VAA Magazin Hackfleisch aus der Petrischale - Moderne Lebensmittel: Moderner Verband: Impulse für die Mitbestimmung
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Dezember 2017 VAA Magazin Zeitschrift für Führungskräfte in der Chemie Moderne Lebensmittel: Hackfleisch aus der Petrischale Moderner Verband: Impulse für die Mitbestimmung
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Editorial Verband im Wandel Turbulent wie selten neigt sich das Jahr dem Ende zu: Zu einer bundespo- litischen Achterbahnfahrt in Berlin gesellt sich eine eher als unsicher emp- fundene weltpolitische Lage. Doch gerade in einem solchen Beziehungs- zusammenhang wird mehr denn je klar: Gelebt wird nicht in Spekulationen über das Morgen, sondern in der Realität des Hier und Heute. Und zwar immer auch bezogen auf den unmittelbaren persönlichen Erlebnisradius. Da sieht es bereits um einiges stabiler und heiterer aus: Denn die wirtschaft- liche Gesamtlage in Deutschland stimmt nach wie vor hoffnungsfroh – sie entwickelt sich sogar besser, als noch im letzten Jahr vorausgesagt. Dazu gibt es in den ULA Nachrichten auf Seite 39 einen treffenden Kommentar. Der gesellschaftliche Wohlstand, wie er im Großen wahrgenommen wird, hält sich auf einem robusten, engmaschigen Netz aus vielen kleinen An- strengungen – auf der tagtäglichen harten Arbeit von Millionen von Ar- Foto: VAA beitnehmern in Tausenden von Betrieben, quer übers Land verteilt. Zu diesen Arbeitnehmern gehören auch die hoch qualifizierten Fach- und Führungskräfte, wie sie sich im VAA organisiert haben, unbestritten dazu. Der VAA ist nicht nur ein Interessenverband, sondern auch eine Gewerkschaft – Deutschlands einzige für den Be- reich der außertariflichen und leitenden Angestellten! Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Damit gestalten wir mit und bestimmen mit. Aber auch wir befinden uns in einem stetigen Wandel und müssen uns für die Zukunft wappnen. Wie kann dies gelingen? Indem wir die Interessen der AT-Angestellten noch besser als bisher vertreten – natürlich bei gleichzeitiger Wahrung der Interessen der leitenden Angestellten. Es wird oft vergessen: Auch Lei- tende gehören zum AT-Bereich. Gemeinsam können VAA-Mitglieder in ihren Unternehmen mehr bewegen als für sich allein. Das Wörtchen „gemeinsam“ bezieht sich im Übrigen auch auf unsere Sozialpartner: Denn eine Sozial- partnerschaft auf Augenhöhe ist eine elementare Voraussetzung für demokratische Prozesse in der Mitbestimmung, die wir stärken wollen. Deswegen tritt der VAA mit klaren Strategien und glaubwürdigen Positionen zu den Be- triebsrats- und Sprecherausschusswahlen im nächsten Jahr an. Wie die Vorbereitungen zur Betriebsratswahlkam- pagne laufen, ist auf den Seiten 24 und 25 nachzulesen. Wofür genau setzt sich der VAA ein? Unter anderem für vorausschauende, zeitgemäße Vereinbarungen und Rege- lungen in den Unternehmen. Der Verband will dadurch Arbeitsplätze noch attraktiver gestalten und langfristig si- chern. Deswegen hat der VAA Positionen zu relevanten Themen wie Arbeitszeit, Digitalisierung oder Einkommen herausgearbeitet, die auf der VAA-Jahreskonferenz 2017 in Heidelberg vorgestellt wurden. Zur Jahreskonferenz gibt es hier im VAA Magazin einen ausführlichen Fotobericht auf den Seiten 18 bis 21. Seine Mitglieder unterstützt der VAA mit aller Kraft. Als Gestaltungspartner sorgt der Verband dafür, dass VAA-Mitglieder Erfolg haben und gleich- zeitig Anerkennung erfahren. Nur so können Arbeits- und Lebensqualität dauerhaft miteinander vereinbart werden. Die Erhaltung der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Fach- und Führungskräfte ist letztlich die Basis für wettbewerbsfähige Unternehmen, die den erwirtschafteten Wohlstand ausbauen können. In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern des VAA Magazins ein frohes Weihnachtsfest und erfolgreiches neues Jahr! Rainer Nachtrab 1. Vorsitzender des VAA VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 3
! Inhalt 08 Chemie im Bild/ 24 Spezial Meldungen 06 Laborfleisch in Zahlen 33 Kongress der IG BCE, Energiebedarf, 08 Fleisch ohne Tierleid Arbeitnehmererfindungen 34 Wasserstoffbrücken, Finanzierung der Energiewende, VAA 26 Kongress in Berlin: Abakus im Kleinstformat, Diskussion um VAA-Einkommensumfrage 14 Festakt in Köln: Entgelttransparenz Deutscher Chemie-Preis Köln 35 Frauen in MINT-Berufen, geht an Covestro 27 Tagung in Bonn: Buch macht Mut, Ethik in der Aufsichtsratsarbeit Kurse in Münsterschwarzach 18 VAA-Jahreskonferenz: Neuer Schub fürs Ehrenamt 36 O2 in der Industrie, C Karrieretipps auf der Jobbörse, 22 VAA Stiftung: Branche Werksgruppe Evonik Wesseling, Exzellenzpreis an junge EU-Emissionshandel, Forscher verliehen 28 Innovation in Unternehmen: Landesgruppe Hessen Interview mit Prof. Dietmar 24 « Mitbestimmung: Harhoff Vorbereitung auf Betriebsratswahlen 30 Innovativer Fahrzeugbau: Auto aus Kunststoff 25 Coverfoto: David Parry – PA Wire Wahlkampagne 2018: Startschuss bei B. Braun 31 Messe in Nürnberg: Melsungen Neuigkeiten rund um Pulver und Schüttgut 32 Personalia aus der Chemie 4 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
“ Inhalt 49 37 Wirtschaft Lehmanns in Zahlen Destillat 45 Digitalisierung: 52 Satirische Kolumne: Analog hemmt die Dynamik In vitro veritas Recht Vermischtes 46 Juristischer Service: 54 ChemieGeschichte(n): Wie umgehen mit unbilligen Rum muss, Zucker kann ULA Weisungen? 55 Glückwünsche Nachrichten 49 A ktuelles Urteil: Streit um Länge der 56 Sudoku, Kreuzworträtsel 37 M anager Monitor: Kündigungsfrist Führungskräfte stützen 57 Leserbriefe, Traueranzeige Mitbestimmung 58 Feedback, Termine, 39 Kommentar, ULA Intern Europa Vorschau, Impressum 40 Karriere: 50 Mobilität und Mentoring: Durchboxen leichter gemacht Plattform seit Dezember online 42 Europa: Entsendungen ins Ausland 43 S oziales: Zukunft der Betriebsrente 44 Weiterbildung: Aktuelle Seminare des FKI 44 S precherausschüsse: 54 Tagung und Musterformschreiben VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 5
Chemie im Bild Rund 20.0 kleiner Mu eines hand 00 skelfasers träng elsüblichen e werden gebraucht, Hamburger um die Grö erreichen. s auf Rind ße Das nieder fleischbas Ausgründu ländische is zu ng der Uni Start-up M versität Maa osa Fleisch ben stricht, züch Meat, eine Ausgangsz ötigten Muskelzellen tet die für das ellen werd lebendigen en dem Unt im Labor heran. Die Rind bei ei ernehmen ner schmer zufolge ein zlosen Bio em psie entno mmen. Um 99 Prozent könnte der globa le Flächenbedarf Viehhaltung zur Fle für die ischerzeugung be Komplettumstieg i einem auf In-vitro-Fleisc reduzier t werden hproduktion , so die Analyse Oxford „Environm der University of ental Impacts of Production“ aus Cultured Meat dem Jahr 2011. Bis 2050 wird die weltweite Fleischnachfrage nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) um 73 Prozent steigen. Bereits jetzt werden 70 Prozent der globalen Farmflächen für den Viehbestand genutzt. Foto: David Parry – PA Wire 6
Chemie im Bild 24 Stunden dauert es mindestens, bis sich Muskelzellen erstmals In Bioreaktoren wachsen die geteilt haben. Zellen in einer Nährlösung beispielsweise aus Zucker , bestehend und Mineralien sowie Sauerst Muskeln, Fett und anderem off, zu Gewebe heran. Außerdem Wissenschaftler intensiv am forschen Einsatz des Muskelproteins Dieses besteht aus 153 Am Myoglobin. inosäuren, färbt die Muskeln lässt das Fleisch erst typisch rot und blutig und leicht metallisch schmecken. 175 Millionen sogenannter Quarter Pounde r – gemeint sind Hamburger mit 113 Gramm Fleischeinlagegewicht vor Zubereitung – können aus den Zellen eines einzelnen Rindes im Laborverfahren hergestellt werden. Der Website Culturedbeef.org zufolge wären bei der Herstellung aus konvention eller Landwirtschaft 440.000 Rinder nötig. 7
Spezial LEBENSMITTEL FÜR DIE ZUKUNFT Aus dem Labor in die Pfanne Warum zu Weihnachten nicht einmal etwas Neues wagen: Wie wäre es statt der traditionellen Weihnachtsgans mit einem Burger aus reinem, laborfrischem Rindfleisch? Das Fleisch schmeckt trotzdem 100 Prozent natürlich und ist dazu noch frei von jedweden Arzneimittelrückständen. Es kommt noch besser: Für einen solchen Burger muss kein Tier geschlachtet werden. Zahlreiche Start-ups und Lebensmittelhersteller forschen bereits eifrig an Methoden zur tierleidfreien Fleischproduktion. Zwar sprengen die Kosten für den Genuss von In-vitro- Fleisch gegenwärtig noch das übliche Familienbudget, aber für die Zukunft eröffnet diese Technologie interessante Perspektiven. Abgesehen vom reinen Tierschutz hätte die Fleischproduktion im Labor auch handfeste ökologische Vorteile. Denn die Folgen der immerfort wachsenden konventionellen Massentierhaltung hinterlassen deutliche Spuren in der Umwelt. Von Timur Slapke Vier Millionen Tonnen Fleisch – so viel Auch in der Weihnachtszeit ist Fleisch aus 3.529 Hähnchennuggets. Nimmt man han- wurde dem Statistischen Bundesamt zufol- deutschen Küchen kaum wegzudenken. delsübliche Hamburgerfleischeinlagen aus ge in den gewerblichen Schlachtbetrieben Wenn zum Familienfest der knusprige, dem Fast-Food-Bereich, erhält man aus 60 in Deutschland in den ersten sechs Mona- dampfende Braten aus der Röhre geholt wird, Kilogramm Rindfleisch ganze 1.333 Burger. ten dieses Jahres produziert. Das sind gut liegt Freude in der Luft – und meist Geflügel Beim etwas größeren Quarter Pounder sind 86 Kilotonnen weniger als im Vorjahres- auf dem Teller. Ob Weihnachtsgans, Pute es immerhin noch 530 Stück. Da kommt zeitraum, aber immer noch eine stolze oder Huhn: Gegessen wird, was schmeckt. übers Jahr ganz schön viel Fleisch auf die Menge. Doch was steckt eigentlich hinter Und das nicht zu knapp. Laut dem Deutschen Knochen der Deutschen. diesen Produktionszahlen? Am Anfang der Fleischer-Verband (DFV) kamen in Deutsch- Kette stehen immer lebendige Tiere, die land pro Kopf 2016 durchschnittlich 60 Ki- Der übermäßige Fleischkonsum ist aus vie- erst gezüchtet, gehalten, gefüttert und an- logramm Fleisch auf den Teller – etwas we- lerlei Gründen problematisch. „Verbraucher schließend geschlachtet werden müssen. niger Schweinefleisch, dafür mehr Rind- sollten sich an den Richtlinien für gesunde So wurden in der ersten Jahreshälfte allein fleisch und Geflügel. Wie viel sind 60 Kilo- Ernährung orientieren: Die Deutsche Gesell- 1,7 Millionen Rinder geschlachtet, die wie- gramm? Über die verschiedenen Fleischsor- schaft für Ernährung sagt, dass man maxi- derum 543 Kilotonnen Rindfleisch ent- ten gebrochen kommt man auf etwa 400 nor- mal 15 bis 30 Kilogramm Fleisch pro Person sprechen. mal portionierte Schnitzel, 300 Steaks oder und Jahr essen sollte“, erklärt Dr. Michael 8 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
Spezial Foto: David Parry – PA Wire Bilharz vom Umweltbundesamt (UBA) in ßerdem werden aus Sicht des UBA für den 2013, die davon ausgehen, dass sich die Dessau-Roßlau. Ein noch größeres Problem Futtermittelanbau sehr viel Gülle und Dün- Nachfrage der Weltbevölkerung nach hoch- sei die Produktion von Fleisch. „Im Vergleich ger eingesetzt, was zu hohen Stickstoffemis- wertigem Protein bis 2050 um circa 80 bis zu pflanzlichen Nahrungsquellen benötigt sionen in die Luft und Stickstoffeinträgen in 100 Prozent steigern wird. Neue Alternativen Fleisch viel mehr Fläche und viel mehr Res- die Böden und Gewässer führt. müssen also her. Was wäre, wenn man das sourcen, beispielsweise Wasser und Energie.“ Fleisch einfach sauber im Labor heranzüch- Am UBA arbeitet der gelernte Ökonom im Was tun angesichts der durch Fleischkonsum tet – ohne Tiere schlachten und die Kollate- Fachgebiet Nachhaltige Konsumstrukturen. und -produktion verursachten Probleme? ralschäden der Massentierhaltung in Kauf „Wenn Menschen Fleisch statt pflanzliche Einfach auf Fleisch zu verzichten und sich nehmen zu müssen? Was wie eine Utopie Nahrung konsumieren, entstehen auch mehr dauerhaft vegetarisch oder vegan zu ernäh- klingt, ist mittlerweile in der biotechnologi- Treibhausgase. Bei einem CO2-Ausstoß von ren, kommt für den Großteil der Bevölke- schen Forschung angekommen. 11,5 Tonnen pro Person und Jahr fallen rund rung nicht infrage. In seinem Papier „Bio- 1,8 Tonnen im Bereich Ernährung an.“ Eine ökonomie für eine nachhaltige Ernährung – Unweit der Uniklinik im niederländischen vegetarische beziehungsweise fleischarme Lösungsansätze für die Proteinversorgung Maastricht sitzt ein Start-up, das die Fleisch- und tierreduzierte Ernährung würde hier 15 der Zukunft“ vom August 2017 zitiert der produktion revolutionieren möchte. „Unser bis 30 Prozent Kohlendioxid einsparen. Au- Bioökonomierat Prognosen aus dem Jahr Ziel ist die Entwicklung des Tissue ► 9
Spezial Engineerings, das ja aus medizinischen An- schränkt: „Zunächst geht es um die Zellpro- te Lebensmittelchemiker hat zuvor viele Jah- wendungen bekannt ist, hin zu einer wettbe- duktion im Bioreaktor“, so Verstrate. „Hier re in verschiedenen Bereichen der Fleischin- werbsfähigen Massenproduktion von In-vit- versuchen wir, eine möglichst große Anzahl dustrie gearbeitet, von der Forschung und ro-Fleisch“, sagt der Chief Executive Officer an neuen Stammzellen zu produzieren. In Entwicklung über die Qualitätskontrolle bis von MosaMeat Peter Verstrate. „Unser Un- Stufe zwei geht es an die Gewebeproduktion. hin zum operativen Geschäft. In seiner be- ternehmen hat sich aus dem Labor herausge- Hier werden die Stammzellen in Muskel- ruflichen Laufbahn war Verstrate unter an- bildet, das 2013 den ersten Hamburger aus oder Fettgewebe umgewandelt. Wir brauchen derem für die US-Lebensmittelkonzerne In-vitro-Fleisch hergestellt und präsentiert für unser Produkt sowohl Muskeln als auch Smithfield Foods und Sara Lee tätig. „An- hat.“ Dieser Burger hat durchaus für Furore Fett.“ Zurzeit experimentieren Post und Ver- fang der 2000er Jahre bin ich das erste Mal gesorgt, allein schon durch seinen Preis von strate mit verschiedenen Typen von Bioreak- mit dem Thema In-vitro-Fleisch in Berüh- sagenhaften 330.000 US-Dollar. toren, um den am besten geeigneten Biore- rung gekommen.“ Eines Tages hat sich ein aktor zu finden. älterer Mann unangemeldet bei Verstrates In den letzten Jahren hat sich einiges getan, Sekretärin vorgestellt. Es handelte sich um um die Kosten reduzieren. In drei bis vier Getroffen haben sich die beiden Visionäre Willem van Eelen, der auch als „Pate“ des Jahren soll es den ersten, lokal begrenzten bereits vor zehn Jahren. Doch während Mark Laborfleischs gilt und das erste Verfahren Markteintritt geben – als Premiumprodukt Post den klassischen Weg eines Wissen- zur Herstellung von In-vitro-Fleisch paten- in geringen Mengen. „Wir reden dann von schaftlers gegangen ist, kommt Peter Verstra- tiert hat. Zunächst hielt der Fleischexperte einer Preisspanne von fünf bis zehn Euro für te aus einer ganz anderen Ecke. Der studier- van Eelens Ideen für verrückt, doch dann einen Burger“, erläutert Verstrate. „An das musste er an seine Frau Preisniveau von herkömmlichem Fleisch denken, die als Biolo- werden wir noch nicht herankommen, denn gin unter anderem an der Züchtung von Herzmuskelzellen ge- forscht hat. „Schon damals hat sie leben- de, pulsierende Herz- muskelzellen im Labor her- gestellt, die ich unter dem Mik- roskop beobachten konnte. Van Eelen war einfach verrückt genug, diese Idee konse- quent zu Ende zu denken und zu verfolgen.“ dafür müsste man Verstrate war der Meinung, unbedingt auf den Zellkulturprozess diesen Zug, von dem keiner wusste, in wel- und die eigentliche che Richtung er fahren würde, aufsprin- Fleischproduktion hoch- gen zu müssen. Warum? „In-vitro- skalieren.“ In etwa zehn Fleisch ist nicht nur extrem Jahren könnte das Unter- tierfreundlich, sondern be- nehmen dann so weit sein, seitigt auch die negativen um wirklich in den Einzel- Umwelteffekte der kon- handel gehen zu können. ventionellen Fleischpro- „Dann dürften wir uns auch dem duktion und ist um ein preislichen Level von konventio- Vielfaches nachhaltiger nellem Fleisch nähern.“ und sauberer. Für mich spielt aber auch Lebens- Den zugrunde liegenden Prozess mittelsicherheit eine gro- entwickelt hat Verstrates Kollege ße Rolle, denn die Herstel- Mark J. Post, Chief Scientific Officer lung von In-vitro-Fleisch ist sau- bei MosaMeat. Der Professor an der ber und kann komplett auf Antibioti- Universität Maastricht hat unter ande- kaeinsatz verzichten.“ Diese Argumente rem an der Harvard University gelehrt haben letztlich den Ausschlag gegeben, dass und auch den besagten In-vitro-Fleisch- er seine Unternehmensführung vom Einstieg Burger in London vorgestellt. Das zwei- in dieses Projekt überzeugen konnte. „So stufige Verfahren basiert auf der Isolie- wurde ich zum Projektleiter und habe mich rung von Stammzellen erwachsener Rinder seitdem immer wieder mit diesem Thema be- und ist noch auf den Labormaßstab be- Foto: Shutterstock schäftigt.“ Währenddessen blieb auch Mark 10 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
Spezial Im Labor von MosaMeat tüftelt Lebensmitteltechniker und CEO Peter Verstrate an der richtigen Mischung für den Nährboden. Bevor er sich mit In-vitro-Fleisch beschäftigt hat, war Verstrate viele Jahre in der fleischverarbeitenden Industrie tätig. Foto: Culturedbeef.org Post weiter am Ball und konnte 2012 für sein Tierschutzverbänden sowie Landwirt- dass die Positionierung der Befürworter Cultured-Beef-Projekt mit Sergey Brin sogar schaftsverbänden, Fleischindustrie, System- und Gegner von In-vitro-Fleisch andere einen der Google-Gründer als Geldgeber ge- gastronomie und der Politik geführt.“ Außer- Konstellationen produziert als bisherige winnen. Verstrate erinnert sich: „Wir haben dem wurden Fokusgruppen interviewt und Innovationen im Lebensmittelbereich. „So recht schnell 10.000 einzelne Muskelfasern eine Bürgerjury durchgeführt. Das wichtigs- gibt es neue, unerwartete Allianzen etwa hergestellt, die es für einen Hamburger te Ergebnis der Studie: „In-vitro-Fleisch ist von Tierschützern und Tierrechtlern mit braucht. Damals war das vielleicht der am eine Innovation, die spaltet. Sie ist in der Start-ups und Lebensmittelkonzernen, die wenigsten nachhaltige Burger der Welt, aber Lage, manche Akteure in der Gesellschaft sich mit der Entwicklung von In-vitro- er war es wert.“ MosaMeat ist längst nicht richtig zu begeistern, bei anderen aber auch Fleisch beschäftigen“, stellt Ferrari fest. mehr allein. Zahlreiche Start-ups etwa aus Widerstand hervorzurufen.“ Auf der anderen Seite entstehen neue Kon- den USA oder Israel treiben die Forschung fliktlinien zwischen Interessengruppen, voran und bereiten ihrerseits einen großflä- Arianna Ferraris Team hat außerdem her- die sich üblicherweise eher nahestehen, chigen Markteintritt vor. ausgef unden, etwa Tierschützern und Ökoverbänden aus der Landwirtschaft. „Ökologische Verbän- Langfristig können sich innovative Tech- de haben sich gegen In-vitro-Fleisch posi- nologien nur etablieren, wenn die Akzep- tioniert, weil sie die Umweltvorteile der tanz in der Gesellschaft gegeben ist. Ge- Technologie bezweifeln und die Landwirt- nau damit hat sich Dr. Arianna Ferrari vom schaft als Kreislaufwirtschaft begreifen.“ Institut für Technikfolgenabschätzung und Es gehe also weniger um die Frage, was Weitere Informationen und Links Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Ins- letztlich nachhaltiger sei, sondern was bes- zum Thema gibt es im E-Paper des titut für Technologie (KIT) beschäftigt. Die ser ins eigene System passe. „Mit der Na- VAA Magazins. studierte Philosophin hat das kürzlich ab- türlichkeit des Ökofleisches ist es auch so geschlossene Projekt „Visionen von In-vit- eine Sache“, gibt Ferrari zu Bedenken. ro-Fleisch“ geleitet und die technischen und „Auch im Ökolandbau werden die Tiere gesamtgesellschaftlichen Aspekte in einer künstlich befruchtet und gezielt zur qualitativ-explorativen Studie analysiert. Fleischproduktion herangezüchtet. Diese „Wir haben Interviews mit Umwelt- und idealisierte Vorstellung von Natürlichkeit ► VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 11
Spezial ist bei den Verbrauchern präsent, aber in dass wir die Zusammensetzung unserer den wirtschaftlichen Aspekten bestehen ins- Wahrheit ist der Begriff sehr kompliziert.“ Nährlösung vollständig kennen und definie- besondere enorme kulturelle Hürden, die es ren.“ Bisher hat MosaMeat etwa 400 serum- zu überwinden gibt. Gegenwärtig läuft In- Für einen Ökoverband wie beispielsweise freie Nährlösungskombinationen getestet. vitro-Fleisch wie auch die Gentechnologie Bioland haben Tiere ihren festen Platz, etwa Allerdings reichen diese qualitativ noch nicht oder das Klonen allen Verbraucherwünschen als Lieferanten von Dünger. Wenn die Tiere ganz an Nährlösungen mit Serum heran. deutlich entgegen.“ ausfallen, gibt es ein Problem. Nach Meinung „Wir haben aber 80 Prozent des Weges hinter von Bioland würde In-vitro-Fleisch außer- uns. In zwei bis drei Jahren haben wir diese Bei MosaMeat will man mit genetisch ver- dem einen noch höheren Fleischverzehr an- Hürde auf jeden Fall genommen.“ Am Ende änderten Lebensmitteln aber nichts am Hut kurbeln, wenn es langfristig als Billigfleisch werde das Produkt definitiv tierfrei sein, ver- haben. „In Europa sind gentechnisch verän- noch günstiger angeboten werden könnte als spricht der niederländische In-vitro-Fleisch- derte Organismen eine Art No-Go für die echtes Fleisch. Die Zukunft könne deshalb Unternehmer, auch in der Herstellung. „Die Verbraucher“, erläutert MosaMeat-CEO Ver- nur eine ethisch vertretbare Nutztierhaltung einzige Ausnahme sind natürlich die tieri- strate. „Wir haben aber auch wissenschaftli- sein. Im Gegensatz zu Bioland begrüßt die schen Zellen, die wir Tieren entnehmen – die che Gründe, dies nicht zu tun. Es geht um die für die Förderung einer veganen, also rein nicht dafür getötet werden.“ genetische Integrität der Zellen.“ Diesen An- pflanzlichen Lebensweise eintretende Al- satz bestätigt auch KIT-Forscherin Ferrari: bert-Schweitzer-Stiftung für un- „Sieht man sich die In-vitro-Fleisch- sere Mitwelt die Entwicklung Konzepte an, dann betonen die Inno- von Fleisch aus Zellkulturen. vatoren gerade die Natürlichkeit und „Wir sollten der Absurdität entkommen, ein ganzes „Im Vergleich zur herkömmli- Sauberkeit ihres Ansatzes.“ Man las- Huhn züchten zu müssen, um die Brust oder den chen Fleischproduktion würde se eine natürliche Zelle auf einem Flügel zu essen, indem wir diese Körperteile die Herstellung solcher Produkte Wachstumsmedium in der Petrischa- gesondert in einem geeigneten Medium züchten.“ nur einen Bruchteil der Umwelt- le wachsen, ohne sie gentechnisch zu belastungen verursachen und modifizieren.“ Ein kontrollierter Winston Churchill in seinem Essay „Fifty Years viel weniger Ressourcen ver- Wachstumsprozess im Labor saube- Hence“ aus dem Jahr 1932. brauchen“, erklärt der Leiter der rer als die natürliche Fleischzucht? Stiftungskommunikation And- „In der Tierhaltung kommen zahlrei- reas Grabolle. „Vor allem aber che Risikofaktoren wie Futter und könnte Fleisch aus Zellkulturen Medikamente sowie natürlich die wesentlich dazu beitragen, vielen Milliarden Wenn die Fleischindustrie In-vitro-Fleisch Haltungsbedingungen an sich hinzu“, führt sogenannter Nutztiere ein Leben und Sterben als Ergänzung ihrer Palette begreifen würde, Arianna Ferrari fort. „Auch in der industri- in der Massentierhaltung zu ersparen. Wir hätte es nach Arianna Ferraris Ansicht eine ellen Fleischproduktion ist Fleisch mittler- werden uns daher für die gesellschaftliche gute Chance, schneller auf den Markt zu weile zu einem hoch technisierten Produkt Akzeptanz und Verbreitung von Fleisch aus kommen. Betrachtet die Industrie das Pro- geworden.“ Das meiste Fleisch, das beim Zellkulturen einsetzen, sobald entsprechende dukt aber als Konkurrenz, wird es schwieri- Verbraucher auf dem Teller landet, ist in Produkte auf den Markt kommen.“ ger. Für den Geschäftsführer des Bundesver- punkto Verarbeitung und Konservierung ein bandes der Deutschen Fleischwarenindustrie durch und durch industrielles und technisier- Doch auch Grabolle sieht noch erhebliche (BVDF) Thomas Vogelsang klingt das The- tes Produkt. „Dies ist den Menschen aber Herausforderungen auf dem Weg bis zum ma noch sehr utopisch, viele wichtige Fragen nicht bewusst.“ tierfreien Laborfleisch: „Bislang werden für seien nach wie vor ungeklärt. „Die prominen- Zellkulturfleisch meist noch immer wieder ten Investoren werden einen sehr langen Es gibt zwar bereits zahlreiche pflanzliche aufs Neue Zellen von lebenden Tieren ent- Atem brauchen“, meint Vogelsang. „Neben Fleischalternativen, aber deren Akzeptanz nommen und als Nährlösung Kälberserum stößt bei den Verbrauchern bislang auf ein verwendet.“ Das Serum stammt aus dem Blut geteiltes Echo. Hier wittern In-vitro-Fleisch- ungeborener Tiere. „Dies ist weder aus ethi- Pioniere wie Peter Verstrate ihre Chance, schen Gründen akzeptabel noch wäre es je- nicht nur eine Nische zu besetzen, sondern mals wirtschaftlich, auf diese Weise Fleisch einen ganzen Markt zu kreieren. „Denn nie- Ein ausführliches In- herzustellen: Durch die begrenzte Verfüg- mand, der einigermaßen klar bei Verstand terview mit dem Mosa- barkeit des Kälberserums sind die Kosten Meat-CEO Peter Ver- ist, kann es tatsächlich mögen, dass Tiere für viel zu hoch. Dieses Verfahren ist daher nur strate gibt es für eingeloggte VAA- Fleisch getötet werden.“ Aber das schlagende eine Zwischenlösung für die Forschung.“ Mitglieder auf der Mitgliederplatt- Argument sei der Gesamteffekt auf die Dieses Problems ist sich Peter Verstrate be- form MeinVAA unter mein.vaa.de. Nachhaltigkeit und den Klimaschutz. Am wusst: „Wir arbeiten intensiv daran, tierfreie, Ende weiß auch Arianna Ferrari genau, was also serumfreie Nährlösungen zu entwickeln wirklich zählt: „Den meisten Verbrauchern und haben in der Tat bereits zahlreiche sol- kommt es auf den Geschmack an. Dort spielt cher Lösungen getestet. Wichtig ist für uns, letztlich die Musik.“ ¢ 12 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
Spezial Der Chief Scientific Officer von MosaMeat Prof. Mark Post hält das fertige Produkt in den Händen. Von einem herkömmlichen Burger ist der Rindfleischbratling aus dem Labor auch optisch nicht zu unterscheiden. Foto: Daved Parry – PA Wire VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 13
VAA 14 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
VAA DEUTSCHER CHEMIE-PREIS KÖLN 2017 Spitzenstimmung bei Covestro in der Wolkenburg Mit dem Deutschen Chemie-Preis Köln zeichnet der VAA seit 2008 Unternehmen mit einer vorbildlichen Personalarbeit aus. In diesem Jahr ist der Preis an die Covestro AG aus Leverkusen gegangen. Grundlage für die Entscheidung der Jury ist die jährlich unter 7.000 Fach- und Führungskräften in den größten 24 Chemie- und Pharmaunternehmen Deutschlands durchgeführte VAA-Befindlichkeitsumfrage. Entgegengenommen hat den Preis Dr. Klaus Schäfer, Arbeitsdirektor und Vorstandsmitglied der Covestro AG. „Wir freuen uns sehr über diese Auszeichnung, ist sie doch Beleg dafür, dass auch unsere Mitarbeiter voll hinter Covestro stehen“, hob Schäfer hervor. „Aus Sicht der Chemie-Führungskräfte kommt es ganz entscheidend auf eine kluge und strategisch orientierte Personalpolitik an, die Mitarbeiter wertzuschätzen und mitzunehmen vermag.“ Foto: Simone Leuschner – VAA VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 15
VAA Bei der Preisverleihung waren unter anderem der Bundestagsabgeordnete Karsten Möring, der 1. Vorsitzende des VAA Rainer Nachtrab, der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen Karl-Josef Laumann, der Arbeitsdirektor und Mitglied des Vorstandes von Covestro Dr. Klaus Schäfer und der VAA-Hauptgeschäftsführer Gerhard Kronisch zugegen (von links). Rund 100 Gäste aus Verban d, Branche, Wir tschaft und Politik haben an der Verleih ung des Deutschen Chemie Preises Köln am 18. Oktobe - r 2017 teilgenommen. „Intransparenten Entscheidungen wird immer misstraut. Ich bin fest davon überzeugt, dass Transparenz Vertrauen schafft. Das ist für Führungskräfte nicht immer einfach. Menschen müssen den Sinn einer Entscheidung erklärt bekommen und verstehen.“ NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in seinem Grußwort an die Teilnehmer der Preisverleihung. Eine Nachlese zum Deutschen Chemie- Preis Köln 2017 fin- d e n e i ngelog g t e Mitglieder in einem Blogbeitrag auf der Mitgliederplattform MeinVAA sregierung war Karl-Josef Vonseiten der NRW-Lande unter mein.vaa.de. Chemie -Preis Köln 2017 Laumann beim Deutschen Leuschner – VAA vertreten. Fotos: Simone 16 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
VAA Der VAA-Vorsitzende Rainer Nachtrab betonte, dass die Covestro AG Per Videobotschaft hat der Vorstandsvorsitzende der Schott AG Fach- . auch im zweiten Jahr ihrer Eigenständigkeit die Wertsch ätzung ihrer Dr. Frank Heinricht die Covestro AG zu ihrem Erfolg beglück wünscht en. und Führungskräfte nicht nur behalten, sondern noch ausgebaut hat. Schott hatte den Preis im Vorjahr gewonn DR. KLAUS SCHÄFER, ARBEITSDIREKTOR DER COVESTRO AG „Unsere Führungskräfte fungieren als Seismographen, welche die Stimmung im Unternehmen authentisch wiedergeben. Unsere Mitarbeiter sind den Kurs der letzten zwei Jahre mitgegangen. Grenzen zu verschieben, bleibt unsere gemeinsame Zukunftsaufgabe.“ Foto: Simone Leuschner – VAA Weitere Bilder von der Veranstaltung gibt es in der E-Paper-Version des VAA Magazins. Wolkenburg. Den festlichen Rahmen für die Preisverleihung lieferte die Kölner Foto: Moritz Leick – VAA VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 17
VAA VAA-JAHRESKONFERENZ IN HEIDELBERG Arbeit fürs Ehrenamt: Neue Impulse dank neuem Format Für die Mitglieder im VAA soll sich der Einsatz für mehr Mitbestimmung und ehrenamtliches Engagement auszahlen. Dies gilt auch für die VAA-Jahreskonferenz, die Mitte November in Heidelberg stattgefunden hat. Mit der Jahreskonferenz hat der Verband das Format der ehemaligen Werksgruppenvorsitzendentagung runderneuert und mit neuen Akzenten versehen. Außerdem wurde dort der VAA-Ehrenamtspreis zum ersten Mal verliehen: Dr. Sylvia Nikkho von der Werksgruppe Bayer Berlin und Dr. Uwe Gierlich von der Werksgruppe Boehringer Ingelheim wurden damit für ihr großes Engagement geehrt. 18 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
VAA RAINER NACHTRAB, 1. VORSITZENDER DES VAA „Es gehört zu den guten Traditionen und am Ende auch zu den wichtigen Funktionen von Jahreskonferenzen, dass sich ein Verband systematisch und zielorientiert mit seinem Selbstverständnis und seiner Entwicklung befasst.“ Foto: Maria Schulz – VAA Der VAA-Ehrenamtspreis wurde 2017 erstmals verliehen und setz t die vor 20 Jahren begonnene Tradition der Chemikerskulpt ur fort. den d Kronisch hat up tg es ch äf tsführer Gerhar ng VA A-Ha hrbuch „Führu ln eh m er n da s neue VA A-Ja au f Konferenztei tellt, das auch its we lt vo n m orgen“ vorges ng in der Arbe gu wnload zur Verfü e zum freien Do der VA A-Websit steht. An der Jahreskonferenz haben auch VAA-Schatzmeisterin Ruth Kessler und die Vorsitzende der Landesgruppe Bayern Dr. Birgit Schwab teilgenommen (von links). Fotos: Maria Schulz – VAA VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 19
VAA für die Am ersten Konferenztag wurden in zwei Workshops Strategien Betriebs rats- und Spreche raussch usswahl en diskutier t. kommenden Im Bild: VAA-Jur ist Thomas Spilke stellt den neuen Kampag nenflyer für die Betriebsratswahlen 2018 vor. Fotos: Maria Schulz – VAA am 10. und 11. hreskonferenz An der VA A-Ja ben rund 150 VA A- m be r 2017 in Heidelberg ha Nove n d Landesgruppe den Werks- un Mitglieder aus . teilgenommen Im Rahmen der VAA-Jahreskonferenz fand die Premiere der drei Videos statt, die im Herbst speziell für die VAA- Betriebsratswahlkampagne produziert wurden. Verfügbar sind die für soziale Netzwerke ideal geeigneten Kurzfilme auf der Kampagnenwebsite www.vaa.de/brw2018 oder auf dem YouTube- Kanal des VAA. Filmrolle nicht gefunden Weitere Bilder von der Veranstaltung gibt es in der E-Paper-Version des VAA Magazins. 20 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
VAA Erstmals wurden im Rahmen einer VAA-Tagung interaktive Blitzumfragen zu verschiedenen verbandspolitischen Themen durchgeführt. Über die in diesem Jahr gestartete VAA-App konnten sich die Teilnehmer der Jahreskonferenz daran beteiligen. Auf der Konferenz gab es genug Gelegenheiten für kritische Fragen und konstru ktive Anregungen. Im Bild : Dr. Mechthild Auge von der Werksgruppe Merck. Konferenzteilnehmerin Dr. Martina Seiler ist Vorsitzende der VAA- Werksgruppe Henkel und der Landesgruppe Nordrhein. Fotos: Maria Schulz – VAA Weitere Informationen sowie die Vorträge der Jahreskonferenz stehen eingeloggten VAA-Mitgliedern auf der Mitgliederplattform MeinVAA unter mein.vaa.de zur Verfügung. n der édéric Donié vo smitglied Dr. Fr VA A-Vorstand m eld et sich stics Penzberg er ks gr up pe Roche Diagno itg lie d der W tandsm treuendes Vors zu Wor t. Als be Do ni é in die triebsräte ist Kommission Be ng eb un de n. eit des VA A ei Betriebsratsarb VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 21
VAA VERLEIHUNG VAA-EXZELLENZPREIS Wissenschaft zum Anfassen Jedes Jahr zeichnet die VAA Stiftung beeindruckende Forschungsarbeiten mit industriellem Anwendungsbezug mit einem Preis aus. Dieses Jahr fand die Verleihung des VAA-Exzellenzpreises am Vorabend der VAA-Jahreskonferenz in Heidelberg statt. Gekürt wurden Dr. Maximilian Knaus von der Technischen Universität München und Dr. Martin Thomas von der Universität Bonn. Beide Preisträger haben ihre Arbeiten vor dem voll besetzten Plenum vorgestellt. Mit der VAA Stiftung bringt sich der VAA in den Dialog der chemisch-pharmazeutischen Industrie mit Wissenschaft und Gesellschaft ein. Fotos: Maria Schulz – VAA 22
VAA e Vorsitzend 0 G äs te teil. Der 1. rund 15 mit den g nahmen e gemeinsam isverleihun ) überreicht An der Pre rab (2. vo n lin ks tung d ie Preise. ainer Nacht er VA A Stif des VA A R Kuratoren d r Dissertation Dr. Maximilian Knaus hat sich in seine h einfache mit der Frage beschäftigt, wie man durc ge und kostengünstige Katalyse hochwerti ten Kunststof fe mit neuen, bisher unbekann geld von Eigenschaften herstellen kann. Das Preis die nächste 5.000 Euro will Knaus in ein Patent für zündende Idee investieren. Der Ehrenvorsitzende des VAA und Vorsi tzende des Stiftungskuratoriums Dr. Karlheinz Mess mer eröffnete die Preisverleihung. Für Dr. Martin Thomas war die Kombination von Chemie, Physik, Mathematik und Informatik in seinem Dissertationsthema besonders spannend: „Ein wichtiges Ziel der Theoretischen Chemie ist die Vorhersage von Weitere Bilder von der Veranstaltung Moleküleigenschaften, ohne auf experimentelle Daten gibt es in der E-Paper-Version des zurückzugreifen. Zu diesen Eigenschaften gehören VAA Magazins. beispielsweise Schwingungsspektren.“ Eine Herausforderung seien dabei die Effekte, die im flüssigen Zustand und in Lösung auftreten. Thomas hat in seiner Arbeit die dafür nötigen Rechenmethoden weiterentwickelt. VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 23
VAA VAA-Jurist Hinnerk Wolff hat den Teilnehmern in Mannheim die wichtigsten Vorschriften des Wahlverfahrens für die Betriebsratswahlen nähergebracht. Foto: Anna Logue – VAA INFOVERANSTALTUNGEN ZU DEN BETRIEBSRATSWAHLEN Einfach richtig wählen Auf drei Informationsveranstaltungen in Bonn, Leipzig und Mannheim konnten sich interessierte VAA-Mitglieder mit dem wichtigsten Handwerkszeug für erfolgreiche Betriebsratswahlen und effektive Betriebsratsarbeit ausstatten. Im Vorfeld der Betriebsratswahlen 2018 ist das Angebot auf großes Interesse aus den Werks- und Landesgruppen des VAA gestoßen. Viele Teilnehmer treten im Frühjahr 2018 zum ersten Mal bei einer Betriebsratswahl an und haben die Gelegenheit zum zu VAA-Geschäftsführer Thomas Spilke koordiniert die Kampagne Erfahrungsaustausch mit erfahrenen len 2018. Der VAA-Jur ist hat die Teilnehm er über den Betriebsratswah Betriebsratsmitgliedern des Verbandes des Betriebs rates informie rt. Foto: VAA die Rechte und Pflichten genutzt. Foto: Markus Etienne – VAA 24 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
VAA MARTINA KELLER, BETRIEBSRATSMITGLIED BEI OXEA „Ich bin seit Juni im neu gewählten Betriebsrat der Oxea in Monheim. Ich nehme viele Anregungen aus dem Workshop mit und weiß jetzt, was wir als Betriebsrat dürfen und was wir machen müssen.“ Foto: VAA Auch der Vorsitzende der VAA-Kommission Betriebsräte Martin Kubessa hat sich am Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmern beteiligt. Foto: Markus Etienne – VAA Die Infoveranstaltungen bot Betriebsratswahlkampagne: Starker Start Fragen rund um die Betrieb en Plat z für alle sratsarbeit. Im bei B. Braun Melsungen Bild: Alexander Schmit t von der Werksgruppe Grace Worms Mit Schwung ist die VAA-Werksgruppe B. Braun Melsungen in die Betriebsratswahlkampa- . Foto: Anna Logue – VAA gne gestartet: Ende Oktober 2017 wurde eine Auftaktveranstaltung für alle Wahlbewerber auf der VAA-Liste auf die Beine gestellt. Der Werksgruppenvorstand um Dr. Martin Wolf, Iwetta Buch, Dr. Christian Herb und Gudrun Pausch hat die Kandidaten gemeinsam mit be- reits aktiven VAA-Betriebsräten über die be- trieblichen Inhalte der Kampagne informiert. Etwa die Hälfte aller Listenbewerber nahm an der Wahlparty teil. Sehr erfreulich war, dass sich neben erfahrenen Kollegen auch viele jüngere Teilnehmer unter 40 Jahren mit großem Interesse engagiert mit eingebracht Foto: Funk – VAA haben. „Es wurden eine Menge Fragen gestellt und angeregte Diskussionen geführt“, berichtet VAA-Geschäftsführer Hinnerk Wolff von der Veranstaltung. „Das zeugt von einem lebendi- gen Interesse an den betriebspolitischen Positionen des VAA und der Betriebsratsarbeit bei Weitere Dokumente B. Braun.“ Vonseiten der VAA-Geschäftsstelle betreuen der Hauptgeschäftsführer Gerhard und Arbeitshilfen für Kronisch und Wolff die Interessenvertretung für akademische und außertarifliche Angestell- Betriebsratsmitglieder te. Beide sind an der Ausarbeitung der VAA-AT-Strategie beteiligt. im VAA gibt es in der Toolbox für Betriebsräte auf der Mitgliederplatt- Die Auftaktveranstaltung in Melsungen war im Rahmen der Kampagnenworkshops zu den form MeinVAA unter mein.vaa.de. Betriebsratswahlen geplant worden, die von der Geschäftsstelle für zahlreiche VAA-Werks- gruppen angeboten wurden. Bereits Mitte Oktober war mit interessierten Mitgliedern der Werksgruppe B. Braun ein unternehmensbezogener Aufbauworkshop durchgeführt worden. VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 25
VAA Foto: Jens Gyarmaty – VAA 4. KONGRESS DER ARBEITS-, WIRTSCHAFTS- UND SOZIALRECHTSTAGE Entgelttransparenz auf dem rechtlichen Prüfstand Was ist der Sinn und Nutzen des neuen Entgelttransparenzgesetzes? Darüber wurde Ende Oktober auf dem 4. Kongress der Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialrechtstage der Zeppelin Universität intensiv diskutiert. Veranstaltet wurde der Kongress gemeinsam mit dem VAA und der Kanzlei PSP Rechtsanwälte. Weitere Themen im Fokus waren die Haftung leitender Angestellter, der Krankheitsbegriff nach dem SGB und neue Entwicklungen zur krankheitsbedingten Kündigung. Höhepunkt des Kongresses am 25. Oktober haltshilfen zu sorgen, als juristisch Umkehr der Beweislast. Er warnte Betriebe 2017 in Berlin war der Vortrag des renom- schlecht gemachte Gesetze mit zahlrei- mit mehr als 500 Mitarbeitern, betriebliche mierten Arbeitsrechtlers Prof. Gregor Thü- chen Formfehlern in die Welt zu setzen. Verfahren zur Überprüfung und Herstel- sing. Seiner Ansicht nach ist das neue Ent- „Das Gesetz geht von der Gleichwertig- lung von Entgeltgleichheit einzuleiten. Die- gelttransparenzgesetz nicht nur schlecht keit vergleichbarer Tätigkeiten auf dem se Verfahren seien freiwillig. „Einmal auf gemacht, sondern auch unnötig. Es leiste Markt aus, doch muss ein Ägyptologe ge- den Weg gebracht, entstehen daraus für den keinen Beitrag zur Reduzierung des Gen- nauso viel verdienen wie ein Jurist? Ein Arbeitgeber Informations- und eventuell der Pay Gaps. „Weder ist eindeutig geklärt, Übersetzer des Maltesischen genauso viel Haftungsrisiken.“ Der Arbeitgeber müsse wie viel Prozent Frauen weniger als Män- wie einer, der aus dem Türkischen über- Betriebsrat und Beschäftigte informieren, ner verdienen, noch kann man sagen, wel- setzt?“ Das möge wünschenswert sein, was er für die Gleichstellung tue. che tatsächlichen Gründe die ungleiche Be- doch sei die Bezahlung unterschiedlich, zahlung hat.“ Der Grund läge jedenfalls weil der Markt das erzwinge. Des Weiteren wurde auf dem Kongress nicht in der Diskriminierung des weibli- über die Haftung leitender Angestellter und chen Geschlechts. Gregor Thüsing machte auf einen weiteren die aktuelle Rechtsprechung zur krank- Aspekt aufmerksam: Wenn ein Arbeitge- heitsbedingten Kündigung diskutiert. Zu Thüsing schlug dem Gesetzgeber vor, ber nicht bereit sei, seiner Auskunftspflicht letzterem Punkt trug Dr. Nuria Schaub vor. mehr für eine funktionierende Infrastruk- über die Bezahlung nachzukommen, so tra- Prof. Heinrich Lang steuerte außerdem ei- tur der Betreuungsangebote und für bes- ge er die Beweislast, dass er nicht diskri- nen Beitrag zum Krankheitsbegriff nach sere steuerliche Absetzbarkeit von Haus- miniert. Thüsing nannte das eine perfide dem Sozialgesetzbuch (SGB) bei. ¢ 26 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
VAA UNTERNEHMENSMITBESTIMMUNG Aufsichtsrätetagung mit Kleinfeld und Bier Für die Aufsichtsratsarbeit spielen Fragen der Ethik heutzutage eine immer wichtigere Rolle. Ebenso im Fokus der Aufgaben von Aufsichtsräten steht die Unternehmensbesteuerung. Zu beiden Themen gab es auf der VAA-Tagung der Aufsichtsräte Mitte Oktober in Bonn reichlich Input. Als Referenten waren Prof. Annette Kleinfeld von der Hochschule Konstanz und der Leiter Steuern bei der Bayer AG Bernd-Peter Bier. Prof. Annette Kleinfeld hat zum Thema „Ethik im Aufsichtsrat“ vorgetragen. Die Hochschullehrerin für Business & Society an der Hochschule Konstanz – Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) war unter anderem als Mitglied im Expertenteam der Deutschen Delegation an der Ausarbeitung des 2010 eingeführten ISO-26000-Standards beteiligt, dem Leitfaden für gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Bernd-Peter Bier, Head of Tax der Bayer AG, hat die rund 40 Teilnehmer der VAA -Aufsichtsrätetagung übe r aktuelle Fragen der Untern ehmensbesteuerung An der Tagung am 13. und 14. Oktober 2017 in Bonn aufgeklärt. haben VAA-Mandatsträger teilgenommen, die in ihren jeweiligen Unternehmen bei der Unternehmensmitbestimmung in verantwortlichen Positionen mit am Tisch sitzen. Fotos: Simone Leuschner – VAA VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 27
Branche INTERVIEW MIT PROF. DIETMAR HARHOFF Innovationen: mehr Ideen, weniger Bürokratie Foto: MPI für Innovation und Wettbewerb In Deutschland ansässige Unternehmen zeichnen sich durch eine hohe Innovationsfähigkeit aus. So gibt die Chemie- und Pharmabranche jährlich über zehn Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus, wurde aber bereits von China überholt. Warum Innovationen kein Selbstläufer sind, erläutert der Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb Prof. Dietmar Harhoff. Im Laufe seines wissenschaftlichen Werdegangs hat der ausgewiesene Experte für Innovationsmanagement und Entrepreneurship bereits an zahlreichen renommierten Hochschulen wie der Stanford University oder dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) gelehrt. Am MIT nimmt Harhoff auch derzeit wieder eine Gastprofessur wahr. VAA Magazin: Wie sehen Sie Deutschland und dass wir in der Wissenschaft endlich unsere Finanzierungsinstrumente, unse- und die Chemieindustrie im globalen In- mehr Wettbewerb zwischen Universitäten re Unternehmensstrukturen sind darauf novationsindex positioniert? zulassen, so in der Exzellenzinitiative spezialisiert. Aber Schritt-für-Schritt- oder im Nachfolgewettbewerb, der Exzel- Prozesse führen auch schnell zu Büro- Harhoff: Deutsche Unternehmen bezie- lenzstrategie. Die chemische Industrie ist kratie. Das schränkt dann die Möglich- hungsweise der Standort insgesamt sind neben der Automobilindustrie und dem keit ein, schnell auf radikalen Wandel zu gut, aber nicht exzellent positioniert. Üb- Maschinen- und Anlagenbau eine der drei reagieren oder selbst zum Schrittmacher licherweise findet man Deutschland in Säulen deutscher Exporterfolge. für weitreichende oder disruptive Inno- den verschiedenen Rankings nicht auf den vationen zu werden. Spitzenplätzen, aber mit Tendenz genau VAA Magazin: Was sind aus Ihrer Sicht dorthin. Deutschland ist inzwischen auch die wichtigsten Hemmnisse für Innova- VAA Magazin: Manche Innovationen sor- auf dem Weg, eine der führenden Innova- tionen? gen zwangsläufig für Disruptionen. Wo tionsnationen zu werden. Dazu hat beige- sehen Sie mögliche Reibungspunkte zwi- tragen, dass Staat und Unternehmen mehr Harhoff: Wir sind gut in inkrementellen schen arrivierten Industrieunternehmen in Forschung und Entwicklung investieren Innovationen. Unsere Ausbildungsgänge, und Techgiganten sowie möglichen Uni- 28 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
Branche corns der Zukunft? Ist eine groß ange- mierte Prozesse hervorgebracht werden – skandinavischen Ländern mehr Gründ- legte Kannibalisierung überhaupt zu ver- Innovation passiert, wenn innovative, kre- lichkeit beim Nachdenken und größere meiden? ative Menschen ausreichende Ressourcen Schnelligkeit bei der Umsetzung der Den- und Freiräume erhalten. Natürlich benö- kergebnisse. Wir sollten wirklich öfter auf Harhoff: In Zeiten radikalen technischen tigt man auch Strategieprozesse – aber die die kleineren europäischen Partner bli- Wandels ist Kannibalisierung nicht zu sind Schall und Rauch, wenn Innovation cken, die sich Selbstgefälligkeit nicht in vermeiden. Kluge Manager versuchen nicht von den Führungskräften gelebt und der Form leisten können, wie wir sie pfle- das auch nicht – radikale Innovation sind unterstützt wird. gen. Und wenn unsere Analysen endlich wichtig und tragen auch zu Produktivi- abgeschlossen sind, benötigen wir sehr tätsfortschritten bei. Und das nicht erst VAA Magazin: Wie können es Unterneh- lange, um Denkergebnisse umzusetzen. seit heute. Wir wissen aus empirischen men schaffen, ihre Mitarbeiter stärker zu Studien, dass sich Phasen radikaler In- mobilisieren und Freiräume für Innovati- Dass Start-ups wichtig sind, wird in eini- novation mit Phasen inkrementeller Ver- onen zu schaffen? gen Bundesministerien jetzt gerade neu besserungen abwechseln. Aber an den entdeckt. Bei der Digitalisierung der Schnittstellen der Phasen besteht für eta- Harhoff: Es gibt in jedem Unternehmen staatlichen Dienstleistungen, dem E- blierte Unternehmen erhöhte Gefahr, Personen, die sich mit Innovation gut Government, steht Deutschland in Europa dass sie nicht mehr Schritt halten können identifizieren können, die unternehme- auf Platz 20 – mit weitem Abstand hinter oder ihre Ressourcen falsch investieren. risch veranlagt sind. In vielen Unterneh- den führenden Nationen. Das ist nicht nur Start-ups sind in diesen Phasen oft er- men gibt es keinerlei Ideenmangel, aber peinlich für einen Technologiestandort – folgreicher. Sie sind nicht durch schon sehr wohl jede Menge bürokratische Vor- es erzeugt auch echte Nachteile im Wett- laufende Geschäfte von neuen Entwick- gaben, welche die Umsetzung solcher Im- bewerb. Abgesehen davon: Der Staat ver- lungen abgelenkt. pulse verhindern. Um nicht missverstan- weigert den Bürgern in diesen Bereichen den zu werden: Innovationscontrolling er- eine Verbesserung der Qualität staatlicher VAA Magazin: Gibt es in den Unternehmen füllt eine wichtige Aufgabe, aber es neigt Dienstleistungen. Nachholbedarf im Hinblick auf die Inno- zur Übererfüllung. Hier helfen interne vationskultur? Wettbewerbe und Finanzierungsmecha- VA A Magazin: Gibt es Ihrer Meinung nismen, die kluge Ideen mit Freiräumen nach einen grundsätzlichen Widerspruch Harhoff: Ja. Wir sehen, dass sich derzeit zwischen der langfristigen Beschäfti- zwei strukturierende Größen – Prozesse g ungssicher ung und In novations- und Auf bauorganisation der Unterneh- freundlichkeit? men – sehr schnell wandeln und ihre Be- deutung verlieren. Unternehmenskultur Harhoff: Nein. Es gibt hierzu sehr robus- wird zu einer zentralen Größe, um Un- te empirische Ergebnisse aus zahlrei- ternehmen auf Kurs und innovativ zu Eingeloggten VAA- chen Ländern. Produktivitätsfortschritt Foto: MPI für Innovation und Wettbewerb halten. Dazu gehört, unternehmerischem Mitgliedern steht die in einem Sektor – sagen wir in den Verhalten auch in Großunternehmen vollständige Fassung Dienstleistungen oder in der chemi- mehr Raum zu geben und mit kleinen, des Interviews auf der Mitglieder- schen Industrie – führt erst einmal zu beweglichen Akteuren außerhalb des plattform MeinVAA unter der Adres- einem Rückgang der Beschäftigung in Unternehmens gut zusammenzuarbei- se mein.vaa.de zur Verfügung. diesem Sektor. Aber die indirekten Ef- ten. Es reicht nicht, einmal im Jahr ein fekte des Produktivitätsfortschritts paar Start-ups wie in einem Zirkus ihre kompensieren das und sorgen sogar ins- Ideen präsentieren zu lassen – die exter- gesamt für Arbeitsplatzwachstum. An- nen Impulse müssen nachhaltig aufge- ders gesagt: Wir sollten uns wenig Sor- griffen werden. und Ressourcen versorgen. Und Füh- gen um die Zahl der Jobs machen. rungskräfte, die verstehen, dass von den VAA Magazin: Welche Rolle kommt den Regeln auch abgewichen werden kann. Wir müssen aber sehr wohl dafür sorgen, Führungskräften dabei zu und inwieweit dass die Arbeitsplätze qualitativ hochwer- müssen sie sich auch selbst verändern? VAA Magazin: Welche politischen Rah- tig sind. Und das können wir durch eine menbedingungen müssen geschaffen wer- schnelle Anpassung des beruflichen Bil- Harhoff: Führungskräfte sind für Innova- den, um Innovationen zu fördern? dungssystems sowie der Hochschulcurri- tion zentral. Sie bestimmen Kultur maß- cula und durch kontinuierliche Weiterbil- geblich durch ihr Beispiel, ihre ethischen Harhoff: Wir benötigen größere Flexibili- dung. Diese Anpassungen hat der deut- Standards prägen die des gesamten Unter- tät und Agilität in der Politik und in Un- sche Arbeitsmarkt in den 1980er Jahren nehmens, ihre Aufgeschlossenheit für ternehmen. Der Erfolg der letzten Jahre – in der ersten Digitalisierungswelle – Neues ist Voraussetzung für jegliche In- hat einige Akteure in Deutschland träge schon einmal sehr gut bewältigt. An diese novation. Innovation kann nicht über nor- gemacht. Ich sehe in der Schweiz, in den Erfahrung können wir anknüpfen. ¢ VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017 29
Branche Foto: Anne Mehlau MOBILITÄT DER ZUKUNFT PS-Bolide aus Kunststoff Lange hat der Designer Hans Gugelot nach einer Möglichkeit gesucht, ein selbsttragendes Chassis für einen Sportwagen zu entwickeln. Die Anwendungstechniker der Bayer AG lieferten ihm einen Vorschlag für eine Bodengruppe aus glasfaserverstärktem Epoxidharz: Zwei dünnwandige Schalen, die miteinander verbunden wurden, bildeten eine Sandwichform. Der daraus entstehende Hohlkörper wurde mit Polyurethan ausgeschäumt. In seinem Gastbeitrag für das VAA Magazin stellt Prof. Dieter C. Schütz, der Leiter der Akademie für Kommunikationsdesign an der Rheinischen Fachhochschule Köln, ein Konzeptauto der Zukunft vor. Der Clou: Die erste Version des Kunststoffflitzers wurde bereits vor 50 Jahren entwickelt. Von Prof. Dieter C. Schütz Da die Konstruktion des Autos die tragende der Front zeitgemäßen Trapezform und dem Die heutigen Automotive-&-Transportation- Funktion übernahm, konnten sämtliche Auf- Schrägheck (Fastbag) sucht dieser Sportwa- Verantwortlichen bei Covestro Hans-Peter bauten leicht sein und boten dem Gestalter genentwurf die Nähe zu Ferrari und dem Neuwald und Michael Loof haben die Gret- somit vielfältige Möglichkeiten für eine zeit- Ford Mustang. chenfrage gestellt bekommen und ein rück- gemäße Fahrzeugform. Die beteiligten Tech- haltlos visionäres Konzeptauto präsentiert, niker sorgten für verminderten Luftwider- Der K67, heute im Besitz der Covestro AG, das die Ideen des K67 fortschreibt. Beim ak- stand und für Lösungen der Fahrsicherheit, wurde im Entstehungsjahr 1967 auf der tuellen Konzeptauto haben neueste Chemie- Korrosionsschutz, Temperatur- und Schall- Kunststoffmesse K67 gezeigt. Die Besucher werkstoffe Einsatz gefunden. Endlosfaser- isolierung. Der von Gugelot gestaltete Fahr- beeindruckte der Entwurf, seine Eigenschaf- verstärkte Composites mit Polycarbonatma- zeugaufbau, der mit dem 120 PS starken ten und technische Daten. Mit einem Ge- trix bieten hohe Stabilität, hervorragende BMW-Motor M 2000 ausgestattet wurde, wicht von 740 Kilogramm war die fahrfähi- Wärmeeigenschaften und lackierfähige entsprach in jeder Hinsicht dem damals ge Bodengruppe enorm leicht, der komfor- Oberflächen. Ohne dass sein Design einer avantgardistischen Autodesign. Mit seiner an table Achsabstand von 2,3 Metern reduzier- Automarke zuzuordnen wäre, entspricht das te Schwingungen und Lifestyle-Elektroauto-Konzept absolut aktu- bot gute Platzverhält- ellen Formtrends und sollte insoweit die Au- nisse im Innenraum. tomobilindustrie unabhängig von der weg- Fahr- und Crashtester weisenden Materialwahl neugierig machen. berichteten von gerin- gem Luftwiderstand, Hier hat die Chemieindustrie den Automo- mehreren Millionen bilherstellern einen Teil der von ihnen im- Wechselbeanspr u- merzu beklagten hohen Entwicklungskosten chungen auf einem für die Technologien der Zukunft abgenom- dynamischen Prüf- men. Beeindruckend und bahnbrechend ist stand und attestierten das Lichtdesign mit eingesetzter Holografie- dem schallschlucken- technologie. Der ebenso wie die Rundumver- den und korrosions- scheibung aus Makrolon bestehende Front- Mobilitätskonzepte von heute haben ihre Wurzeln oft in freien K67 hohe Stabi- bereich bietet ein Interface für eine Interak- Entwürfen aus der Vergangenheit. Foto: Anne Mehlau lität und gute Fahrei- tion mit anderen Verkehrsteilnehmern. Hier genschaften. hat die Zukunft schon begonnen. ¢ 30 VAA MAGAZIN DEZEMBER 2017
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