Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...

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Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...
dis.kurs
                    Ausgabe 3/2019

                  Das Magazin der
                  Volkshochschulen

   Interview mit dem DVV-
   Vorsitzenden Martin Rabanus

   Dossier: Vielfalt und Diversity

   Planspiel zusammenleben.
   zusammenhalten
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Editorial

                     Liebe Leserin, lieber Leser,

                     die Lange Nacht liegt hinter uns und ich möchte meinen Dank aussprechen an
                     alle Volkshochschulen, die sich an der größten Publikumsaktion in unserer
                     100-jährigen Geschichte beteiligt haben. Gemeinsam konnten wir zeigen, dass
                     Volkshochschulen für Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Gemeinschaft stehen
                     und wie sehr sich Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter sowie Dozentinnen und
                     Dozenten vor Ort für diese Prinzipien engagieren.

                     zusammenleben. zusammenhalten. war das gemeinsame Motto der Langen
                     Nacht. An vielen Volkshochschulen widmet sich auch das aktuelle Herbst- und
                     Wintersemester diesem Schwerpunkt. Das zeigt: Volkshochschulen haben die
                     Herausforderungen angenommen, sich in einer immer diverser werdenden Ge­-
                     sellschaft für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts einzusetzen.

                     Statt Trennendes in all unserer Unterschiedlichkeit zu suchen, müssen wir
                     Vielfalt als Stärke erkennen. In einer sich ständig wandelnden Welt kann unsere
                     Gesell­schaft von verschiedenen kulturellen Hintergründen, Sprachen,
                     Erfahrungen, Kompetenzen und Meinungen nur profitieren. Weil wir voneinan-
                     der lernen und so auf Veränderungen in unserem Lebensumfeld besser reagie-
                     ren können.

                     Doch damit unsere Gesellschaft an ihrer Diversität zusammen wachsen kann,
                     braucht es Bildung, Dialog und Beteiligung für alle Menschen. Volkshoch­
                     schulen sind hierfür die richtigen Orte – das hat die Lange Nacht der Volks­
                     hochschulen gezeigt, das zeigt der gemeinsame Semesterschwerpunkt, das zei-
                     gen die Beispiele in unserem Dossier „Vielfalt und Diversity“ in diesem Heft.

                     Auch über das Jubiläumsjahr hinaus soll der Beitrag der Volkshochschulen zu
                     einer offenen, vielfältigen und starken Gesellschaft weiter im Fokus stehen.

                     Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.

                     Ihr Ulrich Aengenvoort
                     Verbandsdirektor des DVV.

dis.kurs 03 | 2019
Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...
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SCHLAGLICHT
„Volkshochschulen als demo­
kratische Orte des Lernens sind
heute wichtiger denn je.“
Interview mit Martin Rabanus      [4]

HINTERGRUND
Große Sympathie für kleine
Angebote jenseits der großen
Medienmarken
Lars Gräßer und Fabia Rombach     [6]

                                        DOSSIER: VIELFALT UND DIVERSITY

                                        „Eine vhs, die Diversität nicht            Die Volkshochschule Frechen
                                        berücksichtigt, verliert ihre              in Regenbogenfarben
                                        Legitimation.“                             Antje Laacks                            [28]
Vom Hunderter zum                       Interview mit Prof. Dr. Alisha
Tausender. Von der Grundbildung         M. B. Heinemann                     [14]   Zielgruppe: Mann. Männer- und
zum Schulabschluss                                                                 Vätertag an der vhs Karlsruhe
Dr. Angela Rustemeyer             [8]   Vielfalt -Begegnung -Bildung               Elke Hartmann                           [30]
                                        Dr. Beate Blüggel                   [17]
                                                                                   Leitlinien für eine Inklusive Er­
                                        Die Volkshochschule wird                   wachsenenbildung festgeschrieben
ZWISCHENRUF                             bunter, jünger und männlicher              Angelika Mede                           [32]
                                        Eine Glosse von Dr. Beate Blüggel   [19]
Authentizität und Lust an                                                          Bildung für Bildungsferne: Tafel­
der starken Meinung                     „Die Grenzen meiner Sprache be­            laden-Kunden gratis in vhs-Kursen
Dr. Frauke Gerlach              [10]
                                        deuten die Grenzen meiner Welt“            Eva Klotmann                            [34]
                                        Dr. Julia Dittrich                  [20]
                                                                                   „Das beste Konzept für
                                        Volkshochschulen als sichere,              Vielfalt bringt nichts, wenn den
KOLUMNE                                 wertschätzende Lernorte                    Worten keine Taten folgen.“
                                        Meike Woller und Tania Hussein      [22]   Interview mit Ilse Emek                 [36]
Seit 100 Jahren im
Auftrag von Qualifikation und
                                        „Singen mit den Händen“:                   Ein Lern- und Begegnungsort
Selbstbestimmung
Martin Rabanus                  [12]
                                        die vhs Sign Singers                       für Menschen jeden Alters
                                        Caroline Minner                     [24]   Kathrin Schöttel und Frank Hartmann [38]

                                        Weiterbildung, die sich an                 „Die vhs hat mir gezeigt,
                                        der Vielfalt orientiert                    dass man lernen muss, um
                                        Sonja Spoede                        [26]   weiter zukommen.“
                                                                                   Christian Ziege                         [40]

                                                                                                             dis.kurs 03 | 2019
Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...
Inhalte                                                                                                                               3

GUTE PRAXIS                                  KURZ NOTIERT                                  dis.kurs für Volkshochschulen
                                                                                           als Abo per E-Mail bestellen
Klima – Umwelt – Nachhaltigkeit:             Präventionsarbeit als Querschnittsauf­
vhs for Future in Krefeld                    gabe – Kommunale Partnerschaft stärken:       Volkshochschulen können dis.kurs in
Dr. Inge Röhnelt                     [42]    Einladung zum DVV-Fachaustausch      [52]     beliebiger Stückzahl bestellen – für das
                                                                                           komplette Team und auf Wunsch auch
                                             Mehr öffentliche Präsenz und personelle
Muss das Lesen und Schreiben                                                               für Freunde und Förderer in Politik und
                                             Ressourcen für die junge vhs          [52]
so schwer sein?                                                                            Gesellschaft. Damit Sie die nächste
Ursula Sanwald                       [44]    Volkshochschule macht glücklich! Fest­        dis.kurs-Ausgabe zuverlässig erhalten,
                                             schrift zu „100 Jahre Volkshochschule“ [52]   bestellen Sie Abos per E-Mail an
Wenn die rebellische Jugendband              Noch bis 31.12.2020: Hol dir deine
                                                                                           info@ynot-gmbh.de oder per Fax an
auf den Herrenkochclub trifft                                                              06071 738 7119.
                                             ­Bildungsprämie!                      [53]
Johanna Zander, Magda Langholz und
Martin Händeler                   [46]       Das neue Portal www.volkshochschule.de:
                                             Mitmachen erwünscht!                 [53]

                                                                                           Impressum
                                             GELSESEN                                      dis.kurs 3/2019
                                             Erhellende Einsichten in die                  Das Magazin der Volkshochschulen
Richtige Ergebnisse sind                     Erwachsenenbildung                            ISSN 1611-6712, Postvertriebsstück
noch kein Garant für ein                     Von Sascha Rex                         [54]   26. Jahrgang
Verständnis mathematischer                                                                 Erscheint jeweils zum Ende des Quartals
Zusammenhänge                                                                              Preise für externe Leser/-innen:
Andreas Baumann                      [48]
                                             GESICHTER DER VHS
                                                                                           Einzelheft: € 6,50
                                             Die Seele des Literaturkreises der            Jahresabonnement: € 21,00
Multimedial das Lesen und                    Volkshochschule Rhein-Sieg                    Herausgeber:
Schreiben üben                               Jacqueline Skvorc                      [56]
                                                                                           Deutscher Volkshochschul-Verband e. V.,
Im Gespräch mit Doreen Nestler       [50]]
                                                                                           Obere Wilhelmstraße 32, 53225 Bonn
                                                                                           Tel.: 0228 975 69-0, Fax: 0228 975 69-30
                                                                                           E-Mail: info@dvv-vhs.de
                                                                                           Internet: www.volkshochschule.de
                                                                                           Verantwortlich:
                                                                                           Ulrich Aengenvoort, Verbandsdirektor
                                                                                           Redaktion:
                                                                                           Sabrina Basler, Juniorreferentin (-26)
                                                                                           Simone Kaucher, Pressereferentin (-11)
                                                                                           Sascha Rex, Grundsatzreferent (-60)

Korrektur:                                                                                 Abo-Verwaltung: Sabrina Basler (-26)
                                                                                           Anzeigen: Sabrina Basler (-26)
Bei den Copyrightangaben im Beitrag
„vhs sieht vhs“ von Rotraud Apetz in der                                                   Layout: LayoutManufaktur, Berlin
letzten Ausgabe (S. 36/37) sind uns zwei                                                   Druck: SZ-Druck, Troisdorf
bedauerliche Fehler unterlaufen: Das Foto                                                  Titel: Gudrun de Maddalena, Tuebingen
„Holz-Bildhauerkurs“ wurde fotografiert
von Silke Reupert. Fotograf des Bildes                                                     Umschlag-Gestaltung: Gastdesign,
„EDV-Kurs“ ist Jürgen Peine.                                                               Wolfgang Gast

dis.kurs 03 | 2019
Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...
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„Volkshochschulen als demokratische
Orte des Lernens sind heute wichtiger denn je.“
Interview mit dem neuen DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus

| Herr Rabanus, im Mai 2019 wurden Sie zum                 Martin Rabanus, seit

                                                                                                                                            © DBT/von Saldern
neuen Vorsitzenden des DVV gewählt. Wie fällt Ihre         Mai 2019 Vorsitzen-
Bilanz nach 100 Tagen aus?                                 der des DVV, lebt
                                                           mit seiner Familie im
Martin Rabanus: Nachdem ich mich in die Themen             Rheingau-Taunus-Kreis
und Funktionsweisen eingearbeitet habe, stelle ich         (Hessen). Nach seinem
fest, dass der DVV gut aufgestellt ist. Er arbeitet pro-   Stu-dium der Polito-
fessionell und unterstützt erfolgreich die DNA der         logie, Jura, Soziologie
Volkshochschulen, die da lautet: gesellschaftliche Teil-   und Geschichte arbei-
habe und politische Bildung durch ein breites Spekt-       tete er als Referent für
rum an qualitativ hochwertigen Bildungsangeboten,          die Bereiche Schule,
in der Stadt wie auf dem Land, für jeden und jede.         Kultur, Wissenschaft
                                                           und Kunst bei der
Ich danke dem Vorstand und der Geschäftsführung            SPD-Fraktion im Hes-
für die gute Unterstützung zu meinem Start. Wir ar-        si-schen Landtag. Seit
beiten gut zusammen, um die vor uns liegenden He-          2013 ist er Mitglied des
rausforderungen politischer, gesellschaftlicher und        Deut-schen Bundes-
struktureller Natur zu meistern. Die hohe Qualität der     tags und dort seit 2017    Am wichtigsten finde ich jedoch, dass sie für alle
Arbeit des Verbands, der Landesverbände und der            kultur- und me-dienpo-     Menschen gleichermaßen zugänglich sind. Das senkt
Volkshochschulen aufrechtzuerhalten und zukunfts-          litischer Sprecher der     die Hürden, auch mal an außergewöhnlichen oder
fest zu machen, bedarf hin und wieder einer Be-            SPD-Fraktion. Zudem        besonders herausfordernden Kursen teilzunehmen
standsaufnahme und Nachjustierung. Dafür möchte            engagiert er sich im       – und Gleichgesinnte dabei kennen zu lernen. Diese
ich mich mit allen Beteiligten gemeinsam einsetzen.        Unter-ausschuss für        Angebotsvielfalt, die innovative Programmgestal-
                                                           Auswärtige Kultur- und     tung und das unermüdliche Engagement der Ehren-
                                                           Bildungspolitik.           und Hauptamtlichen in den Volkshochschulen will
| Schon vor Ihrer Wahl zum DVV-Vorsitzenden en­-                                      ich auch in meiner Vorstandsarbeit weiter fördern.
gagierten Sie sich ehrenamtlich im vhs-Umfeld, un-
ter anderem im Vorstand der vhs Rheingau-Taunus.
Welche Themen und Anliegen der vhs vor Ort neh-                                       | Als Abgeordneter liegt Ihr thematischer Schwer-
men Sie hieraus für Ihre Arbeit im DVV-Vorstand mit?                                  punkt aktuell bei den Themen Kultur und Medien-
                                                                                      politik sowie der Auswärtigen Kultur- und Bildungs-
Die Volkshochschulen decken mit ihrem breit gefä-                                     politik. Sehen Sie auf diesen Feldern Potenziale für
cherten Angebot ein großes Spektrum an Themen                                         die Volkshochschulen?
ab, mit dem sie viele verschiedene Menschen zusam-
menbringen, die ihren Wissensdrang und das Lernen                                     Ja, in mehrfacher Hinsicht. Einerseits, weil ich als Kul-
verbinden. Während meiner Zeit im Vorstand der                                        tur- und Medienpolitiker weiß, wie wichtig die Ausei-
vhs-Rheingau-Taunus habe ich immer wieder mit-                                        nandersetzung und kritische Urteilsfähigkeit ist, bei-
erlebt, wie gut die Volkshochschule auf aktuelle Ver-                                 spielsweise im Umgang mit sozialen Medien, dem
änderungen in der Gesellschaft und die Bedarfe der                                    Internet als Informationsquelle und die Veränderun-
Menschen reagieren kann. Das haben die vhs auch                                       gen in der Kommunikation. Andererseits ist die Volks-
2015 mit dem flächendeckenden Aufbau von Integ-                                       hochschule auch ein Hort der flächendeckenden kul-
rations- und Sprachkursen bewiesen. Dies gilt sowohl                                  turellen Bildung. Sie bringt Menschen zusammen, die
für städtische wie auch für ländliche Regionen.                                       sich mit Kultur auseinandersetzen wollen, wahlweise

                                                                                                                          dis.kurs 03 | 2019
Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...
Schlaglicht                                                                                                                        5

mit der eigenen oder mit zunächst fremden. Dafür ist gesellschaftlichen Zusammenhalts werden bundes-
die Volkshochschule eine wichtige Vermittlerin.      weit das Kursprogramm im Herbstsemester prägen.

In der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sind    Einen Punkt will ich noch ansprechen: die drohende
die Volkshochschulen ein wichtiger Akteur, was den     digitale Spaltung der Gesellschaft. Ihr entgegenzu-
wenigsten Bürgerinnen und Bürgern bekannt ist. Mit     wirken, ist eine der größten Bildungsaufgaben der
den breit gefächerten Angeboten für zertifizierte      Gegenwart. Digitale Technologie durchdringt alle
Deutschkurse im Ausland stärken sie unsere Mutter-     Lebensbereiche und sorgt für eine grundlegende
sprache, unterstützen ihre weltweite Anerkennung       Veränderung auch des öffentlichen Diskurses und
und Verbreitung sowie ihren Stellenwert. Besonders     der politischen Willensbildung. Digitale Errungen-
wichtig ist mir dabei DVV-International. Dieser „Ver-  schaften, wie beispielsweise die sozialen Netzwerke,
band im Verband“ leistet eine tolle Arbeit auf vier    bergen die Chance auf breite Beteiligung an öffentli-
Kontinenten, in 30 Ländern. Hier gibt es eine Fülle    chen Debatten. Um dabei nicht Desinformation und
von Anknüpfungspunkten zu meiner Arbeit in der         Populismus Vorschub zu leisten, ist allerdings eine di-
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, und ich       gitale Bildungsoffensive nötig, die die politische Ur-
werde mich dafür einsetzen, dass die internationale    teilsfähigkeit und Medienkompetenz der Menschen
Arbeit weiter gestärkt wird.                           stärkt. Denn sowohl Ältere, als auch die Generation
                                                       der Digital Natives haben vielfach Lernbedarf, um
                                                       Fake News zu entlarven, realitätsverzerrenden Filter-
| Welche Schwerpunkte sehen Sie darüber hinaus         blasen zu entkommen und Hate Speech zu widerste-
für die Verbandsarbeit der kommenden Jahre?            hen. Die Volkshochschulen stehen bereit, um diese
                                                       große Bildungsaufgabe zu übernehmen. Im Übrigen
Volkshochschulen als demokratische Orte des Ler- aber wird das Arbeitsprogramm des Vorstandes ge-
nens sind heute wichtiger denn je. In Zeiten gesell- meinsam in und mit den Gremien des DVV erarbeitet.
schaftlicher Umbrüche und ausdifferenzierter Milieus, Dem will ich nicht vorgreifen.
in Zeiten technologischen Fortschritts und kommu-
nikativer Umwälzungen durch die sozialen Medien,
in Zeiten einer immer weiter zusammenwachsenden | Neue Besen kehren gut, heißt es im Volksmund.
Welt und neuer Herausforderungen demokratischer Was wollen Sie im Verband ändern?
Gesellschaften braucht es mehr denn je Orte, die mit
lebensbegleitender Bildung zur demokratischen Ge- Der DVV ist gut aufgestellt, politisch anerkannt und
staltung unserer Gesellschaft beitragen. Das gemein- organisatorisch gefestigt. Der Bundesverband, die
same Verständnis von unseren Grundwerten muss Landesverbände und auch die Volkshochschulen
stets aufs Neue ausgehandelt werden. Menschen- sind in Gesellschaft und Politik präsent und akzep-
würde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit tiert. Das soll bei allen Veränderungen, die in den
realisieren sich nicht im luftleeren Raum: Ihre Bedeu- kommenden Jahren anstehen, auch so bleiben. Da-
tung muss immer wieder im Konkreten ausgestaltet für werde ich mich einsetzen.
werden. Gerade hierbei kommt den Volkshochschu-
len eine ganz besondere Bedeutung zu. Diese will ich Die Marke „Volkshochschule“ ist sehr bekannt und ge-
stärken und unterstützen.                              nießt eine hohe Wertschätzung bei den Menschen.
                                                       Dennoch ist die Differenz zwischen denen, die die
Die Volkshochschulen stehen in einer langen Tra- Volkshochschulen kennen und schätzen, und den-
dition, die die demokratische Bildung, die „Einmi- jenigen, die tatsächlich Angebote wahrnehmen, für
schung“ jedes Einzelnen und das tägliche, demokra- mich zu hoch. Diese Lücke zu schließen, ist eine der
tische Ringen um gute Lösungen zum Leitbild einer wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre. Es
Erwachsenenbildung erklärt, die dem Gemeinwohl geht dabei vor allem darum, die nachkommenden
dient und unsere freiheitliche Grundordnung mit Generationen für die Idee der vhs und für ihre Ange-
Leben füllt. Als „Werkstätten der Demokratie“ hat der bote zu begeistern. Das wird nur gehen durch eine
frühere Bundespräsident Joachim Gauck die Volks- vielerorts ja schon ganz hervorragend angelegte
hochschulen bezeichnet. Im Jubiläumsjahr 2019 wol- Weiterentwicklung der Volkshochschulen zu „Dritten
len die Volkshochschulen und ihre Verbände diese Orten“ für Lernen und Begegnung einerseits und den Die Fragen stellte Sabrina
Rolle besonders unterstreichen und die Bedeutung Ausbau von digitalen Instrumenten andererseits. Bei- Basler, Juniorreferentin in der
politischer Bildung in den Fokus rücken. Fragen des des gehört zusammen und widerspricht sich nicht.           dis.kurs-Redaktion.

dis.kurs 03 | 2019
Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...
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Große Sympathie für kleine Angebote
jenseits der großen Medienmarken
Verleihung des Grimme Online Award 2019

Von Lars Gräßer und Fabia Rombach

D
        ie Verleihung des Grimme Online Award am
        Abend des 19. Juni in der Kölner Flora setzte
        mit ihren Preisträgerinnen und Preisträgern
ein Zeichen für die Kraft der Netz-Communities. Im

                                                                                                                                        Fotos: Gina Wetzeler / Grimme-Institut
Gegensatz zur oftmals eher die Gemeinschaft zerset-
zenden Kommunikationskultur im Netz, lenkte die
Preisverleihung den Blick auf die hochwertigen und
der Demokratie eher förderlichen Angebote im Netz
– vor allem jenseits der großen Medienmarken.

Eröffnet wurde die Gala durch Grimme-Direktorin
Dr. Frauke Gerlach, die dem Abend einen politischen
Grundton verlieh und deutlich machte: „Das Netz hat
die kommunikativen Spielregeln der Politik unwider-
ruflich geändert.“ Neben der Straße habe jede gesell- Gute Stimmung beim Grimme Online Award 2019 in der Kölner Flora
schaftliche Bewegung mit den sozialen Medien ein
wirkmächtiges Instrument: „Dies befruchtet den de-
mokratischen Diskurs. Aber wir sind auch mit Hass                                Und Nathanael Liminski, Staatssekretär für Me-
und Hetze konfrontiert, die in Gewalt münden kann“,                              dien und Chef der Staatskanzlei des Landes Nord-
so Gerlach weiter. Darauf müsse sich die Politik und                             rhein-Westfalen, zitierte den Bundespräsidenten:
die Gesellschaft in jeder Hinsicht einstellen, um zu                             „Wo die Sprache verroht, da ist die Straftat nicht weit.“
fordern: „Wir brauchen gemeinsame, neue Spielre-                                 Deshalb dürfen wir das Netz nicht den Hassern und
geln, auch wehrhafte.“                                                           Hetzern überlassen, so Liminski, im Gegenteil: „Ille-
                                                                                 gale Inhalte müssen konsequent verfolgt und die
                                                                                 Urheber zur Rechenschaft gezogen werden. Und wir
                                                                                 müssen die neuen Kommunikationsmöglichkeiten
                                                                                 dazu nutzen, laut Stellung zu beziehen.“

                                                             „In diesem Jahrgang      Nach dem ernsten Auftakt standen die Preisträge-
                                                             haben sich die An-       rinnen und Preisträger im Mittelpunkt. In der von
                                                             gebote durchgesetzt,     Siham El-Maimouni moderierten Gala überreichten
                                                             die abseits großer       prominente Preispatinnen und -paten – darunter En-
                                                             Häuser entstanden        tertainer Michel Abdollahi, Comedian Hazel Brugger,
                                                             sind, als Teamwork       Nachhaltigkeitsinfluencerin Louisa Dellert, Cartoo-
                                                                                      nist Ralph Ruthe und der ARD-Meteorologe Karsten
                                                             oder von Einzelper-
                                                                                      Schwanke – die begehrten Trophäen an die acht
                                                             sonen, manches Mal
                                                                                      Jury-Favoriten und den Liebling des (Netz-)Publi-
                                                             mithilfe der Crowd,      kums. Musikalisch begleitet durch die experimentel-
                                                             immer mit viel Leiden-   len Klänge von Kaleo Sansaa – ein Mix aus Hip-Hop,
Nathanael Liminski, Staatssekretär für Medien und Chef der
Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, spricht sich   schaft und oft ohne      Indie, Soul und Dub – und in Anwesenheit von 280
gegen Hass im Netz aus                                       große Ressourcen.“       Gästen.

                                                                                                                      dis.kurs 03 | 2019
Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...
Hintergrund                                                                                                                                        7

Wer gehörte zu den Glücklichen?
Etwa das Gemeinschaftsblog „Technik-Tagebuch“,
welches seit über fünf Jahren die Veränderungen
in der uns umgebenden Alltagstechnik beschreibt
und reflektiert – Ergebnis der Arbeit von über 450
Autorinnen und Autoren. Mehr als doppelt so viele
Menschen beteiligten sich am Gemeinschafts-Re-
chercheprojekt „Wem gehört Hamburg?“, initiiert
und durchgeführt vom „Hamburger Abendblatt“ und
dem Recherchekollektiv „Correctiv“. Ergebnis: mehr
Transparenz auf dem Hamburger Wohnungsmarkt
und ein Vorbild für andere Recherchen, lobt die Jury:

„Das Konzept des Crowd-Newsrooms ist für andere
Städte, in denen man Gleiches untersucht, adaptier-
bar – und bietet mit seiner netzpublizistischen Auf-
bereitung auch in Partnermedien die Grundlage für
die Debatte zu einem gesellschaftlich hoch relevan-
                                                     Das Team von TINCON präsentiert den Preis mit Preispatin Hazel Brugger (2.v.l.)
ten Thema.“

Dass starke Gemeinschaften auch für die Finanzie-
rung von Angeboten herangezogen werden können,             „In diesem Jahrgang [haben sich] die Angebote
zeigen hingegen die „Krautreporter“ und auch „Bu-          durchgesetzt […], die abseits der großen Häuser ent-
terbrod und Spiele“. Letzteres ist das Ergebnis einer      standen sind, als Teamwork oder von Einzelpersonen,
crowdfinanzierten Recherchereise im zeitlichen Um-         manches Mal mithilfe der Crowd, immer mit viel Lei-
feld der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland.       denschaft und oft ohne große Ressourcen.“
„Buterbrod und Spiele“ kann aber auch als Beispiel
herangezogen werden für ein eher „kleines“ Ange-           Belegen lässt sich dies – auch – anhand des „Mensch
bot, hinter dem kein großes Medienhaus steht – und         Mutta.“ Podcasts, anhand der Videoessays des You-
doch Vorbildliches produziert wird. In den Worten          Tube-Kanals „Ultralativ“ und des ebenfalls ausge-
der Jury:                                                  zeichneten, kanalübergreifenden Satire-Formats
                                                           „Krieg und Freitag“. Ein weiterer Preis ging an die
                                                           Jugend-Netzkonferenz TINCON, die das Internet
                                                           mit Blick auf die nachwachsende Generation zum
                                                           Thema macht und so „einen Diskursraum für junge
                                                           Menschen zwischen 13 und 21 Jahren“ eröffnet, so
                                                           die Jury. Das Voting des Publikums konnte am Ende
                                                           der You-Tube-Kanal „Einigkeit & Rap & Freiheit“ (sen-
                                                           defähig für funk) für sich entscheiden, der bereits in
                                                           diesem Jahr für den Grimme-Preis nominiert war. |

                                                           Publikation zum Grimme Online Award
                                                           Auch in diesem Jahr ist wieder eine Preispublikation
                                                           erschienen, die in vollem Umfang kostenlos im Netz          Lars Gräßer ist Pressesprecher
                                                           verfügbar ist. Sie präsentiert nicht nur die diesjährigen   des Grimme-Instituts, Gesell-
                                                           Preisträgerinnen und Preisträger, sondern dreht sich im     schaft für Medien, Bildung
                                                           Magazinteil zudem um die Frage: Wie lassen sich hoch-
                                                                                                                       und Kultur mbH.
                                                           wertige Inhalte im Netz finanzieren? Bezug genommen
                                                           wird dabei auf ein Projekt des Grimme-Forschungskollegs     Fabia Rombach ist Studentin
                                                           an der Universität zu Köln.                                 der Sozialwissenschaften
Moderatorin Siham El-Maimouni im Gespräch mit der Direk-   Online unter: https://www.grimme-institut.de/publikatio-    und absolviert ein Praktikum
torin des Grimme-Instituts, Dr. Frauke Gerlach             nen/grimme/                                                 beim Grimme-Institut.

dis.kurs 03 | 2019
Dis.kursDas Magazin der - Volkshochschulen - Interview mit dem DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus - Deutscher ...
8

Vom Hunderter zum Tausender.
Von der Grundbildung zum Schulabschluss
DVV-Rahmencurriculum Rechnen hilft bei Übergängen

Von Dr. Angela Rustemeyer

D
        er Juni 2019 ist heiß, auch in diesem Kursraum
        der Stuttgarter Volkshochschule. Dirk Boberg
        ist das nicht anzumerken. Freundlich erklärt
der Mathematiklehrer die Bedeutung der Zeichen
für „größer als“ und „kleiner als“, schreibt Beispiele mit
einzelnen Zahlen und Termen an die Tafel.

Boberg beginnt ganz am Anfang, betont noch ein-
mal, dass mit der Größe einer Zahl die dahinterste-
hende Menge gemeint ist, nicht die Schriftgröße, in
der die Ziffer gerade an der Tafel dargestellt ist. Denn
das ist Menschen, die Rechnen von Grund auf lernen
müssen, oft nicht klar.

                                                                                                                                        Fotos: Gisela Lorenz/DVV)
Mit seinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern er-
probt Boberg zweimal pro Woche in einem Modell­
kurs Lehr- und Lernmaterialien zum DVV-Rahmen-
curriculum Rechnen. Keine leichte Aufgabe: In Kursen
wie diesem muss die Lehrkraft erst einmal heraus-
finden, warum jemand das Größer- und das Kleiner­
zeichen verwechselt. Wird der richtige Gebrauch des In den Modellkursen arbeiten Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Aufgabenblättern aus
                                                     dem DVV-Rahmencurriculum Rechnen.
Zeichens zum Beispiel durch die unterschiedlichen
Leserichtungen in der Herkunftssprache und im
Deutschen erschwert? Oder fehlt tatsächlich das Ver-                                ein Rechen-Therapiezentrum wenden würden, weil
ständnis für den Wert der Zahlen?                    „Rechenkenntnisse              ihnen dafür das Geld fehlt.
                                                             sind für die Beschäf-
                                                                                      Rechenkenntnisse seien für die Beschäftigungsfähig-
Rechnen für Alle in der                                      tigungsfähigkeit heut-
                                                                                      keit heutzutage unverzichtbar, sagt Nagel. „Die klas-
schwäbischen Autostadt                                       zutage unverzichtbar.    sische Stenotypistin brauchte nicht zu rechnen, die
Wolfgang Nagel, in der vhs Stuttgart verantwortlich          Die klassische Ste-      Projektsachbearbeiterin rechnet jeden Tag. Und in
für die Grundbildung, hat den Kurs organisiert. Dass         notypistin brauchte      den Zuliefererbetrieben der Autoindustrie sind selbst
es Erwachsene gibt, die nicht rechnen können, stellte        nicht zu rechnen,        am Band basale Rechenkenntnisse erforderlich.“
er fest, als er begann, sich um Lehrgänge zum Nach-          die Projektsachbe-
holen des Hauptschulabschlusses zu kümmern. Wer              arbeiterin rechnet       Rechnen lernen für den Job
schwach im Rechnen ist, kann einen Kurs zur Vorbe-
                                                             jeden Tag. Und in        im Ostallgäu
reitung auf den Lehrgang besuchen. Daneben bie-
                                                             den Zulieferbetrie-
tet Nagel auch Rechenkurse für Menschen an, die                                      Sichtbarer Wohlstand und eine Arbeitslosenquote
keinen Schulabschluss nachholen wollen oder kön-             ben der Autoindustrie   unter drei Prozent: der Region Ostallgäu geht es gut.
nen. Es gefällt ihm, dass die DVV-Materialien schon          sind selbst am Band     Damit das so bleibt, müssen die Menschen bei der
bei einem sehr frühen Stadium des mathematischen             basale Rechenkennt-     Planung ihrer Bildungsbiographie begleitet werden,
Denkens ansetzen, beim Übergang vom Zählen zum               nisse erforderlich“.    meint der Programmverantwortliche für Berufliche
Rechnen. Mit Angeboten auf diesem Niveau unter-                      Wolfgang Nagel, Bildung Jürgen Wendlinger von der vhs Kaufbeuren.
stützt die vhs Stuttgart auch Personen, die sich nie an                vhs Stuttgart Das Ostallgäu müsse seinen Dienstleistungssektor,

                                                                                                                        dis.kurs 03 | 2019
Hintergrund                                                                                                                                     9

der vor allem auch viele Unternehmen im Gesund-                                                                         Modellstandorte
heitswesen und in der Gastronomie umfasst, weiter                                                                       Insgesamt acht Volkshoch-
                                                                                                                        schulen haben die Materia-
unterstützen. Dafür werden Arbeitskräfte gesucht: in                                                                    lien zum DVV-Rahmencur-
der Pflege, in Hotels und Gaststätten, auch in Einzel-                                                                  riculum Rechnen erprobt:
handel und Handwerk. „Aber die Arbeitgeber können                                                                       • vhs Berlin-Pankow,
nicht jeden nehmen“, meint Bildungsberater Wend-                                                                        • vhs Bochum,
linger: Ein Mindestmaß an fachlicher Qualifikation sei                                                                  • vhs Kaufbeuren,
Voraussetzung, ebenso elementare deutsche Sprach-                                                                       • vhs Kempten,
kenntnisse und grundlegende Kenntnisse im Rech-                                                                         • vhs Landkreis Konstanz,
nen bzw. in der Mathematik. Darum hat Wendlinger                                                                        • vhs Schwäbisch-Gmünd,
in Kooperation mit dem Jobcenter Ostallgäu im be-                                                                       • vhs München und
                                                                                                                        • vhs Stuttgart.
nachbarten Marktoberdorf den Modellkurs „Rech-
nen im Beruf“ eingerichtet. In diesem Kurs werden
DVV-Materialien für den elementaren Rechenunter-
richt erprobt. Die Teilnehmer*innen sind mehrheit-
lich Zugewanderte, die einen Job suchen.

Kursleiter Stefan Rau trifft sich mit den jungen Frauen
und Männern vierzehn Tage lang immer vormittags
in der vhs-Filiale. Draußen, gleich gegenüber, eine
                                                          Mit haptischem Material üben die Teilnehme­rinnen und Teil-
florierende Konditorei, seit Generationen von dersel-     nehmer das Bündeln von Mengen und den Aufbau mehrstel-
ben Familie geführt. Drinnen entwickeln sich Perso-       liger Zahlen.
nalressourcen. Die haben Namen und unterschiedli-
chen Lernbedarf. Mit den Aufgabenblättern des DVV
und mit haptischem Material üben die Teilnehme-           In den Räumen nebenan sitzen an diesem Tag etliche
rinnen und Teilnehmer bei Stefan Rau das Bündeln          junge Erwachsene über den Prüfungsaufgaben für
von Mengen und den Aufbau mehrstelliger Zahlen.           den Hauptschulabschluss. In Bochum ist die Arbeits-
Einige sind schnell, bündeln bald spielend im Hun-        losenquote um rund fünf Prozentpunkte höher als
derterblock, bekommen die Überschreitung der Zeh-         im Ostallgäu, aber wer qualifiziert ist, hat jetzt gute
ner glatt hin und leiten am Schluss selbständig den       Aussichten. Elke Dietinger und Ute Vielhaber-Jesse,
Übergang von den Hundertern zu den Tausendern             Programmverantwortliche für Schulabschlüsse und
ab. Ein anderer versteht die Stellenwert-Tabelle erst     Grundbildung an der vhs, möchten, dass noch mehr
am Ende der Stunde.                                       junge Leute auf dem modernen Bochumer Arbeits-
                                                          markt bestehen können. Darum bieten sie die Schul-
                                                          abschlusslehrgänge an.
Ziel: Zweiter Bildungsweg –
Rechnen im Ex-Revier                                      Viele der jungen Erwachsenen, die ihren Hauptschul-
Angelika Pöppel unterrichtet seit Jahren im Haus der      abschluss an der vhs nachholen wollen, sind in der
vhs in der Bochumer Baarestraße. Die Straße ist be-       Schule an Mathematik gescheitert. „Mathe konnte ich
nannt nach einem Gründervater der Montan-Indust-          noch nie“: Diesen Satz hören Dietinger und Vielha-
rie, die heute Denkmalstatus hat. In ihrem Modellkurs     ber-Jesse immer wieder. Der Kurs mit den DVV-Ma-
muss Pöppel an diesem Morgen sechzehn junge Er-           terialien, in dem Zusammenhänge zwischen Zahlen
wachsene zu einem produktiven Gespräch über das           und Rechenverfahren noch einmal von Grund auf er-
Verhältnis von Brüchen, Dezimalzahlen und Prozent-        klärt werden, bietet die Chance, Mathe endlich doch
sätzen animieren. Sie zeichnet eine Tabelle aus dem       zu verstehen.
DVV-Material an die Tafel, ermuntert ihre Schüler*in-
nen, an einem Sommerabend Pizza zu bestellen und          David Kollosche, Professor für Didaktik der Mathema-
in wechselnden Konstellationen aufzuteilen. Später        tik an der PH Vorarlberg in Österreich, hört zu und
wenden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das             diskutiert mit. Sein Team besucht alle Modellkurse,
Gelernte in praktischen Übungen mit Waage und Li-         um zu untersuchen, wie das DVV-Material bei Lehr-
termaß an. Nicht alle sind konzentriert. Aber einige      kräften und Teilnehmer*innen ankommt. Das Feed- Dr. Angela Rustemeyer leitet
bleiben nach Unterrichtsschluss und nehmen sich           back des Wissenschaftlers fanden die Praktiker*innen das Projekte Rahmencurri­
gemeinsam noch ein Aufgabenblatt vor.                     jedenfalls gut. Weiterer Austausch ist erwünscht. | culum Transfer beim DVV.

dis.kurs 03 | 2019
10                                                                                                                             Zwischenruf

Authentizität und Lust an
der starken Meinung
Wie das Netz unsere kommunikativen Spielregeln verändert

Von Dr. Frauke Gerlach

F
      ünf Jahrzehnte haben wir nun schon „dieses          Instagram und You-              nicht nur das: Die Anschlussfähigkeit an öffentliche
      Internet“. Vor dreißig Jahren begann das Be-        Tube der (Pre-) Teens           Kommunikation ist heute unfassbar leicht. Jeder Like
      wegtbild die seinerzeit nahezu textbasierte         von Friederike von Gross /      oder Dislike zahlt unmittelbar auf Personen, Botschaf-
                                                          Renate Röllecke (Hrsg.), u.a.
Netzkommunikation zu revolutionieren. Mit einer           mit ersten Ergebnissen aus      ten oder Produkte ein. Es entstehen wirkmächtige
Live-Webcam aufgenommen – in der Auflösung von            dem Grimme-Forschungs-          Communitys, die – im Positiven wie Negativen – Ein-
128 x 128 Pixeln –, gilt der „Trojan Room Coffee Pot“     kolleg „YouTuber-Videos,        fluss auf die öffentliche Meinungsbildung nehmen,
                                                          Peers und politische Orien-
als erstes Bewegtbild im Netz.                            tierung von Jugendlichen“..     wo zu Hass und Hetze und manchmal auch zu Ge-
                                                                                          walt aufgerufen wird, ebenso wie zu nachhaltigem
Wir schreiben das Jahr 1991, es gibt noch keine öf-                                       Handeln mit Blick auf die sich ankündigende Klima-
fentlich zugänglichen sozialen Netzwerke. Die Mög-                                        katastrophe.
lichkeiten des digitalen Bewegtbildes kündigen sich
aber bereits an: An der Universität in Cambridge ist                                      Politik muss anders
eine Webcam auf eine Kaffeemaschine gerichtet
                                                                                          kommuniziert werden
und kann drei Bilder pro Minute aufnehmen. Wissen-
schaftler in anderen Räumen können so sehen, ob sie                                       Im Zuge dessen verändern sich unsere Gesellschaft
schnell sein müssen, um sich den letzten Rest aus der                                     und ihre kommunikativen Spielregeln. Noch ver-
Kaffeekanne zu sichern. Im November 1993 schaf-                                           suchen wir zu begreifen, welche Auswirkungen
fen es die Bilder dann sogar ins World-Wide-Web.                                          dies auf Politik, Medien und Wirtschaft und unsere
                                                                                          privaten Lebensbereiche haben wird. Da wir mit-
                                                                                          ten in den Veränderungsprozessen stehen, fällt de-
Werte im Wandel
                                                                                          ren Bewertung noch schwer. Gleichzeitig wird der
Acht Jahren später wird mit „Bitfilm“ die erste Be-                                       gesellschaftliche Anspruch immer deutlicher for-
wegtbild-Plattform mit dem Grimme-Online-Award                                            muliert, dass wir das Netz und seine gesellschaft-
ausgezeichnet, der in diesem Jahr ins Leben gerufen                                       lichen Dimensionen gestalten (wollen) und nicht
wurde. Die Grimme-Jury zeichnete die Seite deshalb                                        umgekehrt – ein Anspruch, den ich absolut teile.
aus, „weil sie neue Wege beschreitet, aus Konsumen-                                       Eingeräumt werden muss: Regeln, Werte und kom-
ten Produzenten zu machen. Bitfilm ermöglicht be-                                         munikative Mechanismen aus dem analogen Zeit-
reits heute eine Vision dessen, was das Internet in Zu-                                   alter haben ihre Gültigkeit (noch) nicht verloren,
kunft kann und sein wird,“ so die Jury im Jahr 2001.                                      allerdings sind auch sie dem ständigen Wandel un-
                                                                                          terworfen. Immer deutlicher zeichnet sich hingegen
Im April 2005 wurde diese „Vision“ zur Wirklichkeit,                                      ab, dass Politik anders kommuniziert werden kann
das Video „me at the zoo“ auf YouTube hochgeladen.                                        und muss. Diese Veränderung scheint unumkehrbar.
Stück für Stück erfolgte der Infrastrukturausbau, der                                     Dabei will ich nicht den Blick auf Twitter und den Ver-
Nutzerinnen und Nutzer zu Hause und unterwegs er-         „Regeln, Werte und              lust integrativer Kommunikationsformen lenken oder
möglicht, an der Netzkommunikation aktiv teilneh-         kommunikative Me-               davon sprechen, dass Vertraulichkeit gestern war und
men zu können und zwar mit allen Ausdrucksmitteln,        chanismen aus dem               Schnelligkeit nicht immer den gewünschten politi-
die uns zur Verfügung stehen: Sprache, Schrift, Musik,                                    schen Effekt erzielt.
                                                          analogen Zeitalter
Foto, Icons und das bewegtes Bild.
                                                          haben ihre Gültigkeit
                                                          (noch) nicht verloren,          Politische Meinungsbildung
Was ist geschehen? Eine grundlegende Verände-
                                                          allerdings sind auch            jenseits etablierter Medienformate
rung und Beschleunigung der kommunikativen
Raum-Zeit-Dimension! Wenn wir wollen, sind wir in         sie dem ständigen               Es soll um das bewegte Bild und seine Akteure gehen
Echtzeit mit dem gesamten Globus verbunden. Und           Wandel unterworfen.“            – vor allem im Netz. Hier sind Öffentlichkeiten ent-

                                                                                                                             dis.kurs 03 | 2019
Zwischenruf                                                                                                                                                                            11

                                                                                                                                                            Meinungsstarkes Infotain-
                                                                                                                                                            ment für ein überwiegend
                                                                                                                                                            junges Publikum: Das

                                                   Foto: Arkadiusz Goniwiecha/Grimme-Institut
                                                                                                                                                            Facebook-Format Deutsch-

                                                                                                Foto: Jens Becker/ Grimme-Institut
                                                                                                                                                            land3000 mit Host Eva
                                                                                                                                                            Schulz (Foto links oben, m.)
                                                                                                                                                            war für einen Grimme Online
                                                                                                                                                            Award nominiert. Bereits
                                                                                                                                                            2014 wurde das Interview-
                                                                                                                                                            format Jung & Naiv von und
                                                                                                                                                            mit Tilo Jung (Foto rechts
                                                                                                                                                            oben) mit einem Award aus-
                                                                                                                                                            gezeichnet. Der YouTuber
                                                                                                                                                            LeFloid alias Florian Mundt
                                                                                                                                                            (Foto links unten, m.) konnte
                                                                                                Meinung (Studie: Kai-Uwe Hugger u.a., Grimme-For-           sich im selben Jahr über den
                                                                                                schungskolleg an der UzK). Wechseln YouTuber aller-         Publikumspreis freuen.
                                                                                                dings in klassische Medien, in ein stärker redaktionell
                                                                                                geprägtes Format, verlieren sie urplötzlich ihre Au-
                                                                                                thentizität. Fast scheint es, als ob die (professionelle-
                                                                                                ren) Produktionsbedingungen negativ zurückwirken,
                                                                                                zumindest für jüngere Zielgruppen.
                                                   Foto: Jens Becker/ Grimme-Institut

                                                                                                Die Kraft der
                                                                                                Selbstwirksamkeit
                                                                                                Authentizität und Lust an der starken Meinung darf
                                                                                                man auch Rezo zusprechen, der mit seinem Video
                                                                                                „Zerstörung der CDU“ vermutlich nicht nur junge
                                                                                                Zielgruppen erreicht hat, sondern dessen Folgen und
                                                                                                Resonanzen vor allem „die Politik“ und „die Medien“
standen, die sich im Prinzip außerhalb der etablierten                                          vor neue Herausforderungen stellte. Letztlich ist ein
Systeme bewegen und doch auf sie Einfluss nehmen.                                               solcher epidemisch anmutender – viraler – Prozess
Sie haben einen relevanten Einfluss vor allem auf die                                           auch nicht absehbar, der an die Logik des Netzes an-
politische Meinungsbildung Jugendlicher und jun-                                                schließt: individuelle, global zugängliche Kommuni-
ger Erwachsener und unterscheiden sich deutlich                                                 kation in Echtzeit, verbunden mit der Möglichkeit,
von etablierten Medienformaten im TV-, Radio- und                                               dass die Nutzer sofort in den Austausch einsteigen
Printbereich, arbeiten aber zum Teil auf ausgezeich-                                            und selbst zu Akteuren werden (können). Selbstwirk-
netem Niveau. Hierzu zählen „LeFloid“ mit Florian                                               samkeit wird hier unmittelbar gemeinsam mit an-
Mundt, „Jung & Naiv“ mit Thilo Jung, „Deutschland                                               deren erfahren. Dabei spielt das bewegte Bild eine
3.000“ mit Eva Schulz oder ganz aktuell Rezo, um nur                                            herausgehobene Rolle, denn es beeinflusst unsere
mal einige Beispiele zu nennen – die Liste ließe sich                                           Wahrnehmung, Wertung und Empathie unmittelbar.
fortsetzen. Die drei Erstgenannten sind im Rahmen
des Grimme-Online-Awards bereits nominiert wor-                                                 Die Wirkmacht des Netzes wird von politischen Ak-
den, die Akteure der nicht mehr ganz so neuen Öf-                                               teuren aber immer noch unterschätzt, dies offen-
fentlichkeiten sind auch bei Grimme angekommen.                                                 barte der Umgang mit Rezo. Es gibt die Wirkmacht
„LeFloid“ konnte 2014 einen Publikumspreis erringen,                                            der Straße, wie aktuell in Hongkong und hierzulande
im gleichen Jahr „Jung & Naiv“ sogar einen Jurypreis.                                           bei „Fridays for Future“. Und es gibt die Wirkmacht
Andere YouTuber folgten.                                                                        des Netzes, wobei sich beides gegenseitig verstär-
                                                                                                ken kann – Stichwort #fridaysforfuture. Beide For-
Authentizität und                                                                               men der politischen Meinungsäußerung sind durch
                                                                                                das Grundgesetz geschützt, sind eine lebendige
Selbstbestimmung überzeugen
                                                                                                Form im demokratischen Meinungsbildungsprozess,
Und jenseits von Grimme? Befragt man Jugendli-                                                  bei denen es auch darum geht oder gehen muss,               Dr. Frauke Gerlach ist Direk-
che, was die Faszination ausmacht, dann ist es de-                                              Andersdenkende auszuhalten. Aber auch das hat               torin des Grimme Instituts
ren Authentizität, die Echtheit und das Unverstellte,                                           Grenzen: Die Grenzen sind dort zu ziehen, wo es um          geflüchtete Jugendliche ins
die Selbstbestimmung und die Lust an der starken                                                Hetze und Gewalt im Netz wie auf der Straße geht. |         Leben.

dis.kurs 03 | 2019
12                                                                                                                     Kolumne
© DBT/von Saldern

Seit 100 Jahren im Auftrag von
Qualifikation und Selbstbestimmung
Der Blick in die Geschichte weist den Weg zur Zukunftsfähigkeit der vhs

Die zurückliegende Lange Nacht der Volkshochschu-      Waren 1919 der Aufbau des demokratischen Grund-
len am 20. September 2019 war ein voller Erfolg! Im    verständnisses und die Qualifizierung der Menschen
100. Jubiläumsjahr der ersten Volkshochschulgrün-      für die industrialisierte Wirtschaft und Gesellschaft
dungen in der Weimarer Republik haben die über 400     zentrale Bildungsziele, so geht es heute vor allem um
teilnehmenden Einrichtungen deutlich gemacht: die      die Stärkung des Demokratieverständnisses gegen
Volkshochschulen sind eine starke Säule der Bildung    populistisches und antidemokratisches Gedanken-
und des Zusammenhalts in Deutschland. Ihre Ge-         gut sowie um die (Weiter-)Bildung der Bürgerinnen
schichte zeigt, dass ihre zwei grundlegenden Aufga-    und Bürger für die digitalisierte Welt des 21. Jahrhun-
benfelder – Qualifikation und Selbstbestimmung der     derts. Damals wie heute gilt: Demokratie kann man
Bürgerinnen und Bürger – noch immer aktuell sind.      erlernen – und die Volkshochschulen werden auch
                                                       in Zukunft dazu einen wichtigen Beitrag für unsere
Der besondere Stellenwert der Bildungseinrichtung Gesellschaft leisten.
Volkshochschule wird erstmals durch die Aufnahme
der Erwachsenenbildung (und somit der Volkshoch- Die Lange Nacht der Volkshochschulen und die
schulen) in die Weimarer Reichsverfassung von 1919 Teilnahme der über 400 Volkshochschulen in ganz
deutlich. Die Verfassungsgeber erkannten bereits da- Deutschland stehen stellvertretend für das tagtäg-
mals, dass für die Bürgerinnen und Bürger Bildung der liche Engagement der rund 200.000 ehren- und
Weg zur persönlichen Entfaltung ist, um eine offene, hauptamtlichen Mitarbeitenden in den Volkshoch-
demokratisch stabile Gesellschaft zu bilden. In den schulen Deutschlands. Gerade im Jubiläumsjahr 2019
vhs-Kursheften dieser Zeit fanden sich entsprechend wird deutlich, dass die Volkshochschulen im Selbst-
oft Veranstaltungen zur „gesellschaftlich-politischen verständnis, den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Bildung“. Sich orientierend an den Prinzipien der Auf- zu stärken, handeln – und dies auch in Zukunft tun
klärung, setzte sich die Volkshochschulbewegung werden. Darin gilt es sie zu unterstützen.
von Beginn an für Wissensvermittlung ein, um, ba-
sierend auf der Vernunft, althergebrachte und über-
holte Vorstellungen und Ideologien von Staat und
Gesellschaft aufzubrechen. Gleichsam bot sie den
Menschen Qualifizierungsangebote für die Heraus- Ihr
forderungen der fortschreitenden Industrialisierung. Martin Rabanus

                                                                                                                 dis.kurs 03 | 2019
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         Für die schönsten Momente

                     NEU: Erhabene Highlights durch elegante
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        mit Terminen auf der CEWE Homepage zu platzieren
        www.cewe.de/cewe-fotobuch/tipps-und-hilfe/vhs-kurse.html

    •   Schulungsmaterial zur Unterstützung Ihrer Kurse können Sie unter vhs@cewe.de
        anfordern. Inhalt unseres Schulungspakets sind Musterbücher, Probiergutscheine
        und eine Software-Präsentation als Powerpoint.

    •   NEU: CEWE Webinare speziell für VHS-Dozenten und –Lehrkräfte

dis.kurs 03 | 2019
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„Eine vhs, die Diversität nicht berücksichtigt,
verliert ihre Legitimation.“
Interview mit der Bildungsforscherin Prof. Dr. Alisha M. B. Heinemann

Prof. Dr. Alisha M. B. Heinemann ist seit April 2019
Vertretungsprofessorin an der Universität Bremen
im Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissen-
schaften mit dem Schwerpunkt Bildungsinstituti-
onen/-verläufe und Migration. Sie beschäftigt sich
in der Migrations-/Fluchtforschung unter ande-
rem mit den Schwerpunkten: Kritische Erwachse-
nenbildung, Postkoloniale Theorie, pädagogische

                                                                                                                                    Foto: Yergalem Taffere
Professionalität in der Migrationsgesellschaft,
Deutsch als weitere Sprache, Mehrsprachige Klas-
senräume und Übergang Schule – Beruf. Kontakt:
heinemann@uni-bremen.de
 Jakob Boerner

                                                                              Management in den Volkshochschulen und ihren
                                                                              Verbänden“ aber konkret? Um die vielfältigen
                                                                              Voraussetzungen und Interessen der vhs deutsch-
                                                                              landweit zu berücksichtigen, wurden im Vorfeld
                                                                              zu diesem Interview Landesverbände und ein-
                                                     „Diversity sollte kein
                                                                              zelne vhs gebeten, ihre Fragen zum Thema „Diver-
                                                     Randthema sein, mit      sität/Vielfalt an den Volkshochschulen“ mit uns zu
                                                     dem sich eine            teilen. Diese Vorarbeiten bilden das Fundament
                                                     Diversitätsbeauf-        für die Ausrichtung des Interviews.
                                                     tragte alleine auf
                                                     einer befristeten
                                                                              | „Diversity, Vielfalt, Diversität“– diese Begriffe sind
                                                     halben Stelle herum-
                                                                              heutzutage in aller Munde. Was ist eigentlich damit
                                                     quält oder etwas,        gemeint, wenn wir von Diversität in der Erwachse-
„Die Vielfalt der modernen Gesellschaft, beeinflusst was eine eh überlas-     nenbildung sprechen?
durch Globalisierung, Migration und den demografi- tete Fachbereichs-
schen Wandel, prägt das Leben in Deutschland und     leitung noch als         Prof. Dr. Alisha M. B. Heinemann: Dafür müssten wir
der gesamten Welt. Wir können als Volkshochschu-     Zusatzaufgabe            uns zunächst einmal fragen, was gemeint ist, wenn
len nur erfolgreich sein, wenn wir die vorhandene    bekommt. Fragen          wir von Erwachsenenbildung sprechen. Institutio-
Vielfalt erkennen und jede und jeden befähigen, sich                          nen der Erwachsenenbildung sind historisch aus ei-
                                                     von Differenz und
mit ihren bzw. seinen Kompetenzen in die Gesell-                              nem emanzipatorischen Ansatz heraus entstanden.
schaft einzubringen.“                                Macht müssen auf         Sie wollten erstens einen aktiven Beitrag dazu leis-
                                                     allen Organisa-          ten, gesellschaftliche Ungleichheiten durch lebens-
Was bedeutet dieser zentrale Satz aus dem DVV        tionsebenen zum          lang begleitende Lernangebote und Bildungsorte
Papier: „Vielfalt. Begegnung. Bildung. Diversity-­   Thema werden.“           auszugleichen. Zweitens ging es ihnen darum, eine

                                                                                                                  dis.kurs 03 | 2019
Dossier                                                                                                            15

demokratische Gesellschaft mitzugestalten. Jene In-      nen von migrantischen Teilnehmer*innen“ durch ein
stitutionen, die sich auch heute noch diesen Zielen      besser abgestimmtes Programmangebot verstanden
verschreiben, kommen nicht umhin, sich mit gesell-       wird. Abgesehen davon, dass Migration nicht nur
schaftlichen Differenz- und Machtverhältnissen aus-      in den Großstädten stattfindet, umfasst das weite
einandersetzen.                                          Konzept der Diversität ja Differenzlinien wie z.B. Ge-
                                                         schlecht, sexuelle Identität, sozioökonomischer Sta-
Hierarchisierende Kategorien wie das Konstrukt der tus, Alter, Bildungsabschluss etc. Diese finden sich
„ethnischen Herkunft“, Gender, die sexuelle Identität, überall – nicht nur in Großstädten.
die Milieuzugehörigkeit, aber auch rechtliche Rah-
menbedingungen wie der Aufenthaltsstatus spielen
eine wichtige Rolle bei der Frage, wer in dieser Gesell- | Und welche konkreten Schritte sollte die vhs um-
schaft welchen Platz einnehmen kann. Wenn wir von setzen, um Diversität auf allen Ebenen zu berück-
Diversität in der Erwachsenenbildung sprechen, geht sichtigen?
es dann vor allem um die Frage, was wir tun können,
um a) die ausgrenzende Kraft dieser Kategorien, an Sie sollte erstens ein von der Leitungsebene getra-
denen Differenz festgemacht wird, in unserer täg- genes Leitbild und Profil entwickeln, das eine klare
lichen Arbeit nicht zu reproduzieren und b) daraus Ausrichtung der ganzen Organisation auf institu-
entstehende Benachteiligungen aktiv zu reduzieren. tionelle Öffnung vorgibt, wobei migrationsgesell-
                                                         schaftliche Verhältnisse als Normalität und nicht als
                                                         Sonderzustand bzw. dauernde Herausforderung in
| Warum ist es für die Volkshochschulen wichtig,         den Blick genommen werden sollten. Zweitens sollte
ein diversitätsorientierter Lernort zu sein? Was wä-     die Personalstruktur auf allen Hierarchieebenen und
ren die Volkshochschulen ohne diesen Ansatz?             insbesondere auf der Leitungsebene die jeweilige
                                                         regionale Diversität abbilden. Drittens wäre es auf
Das eben genannte, historisch verankerte demokra- der Angebotsebene sinnvoll, mit den verschiede-
tische Kernanliegen von Erwachsenenbildungsein- nen Communities (Vereine, migrantische/queere
richtungen ist der Grund dafür, warum die Volkshoch- Communities, Kirchen, Moscheen etc.) vor Ort aktiv
schulen staatliche Steuergelder zur Unterstützung zusammenzuarbeiten und ihnen die Möglichkeit zu
ihrer Arbeit erhalten und nicht einfach komplett pri- geben, mit Hilfe der infrastrukturellen Ressourcen der
vat organisierte und finanzierte Kleinunternehmen vhs, selbst Inhalte zu setzen und in den Räumen der
sind. Wenn nur ein kleiner und dann, abgesehen von vhs durchzuführen.
den Deutschkursen, oft vergleichsweise privilegierter
Teil der Bevölkerung sich in der vhs repräsentiert se- Vor allem aber sollte Diversity kein Randthema sein,
hen kann, stellt sich die Frage, warum sie dann von mit dem sich eine Diversitätsbeauftragte alleine auf
Steuergeldern aller mitfinanziert werden sollte. Eine einer befristeten halben Stelle herumquält, oder et-
vhs, die Diversität nicht berücksichtigt, verliert somit was, was eine eh überlastete Fachbereichsleitung
ihre Legitimation und ihre besondere, gesellschaftlich noch als Zusatzaufgabe bekommt. Fragen von Diffe-
relevante, ausgleichende Funktion. An vielen Stellen renz und Macht müssen auf allen Organisationsebe-
haben die Volkshochschulen diese Problematik er- nen zum Thema werden. Dafür müssen ansprechend
kannt und unternehmen wichtige Schritte – diese gestaltete Orte und Reflexionsräume geschaffen wer-
müssen jedoch ausgeweitet und verstetigt werden. den, in denen es nicht um Moral und Schuldfragen,
                                                         sondern um kritische Reflexivität und veränderndes
                                                         Eingreifen in benachteiligende Verhältnisse geht. Das
| Die Volkshochschulen sind jedoch sehr unter-           könnten beispielsweise verpflichtende Fortbildungs-
schiedlich aufgestellt – eine Volkshochschule in         angebote sein, eine Antidiskriminierungsstelle im
einem kleinen Landeskreis in Bayern oder Branden-        Haus, diversitätsreflexive Kriterien bei Neueinstellun-
burg kann nicht wie eine großstädtische Volks-           gen, monatliche Reflexionstreffen für den Austausch
hochschule in Berlin oder Frankfurt arbeiten. Ist das    etc. Auch wenn es am Anfang nach mehr Arbeit aus-
Thema „Diversität“ eher etwas für die großstädti-        sieht, wird es auf lange Sicht zur Entlastung der täg-
schen Volkshochschulen?                                  lichen Arbeit führen. Denn andere Perspektiven er-
                                                         öffnen andere Möglichkeiten und eine vhs, die in der
Diese Frage wird häufig gestellt, was daran liegt, dass Stadt wirklich „ankommt“, wird auch von den Men-
unter „diversitätsorientiert“ oft verkürzt das „Gewin- schen vor Ort ganz anders akzeptiert.

dis.kurs 03 | 2019
16

                                                                                                     Beim Barcamp „Vielfalt. Wei-      Geschäftsstelle Integ-
                                                                                                     ter. Denken – Die Volkshoch-      ration, Inklusion und
                                                                                                     schulen in der Einwande-          Diversität der Berliner
                                                                                                     rungsgesellschaft“ in Berlin,     Volkshochschulen
                                                                                                     2017: Referentin ManuEla          steuert im Auftrag der
                                                                                                     Ritz in ihrer Session „wir“ und   Berliner Volkshochschu-
                                                                                                     „die Anderen“                     len die überbezirkliche
                                                                                                                                       Zusammenarbeit in den
                                                                                                                                       Bereichen Integration, In-
                                                                                                                                       klusion und Diversität. Die

                                                                                Foto: Thabo Thindi
                                                                                                                                       Berliner Volkshochschulen
                                                                                                                                       wollen damit Vielfalt stär-
                                                                                                                                       ken, Teilhabe ermöglichen
                                                                                                                                       und Bildungsgerechtigkeit
                                                                                                                                       umsetzen.

| Wir sprachen davon, dass Diversität nicht allein       oder Zielen zu tun haben (Lebenswelt- und Bedarfs-
„migrantisch“ heißt. Trotzdem ist es auffällig, dass     orientierung). Ferner müssten die Kurse sprachlich so
sich der Großteil der migrantischen Teilnehmenden        aufbereitet sein, dass die Teilnehmenden mit einem
in einem einzigen Bereich befindet: dem Deutsch-         B1-Niveau überhaupt folgen können (Sprachsensibi-
bereich. Warum funktioniert der Wechsel von den          lität), und zudem die Kosten so niedrig sein, dass sie
Deutschkursen in das „offene Angebot“ der Volks-         in einem realistischen Verhältnis zu ihren oft prekären
hochschulen so schlecht?                                 Einkommen stehen (Kostenreduktion).

Menschen nehmen üblicherweise an Weiterbildung
teil, wenn sie einen persönlichen oder beruflichen       | Was ist Ihre Vision für eine vhs in der Migrations-
Nutzen darin sehen, wenn sie Zeit haben, die Ange-       gesellschaft?
bote wahrzunehmen und wenn sie diese finanzie-
ren können. Die Deutschkurse werden so breit an-         Eine vhs der Zukunft ist nicht allein auf die Klugheit
genommen, weil die Teilnehmenden sich entweder           und das Geschick ihrer Fachbereichsleitungen an-
eine Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten ver-       gewiesen, wenn es darum geht, gute Angebote zu
sprechen, teilweise, weil sie zur Teilnahme verpflich-   konzipieren. Vielmehr sollte sie eine Einrichtung sein,
tet wurden, weil an ihnen Zertifikate hängen, die für    in der auf allen Ebenen Personen tätig sind, die die
die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Gründen          regionale Diversität selbst repräsentieren und die
notwendig sind, und/oder weil die Kosten für die         gut mit den jeweiligen Community -Gruppen vor
Teilnahme im Verhältnis zur Stundenzahl niedrig und      Ort vernetzt sind. In Zusammenarbeit mit diesen
teilweise sogar kostenlos sind.                          Gruppen sollten dann spannende bedarfsgerechte
                                                         Bildungsräume und -gegenstände zur Verfügung
Die Teilnahmebedingungen im offenen Angebot              gestellt werden, die an die Ursprungsidee „Benach-
sind völlig andere. Insbesondere der konkrete Nut-       teiligungen ausgleichen und Demokratie fördern“
zen vieler Angebote liegt oft nicht klar auf der Hand,   anknüpfen. Das schließt Angebote zur persönlichen
sodass der finanzielle Aufwand nicht im richtigen        Weiterentwicklung, Gesundheit, Kunst etc. nicht aus.
Verhältnis zu stehen scheint. Dies gilt ja nicht nur für
migrantische Teilnehmende, sondern grundsätzlich Sehr sinnvoll fände ich auch – wie es die Stuart Hall
für die meisten Adressat*innen, die aus sozial und fi- in Birmingham gemacht hat – eine engere Koope-
nanziell benachteilten Milieus kommen.                   ration mit Universitäten, sofern diese räumlich gut
                                                         erreichbar sind. Während Universitäten oft fehlende
Studien zeigen, dass Migrant*innen, die mit einem Praxisnähe unterstellt wird (zu ‚abgehoben‘ und reali-
hohen sozialen, kulturellen und ökonomischem Kapi- tätsfern), wird Angeboten der vhs oft ein Mangel an
tal ausgestattet sind, durchaus auch an dem offenen inhaltlicher Tiefe zugeschrieben. Eine engere Zusam-                               Die Fragen stelle Manjiri
Angebot der vhs teilnehmen. Für die anderen ist ein menarbeit könnte beiden Institutionen helfen, brei-                                Palicha, wissenschaftlich-pä-
Übergang in die offenen Angebote aus den Deutsch- tere Akzeptanz zu erreichen, um ihre gesellschaftli-                                 dagogische Mitarbeiterin bei
                                                                                                                                       der Geschäftsstelle Integra-
kursen nur dann realistisch, wenn sie zeitlich entlastet chen Aufgaben noch besser erfüllen zu können. In                              tion, Inklusion und Diversi-
werden (zum Beispiel durch Kinderbetreuung) oder Bremen gibt es dazu schon erste Vorgespräche zwi-                                     tät der Berliner Volkshoch-
die Inhalte etwas mit ihren persönlichen Interessen schen Universität und Volkshochschule.                  |                          schulen.

                                                                                                                                              dis.kurs 03 | 2019
Dossier                                                                                                                                     17

Vielfalt - Begegnung - Bildung
Gender- und Diversityausschuss des DVV zieht erste Bilanz

Von Beate Blüggel

W
          eiterbildung für alle als Prinzip und Ver-
          pflichtung gehört zum Selbstverständnis
          der Volkshochschulen. Die Anerkennung,
Wertschätzung und Einbeziehung der Vielfalt in un-
serer heutigen Gesellschaft ist somit unmittelbar mit
der Philosophie der Volkshochschulen verknüpft. Es
war daher nur folgerichtig, dass im Rahmen der Sat-
zungsreform des DVV 2015 der bisherige Frauen- in
einen Gender- und Diversityausschuss umgewandelt
wurde. Zu den Handlungsfeldern dieses Gremiums
gehört die „Stärkung des Profils der Vielfalt im DVV“,
die in der Satzung festgelegt ist und verlangt, dass
alle Aufgaben des Verbands nach gender- und diver-
sitygerechten Grundsätzen erfüllt werden. Die über-
geordnete Bedeutung des Themas Diversity für die
Volkshochschulen lässt sich schon daran ablesen,
dass es neben unserem Ausschuss nur noch den Or-
ganisations- und Finanzausschuss im DVV gibt.
                                                          Mitglieder des Gender- und Diversityausschuss Ende Juli 2019 in Kassel.

Chancengleichheit als Auftrag
                                                                                          ·· Initiierung und Begleitung von Maßnahmen und
Unser Gremium will das Diversity-Management vo-                                              Projekten zur Förderung von Vielfalt und Chancen-
ranbringen – worunter wir ein Gesamtkonzept zur                                              gleichheit,
Schaffung eines diskriminierungsfreien Arbeitsum-                                         ·· Beratung und Unterstützung des DVV bei neuen
feldes und zur Förderung personeller Vielfalt in den                                         Projekten,
Strukturen von Unternehmen, Organisationen und                                            ·· Erarbeiten von Empfehlungen zur Gestaltung der
öffentlichen Einrichtungen verstehen. Die Grund-                                             Personal- und Organisationsentwicklung im Volks-
idee besteht darin, die menschliche Vielfalt bewusst                                         hochschul-Bereich und
in die Organisation zu integrieren und sie zum Vor-                                       ·· Initiierung und Planung von Fachtagungen und
teil aller Beteiligten und für die Gesellschaft zu nut-                                      Fortbildungsangeboten.
zen. Es geht ausdrücklich nicht um die Assimilation
und Einebnung von Unterschieden, sondern um die                                           Der Ausschuss tritt mindestens zweimal im Jahr zu-
Wertschätzung und Förderung der Vielfalt. Deshalb                                         sammen und berichtet dem Mitgliederrat und dem
hat sich der Ausschuss folgende Aufgaben gestellt:                                        Vorstand über seine Arbeit. Darin vertreten sind alle
                                                                                          Bundesländer durch Mitarbeitende aus Volkshoch-
·· Stärkung des Profils der Vielfalt,                                                     schulen und Landesverbänden ebenso wie die Bun-
·· Weiterentwicklung und Operationalisierung des                                          desgeschäftsstelle und DVV International. Als Vorsit-
   Gender- und Diversity-Ansatzes für den Bildungs-                                       zende des Ausschusses nehme ich mit beratender
   bereich,                                                                               Stimme an den Vorstandssitzungen teil. Auf Rudolf
·· konzeptionelle Unterstützung der vhs bei der gen-                                      Fries (vhs Trier) und Dr. Michael Lesky (LV BW) folgt
   der- und diversity gerechten Programmplanung,                                          seit Juli 2019 Sonja Spoede (vhs Bremerhaven) als
·· Beratung und Begleitung des Verbands im Bereich                                        Stellvertetende Ausschussvorsitzende für die neue
   des Gender- und Diversity-Monitorings,                                                 Legislaturperiode.

dis.kurs 03 | 2019
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