POLITISCHE STUDIEN 478 - Hanns-Seidel-Stiftung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
POLITISCHE STUDIEN 478 Orientierung durch Information und Dialog 69. Jahrgang | März-April 2018 | ISSN 0032-3462 /// IM FOKUS NAHVERKEHR – INTELLIGENT UND INNOVATIV Mit Beiträgen von Klaus Bogenberger / Stefan Schmöller | Gerrit Poel | Karl Rehrl /// KLAUS ZIERER / CHRISTOPH MINNAMEIER Politische-Studien-Zeitgespräch: Pädagogik vor Technik? /// THEO WAIGEL Joseph Bernhart und die politische Krise /// MARTIN WAGENER Der ewige Unfrieden www.hss.de
„ Eine Koalition aus CDU/CSU und SPD hat fast immer eine MEHRHEIT in der Bevölkerung. EDITORIAL DIE ARBEIT HAT WIEDER BEGONNEN Licht und Schatten sind auch in der Politik zwei Seiten derselben Medail- le. Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 dürften die Volksparteien eher auf der schattigen Seite verbuchen. Erstmals seit den 1950er-Jahren zog eine offen rechtspopulistische Partei wieder in das deutsche Parlament ein. Die SPD fiel auf ein historisches Tief. Selbst der Union war wenig zum Jubeln zumute. Doch da sie als stärkste Kraft mit klarem Regierungsauftrag aus der Wahl hervorgegangen war, blieb für Katerstimmung wenig Zeit. 171 Tage und vor allem Nächte später steht nun die neue Regierung. Was viele Bürger nur schwer verstanden haben, war weniger die Dauer der Verhandlungen als der abrupte Abbruch der ersten Jamaika-Sondierungs- gespräche durch eine wankelmütige FDP. „Zurück auf Los“ gestellt, be- gann im zweiten Anlauf der Versuch, eine vierte Große Koalition für die Bundesrepublik Deutschland zu schmieden. Dieses Unterfangen bereitete der SPD deutlich mehr Schwierigkeiten als der Union. Der dann ausgehandelte Koalitionsvertrag wurde aber von den Mitgliedern der SPD mit größerer Mehrheit angenommen als von den Funktionären der Partei. Dies unterstreicht: Eine Koalition aus CDU/CSU und SPD hat fast immer eine Mehrheit in der Bevölkerung. Laut For- schungsgruppe Wahlen fand im Februar 2018 mit 47 % fast die Hälfte der Bevölkerung die Bildung einer Großen Koalition gut, bei den Anhängern von Union und SPD waren es sogar jeweils zwei Drittel. Das neue Kabinett zeigt, wie Kontinuität und Wandel gut miteinander verbunden werden können. Dass Bayern gleich drei Minister und eine Staatsministerin stellt, wirft dabei einen leuchtend weiß-blauen Licht- strahl auf das erreichte Ergebnis. Die Arbeit an der Zukunft unserer Demokratie hat wieder begonnen. Prof. Ursula Männle ist Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, München und Staatsministerin a. D. 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 3
62 INHALT 06 IM FOKUS POLITISCHE-STUDIEN- AKTUELLES BUCH ZEITGESPRÄCH 06 NAHVERKEHR INTELLIGENT 67 DIE TRANSATLANTISCHE UND INNOVATIV 40 LERNEN UND LEHREN WERTEGEMEINSCHAFT IN Einführung ZWISCHEN DIGITALITÄT DER SINNKRISE KARL HEINZ KEIL UND REALITÄT Keine Weltgeltung mehr Pädagogik vor Technik? ANDREAS HELLSTAB 12 DER ÖFFENTLICHE PERSONEN- KLAUS ZIERER / CHRISTOPH MINNAMEIER NAHVERKEHR VON MORGEN Digital und autonom RUBRIKEN GERRIT POEL ANALYSEN 03 EDITORIAL 18 18 DIGIBUS Erfahrungen mit einem selbstfahrenden 51 JOSEPH BERNHART UND DIE POLITISCHE KRISE 70 76 REZENSIONEN ANKÜNDIGUNGEN Kleinbus Theologe, Philosoph, Literat 78 IMPRESSUM KARL REHRL THEO WAIGEL 28 SHARING-SYSTEME ALS TEIL EINER 62 DER EWIGE UNFRIEDEN NACHHALTIGEN MOBILITÄT Krieg als Konstante der Geschichte Wege aus dem Stau MARTIN WAGENER KLAUS BOGENBERGER / STEFAN SCHMÖLLER 28 4 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 5
IM FOKUS Quelle: David Becker / Getty Images /// Einführung NAHVERKEHR INTELLIGENT UND INNOVATIV KARL HEINZ KEIL /// Nahverkehrsbusse – elektrisch, emissionsfrei und ohne Oberleitung, dazu mit hochautomatisierten Fahrfunktionen. Ist das Vision oder Realität? Auf jeden Fall umschreibt es moderne Mobilitätsbedürfnisse. Mobilität muss heute und in Zukunft effizient, emissionsarm und ressourcenschonend sein. In den vergangenen Jahren haben sich bereits neue und innovative Verkehrs- konzepte und Mobilitätsangebote entwickelt, die in diese Richtung zielen. Die Lage portprojekte zur Marktreife gelangen, Hyperloop One hat am 12. Mai 2017 das erste Mal seine Hyperloop-Technologie in einer Vakuumum- Der südafrikanische Milliardär Elon muss man abwarten. Aber Musk bewegt gebung in voller Größe getestet. Die Teststrecke befindet sich im US-amerikanischen Nevada. Musk hat schon manch utopisch klin- sich in einem Geschäftsfeld mit Pers- gende Mobilitätsidee Realität werden pektive, denn gute Nahverkehrskonzep- lassen. Mit seinem Raumfahrtunterneh- te und Mobilitätsangebote sind wichti- men SpaceX fliegt er privat in das Welt- ger denn je. fälle, dichtes Gedränge. In vielen deut- Ursachen all, den Markt für Elektroautos wirbelt Einsteigen, losfahren, schnell, be- schen Mittel- und Oberzentren sieht es Wer nach Lösungen für dieses alltägli- er mit seinem Unternehmen „Tesla“ auf. quem und sicher ankommen, ist mehr nicht wesentlich besser aus. Manch Rei- che Szenario sucht, sollte zunächst ge- Aber damit nicht genug. Mit dem Pro- als nur die Vision eines Milliardärs. Was sender gelangt mit dem Flugzeug schnel- nerelle gesellschaftliche Megatrends jekt Hyperloop sollen in einer Doppel- so einfach klingt, ist für viele Pendler ler ans Urlaubsziel als der Berufspendler und deren Auswirkungen auf die Mobi- röhre abgeschlossene Kapseln auf Luft- hierzulande eher Traum als Realität. vom Vorort in das Stadtzentrum. lität begreifen. Fakt ist: Räumliche Mo- kissen beschleunigt werden und zum München, Montagmorgen 8 Uhr, Mitt- bilität ist die Grundlage einer modernen Beispiel eine 600 km lange Strecke in 35 lerer Ring: Eine kilometerlange Fahr- arbeitsteiligen Gesellschaft. Wie wir ar- Minuten kostengünstiger und viel zeugkolonne bewegt sich im Schritttem- beiten und wo wir leben, wohin wir ver- schneller als ein Zug überwinden. Nun po. Der Weg zur Arbeit ist für viele reisen und welche Freizeitaktivitäten will er auch noch mit 200 km/h auf ei- Menschen inzwischen ein ritualisiertes Der Nahverkehr braucht wir bevorzugen – nichts bleibt ohne nem Schlitten unter der Stadt hindurch. Gedulds- und Nervenspiel. Die schie- DRINGEND neue Konzepte und Auswirkungen auf unser Mobilitätsver- Musks weiteres Unternehmen „The Bo- nengebundenen Alternativen für Pend- Mobilitätsangebote. halten. Da heute soziale Aktivitäten wie ring Company“ hat dazu erstmals einen ler in die bayerische Landeshauptstadt Wohnen, Arbeiten, Bildung und Erho- unterirdischen Autotransportschlitten heißen Regionalzug bzw. S-Bahn, aber lung meist räumlich voneinander ge- getestet. Ob und welche dieser Trans- auch hier gibt es Verspätungen, Zugaus- trennt sind, muss der Mensch räumliche 6 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 7
IM FOKUS Distanzen überwinden. Daraus entsteht chen Leben abgeschnitten werden. Mit- Urbanisierung und Nahverkehr Verkehr. Ressourcenverknappung, de- nahmeverkehren, sowohl gegen Entgelt als globale Herausforderung mografischer Wandel und Globalisie- als auch unentgeltlich, wird eine her- Ein Kennzeichen des demografischen Die Dynamik der Urbanisierung rung prägen und verschärfen dabei die ausragende Bedeutung zukommen und Wandels ist die Urbanisierung. Erstmals erfordert AUTOMATISIERTE Mobilitäts- Ausgangslage im 21. Jahrhundert. Diese ist nur einer von mehreren Lösungsan- lebt heute mehr als die Hälfte der Welt- systeme. drei Rahmenbedingungen werden, ge- sätzen. bevölkerung in Städten. Rund um den trieben durch neue Technologien und Zum Dritten lässt sich der Mega Globus ziehen Menschen vom Land in Geschäftsmodelle, Mobilität weiter trend Globalisierung auch als ein Syno- die Stadt. Weltweit wachsen riesige Bal- nachhaltig verändern. nym für ein international verflochtenes lungsräume. Man spricht auch von Ag- Zum Ersten müssen möglichst viele Verkehrsnetz begreifen. Die entferntes- glomerationen, die aus mehreren, wech- Verkehrsträger mittel- bis langfristig un- ten Strecken können in immer kürzerer selseitig verflochtenen Gemeinden be- ter Geldmangel. Das macht die For- abhängig vom Öl werden, denn dies ist Zeit bewältigt werden. Das kommt stehen. Trotz globaler Verkehrsströme schung an automatisierten Systemen eine Ressource, die bald erschöpft ist nicht nur dem Personenverkehr, son- ist also die Organisation des Nahver- hier besonders interessant. Denn die und bei der Verbrennung eine große dern auch der Warenwirtschaft zugute. kehrs an vielen Orten der Welt eine zen- Fahrer sind für bis zu zwei Drittel der Menge CO2 erzeugt. Für Deutschland Viele dieser Güter lassen sich um ein trale Herausforderung und mehr als ein gesamten Kosten im Betrieb von Stadt- als Nation des Automobilbaus ist die Vielfaches schneller in die entsprechen- Nischenproblem unseres Mobilitätsver- bussen verantwortlich. Automatisierte technologische Marktführerschaft in den logistischen Zentren bringen. Ne- haltens. Aber was meinen wir mit Nah- Busse sollen nicht nur kostengünstiger diesem Sektor wichtig. Dass das Thema ben beruflichen und touristischen Lini- verkehr? Die Grenze des Nahbereichs ist fahren, sondern vermutlich auch siche- Elektromobilität in diesem Zusammen- en- und Charterflügen gelten auch Luft- nicht genau definiert und wird auch von rer und sie lernen schnell. Über die hang eine tragende Rolle spielt, ist un- und Schiffsfracht als wesentliches und der Größe des zentralörtlichen Raumes Cloud können sie Informationen zum strittig. Die Umrüstung von Fuhrparks, alltägliches Element unserer Weltwirt- bestimmt. Der Begriff Nahverkehr ver- Wetter, den Straßenverhältnissen und Bussen und Bahnen fördern, öffentlich schaft. Dabei bleibt dieses Mehr an mischt sich dadurch speziell im urbanen zur Zahl der beförderten Personen aus- zugängliche Ladesäulen einrichten, aber Fernverkehr nicht ohne Auswirkungen Raum zunehmend mit dem Regional- tauschen. gleichzeitig auf Anreize statt Verbote zu verkehr, insbesondere durch den Auf- setzen, ist Aufgabe zukunftsfähiger Ver- bau von Verkehrsverbünden, ist also Modellversuche automatisierter kehrspolitik. funktional definiert und nicht nach ex- Busse Zum Zweiten verändert auch der de- akt definierter Entfernung. Wer nach ersten Modellversuchen auto- mografische Wandel unser Mobilitäts- Ressourcenverknappung, Die Dynamik der Urbanisierung ist matisierter Busse Ausschau hält, muss verhalten. Eine immer älter werdende demografischer Wandel und Globa- in den Schwellen- und Entwicklungs- dazu nicht nach Asien, Amerika oder Gesellschaft, die zukünftig mehr denn lisierung BEEINFLUSSEN unser ländern besonders hoch. Beispiel Ban- Australien blicken. Im schweizerischen je in Ballungsräumen lebt, verlangt Mobilitätsverhalten. galore: Die indische Millionenstadt ist Sitten (französisch: Sion) begann 2016 nach anderen Mobilitätsangeboten. ein bedeutender Standort der Luft- und das sogenannte Projekt „SmartShuttle“. Das Problem wird dadurch differenziert Raumfahrtindustrie und eines der wich- In der Nähe von Salzburg wurde eben- zu betrachten sein. Wie sieht einerseits tigsten IT-Zentren des Landes. An Ar- falls 2016 der sogenannte Digibus in ei- in verdichteten Räumen urbane Mobili- beitstagen nutzen mehr als die Hälfte ner Testumgebung für automatisierte, tät aus und wie wird andererseits Mobi- der 8,5 Millionen Einwohner die günsti- lokale Mobilität geprüft. Die detaillierte lität für ältere Menschen in spärlicher auf den Nahverkehr. Die „letzte Meile“ gen öffentlichen Verkehrsmittel. Doch Auswertung dieses Versuchs wird im besiedelten ländlichen Räumen organi- muss bewältigt werden. Kurzstrecken- die 6.000 Busse haben kaum eine Chan- nachfolgenden Beitrag von Karl Rehrl siert? In einer vom ADAC in Auftrag fahrten zur Verknüpfung von Mobili- ce gegen die Flut von privaten PKWs. vorgestellt. Auf bayerischer Seite ist im gegebenen Studie zum Thema „Mobili- tätsketten, beispielsweise zu Park & Bangalore hat deshalb, so wie auch Ot- niederbayerischen Bad Birnbach am 25. tätssicherung im ländlichen Raum“ Ride-Stellplätzen oder zum Flughafen, tawa, Jakarta oder Brisbane, separate Oktober 2017 die erste autonom verkeh- vom November 2017 heißt es, dass aber auch der wachsende Onlinehandel Bus-Fahrspuren (Bus Rapid Transit/ rende Buslinie Deutschlands im öffentli- ohne Alternativen zum eigenen Auto mit dem Boom der Paket- und Logistik- BRT) eingerichtet. Doch viele Städte chen Straßenverkehr gestartet. Das Pro- speziell viele Ältere in den nächsten dienste und den daraus resultierenden weltweit leiden nicht nur an der Über- jekt hat die Deutsche Bahn (DB) ge- Jahren zunehmend vom gesellschaftli- Zustellverkehren, nehmen zu. füllung ihrer Straßen, sondern auch un- meinsam mit dem Landkreis Rottal-Inn 8 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 9
IM FOKUS und der Marktgemeinde Bad Birnbach Bikesharingmodelle basieren auf diesem in enger Zusammenarbeit mit dem ökonomischen Prinzip. Braucht jeder ei- Fahrzeugentwickler EasyMile und dem nen eigenen PKW oder reicht der einfa- TÜV Süd auf die Straße gebracht. Eines che und kostengünstige Zugang? Wobei scheint deutlich: Es gibt vielverspre- wiederum das Thema Bike, also das chende Ansätze, aber bis zu einem regu- Fahrrad, nicht nur unter Sharing-Ge- lären, fahrerlosen Betrieb sind noch sichtspunkten interessant ist. Neben zahlreiche Hürden zu nehmen. Tausenden von Leihfahrrädern von Call a Bike und Co. in München, Köln oder Technologie und neue Geschäfts- Frankfurt belief sich nach Angaben des /// K ARL HEINZ KEIL modelle als Innovationstreiber im Zweirad-Industrie-Verbandes der Fahr- ist Leiter des Referates Medien, Digitale Nahverkehr radbestand in Deutschland 2016 auf 73 Gesellschaft, Mobilität, Innovation im Technologische Innovationen aus den Be- Millionen, Tendenz in den vergangenen Institut für Politische Bildung der reichen Digitalisierung, Robotik und Jahren steigend. Das, was die Schweizer Hanns-Seidel-Stiftung, München. Künstliche Intelligenz werden das Thema so anschaulich Langsamverkehr nen- Automatisiertes Fahren im öffentlichen nen, also alle traditionellen Fortbewe- Nahverkehr vorantreiben und veränderte gungsarten mittels eigener Muskelkraft ethische und rechtliche Haftungsfragen wie Fuß- und Radverkehr, erlebt Anfang im Verkehrssektor aufwerfen. Eine Ethik- des 21. Jahrhunderts eine Renaissance Kommission „Automatisiertes und Ver- und kann als Teil einer intelligenten netztes Fahren“ hat bereits erste Leitlini- Mobilitätsstrategie dienen. en entwickelt, die eine Zulassung auto- matisierter Fahrsysteme erlauben, aller- dings im Hinblick auf Sicherheit, mensch- liche Würde, persönliche Entscheidungs- freiheit und Datenautonomie besondere Sharing-Economy und Langsam- Anforderungen stellen. verkehr sind gute Ansätze neuer Aber auch neue Geschäftsmodelle MOBILITÄTSSTRATEGIEN. sind auf dem Vormarsch und bieten par- tiell Lösungsansätze. Das 2009 in den USA gegründete Unternehmen Uber sorgt für reichlich Diskussionsstoff. Uber bietet in vielen Städten der Welt Online-Vermittlungsdienste zur Perso- Einer Strategie, die nicht auf ein spezi- nenbeförderung an. Die Dienste elles Verkehrsmittel setzt, sondern auf „UberX“ und „UberBlack“ vermitteln eine sinnvoll geknüpfte Mobilitätskette, Fahrgäste an Mietwagen mit Fahrer. unterstützt durch technische, ökonomi- Uber versteht sich als Bestandteil der sche und planerische Innovationen. Mit Sharing Economy, in der jeder sich und regional individuellen Konzepten, die seine Fähigkeiten der Allgemeinheit zur wiederum auf vielen einzelnen Maßnah- Verfügung stellt und der Grundgedanke men beruhen, dabei Mut und Phantasie darin besteht, dass Zugang wichtiger ist von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft als physischer Besitz. Auch die nachfol- verlangen, aber auch die Bereitschaft je- gend von Klaus Bogenberger und Stefan des Einzelnen, sein Mobilitätsverhalten Schmöller dargestellten Car- und zu überdenken und anzupassen. /// 10 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 11
IM FOKUS Quelle: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) /// Digital und autonom DER ÖFFENTLICHE PERSONEN- NAHVERKEHR VON MORGEN GERRIT POEL /// Digitalisierung, autonomes Fahren, on-demand-bus, ride-sharing, Multimodalität: Die Beförderung von Menschen in Bussen und Bahnen im „Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)“ erfährt derzeit in vielfacher Hinsicht erkennbare Verän- Das Nahverkehrssystem der Zukunft erfordert eine sinnvolle Kombination und die Verknüpfung derungen. Dazu kommt der zunehmende Fachkräftemangel, der den Trend zu fahrer verschiedenster Verkehrsmittel. losen Systemen beschleunigt. Wohin wird die Entwicklung noch gehen? tors insgesamt kann ein gut ausgebautes schen im Besitz eines Smartphone sind. Nahverkehrssystem im Hinblick auf Nachdem der Pkw-Besitz gerade für jün- Ausgangslage Traktion fasst sogar bis 1.500 Fahrgäste Luftreinhaltung und Klimaschutz pro gere Menschen in Ballungsräumen auf Über 10,2 Milliarden Fahrgäste nutzen und ersetzt damit rund 1.000 Pkw-Fahr- blemlösend wirken, wobei die spezifi- der Prioritätenliste nicht mehr ganz derzeit jährlich den Öffentlichen Perso- ten. Gerade diese Verkehrssysteme sind schen Werte für den Energiebedarf und oben steht, organisieren sie ihre Mobili- nenverkehr auf Straße und Schiene in unverzichtbar, wenn es um den Trans- die Schadstoffemissionen mit jedem zu- tät fahrzweckabhängig über dieses Me- Deutschland. Busse und Bahnen erset- port von Menschen im Einzugsbereich sätzlichen Fahrgast weiter sinken. dium und genau dort müssen Mobili- zen damit jeden Tag rund 20 Millionen großer Ballungsräume geht. Ein bekanntes Bonmot sagt: „Prog- tätsdienstleister präsent sein. Die Bran- Autofahrten auf unseren Straßen und nosen sind schwer, insbesondere, wenn che hat das erkannt, und entsprechend leisten jährlich über 90 Mrd. Personen- sie die Zukunft betreffen.“ Insofern ist die Digitalisierung bereits im Gange. kilometer. kann man bei der Beschreibung dessen, Schon heute kann man bei vielen Ver- Es ist vor allem die Bündelungsfunk- was voraussichtlich in den nächsten 10- kehrsunternehmen oder -verbünden tion, die den ÖPNV als System kenn- Große Ballungsräume funktionieren 20 Jahren passieren wird, im Prinzip Fahrplanauskünfte via App erhalten zeichnet. Eine Großstadt würde heute ohne ÖPNV nicht mehr. nur in verschiedenen Szenarien denken. und auch Fahrscheine auf diesem Wege im (Individual-)Verkehr ersticken, wenn Sicher ist nur, dass der Anteil autonom kaufen. Ganze Reiseketten mit Umstei- es nicht leistungsfähige Nahverkehrs- fahrender Fahrzeuge zunehmen wird, gemöglichkeiten und Anschlussverbin- systeme auf Straße und Schiene gäbe, nicht zuletzt deshalb, weil immer weni- dungen lassen sich auf diese Weise die mit Bussen und Bahnen große Men- ger qualifiziertes Fahrpersonal zur Ver- schnell ermitteln. Das Smartphone wird gen an Menschen platzsparend, umwelt- fügung steht. quasi zum digitalen Reisebegleiter. Im freundlich und schnell an ihr Ziel brin- Genauso wichtig ist der sich daraus Verband Deutscher Verkehrsunterneh- gen würden. Wenn man sich vor Augen ergebende Effekt der Umweltentlastung. Digitalisierung, Vernetzung, men (VDV), dem Branchenverband des führt, dass beispielsweise eine moderne In Zeiten ständiger Grenzwertüber- Multimodalität: Die Zukunft hat öffentlichen Verkehrs, wird bereits dar- U-Bahn mehr als 900 Fahrgäste beför- schreitungen bei Schadstoffbelastungen bereits begonnen an gearbeitet, zahlreiche Angebote und dern kann, bedeutet das, dass sie den wie Stickoxid (NOx) oder Feinstaub Das Mobilitätsverhalten der Menschen Informationen auf einer digitalen Platt- Straßenraum über sich um mehr als 600 (PM) sowie den nach wie vor viel zu ho- wandelt sich zusehends, nicht zuletzt form mit dem Namen mobilityinside Autos entlastet. Eine S-Bahn in 3-fach- hen CO2-Emissionen des Verkehrssek- deshalb, weil heute immer mehr Men- zusammenzuführen. 12 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018
IM FOKUS Quelle: astrosystem / Fotolia.com Bei der innerstädtischen Mobilität vergessen, dass der Elektrobetrieb für geht es schon heute nicht mehr um das kommunale Unternehmen mit Straßen- Auto oder den Bus, sondern um die oder U-Bahnbetrieb seit mehr als einhun- sinnvolle Kombination verschiedener dert Jahren Alltagsgeschäft ist. Und älte- Verkehrsmittel. Die Verkehrsunterneh- re Menschen werden sich noch gut daran men richten sich zunehmend darauf ein erinnern, dass in den 60er- und 70er-Jah- und erweitern ihr Angebot entspre- ren in Deutschland Busse mit kleinen chend. Neben den ÖPNV-typischen Anhängern im Straßenbild zu finden wa- Verkehrsmitteln wie Bus und Bahn las- ren. Mit der damaligen Batterietechnik sen sich Fahrräder oder sogar Autos von hat sich die E-Mobilität im Busbetrieb je- CarSharing-Anbietern über eine ent- doch nicht durchsetzen können. Nach sprechende App dieses Unternehmens wie vor setzen auch einige Städte auf so- lokalisieren und buchen. Idealerweise genannte Trolleybusse, also Busse unter finden sich diese Alternativen gebündelt einer Stromleitung. Es ist jedoch nicht an Mobilitätsstationen, wo man z. B. damit zu rechnen, dass dieses Antriebs- konzept in Deutschland eine größere Re- naissance erlebt. Allenfalls wird es Stre- ckenabschnitte geben, auf denen Busse mit Pantographen während der Fahrt ih- Innerstädtische Mobilität wird durch ren Strom aus dem Fahrdraht von vor- die KOMBINATION verschiedenster handenen Straßenbahnlinien ziehen. Verkehrsmittel ermöglicht. Derzeit werden in Deutschland in über 20 Pilotprojekten erneut verschie- dene Konzepte zur Elektromobilität im Busbetrieb getestet. Doch erst wenn die Technik ausgereift ist und serientaugli- che Fahrzeuge zur Verfügung stehen, aus einer U-Bahn kommend an der wird der mit fossilen Kraftstoffen betrie- Oberfläche auf ein Fahrrad oder E-Auto bene Bus sukzessive zu einem Auslauf- umsteigt. Ob man Letzteres selbst fährt modell. Bis es soweit ist, wird es aber oder das Fahrzeug von alleine fährt, ist noch eine ganze Zeit dauern, denn bei dann noch eine ganz andere Frage. Und den derzeit auf dem Markt verfügbaren falls es nicht bereits vor Ort steht, wird Modellen handelt es sich aktuell noch es – auch das ist denkbar - via Smart- um Vorserienfahrzeuge, die noch lange phone geholt. Gerade in den großen Bal- nicht technisch ausgereift und auch in lungsräumen werden wir solche Ent- der Anschaffung sehr teuer sind. Noch wicklungen in der Zukunft erleben. Die stellt ein mit Dieselkraftstoff betriebe- Zeit des klassischen Verkehrsunterneh- ner Bus mit Euro VI-Abgasstandard mens, welches sich allein auf ein oder eine technisch ausgereifte, umwelt- zwei Verkehrsmittel beschränkt, hat auf freundliche und wirtschaftlich vernünf- Den Fahrschein mit lange Sicht keine Zukunft mehr. tige Lösung dar. dem Handy bezahlen - eine zunehmend Elektrifizierung des Busbetriebs Autonomes Fahren gängige Methode. Während das E-Auto derzeit besondere Von vielen großen Flughäfen kennt man Aufmerksamkeit genießt, wird häufig sie schon, die fahrerlosen U- und / oder 14 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018
IM FOKUS H-Bahn-Systeme. Auf Grund der Spur- von der Art der Fahrzeuge als auch be- führung und einem von der Außenwelt züglich der räumlichen und zeitlichen nahezu abgeschotteten Fahrweg bieten Bad Birnbach testet derzeit einen Verfügbarkeit immer mehr miteinander insbesondere U-Bahn-Systeme gute Vo- FAHRERLOSEN Kleinbus. vermischen. Und dort, wo es sich be- raussetzungen für einen fahrerlosen Be- triebswirtschaftlich noch lohnt, werden trieb, dessen Kapazitäten bei hoher sich neben dem eigenen Auto weitere ta- Nachfrage, z. B. vor und nach großen xiähnliche Systeme, mit und ohne Fah- Sportveranstaltungen, flexibel ange- rer, etablieren. Auch innerstädtische passt werden können. Das Nürnberger Seilbahnen sind mancherorts wieder in U-Bahn-System, bei dem zwei der drei me zum Einsatz kommen, ebenso im der Diskussion. Und wer glaubt, dass Linien mit vollautomatischen Fahrzeu- ländlichen Raum, wo das Fahrgastauf- fliegende Taxis Science Fiction bleiben gen und ohne Fahrpersonal betrieben kommen, abgesehen von den Schülern, werden, sollte sich vergegenwärtigen, werden, ist hier wegweisend. Der Bau ohnehin eher gering ist. dass schon heute an ihrer Entwicklung neuer U-Bahn-Strecken bietet diese Op- gearbeitet wird. Der öffentliche Perso- tion, inwieweit sie zum Tragen kommen Neue Arten des Bezahlens nenverkehr ist insofern keine langweili- wird, wird man sehen. Das Thema Fahrschein spiegelt die Ent- ge Veranstaltung, sondern eine Branche Besondere Aufmerksamkeit genie- wicklung und den Fortschritt fast schon mit einer spannenden Zukunft. /// ßen im Moment Pilotprojekte zum am besten wider. Während man seit fahrerlosen Betrieb von Kleinbussen. mehr als 100 Jahren sein Ticket mit Aktuell findet man ein solches Projekt Münzen bezahlen kann, besteht mittler- im bayerischen Bad Birnbach. Auf rund weile die Möglichkeit, dies alternativ 700 Metern verkehrt hier ein fahrerloses mit dem Handy zu erledigen. In Erpro- Fahrzeug sowohl in der örtlichen Fuß- bung sind auch Systeme, bei denen der gängerzone als auch im öffentlichen Ein- und Ausstieg eines Fahrgastes auto- Straßenraum. Zur Sicherheit wird es je- matisch erfasst und im Hintergrund doch noch von einem Fahrer begleitet, entfernungsgenau angerechnet und von der bei Bedarf eingreifen könnte. Im seinem Konto abgebucht wird. Der Vor- /// D IPL. VOLKSW. GERRIT POEL Zielzustand können diese autonom fah- teil liegt auch darin, die zum Teil sehr ist Geschäftsführer des Verbands renden Fahrzeuge bei sogenannten „on- kostenintensiven und parallel vorgehal- Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) demand“-Diensten die Lücke zwischen tenen Vertriebssysteme auf diese Weise Landesgruppe Bayern, München. dem klassischen ÖPNV-Angebot mit zu reduzieren und damit kostengünsti- Bussen auf festen Linien und ortsfesten ger zu machen. Haltestellen und einem Taxi schließen und mehrere Fahrgäste mit ähnlichem Wohin geht der Trend? oder identischem Fahrziel entlang einer Ist am Ende alles digital und autonom? zuvor berechneten Route aufnehmen Im Prinzip sind der Phantasie über das, (ride-sharing) und quasi vor der eigenen was im städtischen Personennahverkehr Haustüre ein- und aussteigen lassen. mittel- und langfristig rein technisch Haltestellen sind nicht fest vorgegeben, möglich ist, kaum Grenzen gesetzt. Es sondern virtuell und von den Wünschen geht eher darum, was sich im begrenz- der Fahrgäste abhängig. Gerade in sol- ten Straßenraum verkehrs- und unfallsi- chen Zeiträumen, in denen das Ver- cher realisieren lässt. Am Ende werden kehrsaufkommen einen regelmäßigen wir voraussichtlich ein Personennahver- und fahrplanabhängigen Betrieb nicht kehrssystem sehen, bei dem sich der öf- mehr rechtfertigt, können solche Syste- fentliche und private Verkehr sowohl 16 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 17
IM FOKUS Quelle: © wildbild/Salzburg Research /// Erfahrungen mit einem selbstfahrenden Kleinbus DIGIBUS KARL REHRL /// Selbstfahrende Kleinbusse stellen eine faszinierende Möglichkeit zur Überbrückung der ersten / letzten Meile im öffentlichen Personennahverkehr dar. Erste Tests auf öffentlichen Straßen zeigen einerseits die Machbarkeit, andererseits auch die vielen Herausforderungen. In Österreich werden seit Ende 2016 Testfahrten auf öffent- lichen Straßen durch eine Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) ermöglicht. Der Beitrag berichtet von ersten Testfahrten mit einem selbstfahrenden Kleinbus (Digibus) in der Gemeinde Koppl bei Salzburg.1 Einleitung tig eine Möglichkeit bieten, um auch Im öffentlichen Personennahverkehr Gebiete mit wenig Nachfrage durch ein Digibus in der Gemeinde Koppl (ÖPNV) wird der Weg von einer Start- öffentliches Mobilitätsangebot zu er- adresse zu einer Haltestelle oder von ei- schließen, da die Personalkosten als ner Haltestelle zu einer Zieladresse oft- überwiegender Kostenfaktor wegfallen. Durch den technologischen Fort- französischen Stadt Lyon, im niederlän- mals als „erste / letzte Meile“ bezeich- Daher könnte automatisiertes Fahren schritt der letzten Jahre im Bereich des dischen Wageningen oder in Berlin wer- net. Speziell im ländlichen Raum ist die zu einer Attraktivierung des ÖPNVs automatisierten Fahrens ist diese Form den selbstfahrende Kleinbusse getestet. Erschließung dieser ersten / letzten Mei- vor allem in ländlichen Regionen bei- des öffentlichen Personennahverkehrs In Österreich startete Ende April le schwierig, da der Betrieb von Linien- tragen. Aber auch die lückenlose Er- von der reinen Theorie in der Praxis an- 2017 der erste Testversuch mit einem verkehren aufgrund des geringen Fahr- schließung von Ortschaften oder Stadt- gekommen und damit in die Aufmerk- selbstfahrenden Kleinbus auf einer öf- gastaufkommens oftmals als nicht wirt- quartieren mit einem öffentlichen Nah- samkeit von Nah- und Fernverkehrsbe- fentlichen Straße in der Salzburger Ge- schaftlich zu betrachten ist. Eine Mög- verkehrsangebot könnte dadurch mög- trieben sowie Verkehrsverbünden ge- meinde Koppl. Unter der Leitung der lichkeit zur Erschließung der ersten / lich werden.4 rückt. Beinahe monatlich werden welt- Salzburg Research Forschungsgesell- letzten Meile im ländlichen Raum be- weit neue Testversuche angekündigt schaft wurden in einem siebenmonati- steht durch sogenannte alternative Be- und Teststrecken eingerichtet. Bereits gen Pilotversuch Testfahrten zwischen dienungsformen wie Rufbusse oder An- seit Sommer 2016 ist ein automatisierter der Bushaltestelle Koppl-Sperrbrücke ruf-Sammeltaxis.2 Eine der wesentli- Kleinbus in der Schweizer Kleinstadt und dem Ortszentrum von Koppl (ca. chen Herausforderungen dabei ist die Automatisiertes Fahren könnte Sitten (Sion) im Einsatz. Dieser wird von 1,4 Kilometer) durchgeführt. Wirtschaftlichkeit, die zu einem we- den ÖPNV im LÄNDLICHEN RAUM Postauto Schweiz betrieben und ver- sentlichen Teil durch die Kosten des kostengünstig beleben. kehrt auf einem ca. zwei Kilometer lan- Selbstfahrende Kleinbusse Fahrpersonals bestimmt wird.3 gen Rundkurs in der Altstadt von Sitten, Selbstfahrende Kleinbusse für den öf- Selbstfahrende, fahrerlose Perso- teilweise in der Fußgängerzone und teil- fentlichen Personentransport auf der nentransportsysteme könnten zukünf- weise im Mischverkehr. Auch in der ersten / letzten Meile werden derzeit am 18 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 19
IM FOKUS Markt von den französischen Firmen ker gilt) die manuelle Kontrolle über- das Fahrzeug (in der Regel per Joystick) Testfahrten in Österreich Navya Tech (ARMA DL 4)5 und Easym- nehmen bzw. den automatischen Mo- und befährt möglichst exakt die zu er- Der vom österreichischen Bundesminis- ile (EZ10)6 angeboten. Bei beiden Fahr- dus manuell wieder aktivieren, sobald fassende Fahrtstrecke, wenn nötig auch terium für Verkehr, Innovation und zeugen handelt es sich um elektrisch das Hindernis umfahren wurde. Die mehrmals, um ein exaktes Abbild der Technologie im Juni 2016 präsentierte betriebene Kleinbusse, die zwischen 6 manuelle Steuerung erfolgt bei allen Umgebung zu erhalten. Während dieser Aktionsplan für automatisiertes Fahren8 und 15 Personen transportieren kön- Fahrzeugen durch eine geschulte Person Erfassung werden sowohl die LIDAR- definiert die Grundlagen für For- nen. Sie sind für einen selbstfahrenden mit einem Drive-by-Wire-System (z. B. als auch die GNSS-Daten aufgezeichnet. schungsinstitute und Technologieanbie- Betrieb konzipiert, das heißt, dass sie Joystick). Nach dieser ersten Aufzeichnung erfolgt ter, um automatisierte Fahrtechnologi- keinen dezidierten Fahrersitz mehr auf- eine teilweise automatisierte, derzeit en unter realen Bedingungen testen und weisen, wodurch auch das Lenkrad Sensorik aber noch weitgehend manuelle Nach- entwickeln zu können. Das zentrale Ele- bzw. die Fußpedale zur Längs- und Für die Bewältigung von automatisier- bearbeitung der Daten. Um ein realisti- ment des Aktionsplans sind sieben An- Quersteuerung des Fahrzeugs fehlen. In ten Fahraufgaben sind die Fahrzeuge sches Umgebungsmodell zu erhalten, wendungsfälle, die verschiedene auto- der Regel werden die Fahrzeuge auf vor- mit unterschiedlichen Sensoren ausge- müssen dynamische Elemente wie Fahr- matisierte Fahrszenarien definieren. definierten Strecken im autonomen Mo- stattet. Für die zuverlässige Erkennung zeuge, Personen, etc. aus den LIDAR- Anwendungsfall 3 heißt „Neue Flexibi- dus betrieben, d. h. die Fahrzeuge sollen von Hindernissen in der direkten Umge- Daten entfernt werden. Nur die fixen lität“, was bedeutet, dass automatische in der Lage sein, sämtliche Fahraufga- bung des Fahrzeugs werden Nahbe- Objekte entlang der Strecke bleiben als und vernetzte Fahrzeuge den Grund- ben (Längs- und Quersteuerung) selbst reichs-LIDAR-Sensoren verwendet. Der Orientierungspunkte erhalten. In der stein für eine hohe Flexibilität in einem zu übernehmen. In diesem Modus kön- ARMA DL4-Kleinbus der Firma Navya Folge wird das bearbeitete Umgebungs- intermodalen öffentlichen Verkehrssys- nen sie einer vordefinierten Route fol- ist für den Rundumblick beispielsweise modell wieder in das Fahrzeug einge- tem legen sollen. gen, an Haltestellen selbsttägig halten mit zwei 360-Grad LIDAR-Systemen spielt und für die Positionierung ver- und auf statische oder dynamische Hin- am Dach und sechs Nahbereichs-LI- wendet. In einem zweiten Schritt be- dernisse reagieren. DAR-Sensoren (vorne, hinten und seit- ginnt nun die Nachbearbeitung. Dabei Anhand der von SAE International lich) ausgestattet. Für die Positionierung wird einerseits die Lage der Strecke vorgeschlagenen fünf Automatisie- des Fahrzeugs entlang der vordefinier- (Mittellinie und Korridor) manuell an- Die Testphasen in Österreich rungsstufen7 können selbstfahrende ten Strecke wird eine Satelliten-basierte gepasst, d. h. es wird der exakte Verlauf basieren auf einem genau definierten Kleinbusse in die Stufen 3-5, je nach Positionierung (Multi-GNSS-RTK) ein- festgelegt. Außerdem müssen sämtliche AKTIONSPLAN. Entwicklungsstand, eingestuft werden. gesetzt, die auf Korrektursignale einer Fahr- bzw. Verkehrsregeln für das Fahr- Derzeit müssen die Fahrzeuge noch als lokalen Basisstation zurückgreift. Zu- zeug entlang der Strecke erfasst werden Stufe 3-Fahrzeuge eingestuft werden, da sätzlich verwenden die Fahrzeuge auch wie beispielsweise Fahrtgeschwindig- nur eine eingeschränkte Bewältigung die LIDAR-Sensoren für die Positions- keit, Beschleunigungs- und Bremsvor- von Fahraufgaben gegeben ist. Bei Hin- bestimmung. Voraussetzung hierfür ist gänge, Vorrangregeln, Haltebuchten so- dernissen auf der Fahrtstrecke leitet das das Vorhandensein von ausreichend vie- wie Haltestellen, Steuerung von Fahrt- Seit Dezember 2016 definiert eine Fahrzeug beispielsweise einen Stopp len fixen Orientierungspunkten wie richtungsanzeiger bei Abbiegevorgän- Verordnung des Bundesministers für ein. In diesem Fall muss eine Begleitper- z. B. Gebäuden entlang der Fahrtstre- gen und vieles mehr. Das daraus resul- Verkehr, Innovation und Technologie, son (die derzeit rechtlich auch als Len- cke. Ergänzt werden die LIDAR-Daten tierende Fahrmodell wird als Grundlage die sogenannte „Automatisiertes Fahren durch Odometrie- und Trägheitsdaten. für jede automatisierte Fahrt entlang der Verordnung – AutomatFahrV“, die Rah- Fahrtstrecke verwendet. Derzeit ist die- menbedingungen für Tests von automa- Lernen der Fahrtstrecke ses Fahrmodell bei allen Herstellern sta- tisierten Fahrzeugen auf öffentlichen Bevor ein selbstfahrender Kleinbus eine tisch, d. h. Änderungen an der Fahrt- Straßen in Österreich.9 Die Regelung Derzeit braucht es noch Fahrtstrecke selbständig befahren kann, strecke erfordern ein erneutes manuelles erlaubt es, unter bestimmten Bedingun- manuelle UNTERSTÜTZUNG durch muss diese zuerst exakt vermessen wer- Editieren bzw. ein erneutes Erfassen. gen Fahraufgaben an Assistenzsysteme eine Begleitperson. den. Derzeit wird dafür die Fahrtstrecke Ein dynamisches Lernen von Änderun- oder automatisierte Fahrsysteme zu bei allen Herstellern durch manuelle gen ist noch nicht vorgesehen, wird aber übertragen. Neben allgemeinen Rah- Steuerung im Aufnahmemodus befah- in zukünftigen Entwicklungsstufen er- menbedingungen wie Meldung der ren. Dabei steuert eine geschulte Person folgen. Testfahrten, Nennung der Testfahrer 20 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 21
IM FOKUS oder Ausstattung der Fahrzeuge mit ei- vordefinierten Strecke getestet werden, tion in Österreich für den Test eines au- Zentrum des Dorfes 1,4 km von der nem Unfalldatenspeicher, sind in der die erlaubte Höchstgeschwindigkeit be- tonomen Kleinbusses beworben und Hauptbuslinie entfernt, die von Bad Verordnung spezifische Rahmenbedin- trägt 20 km/h, das Fahrzeug muss über mit April 2017 die Testgenehmigung Ischl nach Salzburg geführt wird. gungen für drei unterschiedliche An- eine Notstopptaste verfügen und wäh- vom Bundesministerium erhalten. wendungsfälle definiert, nämlich auto- rend der Testphase dürfen maximal Ergebnisse der Testfahrten nomer Kleinbus, Autobahnpilot mit au- neun Personen auf den dafür vorgesehe- Teststrecke Koppl bei Salzburg Im Testzeitraum vom 24. April bis 22. tomatischem Spurwechsel sowie selbst- nen Plätzen auf nicht kommerzieller Ba- Die Teststrecke für den selbstfahrenden November 2017 wurden insgesamt 240 fahrendes Heeresfahrzeug. Für den Test sis befördert werden. Die Automat- Kleinbus wurde in der Gemeinde Koppl Testfahrten mit dem Digibus10 (so wur- von autonomen Kleinbussen muss ge- FahrV ermöglicht das Testen von auto- im Bundesland Salzburg eingerichtet. de der Kleinbus genannt) durchgeführt, mäß der AutomatFahrV eine geschulte matisierten Fahrzeugen ohne Typgeneh- Diese hatte eine einfache Streckenlänge bei denen 874 Personen befördert wur- Begleitperson mit mindestens Führer- migung mit einem Probefahrkennzei- von 1,4 km und eine maximale Steigung den. Bei den Testfahrten wurden 341 schein B im Kleinbus anwesend sein, die chen. von 8 %. Die Befahrung der gesamten Kilometer zurückgelegt, davon 318 Ki- die Kontrolle während der Testfahrten Die Salzburg Research Forschungs- Strecke (2,8 km) dauerte bei einer lometer im Ortsgebiet und 22 Kilometer übernehmen kann. Zudem darf der gesellschaft hat sich mit Unterstützung Höchstgeschwindigkeit von 16 km/h auf einer Landstraße. Die meisten Test- selbstfahrende Kleinbus nur auf einer des Landes Salzburg als erste Organisa- ca. 20 Minuten. Neben den Start- und fahrten (70 %) wurden unter sonnigen Endhaltestellen umfasst die Route zwei und trockenen oder leicht bewölkten Bushaltestellen pro Fahrtrichtung. Die Bedingungen durchgeführt. Bei rund Die Teststrecke in der Gemeinde Koppl bei Salzburg folgende Grafik bietet einen Überblick 28 % der Testfahrten war es stark be- über die Teststrecke. wölkt und regnerisch. 0,7 % der Test- Die Teststrecke in Koppl wurde pri- fahrten fanden bei Schneefall statt. Die- mär aufgrund des sogenannten Erste / se Schneefahrten sowie weitere Fahrten Letzte-Meile-Szenarios gewählt. Für die bei starkem Regen mussten aufgrund Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist der zu extremen Witterungsbedingun- die Überbrückung der sogenannten letz- gen abgebrochen werden. Der Großteil ten Meile, d. h. dem Weg von der Halte- der Testfahrten (45 %) wurde zu De- stelle zum Zielort oder zum Wohnort, monstrationszwecken für Unterneh- entscheidend. Im Fall von Koppl ist das mensdelegationen, Vertreter von Behör- Wetterbedingungen bei den Testfahrten und Testzwecke Quelle: Openstreetmap; Bearbeitung durch Salzburg Research Quelle: Salzburg Research 22 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 23
IM FOKUS den oder Verkehrsbehörden, die Presse bung sowie eine standardisierte Werk- qualität hängt jedoch stark von der • Hinsichtlich der Fahrmanöver wurde oder für Privatpersonen durchgeführt. zeugkette für die (teil-)automatisierte Sichtbarkeit der Satelliten sowie von durch die Tests bestätigt, dass der Rund 18 % der Fahrten wurden für Erstellung der digitalen Fahrumge- einem zuverlässigen Korrektursignal Kleinbus nur einfache, vordefinierte technische Tests durchgeführt. Hier bung oder Fahrspur fehlen bisher. ab. Der Arma DL4 benötigt mindes- Manöver handhaben kann. Er ist bei wurden beispielsweise Optimierungen • Eines der am häufigsten registrierten tens 14 sichtbare Satelliten. Das Errei- weitem noch nicht in der Lage, im ge- an der Zielführung vorgenommen, die Probleme war, dass der Kleinbus chen einer solchen GNSS-Abdeckung mischten Verkehr alle erforderlichen Software aktualisiert, Bremsentests ohne ersichtlichen Grund oder ohne für alle Streckenabschnitte und an je- Manöver entlang der Strecke selb- durchgeführt oder die Funktionalität erkennbares Hindernis anhielt. Mög- dem Tag war in Koppl eine Herausfor- ständig auszuführen. Wie bereits er- und / oder die Reichweite der Sensoren liche Gründe können Äste von Bäu- derung. Besonders bei schlechten wähnt, stoppt der Kleinbus zuverläs- getestet. men oder Sträuchern am Straßen- Wetterbedingungen gab es Situatio- sig vor Hindernissen auf dem Fahr- rand, ungenaue Positionierungsda- nen mit weniger als 14 sichtbaren Sa- weg, ist jedoch nicht in der Lage, an Erfahrungen ten, eine unzuverlässige 3G- oder telliten. Eine stabile Bereitstellung dem Hindernis automatisch vorbei- Die von Salzburg Research durchge- 4G-Datenübertragung oder Sensor- von GNSS-Korrekturdaten war eben- zufahren. Diese Aufgabe muss die führten Testfahrten haben gezeigt, dass reflexionen gewesen sein. so eine Herausforderung. Begleitperson manuell übernehmen. der selbstfahrende Kleinbus derzeit die • Eine der größten Herausforderungen • Im Hinblick auf die Umgebungserfas- Ebenso bedarf es bei Ausfahrten von Anforderungen hoch- oder vollautoma- beim Testen selbstfahrender Fahr- sung hat sich gezeigt, dass die Erken- Bushaltestellen sowie beim Linksab- tisierter Fahrzeuge nur unzureichend zeuge im gemischten Verkehr ergibt nung von statischen Hindernissen im biegen einer manuellen Interaktion erfüllt. Das Fahrzeug ist eine Art Proto- sich aus der Interaktion mit anderen Allgemeinen gut funktioniert und von dieser. typ in der Forschungs- und Entwick- Verkehrsteilnehmern. In einigen Si- dass der selbstfahrende Kleinbus zu- lungsphase. Die tatsächliche Fahrleis- tuationen ist nicht klar, was das verlässig vor Hindernissen stoppt. tung des Kleinbusses blieb deutlich hin- Fahrzeug als nächstes tun wird und Probleme ergeben sich aus toten Win- ter den Erwartungen zurück. Obwohl wie sich andere Verkehrsteilnehmer keln, die eine zuverlässige 360°-Er- der Hersteller angibt, dass der Navya verhalten sollen. Beispielsweise mel- kennung von Hindernissen verhin- In der Testreihe traten noch zahl- Arma DL4 Kleinbus das erste selbstfah- det der Kleinbus einen Stopp über ein dern. Dies ist vor allem ein Problem reiche gravierende PROBLEME auf. rende Fahrzeug ist, das die SAE J3016 Display an der hinteren Windschutz- der unglücklichen Position der Stufe 5 („Vollautomatisierung“) erfüllt, scheibe. Bedeutet das aber für die an- 360°-LIDAR-Sensoren auf der Dacho- klassifizieren wir den Kleinbus, basie- deren Verkehrsteilnehmer, dass es si- berseite (Dachkanten schatten die rend auf den Erfahrungen in Koppl, ma- cher ist, den Kleinbus zu passieren, Sensoren zur Seite ab) und kann in ximal als Stufe 3 Fahrzeug („bedingte oder sollten sie auch hinter dem Zukunft leicht gelöst werden. Andere Automatisierung“). Dies bedeutet, dass Kleinbus anhalten? Im Moment sind Probleme ergeben sich aus einer zu ge- Ergebnisse der Fahrgastbefragung der menschliche Bediener für die Mehr- solche Fragen offen und es fehlen ringen räumlichen Auflösung der ver- Neben der Bewertung der Fähigkeiten zahl der Manöver das Verhalten des Standards für die Interaktion mit an- wendeten Velodyn VLP-16 LIDAR- des Kleinbusses bestand das zweite Ziel Fahrzeugs überwachen muss, um gege- deren Verkehrsteilnehmern. Sensoren. Die 16 Schichten dieser der Testfahrten darin, qualitatives benenfalls eingreifen zu können. • In Bezug auf die Positionierung wur- Sensoren sind auf die unmittelbare Feedback von Passagieren zu sammeln. de durch die Testfahrten in Koppl be- Umgebung vor und hinter dem Fahr- Das Feedback der Passagiere wurde di- Als die größten Herausforderungen stätigt, dass die LIDAR-Positionie- zeug fokussiert und ermöglichen kei- rekt nach jeder Testfahrt per Online- im Testbetrieb haben sich folgende rung in bebauten Umgebungen, so- ne zuverlässige Erkennung von Hin- Umfrage auf einem Smartphone abge- Punkte herauskristallisiert: lange sich Gebäude auf der linken dernissen in der Distanz, insbesonde- fragt. Insgesamt wurden im Testzeit- und rechten Seite entlang der Route re, wenn sich diese Hindernisse mit raum 294 Umfragen abgeschlossen. • Das Einlernen einer neuen Route ist als Referenzobjekte befinden, zuver- höheren Geschwindigkeiten (> 30km Bezüglich der Vorkenntnisse des auto- derzeit ein sehr komplexer und res- lässig ist. Sobald der bebaute Bereich / h) bewegen. Dieses Problem kann matisierten Fahrens gaben 13 % der sourcenintensiver Prozess. Ein stan- verlassen wird, müssen andere Positi- mit LIDAR-Sensoren mit höherer Passagiere an, keine Kenntnisse über dardisiertes, herstellerunabhängiges onierungsansätze verwendet werden Auflösung oder mit zusätzlichen Sen- automatisierte Fahrzeuge zu haben. Verfahren zur Analyse, Auswertung wie beispielsweise Multi-GNSS-RTK- soren wie beispielsweise Radar-Sen- Fast 43 % hatten bereits vom automati- und Digitalisierung der Fahrumge- Positionierung. Die Positionierungs- soren oder Kameras gelöst werden. sierten Fahren gehört, 44 % sagten, 24 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 25
IM FOKUS dass sie sich bereits mit dem Thema be- nahme ergänzt werden, dass das Sicher- schäftigt haben. Dieser hohe Wert er- heitsempfinden der Passagiere höchst- gibt sich aus der Tatsache, dass zahlrei- wahrscheinlich abnehmen würde, Automatisierte Fahrzeuge che Unternehmensdelegationen mit wenn der Kleinbus vollständig fahrerlos sind derzeit noch nicht ausgereift einschlägigen Kenntnissen auf diesem fahren würde. Als die Passagiere nach und zu TEUER. Gebiet an den Testfahrten teilnahmen. den Gründen gefragt wurden, warum Rund 92 % der Passagiere hat die Fahrt sie sich an Bord nicht sicher fühlten, mit dem Digibus sehr gut oder gut ge- lauteten die Antworten „abruptes oder fallen. Laut ihren Aussagen schätzten ruckartiges Bremsen“, „nicht genug sie besonders „die gute Erkennung von Vertrauen in diese neue Technologie“, /// D R. KARL REHRL Hindernissen“, „das ruhige und leise „mangelnde Erfahrung“, „schlechte weiteren Entwicklung bis zu einem re- ist Leiter des Forschungsschwerpunkts Fahrverhalten“, „die Weiterentwick- Sensorik“ oder „der Kleinbus kann gulären, fahrerlosen Betrieb noch viele Digitale Mobilität bei der Salzburg Re- lung der Technik“ oder „das Design des nicht zwischen Personen und Fahrzeu- Hürden zu nehmen. Zum einen muss search Forschungsgesellschaft mbH, Kleinbusses“. Etwas mehr als 6 % sag- gen unterscheiden“. die Technik derart weiterentwickelt Salzburg. ten, dass ihnen die Fahrt mit dem Digi- werden, dass ein sicherer, fahrerloser bus weniger gut gefallen habe und 1 % Ausblick Betrieb in allen möglichen Situationen der Passagiere gab an, dass sie die Test- Selbstfahrende Fahrzeuge stellen eine gewährleistet werden kann. Derzeitige Anmerkungen 1 Danksagung: Das Digibus-Projekt wurde vom fahrt überhaupt nicht mochten. Die vielversprechende Möglichkeit dar, um Fahrzeuge weisen noch keine europäi- Land Salzburg unterstützt. 2 Denning, Daniela / Sieber, Niklas: Alternative Be- Gründe waren zum Beispiel „mangeln- den öffentlichen Personennahverkehr sche Fahrzeugzertifizierung auf, die für dienungsformen im ÖPNV, in: Verkehr und Tech- der Fahrkomfort“, „hohe Bremsintensi- zukünftig attraktiver zu gestalten, vor einen regulären Betrieb im öffentlichen nik, 2002, S. 109-11. 3 Sieber, Niklas / Walther, Cristoph: Wirtschaft- tät“ oder ein „Unsicherheitsgefühl“. Die allem in ländlichen Regionen, in denen Personennahverkehr aber notwendig lichkeit alternativer Bedienungsformen, Karlsru- Passagierbefragung ergab auch sehr po- sich herkömmliche Betriebsformen sein wird. Eine weitere Herausforderung he 2002. 4 König, Alexandra / Brandies, Alexander / Schnieder, sitive Werte für ein gutes Sicherheitsge- nicht wirtschaftlich betreiben lassen. stellt die Steigerung der Geschwindig- Lars / u. a.: Zukunftsszenarien autonomer Fahrzeu- fühl an Bord. Fast 90 % der Passagiere Obwohl die ersten Testversuche mit keit auf zumindest 20-30 km/h dar, um ge - nutzungsorientierte Gestaltung eines individu- fühlten sich an Bord des Digibus sehr selbstfahrenden Kleinbussen bereits eine Akzeptanz der Kleinbusse als Nah- ell abrufbaren Personentransportsystems, 2016. 5 Vgl. http://navya.tech/ sicher oder sicher. Dazu muss die An- vielversprechend verlaufen, sind in der verkehrsmittel zu erreichen. Speziell der 6 Vgl. https://www.digibus.at 7 SAE: SAE International Standard J3016 – Levels of Einsatz im Mischverkehr mit anderen Driving Automation, 2014. Verkehrsteilnehmern stellt die Fahrzeu- 8 Bmvit: Automatisiert – Vernetzt – Mobil: Aktions- ge vor große Herausforderungen. Eine plan Automatisiertes Fahren, https://www.bmvit. gv.at/innovation/publikationen/verkehrstechnolo Gefallen an der Fahrt und Sicherheitsgefühl der Fahrgäste weitere Herausforderung besteht in der gie/downloads/automatisiert.pdf, Stand: Juni 2016. 9 Bundesgesetzblatt: Automatisiertes Fahren Ver- Entwicklung der rechtlichen Rahmen- ordnung – AutomatFahrV, https://www.ris.bka. bedingungen. Solange die Fahrzeuge gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2016_II_402/ von einer mitfahrenden Person über- BGBLA_2016_II_402.pdf, Stand: 19.12.2016. 10 https://www.digibus.at wacht werden müssen, können die Vor- teile eines fahrerlosen Transportsystems nicht genutzt werden. Neben den Perso- nalkosten werden aber auch die An- schaffungs- und Betriebskosten eine entscheidende Rolle spielen. Derzeit lie- gen diese mit ca. 250.000 Euro An- schaffungskosten je Kleinbus und ca. 3.000-5.000 Euro Betriebskosten pro Monat noch deutlich über jenen Kosten, die einen wirtschaftlichen Betrieb zulas- Quelle: Salzburg Research sen würden. /// 26 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 27
IM FOKUS Quelle: scharfsinn86 / Fotolia.com /// Wege aus dem Stau SHARING-SYSTEME ALS TEIL EINER NACHHALTIGEN MOBILITÄT KLAUS BOGENBERGER / STEFAN SCHMÖLLER /// Regelmäßige Staus und verkehrsbe- dingte Umweltbelastungen sind ein zunehmendes Problem in vielen Großstädten. Der Verzicht auf den privaten PKW scheint hier ein möglicher Ausweg zu sein. Doch dazu müssen ausreichende Alternativen angeboten werden. Hier bietet die Shared Mobility einen wichtigen neuen Baustein. Systeme wie Bikesharing und Carsharing erweitern das Mobilitätsangebot und erleichtern den Verzicht auf privaten Fahrzeugbesitz. Mein Auto ist auch dein Auto – Sharing-Systeme, sei es privater oder kommerzieller Art, sind Bausteine zukünftiger Mobilitätsformen. Mobilität ist eines der Grundbedürfnis- schen ziehen vom ländlichen Raum in wachsen und die für Mobilität zur Ver- einen eigenen PKW leichter verzichtet se des Menschen, das die Lebensquali- die Stadt. Wohnen aktuell noch ca. 54 % fügung stehenden Flächen dementspre- werden kann. tät entscheidend mitbestimmt. Dabei der Weltbevölkerung (75 % der Bevöl- chend limitiert sind, ist ein Ausbau der Wie der Begriff „Shared Mobility“ wollen wir in unserer Mobilität auch kerung in Deutschland) in urbanen Infrastruktur nur begrenzt möglich. bereits vermuten lässt, sammeln sich möglichst ungehindert sein. Je mehr Räumen, so wird erwartet, dass dieser Vielmehr ist es notwendig, die zur Ver- unter diesem Ausdruck diverse Mobili- Menschen sich jedoch fortbewegen, des- Anteil bis zum Jahr 2050 schon auf 66 % fügung stehenden Flächen und Angebo- tätsformen, die auf die eine oder andere to größer ist die Nachfrage nach Mobili- (83 % in Deutschland) ansteigen dürf- te möglichst effizient zu nutzen. Ein An- Weise auf dem Teilen von Mobilität ba- tät. Die Folgen dieses erhöhten Mobili- te.1 Mit diesem Bevölkerungsanstieg satz zur Schmälerung der genannten sieren. Beim Carsharing und Bikesha- tätsbedarfs bei größtenteils gleichblei- einher geht natürlich auch die Notwen- Probleme liegt im Einsatz neuer Mobili- ring steht einem beschränkten Nutzer- bendem Mobilitätsangebot sind insbe- digkeit, diese Personen innerhalb der tätsformen. kreis eine Fahrzeugflotte zur Verfügung, sondere in Großstädten immer häufiger Stadt fortzubewegen. Da die meisten Einige dieser neuen Angebote lassen es wird also die Nutzung von Fahrzeu- zu beobachten. Trotz Parkplatzknapp- dieser Städte allerdings historisch ge- sich unter dem Schlagwort „Shared Mo- gen (Autos oder Fahrräder) geteilt. Beim heit sind tägliche Staus zu Spitzenzeiten bility“ zusammenfassen und bieten ih- Ridesharing (in Deutschland besser be- keine Seltenheit und aufgrund hoher ren Nutzern eine verstärkt bedarfsorien- kannt als Mitfahrzentralen) werden hin- Umweltbelastungen werden Städte im- tierte Mobilität. Durch diese neuen Sys- gegen freie Plätze geteilt, d. h. über eine mer häufiger mit drohenden Fahrverbo- teme erhofft man sich den Schritt weg Internetplattform werden Fahrer und ten konfrontiert und beschäftigen sich Der stetig STEIGENDE Mobilitäts- vom PKW-Besitz hin zu einer optimier- potenzielle Mitfahrer mit ähnlichen mit Maßnahmen, wie diese verhindert bedarf trifft derzeit auf ein limitiertes ten Verkehrsmittelwahl. Durch die Routen oder Teilrouten vermittelt. Wäh- werden können. Angebot. Kombination von öffentlichem Verkehr rend hier die geplante Route des Fahrers Und man kann davon ausgehen, (ÖV) und nicht-motorisiertem Individu- ausschlaggebend für die Auswahl po- dass diese Probleme sich in Zukunft alverkehr mit diesen neuen Angeboten tenzieller Mitfahrer ist, werden beim noch verstärken. Immer mehr Men- entsteht ein Gesamtsystem, in dem auf Ridesourcing vom Kunden Fahrtwün- 28 POLITISCHE STUDIEN // 478/2018 478/2018 // POLITISCHE STUDIEN 29
Sie können auch lesen