEGIEN.
          sind auf dem Vormarsch und bieten par-
          tiell Lösungsansätze. Das 2009 in den
          USA gegründete Unternehmen Uber
          sorgt für reichlich Diskussionsstoff.
          Uber bietet in vielen Städten der Welt
          Online-Vermittlungsdienste zur Perso-             Einer Strategie, die nicht auf ein spezi-
          nenbeförderung an. Die Dienste                elles Verkehrsmittel setzt, sondern auf
          „UberX“ und „UberBlack“ vermitteln            eine sinnvoll geknüpfte Mobilitätskette,
          Fahrgäste an Mietwagen mit Fahrer.            unterstützt durch technische, ökonomi-
          Uber versteht sich als Bestandteil der        sche und planerische Innovationen. Mit
          Sharing Economy, in der jeder sich und        regional individuellen Konzepten, die
          seine Fähigkeiten der Allgemeinheit zur       wiederum auf vielen einzelnen Maßnah-
          Verfügung stellt und der Grundgedanke         men beruhen, dabei Mut und Phantasie
          darin besteht, dass Zugang wichtiger ist      von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft
          als physischer Besitz. Auch die nachfol-      verlangen, aber auch die Bereitschaft je-
          gend von Klaus Bogenberger und Stefan         des Einzelnen, sein Mobilitätsverhalten
          Schmöller dargestellten Car- und              zu überdenken und anzupassen. ///
10   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                                 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   11
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                                                                                                                                                                                             Quelle: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)
/// Digital und autonom

DER ÖFFENTLICHE PERSONEN-
NAHVERKEHR VON MORGEN
GERRIT POEL /// Digitalisierung, autonomes Fahren, on-demand-bus, ride-sharing,
Multimodalität: Die Beförderung von Menschen in Bussen und Bahnen im „Öffentlichen
Personennahverkehr (ÖPNV)“ erfährt derzeit in vielfacher Hinsicht erkennbare Verän-             Das Nahverkehrssystem der Zukunft erfordert eine sinnvolle Kombination und die Verknüpfung
derungen. Dazu kommt der zunehmende Fachkräftemangel, der den Trend zu fahrer­                  verschiedenster Verkehrsmittel.
losen Systemen beschleunigt. Wohin wird die Entwicklung noch gehen?

                                                                                                tors insgesamt kann ein gut ausgebautes          schen im Besitz eines Smartphone sind.
                                                                                                Nahverkehrssystem im Hinblick auf                Nachdem der Pkw-Besitz gerade für jün-
              Ausgangslage                           Traktion fasst sogar bis 1.500 Fahrgäste   Luftreinhaltung und Klimaschutz pro­             gere Menschen in Ballungsräumen auf
          Über 10,2 Milliarden Fahrgäste nutzen      und ersetzt damit rund 1.000 Pkw-Fahr-     blemlösend wirken, wobei die spezifi-            der Prioritätenliste nicht mehr ganz
          derzeit jährlich den Öffentlichen Perso-   ten. Gerade diese Verkehrssysteme sind     schen Werte für den Energiebedarf und            oben steht, organisieren sie ihre Mobili-
          nenverkehr auf Straße und Schiene in       unverzichtbar, wenn es um den Trans-       die Schadstoffemissionen mit jedem zu-           tät fahrzweckabhängig über dieses Me-
          Deutschland. Busse und Bahnen erset-       port von Menschen im Einzugsbereich        sätzlichen Fahrgast weiter sinken.               dium und genau dort müssen Mobili-
          zen damit jeden Tag rund 20 Millionen      großer Ballungsräume geht.                     Ein bekanntes Bonmot sagt: „Prog-            tätsdienstleister präsent sein. Die Bran-
          Autofahrten auf unseren Straßen und                                                   nosen sind schwer, insbesondere, wenn            che hat das erkannt, und entsprechend
          leisten jährlich über 90 Mrd. Personen-                                               sie die Zukunft betreffen.“ Insofern             ist die Digitalisierung bereits im Gange.
          kilometer.                                                                            kann man bei der Beschreibung dessen,            Schon heute kann man bei vielen Ver-
              Es ist vor allem die Bündelungsfunk-                                              was voraussichtlich in den nächsten 10-          kehrsunternehmen oder -verbünden
          tion, die den ÖPNV als System kenn-          Große Ballungsräume funktionieren        20 Jahren passieren wird, im Prinzip             Fahrplanauskünfte via App erhalten
          zeichnet. Eine Großstadt würde heute         ohne ÖPNV nicht mehr.                    nur in verschiedenen Szenarien denken.           und auch Fahrscheine auf diesem Wege
          im (Individual-)Verkehr ersticken, wenn                                               Sicher ist nur, dass der Anteil autonom          kaufen. Ganze Reiseketten mit Umstei-
          es nicht leistungsfähige Nahverkehrs-                                                 fahrender Fahrzeuge zunehmen wird,               gemöglichkeiten und Anschlussverbin-
          systeme auf Straße und Schiene gäbe,                                                  nicht zuletzt deshalb, weil immer weni-          dungen lassen sich auf diese Weise
          die mit Bussen und Bahnen große Men-                                                  ger qualifiziertes Fahrpersonal zur Ver-         schnell ermitteln. Das Smartphone wird
          gen an Menschen platzsparend, umwelt-                                                 fügung steht.                                    quasi zum digitalen Reisebegleiter. Im
          freundlich und schnell an ihr Ziel brin-      Genauso wichtig ist der sich daraus                                                      Verband Deutscher Verkehrsunterneh-
          gen würden. Wenn man sich vor Augen        ergebende Effekt der Umweltentlastung.        Digitalisierung, Vernetzung,                  men (VDV), dem Branchenverband des
          führt, dass beispielsweise eine moderne    In Zeiten ständiger Grenzwertüber-            Multimodalität: Die Zukunft hat               öffentlichen Verkehrs, wird bereits dar-
          U-Bahn mehr als 900 Fahrgäste beför-       schreitungen bei Schadstoffbelastungen        bereits begonnen                              an gearbeitet, zahlreiche Angebote und
          dern kann, bedeutet das, dass sie den      wie Stickoxid (NOx) oder Feinstaub         Das Mobilitätsverhalten der Menschen             Informationen auf einer digitalen Platt-
          Straßenraum über sich um mehr als 600      (PM) sowie den nach wie vor viel zu ho-    wandelt sich zusehends, nicht zuletzt            form mit dem Namen mobilityinside
          Autos entlastet. Eine S-Bahn in 3-fach-    hen CO2-Emissionen des Verkehrssek-        deshalb, weil heute immer mehr Men-              zusammenzuführen.
12   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018
POLITISCHE STUDIEN 478 - Hanns-Seidel-Stiftung
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                                                                                                                        Quelle: astrosystem / Fotolia.com
             Bei der innerstädtischen Mobilität       vergessen, dass der Elektrobetrieb für
         geht es schon heute nicht mehr um das        kommunale Unternehmen mit Straßen-
         Auto oder den Bus, sondern um die            oder U-Bahnbetrieb seit mehr als einhun-
         sinnvolle Kombination verschiedener          dert Jahren Alltagsgeschäft ist. Und älte-
         Verkehrsmittel. Die Verkehrsunterneh-        re Menschen werden sich noch gut daran
         men richten sich zunehmend darauf ein        erinnern, dass in den 60er- und 70er-Jah-
         und erweitern ihr Angebot entspre-           ren in Deutschland Busse mit kleinen
         chend. Neben den ÖPNV-typischen              Anhängern im Straßenbild zu finden wa-
         Verkehrsmitteln wie Bus und Bahn las-        ren. Mit der damaligen Batterietechnik
         sen sich Fahrräder oder sogar Autos von      hat sich die E-Mobilität im Busbetrieb je-
         CarSharing-Anbietern über eine ent-          doch nicht durchsetzen können. Nach
         sprechende App dieses Unternehmens           wie vor setzen auch einige Städte auf so-
         lokalisieren und buchen. Idealerweise        genannte Trolleybusse, also Busse unter
         finden sich diese Alternativen gebündelt     einer Stromleitung. Es ist jedoch nicht
         an Mobilitätsstationen, wo man z. B.         damit zu rechnen, dass dieses Antriebs-
                                                      konzept in Deutschland eine größere Re-
                                                      naissance erlebt. Allenfalls wird es Stre-
                                                      ckenabschnitte geben, auf denen Busse
                                                      mit Pantographen während der Fahrt ih-
       Innerstädtische Mobilität wird durch           ren Strom aus dem Fahrdraht von vor-
       die KOMBINATION verschiedenster                handenen Straßenbahnlinien ziehen.
       Verkehrsmittel ermöglicht.                         Derzeit werden in Deutschland in
                                                      über 20 Pilotprojekten erneut verschie-
                                                      dene Konzepte zur Elektromobilität im
                                                      Busbetrieb getestet. Doch erst wenn die
                                                      Technik ausgereift ist und serientaugli-
                                                      che Fahrzeuge zur Verfügung stehen,
         aus einer U-Bahn kommend an der              wird der mit fossilen Kraftstoffen betrie-
         Oberfläche auf ein Fahrrad oder E-Auto       bene Bus sukzessive zu einem Auslauf-
         umsteigt. Ob man Letzteres selbst fährt      modell. Bis es soweit ist, wird es aber
         oder das Fahrzeug von alleine fährt, ist     noch eine ganze Zeit dauern, denn bei
         dann noch eine ganz andere Frage. Und        den derzeit auf dem Markt verfügbaren
         falls es nicht bereits vor Ort steht, wird   Modellen handelt es sich aktuell noch
         es – auch das ist denkbar - via Smart-       um Vorserienfahrzeuge, die noch lange
         phone geholt. Gerade in den großen Bal-      nicht technisch ausgereift und auch in
         lungsräumen werden wir solche Ent-           der Anschaffung sehr teuer sind. Noch
         wicklungen in der Zukunft erleben. Die       stellt ein mit Dieselkraftstoff betriebe-
         Zeit des klassischen Verkehrsunterneh-       ner Bus mit Euro VI-Abgasstandard
         mens, welches sich allein auf ein oder       eine technisch ausgereifte, umwelt-
         zwei Verkehrsmittel beschränkt, hat auf      freundliche und wirtschaftlich vernünf-      Den Fahrschein mit
         lange Sicht keine Zukunft mehr.              tige Lösung dar.                             dem Handy bezahlen
                                                                                                   - eine zunehmend
            Elektrifizierung des Busbetriebs              Autonomes Fahren                         gängige Methode.
         Während das E-Auto derzeit besondere         Von vielen großen Flughäfen kennt man
         Aufmerksamkeit genießt, wird häufig          sie schon, die fahrerlosen U- und / oder
14   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018
POLITISCHE STUDIEN 478 - Hanns-Seidel-Stiftung
IM FOKUS

         H-Bahn-Systeme. Auf Grund der Spur-                                                   von der Art der Fahrzeuge als auch be-
         führung und einem von der Außenwelt                                                   züglich der räumlichen und zeitlichen
         nahezu abgeschotteten Fahrweg bieten         Bad Birnbach testet derzeit einen        Verfügbarkeit immer mehr miteinander
         insbesondere U-Bahn-Systeme gute Vo-         FAHRERLOSEN Kleinbus.                    vermischen. Und dort, wo es sich be-
         raussetzungen für einen fahrerlosen Be-                                               triebswirtschaftlich noch lohnt, werden
         trieb, dessen Kapazitäten bei hoher                                                   sich neben dem eigenen Auto weitere ta-
         Nachfrage, z. B. vor und nach großen                                                  xiähnliche Systeme, mit und ohne Fah-
         Sportveranstaltungen, flexibel ange-                                                  rer, etablieren. Auch innerstädtische
         passt werden können. Das Nürnberger                                                   Seilbahnen sind mancherorts wieder in
         U-Bahn-System, bei dem zwei der drei       me zum Einsatz kommen, ebenso im           der Diskussion. Und wer glaubt, dass
         Linien mit vollautomatischen Fahrzeu-      ländlichen Raum, wo das Fahrgastauf-       fliegende Taxis Science Fiction bleiben
         gen und ohne Fahrpersonal betrieben        kommen, abgesehen von den Schülern,        werden, sollte sich vergegenwärtigen,
         werden, ist hier wegweisend. Der Bau       ohnehin eher gering ist.                   dass schon heute an ihrer Entwicklung
         neuer U-Bahn-Strecken bietet diese Op-                                                gearbeitet wird. Der öffentliche Perso-
         tion, inwieweit sie zum Tragen kommen          Neue Arten des Bezahlens               nenverkehr ist insofern keine langweili-
         wird, wird man sehen.                      Das Thema Fahrschein spiegelt die Ent-     ge Veranstaltung, sondern eine Branche
             Besondere Aufmerksamkeit genie-        wicklung und den Fortschritt fast schon    mit einer spannenden Zukunft. ///
         ßen im Moment Pilotprojekte zum            am besten wider. Während man seit
         fahrerlosen Betrieb von Kleinbussen.       mehr als 100 Jahren sein Ticket mit
         Aktuell findet man ein solches Projekt     Münzen bezahlen kann, besteht mittler-
         im bayerischen Bad Birnbach. Auf rund      weile die Möglichkeit, dies alternativ
         700 Metern verkehrt hier ein fahrerloses   mit dem Handy zu erledigen. In Erpro-
         Fahrzeug sowohl in der örtlichen Fuß-      bung sind auch Systeme, bei denen der
         gängerzone als auch im öffentlichen        Ein- und Ausstieg eines Fahrgastes auto-
         Straßenraum. Zur Sicherheit wird es je-    matisch erfasst und im Hintergrund
         doch noch von einem Fahrer begleitet,      entfernungsgenau angerechnet und von
         der bei Bedarf eingreifen könnte. Im       seinem Konto abgebucht wird. Der Vor-         /// D
                                                                                                       IPL. VOLKSW. GERRIT POEL
         Zielzustand können diese autonom fah-      teil liegt auch darin, die zum Teil sehr      ist Geschäftsführer des Verbands
         renden Fahrzeuge bei sogenannten „on-      kostenintensiven und parallel vorgehal-       Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)
         demand“-Diensten die Lücke zwischen        tenen Vertriebssysteme auf diese Weise        Landesgruppe Bayern, München.
         dem klassischen ÖPNV-Angebot mit           zu reduzieren und damit kostengünsti-
         Bussen auf festen Linien und ortsfesten    ger zu machen.
         Haltestellen und einem Taxi schließen
         und mehrere Fahrgäste mit ähnlichem            Wohin geht der Trend?
         oder identischem Fahrziel entlang einer    Ist am Ende alles digital und autonom?
         zuvor berechneten Route aufnehmen          Im Prinzip sind der Phantasie über das,
         (ride-sharing) und quasi vor der eigenen   was im städtischen Personennahverkehr
         Haustüre ein- und aussteigen lassen.       mittel- und langfristig rein technisch
         Haltestellen sind nicht fest vorgegeben,   möglich ist, kaum Grenzen gesetzt. Es
         sondern virtuell und von den Wünschen      geht eher darum, was sich im begrenz-
         der Fahrgäste abhängig. Gerade in sol-     ten Straßenraum verkehrs- und unfallsi-
         chen Zeiträumen, in denen das Ver-         cher realisieren lässt. Am Ende werden
         kehrsaufkommen einen regelmäßigen          wir voraussichtlich ein Personennahver-
         und fahrplanabhängigen Betrieb nicht       kehrssystem sehen, bei dem sich der öf-
         mehr rechtfertigt, können solche Syste-    fentliche und private Verkehr sowohl
16   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                       478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   17
POLITISCHE STUDIEN 478 - Hanns-Seidel-Stiftung
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                                                                                                                                                                                               Quelle: © wildbild/Salzburg Research
/// Erfahrungen mit einem selbstfahrenden Kleinbus

DIGIBUS
KARL REHRL /// Selbstfahrende Kleinbusse stellen eine faszinierende Möglichkeit zur
Überbrückung der ersten / letzten Meile im öffentlichen Personennahverkehr dar. Erste
Tests auf öffentlichen Straßen zeigen einerseits die Machbarkeit, andererseits auch die
vielen Herausforderungen. In Österreich werden seit Ende 2016 Testfahrten auf öffent-
lichen Straßen durch eine Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation
und Technologie (bmvit) ermöglicht. Der Beitrag berichtet von ersten Testfahrten mit
einem selbstfahrenden Kleinbus (Digibus) in der Gemeinde Koppl bei Salzburg.1

              Einleitung                              tig eine Möglichkeit bieten, um auch
          Im öffentlichen Personennahverkehr          Gebiete mit wenig Nachfrage durch ein    Digibus in der Gemeinde Koppl
          (ÖPNV) wird der Weg von einer Start-        öffentliches Mobilitätsangebot zu er-
          adresse zu einer Haltestelle oder von ei-   schließen, da die Personalkosten als
          ner Haltestelle zu einer Zieladresse oft-   überwiegender Kostenfaktor wegfallen.        Durch den technologischen Fort-         französischen Stadt Lyon, im niederlän-
          mals als „erste / letzte Meile“ bezeich-    Daher könnte automatisiertes Fahren      schritt der letzten Jahre im Bereich des    dischen Wageningen oder in Berlin wer-
          net. Speziell im ländlichen Raum ist die    zu einer Attraktivierung des ÖPNVs       automatisierten Fahrens ist diese Form      den selbstfahrende Kleinbusse getestet.
          Erschließung dieser ersten / letzten Mei-   vor allem in ländlichen Regionen bei-    des öffentlichen Personennahverkehrs            In Österreich startete Ende April
          le schwierig, da der Betrieb von Linien-    tragen. Aber auch die lückenlose Er-     von der reinen Theorie in der Praxis an-    2017 der erste Testversuch mit einem
          verkehren aufgrund des geringen Fahr-       schließung von Ortschaften oder Stadt-   gekommen und damit in die Aufmerk-          selbstfahrenden Kleinbus auf einer öf-
          gastaufkommens oftmals als nicht wirt-      quartieren mit einem öffentlichen Nah-   samkeit von Nah- und Fernverkehrsbe-        fentlichen Straße in der Salzburger Ge-
          schaftlich zu betrachten ist. Eine Mög-     verkehrsangebot könnte dadurch mög-      trieben sowie Verkehrsverbünden ge-         meinde Koppl. Unter der Leitung der
          lichkeit zur Erschließung der ersten /      lich werden.4                            rückt. Beinahe monatlich werden welt-       Salzburg Research Forschungsgesell-
          letzten Meile im ländlichen Raum be-                                                 weit neue Testversuche angekündigt          schaft wurden in einem siebenmonati-
          steht durch sogenannte alternative Be-                                               und Teststrecken eingerichtet. Bereits      gen Pilotversuch Testfahrten zwischen
          dienungsformen wie Rufbusse oder An-                                                 seit Sommer 2016 ist ein automatisierter    der Bushaltestelle Koppl-Sperrbrücke
          ruf-Sammeltaxis.2 Eine der wesentli-                                                 Kleinbus in der Schweizer Kleinstadt        und dem Ortszentrum von Koppl (ca.
          chen Herausforderungen dabei ist die          Automatisiertes Fahren könnte          Sitten (Sion) im Einsatz. Dieser wird von   1,4 Kilometer) durchgeführt.
          Wirtschaftlichkeit, die zu einem we-          den ÖPNV im LÄNDLICHEN RAUM            Postauto Schweiz betrieben und ver-
          sentlichen Teil durch die Kosten des          kostengünstig beleben.                 kehrt auf einem ca. zwei Kilometer lan-         Selbstfahrende Kleinbusse
          Fahrpersonals bestimmt wird.3                                                        gen Rundkurs in der Altstadt von Sitten,    Selbstfahrende Kleinbusse für den öf-
              Selbstfahrende, fahrerlose Perso-                                                teilweise in der Fußgängerzone und teil-    fentlichen Personentransport auf der
          nentransportsysteme könnten zukünf-                                                  weise im Mischverkehr. Auch in der          ersten / letzten Meile werden derzeit am
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IM FOKUS

          Markt von den französischen Firmen          ker gilt) die manuelle Kontrolle über-       das Fahrzeug (in der Regel per Joystick)        Testfahrten in Österreich
          Navya Tech (ARMA DL 4)5 und Easym-          nehmen bzw. den automatischen Mo-            und befährt möglichst exakt die zu er-      Der vom österreichischen Bundesminis-
          ile (EZ10)6 angeboten. Bei beiden Fahr-     dus manuell wieder aktivieren, sobald        fassende Fahrtstrecke, wenn nötig auch      terium für Verkehr, Innovation und
          zeugen handelt es sich um elektrisch        das Hindernis umfahren wurde. Die            mehrmals, um ein exaktes Abbild der         Technologie im Juni 2016 präsentierte
          betriebene Kleinbusse, die zwischen 6       manuelle Steuerung erfolgt bei allen         Umgebung zu erhalten. Während dieser        Aktionsplan für automatisiertes Fahren8
          und 15 Personen transportieren kön-         Fahrzeugen durch eine geschulte Person       Erfassung werden sowohl die LIDAR-          definiert die Grundlagen für For-
          nen. Sie sind für einen selbstfahrenden     mit einem Drive-by-Wire-System (z. B.        als auch die GNSS-Daten aufgezeichnet.      schungsinstitute und Technologieanbie-
          Betrieb konzipiert, das heißt, dass sie     Joystick).                                   Nach dieser ersten Aufzeichnung erfolgt     ter, um automatisierte Fahrtechnologi-
          keinen dezidierten Fahrersitz mehr auf-                                                  eine teilweise automatisierte, derzeit      en unter realen Bedingungen testen und
          weisen, wodurch auch das Lenkrad                Sensorik                                 aber noch weitgehend manuelle Nach-         entwickeln zu können. Das zentrale Ele-
          bzw. die Fußpedale zur Längs- und           Für die Bewältigung von automatisier-        bearbeitung der Daten. Um ein realisti-     ment des Aktionsplans sind sieben An-
          Quersteuerung des Fahrzeugs fehlen. In      ten Fahraufgaben sind die Fahrzeuge          sches Umgebungsmodell zu erhalten,          wendungsfälle, die verschiedene auto-
          der Regel werden die Fahrzeuge auf vor-     mit unterschiedlichen Sensoren ausge-        müssen dynamische Elemente wie Fahr-        matisierte Fahrszenarien definieren.
          definierten Strecken im autonomen Mo-       stattet. Für die zuverlässige Erkennung      zeuge, Personen, etc. aus den LIDAR-        Anwendungsfall 3 heißt „Neue Flexibi-
          dus betrieben, d. h. die Fahrzeuge sollen   von Hindernissen in der direkten Umge-       Daten entfernt werden. Nur die fixen        lität“, was bedeutet, dass automatische
          in der Lage sein, sämtliche Fahraufga-      bung des Fahrzeugs werden Nahbe-             Objekte entlang der Strecke bleiben als     und vernetzte Fahrzeuge den Grund-
          ben (Längs- und Quersteuerung) selbst       reichs-LIDAR-Sensoren verwendet. Der         Orientierungspunkte erhalten. In der        stein für eine hohe Flexibilität in einem
          zu übernehmen. In diesem Modus kön-         ARMA DL4-Kleinbus der Firma Navya            Folge wird das bearbeitete Umgebungs-       intermodalen öffentlichen Verkehrssys-
          nen sie einer vordefinierten Route fol-     ist für den Rundumblick beispielsweise       modell wieder in das Fahrzeug einge-        tem legen sollen.
          gen, an Haltestellen selbsttägig halten     mit zwei 360-Grad LIDAR-Systemen             spielt und für die Positionierung ver-
          und auf statische oder dynamische Hin-      am Dach und sechs Nahbereichs-LI-            wendet. In einem zweiten Schritt be-
          dernisse reagieren.                         DAR-Sensoren (vorne, hinten und seit-        ginnt nun die Nachbearbeitung. Dabei
              Anhand der von SAE International        lich) ausgestattet. Für die Positionierung   wird einerseits die Lage der Strecke
          vorgeschlagenen fünf Automatisie-           des Fahrzeugs entlang der vordefinier-       (Mittellinie und Korridor) manuell an-        Die Testphasen in Österreich
          rungsstufen7 können selbstfahrende          ten Strecke wird eine Satelliten-basierte    gepasst, d. h. es wird der exakte Verlauf     basieren auf einem genau definierten
          Kleinbusse in die Stufen 3-5, je nach       Positionierung (Multi-GNSS-RTK) ein-         festgelegt. Außerdem müssen sämtliche         AKTIONSPLAN.
          Entwicklungsstand, eingestuft werden.       gesetzt, die auf Korrektursignale einer      Fahr- bzw. Verkehrsregeln für das Fahr-
          Derzeit müssen die Fahrzeuge noch als       lokalen Basisstation zurückgreift. Zu-       zeug entlang der Strecke erfasst werden
          Stufe 3-Fahrzeuge eingestuft werden, da     sätzlich verwenden die Fahrzeuge auch        wie beispielsweise Fahrtgeschwindig-
          nur eine eingeschränkte Bewältigung         die LIDAR-Sensoren für die Positions-        keit, Beschleunigungs- und Bremsvor-
          von Fahraufgaben gegeben ist. Bei Hin-      bestimmung. Voraussetzung hierfür ist        gänge, Vorrangregeln, Haltebuchten so-
          dernissen auf der Fahrtstrecke leitet das   das Vorhandensein von ausreichend vie-       wie Haltestellen, Steuerung von Fahrt-          Seit Dezember 2016 definiert eine
          Fahrzeug beispielsweise einen Stopp         len fixen Orientierungspunkten wie           richtungsanzeiger bei Abbiegevorgän-        Verordnung des Bundesministers für
          ein. In diesem Fall muss eine Begleitper-   z. B. Gebäuden entlang der Fahrtstre-        gen und vieles mehr. Das daraus resul-      Verkehr, Innovation und Technologie,
          son (die derzeit rechtlich auch als Len-    cke. Ergänzt werden die LIDAR-Daten          tierende Fahrmodell wird als Grundlage      die sogenannte „Automatisiertes Fahren
                                                      durch Odometrie- und Trägheitsdaten.         für jede automatisierte Fahrt entlang der   Verordnung – AutomatFahrV“, die Rah-
                                                                                                   Fahrtstrecke verwendet. Derzeit ist die-    menbedingungen für Tests von automa-
                                                         Lernen der Fahrtstrecke                   ses Fahrmodell bei allen Herstellern sta-   tisierten Fahrzeugen auf öffentlichen
                                                      Bevor ein selbstfahrender Kleinbus eine      tisch, d. h. Änderungen an der Fahrt-       Straßen in Österreich.9 Die Regelung
       Derzeit braucht es noch                        Fahrtstrecke selbständig befahren kann,      strecke erfordern ein erneutes manuelles    erlaubt es, unter bestimmten Bedingun-
       manuelle UNTERSTÜTZUNG durch                   muss diese zuerst exakt vermessen wer-       Editieren bzw. ein erneutes Erfassen.       gen Fahraufgaben an Assistenzsysteme
       eine Begleitperson.                            den. Derzeit wird dafür die Fahrtstrecke     Ein dynamisches Lernen von Änderun-         oder automatisierte Fahrsysteme zu
                                                      bei allen Herstellern durch manuelle         gen ist noch nicht vorgesehen, wird aber    übertragen. Neben allgemeinen Rah-
                                                      Steuerung im Aufnahmemodus befah-            in zukünftigen Entwicklungsstufen er-       menbedingungen wie Meldung der
                                                      ren. Dabei steuert eine geschulte Person     folgen.                                     Testfahrten, Nennung der Testfahrer
20   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                                               478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   21
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          oder Ausstattung der Fahrzeuge mit ei-                       vordefinierten Strecke getestet werden,          tion in Österreich für den Test eines au-   Zentrum des Dorfes 1,4 km von der
          nem Unfalldatenspeicher, sind in der                         die erlaubte Höchstgeschwindigkeit be-           tonomen Kleinbusses beworben und            Hauptbuslinie entfernt, die von Bad
          Verordnung spezifische Rahmenbedin-                          trägt 20 km/h, das Fahrzeug muss über            mit April 2017 die Testgenehmigung          Ischl nach Salzburg geführt wird.
          gungen für drei unterschiedliche An-                         eine Notstopptaste verfügen und wäh-             vom Bundesministerium erhalten.
          wendungsfälle definiert, nämlich auto-                       rend der Testphase dürfen maximal                                                                Ergebnisse der Testfahrten
          nomer Kleinbus, Autobahnpilot mit au-                        neun Personen auf den dafür vorgesehe-               Teststrecke Koppl bei Salzburg          Im Testzeitraum vom 24. April bis 22.
          tomatischem Spurwechsel sowie selbst-                        nen Plätzen auf nicht kommerzieller Ba-          Die Teststrecke für den selbstfahrenden     November 2017 wurden insgesamt 240
          fahrendes Heeresfahrzeug. Für den Test                       sis befördert werden. Die Automat-               Kleinbus wurde in der Gemeinde Koppl        Testfahrten mit dem Digibus10 (so wur-
          von autonomen Kleinbussen muss ge-                           FahrV ermöglicht das Testen von auto-            im Bundesland Salzburg eingerichtet.        de der Kleinbus genannt) durchgeführt,
          mäß der AutomatFahrV eine geschulte                          matisierten Fahrzeugen ohne Typgeneh-            Diese hatte eine einfache Streckenlänge     bei denen 874 Personen befördert wur-
          Begleitperson mit mindestens Führer-                         migung mit einem Probefahrkennzei-               von 1,4 km und eine maximale Steigung       den. Bei den Testfahrten wurden 341
          schein B im Kleinbus anwesend sein, die                      chen.                                            von 8 %. Die Befahrung der gesamten         Kilometer zurückgelegt, davon 318 Ki-
          die Kontrolle während der Testfahrten                            Die Salzburg Research Forschungs-            Strecke (2,8 km) dauerte bei einer          lometer im Ortsgebiet und 22 Kilometer
          übernehmen kann. Zudem darf der                              gesellschaft hat sich mit Unterstützung          Höchstgeschwindigkeit von 16 km/h           auf einer Landstraße. Die meisten Test-
          selbstfahrende Kleinbus nur auf einer                        des Landes Salzburg als erste Organisa-          ca. 20 Minuten. Neben den Start- und        fahrten (70 %) wurden unter sonnigen
                                                                                                                        Endhaltestellen umfasst die Route zwei      und trockenen oder leicht bewölkten
                                                                                                                        Bushaltestellen pro Fahrtrichtung. Die      Bedingungen durchgeführt. Bei rund
          Die Teststrecke in der Gemeinde Koppl bei Salzburg                                                            folgende Grafik bietet einen Überblick      28 % der Testfahrten war es stark be-
                                                                                                                        über die Teststrecke.                       wölkt und regnerisch. 0,7 % der Test-
                                                                                                                            Die Teststrecke in Koppl wurde pri-     fahrten fanden bei Schneefall statt. Die-
                                                                                                                        mär aufgrund des sogenannten Erste /        se Schneefahrten sowie weitere Fahrten
                                                                                                                        Letzte-Meile-Szenarios gewählt. Für die     bei starkem Regen mussten aufgrund
                                                                                                                        Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist     der zu extremen Witterungsbedingun-
                                                                                                                        die Überbrückung der sogenannten letz-      gen abgebrochen werden. Der Großteil
                                                                                                                        ten Meile, d. h. dem Weg von der Halte-     der Testfahrten (45 %) wurde zu De-
                                                                                                                        stelle zum Zielort oder zum Wohnort,        monstrationszwecken für Unterneh-
                                                                                                                        entscheidend. Im Fall von Koppl ist das     mensdelegationen, Vertreter von Behör-

                                                                                                                 Wetterbedingungen bei den Testfahrten und Testzwecke

          Quelle: Openstreetmap; Bearbeitung durch Salzburg Research                                             Quelle: Salzburg Research

22   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                                                                    478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   23
IM FOKUS

          den oder Verkehrsbehörden, die Presse          bung sowie eine standardisierte Werk-        qualität hängt jedoch stark von der        •	Hinsichtlich der Fahrmanöver wurde
          oder für Privatpersonen durchgeführt.          zeugkette für die (teil-)automatisierte      Sichtbarkeit der Satelliten sowie von         durch die Tests bestätigt, dass der
          Rund 18 % der Fahrten wurden für               Erstellung der digitalen Fahrumge-           einem zuverlässigen Korrektursignal           Kleinbus nur einfache, vordefinierte
          technische Tests durchgeführt. Hier            bung oder Fahrspur fehlen bisher.            ab. Der Arma DL4 benötigt mindes-             Manöver handhaben kann. Er ist bei
          wurden beispielsweise Optimierungen         •	Eines der am häufigsten registrierten        tens 14 sichtbare Satelliten. Das Errei-      weitem noch nicht in der Lage, im ge-
          an der Zielführung vorgenommen, die            Probleme war, dass der Kleinbus              chen einer solchen GNSS-Abdeckung             mischten Verkehr alle erforderlichen
          Software aktualisiert, Bremsentests            ohne ersichtlichen Grund oder ohne           für alle Streckenabschnitte und an je-        Manöver entlang der Strecke selb-
          durchgeführt oder die Funktionalität           erkennbares Hindernis anhielt. Mög-          dem Tag war in Koppl eine Herausfor-          ständig auszuführen. Wie bereits er-
          und / oder die Reichweite der Sensoren         liche Gründe können Äste von Bäu-            derung. Besonders bei schlechten              wähnt, stoppt der Kleinbus zuverläs-
          getestet.                                      men oder Sträuchern am Straßen-              Wetterbedingungen gab es Situatio-            sig vor Hindernissen auf dem Fahr-
                                                         rand, ungenaue Positionierungsda-            nen mit weniger als 14 sichtbaren Sa-         weg, ist jedoch nicht in der Lage, an
              Erfahrungen                                ten, eine unzuverlässige 3G- oder            telliten. Eine stabile Bereitstellung         dem Hindernis automatisch vorbei-
          Die von Salzburg Research durchge-             4G-Datenübertragung oder Sensor-             von GNSS-Korrekturdaten war eben-             zufahren. Diese Aufgabe muss die
          führten Testfahrten haben gezeigt, dass        reflexionen gewesen sein.                    so eine Herausforderung.                      Begleitperson manuell übernehmen.
          der selbstfahrende Kleinbus derzeit die     •	Eine der größten Herausforderungen        •	Im Hinblick auf die Umgebungserfas-           Ebenso bedarf es bei Ausfahrten von
          Anforderungen hoch- oder vollautoma-           beim Testen selbstfahrender Fahr-            sung hat sich gezeigt, dass die Erken-        Bushaltestellen sowie beim Linksab-
          tisierter Fahrzeuge nur unzureichend           zeuge im gemischten Verkehr ergibt           nung von statischen Hindernissen im           biegen einer manuellen Interaktion
          erfüllt. Das Fahrzeug ist eine Art Proto-      sich aus der Interaktion mit anderen         Allgemeinen gut funktioniert und              von dieser.
          typ in der Forschungs- und Entwick-            Verkehrsteilnehmern. In einigen Si-          dass der selbstfahrende Kleinbus zu-
          lungsphase. Die tatsächliche Fahrleis-         tuationen ist nicht klar, was das            verlässig vor Hindernissen stoppt.
          tung des Kleinbusses blieb deutlich hin-       Fahrzeug als nächstes tun wird und           Probleme ergeben sich aus toten Win-
          ter den Erwartungen zurück. Obwohl             wie sich andere Verkehrsteilnehmer           keln, die eine zuverlässige 360°-Er-
          der Hersteller angibt, dass der Navya          verhalten sollen. Beispielsweise mel-        kennung von Hindernissen verhin-             In der Testreihe traten noch zahl-
          Arma DL4 Kleinbus das erste selbstfah-         det der Kleinbus einen Stopp über ein        dern. Dies ist vor allem ein Problem         reiche gravierende PROBLEME auf.
          rende Fahrzeug ist, das die SAE J3016          Display an der hinteren Windschutz-          der unglücklichen Position der
          Stufe 5 („Vollautomatisierung“) erfüllt,       scheibe. Bedeutet das aber für die an-       360°-LIDAR-Sensoren auf der Dacho-
          klassifizieren wir den Kleinbus, basie-        deren Verkehrsteilnehmer, dass es si-        berseite (Dachkanten schatten die
          rend auf den Erfahrungen in Koppl, ma-         cher ist, den Kleinbus zu passieren,         Sensoren zur Seite ab) und kann in
          ximal als Stufe 3 Fahrzeug („bedingte          oder sollten sie auch hinter dem             Zukunft leicht gelöst werden. Andere
          Automatisierung“). Dies bedeutet, dass         Kleinbus anhalten? Im Moment sind            Probleme ergeben sich aus einer zu ge-         Ergebnisse der Fahrgastbefragung
          der menschliche Bediener für die Mehr-         solche Fragen offen und es fehlen            ringen räumlichen Auflösung der ver-       Neben der Bewertung der Fähigkeiten
          zahl der Manöver das Verhalten des             Standards für die Interaktion mit an-        wendeten Velodyn VLP-16 LIDAR-             des Kleinbusses bestand das zweite Ziel
          Fahrzeugs überwachen muss, um gege-            deren Verkehrsteilnehmern.                   Sensoren. Die 16 Schichten dieser          der Testfahrten darin, qualitatives
          benenfalls eingreifen zu können.            •	In Bezug auf die Positionierung wur-         Sensoren sind auf die unmittelbare         Feedback von Passagieren zu sammeln.
                                                         de durch die Testfahrten in Koppl be-        Umgebung vor und hinter dem Fahr-          Das Feedback der Passagiere wurde di-
             Als die größten Herausforderungen           stätigt, dass die LIDAR-Positionie-          zeug fokussiert und ermöglichen kei-       rekt nach jeder Testfahrt per Online-
          im Testbetrieb haben sich folgende             rung in bebauten Umgebungen, so-             ne zuverlässige Erkennung von Hin-         Umfrage auf einem Smartphone abge-
          Punkte herauskristallisiert:                   lange sich Gebäude auf der linken            dernissen in der Distanz, insbesonde-      fragt. Insgesamt wurden im Testzeit-
                                                         und rechten Seite entlang der Route          re, wenn sich diese Hindernisse mit        raum 294 Umfragen abgeschlossen.
          •	Das Einlernen einer neuen Route ist         als Referenzobjekte befinden, zuver-         höheren Geschwindigkeiten (> 30km          Bezüglich der Vorkenntnisse des auto-
             derzeit ein sehr komplexer und res-         lässig ist. Sobald der bebaute Bereich       / h) bewegen. Dieses Problem kann          matisierten Fahrens gaben 13 % der
             sourcenintensiver Prozess. Ein stan-        verlassen wird, müssen andere Positi-        mit LIDAR-Sensoren mit höherer             Passagiere an, keine Kenntnisse über
             dardisiertes, herstellerunabhängiges        onierungsansätze verwendet werden            Auflösung oder mit zusätzlichen Sen-       automatisierte Fahrzeuge zu haben.
             Verfahren zur Analyse, Auswertung           wie beispielsweise Multi-GNSS-RTK-           soren wie beispielsweise Radar-Sen-        Fast 43 % hatten bereits vom automati-
             und Digitalisierung der Fahrumge-           Positionierung. Die Positionierungs-         soren oder Kameras gelöst werden.          sierten Fahren gehört, 44 % sagten,
24   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                                                 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   25
IM FOKUS

          dass sie sich bereits mit dem Thema be-      nahme ergänzt werden, dass das Sicher-
          schäftigt haben. Dieser hohe Wert er-        heitsempfinden der Passagiere höchst-
          gibt sich aus der Tatsache, dass zahlrei-    wahrscheinlich abnehmen würde,            Automatisierte Fahrzeuge
          che Unternehmensdelegationen mit             wenn der Kleinbus vollständig fahrerlos   sind derzeit noch nicht ausgereift
          einschlägigen Kenntnissen auf diesem         fahren würde. Als die Passagiere nach     und zu TEUER.
          Gebiet an den Testfahrten teilnahmen.        den Gründen gefragt wurden, warum
          Rund 92 % der Passagiere hat die Fahrt       sie sich an Bord nicht sicher fühlten,
          mit dem Digibus sehr gut oder gut ge-        lauteten die Antworten „abruptes oder
          fallen. Laut ihren Aussagen schätzten        ruckartiges Bremsen“, „nicht genug
          sie besonders „die gute Erkennung von        Vertrauen in diese neue Technologie“,                                                       /// D
                                                                                                                                                        R. KARL REHRL
          Hindernissen“, „das ruhige und leise         „mangelnde Erfahrung“, „schlechte           weiteren Entwicklung bis zu einem re-           ist Leiter des Forschungsschwerpunkts
          Fahrverhalten“, „die Weiterentwick-          Sensorik“ oder „der Kleinbus kann           gulären, fahrerlosen Betrieb noch viele         Digitale Mobilität bei der Salzburg Re-
          lung der Technik“ oder „das Design des       nicht zwischen Personen und Fahrzeu-        Hürden zu nehmen. Zum einen muss                search Forschungsgesellschaft mbH,
          Kleinbusses“. Etwas mehr als 6 % sag-        gen unterscheiden“.                         die Technik derart weiterentwickelt             Salzburg.
          ten, dass ihnen die Fahrt mit dem Digi-                                                  werden, dass ein sicherer, fahrerloser
          bus weniger gut gefallen habe und 1 %            Ausblick                                Betrieb in allen möglichen Situationen
          der Passagiere gab an, dass sie die Test-    Selbstfahrende Fahrzeuge stellen eine       gewährleistet werden kann. Derzeitige       Anmerkungen
                                                                                                                                                1 Danksagung: Das Digibus-Projekt wurde vom
          fahrt überhaupt nicht mochten. Die           vielversprechende Möglichkeit dar, um       Fahrzeuge weisen noch keine europäi-            Land Salzburg unterstützt.
                                                                                                                                                2 Denning, Daniela / Sieber, Niklas: Alternative Be-
          Gründe waren zum Beispiel „mangeln-          den öffentlichen Personennahverkehr         sche Fahrzeugzertifizierung auf, die für        dienungsformen im ÖPNV, in: Verkehr und Tech-
          der Fahrkomfort“, „hohe Bremsintensi-        zukünftig attraktiver zu gestalten, vor     einen regulären Betrieb im öffentlichen         nik, 2002, S. 109-11.
                                                                                                                                                3 Sieber, Niklas / Walther, Cristoph: Wirtschaft-
          tät“ oder ein „Unsicherheitsgefühl“. Die     allem in ländlichen Regionen, in denen      Personennahverkehr aber notwendig               lichkeit alternativer Bedienungsformen, Karlsru-
          Passagierbefragung ergab auch sehr po-       sich herkömmliche Betriebsformen            sein wird. Eine weitere Herausforderung         he 2002.
                                                                                                                                                4 König, Alexandra / Brandies, Alexander / Schnieder,
          sitive Werte für ein gutes Sicherheitsge-    nicht wirtschaftlich betreiben lassen.      stellt die Steigerung der Geschwindig-          Lars / u. a.: Zukunftsszenarien autonomer Fahrzeu-
          fühl an Bord. Fast 90 % der Passagiere       Obwohl die ersten Testversuche mit          keit auf zumindest 20-30 km/h dar, um           ge - nutzungsorientierte Gestaltung eines individu-
          fühlten sich an Bord des Digibus sehr        selbstfahrenden Kleinbussen bereits         eine Akzeptanz der Kleinbusse als Nah-          ell abrufbaren Personentransportsystems, 2016.
                                                                                                                                                5 Vgl. http://navya.tech/
          sicher oder sicher. Dazu muss die An-        vielversprechend verlaufen, sind in der     verkehrsmittel zu erreichen. Speziell der    6 Vgl. https://www.digibus.at
                                                                                                                                                7 SAE: SAE International Standard J3016 – Levels of
                                                                                                   Einsatz im Mischverkehr mit anderen             Driving Automation, 2014.
                                                                                                   Verkehrsteilnehmern stellt die Fahrzeu-      8 Bmvit: Automatisiert – Vernetzt – Mobil: Aktions-

                                                                                                   ge vor große Herausforderungen. Eine            plan Automatisiertes Fahren, https://www.bmvit.
                                                                                                                                                   gv.at/innovation/publikationen/verkehrstechnolo
Gefallen an der Fahrt und Sicherheitsgefühl der Fahrgäste                                          weitere Herausforderung besteht in der          gie/downloads/automatisiert.pdf, Stand: Juni 2016.
                                                                                                                                                9 Bundesgesetzblatt: Automatisiertes Fahren Ver-
                                                                                                   Entwicklung der rechtlichen Rahmen-             ordnung – AutomatFahrV, https://www.ris.bka.
                                                                                                   bedingungen. Solange die Fahrzeuge              gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2016_II_402/
                                                                                                   von einer mitfahrenden Person über-             BGBLA_2016_II_402.pdf, Stand: 19.12.2016.
                                                                                                                                               10 https://www.digibus.at
                                                                                                   wacht werden müssen, können die Vor-
                                                                                                   teile eines fahrerlosen Transportsystems
                                                                                                   nicht genutzt werden. Neben den Perso-
                                                                                                   nalkosten werden aber auch die An-
                                                                                                   schaffungs- und Betriebskosten eine
                                                                                                   entscheidende Rolle spielen. Derzeit lie-
                                                                                                   gen diese mit ca. 250.000 Euro An-
                                                                                                   schaffungskosten je Kleinbus und ca.
                                                                                                   3.000-5.000 Euro Betriebskosten pro
                                                                                                   Monat noch deutlich über jenen Kosten,
                                                                                                   die einen wirtschaftlichen Betrieb zulas-
          Quelle: Salzburg Research                                                                sen würden. ///
26   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                                                      478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   27
IM FOKUS

                                                                                                                                                                                                               Quelle: scharfsinn86 / Fotolia.com
/// Wege aus dem Stau

SHARING-SYSTEME ALS TEIL EINER
NACHHALTIGEN MOBILITÄT
KLAUS BOGENBERGER / STEFAN SCHMÖLLER /// Regelmäßige Staus und verkehrsbe-
dingte Umweltbelastungen sind ein zunehmendes Problem in vielen Großstädten. Der
Verzicht auf den privaten PKW scheint hier ein möglicher Ausweg zu sein. Doch dazu
müssen ausreichende Alternativen angeboten werden. Hier bietet die Shared Mobility
einen wichtigen neuen Baustein. Systeme wie Bikesharing und Carsharing erweitern
das Mobilitätsangebot und erleichtern den Verzicht auf privaten Fahrzeugbesitz.                     Mein Auto ist auch dein Auto – Sharing-Systeme, sei es privater oder kommerzieller Art,
                                                                                                    sind Bausteine zukünftiger Mobilitätsformen.

          Mobilität ist eines der Grundbedürfnis-     schen ziehen vom ländlichen Raum in           wachsen und die für Mobilität zur Ver-             einen eigenen PKW leichter verzichtet
          se des Menschen, das die Lebensquali-       die Stadt. Wohnen aktuell noch ca. 54 %       fügung stehenden Flächen dementspre-               werden kann.
          tät entscheidend mitbestimmt. Dabei         der Weltbevölkerung (75 % der Bevöl-          chend limitiert sind, ist ein Ausbau der               Wie der Begriff „Shared Mobility“
          wollen wir in unserer Mobilität auch        kerung in Deutschland) in urbanen             Infrastruktur nur begrenzt möglich.                bereits vermuten lässt, sammeln sich
          möglichst ungehindert sein. Je mehr         Räumen, so wird erwartet, dass dieser         Vielmehr ist es notwendig, die zur Ver-            unter diesem Ausdruck diverse Mobili-
          Menschen sich jedoch fortbewegen, des-      Anteil bis zum Jahr 2050 schon auf 66 %       fügung stehenden Flächen und Angebo-               tätsformen, die auf die eine oder andere
          to größer ist die Nachfrage nach Mobili-    (83 % in Deutschland) ansteigen dürf-         te möglichst effizient zu nutzen. Ein An-          Weise auf dem Teilen von Mobilität ba-
          tät. Die Folgen dieses erhöhten Mobili-     te.1 Mit diesem Bevölkerungsanstieg           satz zur Schmälerung der genannten                 sieren. Beim Carsharing und Bikesha-
          tätsbedarfs bei größtenteils gleichblei-    einher geht natürlich auch die Notwen-        Probleme liegt im Einsatz neuer Mobili-            ring steht einem beschränkten Nutzer-
          bendem Mobilitätsangebot sind insbe-        digkeit, diese Personen innerhalb der         tätsformen.                                        kreis eine Fahrzeugflotte zur Verfügung,
          sondere in Großstädten immer häufiger       Stadt fortzubewegen. Da die meisten               Einige dieser neuen Angebote lassen            es wird also die Nutzung von Fahrzeu-
          zu beobachten. Trotz Parkplatzknapp-        dieser Städte allerdings historisch ge-       sich unter dem Schlagwort „Shared Mo-              gen (Autos oder Fahrräder) geteilt. Beim
          heit sind tägliche Staus zu Spitzenzeiten                                                 bility“ zusammenfassen und bieten ih-              Ridesharing (in Deutschland besser be-
          keine Seltenheit und aufgrund hoher                                                       ren Nutzern eine verstärkt bedarfsorien-           kannt als Mitfahrzentralen) werden hin-
          Umweltbelastungen werden Städte im-                                                       tierte Mobilität. Durch diese neuen Sys-           gegen freie Plätze geteilt, d. h. über eine
          mer häufiger mit drohenden Fahrverbo-                                                     teme erhofft man sich den Schritt weg              Internetplattform werden Fahrer und
          ten konfrontiert und beschäftigen sich        Der stetig STEIGENDE Mobilitäts­-           vom PKW-Besitz hin zu einer optimier-              potenzielle Mitfahrer mit ähnlichen
          mit Maßnahmen, wie diese verhindert           bedarf trifft derzeit auf ein limitiertes   ten Verkehrsmittelwahl. Durch die                  Routen oder Teilrouten vermittelt. Wäh-
          werden können.                                Angebot.                                    Kombination von öffentlichem Verkehr               rend hier die geplante Route des Fahrers
              Und man kann davon ausgehen,                                                          (ÖV) und nicht-motorisiertem Individu-             ausschlaggebend für die Auswahl po-
          dass diese Probleme sich in Zukunft                                                       alverkehr mit diesen neuen Angeboten               tenzieller Mitfahrer ist, werden beim
          noch verstärken. Immer mehr Men-                                                          entsteht ein Gesamtsystem, in dem auf              Ridesourcing vom Kunden Fahrtwün-
28   POLITISCHE STUDIEN // 478/2018                                                                                                                                           478/2018 // POLITISCHE STUDIEN   29
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