VAS Das Vertriebenen-, Aussiedler- und Spätaussiedlerjournal in NRW - MKW NRW

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                                                                     2. Jahrgang, Ausgabe 02/2020

                                 Das Vertriebenen-, Aussiedler- und Spätaussiedlerjournal in NRW

Zu Besuch bei den Siebenbürger
Sachsen auf Schloss Horneck
Seite 16

Zweiter Runder Tisch mit                    Kulturtagung
SED-Opferverbänden aus NRW                  im Haus Oberschlesien
Seite 24                                    Seite 20

Portrait: Das Museum für                    Virtuelle Heimatsammlungen
russlanddeutsche Kulturgeschichte           in Nordrhein-Westfalen
Seite 34                                    Seite 28
VAS Das Vertriebenen-, Aussiedler- und Spätaussiedlerjournal in NRW - MKW NRW
Editorial 2/2020

Liebe Leserinnen und Leser!
ich hoffe sehr, dass Sie es so wie wir als Redaktionsteam empfinden: Auch die zweite Ausgabe ­unseres
VAS-Journals in diesem Jahr ist ausgesprochen informativ und lesenswert!

Über die vielen positiven Rückmeldungen und selbstverständlich auch die Kritik zu unserer letzten
Ausgabe des VAS-Journals möchte ich mich, auch im Namen meiner beiden Redaktionskolleginnen
Claudia Brecht und Martina Rodrigues, recht herzlich bedanken.

In meinem letzten Editorial schrieb ich: „Die Erstellung dieser Ausgabe war geprägt – wie unser
gesamtes Leben seit einigen Monaten – von den Auswirkungen der Corona-Pandemie.“ Dies gilt auch
für diese Ausgabe, und es ist auch diesmal eine Herausforderung gewesen, die Mischung an Artikeln
zu präsentieren, die Sie als Leserinnen und Leser des VAS-Journals erwarten dürfen.

Wie haben wir dieses Problem gelöst? Da weniger Präsenz-Veranstaltungen stattgefunden haben,
finden Sie z. B. in dieser Ausgabe mehr Interviews als gewohnt. Wir haben die Zeit genutzt, um mit
unterschiedlichen Persönlichkeiten ins Gespräch zu kommen, die sich für Vertriebene, Übersiedler
und (Spät-) Aussiedler und auch für die Heimatverbliebenen engagieren. In den Interviews in die-
ser Ausgabe stellen wir Ihnen diese Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland vor. Auch zahlreiche
­Buchvorstellungen haben in dieser Ausgabe Platz gefunden.

Und nicht zuletzt haben wir uns in einem großen Artikel den digitalen Formaten gewidmet, der nicht
nur einen ersten Überblick gibt, was möglich ist, sondern vielleicht auch anregt, selbst das ein oder
andere einmal zu versuchen. Podcasts, Videobotschaften, digitale Museumsführungen und vieles
mehr wurden konzipiert, um das Verbandsleben und das kulturelle Angebot aufrecht zu erhalten und
gegebenenfalls sogar Modelle für die Zukunft zu entwickeln, die auch nach der Pandemie das Angebot
bereichern könnten. All diese Aktivitäten zeigen, wie aktiv und lebendig die Verbände der deutschen
Heimatvertriebenen, Flüchtlinge, Übersiedler, Aussiedler und Spätaussiedler in ­Nordrhein-Westfalen
sind! Dies ist nach innen und außen ein wichtiges Signal.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen auch dieses Mal eine anregende Lektüre und hoffe sehr, dass
Sie gemeinsam mit Ihrer Familie ein schönes Weihnachtsfest verbringen werden. Und ganz wichtig:
­Bleiben Sie gesund!

Ihr Heiko Hendriks
Vorsitzender des Landesbeirats für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen
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3

     In dieser Ausgabe

     I LANDESBEIRAT
                  &                                                             III AUS DEN VERBÄNDEN
       LANDESBEAUFTRAGTER
                                                                                  	Vertriebenengedenktag am 20. Juni
     Aufruf der Landesbeauftragten anlässlich                                     auf Schloss Burg
     des 20. Juni                                                          20     Kulturtagung im Haus Oberschlesien
     Im Fokus: Spätaussiedleraufnahme in                                   22     „Monolith e.V“ stellt sich vor
     Corona-Zeiten                                                         28     Virtuelle Heimatsammlungen in Nordrhein-
     Die neuen Spätaussiedlerzahlen                                               Westfalen und Interview mit dem
     Der Landesbeirat tagt erstmals virtuell                                      Geschäftsführer, Dr. Thomas Konhäuser
     70 Jahre Charta der Deutschen                                         31     	Die Kulturstiftung verbindet:
     Heimatvertriebenen – eine Würdigung                                          Dialogveranstaltung 2020 in Haus Schlesien
     Zu Besuch bei den Siebenbürger Sachsen                                32     	Mit Abstand in Kontakt: Digitale Angebote in
     auf Schloss Horneck                                                          Zeiten der Corona-Pandemie
24   Im Fokus: Zweiter Runder Tisch mit                                    38     Zu
                                                                                  	 Besuch am und im Wasser von Danzig
     SED-Opferverbänden aus NRW                                            44     Zu Gast bei Freunden und Partnern in
26   Bedeutende Tage der deutschen                                                Oberschlesien
     Nachkriegsgeschichte: 17. Juni 1953 und                               46     	Der BdV-Iserlohn zu Gast bei Landrat
     3. Oktober 1990                                                              Gemke
48   Chronik des Landesbeirats Kapitel 2 –                                 47     	Frauentagung der Sudetendeutschen
     Ein Meilenstein: die Schaffung des                                           Landsmannschaft NRW
     Landesflüchtlingsgesetzes vom 2. Juni 1948

                                                                                  IV BUCHVORSTELLUNGEN
     NTERVIEWS UND PORTRAITS
                                                                                  Olga Kelm: „Die Geigenmädchen“ und
14   	Im Gespräch mit … Otto Rasch, Vorsitzender                                 „Die Waldhütte“
     des BdV in Velbert Neviges                                                   	Marie Luise Knopp und Peter Joachim
34   	Serie Kultureinrichtungen in NRW:                                          Lapp: „Eingesperrte Gefühle bahnen sich
     Das Museum für russlanddeutsche                                              ihren Weg“ & Lapp: „Zuchthausjahre.
     Kulturgeschichte und Interview mit dem                                       Strafgefangener in der DDR“
     Museumsleiter Kornelius Ens
42   Im
     	 Gespräch mit … Rafal Bartek, Vorsitzender
     des Regionalparlamentes der Woiwodschaft
     Oppeln

     Bildnachweise Cover: oben links: Kranzniederlegung Düren 20.06.2020 (s. S. 26); oben links: Impression aus der
     Kulturtagung im Haus Oberschlesien (s. S. 20), Mitte links: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte (s. S 34 ff.);
     Mitte: wertvolle Archivarien auf Schloss Horneck (s. S. 16 ff.); Mitte rechts: Virtuelle Tagung des Landesbeirats (s. S. 8);
     unten links: Das Logo des Landesbeirats NRW; unten rechts: Besuch des Landesbeauftragten auf Schloss Horneck

     Alle Bildrechte MKW außer Mitte links (Bildrecht MRK)
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4                                                                                                        VAS-JOURNAL NRW

            AUFRUF DER LANDESBEAUFTRAGTEN
            ANLÄSSLICH DES GEDENKTAGES
            FÜR DIE OPFER VON FLUCHT UND
            VERTREIBUNG
            Wir erinnern an Flucht, Vertreibung und Deportation sowie an das
            Schicksal der deutschen Minderheiten in den Staaten Mittel- und
            Osteuropas sowie in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten

    A
            m 20. Juni 2020 begingen wir den bundesweiten       In diesem Sinne setzen wir ein Zeichen:
         „Nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht
                                                                » Wir erinnern daran, dass der von Deutschland be­gonnene
    und Vertreibung“ zum sechsten Mal. Auf diesen bundes-
                                                                  Zweite Weltkrieg und die nationalsozialistische Ideologie
    weiten Nationalen Gedenktag, der die Erinnerung an
                                                                  dazu geführt haben, dass deutsche Minderheiten in den
    das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen
                                                                  Staaten Mittel- und Osteuropas sowie der Sowjetunion
    nach dem Zweiten Weltkrieg lebendig hält sowie zu
                                                                  oftmals als innere Feinde betrachtet wurden und jahr-
    Verantwortung und Versöhnung mahnt, mussten die
                                                                  zehntelang schwersten Repressionen ausgesetzt waren.
    Heimatvertriebenen jahrzehntelang warten. Seit dem
                                                                » Wir erinnern daran, dass nach Vertreibungen, De­­
    entsprechenden Bundesratsbeschluss aus dem Jahr
                                                                  portationen und Zwangsarbeit es in vielen Herkunfts-
    2003 hatte es über zehn Jahre gedauert, diesen zu
                                                                  gebieten massive Schwierigkeiten gab, die eigene Kultur
    realisieren. Mit Beschluss vom 27. August 2014 hat die
                                                                  zu erhalten. Staatliche Zielsetzung war es oftmals, eine
    Bundesregierung den 20. Juni (UNO-Weltflüchtlingstag)
                                                                  Assimilierung der Minderheiten zu erreichen. Dadurch
    als feststehendes Datum ausgewählt und der Gedenk-
                                                                  wurden die Beziehungen zu Angehörigen der jeweiligen
    tag konnte erstmals am 20. Juni 2015 in Berlin feierlich
                                                                  Mehrheitsgesellschaften, zu Nachbarn und vormaligen
    begangen werden. Er soll verdeutlichen, dass Flucht und
                                                                  Freunden stark beeinträchtigt. In ihren nervenauf-
    Vertreibung nicht nur für die davon Betroffenen eine
                                                                  reibenden Ausreisebemühungen wurden viele Deutsche
    traurige Bedeutung haben, sondern Teil der Geschichte
                                                                  von den kommunistischen Regierungen jahrelang hin-
    aller Deutschen und Teil der europäischen Geschichte
                                                                  gehalten. In vielen Staaten wurde durch ein gezieltes
    sind.
                                                                  Vorgehen gegen die Nutzung und das Erlernen der deut-
                                                                  schen Sprache den Gemeinschaften der wichtigste Fak-
    Lag der inhaltliche Schwerpunkt im ersten Aufruf der
                                                                  tor ihres Zusammenhalts genommen. Die Folgen davon
    Landesbeauftragten der Länder Niedersachsen, Bayern,
                                                                  wirken bis heute nach und Sprachkompetenz muss
    Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Hessen zu „75 Jahre
                                                                  mühsam wiederaufgebaut werden.
    Kriegsende – Wir erinnern an Flucht und Vertreibung der
                                                                » Wir erinnern daran, dass bis heute rund 1,2 Millionen
    Deutschen aus dem Osten“ vom 8. Mai 2020 auf dem Thema
                                                                  Menschen als deutsche Minderheiten in Polen, Ungarn,
    „Flucht und Vertreibung“, so möchten wir in diesem Aufruf
                                                                  Rumänien, der Tschechischen Republik, der Slowakei,
    in besonderer Weise den Blick auf das schwere Schicksal
                                                                  Kroatien, Serbien, Slowenien, den baltischen Staaten
    der nach dem Zweiten Weltkrieg in den Herkunftsgebieten
                                                                  und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion leben.
    verbliebenen Deutschen – der Heimatverbliebenen – rich-
                                                                » Wir erinnern daran, dass sich die Lage der deutschen
    ten sowie auf deren Bemühungen zur Aufrechterhaltung der
                                                                  Minderheiten nach der politischen Wende 1989/90 in
    deutschen Sprache und Kultur.
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02/2020                                                                                                                                     5

         Abhängigkeit von den politischen                  „Wer die Geschichte kennt                » Wir erinnern daran, dass die deut-
         und wirtschaftlichen Veränderungen                und in die Zukunft schaut,                  schen Minderheiten sowie die Ver-
         in den einzelnen Ländern unter-                                                               triebenen,    Aussiedler    und    Spät-
                                                           der kann nicht anders als
         schiedlich entwickelt hat. Gründe                                                             aussiedler ein wichtiges Bindeglied
                                                           ein überzeugter Europäer
         dafür sind bilaterale Verträge und                                                            zwischen den Kulturen sind. Sie bieten
                                                                      zu sein.“
         Abkommen zu ihren Gunsten sowie                                                               die Chance auf einen eigenständigen
         die    vom    Europarat      gezeichnete          Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch         Beitrag zur Entwicklung kultureller
         Europäische Charta der Regional-                                                              und zivilgesellschaftlicher Brücken
         oder    Minderheitensprachen,        das                                                      und Netzwerke in die Länder Mittel-
         Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz                          und Osteuropas sowie in die Nachfolgestaaten der
         nationaler Minderheiten, aber genauso die tragfähigen                   Sowjetunion. Hierin liegt ein wichtiger Teil europäischer
         Minderheitenschutzgesetze in den betroffenen Staaten.                   Völkerverständigung.
         Hinzu kommt eine inzwischen neue Aufgeschlossenheit                  » Wir erinnern daran, dass es ganz im Sinne der „Char-
         der Heimatstaaten und auf deutscher Seite eine höhere                   ta der deutschen Heimatvertriebenen“ von 1950 das
         Aufmerksamkeit zugunsten der deutschen Minderheiten.                    gemeinsame Ziel sein muss, immer wieder für ein
      » Wir erinnern an die im Geiste des § 96 Bundesver-                        geeintes Europa einzutreten, in dem die Völker ohne
         triebenengesetz (BVFG) von der Bundesregierung                          Furcht und Zwang leben können. Damit gehörten die
         formulierte Solidaritätsverpflichtung, die deutschen                    Heimatvertriebenen zu den ersten in der deutschen
         Minderheiten in Mittel- und Osteuropa sowie in den Nach-                Bevölkerung, die ein klares Bekenntnis zu einem eini-
         folgestaaten der Sowjetunion bei der Bewahrung ihrer                    gen Europa abgelegt haben. Auch 70 Jahre nach
         Identität zu unterstützen sowie das Kulturgut der Ver-                  Unterzeichnung der Charta muss es weiterhin unser
         triebenen, Aussiedler und Spätaussiedler im Bewusst-                    gemeinsames Ansinnen bleiben, dieses große Friedens-
         sein des gesamten deutschen Volkes zu erhalten. In die-                 projekt nicht zu gefährden.
         sem Sinne unterstützt Deutschland beispielsweise den
         Aufbau gut organisierter und zukunftsfähiger Selbstver-              Wenn wir am bundesweiten „Nationalen Gedenktag für
         waltungen, mit denen die jeweilige deutsche Minderheit               die Opfer von Flucht und Vertreibung“ an die Nachkriegs-
         die Gesellschaft ihres Landes aktiv in ihrem Sinne mit-              opfer und ihr Schicksal erinnern, tun wir dies, damit jetzige
         gestalten kann. Ein weiterer Förderschwerpunkt liegt im              und künftige Generationen wissen, wohin Krieg, Hass und
         Bereich Sprachförderung und Jugendarbeit. Die Bundes-                Gewalt führen und dass die Erinnerung an den Krieg sowie
         regierung strebt eine von Transparenz und Partnerschaft              die Kriegsfolgen den Frieden und die Eintracht fördert.
         gekennzeichnete Zusammenarbeit mit den Regierungen
         der Herkunftsstaaten deutscher Minderheiten in Europa
                                                                              München – Wiesbaden – Hannover – Düsseldorf –
         und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion an. Dieses
                                                                              Dresden, im Mai 2020
         tragen wir tatkräftig mit.

   Editha Westmann, MdL         Sylvia Stierstorfer, MdL          Dr. Jens Baumann        Margarete Ziegler-Raschdorf        Heiko Hendriks
  Niedersächsische Landes-          Beauftragte der                Beauftragter für        Beauftragte der Hessischen     Beauftragter des Landes
  beauftragte für Heimatver-      Bayerischen Staats-              Vertriebene und            Landesregierung für       Nordrhein-Westfalen für die
triebene, Spätaussiedlerinnen   regierung für Aussiedler          Spätaussiedler im          Heimatvertriebene und        Belange von ­deutschen
     und Spätaussiedler             und Vertriebene               Freistaat Sachsen              Spätaussiedler       Heimatvertriebenen, Aussiedlern
                                                                                                                           und Spätaussiedlern
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6                                                                                                              VAS-JOURNAL NRW

     IMIMFOKUS:
          FOKUS:
                           SPÄTAUSSIEDLER­AUF­
                           NAHME IN CORONA-ZEITEN
                           Aussiedlerbeauftragtenkonferenz tagte in Hannover

                          A
                                uf Einladung des Beauftragten der Bundes-       des Freistaates Bayern, Sylvia Stierstorfer, MdL,
                                regierung für Aussiedlerfragen und nationale    und des Freistaates Sachsen, Dr. Jens Baumann.
                           Minderheiten, Prof. Dr. Bernd Fabritius, sowie der
                           Beauftragten des Landes Niedersachsen für Aus-       Auswirkungen der Covid-19-Pandemie
                           siedler und Vertriebene, Editha Westmann, MdL,
                           haben sich am 20. Juli 2020 die Beauftragten der     Im Fokus der Beratungen standen die besonderen
                           Länder für Vertriebene, Aussiedler und Spätaus-      Herausforderungen der Aufnahme deutscher
                           siedler zu einer Beauftragtenkonferenz in Han-       Spätaussiedler in Zeiten der COVID-19-Pande-
                                                                                mie. Der Bundesbeauftragte berichtete über
                                                                                die bisherige Entwicklung und betonte hierbei
                                                                                die Fortsetzung der Aufnahme deutscher Spät-
                                                                                aussiedler auch während der Corona-Pandemie.
                                                                                Spätaussiedler genießen aufgrund ihres Kriegs-
                                                                                folgenschicksals eine besondere Rechtsstellung
                                                                                nach Art. 116 Grundgesetz, die einen Zuzug aus
                                                                                Risikogebieten aus wichtigem Grund recht-
                                                                                fertigt. Dies wurde durch Beschluss des Bundes-
                                                                                kabinetts am 01.07.2020 bestätigt. Im ersten
                                                                                Halbjahr 2019 zogen 3.153 Spätaussiedler zu;
                                                                                vom 01.01. bis 30.06.2020 sind jedoch erst 1.304
                                                                                deutsche Volkszugehörige – überwiegend aus
                                                                                der Russischen Föderation und aus Kasachstan –
                                                                                als Spätaussiedler nach Deutschland zugezogen.

                                                                                Erleichterung zeigten die Beauftragten darüber,
                                                                                dass nach anfänglichem Infektionsgeschehen
                                                                                in dem für das gesamte Bundesgebiet ein-
                                                                                gerichteten Grenzdurchgangslager (GDL) Fried-
    Die Beauftragten vor und während der Beratungen in Hannover                 land (Niedersachsen) wieder Infektionsfreiheit
    (Beide Bilder: BMI)
                                                                                herbeigeführt werden konnte.

                                                                                Umfangreiche Maßnahmen

                           nover getroffen. Anwesend waren neben Editha         Für das Bundesministerium des Innern berichtete
                           Westmann auch die Beauftragten des Landes            Regierungsrätin Maria Maier-Seel über das sich
                           Hessen, Margarete Ziegler-Raschdorf, des Lan-        in Umsetzung befindende Konzept der Hygiene-
                           des Nordrhein-Westfalen, Heiko Hendriks, sowie       sicherung. Demnach begeben sich ankommende
                           durch telefonische Zuschaltung die Beauftragten      Spätaussiedler unmittelbar nach ihrer Einreise
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02/2020                                                                                                                                  7

in eine Quarantäne, die nach den                                                             fahren abgeschlossen werden und
Landes-Corona-Verordnungen           gene-                                                   die Weiterreise zum neuen Wohnort in
rell für Einreisende aus Drittstaaten                                                        Deutschland möglich ist.
vorgesehen ist. Wegen seiner aus § 8
BVFG resultierenden Verpflichtung zur                                                        Zur Vermeidung einer Überlastung
Unterbringung bis zur Registrierung                         ZUGEZOGENE                       vorhandener TU-Kapazitäten forderte
und Verteilung auf die Länder stellt                SPÄTAUSSIEDLER IM ERSTEN                 die Beauftragtenkonferenz alle Ver-
der Bund eine Transit-Unterbringung                        HALBJAHR 2019                     antwortungsträger in Bund und Län-
(TU) zur Verfügung, in welcher in aller                                                      dern sowie von gesellschaftlichen
Regel eine Testung der eintreffenden                                                         Organisationen auf, bei der Bereit-
Spätaussiedler erfolgt. Für die Unterbringung wur-                           stellung weiterer Plätze konstruktiv mitzuwirken
den TU-Plätze in unmittelbarer Nähe des Flughafens                           und baten Selbstorganisationen sowohl der Spät-
Frankfurt, in Braunschweig, in Bad Kissingen und in                          aussiedler in Deutschland als auch der deutschen
Ahrweiler geschaffen; weitere Plätze sind in Duder-                          Minderheiten in den Herkunftsgebieten um Unter-
stadt in Vorbereitung. Nach Quarantäne und Nega-                             stützung.
tiv-Testung erfolgt dann eine Aufnahme im GDL
Friedland, wo in wenigen Tagen die Aufnahmever-

                                                                                                        RUSSISCHE
SPÄTAUSSIEDLERZAHLEN ­                                                                                  FÖDERATION

IN NORDRHEIN-WESTFALEN ­                                                                    NRW
                                                                                                     BUND
                                                                                             76 742
UND BUNDESWEIT                                                               UKRAINE
                                                                                                                      KASACHSTAN

In der Zeit von April bis September 2020
sind in Nordrhein-Westfalen insgesamt
                                                                     NRW                                      NRW
164 Menschen nach den Regelungen des                                         BUND                                     BUND
                                                                         9 139                                 77 620
BVFG aufgenommen worden.                                                                     WEISS­
                                                                                          RUSSLAND

In der Bundesrepublik Deutschland                                    KIRGISISTAN                                             USBEKISTAN

wurden im Zeitraum April bis September
2020 insgesamt 1.578 Personen nach den                                                           NRW

Regelungen des BVFG aufgenommen. Von                                                                1   BUND
                                                                     BUND                               41                   BUND
diesen 1.578 Personen waren 375 Personen                                                                                     22
                                                                     9
deutsche Volkszugehörige im Sinne des
                                                                                             POLEN
§ 4 BVFG. 905 Personen sind gemäß § 7
                                                           RUMÄNIEN
BVFG als Ehegatten oder Abkömmlinge
                                                                                                                     REPUBLIK
eines Spätaussiedlers und 298 Personen                                                                               MOLDAU
als Familienangehörige gemäß § 8 BVFG                                                        BUND
eingereist.
                                                                 NRW
                                                                                             4
                                                                    1                                                BUND
                                                                                                                     1
Quellen: http://www.kfi.nrw.de/wissenstransfer/statistik2/NRW-weite-Zahlen/2019/Monatsbericht-2019-07.pdf
https://www.bva.bund.de/DE/Services/Buerger/Migration-Integration/Spaetaussiedler/Statistik/Monatsstatistik/Startseite_Monat_text.html
VAS Das Vertriebenen-, Aussiedler- und Spätaussiedlerjournal in NRW - MKW NRW
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    DER LANDESBEIRAT TAGT
    ERSTMALS VIRTUELL
    B E R I C H T VO N H E I KO H E N D R I K S

    Da coronabedingt die für das Frühjahr 2020 geplante erste Vollversammlung des
    Landesbeirats in Nordrhein-Westfalen ausfallen musste, entschloss man sich, die
    Vollversammlung am 23. Juni 2020 in Form einer Videokonferenz durchzuführen.

    Zu Beginn der ersten Sitzung berichtete Heiko Hendriks über seine Tätigkeiten seit der letz-
    ten Vollversammlung, die natürlich auch durch die Pandemie geprägt waren. Somit konn-
    ten zahlreiche (Außen-) Termine nicht stattfinden, u.a. der geplante Besuch der Deutschen
    Minderheit in Russland. Er sprach den vielen Ideen der Landsmannschaften und Verbände,
    Veranstaltungen zumindest digital stattfinden zu lassen, ein ausdrückliches Lob aus.

    Es folgte eine kurze Rückbetrachtung zum bereits im Januar 2020 stattgefundenen Tag der
    neuen Heimat (nachzulesen im VAS-Journal 01/2020). Die Veranstaltung mit Festvortrag
    und Podiumsdiskussion fand ein sehr positives Echo.

    Kulturpflege der Vertriebenen

    Bernd Werdin, Leiter des Referats „Kulturpflege
    der Vertriebenen“ im Ministerium für Kultur und
    Wissenschaft, präsentierte eine erste Aus-
    wertung der bisher vorliegenden Förder-
    anträge gemäß § 96 Bundesvertriebenen-
    gesetz (BVFG). Zu dieser Förderung war in
    2017 eine neue Richtlinie mit angepassten
    Förderbedingungen erlassen worden.

    Die digitale Präsentation wurde dankend
    zur Kenntnis genommen, anschließend folg-
    te eine angeregte Diskussion der Teilnehmer/-
    innen zu den einzelnen Förderbedingungen.
    Man einigte sich schließlich darauf, durch Rück-
    meldungen an das Referat diese Richtlinie weiter           Landesbeiratsvorsitzender Heiko Hendriks während der
                                                               virtuellen Sitzung (Fotos: MKW / Illustrationen: Vecteezy)
    zu optimieren.

    Renovierungsarbeiten auf Schloss Burg

    Rudi Pawelka und Heiko Hendriks berichteten zum Sachstand der Renovierungsarbeiten in
    der Gedenkstätte auf Schloss Burg, der zentralen Gedenkstätte des deutschen Ostens in
    NRW. Hierfür wurde der erforderliche Förderantrag bereits beim zuständigen Ministerium
    für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW gestellt. Außerdem haben sowohl
    die Stadt Wuppertal als auch der Schlossverein ihre Unterstützung signalisiert.
VAS Das Vertriebenen-, Aussiedler- und Spätaussiedlerjournal in NRW - MKW NRW
02/2020                                                                                                                      9

                                                                                                       (v. l. n. r.: Bernd
                                                                                                       Werdin / MKW,
                                                                                                       Rudi Pawel-
                                                                                                       ka, BdV-Vor-
                                                                                                       sitzender NRW,
                                                                                                       Ernst Lauter-
                                                                                                       jung / Solingen,
                                                                                                       Foto: BdV LV
                                                                                                       NRW)

VERTRIEBENENGEDENKTAG
AM 20. JUNI AUF SCHLOSS BURG
M I T T E I LU N G D E S B DV N R W

Dankbar hatten die Vertriebenen den Beschluss der            Opfer sterben in Wirklichkeit unwiederbringlich erst dann,
Bundesregierung von August 2014 zur Entwicklung des Ver-     wenn sie der Vergessenheit anheimfallen.“ Diese Aussage
triebenengedenktages aufgenommen. Seitdem wird der 20.       unserer Landsleute in Polen sollte uns allen Leitschnur blei-
Juni in verschiedenen Orten, aber vor allem auf Landes-      ben.
ebene in NRW, zum Anlass genommen, der Toten von
Flucht und Vertreibung zu gedenken. An der zentralen Ver-    Im Innern des Batterieturms, der zentralen Gedenkstätte
triebenengedenkstätte auf Schloss Burg/ Solingen trafen      legten der Vertreter der Landesregierung, die Vertreter
sich auch 2020 Vertriebene und Ehrengäste zum sechsten       des BdV, der Landsmannschaft der Deutschen aus Russ-
Mal, wegen der Pandemiekrise leider nur in kleinem Kreis.    land (Julia Lebedev, Roman Friedrich), der Stadt Wermels-
Allerdings tat dies der Bedeutung der Veranstaltung keinen   kirchen und der Landsmannschaften Pommern, Schlesien
Abbruch.                                                     und Ostpreußen aus Wermelskirchen (Ernst Kaluscha)
                                                             nach den kurzen Ansprachen die Kränze nieder. Während
Die Landesregierung war vertreten durch Bernd Werdin         dieser Zeremonie läuteten die Glocken aus Breslau und
aus dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft. Herr        Königsberg, die im anliegenden Glockenturm untergebracht
Bürgermeister Ernst Lauterjung (Stadt Solingen) drückte      sind. Herr Bürgermeister Ernst Lauterjung zeigte auch hier
durch seine Teilnahme die Verbundenheit mit den Opfern       seine Anteilnahme, indem er sich aktiv an der Kranznieder-
von Flucht und Vertreibung aus.                              legung beteiligte.

Bernd Werdin und der BdV-Landesvorsitzende Rudi Pawel-       Der BdV-Landesverband wird auch künftig den 20. Juni als
ka fanden ehrende Worte des Gedenkens, die von den           Gedenktag begehen.
Anwesenden wohltuend aufgenommen wurden. Dankbar
konnte festgestellt werden, dass die Schicksale der Ver-
triebenen auch nach 75 Jahren nicht vergessen sind. „Die
VAS Das Vertriebenen-, Aussiedler- und Spätaussiedlerjournal in NRW - MKW NRW
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          DIE CHARTA DER DEUTSCHEN
          HEIMAT­VERTRIEBENEN
          Versöhnung statt Vergeltung – Zum 70. Jahres­tag
          der Unterzeichnung im Jahr 2020

     Geschichtlicher Hintergrund

     In den ersten Nachkriegsjahren wurde das Gros der Ent-
     scheidungen, welche die Belange der Flüchtlinge und Ver-
     triebenen betrafen, dezentral von den Parlamenten und
     Behörden der jeweiligen Länder getroffen. Die Verkündung
     des Grundgesetzes am 23. Mai 1949, der heraufziehende
     Kalte Krieg und die Errichtung eines westdeutschen Teil-
     staates markierten einen Einschnitt. Die Bundesebene
     gewann für die von Flucht und Vertreibung betroffene
     Bevölkerungsgruppe, nicht zuletzt durch die Einrichtung
     eines Bundesvertriebenenministeriums, an Bedeutung.
     Auch in den Vertriebenenverbänden etablierten sich zen-
     trale Organisationsformen. Im April 1949 schlossen sich
     viele bisher eigene Vereine zu einem ‚Zentralverband ver-
     triebener Deutscher‘ zusammen, welcher später in den
     Bund der Vertriebenen (BdV) umbenannt wurde. Die Spre-
     cher der Vertriebenenverbände und der ostdeutschen
     Landsmannschaften unterzeichneten gemeinsam am 5.
     August 1950, gerade fünf Jahre nach Beendigung des Zwei-
     ten Weltkrieges in Stuttgart die „Charta der Deutschen
     Heimatvertriebenen“, die am Folgetag in einer Massenver-
     anstaltung vor dem Neuen Schloss in Stuttgart – Bad Cann-
     statt verkündet wurde.

     Verzicht auf Rache und Vergeltung

     Der Verzicht auf Rache und Vergeltung, die Selbstver-
     pflichtung zur Eingliederung und zum Wiederaufbau und
                                                                 Oben: Während der Jubiläumsfeier 2020
     der Einsatz gegen Vertreibungen sind neben der zentralen    (Foto: bildkraftwerk)
     Forderung des ‚Rechtes auf Heimat‘ die wichtigsten Aus-     Unten: Das Vertriebenendenkmal in Bad Cannstatt
     sagen der Charta.                                           (Foto: Wikimedia Commons /Andreas Praefcke)
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                                                    Aus Anlass des 70. Jahrestages der Unter­
                                                    zeichnung der Charta der deutschen Heimat­
                                                    vertriebenen     ordnete      NRW-Innenminister
                                                    Herbert Reul offizielle Beflaggung an. Somit
                                                    wurden an diesem Tag in Nordrhein-Westfalen
                                                    die Flaggen an allen Dienstgebäuden des Lan­
                                                    des, der Gemeinden und Gemeindeverbände
                                                    sowie der übrigen Körperschaften, Anstalten
                                                    und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der
                                                    Aufsicht des Landes unterliegen, auf Vollmast
                                                    gesetzt.

Man sollte nicht vergessen, dass sie nur fünf       Ingrid Sedding im Unteren Kurpark Bad Cann-
Jahre nach Kriegsende und nach Flucht und Ver-      statt aus dem Jahr 1986 an das Ereignis. Im Jahr
treibung von zwölf Millionen Deutschen verfasst     2002 wurde außerdem im Pflaster des Schloss-
wurde und daher heute rückbetrachtend im            platzes vor dem Ehrenhof des Neuen Schlosses
Lichte der damaligen Zeit beurteilt werden muss.    die ‚Gedenktafel Charta der Deutschen Heimat-
Ihre fundamental zukunftsorientierten Aussagen      vertriebenen‘ eingelassen.
mit dem ausdrücklichen Willen, Frieden zu stif-
ten, stellen neben dem Grundgesetz eines der        Jubiläumsfeier 2020
Gründungsdokumente der noch jungen Bundes-
republik dar. Insgesamt ist die Charta, wie jedes   Coronabedingt konnte die geplante Jubiläums-
andere geschichtliche Dokument auch, im histo-      veranstaltung des BdV am 05. August 2020 nur
rischen Kontext zu bewerten und einzuordnen.        in kleinem Rahmen durchgeführt werden. Nam-
Das darin erwähnte „Recht auf Heimat“ ist heute,    hafte bundesdeutsche Politiker übersandten
nach Anerkennung der Oder-Neiße-Linie im Rah-       Videogrußbotschaften, unter anderem Bundes-
men des „Zwei-plus-Vier-Vertrags“ und folglich      präsident   Frank-Walter     Steinmeier,   Bundes-
dem Verzicht auf alle Gebietsansprüche östlich      kanzlerin Dr. Angela Merkel und Dr. Wolfgang
der Oder-Neiße-Linie, in einem europäischen         Schäuble als Bundestagspräsident. In seiner
Kontext zu sehen, in dem das Recht auf Frei-        Ansprache zur Kranzniederlegung verdeutlichte
zügigkeit und somit Niederlassungsfreiheit ein      Dr. Bernd Fabritius, Präsident des BdV, sowohl
fundamentaler Wert ist.                             die Erinnerung an die Charta als auch Anteil-
                                                    nahme und Andenken für die Millionen Menschen
Weitere substanzielle Forderungen nach staats-      aus den historischen deutschen Ostgebieten
bürgerlichen Rechten und eine gerechte und          sowie aus allen deutsch besiedelten Regionen
sinnvolle Verteilung der Kriegslasten auf die       Ost-, Mittel- und Südosteuropas, die von Flucht
ganze Bevölkerung wurden durch Schaffung            und Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit
des Lastenausgleichsgesetzes von 1952 und des       betroffen waren. Neben der Niederlegung der
Bundesvertriebenengesetzes von 1953 erfüllt.        zahlreichen Kränze am Denkmal gab es einen
                                                    konstruktiven Austausch zu vielen Bereichen der
Gedenkstätte in Bad Cannstatt                       Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik.

Seit 1986 erinnert eine Bronzeskulptur ‚Denk-
mal für die Opfer der Vertreibung‘ der Künstlerin
12                                                                                                                VAS-JOURNAL NRW

     STATEMENTS ZUR CHARTA AUS NRW

     Hier in Deutschland und vor allem           Ralph Giordano am 5. August                70 Jahre Charta der deutschen
     bei uns in Nordrhein-Westfalen haben        2011 in der „WELT“: „Kein Ver-             Heimatvertriebenen, das sind 70
     die deutschen Heimatvertriebenen            brechen von Deutschen rechtfertigt         Jahre der Versöhnung und des euro-
     ein neues Zuhause gefunden. Der             Verbrechen an Deutschen. (…) Keine         päischen Miteinanders. Trotz ihrer
     70. Jahrestag ihrer Charta ist für uns      Geschichte der Vertreibung ohne            persönlichen    Schicksale,    geprägt
     darum ein schöner Anlass, ihnen zu          ihre Vorgeschichte, und keine Vor-         von Entwurzelung und Deportation,
     danken für ihren wertvollen Beitrag,        geschichte der Vertreibung ohne            verzichteten die Väter der Charta auf
     den sie beim Wiederaufbau unseres           ihre Geschichte – die Humanitas ist        Rachegedanken. Unter dem Eindruck
     Landes und in den Jahrzehnten seit-         unteilbar.“ So ist es. Und ebenso ist      der Schrecken des zweiten Welt-
     her für den Wohlstand, die Stabilität       die Charta der deutschen Heimat-           krieges stellten sie vielmehr die visio-
     und den kulturellen Reichtum ihrer          vertriebenen in der historischen Situ-     näre Vorstellung eines geeinten Euro-
     neuen Heimat geleistet haben. Des-          ation, in der sich die Menschen 1950       pa in den Vordergrund. Gleichzeitig
     halb hat Nordrhein-Westfalen bereits        befanden, ein eindrucksvolles Doku-        forderten sie auch unabdingbare
     in den Anfangsjahren der Bundes-            ment, bewegt von der Erkenntnis: Wir       Rechte für sich ein. Damit haben sie
     republik   Deutschland     die     Paten-   haben Schlimmes erfahren; aber wir         die Grundlage für eine erfolgreiche
     schaften   über    die   Siebenbürger       wollen nach vorne gucken und damit         Integration der Vertriebenen in die
     Sachsen und die Landsmannschaft             umgehen. – Das ist in jedem Falle          Bundesrepublik gelegt. Aussöhnung
     der   Oberschlesier      übernommen.        zu würdigen und gerade auch mit            und Integration, das sind die bleiben-
     Darauf sind wir stolz.                      Blick auf die Friedensaussage und          den Verdienste der Charta.“
                                                 das geeinte Europa nach wie vor von
     Armin Laschet MdL                                                                      Elisabeth Müller-Witt MdL
     Ministerpräsident des Landes NRW            besonderer Bedeutung.                      Vorsitzende Stiftungsrat
                                                                                            Stiftung Haus Oberschlesien
                                                 Oliver Keymis MdL
                                                 Vizepräsident des Landtags NRW und Vor-
                                                 sitzender des Ausschusses für Kultur und
                                                 Medien
02/2020                                                                                                                                  13

Die Völker müssen er­
                    kennen, dass             Die Charta der deutschen Heimatver-            Die Charta der Heimatvertriebenen ist
das Schicksal der deutschen Heimat-          triebenen ist ein umso bemerkens-              ein starkes, versöhnliches Bekennt-
vertriebenen wie aller Flüchtlinge,          werteres Zeitzeugnis, wenn man sich            nis zu einem geeinten Europa, das
ein Weltproblem ist, dessen Lösung           ihre zeitliche Nähe zu den schreck-            viele Heimatvertriebenen bei der Mit-
höchste sittliche Verantwortung und          lichen Erfahrungen des Heimatver-              gestaltung unserer demokratischen
Verpflichtung zu gewaltiger Leistung         lustes bewusst macht. Die Beharr-              Gesellschaft bis heute leitet. Wie
fordert.“ Dieser Satz aus der Charta         lichkeit der Vertriebenen, Motor einer         bedeutsam das Thema Heimat wie-
beeindruckt mich besonders. Er ist ein       nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu              der geworden ist, hat auch mit dem
historisches Zeugnis – dies zeigt sich       kaum vorstellbaren Aufbauleistung              zu tun, was Menschen aus eigener
vor allem am Pathos der Sprache. Er          zu sein und oftmals entgegen vieler            Erfahrung     von    Heimatverlust    her-
weist aber vor allem in die Zukunft und      Hindernisse und Vorurteile am Ver-             aus als „Recht auf Heimat“ formuliert
ist dadurch weiterhin gültig, wie wir        ständigungsprozess mit den östlichen           haben. Angesichts von 80 Millionen
durch das nach wie vor bedrückende           Nachbarn      mitzuwirken,     ist   beein-    Flüchtlingen – viele davon aus ihrer
Fluchtgeschehen in aller Welt mit sei-       druckend. Diese Tatkraft ist gerade            Heimat vertrieben – erhält die Char-
nen immensen Auswirkungen auch               heute in einer krisenbelasteten Welt           ta eindringliche Aktualität. Sie nimmt
auf Europa wissen: Ja, wir haben gera-       eine wichtige Botschaft an alle Gene-          uns auch in Pflicht, im Einsatz für Frie-
de heute die Verantwortung und damit         rationen, das Erreichte, ein freies,           den und Gerechtigkeit nicht nachzu-
die Pflicht, für eine Lösung dieses          friedliches, von Werten und gegen-             lassen. Das schließt ein, dass wir nach
Weltproblems einzustehen.                    seitiger Wertschätzung        getragenes       menschenfreundlichen          Wegen    zu
                                             Europa, weiterzuentwicken.                     suchen, Menschen eine neue Heimat
Klaus Kaiser MdL
Parlamentarischer Staatssekretär im Minis-                                                  zu ermöglichen.
                                             Nicola Remig
terium für Kultur und Wissenschaft
                                             Leiterin des Dokumentations- und
                                                                                            Pfarrer Edgar L. Born
                                             Informationszentrums im Haus Schlesien
                                                                                            Vorsitzender des Vorstands Stiftung
                                                                                            Gerhart-Hauptmann-Haus

                                             Aus Heiko Hendriks’ Videobotschaft auf
                                             www.mkw.nrw/landesbeauftragter

                                             „Ich möchte allen Heimatvertriebenen danken, die sich seit 70 Jahren für Frieden,
                                             Versöhnung und Ausgleich eingesetzt haben. 70 Jahre Charta der deutschen
                                             Heimatvertriebenen bedeutet für mich, ein Dokument zu ehren, das ein wahr-
                                             haftiges Friedensdokument ist!“
                                             Heiko Hendriks
                                             Landesbeauftragter für die Belange von deutschen Heimatvertriebenen,
                                             Aussiedlern und Spätaussiedlern
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                         OTTO RASCH
                         … seit über 50 Jahren Vorsitzender des BdV Velbert-Neviges
                         In dieser Ausgabe des Journals schauen wir unter anderem auch zurück auf
                         „70 Jahre Charta der Heimatvertriebenen“. Mit unserem Interviewpartner
                         Otto Rasch möchten wir Ihnen einen Menschen vorstellen, der sich seit über
                         fünf Jahrzehnten im Sinne der Charta engagiert und vor Ort, in Velbert-Neviges,
                         ehrenamtliche Arbeit für Vertriebene leistet.

     Sehr geehrter Herr Rasch, wie haben Sie            auch der Vater zu uns gekommen war, wohnten
     Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten            wir wieder zusammen und ich konnte 1950 die
     Weltkrieg und das Ankommen hier in NRW             Schule abschließen und eine Lehre antreten.
     erlebt?
     Krieg und Vertreibung haben unsere Familie für     Sie sind seit über 50 Jahren Ortsvorsitzender
     lange Zeit auseinandergerissen; mein Vater war     des BdV in Velbert-Neviges. Wie hat sich
     bis Ende 1949 in Kriegsgefangenschaft. Im Rhein-   diese ehrenamtliche Tätigkeit seither ent-
     land hat sich unsere Familie wieder gefunden. In   wickelt?
     der direkten Nachkriegszeit waren meine Mutter     Schon als Schüler habe ich mit meinem aus
     und ich zunächst bei Nachbarn, dann wieder im      Schlesien stammenden Klassenlehrer Harald
     eigenen Haus in Ostpreußen und mussten für die     Zeissler die Ortsgruppe der Deutschen Jugend
     russischen Soldaten arbeiten. Erst 1948 wurden     des Ostens DJO gegründet und war dort und
     wir von den Polen „ausgewiesen“: zuerst in die     dann in den Vertriebenenverbänden immer aktiv.
     SBZ, wo man uns von einem Lager ins nächste        Mit meiner Wahl zum Ortsvorsitzenden am 1.
     schickte, kreuz und quer durchs Land, zunächst     April 1969 – exakt 20 Jahre, nachdem ich ins
     nach Sonneberg in Thüringen, dann nach Glau-       Rheinland gekommen war – vollzog der BdV eine
     chau in Sachsen, schließlich nach Frankfurt
     (Oder), wo wir zwangseingewiesen wurden.
     Meine Mutter arbeitete als Trümmerfrau, ich
     selbst ging zur Schule und nachmittags habe ich
     in einer Gärtnerei versucht, etwas dazu zu ver-
     dienen. Durch Postverbindung zu Geschwistern
     meiner Mutter, haben wir versucht, besuchs-                   Otto Rasch bei
                                                                   seiner Ansprache
     weise in den Westen zu kommen. Mit einem Inter-
                                                                   am 15. Juni 2019
     zonenpass durften wir einreisen, aber eigent-                 (Festakt in Velbert-
     lich nur, um Eigentum zu holen, das wir im Krieg              Neviges aus Anlass
                                                                   seines 50. Jubiläums
     zu den Schwestern der Mutter geschickt hat-                   als BdV-Ortsvor-
     ten. Nach einem Aufenthalt im Lager Friedland                 sitzender in Neviges,
                                                                   vorn ganz links der
     kamen wir nach Neviges, wo wir zuerst getrennt
                                                                   langjährige Velberter
     bei verschiedenen Verwandten lebten. Denn auf                 Bürgermeister und
     Wohnungsansprüche mussten wir offiziell ver-                  ehemalige Bundes-
                                                                   tagsabgeordnete
     zichten; eigentlich waren wir illegal. Nachdem                Heinz Schemken)
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Art Generationswechsel, denn die ursprünglichen Gründer waren da                             ZUR PERSON
schon im Rentenalter. In Neviges war es übrigens so, dass der dama-
lige Bürgermeister Willy Anker selbst Vertriebener aus Königsberg                            Otto Rasch wurde 1935 in einem
war und mir viele Impulse gab, zum Beispiel in der Arbeit des Ver-                           kleinen Dorf im Herzen Masurens
triebenenbeirats. Hier war die soziale Hilfe für neue Flüchtlinge, etwa                      geboren (Kreis Sensburg). 1948 mit
die Spätaussiedler, ein wichtiges Arbeitsfeld, fast bis in die Gegenwart.                    der Mutter aus der Heimat vertrieben,
Mit unseren vielen Veranstaltungen und Festen haben wir immer ver-                           kam er nach Neviges im Rheinland
sucht, auch die allgemeine Öffentlichkeit zu erreichen. Mit dem Fall                         und absolvierte eine Berufsausbildung
der Mauer wurden verstärkt Reisen in die alte Heimat möglich und                             als Maler und Tapezierer. Neben
fanden sehr viel Zuspruch im Verband, aber auch bei den Mitbürgern.                          dem Beruf war er vielfältig ehren-
Mit der Errichtung eines Ostdeutschen Gedenksteins (1982) am                                 amtlich tätig, so u. a. im Bereich der
Schloss Hardenberg in Neviges haben wir die Verbindung mit der ein-                          Innung (Prüfungsausschüsse). Früh
heimischen Bevölkerung auch stark gefestigt.                                                 organisierte er sich bei den Ver-
                                                                                             triebenenverbänden, zunächst in der
Was bedeutet die Charta der deutschen Heimatvertriebenen für                                 Jugendarbeit.
Sie und Ihre Mitglieder?
Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen war für mich und                                 1969 wurde er zum Vorsitzenden des
meine Arbeit immer das Grundgesetz der Vertriebenen. Sie gab mir                             Bunds der Vertriebenen in Neviges
die Leitgedanken für mein Wirken im Verband und in der Öffentlich-                           gewählt. Auch im Rahmen des Stadt-
keit. Ein wesentlicher Punkt war und bleibt für uns die Absage an jeden                      verbands Velbert (1975 wurde Neviges
Gedanken von Rache oder Vergeltung.                                                          nach Velbert eingemeindet) und auf
                                                                                             anderen BdV-Ebenen ist Otto Rasch
Was würden Sie sich mit Blick auf Ihre ehrenamtliche Arbeit für                              aktiv. Er hat u. a. zahlreiche Heimat-
die Zukunft wünschen?                                                                        reisen in die ehemaligen ostdeutschen
Die wichtigste Aufgabe für die Zukunft ist für mich, einen würdigen,                         Gebiete organisiert und sich auch bei
engagierten Nachfolger oder auch eine Nachfolgerin für den Vor-                              der Integration der Spätaussiedler
sitz des Ortsverbands zu finden, was sich aber als ziemlich schwierig                        engagiert, um nur zwei Schwerpunkte
erweist. So bewerte ich jedenfalls meine Versuche der letzten Jahre.                         seiner Verbandsaktivitäten zu nennen.
Ein wenig habe ich Sorge, dass in der Zukunft der Verband nicht mehr
in der alten Lebendigkeit arbeiten kann oder vielleicht gar nicht mehr                       Längst möchte er die Nevigeser
existiert. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass der Stabwechsel                        Verbandsleitung in jüngere Hände
an die jüngere Generation gelingt, denn Interesse an unseren Treffen                         übergeben, aber noch immer heißt es:
und Angeboten gibt es immer noch reichlich.                                                  „Ach, der Otto macht das schon!“

Gruppenbild im Innenhof der Marienburg, Ostpreußen-Reise unter       Das Elternhaus von Otto Rasch in Ostpreußen (Kreis Sensburg),
Leitung von Otto Rasch (er selbst ganz links, stehend) im Mai 2004   Ostpreußen-Reise, Mai 2004 (alle Fotos: Frank Hoffmann)
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     ZU BESUCH BEI DEN
     SIEBENBÜRGER
     SACHSEN AUF
     SCHLOSS HORNECK
     Heiko Hendriks besucht die Einrichtungen des
     Verbandes in Gundelsheim
     Foto: Wikimedia Commons / Bildtechnik Braendle
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Auf Einladung des Landes- und Bundes­
vorsitzenden des Verbandes der Siebenbür-
ger Sachsen, Rainer Lehni, hat eine kleine
Delegation aus NRW unter Leitung des
Beauftragten der nordrhein-west­fälischen
Landesregierung für die Belange von deut-
schen Heimatvertriebenen, Aussiedlern und
Spätaussiedlern, Heiko Hendriks, die Kultur-
und Bildungseinrichtungen des Ver­bandes
auf   Schloss   Horneck    in   Gundelsheim
(Baden-Württemberg)       besucht.   Die   Ein-
richtungen befinden sich in den Endzügen
                                                            Unverkennbar: Ein Raum in der Bibliothek und der
umfassender Modernisierungsmaßnahmen.                       Beauftragte mittendrin! (Foto: MKW NRW)

Bereits 1957 hat das Land NRW die Paten-
schaft über den Verband der Siebenbürger
Sachsen übernommen.

                  D
                      ie stellvertretende Vorsitzende des Träger-      in Deutschland besonders wichtig sei, dass die
                      vereins „Siebenbürgisches Kulturzentrum          hier ansässigen Einrichtungen unter einem Dach
                  Schloss Horneck e.V.“, Herta Daniel, hieß die        erhalten bleiben.
                  Gäste im Namen des Schlossvereins herzlich will-
                  kommen und bedankte sich für die jahrzehnte-         Anschließend fand ein Informationsgespräch
                  lange Unterstützung der Siebenbürger Sachsen         mit der Bundeskulturreferentin für Sieben-
                  durch das Land Nordrhein-Westfalen, die nicht        bürgen, Dr. Heinke Fabritius, statt. Erklärtes Ziel
                  nur über eine Patenschaft, sondern über eine         ihrer breitenwirksam angelegten Arbeit ist es,
                  echte Partnerschaft eng miteinander verbunden        auch Menschen zu erreichen, die keinen sieben-
                  sind. Herta Daniel ging auf die schwierige Situa-    bürgischen Hintergrund haben und die Kul-
                  tion im Jahr 2015 ein und erläuterte die Meilen-     tur Siebenbürgens auch an Orten präsent zu
                  steine nach dem Ankauf von Schloss Horneck           machen, die nicht in Verbindung mit Aussiedlung
                  durch den Schlossverein, angefangen von der          stehen. Darüber hinaus initiiert Frau Dr. Fabritius
                  vom Verband der Siebenbürger Sachsen initiier-       z. B. auch Projekte in Kooperation mit Institutio-
                  ten, sehr erfolgreichen Spendenaktion über den       nen aus Siebenbürgen, zum Beispiel einen Aus-
                  Kauf der Schlossimmobilie bis hin zu der „kleinen    tauschbesuch von Jugendlichen beider Länder.
                  Eröffnung“ im Juli 2020.
                                                                       Besuch des Museums
                  Der Bundesvorsitzende Rainer Lehni ergänzte
                  aus Sicht des Verbandes der Siebenbürger Sach-       Unter der Leitung von Dr. Irmgard Sedler (Vor-
                  sen die Ereignisse rund um Schloss Horneck. Er       sitzende des Trägervereins „Siebenbürgisches
                  betonte, dass es für die Siebenbürger Sachsen        Museum e.V.“) und dem Museumsleiter
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     Fotos diese Seite, von oben links
     im UZS (alle Fotos: MKW NRW):

     Im Archiv des Museums

     Herta Daniel und Heiko Hendriks
     werfen einen intensiven Blick
     auf eine alte Landkarte von
     Hermannstadt

     Bildtafel zur Geschichte der
     Siebenbürger Sachsen

     Traditionelle Trachten für Herren

     Ein „Nachbarzeichen“ zur Nach-
     richtenweitergabe untereinander

     Dr. Markus Lörz erfolgte am Nachmittag ein         wege und Landschaften“, die anlässlich der
     Rundgang durch das Siebenbürgische Museum,         EU-Ratspräsidentschaft        der    Bundes­
                                                                                                   republik
     der nicht nur das bestehende Museum zum Inhalt     Deutsch­land gezeigt wird, ein. Diese Ausstellung
     hatte, sondern bei dem die Delegation auch die     präsentiert Landschaften und Stadtansichten
     bald zusätzlich zur Verfügung stehenden neuen      aus ganz Europa und erzählt vom Neubeginn in
     Räumlichkeiten in Augenschein nehmen konnte.       der Fremde.
     Das Museum, das heute über 22.000 Exponate
     beherbergt, geht auf ehrenamtliche Initiativen
     zur Erhaltung des siebenbürgischen Kulturgutes               Im Torbogen vor den Deutschmeistergrabdenkmälern auf Schloss Horn-
                                                                  eck, von links nach rechts Rainer Lehni, Heiko Hendriks, Dr. Irmgard Sedler,
     zurück. 1991 wurde das Museum in ein profes-
                                                                  Herta Daniel, Dr. Markus Lörz
     sionell geführtes Landesmuseum umgewandelt.
     Anhand von Alltagsgegenständen aus Sieben-
     bürgen wird den Besucherinnen und Besuchern
     plastisch dargelegt, wie das Leben in Sieben-
     bürgen über die Zeit und über verschiedene
     Lebensphasen hinweg gestaltet war.

     Dr. Irmgard Sedler ging sehr ausführlich auf
     die Nachbarschaften in Siebenbürgen ein. Sie
     erläuterte deren Funktionsweise und wie diese
     Form der Selbstorganisation das gesamte Leben
     in siebenbürgischen Dörfern bestimmte, den
     Bewohnern aber auch Halt und Orientierung gab.

     Dr. Markus Lörz, der Leiter des Museums, führ-
     te die Gäste in die Ausstellung „Siebenbürgische
     Künstlerinnen und Künstler in Europa, Lebens-
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                                           Fotos diese Seite, von oben
                                           links im UZS (alle Fotos: MKW
                                                                           Dr. Heinke Fabritius ist seit
                                           NRW):
                                                                           November 2017 als Kulturreferentin für
                                           Museum zum Anfassen:
                                           Traditionelle Webarten zum      Siebenbürgen tätig.
                                           Ertasten

                                           Dr. Ingrid Schiel zeigt Heiko   In Siebenbürgen geboren, ebenda
                                           Hendriks im Archiv wahre        sowie in Bukarest aufgewachsen,
                                           Schätze
                                                                           ist sie mit Sprachen, Kulturen und
                                           Wertvolle Schriften im Archiv
                                                                           Geschichte des heutigen Rumäniens
                                           des Museums
                                                                           bestens vertraut. Das Studium der
                                                                           Kunstwissenschaft an der TU Berlin
                                                                           hat sie mit einer Promotion zur Zeich-
Beindruckende Bibliothek mit Archiv                                        nung der Goethezeit abgeschlossen.
                                                                           Ihren Blick für den Reichtum und die
Zum Abschluss zeigte der Vorsitzende des Siebenbürgisch-                   Vielfalt der europäischen Kultur hat
Sächsischen Kulturrats e.V., Dr. Harald Roth, zusammen mit                 sie geschärft an der bildenden Kunst.
der Geschäftsführerin des Siebenbürgen-Instituts, Dr. Ingrid               Das Lernen in den Museen war dabei
Schiel, den Gästen die Siebenbürgische Bibliothek mit ihren                ebenso prägend wie ihre langjährige
90.000 Medieneinheiten und das Archiv mit 1.500 Regal-                     wissenschaftliche Tätigkeit in For-
metern Archivalien, Nachlässen, Bild- und Tonmaterialien.                  schung und Lehre (GWZO Leipzig und
Es handelt sich hierbei um eine internationale Forschungs-                 NYU Berlin). Geschichte und Kultur der
stätte, die an die Universität Heidelberg angeschlossen ist.               Regionen Ostmitteleuropas bilden seit
Besonders beeindruckt war Heiko Hendriks von den wert-                     je einen wesentlichen Schwerpunkt
vollen Exponaten, wie zum Beispiel dem Originaldruck des                   ihrer Arbeit.
Reformationsbüchleins von Honterus oder von Büchern
                                                                           Foto: Anna Nesterenko
und Landkarten aus dem 15. Jahrhundert.

Fazit des Beauftragten

„Für den Verband und damit auch für alle an der Geschichte                 Kulturreferentin für
und den Aktivitäten der Siebenbürger Sachsen Interessier-                  Siebenbürgen
ten ist es toll, dass auf Schloss Horneck nun alle Bildungs-
                                                                           Dr. Heinke Fabritius
und Kultureinrichtungen ergänzt durch ein Hotelangebot
                                                                           Siebenbürgisches Museum
an einem Ort zu finden sind. Dies eröffnet sicherlich auch
die Möglichkeit, Besuchergruppen für diesen Teil der deut-                 Schloßstraße 28
schen und europäischen Geschichte zu begeistern, die sich                  74831 Gundelsheim am Neckar
bisher damit noch nicht beschäftigt haben. Ich wünsche
                                                                           kulturreferat@
allen Einrichtungen viele Besucherinnen und Besucher!“
                                                                           siebenbuergisches-museum.de
                                                                           +49 (0) 6269 – 42 23 12
20                                                                                                         VAS-JOURNAL NRW

                      KULTURTAGUNG IM HAUS
                      OBERSCHLESIEN
                      VO N C H R I STO P H M A R T I N L A BA J

                      Am 23.10.2020 fand im Haus Oberschlesien in Ratingen eine Tagung des Kulturreferats der
                      Stiftung Haus Oberschlesien (SHOS) statt, zu der der Bundesvorstand und die Bundes-
                      vertretertagung der Landsmannschaft der Oberschlesier e.V. (LdO) sowie der Beauftragte
                      für die Belange von deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern des
                      Landes Nordrhein-Westfalen, Heiko Hendriks, eingeladen waren.

                      Der thematische Schwerpunkt der Veranstaltung        sen Themen berate und die entsprechenden
                      bestand in der Vorstellung der kulturellen           Gruppen betreue. Gleichzeitig richtete Hendriks
                      Arbeit Dr. Skrabanias für die SHOS. Nach einer       seinen Dank an alle, die sich institutionell aktiv
                      Begrüßung durch den Organisator und der Vor-         für das Thema „Oberschlesien“ engagierten und
                      führung des Kurzfilms „Blickwechsel. Deutsche        sich bemühten, es europäisch und historisch an
                      im östlichen Europa – eine Entdeckung“, stellte      jedermann zu bringen.
                      Heiko Hendriks seinen Aufgabenbereich vor.
                                                                           Wichtig sei, aus der Sicht von Heiko Hendriks
                      Moderne Kulturarbeit und Gewinnung neuer             auch das Interesse der Bevölkerung an den The-
                      Zielgruppen                                          men Vertreibung und Aussiedlung zu wecken.
                                                                           Hierbei sei insbesondere die Frage, woher stam-
                      Zunächst begründete er die Notwendigkeit sei-        men die Bürger in NRW und wer macht NRW
                      ner Position in einem Land wie NRW, wo aktuell       eigentlich aus, von entscheidender Bedeutung.

      Impressionen
     von der Tagung
       (Foto: MKW)

                      ca. 800.000 (Spät-)Aussiedler beheimatet seien.      In der heutigen Zeit, insbesondere aufgrund der
                      Mit einem Blick auf die Vergangenheit sei zu beto-   Pandemie, spielten digitale Medien eine größere
                      nen, dass nach dem 2. Weltkrieg ca. 2,5 Millionen    Rolle denn je zuvor. Durch einen kreativen und
                      deutsche Vertriebene und Flüchtlinge aus den         innovativen Einsatz dieser müssten das Ober-
                      ehemaligen deutschen Ostgebieten nach Nord-          schlesische Landesmuseum sowie dortige Pro-
                      rhein-Westfalen gekommen seien. Hinzu käme           jekte zu einem Erlebnisort gemacht werden.
                      noch die Zahl von ca. 800.000 Übersiedlern aus       Ein Erlebnisort wecke bei sogenannten „Out-
                      der damaligen DDR. Somit brauche NRW einen           sidern“ Neugier, welche dann weitergetragen
                      Beauftragten, der die Landesregierung bei die-       werde. Auch die Einbindung von Schulklassen
02/2020

in die kulturelle Arbeit sei von enormer Wichtig-
keit. Die Themen „Flucht und Vertreibung“ sowie
„Aussiedlung“ seien bereits ein Teil des Schul-
curriculums in einem Umfang von acht bis vier-
zehn Stunden im Geschichtsunterricht in NRW.
Dazu gebe es eine entsprechend erstellte Hand-
reichung für Lehrkräfte.

Kulturreferat der SHOS nach § 96 BVFG

Den nächsten Block übernahm Dr. Skrabania mit
der Vorstellung der Tätigkeit des Kulturreferats
der SHOS nach § 96 BFVG. Sein Ziel sei es, in
der Rolle des Projektmanagers und –förderers,        selten nur bedingt oder gar nicht an die jüngere         V. l. n. r.: Kulturreferent
                                                                                                              der Landsmannschaft
die regionale Kulturgeschichte Oberschlesiens in     Generation herangetragen. Aus diesem Grund
                                                                                                              Christoph Labaj,
Zusammenarbeit mit thematischen Netzwerken           müsse die LdO einen Paradigmenwechsel von                Bundeskulturreferent
zu verbreiten. Die kulturelle Arbeit und die damit   einer Gemeinschaft zu einer gemeinschaftlichen           Dr. David Skrabania,
                                                                                                              Landesbeauftragter
verbundene Projektförderung übernehme Dr.            Bildungsinstitution vollbringen, um zeitgemäße           Heiko Hendriks und
Skrabania als ein sogenannter „verlängerter Arm“     europäische Kulturarbeit zu leisten. Weiter-             Stiftungsvorsitzender
                                                                                                              Sebastian Wladarz
der/des Beauftragten der Bundesregierung für         hin stellte der Kulturreferent den Ablauf bei der
                                                                                                              (Foto: MKW)
Kultur und Medien (BKM). Seit 2017 habe die          Antragstellung auf Fördermittel für Projekte inkl.
SHOS 103 Projekte geplant bzw. durchgeführt.         der zuständigen Dienststellen und Antragsfristen
Einige der aufgezeigten Beispiele waren das          dar. Betont hat er dabei, dass die Landes- und
Brettspiel „Schlesische Eisenbahnreise“ und das      Kreisgruppen sich künftig bezüglich der Antrag-
Podium Silesia-News.                                 stellung an ihn wenden möchten.

Der Vorsitzende des Bundesvorstandes der             Volksabstimmung und Aufstände 1921/22
SHOS, Sebastian Wladarz, richtete anschließend
seinen Dank an das Kulturreferat aus und spornte     Den Vorträgen folgte ein spezifisches Thema.
zur Zusammenarbeit aller Instanzen an, was, wie      Dr. Skrabania hielt einen äußerst spannenden,
er betonte, bereits geschehen würde.                 mit historischem Bildmaterial gespickten Vor-
                                                     trag zur Volksabstimmung in Oberschlesien
Kulturreferent der LdO stellt sich vor               1921 und der daraus folgenden Teilung 1922. Dr.
                                                     Skrabania zeigte zahlreiche Beispiele für sowohl
Die kulturelle Tätigkeit blieb zunächst an der       deutsche, als auch polnische Propaganda, wel-
Tagesordnung. An dieser Stelle übernahm der          che mit Stereotypen, Metaphern und Bildhaftig-
Kulturreferent der LdO, Christoph Martin Labaj,      keit die Menschengruppen auf ihre Seite ziehen
um über seine im Juli angetretene Tätigkeit zu       wollte.
berichten. Zunächst betonte Herr Labaj, dass
das MKW ihn im Rahmen seiner vorerst ein-            Die Veranstaltung erwies sich nicht nur als infor-
jährigen Projektstelle vordergründig mit der Auf-    mativ und anregend, sondern hatte auch den
gabe beauftragt habe, ein Konzept zur Neuaus-        Vorteil, die kulturelle Tätigkeit beider Institutionen
richtung der LdO in Zusammenarbeit mit der           als auch die Perspektive des Landes NRW vorzu-
SHOS zu erstellen. Diese Konzeption sei aus          stellen. Beim gemeinsamen Mittag- und Abend-
mehreren Gründen vital. Wie die Konzeption           essen gingen die Gespräche und Diskussionen
zur Neuausrichtung der Förderung nach § 96           weiter.
BVFG aussagt, schwinde aus natürlichen Grün-
den die damalige Erlebnisgeneration der Flucht
und Vertreibung. Ihre Erlebnisse würden nicht
22                                                                                                                 VAS-JOURNAL NRW

     MONOLITH E.V. STELLT SICH VOR
     Ein Verein zur Integration von Spätaussiedler/-innen im Kreis Paderborn

     D
         ie Gründung des Vereins „Monolith e.V.“ war 2001 das          und sie durch niederschwellige Maßnahmen und Angebote
         Ergebnis eines Gemeinschaftsprojekts der Pader-               zu befähigen, ein selbst verantwortetes Leben nach den
     borner Wohlfahrtsverbände in Zusammenarbeit mit dem               Regeln der neuen Heimat führen zu können. Dies soll
     damaligen Arbeitsamt und dem Kreis Paderborn.                     durch Einzelgespräche, Gruppenarbeit, niederschwellige
                                                                       Beratung, Seminare, Vorträge, Exkursionen, Projekte, Gre-
     Innerhalb kurzer Zeit fanden sich kompetente und enga-            mien- und Öffentlichkeitsarbeit gelingen.
     gierte Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, die ehren-
     amtlich Aktionen für ihre Landsleute ins Leben riefen und für     Alle Ehrenamtlichen bieten je nach Begabung und Interesse
     sie Freizeit- und Bildungsangebote entwickelten. Kontak-          für alle Altersstufen die Möglichkeit, sich in Gruppen zu tref-
     te untereinander wurden gestärkt und durch gemeinsam              fen und gemeinsam einer Beschäftigung nachzugehen. In
     organisierte Veranstaltungen die Paderborner Öffentlichkeit       der Regel finden die Gruppenangebote einmal in der Woche
     informiert.                                                       statt. Zum Beispiel kommen jede Woche über 350 Kinder in
                                                                       der Samstagsschule zusammen, um schwerpunktmäßig
     Monolith e.V. orientiert sich am Integrationskonzept des          Russisch als Zweitsprache zu lernen.
     Kreises Paderborn, mit dem er sehr eng zusammenarbeitet
     und der ihn finanziell fördert. Zielsetzungen sind Menschen       Regelmäßig werden auch größere Veranstaltungen wie
     mit Migrations- und Zuwanderungshintergrund (Aussiedler,          Konzerte, Ausstellungen, Theater-Aufführungen, Vorträge,
     Migranten und Flüchtlinge) in die Lebens- und Arbeits-            Exkursionen usw. durchgeführt.
     welten ihrer neuen Heimat einzuführen, ihnen politisch- und
     gesellschaftsrelevante Informationen zukommen zu lassen

                                                                                                  Monolith e. V.

                                                                                                  Ledeburstr. 30
                                                                                                  33102 Paderborn

                                                                                                 Tel.: 05251-8785717
                                                                                                  www.netzwerk-monolith.de
                                                          Von oben links im UZS:

                                                          Vorsitzende Irene Neh bei der           Lassen Sie sich für unseren
                                                          ­Kanzlerin                              Newsletter eintragen!
                                                          Jungpolitiker bei der Monolith-
                                                          Jugend                                  Koordination: Dr. Helene Frank
                                                          Seniorengruppe, Irina Gez, Pader-       h.frank@netzwerk-monolith.de
                                                          born, WDR-Hausführung, 22.06.19        Pädagogische Mitarbeit:
                                                          (Alle Fotos: Monolith e.V.)             Elena Kern, M.A.
                                                                                                  e.kern@netzwerk-monolith.de
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