VEREINTE - Deutsche Gesellschaft für die ...

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VEREINTE
   NATIONEN                      Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen
                                 German Review on the United Nations

Herausgegeben von der            Aus dem Inhalt
Deutschen Gesellschaft für die
Vereinten Nationen (DGVN)        Operation Blauhelmreform
                                 Ban Ki-moons umstrittener Umbau der Hauptabteilung
                                 Friedenssicherungseinsätze
                                 Thorsten Benner · Philipp Rotmann

                                 Wider die Straflosigkeit
                                 Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller
                                 Personen vor dem Verschwindenlassen
                                 Waldemar Hummer · Jelka Mayr-Singer

                                 Die Vereinten Nationen und indigene Völker
                                 Zu Entstehung und Gehalt der Erklärung der Vereinten Nationen
                                 über die Rechte der indigenen Völker
                                 Anja Titze

                                 Architektur und Politik
                                 Vom Völkerbundpalast zum Entwurf für einen
                                 Neubau am UN-Amtssitz
                                 Stephan Rößler

                 Nomos                                          5 07
                                                                 55. Jahrgang | Seite 177–220
                                                                 ISSN 0042-384X | M 1308 F
Editorial

Gute Nachrichten aus New York

Im zurückliegenden Dreivierteljahr haben die Vereinten Nationen einige wegweisende Entschei-
dungen gefällt: Es wurden drei neue Menschenrechtsinstrumente verabschiedet, die Aufstockung
des Personals der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze beschlossen und die Renovierung des
UN-Amtssitzes in New York genehmigt. All diese zum Teil weit reichenden Beschlüsse wurden in
der Generalversammlung gefasst. Auch wenn die Vorarbeiten nicht selten Jahrzehnte in Anspruch
nahmen, zeigt das Erreichte, dass dieses alle Mitgliedstaaten repräsentierende Gremium durch-
aus Dinge voranbringen kann.
    So verabschiedete die Generalversammlung im Dezember 2006 gleich zwei Menschenrechts-
konventionen: das Übereinkommen über die Rechte behinderter Menschen und das Internationale
Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. Über die erstgenannte
Konvention hat bereits Theresia Degener in ihrem Beitrag ›Menschenrechtsschutz für behinderte
Menschen‹ in dieser Zeitschrift berichtet (VN, 3/2006, S. 104–110). Entstehungsgeschichte und In-
halt der zweiten internationalen Konvention erläutern Waldemar Hummer und Jelka Mayr-Singer
nun in diesem Heft.
    Ebenfalls im Dezember letztes Jahres billigte die Generalversammlung endlich auch die Renovie-
rung des UN-Amtssitzes. Damit hat die jahrelange Debatte um Kosten und Art der Renovierung
nun ein Ende. Der Schönheitsfehler dabei ist nur, dass der geplante Neubau am Amtssitz doch nicht
gebaut wird. So wurden, wie Stephan Rößler schildert, nicht nur Anfang des letzten Jahrhunderts
beim Völkerbundpalast, sondern auch heute visionäre Entwürfe, die die Universalität der Institution
widerspiegeln, aufgrund politischen Kleinmuts nicht in die Tat umgesetzt.
    Als Anfang 2007 der neue UN-Generalsekretär eine tief greifende Umstrukturierung der
Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze vorschlug, kam ihm Kritik von allen Seiten entgegen.
Ban Ki-moons erster großer Reformanlauf drohte zu scheitern, nicht zuletzt, weil es seinen Vor-
schlägen an Substanz fehlte und er die Mitgliedstaaten nicht konsultiert hatte, so Thorsten Benner
und Philipp Rotmann. Dass die Generalversammlung im Juni 2007 am Ende doch die (nach wie vor
umstrittene) Aufteilung der Abteilung, aber auch eine Aufstockung der Personalressourcen be-
schloss, lag vor allem an den Mitgliedstaaten, die den Generalsekretär nicht gleich zu Beginn sei-
ner Amtszeit zu einer ›lahmen Ente‹ machen wollten.
    Ein drittes Menschenrechtsinstrument wurde schließlich im September 2007 verabschiedet.
Nach mehr als 20 Jahren der Debatte und des Verhandelns in verschiedenen UN-Gremien billigte
die Generalversammlung die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker.
Mit diesem neuen Instrument werden die Rechte der geschätzten 370 Millionen Indigenen univer-
sell verankert. Die Erklärung kann, wie Anja Titze ausführt, maßgeblich dazu beitragen, dass die-
sen in vielerlei Hinsicht benachteiligten Völkern mehr Gerechtigkeit widerfährt.
    Für die Generalversammlung, dieses oft als ineffektiv bezeichnete Hauptorgan der Vereinten Na-
tionen, ist das in den letzten zehn Monaten Erreichte sicherlich eine gute Bilanz und für uns eine
gute Nachricht.

   Ich wünsche eine anregende Lektüre.

   Anja Papenfuß, Chefredakteurin
   papenfuss@dgvn.de

VEREINTE NATIONEN 5/2007
Inhalt

         VEREINTE NATIONEN                                                             55. Jahrgang | 2007 | Heft 5

         Inhalt

         Thorsten Benner · Philipp Rotmann
         Operation Blauhelmreform.
         Ban Ki-moons umstrittener Umbau der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze                             177

         Waldemar Hummer · Jelka Mayr-Singer
         Wider die Straflosigkeit.
         Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen                     183

         Anja Titze
         Die Vereinten Nationen und indigene Völker.
         Zu Entstehung und Gehalt der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker        190

         Stephan Rößler
         Architektur und Politik.
         Vom Völkerbundpalast zum Entwurf für einen Neubau am UN-Amtssitz                                          198

         Aus dem Bereich der Vereinten Nationen
         Sozialfragen und Menschenrechte
         Birgit Schlütter
         Menschenrechtsausschuss | 86. bis 88. Tagung 2006                                                         205
         Claudia Mahler
         Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung | 68. und 69. Tagung 2006              207

         Buchbesprechungen                                                                                         209

         »Unverrückbare Werte stärken«
         Rede der deutschen Bundeskanzlerin vor der 62. Generalversammlung                                         215

         Dokumente der Vereinten Nationen                                                                          217

                                                                                                    VEREINTE NATIONEN 5/2007
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform

Operation Blauhelmreform
Ban Ki-moons umstrittener Umbau der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze*

Thorsten Benner · Philipp Rotmann

Nach monatelangem Tauziehen zwischen dem neuen            Mitgliedstaaten gemacht. Der Vorsitzende der 130
UN-Generalsekretär und den Mitgliedstaaten be-            Entwicklungsländer plus China umfassenden Grup-
schloss die Generalversammlung am 29. Juni 2007           pe der 77 (G-77), der pakistanische UN-Botschafter
einen weitreichenden Um- und Ausbau der Führungs-         Munir Akram, machte unmissverständlich klar, die
und Unterstützungskapazitäten für Friedenseinsätze.       große Mehrheit der Mitglieder akzeptiere »keine will-
Ban Ki-moon zog dabei mit seinen umstrittenen Tei-        kürlichen Fristen« für einen Beschluss, und »die eta-
lungsplänen für die Hauptabteilung Friedenssiche-         blierten Verfahrensweisen [sollten] eingehalten wer-
rungseinsätze gegenüber den Mitgliedstaaten den           den.«4 Diese sehen umfassende Beratungen im Son-
Kürzeren. Gleichzeitig konnte er aber eine dringend       derausschuss für Friedenssicherungseinsätze (Special
notwendige Aufstockung der Personalressourcen und         Committee on Peacekeeping Operations) sowie in den
Planungskapazitäten in New York erreichen. Dem ra-        Haushaltsausschüssen vor. Der israelische UN-Bot-                          Thorsten Benner,
piden Wachstum der Missionen kann diese jedoch al-        schafter Dan Gillerman erklärte: »Die Durchsetzung                         geb. 1973, ist Stell-
lein nicht gerecht werden.                                jeglicher Änderung bei den Vereinten Nationen be-                          vertretender Direk-
                                                          deutet viel Verhandeln und viele Kompromisse. Jeder                        tor des Global Public

Reformerischer Fehlstart                                  eingebrachte Vorschlag wird grundlegend anders aus-                        Policy Institute
                                                          sehen, nachdem ihn alle in die Mangel genommen                              (GPPi) in Berlin.
Es sollte ein Paukenschlag am East River werden. We-      haben«.5
nige Wochen nach seinem Dienstantritt zu Jahresbe-           Gillerman sollte Recht behalten. In den folgenden
ginn 2007 ließ UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Plä-        Monaten stieß Ban mit seinen Reformplänen auf mas-
ne durchsickern, die Hauptabteilung Friedenssiche-        siven Widerstand, so dass er sie vollständig überar-
rungseinsätze (Department of Peacekeeping Opera-          beiten musste. Auf den ersten Blick verwundert diese
tions – DPKO) in zwei Abteilungen aufzuteilen. Ein        heftige Opposition. Mit einer Übergangsphase von
Teil sollte weiterhin für alle inhaltlichen Fragen der    mehr als drei Monaten seit seiner Wahl im Oktober
Einsatzplanung und -führung zuständig sein. Eine          2006 hatte Ban Ki-moon soviel Zeit wie kaum ein
zweite, neue Abteilung, die so genannte Hauptabtei-       designierter Generalsekretär vor ihm, um seine ersten
lung Unterstützung der Feldeinsätze (Department of        Schritte vorzubereiten. Der ehemalige südkoreani-
Field Support – DFS), sollte alle Verwaltungs- und        sche Außenminister war ausdrücklich mit dem Ziel
Logistikaufgaben sowie Disziplinarfragen bündeln.1        angetreten, im Sekretariat eine ›kulturelle Wende‹ hin
Anfang Februar erläuterte der Generalsekretär seinen      zu mehr Effizienz und Verantwortlichkeit herbeizu-
Plan den Mitgliedstaaten. Wegen des historischen          führen. Und, was die Notwendigkeit der Verbesse-                           Philipp Rotmann,
Höchststands beim Umfang der Friedenseinsätze, so         rung der Infrastruktur für Friedenseinsätze im UN-                         geb. 1980, ist wis-
Ban, sei die Zeit zum Handeln gekommen. Die vorge-        Sekretariat betrifft, hatte er die Fakten auf seiner                       senschaftlicher Mit-
schlagene neue Hauptabteilung Unterstützung der           Seite: In nur zwei Jahren, zwischen Mai 2005 und                           arbeiter beim Global
Feldeinsätze »könne Missionen effektiver, kohären-        Mai 2007, stieg die Zahl der Soldaten, Polizisten und                      Public Policy Institu-
ter und bedarfsgerechter unterstützen sowie einen         Zivilkräfte in den weltweiten Friedensmissionen um                         te (GPPi) in Berlin.
klaren Bezugspunkt für Verantwortlichkeit und Re-         über ein Viertel auf mehr als 100 000. Mit Blick auf
chenschaft schaffen«.2 Die bisherige Hauptabteilung
Friedenssicherungseinsätze sei wegen mangelnder Res-
sourcen »hoffnungslos überfordert« und daher nicht
der Lage, effektiv genug gegen die immer häufigeren        * Dieser Beitrag entstand im Rahmen des von der Deutschen Stiftung
Disziplinarprobleme der vergangenen Jahre vorzuge-        Friedensforschung geförderten Forschungsprojekts ›Learning to Build
hen. Ein zweiter Beamter im Rang eines Untergene-         Peace? UN Peacebuilding and Organizational Learning‹.
ralsekretärs an der Spitze des DFS sei erforderlich, so   Zur Zitierweise: UN-Dokumente, die in deutscher Sprache erhältlich sind,
Ban gegenüber Botschaftern, um der Durchsetzung           werden mit UN-Dok. abgekürzt, die in englischer Sprache mit UN Doc.
der Disziplinarvorschriften die notwendige Aufmerk-        1 UN Chief Wants to Split Peacekeeping Department, Reuters, 26.1.2007.
samkeit zu verschaffen.3                                   2 Ban Ki-moon Proposes Restructuring to Enhance UN’s Peace,
   Ban Ki-moon erklärte den Diplomaten, er hoffe          Disarmament work, UN News, 5.2.2007.
auf eine umgehende Verständigung über seine Pläne          3 New Boss Clears out U.N. Top Ranks, The Australian, 11.1.2007.
und würde bis dahin mit der weiteren Besetzung der         4 Zitiert in: U.N. Chief Returns to Headquarters, Where Battles Await
Spitzenposten im UN-Sekretariat warten. Diese Rech-       Him, New York Times, 6.2.2007.
nung hatte der neue Generalsekretär jedoch ohne die        5 Ebd.

VEREINTE NATIONEN 5/2007                                                                                                                               177
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform

                         den Ende Juli 2007 beschlossenen Darfur-Einsatz und       Schreiben an die Generalversammlung weitere Argu-
                         den Ende September bewilligten Einsatz in Tschad          mente für seine Umbaupläne vor.6 Der Status quo
                         scheint sich dieser Trend eher noch fortzusetzen.         sei angesichts der rapiden Zunahme der Friedensein-
                         Diese sprunghafte Ausweitung der Missionen über-          sätze unhaltbar. Auch eine weitergehende Zentrali-
                         stieg rasch die Kapazitäten des DPKO. Im Jahr 2003        sierung aller mit Friedensmissionen zusammenhän-
                         war rechnerisch ein DPKO-Mitarbeiter für die              genden Aufgaben in einer erweiterten Hauptabteilung
                         Führung, Koordinierung und logistische Unterstüt-         Friedenssicherungseinsätze sei keine Lösung, denn da-
                         zung von 96 Soldaten, Polizisten oder Zivilkräften        mit wäre ein einzelner Untergeneralsekretär zwangs-
                         im Feld verantwortlich. Bis Mitte 2007 stieg dieses       läufig ›überfordert‹. Deshalb bliebe als Lösung nur die
                         Verhältnis auf 1 zu 149.                                  Teilung. Dafür erwartete der Generalsekretär nun die
                             Dass Bans Teilungsvorschlag dennoch nicht auf         ›grundsätzliche‹ Unterstützung der Generalversamm-
                         offene Ohren stieß, hatte vor allem drei Gründe.          lung und versprach im Gegenzug, anschließend ein
                             Erstens mangelte es seinem Vorschlag an Substanz.     ausgefeiltes Konzept einschließlich der finanziellen
                         Nachfragen der großen Truppensteller und der Haupt-       Implikationen vorzulegen. Auf dieser Grundlage ver-
                         beitragszahler, wie die Zusammenarbeit zwischen den       abschiedete die Generalversammlung am 15. März
                         beiden neu zu schaffenden Abteilungen denn nun ge-        2007 eine Rahmenresolution,7 die zwar die grund-
Um ein Scheitern auf     nau aussehen sollte, konnte der Generalsekretär an-       sätzliche Unterstützung für die Umbaupläne zum Aus-
  ganzer Linie zu ver-   fangs nicht zufriedenstellend beantworten. Der breite     druck bringt, den Generalsekretär jedoch gleichzei-
hindern, musste Ban      Widerstand innerhalb des DPKO gegen die Teilungs-         tig auf die bestehenden Entscheidungsmechanismen
seine diplomatischen     pläne machte es für den Koreaner nicht leichter, über-    des Haushaltsverfahrens und im Sonderausschuss für
   Bemühungen ver-       zeugende Argumente für die Ausgestaltung seines Tei-      Friedenseinsätze festlegt. Damit war Bans Vorschlag
      stärken und ein    lungsplans zu sammeln. Angesichts der Schwäche der        keineswegs gerettet. Die Gefahr eines langsamen ›To-
   mehrheitsfähiges      vorgetragenen Argumente konnten sich auch Gerüchte        des‹ in den Mühlen der Ausschüsse war groß. Um ein
  Kompromisspaket        halten, der Posten für einen Untergeneralsekretär als     Scheitern auf ganzer Linie zu verhindern, musste Ban
 auf den Tisch legen.    Leiter des DFS diene vor allem der Versorgung Japans      seine diplomatischen Bemühungen verstärken und ein
                         mit einem Spitzenjob.                                     mehrheitsfähiges Kompromisspaket auf den Tisch
                             Zweitens waren Bans unstrategisches Vorgehen          legen.
                         und mangelndes diplomatisches Geschick verantwort-
                         lich für den Widerstand der Mitgliedstaaten, die sich     Das Kompromisspaket:
                         vor vollendete Tatsachen gestellt sahen. Der General-     eingebettet in größere Reformpläne
                         sekretär hatte es versäumt (oder nicht für nötig ge-
                         halten), die entscheidenden Spieler im Kreis der Mit-     Bereits Mitte April 2007 stellte der Generalsekretär
                         gliedstaaten vor der Bekanntgabe für seine Ideen zu       sein neues Gesamtpaket vor. Darin verband er einen
                         gewinnen. Zudem wurde Ban Ki-moons Ankündi-               nunmehr weniger radikalen Teilungsplan mit zwei
                         gung, vakante Spitzenpositionen erst nach der Billi-      weiteren Elementen, die innerhalb des Sekretariats
                         gung seiner Umstrukturierungspläne zu besetzen, von       und bei den Mitgliedstaaten auf offenere Ohren stie-
                         der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten – nicht ganz      ßen: Vorschläge zur Aufstockung des Personals in
                         zu unrecht – als Geiselnahme der Arbeitsfähigkeit der     allen einsatzrelevanten Bereichen sowie (auch auf
                         Organisation verstanden.                                  Druck des Sonderausschusses für Friedensoperatio-
                             Ein weiterer strategischer Fehler war drittens, die   nen8) zentrale Elemente aus dem von DPKO-Leiter
                         DPKO-Teilungspläne im Paket mit dem Vorschlag             Jean-Marie Guéhenno vorangetriebenen Reformkon-
                         zur Eingliederung der Hauptabteilung Abrüstungs-          zept ›Peace Operations 2010‹.9 Dies umfasst neue
                         fragen in die Hauptabteilung Politische Angelegen-        Managementinstrumente und zusätzliche Ressour-
                         heiten (DPA) und damit einhergehend der Degradie-         cen zur Stärkung der Planungs- und Führungskapa-
                         rung des Leiters der Hauptabteilung von dem Rang          zitäten im DPKO.
                         eines Untergeneralsekretärs auf den eines Beigeord-          Ban versuchte aus der Not (mit seinen Vorschlägen
                         neten Generalsekretärs zu präsentieren. Angesichts der    den aufwändigen Haushaltsprozess zu durchlaufen)
                         parallelen Diskussion um die Besetzung der DPA-           eine Tugend zu machen. Insgesamt verlangte er fast
                         Spitze mit einem US-Amerikaner entstand bei vielen        50 Prozent mehr Personal und 35 Prozent mehr Geld
                         Staaten, insbesondere in der G-77 ein fataler Eindruck:   als im Zweijahreshaushalt 2006/2007. Wie üblich
                         Ban, so die verbreitete Meinung, wolle mit der Neu-       kürzte der Haushaltsausschuss den Entwurf um etwa
                         tralisierung der politisch unbequemen Abrüstungsab-       ein Drittel. Nach einigen Wochen informellen Tauzie-
                         teilung lediglich dem größten Beitragszahler und der      hens um die Details der Umstrukturierung verabschie-
                         größten Nuklearmacht gefallen.                            dete die Generalversammlung Ende Juni ein Kompro-
                             Die Rücknahme des Planes zur Runterstufung der        misspaket, das immerhin noch 284 zusätzliche Stellen
                         Abrüstungsabteilung war dann auch das erste Zuge-         (ein Anstieg von 35 Prozent) und eine Steigerung des
                         ständnis, das der Generalsekretär den Mitgliedstaa-       Haushalts um 41 Millionen US-Dollar (eine Zunah-
                         ten machte. Zudem legte er Mitte Februar in einem         me von 22 Prozent) vorsah.10

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Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform

Zwei Hauptabteilungen,                                    lung Management aufzulösen und sämtliche Beschaf-
aber unter Führung von DPKO                               fungsvorgänge im DFS zusammenzuführen. Damit
                                                          sollten insbesondere die deutlichen Verzögerungen
Was den ursprünglichen Kern seines Vorschlags an-         reduziert werden, die in der Vergangenheit häufig zu
betraf, machte Ban weitreichende Zugeständnisse. Die      Ausrüstungsmängeln im Feld geführt hatten, selbst
Aufteilung in zwei Abteilungen wird zwar adminis-         wenn genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stan-
trativ vollzogen, doch »the Department of Field Sup-      den. Der einflussreiche Beratende Ausschuss für Ver-
port would report to, and receive direction from, the     waltungs- und Haushaltsfragen (ACABQ) lehnte die
Under-Secretary-General for Peacekeeping Operati-         Zusammenführung mit Verweis auf laufende Planun-
ons.«11 Es wird zwar zwei dem Titel nach gleichran-       gen für eine sekretariatsweite Beschaffungsreform je-
gige Hauptabteilungsleiter geben. Doch in allen we-       doch ab.17 In diesem Kontext wird das Thema jedoch
sentlichen Fragen ist das neue DSF dem DPKO klar          wieder auf die Tagesordnung kommen.                                         Es wird zwar zwei
untergeordnet. Dazu werden die beiden Abteilungen                                                                                     dem Titel nach
auf allen Ebenen eng verzahnt. Ein gemeinsamer Stabs-     Dringender Personalbedarf                                                   gleichrangige
chef, ein gemeinsamer Leitungsstab und gemeinsame         Anders als die Teilung des DPKO war die Aufstockung                         Hauptabteilungs-
Entscheidungsgremien sollen die Integration des mitt-     des Personals für die Planung und Führung der rapi-                         leiter geben. Doch in
leren Managements sicherstellen. Doktrinentwick-          de wachsenden Einsätze im Wesentlichen Konsens.                             allen wesentlichen
lung und Wissensmanagement für beide Abteilungen          Diesem Zweck widmete der Haushaltsentwurf des                               Fragen ist das neue
werden aus dem DPKO-Bereich ›Politik, Evaluierung         Sekretariats 278 der insgesamt 400 zusätzlich bean-                         DSF dem DPKO klar
und Ausbildung‹ gesteuert. Auf Arbeitsebene sind ›in-     tragten Stellen, davon 89 für das DFS (vor allem für                        untergeordnet.
tegrierte operativen Teams‹ geplant, in denen Mitar-      das überforderte Personal- und Beschaffungswesen)
beiter aus allen Teilen von DPKO und DFS jeweils          und 74 für das DPKO.18 Im DPKO ging es dabei vor
eine Feldmission gemeinsam betreuen.12                    allem um die Stärkung der vollkommen überlaste-
    Mit diesem Kompromiss folgte Ban dem Druck ei-        ten Regionalreferate des Bereichs Einsätze (Office of
ner Reihe von Akteuren innerhalb und außerhalb des        Operations), auf denen die Hauptlast der Planung
Sekretariats. Intern hatte sich DPKO-Leiter Guéhenno      und Führung laufender Missionen liegt, sowie der
von Beginn an heftig gegen den Teilungsplan gewehrt       Militär- und Polizeistäbe. Mit geringen Abstrichen
und nach Aussagen von Beobachtern sogar mit Rück-         wurden diese Stellen auch bewilligt.
tritt gedroht, hätte der Generalsekretär die vollstän-
dige Trennung der Abteilungen durchgesetzt.13 Dabei
bekam Guéhenno tatkräftige Unterstützung von Seiten
Frankreichs, das die Führungsrolle ›seines‹ höchsten       6 UN Chief Proposes Ambitious Overhaul, Financial Times, 16.2.2007.
UN-Beamten unbedingt zu bewahren suchte.14 Gleich-         7 UN-Dok. A/RES/61/256 v. 15.3.2007.
zeitig – und letztlich entscheidender – hatte sich eine    8 Report of the Working Group of the Special Committee on Peace-
breite Koalition aus Haupttruppenstellern und einem       keeping Operations at its Substantive Session, Part I: Realignment,
Großteil der Hauptbeitragszahler gebildet, um die         New York, 2.3.2007, Abs. 6.
Einheit der Befehlskette für Friedenseinsätze sicher-      9 Jean-Marie Guéhenno, Remarks to the Fourth Committee of the
zustellen.15 Nur mit klaren Zuständigkeiten in New        General Assembly, 20.10.2005, UN Department of Peacekeeping Opera-
York, so der blockübergreifende Konsens, seien zu-        tions, New York, http://www.un.org/Depts/dpko/dpko/articles/article
sätzliche Risiken für die Truppen im Feld aufgrund        201005.htm
bürokratischer Konflikte im Sekretariat zu vermeiden.     10 UN-Dok. A/RES/61/279 v. 29.6.2007.
    Von Bans ursprünglichen Umbauplänen an der            11 Comprehensive Report on Strengthening the Capacity of the United
Spitze blieb damit nur die Schaffung des Postens eines    Nations to Manage and Sustain Peace Operations, UN Doc. A/61/858 v.
zweiten Untergeneralsekretärs mit der Zuständig-          13.4.2007, Abs. 113.
keit für die Unterstützung der Feldeinsätze erhalten,     12 Ebd., Abs. 114–123.
einschließlich der Disziplinaraufgaben. Selbst diese      13 Interview der Autoren mit UN-Diplomaten, September 2007.
›Teilung‹ wurde im Zuge der Haushaltsverhandlun-          14 La France veut garder son rang à l’ONU, Le Figaro, 5.7.2007.
gen zunächst nur für ein Jahr bewilligt und ihre Ver-     15 Report of the Working Group of the Special Committee on Peace-
längerung unter den Vorbehalt der effektiven Umset-       keeping Operations, a.a.O. (Anm. 8).
zung in der Praxis gestellt.16 Auch die Bündelung des     16 UN-Dok. A/RES/61/279 v. 29.6.2007, Abs. 58.
Beschaffungswesens für Feldeinsätze aller Art in der      17 Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions
neuen Abteilung DFS, die der Generalsekretär noch         (ACABQ), Comprehensive Report on Strengthening the Capacity of the
im April als Teil seines Kompromissvorschlags vorge-      United Nations to Manage and Sustain Peace Operations, UN Doc.
sehen hatte, scheiterte im Haushaltsverfahren. Dabei      A/61/937 v 1.6.2007, Abs. 130; Reform des Beschaffungswesens, UN-
war es dem Sekretariat darum gegangen, die beste-         Dok. A/RES/61/246 v. 7.3.2007.
hende Trennung zwischen Bedarfsermittlung und Lo-         18 ACABQ, a.a.O. (Anm. 17), Abs. 13. Die restlichen 115 Stellen waren für
gistik beim DPKO und dem Management des eigent-           die Hauptabteilung Management und für das Amt für interne Auf-
lichen Beschaffungsprozesses durch die Hauptabtei-        sichtsdienste (OIOS) eingeplant.

VEREINTE NATIONEN 5/2007                                                                                                                               179
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform

                         ›Peace Operations 2010‹                                  len Bereiche gescheitert, doch mit der verbesserten
                                                                                  Ressourcenausstattung sei es einen neuen Versuch
                         Stärkere Kürzungen von Seiten der Haushälter der         wert, so der Ausschuss.20
                         Mitgliedstaaten erfuhr die dritte Komponente, die            Mit dem Aufbau eines Bereichs ›Rechtsstaatlich-
                         Ban aus der DPKO-Reformagenda ›Peace Operations          keit und Sicherheitsinstitutionen‹ unter Leitung eines
                         2010‹ übernahm und die explizit über die unabweis-       Beigeordneten Generalsekretärs, das heißt auf dersel-
                         baren Einsatzherausforderungen hinausgeht. Unter-        ben Ebene wie der gleichfalls aufgewertete Militär-
                         generalsekretär Guéhenno hatte das Konzept Mitte         stab, erntete Guéhenno die späten Früchte jahrelan-
 Im Mittelpunkt von      2005, fünf Jahre nach dem Brahimi-Bericht, als logi-     ger Anstrengungen zum Aufbau eines Kompetenz-
   ›Peace Operations     sche Konsequenz der Brahimi-Reformen entwickeln          zentrums für das UN-System in diesem Schlüsselbe-
      2010‹ stand die    lassen.19 Im Mittelpunkt stand dabei die Erkenntnis,     reich der Friedenskonsolidierung. Gleichzeitig setzte
     Erkenntnis, dass    dass Erfolg oder Misserfolg von UN-Friedenseinsät-       er unter diesem Dach die schon im Brahimi-Bericht ge-
    Erfolg oder Miss-    zen nicht nur von hinreichender Ressourcenausstat-       forderte Integration aller rechtsstaatsbezogenen Maß-
       erfolg von UN-    tung und den richtigen politischen Rahmenbedingun-       nahmen um, von Polizeiaufbau über die Reform des
   Friedenseinsätzen     gen vor Ort und von Seiten der Geberländer abhängen,     Strafvollzugs bis zur Justizreform.21 Die konzeptionel-
         auch von der    sondern auch von der Qualität, Kompetenz und Lern-       le Weiterentwicklung auf diesen Gebieten war jahre-
    Qualität, Kompe-     fähigkeit der Einsatzunterstützung durch die Zentrale    lang daran gescheitert, dass die Mitgliedstaaten nicht
 tenz und Lernfähig-     in New York. Daraus leitete Guéhenno das Ziel ab,        bereit waren, mehr als zwei (seit dem Jahr 2005
keit der Einsatzunter-   bis zum Jahr 2010 deutliche Fortschritte in fünf Kern-   fünf) Stellen zu bewilligen.22
   stützung durch die    bereichen zu erreichen: Personalentwicklung (Ausbil-         Während alle beantragten Mittel für die Justiz-
     Zentrale in New     dung, Karriereplanung), Doktrinentwicklung, engere       und Sicherheitssektorreform bewilligt wurden, stieß
      York abhängen.     Partnerschaften mit anderen Organisationen, eine ef-     der Generalsekretär im Polizeibereich auf Widerstand.
                         fektivere Organisationsstruktur und mehr Ressour-        So verweigerte der ACABQ die Verdoppelung der erst
                         cen. In seinem Kompromisspaket griff Ban drei Aspek-     im vergangenen Jahr eingerichteten ›Standing Police
                         te aus der Agenda ›Peace Operations 2010‹ auf: ers-      Capacity‹. Mit der Aufstockung dieser mobilen Ein-
                         tens, die Einführung der oben bereits erwähnten ›in-     heit von bislang 25 Polizeiexperten zum Aufbau neuer
                         tegrierten operativen Teams‹; zweitens, die Schaffung    oder zur Verstärkung bestehender Polizeimissionen
                         eines deutlich gestärkten Bereichs ›Rechtsstaatlich-     in Krisenzeiten hatte im DPKO aber auch niemand
                         keit und Sicherheitsinstitutionen‹ und drittens wei-     ernsthaft gerechnet, da noch eine Evaluierung der Pi-
                         tere Investitionen in Doktrinentwicklung und Eva-        lotphase aussteht. Zudem hatten insbesondere Aus-
                         luierung.                                                tralien, Kanada und Neuseeland (die so genannte
                             Die integrierten operativen Teams sind als Instru-   CANZ-Gruppe) zunächst kritisiert, dass der oberste
                         ment zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen        Polizeiberater durch die Eingliederung seines Stabes
                         den politischen Referenten im Bereich Einsätze mit       in die neue Unterabteilung für Rechtsstaatlichkeit und
                         Spezialisten der Militär- und Polizeistäbe und den       Sicherheitsinstitutionen keinen direkten Zugang zur
                         Verwaltungsfachleuten für Logistik-, Beschaffungs-       DPKO-Spitze mehr hätte.23 Ban Ki-moon akzeptier-
                         und Personalfragen gedacht. Durch die Bildung fester     te die Forderung und räumte dem Polizeiberater die
     Mit dem neuen       Teams für jede Feldmission sollen schnellere Kom-        Möglichkeit ein, ebenfalls an den obersten Führungs-
     Bereich ›Politik,   munikations- und Entscheidungskanäle zwischen den        gremien teilzunehmen und sich direkt an den Un-
    Evaluierung und      einzelnen Bereichen von DPKO und DFS entstehen.          tergeneralsekretär zu wenden. Dahinter steht die Er-
 Ausbildung‹ soll ein        Da der Bereich Einsätze schon seit Jahren als der    fahrung der neunziger Jahre, als der Polizeistab nicht
     institutionelles    am stärksten überlastete Teil des DPKO galt, verband     nur unterfinanziert, sondern auch dem Militärstab
    Zentrum für das      Guéhenno den Vorschlag der integrierten operati-         effektiv untergeordnet war – einer der Gründe, war-
Wissensmanagement        ven Teams mit der Schaffung neuer Posten in den Re-      um der polizeilichen Komponente in Friedensein-
  und die Förderung      gionalreferaten des Bereichs Einsätze. Mit zusätzli-     sätzen erst spät die notwendige Bedeutung einge-
von Lernprozessen in     chen Offizieren, Polizisten und Verwaltungsexperten      räumt wurde.
 DPKO, DFS und den       sollten die integrierten operativen Teams für jede Re-       Der neue Bereich ›Politik, Evaluierung und Aus-
      Feldmissionen      gion zu der interdisziplinären Keimzelle für die Ope-    bildung‹ soll die Sektion Beste Verfahrensweisen der
 geschaffen werden.      rationsplanung und -führung werden, die der Abtei-       Friedenssicherung (Peacekeeping Best Practices Sec-
                         lung schon seit Jahren fehlte. Diesen Vorschlag trugen   tion – PBPS), die DPKO-interne Denkfabrik sowie
                         die Verwaltungsexperten des ACABQ jedoch nicht           die Ausbildungseinheit und zwei neu zu schaffende
                         mit. Sie argumentierten, diese hochrangigen Spezia-      Referate für Evaluierung und Partnerschaften bün-
                         listen (P-4/P-5 im UN-Gehaltssystem, entspricht den      deln. Damit soll ein institutionelles Zentrum für das
                         Dienstgraden Oberstleutnant/Oberst) würden besser        Wissensmanagement und die Förderung von Lern-
                         ihren jeweiligen funktionalen Bereichen zugeordnet       prozessen in DPKO, DFS und den Feldmissionen ge-
                         und nach Bedarf für integrierte operative Teams ab-      schaffen werden.24 Insbesondere die fehlenden Res-
                         gestellt. Ein solches Konzept war zwar schon vor Jah-    sourcen für regelmäßige Evaluierungen waren bereits
                         ren einmal an der Arbeitsüberlastung der funktiona-      seit Jahren vom OIOS in einer Reihe kritischer Stel-

180                                                                                                          VEREINTE NATIONEN 5/2007
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform

lungnahmen gerügt worden.25 Der Vorschlag wurde           satzführung abstellen können. Mit dem neuen Büro
umgesetzt, jedoch mit deutlichen Abstrichen bei den       für Rechtsstaatlichkeit und Sicherheitsinstitutionen
zusätzlichen Stellen, insbesondere im Evaluierungs-       vollzieht das DPKO einen seit Jahren überfälligen                          Im Ergebnis
bereich.                                                  Schritt. Nachdem der Brahimi-Bericht die Rolle der                         verabschiedete die
                                                          Rechtsstaatshilfe bereits im Jahr 2000 als den entschei-                   Generalver-
                                                          denden Faktor erfolgreicher Friedenskonsolidierung                         sammlung ein
Perspektiven für UN-Friedenseinsätze
                                                          bezeichnet hatte, erhält dieses entscheidende Politik-                     Kompromisspaket,
nach der Reform
                                                          feld nun endlich die notwendige institutionelle Infra-                     das in erster Linie die
Im Ergebnis verabschiedete die Generalversammlung         struktur, um die Feldeinsätze effektiv zu unterstüt-                       dringend erforder-
ein Kompromisspaket, das in erster Linie die dringend     zen. Da die einzelnen Sektionen mit Ausnahme des                           liche Haushalts-
erforderliche Haushaltserhöhung für die effektive und     Polizeistabs auf verhältnismäßig niedriger Ebene                           erhöhung für die
verantwortliche Führung und Verwaltung der Frie-          geführt werden (P-4/P-5), wird es dabei besonders                          effektive und verant-
denseinsätze bereitstellt. Über den unabweisbaren Be-     auf den Einsatz und die Führungsqualitäten des neuen                       wortliche Führung
darf hinaus sind darin eine Reihe positiver Akzen-        Beigeordneten Generalsekretärs an der Spitze an-                           und Verwaltung der
te aus dem Reformprogramm Guéhennos enthalten.            kommen, in welchem Maße sich die Erwartungen                               Friedenseinsätze
Ban geht aus seiner ersten Reformschlacht mit einer       an die neue Struktur erfüllen. Mit dem russischen                          bereitstellt.
blutigen Nase hervor, konnte aber sein Gesicht wah-       DPKO-Veteranen Dimitri Titov berief der Gene-
ren. Dies ist vor allem jenen Mitgliedstaaten zu ver-     ralsekretär einen verdienten und erfahrenen Büro-
danken, die dafür sorgten, dass sein Kompromiss-          kraten auf diesen Posten, der sich jedoch bislang
paket den Weg durch die Ausschüsse fand. Weder die        keinen Namen für besondere Innovationskraft ge-
Substanz der Vorschläge noch das Vorgehen Bans            macht hat.
lösten Begeisterungsstürme aus. Doch am Ende siegte           Im Bereich Doktrinentwicklung und Wissens-
das Kalkül, dass niemandem mit einer fatalen Schwä-       management legt der Umbau in zweierlei Hinsicht
chung des neuen Generalsekretärs gedient wäre, der        die Grundlage für die Fortsetzung des von Guéhenno
dann die restlichen viereinhalb Jahre seiner Amtszeit     im Jahr 2005 begonnenen Umwandlungsprozesses
ein Dasein als lahme Ente fristen würde. Es ist zu er-    hin zu einer lernenden Organisation. Zum einen wur-                        Es ist zu erwarten,
warten, dass der Generalsekretär aus den Fehlern und      den alle funktionalen Bereiche mit den personellen                         dass der General-
schmerzhaften Erfahrungen mit der DPKO-Reform             Ressourcen ausgestattet, selbst die inhaltliche Füh-                       sekretär aus den
seine Lektionen für weitere Reformprojekte gelernt        rungsrolle bei der Weiterentwicklung von Doktrinen                         Fehlern und
hat. Wichtiger jedoch ist die Frage, welche Bedeutung     auszufüllen. Die Sektion Beste Verfahrensweisen hat-                       schmerzhaften
die beschlossenen Reformen für die Effektivität zu-       te in den letzten Jahren eine umfangreiche Bestands-                       Erfahrungen mit der
künftiger UN-Friedenseinsätze haben.                      aufnahme durchgeführt und ein Verfahren zur voll-                          DPKO-Reform seine
    Die Neugliederung in zwei »spezialisierte, aber eng   ständigen Überarbeitung und, wo nötig, Neuentwick-                         Lektionen für
verzahnte« Abteilungen (Guéhenno)26 wird zunächst         lung von Doktrinen entwickelt. Der neue Bereich ›Po-                       weitere Reform-
einmal dazu führen, dass sich die DPKO-Führung ei-        litik, Evaluierung und Ausbildung‹ wird nun die Steue-                     projekte gelernt hat.
nige Monate mit sich selbst beschäftigt. Dazu gehört      rung dieses Prozesses für das DPKO und das DFS über-
vor allem die Auswahl geeigneter Kandidaten für die       nehmen, doch die inhaltliche Ausgestaltung muss
neuen Schlüsselpositionen, die des Untergeneralse-        durch die jeweiligen Experten erfolgen, etwa im
kretärs an der Spitze des DFS und die des gemeinsa-       Militärstab oder in der Abteilung Disziplinarunter-
men Stabschefs für die beiden Abteilungen. Ban und        suchungen.
Guéhenno haben im laufenden Jahr ohnehin bereits
den Großteil des Führungspersonals des DPKO aus-
getauscht, so dass die neue Struktur auch in perso-
neller Hinsicht einen weitgehend frischen Start haben     19 Guéhenno, a.a.O., (Anm. 9).
wird. Von der praktischen Ausgestaltung der auf dem       20 ACABQ, a.a.O. (Anm. 17), Abs. 61–63
Papier geschaffenen Arbeitsstrukturen und von der         21 Report of the Panel on United Nations Peace Operations, UN
persönlichen Arbeitsbeziehung zwischen den beiden         Doc. A/55/305–S/2000/809 v. 21.8.2000, Abs. 179 (Brahimi-Bericht).
Untergeneralsekretären wird es abhängen, in welchem       22 Budget for the Support Account for Peacekeeping Operations for
Maße die vielfältigen Verbesserungen der Ressourcen-      the Period from 1 July 2005 to 30 June 2006, UN Doc. A/59/730 v.
und Personalausstattung genutzt werden können –           8.3.2005, Abs. 51ff.
oder ob sie durch bürokratische Rangeleien aufge-         23 Special Committee on Peacekeeping Operations, Protokoll der
rieben werden.                                            195./196. Sitzung, 26.2.2007.
    Umgekehrt verhält es sich mit den integrierten ope-   24 UN Doc. A/61/858 v. 13.4.2007, Abs. 72
rativen Teams. Der Erfolg dieses Management-Ins-          25 Office of Internal Oversight Services, Audit Report, UN Doc. A/58/746
truments steht und fällt mit den verfügbaren Personal-    v. 25.3.2004; OIOS Audit of Management Structures in DPKO, UN Doc.
kapazitäten: Nur wenn die einzelnen Abteilungen ihre      A/61/743 v. 14.2.2007.
Kernaufgaben bewältigen können, werden sie darüber        26 Rede vor dem Special Committee for Peacekeeping Operations,
hinaus Personal zur besseren Koordinierung der Ein-       Protokoll, a.a.O. (Anm. 23).

VEREINTE NATIONEN 5/2007                                                                                                                               181
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform

                            Einen zweiten Meilenstein stellt der Einstieg in ei-   werden. Gleichzeitig sind bei den großen Missionen
                        ne systematische Selbstevaluierung dar. Mit der Schaf-     in Afrika, Haiti oder Timor-Leste keine substanziel-
                        fung eines kleinen Evaluationsteams (zwei Stellen und      len Reduzierungen zu erwarten. Keine davon steht
                        250 000 US-Dollar pro Jahr) kann das DPKO erst-            derzeit vor einem Abzug, denn die internationale Ge-
                        mals den gesamten Zyklus von Doktrinentwicklung            meinschaft scheint aus den Erfahrungen mit Sierra
                        über Ausbildung bis zu Evaluierung der tatsächlichen       Leone und Timor-Leste gelernt zu haben und demons-
                        Erfolge im Feld in die Praxis umsetzen. Angesichts         triert mittlerweile einen deutlich längeren Atem als
                        der bewilligten eher geringen Mittel kann es sich je-      noch vor wenigen Jahren.
                        doch nur um einen Einstieg handeln. Hier müssten die
                        Mitgliedstaaten mehr investieren, wenn sie die Um-         Fazit
                        wandlung in eine lernende Organisation unterstützen
  Mit einem Dutzend     und den effektiven Einsatz ihrer nahezu sechs Milli-       Dem nachhaltigen Wachstum der UN-Friedensein-
   Mitarbeitern kann    arden US-Dollar für die UN-Friedenssicherung ins-          sätze ist nicht mit nachholenden Mini-Reformen
      das DPKO keine    gesamt sicherstellen wollen. Das Gleiche gilt für den      Rechnung zu tragen. Die Mitgliedstaaten müssen
 ernstzunehmenden       Bereich Ausbildung: Mit einem Dutzend Mitarbeitern         sich grundlegenden Problemen stellen, die hier nur
   Ausbildungsmaß-      in New York kann das DPKO keine ernstzunehmen-             angerissen werden können:
nahmen für die rund     den Ausbildungsmaßnahmen für die rund 200 000                  1. Weitere steigende Einsatz- und Personalzahlen
  200 000 Personen      Personen durchführen, die das System nun jedes             sollten automatisch eine Aufstockung der Personal-
    durchführen, die    Jahr weltweit durchlaufen. Umso wichtiger wäre es,         ressourcen im UN-Verwaltungsapparat nach sich
     das System nun     dass UN-Mitgliedstaaten, wie Deutschland, den UN           ziehen.
 jedes Jahr weltweit    in noch größerem Umfang als bislang unbürokra-                 2. Die UN müssen in die Lage versetzt werden, zu-
         durchlaufen.   tisch direkte Projekthilfe anbieten. Beispiele wie die     mindest einem Teil der fast 5000 Zivilexperten, die
                        Unterstützung des ›Kofi Annan International Peace-         mit einer Abfolge von Sechs-Monats-Verträgen zwi-
                        keeping Training Centres‹ (KAIPTC) in Ghana zei-           schen den Feldmissionen ihr Dasein fristen, angemes-
                        gen, was möglich ist. Mit ähnlichen Initiativen, wie       sene Aufstiegsmöglichkeiten und eine Chance zur
                        der deutlichen Aufstockung voll finanzierter Plätze        Übernahme auf feste Stellen zu bieten. Kofi Annan
                        für internationale Teilnehmer in Ausbildungsgän-           hatte dafür im Rahmen seines letzten Reformplans
                        gen für Polizisten, Soldaten oder Zivilexperten im         vom März 200629 die Schaffung von 2500 festen Stel-
                        eigenen Land, könnte Deutschland mit verhältnis-           len für Zivilexperten vorgeschlagen. Der Vorschlag
                        mäßig wenig Geld eine Menge erreichen. So könn-            befindet sich bis heute in den Mühlen des Haushalts-
                        te auch ganz nebenbei die Sichtbarkeit des deut-           verfahrens, sollte jedoch dringend umgesetzt werden.
                        schen Beitrags zur Friedenssicherung in New York               3. Im UN-Sekretariat fehlt weiterhin eine kompe-
                        erhöht werden.                                             tente Analyse- und Strategieabteilung für Konflikt-
                            All dies wird jedoch nur ein Tropfen auf den heißen    prävention und Friedenskonsolidierung. Das DPKO
 Wenn der politische    Stein sein, wenn das rapide Wachstum von UN-Frie-          ist zu sehr mit der unmittelbaren Einsatzplanung be-
       Boden für den    denseinsätzen anhält. Allein für die Darfur-Mission        schäftigt; das DPA ist für diese Aufgaben unzurei-
          Einsatz von   UNAMID müssen im Laufe des Jahres 2007 weitere             chend ausgestattet und aufgestellt.
UN-Friedenstruppen      26 000 Personen rekrutiert werden, darunter 6 000              Letztlich gilt es, die übergreifenden strategischen
   nicht ausreichend    Polizisten und mehrere tausend Zivilisten. Allein die-     Fragen nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn der
 bereitet ist, können   se Mehrbelastung würde die zusätzlichen personellen        politische Boden für den Einsatz von UN-Friedens-
    auch die bestaus-   Ressourcen des DPKO in der Zentrale schon wieder           truppen nicht ausreichend bereitet ist, können auch
      gebildeten und    neutralisieren. Dies illustriert das folgende Szenario:    die bestausgebildeten und bestausgerüsteten Friedens-
   bestausgerüsteten    Die personelle Verstärkung der beiden neuen Abtei-         kräfte mit ausgeklügelten Detailkonzepten wenig be-
Friedenskräfte wenig    lungen DPKO und DFS wird wegen der zeitaufwän-             wirken. Den UN-Mitgliedstaaten und insbesondere
            bewirken.   digen Rekrutierungsverfahren der UN erst im Früh-          dem Sicherheitsrat sollte dies Mahnung genug sein,
                        jahr 2008 ihre volle Wirkung entfalten. Zu diesem          ihrer Verantwortung gegenüber den Friedenstruppen
                        Zeitpunkt ist jedoch damit zu rechnen, dass nicht          besser nachzukommen.
                        mehr 100 000, sondern mit der Hybrid-Mission in
                        Darfur und dem Ende September 2007 bewilligten
                        EU-Einsatz in Tschad und der Zentralafrikanischen
                        Republik27 etwa 125 000 Personen weltweit für die
                        UN im Feld stehen werden.28 Damit wird sich das
                        Verhältnis von DPKO-/DFS-Mitarbeitern zu Solda-
                        ten, Polizisten und Zivilexperten im Feld von 1 zu         27 UN-Dok. S/RES/1778 v. 25.9.2007.
                        149 (2007) nicht etwa deutlich verbessern, sondern         28 Diese Zahl berücksichtigt die voraussichtliche Übergabe der Kosovo-
                        sogar wieder leicht verschlechtern (1 zu 152). Noch        Mission an die EU und die geplante Verringerung der Sudan-Mission
                        schlechter sähe das Verhältnis aus, sollten Pläne für      UNMIS, sobald UNAMID in Darfur die Sollstärke erreicht.
                        eine neue Mission in Somalia in die Tat umgesetzt          29 UN-Dok. A/60/692 v. 7.3.2006, Abs. 28.

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Hummer · Mayr-Singer | Wider die Straflosigkeit

Wider die Straflosigkeit
Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

Waldemar Hummer · Jelka Mayr-Singer

Beim Verbrechen des Verschwindenlassens von Per-         zei und Militär meist sehr rasch den ›Ausnahmezu-
sonen handelt es sich um ein vielschichtiges Erschei-    stand‹, innerhalb dessen die Grund- und Menschen-
nungsbild verschiedenster Menschenrechtsverlet-          rechte suspendiert sind. Damit war das Verbrechen
zungen als Mittel staatlicher Repression. Nach jahr-     des Verschwindenlassens zur Zeit seiner Begehung –
zehntelangen Bemühungen ist es nunmehr gelun-            zwar nicht formell legalisiert, so doch zumindest in-
gen, im Rahmen der Vereinten Nationen eine uni-          formell legitimiert – vor dem Zugriff der nationalen
versell gültige, rechtverbindliche Konvention auszu-     Strafrechtsordnung weitestgehend geschützt. Aber
arbeiten, die Akte des Verschwindenlassens verbie-       auch nach Beendigung des Ausnahmezustands wurde
tet. Der Beitrag befasst sich mit der Entstehungsge-     dieses Verbrechen nicht strafrechtlich verfolgt, da es
schichte dieser Konvention und stellt sowohl ihre        durch die Regierungen, die es mehr oder weniger ›an-
materiell-rechtlichen als auch die institutionell-pro-   geordnet‹ hatten, vor ihrem Abgang noch rasch straf-                    Prof. Dr. Dr. Dr.
zeduralen Charakteristika dar.                           los gestellt wurde.                                                     Waldemar Hummer,
                                                             Die Unzulässigkeit solcher nationaler Begnadigun-                   geb. 1942, lehrt am
Das Verbrechen des Verschwindenlassens stellt ein        gen beziehungsweise Amnestie-Gesetze wurde erst er-                     Institut für Europa-
komplexes Begehungsdelikt dar, das eine Reihe bis-       kannt als den Staaten bewusst wurde, dass es sich da-                   recht und Völker-
her nur einzeln sanktionierter Verbrechen, wie Ent-      bei – vor allem bei einer Politik des systematischen                    recht an der Univer-
führung, Menschenraub, Folter, unmenschliche Be-         und massiven ›Verschwindenlassens‹ – um ein Völ-                        sität Innsbruck.
handlung, Tötung oder Leichenschändung zusam-            kerrechtsdelikt handelte. Damit unterlag das Verbre-
menfasst.1 Allein in Lateinamerika verschwanden in       chen keinem staatlichen Strafanspruch, sondern ei-
den 20 Jahren von 1966 bis 1986 mehr als 90 000          nem völkerrechtlichen und konnte daher auch nicht
Personen.2 Die ersten Verurteilungen – in Argentinien    national straflos gestellt werden. Doch selbst nach
und Uruguay – fanden jedoch erst im Jahr 2006 statt.     dieser Erkenntnis kam es längere Zeit nicht zur straf-
    Weniger die Komplexität des Tatbestands des ›Ver-    rechtlichen Aufarbeitung dieses ›Systemunrechts‹.
windenlassens‹ war der Grund, warum die Sanktio-         Dieses wurde nämlich durch so genannte ›Schluss-
nierung dieses Verbrechens mehr als 40 Jahre brauch-     strich‹- oder ›Versöhnungsmodelle‹ zur (angeblichen)
te, sondern vor allem der Umstand, dass die Täter die-   Wahrung des sozialen Friedens und zur Aussöhnung
ses Delikts im staatlichen Umfeld zu finden waren.       während des Übergangsprozesses von Militärregimen
Zumeist waren es staatliche Organe, die dieses Ver-      zu zivilen Regierungen überlagert.
brechen in Auftrag gegeben haben, und zwar stets aus
Gründen der ›Staatsräson‹. Als Staatsräson galt die      Die Vorgeschichte
Bekämpfung subversiver oder anarchistischer ›Sub-
jekte‹, die die Sicherheit und den Bestand des Staates   Aufgrund dieser und anderer Hindernisse kam es im-                      Dr. Jelka Mayr-Singer,
gefährdeten. Beispielhaft sei der Fall Roque Nuñez       mer wieder zu Verzögerungen in der nationalen Auf-                      geb. 1956, lehrt
genannt. Nuñez wurde im April 1976 mitten in der         arbeitung dieses Verbrechens, die, wie im Fall Latein-                  ebenfalls am Institut
Nacht von schwer bewaffneten Polizeieinheiten fest-      amerikas, an die 40 Jahre betrugen. Die Aufarbeitung                    für Europarecht und
genommen. Noch am selben Tag wurde auch seine            durch staatliche Gerichte verlief schleppend. Über vie-                 Völkerrecht an der
Frau verschleppt und an einen unbekannten Ort ver-       le Jahre hinweg hat die internationale Gemeinschaft                     Universität Inns-
bracht, wo sie mehrere Tage lang mit brutalen Metho-     aus politischen Gründen keinen ernsthaften Versuch                      bruck.
den verhört wurde. Zwei Tage später wurde auch sein      unternommen, einen völkerrechtlichen Deliktstat-
Sohn entführt, seine schwer behinderte Tochter wur-
de hilflos zurückgelassen. Während seine Frau schließ-
lich ein paar Häuserblocks von ihrem Haus entfernt
mit verbundenen Augen wieder freigelassen wurde,          1 Vgl. dazu Waldemar Hummer/Jelka Mayr-Singer, ›Hacer desaparecer‹
gelten Roque Nuñez und sein Sohn seitdem als ver-        und ›impunidad‹, in: Winfried Bausback/ Gilbert Gornig/ Tobias Irm-
misst. Beim Verbrechen des Verschwindenlassens           scher/ Burkhard Schöbener (Hrsg.), Iustitia et Pax. Gedächtnisschrift
wird also nicht nur eine Person entführt, gefoltert,     für Dieter Blumenwitz, Berlin 2007, in Druck.
ermordet und ihrer Identität völlig beraubt, sondern      2 Vgl. Ana Lucrecia Molina Theissen, La desaparición forzada de per-
es wird auch ihren Angehörigen unmöglich ge-             sonas en América Latina, in: Instituto Latinoamericano de Derechos
macht, Trauerarbeit zu leisten.                          Humanos (Hrsg.), Serie Estudios Básicos de Derechos Humanos VII,
    Um gegen subversive Umtriebe mit allen verfüg-       San José de Costa Rica 1996, S. 65f; http://www.rosario.gov.ar/sitio/
baren Mitteln vorgehen zu können, verhängten Poli-       lugares_disfrutar/museomemoria/archivos/desaparicionforzada.pdf

VEREINTE NATIONEN 5/2007                                                                                                                          183
Hummer · Mayr-Singer | Wider die Straflosigkeit

                         bestand des Verschwindenlassens auszuarbeiten – we-       Grundsatzkatalog für alle Staaten (»a body of prin-
                         der auf regionaler noch auf universeller Ebene.           ciples for all states«) verkündet, der allgemein beach-
                             Was die regionale Ebene betrifft, so bezeichnete      tet werden soll. Als Erklärung hat sie aber nur emp-
                         erstmals 1979 und 1983 die Generalversammlung             fehlenden Charakter und ist nicht rechtsverbindlich.
                         der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in          Daher unternahmen nur wenige Staaten Schritte, um
                         zwei Resolutionen3 die Praxis des Verschwindenlas-        die darin enthaltenen Standards zu erfüllen.
                         sens als »affront to the conscience of the hemisphere«        Der erste völkervertragliche Schritt auf universel-
                         beziehungsweise als »totally contrary to common tra-      ler Ebene zur Sanktionierung des Verschwindenlas-
                         ditional values« sowie als »Verbrechen gegen die          sens wurde im Rahmen einer unter den Auspizien der
                         Menschlichkeit«. Im Rahmen des Europarats kam             Vereinten Nationen im Juli 1998 in Rom einberufe-
                         es erstmals 19844 zu einer verurteilenden Entschlie-      nen Staatenkonferenz gesetzt. Auf dieser Konferenz
                         ßung der Parlamentarischen Versammlung, der erst          wurde das Statut des Internationalen Strafgerichts-
                         20 Jahre später, in den Jahren 20045 und 20056, wei-      hofs (IStGH)13 ausgearbeitet, das am 1. Juli 2002 in
                         tere einschlägige Entschließungen folgen sollten.         Kraft trat. Nach Art. 5 IStGH-Statut fallen vier Straf-
                             An völkerrechtlichen Verträgen ist in diesem Zu-      tatbestände unter die Gerichtsbarkeit des IStGH: 1.
    In den Vereinten     sammenhang die ›Inter-Amerikanische Konvention            Das Verbrechen des Völkermords, 2. Verbrechen ge-
Nationen kam es erst     über das gewaltsame Verschwindenlassen von Perso-         gen die Menschlichkeit, 3. Kriegsverbrechen und 4.
  im Dezember 1978       nen‹ vom 9. Juni 19947 (OAS-Konvention) zu nennen,        das Verbrechen der Aggression. Unter den Tatbestand
 zu einer Resolution     die am 28. März 1996 in Kraft getreten ist und bis-       des Verbrechens gegen die Menschlichkeit fällt auch
     der Generalver-     her (nur) von 13 Staaten ratifiziert wurde.               explizit das »Verschwindenlassen von Personen«
   sammlung, in der          Was die universelle Ebene betrifft, so gestaltete     (Art. 7 Abs. 1 lit i).
     diese »ihre tiefe   sich die Konsensfindung noch schwieriger als auf der          Der entscheidende Durchbruch zur Ächtung des
  Betroffenheit über     regionalen Ebene. In den Vereinten Nationen kam es        Verbrechens des Verschwindenlassens auf universel-
         Berichte aus    erst im Dezember 1978 zu einer Resolution der Ge-         ler Ebene fand aber erst durch die Annahme des ›In-
       verschiedenen     neralversammlung, in der diese »ihre tiefe Betrof-        ternationalen Übereinkommens zum Schutz aller Per-
      Teilen der Welt    fenheit über Berichte aus verschiedenen Teilen der        sonen vor dem Verschwindenlassen‹ durch die Gene-
 betreffend Akte des     Welt betreffend Akte des gewaltsamen Verschwin-           ralversammlung am 20. Dezember 2006 statt. Welche
  gewaltsamen Ver-       denlassens von Personen« zum Ausdruck brachte.            materiellen und institutionell-prozeduralen Charak-
  schwindenlassens       Gleichzeitig beauftragte sie die Menschenrechtskom-       teristika das Übereinkommen auszeichnen, soll wei-
 von Personen« zum       mission (MRK) damit, sich mit dieser Materie zu be-       ter unten erläutert werden. Vorab scheint es jedoch
   Ausdruck brachte.     fassen und Empfehlungen zu erarbeiten.8                   sinnvoll, das Zustandekommen und die wichtigsten
                             Die MRK gründete in der Folge im Jahr 1980 auf        strittigen Punkte im Zuge des Entwurfsprozesses zu
                         Initiative Frankreichs hin eine eigene Arbeitsgruppe:     beleuchten.
                         die ›Working Group on Enforced or Involuntary Dis-
                         appearances‹ (WGEID).9 Die WGEID war nicht bloß           Das Übereinkommen
                         mit einem bis dahin üblichen auf ein Land beschränk-
                         ten Mandat, sondern nunmehr mit einem universel-          Ausarbeitung
                         len Mandat zur Frage des Verschwindenlassens aus-
                         gestattet und wurde damit zum ersten so genannten         Nach mehrjährigen Vorarbeiten auf der Grundlage
                         thematischen Mechanismus.10 Die WGEID setzt sich          eines von Louis Joinet vorgelegten Entwurfs nahm
                         aus fünf unabhängigen Experten zusammen, deren            die Unterkommission zur Verhütung von Diskrimi-
                         Mandat für einen Zeitraum von jeweils drei Jahren         nierung und für den Schutz von Minderheiten der
                         gilt. Sie hält dreimal im Jahr Tagungen ab und erstat-    MRK am 26. August 1998 einen Entwurf für ein In-
                         tet der MRK (beziehungsweise seit Juni 2006 dem           ternationales Übereinkommen zum Schutz aller Per-
                         Menschenrechtsrat) jährlich Bericht. Seit ihrer Errich-   sonen vor dem Verschwindenlassen an und leitete
                         tung leitete die WGEID mehr als 50 000 Fälle von Ver-     diesen an die MRK zur Beratung weiter.14 Drei Jahre
                         schwindenlassen an mehr als 90 Regierungen weiter.        später beschloss die MRK auf ihrer 57. Tagung, eine
                         Von den über 40 000 nach wie vor ungeklärten Fäl-         eigene Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines rechts-
                         len sind 79 Staaten betroffen; einige wenige Regie-       verbindlichen Instruments einzusetzen.15 Die erste for-
                         rungen11 sind dem Ersuchen der Arbeitsgruppe um           melle Sitzung dieser ›Intersessional Open-ended Wor-
                         Aufklärung und Auskunft trotz mehrfacher Ermah-           king Group to Elaborate a Draft Legally Binding Nor-
                         nung nie nachgekommen.                                    mative Instrument for the Protection of All Persons
                             Am 18. Dezember 1992 wurde schließlich von der        from Enforced Disappearance‹ (ISWG) fand aller-
                         UN-Generalversammlung die Erklärung über den              dings erst im Januar 2003 unter dem Vorsitz von Ber-
                         Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen12        nard Kessedjian (Frankreich) statt.16 Ferner ersuchte
                         ohne förmliche Abstimmung im Konsensus angenom-           die MRK auf derselben Tagung ihren Vorsitzenden,
                         men. Die Erklärung (im Folgenden kurz: UN-Erklä-          einen unabhängigen Experten zu ernennen, der die
                         rung 1992) wurde von der Generalversammlung als           einschlägigen straf- und menschenrechtlichen Rah-

184                                                                                                           VEREINTE NATIONEN 5/2007
Hummer · Mayr-Singer | Wider die Straflosigkeit

menbedingungen untersuchen und die bestehenden               Weitere Diskussionen kreisten um die Fragen, wie
rechtlichen Lücken identifizieren sollte. Zu diesem      die Unabhängigkeit der einzurichtenden Instanz am
unabhängigen Experten wurde der Österreicher Man-        besten zu sichern, welche Art der Finanzierung anzu-
fred Nowak ernannt, der seinen Bericht bereits im        streben wäre und wie die geographische Repräsenta-
Januar 200217 vorlegte. Dieser Bericht, die UN-Er-       tivität sowie fachliche Kompetenz der Mitglieder ga-
klärung 1992 und der Entwurf der Unterkommission         rantiert werden könne. Nach einer Fülle weiterer Dis-
von 1998 waren die Grundlage, auf der es der ISWG        kussionsbeiträge zu den Fragen der Rechtsnatur des
nach mehreren intensiven Beratungen auf ihrer fünf-
ten Sitzung im September 2005 gelang, der MRK ei-
nen einschlägigen Konventionsentwurf vorzulegen.18
   Mit seiner Resolution 1/1 nahm der neu errichtete      3 Vgl. OAS Doc. AG/Res. 443 (IX-0/79) und OAS Doc. AG/Res. 666
UN-Menschenrechtsrat auf seiner ersten Sitzung am        (XIII-0/83); vgl. dazu Reed Brody/ Felipe González, Nunca Más: An Ana-
29. Juni 2006 das Internationale Übereinkommen           lysis of International Instruments on »Disappearances«, Human Rights
zum Schutz aller Personen vor dem Verschwinden-          Quarterly, 19. Jg., 2/1997, S. 368f.
lassen an und leitete es zur Annahme an die General-      4 Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 828 (1984)
versammlung weiter. Diese verabschiedete den Text        v. 26.9.1984.
am 20. Dezember 2006 ohne Änderungen.19 Das Über-         5 Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1371 (2004)
einkommen war von über 100 Mitgliedstaaten ein-          v. 28.4.2004 und Resolution 1403 (2004) v. 7.10.2004.
gebracht worden und wurde (ohne formelle Abstim-          6 Vgl. dazu den Bericht des Berichterstatters des Ausschusses für
mung) im Konsensus angenommen. Im Rahmen einer           Recht und Menschenrechte, Christos Pourgourides, Council of Europe,
feierlichen Zeremonie wurde das Übereinkommen            Doc. 10679 v. 19.9.2005.
am 6. Februar 2007 in Paris von 57 Staaten20 unter-       7 OAS Doc. OEA/Ser.P/Doc.3114/94; ILM 33 (1994) S. 1529ff.
zeichnet. Aufgrund der überwältigenden Zustim-            8 UN-Dok. A/RES/33/173 v. 20.12.1978.
mung, die das Übereinkommen in der Generalver-            9 MRK-Res. 20 (XXXVI) v. 29.2.1980.
sammlung erfahren hat, besteht begründete Hoff-          10 Vgl. dazu Manfred Nowak, Einführung in das internationale Men-
nung auf eine wahrhaft universelle Ratifizierung.        schenrechtssystem, Wien 2002, S. 129.
                                                         11 Es handelt sich dabei um die von Burundi, Guinea, Israel, Mosambik,
Strittige Fragen                                         Namibia, der Seychellen und der Palästinensische Autonomiebehör-
Zunächst stellte die Wahl der Rechtsnatur des zu ver-    de; vgl. WGEID-Bericht, UN Doc. E/CN.4/2006/56 v. 27.12.2005, S. 126.
abschiedenden Instruments an sich sowie des darin        12 UN-Dok. A/RES/47/133 v. 18.12.1992. Deutscher Text siehe Vereinte
zu verankernden Überwachungsinstruments die Staa-        Nationen (VN), 5/1993, S. 188ff.
tenvertreter vor grundsätzliche Probleme.                13 UN Doc. A/CONF.183/9 v. 17.7.1998; in Kraft getreten am 1.7.2002.
    Drei Optionen lagen auf dem Tisch:                   Das Statut wurde bisher von 105 Staaten ratifiziert (Stand: Oktober
    1. Ein eigener völkerrechtlicher Vertrag mit ei-     2007).
nem neuen unabhängigen Überwachungsorgan;                14 Siehe dazu den Bericht der Sessional Working Group on the Admi-
    2. Ein Fakultativ- oder Zusatzprotokoll zur Anti-    nistration of Justice, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1998/19 v. 19.8.1998, in
Folter-Konvention mit einem neu zu schaffenden           dessen Anhang sich der Konventionsentwurf befindet.
Überwachungsorgan beziehungsweise zum UN-Pakt            15 MRK-Res. 2001/46 v. 23. 4. 2001.
über bürgerliche und politische Rechte21 mit Beauf-      16 Siehe dazu den Bericht UN Doc. E/CN.4/2003/71 v. 12.2.2003.
tragung dessen Überwachungsorgans, des Menschen-         17 Commission on Human Rights, Civil and Political Rights, including
rechtsausschusses (CCPR).22                              Questions of: Disappearances and Summary Executions, Report submit-
    3. Die Verschmelzung aller vertragsgestützten Men-   ted by Mr. Manfred Nowak, independent expert charged with exami-
schenrechtsausschüsse (treaty-monitoring bodies) in      ning the existing international criminal and human rights framework
eine einziges, unabhängiges Gremium, vorgeschlagen       for the protection of persons from enforced or involuntary disappea-
unter anderem vom Amt des Hohen Kommissars der           rances, pursuant to paragraph 11 of Commission resolution 2001/46,
Vereinten Nationen für Menschenrechte.                   UN Doc. E/CN.4/2002/71 v. 8.1.2002 (im Folgenden: Nowak-Bericht).
    Jene Staaten, die einer Ausweitung von Schutzin-     18 Siehe dazu den Bericht Bernard Kessedjians, UN Doc. E/CN.4/2006/
strumenten reserviert gegenüberstanden, favorisier-      57 v. 2.2.2006 (im Folgenden: Kessedjian-Bericht).
ten naturgemäß die Variante der Betrauung des be-        19 International Convention for the Protection of All Persons from En-
reits existierenden CCPR mit dieser Tätigkeit.23 An-     forced Disappearance, UN Doc. A/RES/61/177 v. 20.12.2006, Annex.
dere Staaten hingegen hoben gerade die Aufwertung        20 Österreich gehörte zu den Unterzeichnern; Deutschland und die
des Übereinkommens durch einen eigenen Schutz-           Schweiz haben bislang noch nicht unterzeichnet. Im August 2007 hat-
mechanismus hervor und verwiesen zudem auf die           ten 61 Staaten das Übereinkommen unterzeichnet.
dauerhafte Überlastung des CCPR. Diese neuen, vor        21 Vgl. Nowak-Bericht, a.a.O. (Anm. 17), Abs. 97ff., S. 39ff.
allem aber auch präventiven Funktionen mit zu über-      22 Vgl. Kessedjian-Bericht, a.a.O. (Anm. 18), S. 15ff., hier S. 18.
nehmen, würde den CCPR bei weitem überfordern.           23 So auch Manfred Nowak in seinem Bericht, a.a.O. (Anm. 17) S. 41.
Aus diesem Grunde würde er sich nicht als geeigne-       24 Vgl. den Bericht der Working Group auf ihrer 3. und 4. Tagung, UN
tes Schutzinstrument anbieten.24                         Doc. E/CN.4/2005/66 v. 10.3.2005, Abs. 148–169.

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