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VEREINTE NATIONEN Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen German Review on the United Nations Herausgegeben von der Aus dem Inhalt Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) Operation Blauhelmreform Ban Ki-moons umstrittener Umbau der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze Thorsten Benner · Philipp Rotmann Wider die Straflosigkeit Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen Waldemar Hummer · Jelka Mayr-Singer Die Vereinten Nationen und indigene Völker Zu Entstehung und Gehalt der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker Anja Titze Architektur und Politik Vom Völkerbundpalast zum Entwurf für einen Neubau am UN-Amtssitz Stephan Rößler Nomos 5 07 55. Jahrgang | Seite 177–220 ISSN 0042-384X | M 1308 F
Editorial Gute Nachrichten aus New York Im zurückliegenden Dreivierteljahr haben die Vereinten Nationen einige wegweisende Entschei- dungen gefällt: Es wurden drei neue Menschenrechtsinstrumente verabschiedet, die Aufstockung des Personals der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze beschlossen und die Renovierung des UN-Amtssitzes in New York genehmigt. All diese zum Teil weit reichenden Beschlüsse wurden in der Generalversammlung gefasst. Auch wenn die Vorarbeiten nicht selten Jahrzehnte in Anspruch nahmen, zeigt das Erreichte, dass dieses alle Mitgliedstaaten repräsentierende Gremium durch- aus Dinge voranbringen kann. So verabschiedete die Generalversammlung im Dezember 2006 gleich zwei Menschenrechts- konventionen: das Übereinkommen über die Rechte behinderter Menschen und das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. Über die erstgenannte Konvention hat bereits Theresia Degener in ihrem Beitrag ›Menschenrechtsschutz für behinderte Menschen‹ in dieser Zeitschrift berichtet (VN, 3/2006, S. 104–110). Entstehungsgeschichte und In- halt der zweiten internationalen Konvention erläutern Waldemar Hummer und Jelka Mayr-Singer nun in diesem Heft. Ebenfalls im Dezember letztes Jahres billigte die Generalversammlung endlich auch die Renovie- rung des UN-Amtssitzes. Damit hat die jahrelange Debatte um Kosten und Art der Renovierung nun ein Ende. Der Schönheitsfehler dabei ist nur, dass der geplante Neubau am Amtssitz doch nicht gebaut wird. So wurden, wie Stephan Rößler schildert, nicht nur Anfang des letzten Jahrhunderts beim Völkerbundpalast, sondern auch heute visionäre Entwürfe, die die Universalität der Institution widerspiegeln, aufgrund politischen Kleinmuts nicht in die Tat umgesetzt. Als Anfang 2007 der neue UN-Generalsekretär eine tief greifende Umstrukturierung der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze vorschlug, kam ihm Kritik von allen Seiten entgegen. Ban Ki-moons erster großer Reformanlauf drohte zu scheitern, nicht zuletzt, weil es seinen Vor- schlägen an Substanz fehlte und er die Mitgliedstaaten nicht konsultiert hatte, so Thorsten Benner und Philipp Rotmann. Dass die Generalversammlung im Juni 2007 am Ende doch die (nach wie vor umstrittene) Aufteilung der Abteilung, aber auch eine Aufstockung der Personalressourcen be- schloss, lag vor allem an den Mitgliedstaaten, die den Generalsekretär nicht gleich zu Beginn sei- ner Amtszeit zu einer ›lahmen Ente‹ machen wollten. Ein drittes Menschenrechtsinstrument wurde schließlich im September 2007 verabschiedet. Nach mehr als 20 Jahren der Debatte und des Verhandelns in verschiedenen UN-Gremien billigte die Generalversammlung die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker. Mit diesem neuen Instrument werden die Rechte der geschätzten 370 Millionen Indigenen univer- sell verankert. Die Erklärung kann, wie Anja Titze ausführt, maßgeblich dazu beitragen, dass die- sen in vielerlei Hinsicht benachteiligten Völkern mehr Gerechtigkeit widerfährt. Für die Generalversammlung, dieses oft als ineffektiv bezeichnete Hauptorgan der Vereinten Na- tionen, ist das in den letzten zehn Monaten Erreichte sicherlich eine gute Bilanz und für uns eine gute Nachricht. Ich wünsche eine anregende Lektüre. Anja Papenfuß, Chefredakteurin papenfuss@dgvn.de VEREINTE NATIONEN 5/2007
Inhalt VEREINTE NATIONEN 55. Jahrgang | 2007 | Heft 5 Inhalt Thorsten Benner · Philipp Rotmann Operation Blauhelmreform. Ban Ki-moons umstrittener Umbau der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze 177 Waldemar Hummer · Jelka Mayr-Singer Wider die Straflosigkeit. Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen 183 Anja Titze Die Vereinten Nationen und indigene Völker. Zu Entstehung und Gehalt der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker 190 Stephan Rößler Architektur und Politik. Vom Völkerbundpalast zum Entwurf für einen Neubau am UN-Amtssitz 198 Aus dem Bereich der Vereinten Nationen Sozialfragen und Menschenrechte Birgit Schlütter Menschenrechtsausschuss | 86. bis 88. Tagung 2006 205 Claudia Mahler Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung | 68. und 69. Tagung 2006 207 Buchbesprechungen 209 »Unverrückbare Werte stärken« Rede der deutschen Bundeskanzlerin vor der 62. Generalversammlung 215 Dokumente der Vereinten Nationen 217 VEREINTE NATIONEN 5/2007
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform Operation Blauhelmreform Ban Ki-moons umstrittener Umbau der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze* Thorsten Benner · Philipp Rotmann Nach monatelangem Tauziehen zwischen dem neuen Mitgliedstaaten gemacht. Der Vorsitzende der 130 UN-Generalsekretär und den Mitgliedstaaten be- Entwicklungsländer plus China umfassenden Grup- schloss die Generalversammlung am 29. Juni 2007 pe der 77 (G-77), der pakistanische UN-Botschafter einen weitreichenden Um- und Ausbau der Führungs- Munir Akram, machte unmissverständlich klar, die und Unterstützungskapazitäten für Friedenseinsätze. große Mehrheit der Mitglieder akzeptiere »keine will- Ban Ki-moon zog dabei mit seinen umstrittenen Tei- kürlichen Fristen« für einen Beschluss, und »die eta- lungsplänen für die Hauptabteilung Friedenssiche- blierten Verfahrensweisen [sollten] eingehalten wer- rungseinsätze gegenüber den Mitgliedstaaten den den.«4 Diese sehen umfassende Beratungen im Son- Kürzeren. Gleichzeitig konnte er aber eine dringend derausschuss für Friedenssicherungseinsätze (Special notwendige Aufstockung der Personalressourcen und Committee on Peacekeeping Operations) sowie in den Planungskapazitäten in New York erreichen. Dem ra- Haushaltsausschüssen vor. Der israelische UN-Bot- Thorsten Benner, piden Wachstum der Missionen kann diese jedoch al- schafter Dan Gillerman erklärte: »Die Durchsetzung geb. 1973, ist Stell- lein nicht gerecht werden. jeglicher Änderung bei den Vereinten Nationen be- vertretender Direk- deutet viel Verhandeln und viele Kompromisse. Jeder tor des Global Public Reformerischer Fehlstart eingebrachte Vorschlag wird grundlegend anders aus- Policy Institute sehen, nachdem ihn alle in die Mangel genommen (GPPi) in Berlin. Es sollte ein Paukenschlag am East River werden. We- haben«.5 nige Wochen nach seinem Dienstantritt zu Jahresbe- Gillerman sollte Recht behalten. In den folgenden ginn 2007 ließ UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Plä- Monaten stieß Ban mit seinen Reformplänen auf mas- ne durchsickern, die Hauptabteilung Friedenssiche- siven Widerstand, so dass er sie vollständig überar- rungseinsätze (Department of Peacekeeping Opera- beiten musste. Auf den ersten Blick verwundert diese tions – DPKO) in zwei Abteilungen aufzuteilen. Ein heftige Opposition. Mit einer Übergangsphase von Teil sollte weiterhin für alle inhaltlichen Fragen der mehr als drei Monaten seit seiner Wahl im Oktober Einsatzplanung und -führung zuständig sein. Eine 2006 hatte Ban Ki-moon soviel Zeit wie kaum ein zweite, neue Abteilung, die so genannte Hauptabtei- designierter Generalsekretär vor ihm, um seine ersten lung Unterstützung der Feldeinsätze (Department of Schritte vorzubereiten. Der ehemalige südkoreani- Field Support – DFS), sollte alle Verwaltungs- und sche Außenminister war ausdrücklich mit dem Ziel Logistikaufgaben sowie Disziplinarfragen bündeln.1 angetreten, im Sekretariat eine ›kulturelle Wende‹ hin Anfang Februar erläuterte der Generalsekretär seinen zu mehr Effizienz und Verantwortlichkeit herbeizu- Plan den Mitgliedstaaten. Wegen des historischen führen. Und, was die Notwendigkeit der Verbesse- Philipp Rotmann, Höchststands beim Umfang der Friedenseinsätze, so rung der Infrastruktur für Friedenseinsätze im UN- geb. 1980, ist wis- Ban, sei die Zeit zum Handeln gekommen. Die vorge- Sekretariat betrifft, hatte er die Fakten auf seiner senschaftlicher Mit- schlagene neue Hauptabteilung Unterstützung der Seite: In nur zwei Jahren, zwischen Mai 2005 und arbeiter beim Global Feldeinsätze »könne Missionen effektiver, kohären- Mai 2007, stieg die Zahl der Soldaten, Polizisten und Public Policy Institu- ter und bedarfsgerechter unterstützen sowie einen Zivilkräfte in den weltweiten Friedensmissionen um te (GPPi) in Berlin. klaren Bezugspunkt für Verantwortlichkeit und Re- über ein Viertel auf mehr als 100 000. Mit Blick auf chenschaft schaffen«.2 Die bisherige Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze sei wegen mangelnder Res- sourcen »hoffnungslos überfordert« und daher nicht der Lage, effektiv genug gegen die immer häufigeren * Dieser Beitrag entstand im Rahmen des von der Deutschen Stiftung Disziplinarprobleme der vergangenen Jahre vorzuge- Friedensforschung geförderten Forschungsprojekts ›Learning to Build hen. Ein zweiter Beamter im Rang eines Untergene- Peace? UN Peacebuilding and Organizational Learning‹. ralsekretärs an der Spitze des DFS sei erforderlich, so Zur Zitierweise: UN-Dokumente, die in deutscher Sprache erhältlich sind, Ban gegenüber Botschaftern, um der Durchsetzung werden mit UN-Dok. abgekürzt, die in englischer Sprache mit UN Doc. der Disziplinarvorschriften die notwendige Aufmerk- 1 UN Chief Wants to Split Peacekeeping Department, Reuters, 26.1.2007. samkeit zu verschaffen.3 2 Ban Ki-moon Proposes Restructuring to Enhance UN’s Peace, Ban Ki-moon erklärte den Diplomaten, er hoffe Disarmament work, UN News, 5.2.2007. auf eine umgehende Verständigung über seine Pläne 3 New Boss Clears out U.N. Top Ranks, The Australian, 11.1.2007. und würde bis dahin mit der weiteren Besetzung der 4 Zitiert in: U.N. Chief Returns to Headquarters, Where Battles Await Spitzenposten im UN-Sekretariat warten. Diese Rech- Him, New York Times, 6.2.2007. nung hatte der neue Generalsekretär jedoch ohne die 5 Ebd. VEREINTE NATIONEN 5/2007 177
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform den Ende Juli 2007 beschlossenen Darfur-Einsatz und Schreiben an die Generalversammlung weitere Argu- den Ende September bewilligten Einsatz in Tschad mente für seine Umbaupläne vor.6 Der Status quo scheint sich dieser Trend eher noch fortzusetzen. sei angesichts der rapiden Zunahme der Friedensein- Diese sprunghafte Ausweitung der Missionen über- sätze unhaltbar. Auch eine weitergehende Zentrali- stieg rasch die Kapazitäten des DPKO. Im Jahr 2003 sierung aller mit Friedensmissionen zusammenhän- war rechnerisch ein DPKO-Mitarbeiter für die genden Aufgaben in einer erweiterten Hauptabteilung Führung, Koordinierung und logistische Unterstüt- Friedenssicherungseinsätze sei keine Lösung, denn da- zung von 96 Soldaten, Polizisten oder Zivilkräften mit wäre ein einzelner Untergeneralsekretär zwangs- im Feld verantwortlich. Bis Mitte 2007 stieg dieses läufig ›überfordert‹. Deshalb bliebe als Lösung nur die Verhältnis auf 1 zu 149. Teilung. Dafür erwartete der Generalsekretär nun die Dass Bans Teilungsvorschlag dennoch nicht auf ›grundsätzliche‹ Unterstützung der Generalversamm- offene Ohren stieß, hatte vor allem drei Gründe. lung und versprach im Gegenzug, anschließend ein Erstens mangelte es seinem Vorschlag an Substanz. ausgefeiltes Konzept einschließlich der finanziellen Nachfragen der großen Truppensteller und der Haupt- Implikationen vorzulegen. Auf dieser Grundlage ver- beitragszahler, wie die Zusammenarbeit zwischen den abschiedete die Generalversammlung am 15. März beiden neu zu schaffenden Abteilungen denn nun ge- 2007 eine Rahmenresolution,7 die zwar die grund- Um ein Scheitern auf nau aussehen sollte, konnte der Generalsekretär an- sätzliche Unterstützung für die Umbaupläne zum Aus- ganzer Linie zu ver- fangs nicht zufriedenstellend beantworten. Der breite druck bringt, den Generalsekretär jedoch gleichzei- hindern, musste Ban Widerstand innerhalb des DPKO gegen die Teilungs- tig auf die bestehenden Entscheidungsmechanismen seine diplomatischen pläne machte es für den Koreaner nicht leichter, über- des Haushaltsverfahrens und im Sonderausschuss für Bemühungen ver- zeugende Argumente für die Ausgestaltung seines Tei- Friedenseinsätze festlegt. Damit war Bans Vorschlag stärken und ein lungsplans zu sammeln. Angesichts der Schwäche der keineswegs gerettet. Die Gefahr eines langsamen ›To- mehrheitsfähiges vorgetragenen Argumente konnten sich auch Gerüchte des‹ in den Mühlen der Ausschüsse war groß. Um ein Kompromisspaket halten, der Posten für einen Untergeneralsekretär als Scheitern auf ganzer Linie zu verhindern, musste Ban auf den Tisch legen. Leiter des DFS diene vor allem der Versorgung Japans seine diplomatischen Bemühungen verstärken und ein mit einem Spitzenjob. mehrheitsfähiges Kompromisspaket auf den Tisch Zweitens waren Bans unstrategisches Vorgehen legen. und mangelndes diplomatisches Geschick verantwort- lich für den Widerstand der Mitgliedstaaten, die sich Das Kompromisspaket: vor vollendete Tatsachen gestellt sahen. Der General- eingebettet in größere Reformpläne sekretär hatte es versäumt (oder nicht für nötig ge- halten), die entscheidenden Spieler im Kreis der Mit- Bereits Mitte April 2007 stellte der Generalsekretär gliedstaaten vor der Bekanntgabe für seine Ideen zu sein neues Gesamtpaket vor. Darin verband er einen gewinnen. Zudem wurde Ban Ki-moons Ankündi- nunmehr weniger radikalen Teilungsplan mit zwei gung, vakante Spitzenpositionen erst nach der Billi- weiteren Elementen, die innerhalb des Sekretariats gung seiner Umstrukturierungspläne zu besetzen, von und bei den Mitgliedstaaten auf offenere Ohren stie- der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten – nicht ganz ßen: Vorschläge zur Aufstockung des Personals in zu unrecht – als Geiselnahme der Arbeitsfähigkeit der allen einsatzrelevanten Bereichen sowie (auch auf Organisation verstanden. Druck des Sonderausschusses für Friedensoperatio- Ein weiterer strategischer Fehler war drittens, die nen8) zentrale Elemente aus dem von DPKO-Leiter DPKO-Teilungspläne im Paket mit dem Vorschlag Jean-Marie Guéhenno vorangetriebenen Reformkon- zur Eingliederung der Hauptabteilung Abrüstungs- zept ›Peace Operations 2010‹.9 Dies umfasst neue fragen in die Hauptabteilung Politische Angelegen- Managementinstrumente und zusätzliche Ressour- heiten (DPA) und damit einhergehend der Degradie- cen zur Stärkung der Planungs- und Führungskapa- rung des Leiters der Hauptabteilung von dem Rang zitäten im DPKO. eines Untergeneralsekretärs auf den eines Beigeord- Ban versuchte aus der Not (mit seinen Vorschlägen neten Generalsekretärs zu präsentieren. Angesichts der den aufwändigen Haushaltsprozess zu durchlaufen) parallelen Diskussion um die Besetzung der DPA- eine Tugend zu machen. Insgesamt verlangte er fast Spitze mit einem US-Amerikaner entstand bei vielen 50 Prozent mehr Personal und 35 Prozent mehr Geld Staaten, insbesondere in der G-77 ein fataler Eindruck: als im Zweijahreshaushalt 2006/2007. Wie üblich Ban, so die verbreitete Meinung, wolle mit der Neu- kürzte der Haushaltsausschuss den Entwurf um etwa tralisierung der politisch unbequemen Abrüstungsab- ein Drittel. Nach einigen Wochen informellen Tauzie- teilung lediglich dem größten Beitragszahler und der hens um die Details der Umstrukturierung verabschie- größten Nuklearmacht gefallen. dete die Generalversammlung Ende Juni ein Kompro- Die Rücknahme des Planes zur Runterstufung der misspaket, das immerhin noch 284 zusätzliche Stellen Abrüstungsabteilung war dann auch das erste Zuge- (ein Anstieg von 35 Prozent) und eine Steigerung des ständnis, das der Generalsekretär den Mitgliedstaa- Haushalts um 41 Millionen US-Dollar (eine Zunah- ten machte. Zudem legte er Mitte Februar in einem me von 22 Prozent) vorsah.10 178 VEREINTE NATIONEN 5/2007
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform Zwei Hauptabteilungen, lung Management aufzulösen und sämtliche Beschaf- aber unter Führung von DPKO fungsvorgänge im DFS zusammenzuführen. Damit sollten insbesondere die deutlichen Verzögerungen Was den ursprünglichen Kern seines Vorschlags an- reduziert werden, die in der Vergangenheit häufig zu betraf, machte Ban weitreichende Zugeständnisse. Die Ausrüstungsmängeln im Feld geführt hatten, selbst Aufteilung in zwei Abteilungen wird zwar adminis- wenn genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stan- trativ vollzogen, doch »the Department of Field Sup- den. Der einflussreiche Beratende Ausschuss für Ver- port would report to, and receive direction from, the waltungs- und Haushaltsfragen (ACABQ) lehnte die Under-Secretary-General for Peacekeeping Operati- Zusammenführung mit Verweis auf laufende Planun- ons.«11 Es wird zwar zwei dem Titel nach gleichran- gen für eine sekretariatsweite Beschaffungsreform je- gige Hauptabteilungsleiter geben. Doch in allen we- doch ab.17 In diesem Kontext wird das Thema jedoch sentlichen Fragen ist das neue DSF dem DPKO klar wieder auf die Tagesordnung kommen. Es wird zwar zwei untergeordnet. Dazu werden die beiden Abteilungen dem Titel nach auf allen Ebenen eng verzahnt. Ein gemeinsamer Stabs- Dringender Personalbedarf gleichrangige chef, ein gemeinsamer Leitungsstab und gemeinsame Anders als die Teilung des DPKO war die Aufstockung Hauptabteilungs- Entscheidungsgremien sollen die Integration des mitt- des Personals für die Planung und Führung der rapi- leiter geben. Doch in leren Managements sicherstellen. Doktrinentwick- de wachsenden Einsätze im Wesentlichen Konsens. allen wesentlichen lung und Wissensmanagement für beide Abteilungen Diesem Zweck widmete der Haushaltsentwurf des Fragen ist das neue werden aus dem DPKO-Bereich ›Politik, Evaluierung Sekretariats 278 der insgesamt 400 zusätzlich bean- DSF dem DPKO klar und Ausbildung‹ gesteuert. Auf Arbeitsebene sind ›in- tragten Stellen, davon 89 für das DFS (vor allem für untergeordnet. tegrierte operativen Teams‹ geplant, in denen Mitar- das überforderte Personal- und Beschaffungswesen) beiter aus allen Teilen von DPKO und DFS jeweils und 74 für das DPKO.18 Im DPKO ging es dabei vor eine Feldmission gemeinsam betreuen.12 allem um die Stärkung der vollkommen überlaste- Mit diesem Kompromiss folgte Ban dem Druck ei- ten Regionalreferate des Bereichs Einsätze (Office of ner Reihe von Akteuren innerhalb und außerhalb des Operations), auf denen die Hauptlast der Planung Sekretariats. Intern hatte sich DPKO-Leiter Guéhenno und Führung laufender Missionen liegt, sowie der von Beginn an heftig gegen den Teilungsplan gewehrt Militär- und Polizeistäbe. Mit geringen Abstrichen und nach Aussagen von Beobachtern sogar mit Rück- wurden diese Stellen auch bewilligt. tritt gedroht, hätte der Generalsekretär die vollstän- dige Trennung der Abteilungen durchgesetzt.13 Dabei bekam Guéhenno tatkräftige Unterstützung von Seiten Frankreichs, das die Führungsrolle ›seines‹ höchsten 6 UN Chief Proposes Ambitious Overhaul, Financial Times, 16.2.2007. UN-Beamten unbedingt zu bewahren suchte.14 Gleich- 7 UN-Dok. A/RES/61/256 v. 15.3.2007. zeitig – und letztlich entscheidender – hatte sich eine 8 Report of the Working Group of the Special Committee on Peace- breite Koalition aus Haupttruppenstellern und einem keeping Operations at its Substantive Session, Part I: Realignment, Großteil der Hauptbeitragszahler gebildet, um die New York, 2.3.2007, Abs. 6. Einheit der Befehlskette für Friedenseinsätze sicher- 9 Jean-Marie Guéhenno, Remarks to the Fourth Committee of the zustellen.15 Nur mit klaren Zuständigkeiten in New General Assembly, 20.10.2005, UN Department of Peacekeeping Opera- York, so der blockübergreifende Konsens, seien zu- tions, New York, http://www.un.org/Depts/dpko/dpko/articles/article sätzliche Risiken für die Truppen im Feld aufgrund 201005.htm bürokratischer Konflikte im Sekretariat zu vermeiden. 10 UN-Dok. A/RES/61/279 v. 29.6.2007. Von Bans ursprünglichen Umbauplänen an der 11 Comprehensive Report on Strengthening the Capacity of the United Spitze blieb damit nur die Schaffung des Postens eines Nations to Manage and Sustain Peace Operations, UN Doc. A/61/858 v. zweiten Untergeneralsekretärs mit der Zuständig- 13.4.2007, Abs. 113. keit für die Unterstützung der Feldeinsätze erhalten, 12 Ebd., Abs. 114–123. einschließlich der Disziplinaraufgaben. Selbst diese 13 Interview der Autoren mit UN-Diplomaten, September 2007. ›Teilung‹ wurde im Zuge der Haushaltsverhandlun- 14 La France veut garder son rang à l’ONU, Le Figaro, 5.7.2007. gen zunächst nur für ein Jahr bewilligt und ihre Ver- 15 Report of the Working Group of the Special Committee on Peace- längerung unter den Vorbehalt der effektiven Umset- keeping Operations, a.a.O. (Anm. 8). zung in der Praxis gestellt.16 Auch die Bündelung des 16 UN-Dok. A/RES/61/279 v. 29.6.2007, Abs. 58. Beschaffungswesens für Feldeinsätze aller Art in der 17 Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions neuen Abteilung DFS, die der Generalsekretär noch (ACABQ), Comprehensive Report on Strengthening the Capacity of the im April als Teil seines Kompromissvorschlags vorge- United Nations to Manage and Sustain Peace Operations, UN Doc. sehen hatte, scheiterte im Haushaltsverfahren. Dabei A/61/937 v 1.6.2007, Abs. 130; Reform des Beschaffungswesens, UN- war es dem Sekretariat darum gegangen, die beste- Dok. A/RES/61/246 v. 7.3.2007. hende Trennung zwischen Bedarfsermittlung und Lo- 18 ACABQ, a.a.O. (Anm. 17), Abs. 13. Die restlichen 115 Stellen waren für gistik beim DPKO und dem Management des eigent- die Hauptabteilung Management und für das Amt für interne Auf- lichen Beschaffungsprozesses durch die Hauptabtei- sichtsdienste (OIOS) eingeplant. VEREINTE NATIONEN 5/2007 179
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform ›Peace Operations 2010‹ len Bereiche gescheitert, doch mit der verbesserten Ressourcenausstattung sei es einen neuen Versuch Stärkere Kürzungen von Seiten der Haushälter der wert, so der Ausschuss.20 Mitgliedstaaten erfuhr die dritte Komponente, die Mit dem Aufbau eines Bereichs ›Rechtsstaatlich- Ban aus der DPKO-Reformagenda ›Peace Operations keit und Sicherheitsinstitutionen‹ unter Leitung eines 2010‹ übernahm und die explizit über die unabweis- Beigeordneten Generalsekretärs, das heißt auf dersel- baren Einsatzherausforderungen hinausgeht. Unter- ben Ebene wie der gleichfalls aufgewertete Militär- generalsekretär Guéhenno hatte das Konzept Mitte stab, erntete Guéhenno die späten Früchte jahrelan- Im Mittelpunkt von 2005, fünf Jahre nach dem Brahimi-Bericht, als logi- ger Anstrengungen zum Aufbau eines Kompetenz- ›Peace Operations sche Konsequenz der Brahimi-Reformen entwickeln zentrums für das UN-System in diesem Schlüsselbe- 2010‹ stand die lassen.19 Im Mittelpunkt stand dabei die Erkenntnis, reich der Friedenskonsolidierung. Gleichzeitig setzte Erkenntnis, dass dass Erfolg oder Misserfolg von UN-Friedenseinsät- er unter diesem Dach die schon im Brahimi-Bericht ge- Erfolg oder Miss- zen nicht nur von hinreichender Ressourcenausstat- forderte Integration aller rechtsstaatsbezogenen Maß- erfolg von UN- tung und den richtigen politischen Rahmenbedingun- nahmen um, von Polizeiaufbau über die Reform des Friedenseinsätzen gen vor Ort und von Seiten der Geberländer abhängen, Strafvollzugs bis zur Justizreform.21 Die konzeptionel- auch von der sondern auch von der Qualität, Kompetenz und Lern- le Weiterentwicklung auf diesen Gebieten war jahre- Qualität, Kompe- fähigkeit der Einsatzunterstützung durch die Zentrale lang daran gescheitert, dass die Mitgliedstaaten nicht tenz und Lernfähig- in New York. Daraus leitete Guéhenno das Ziel ab, bereit waren, mehr als zwei (seit dem Jahr 2005 keit der Einsatzunter- bis zum Jahr 2010 deutliche Fortschritte in fünf Kern- fünf) Stellen zu bewilligen.22 stützung durch die bereichen zu erreichen: Personalentwicklung (Ausbil- Während alle beantragten Mittel für die Justiz- Zentrale in New dung, Karriereplanung), Doktrinentwicklung, engere und Sicherheitssektorreform bewilligt wurden, stieß York abhängen. Partnerschaften mit anderen Organisationen, eine ef- der Generalsekretär im Polizeibereich auf Widerstand. fektivere Organisationsstruktur und mehr Ressour- So verweigerte der ACABQ die Verdoppelung der erst cen. In seinem Kompromisspaket griff Ban drei Aspek- im vergangenen Jahr eingerichteten ›Standing Police te aus der Agenda ›Peace Operations 2010‹ auf: ers- Capacity‹. Mit der Aufstockung dieser mobilen Ein- tens, die Einführung der oben bereits erwähnten ›in- heit von bislang 25 Polizeiexperten zum Aufbau neuer tegrierten operativen Teams‹; zweitens, die Schaffung oder zur Verstärkung bestehender Polizeimissionen eines deutlich gestärkten Bereichs ›Rechtsstaatlich- in Krisenzeiten hatte im DPKO aber auch niemand keit und Sicherheitsinstitutionen‹ und drittens wei- ernsthaft gerechnet, da noch eine Evaluierung der Pi- tere Investitionen in Doktrinentwicklung und Eva- lotphase aussteht. Zudem hatten insbesondere Aus- luierung. tralien, Kanada und Neuseeland (die so genannte Die integrierten operativen Teams sind als Instru- CANZ-Gruppe) zunächst kritisiert, dass der oberste ment zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Polizeiberater durch die Eingliederung seines Stabes den politischen Referenten im Bereich Einsätze mit in die neue Unterabteilung für Rechtsstaatlichkeit und Spezialisten der Militär- und Polizeistäbe und den Sicherheitsinstitutionen keinen direkten Zugang zur Verwaltungsfachleuten für Logistik-, Beschaffungs- DPKO-Spitze mehr hätte.23 Ban Ki-moon akzeptier- und Personalfragen gedacht. Durch die Bildung fester te die Forderung und räumte dem Polizeiberater die Mit dem neuen Teams für jede Feldmission sollen schnellere Kom- Möglichkeit ein, ebenfalls an den obersten Führungs- Bereich ›Politik, munikations- und Entscheidungskanäle zwischen den gremien teilzunehmen und sich direkt an den Un- Evaluierung und einzelnen Bereichen von DPKO und DFS entstehen. tergeneralsekretär zu wenden. Dahinter steht die Er- Ausbildung‹ soll ein Da der Bereich Einsätze schon seit Jahren als der fahrung der neunziger Jahre, als der Polizeistab nicht institutionelles am stärksten überlastete Teil des DPKO galt, verband nur unterfinanziert, sondern auch dem Militärstab Zentrum für das Guéhenno den Vorschlag der integrierten operati- effektiv untergeordnet war – einer der Gründe, war- Wissensmanagement ven Teams mit der Schaffung neuer Posten in den Re- um der polizeilichen Komponente in Friedensein- und die Förderung gionalreferaten des Bereichs Einsätze. Mit zusätzli- sätzen erst spät die notwendige Bedeutung einge- von Lernprozessen in chen Offizieren, Polizisten und Verwaltungsexperten räumt wurde. DPKO, DFS und den sollten die integrierten operativen Teams für jede Re- Der neue Bereich ›Politik, Evaluierung und Aus- Feldmissionen gion zu der interdisziplinären Keimzelle für die Ope- bildung‹ soll die Sektion Beste Verfahrensweisen der geschaffen werden. rationsplanung und -führung werden, die der Abtei- Friedenssicherung (Peacekeeping Best Practices Sec- lung schon seit Jahren fehlte. Diesen Vorschlag trugen tion – PBPS), die DPKO-interne Denkfabrik sowie die Verwaltungsexperten des ACABQ jedoch nicht die Ausbildungseinheit und zwei neu zu schaffende mit. Sie argumentierten, diese hochrangigen Spezia- Referate für Evaluierung und Partnerschaften bün- listen (P-4/P-5 im UN-Gehaltssystem, entspricht den deln. Damit soll ein institutionelles Zentrum für das Dienstgraden Oberstleutnant/Oberst) würden besser Wissensmanagement und die Förderung von Lern- ihren jeweiligen funktionalen Bereichen zugeordnet prozessen in DPKO, DFS und den Feldmissionen ge- und nach Bedarf für integrierte operative Teams ab- schaffen werden.24 Insbesondere die fehlenden Res- gestellt. Ein solches Konzept war zwar schon vor Jah- sourcen für regelmäßige Evaluierungen waren bereits ren einmal an der Arbeitsüberlastung der funktiona- seit Jahren vom OIOS in einer Reihe kritischer Stel- 180 VEREINTE NATIONEN 5/2007
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform lungnahmen gerügt worden.25 Der Vorschlag wurde satzführung abstellen können. Mit dem neuen Büro umgesetzt, jedoch mit deutlichen Abstrichen bei den für Rechtsstaatlichkeit und Sicherheitsinstitutionen zusätzlichen Stellen, insbesondere im Evaluierungs- vollzieht das DPKO einen seit Jahren überfälligen Im Ergebnis bereich. Schritt. Nachdem der Brahimi-Bericht die Rolle der verabschiedete die Rechtsstaatshilfe bereits im Jahr 2000 als den entschei- Generalver- denden Faktor erfolgreicher Friedenskonsolidierung sammlung ein Perspektiven für UN-Friedenseinsätze bezeichnet hatte, erhält dieses entscheidende Politik- Kompromisspaket, nach der Reform feld nun endlich die notwendige institutionelle Infra- das in erster Linie die Im Ergebnis verabschiedete die Generalversammlung struktur, um die Feldeinsätze effektiv zu unterstüt- dringend erforder- ein Kompromisspaket, das in erster Linie die dringend zen. Da die einzelnen Sektionen mit Ausnahme des liche Haushalts- erforderliche Haushaltserhöhung für die effektive und Polizeistabs auf verhältnismäßig niedriger Ebene erhöhung für die verantwortliche Führung und Verwaltung der Frie- geführt werden (P-4/P-5), wird es dabei besonders effektive und verant- denseinsätze bereitstellt. Über den unabweisbaren Be- auf den Einsatz und die Führungsqualitäten des neuen wortliche Führung darf hinaus sind darin eine Reihe positiver Akzen- Beigeordneten Generalsekretärs an der Spitze an- und Verwaltung der te aus dem Reformprogramm Guéhennos enthalten. kommen, in welchem Maße sich die Erwartungen Friedenseinsätze Ban geht aus seiner ersten Reformschlacht mit einer an die neue Struktur erfüllen. Mit dem russischen bereitstellt. blutigen Nase hervor, konnte aber sein Gesicht wah- DPKO-Veteranen Dimitri Titov berief der Gene- ren. Dies ist vor allem jenen Mitgliedstaaten zu ver- ralsekretär einen verdienten und erfahrenen Büro- danken, die dafür sorgten, dass sein Kompromiss- kraten auf diesen Posten, der sich jedoch bislang paket den Weg durch die Ausschüsse fand. Weder die keinen Namen für besondere Innovationskraft ge- Substanz der Vorschläge noch das Vorgehen Bans macht hat. lösten Begeisterungsstürme aus. Doch am Ende siegte Im Bereich Doktrinentwicklung und Wissens- das Kalkül, dass niemandem mit einer fatalen Schwä- management legt der Umbau in zweierlei Hinsicht chung des neuen Generalsekretärs gedient wäre, der die Grundlage für die Fortsetzung des von Guéhenno dann die restlichen viereinhalb Jahre seiner Amtszeit im Jahr 2005 begonnenen Umwandlungsprozesses ein Dasein als lahme Ente fristen würde. Es ist zu er- hin zu einer lernenden Organisation. Zum einen wur- Es ist zu erwarten, warten, dass der Generalsekretär aus den Fehlern und den alle funktionalen Bereiche mit den personellen dass der General- schmerzhaften Erfahrungen mit der DPKO-Reform Ressourcen ausgestattet, selbst die inhaltliche Füh- sekretär aus den seine Lektionen für weitere Reformprojekte gelernt rungsrolle bei der Weiterentwicklung von Doktrinen Fehlern und hat. Wichtiger jedoch ist die Frage, welche Bedeutung auszufüllen. Die Sektion Beste Verfahrensweisen hat- schmerzhaften die beschlossenen Reformen für die Effektivität zu- te in den letzten Jahren eine umfangreiche Bestands- Erfahrungen mit der künftiger UN-Friedenseinsätze haben. aufnahme durchgeführt und ein Verfahren zur voll- DPKO-Reform seine Die Neugliederung in zwei »spezialisierte, aber eng ständigen Überarbeitung und, wo nötig, Neuentwick- Lektionen für verzahnte« Abteilungen (Guéhenno)26 wird zunächst lung von Doktrinen entwickelt. Der neue Bereich ›Po- weitere Reform- einmal dazu führen, dass sich die DPKO-Führung ei- litik, Evaluierung und Ausbildung‹ wird nun die Steue- projekte gelernt hat. nige Monate mit sich selbst beschäftigt. Dazu gehört rung dieses Prozesses für das DPKO und das DFS über- vor allem die Auswahl geeigneter Kandidaten für die nehmen, doch die inhaltliche Ausgestaltung muss neuen Schlüsselpositionen, die des Untergeneralse- durch die jeweiligen Experten erfolgen, etwa im kretärs an der Spitze des DFS und die des gemeinsa- Militärstab oder in der Abteilung Disziplinarunter- men Stabschefs für die beiden Abteilungen. Ban und suchungen. Guéhenno haben im laufenden Jahr ohnehin bereits den Großteil des Führungspersonals des DPKO aus- getauscht, so dass die neue Struktur auch in perso- neller Hinsicht einen weitgehend frischen Start haben 19 Guéhenno, a.a.O., (Anm. 9). wird. Von der praktischen Ausgestaltung der auf dem 20 ACABQ, a.a.O. (Anm. 17), Abs. 61–63 Papier geschaffenen Arbeitsstrukturen und von der 21 Report of the Panel on United Nations Peace Operations, UN persönlichen Arbeitsbeziehung zwischen den beiden Doc. A/55/305–S/2000/809 v. 21.8.2000, Abs. 179 (Brahimi-Bericht). Untergeneralsekretären wird es abhängen, in welchem 22 Budget for the Support Account for Peacekeeping Operations for Maße die vielfältigen Verbesserungen der Ressourcen- the Period from 1 July 2005 to 30 June 2006, UN Doc. A/59/730 v. und Personalausstattung genutzt werden können – 8.3.2005, Abs. 51ff. oder ob sie durch bürokratische Rangeleien aufge- 23 Special Committee on Peacekeeping Operations, Protokoll der rieben werden. 195./196. Sitzung, 26.2.2007. Umgekehrt verhält es sich mit den integrierten ope- 24 UN Doc. A/61/858 v. 13.4.2007, Abs. 72 rativen Teams. Der Erfolg dieses Management-Ins- 25 Office of Internal Oversight Services, Audit Report, UN Doc. A/58/746 truments steht und fällt mit den verfügbaren Personal- v. 25.3.2004; OIOS Audit of Management Structures in DPKO, UN Doc. kapazitäten: Nur wenn die einzelnen Abteilungen ihre A/61/743 v. 14.2.2007. Kernaufgaben bewältigen können, werden sie darüber 26 Rede vor dem Special Committee for Peacekeeping Operations, hinaus Personal zur besseren Koordinierung der Ein- Protokoll, a.a.O. (Anm. 23). VEREINTE NATIONEN 5/2007 181
Benner · Rotmann | Operation Blauhelmreform Einen zweiten Meilenstein stellt der Einstieg in ei- werden. Gleichzeitig sind bei den großen Missionen ne systematische Selbstevaluierung dar. Mit der Schaf- in Afrika, Haiti oder Timor-Leste keine substanziel- fung eines kleinen Evaluationsteams (zwei Stellen und len Reduzierungen zu erwarten. Keine davon steht 250 000 US-Dollar pro Jahr) kann das DPKO erst- derzeit vor einem Abzug, denn die internationale Ge- mals den gesamten Zyklus von Doktrinentwicklung meinschaft scheint aus den Erfahrungen mit Sierra über Ausbildung bis zu Evaluierung der tatsächlichen Leone und Timor-Leste gelernt zu haben und demons- Erfolge im Feld in die Praxis umsetzen. Angesichts triert mittlerweile einen deutlich längeren Atem als der bewilligten eher geringen Mittel kann es sich je- noch vor wenigen Jahren. doch nur um einen Einstieg handeln. Hier müssten die Mitgliedstaaten mehr investieren, wenn sie die Um- Fazit wandlung in eine lernende Organisation unterstützen Mit einem Dutzend und den effektiven Einsatz ihrer nahezu sechs Milli- Dem nachhaltigen Wachstum der UN-Friedensein- Mitarbeitern kann arden US-Dollar für die UN-Friedenssicherung ins- sätze ist nicht mit nachholenden Mini-Reformen das DPKO keine gesamt sicherstellen wollen. Das Gleiche gilt für den Rechnung zu tragen. Die Mitgliedstaaten müssen ernstzunehmenden Bereich Ausbildung: Mit einem Dutzend Mitarbeitern sich grundlegenden Problemen stellen, die hier nur Ausbildungsmaß- in New York kann das DPKO keine ernstzunehmen- angerissen werden können: nahmen für die rund den Ausbildungsmaßnahmen für die rund 200 000 1. Weitere steigende Einsatz- und Personalzahlen 200 000 Personen Personen durchführen, die das System nun jedes sollten automatisch eine Aufstockung der Personal- durchführen, die Jahr weltweit durchlaufen. Umso wichtiger wäre es, ressourcen im UN-Verwaltungsapparat nach sich das System nun dass UN-Mitgliedstaaten, wie Deutschland, den UN ziehen. jedes Jahr weltweit in noch größerem Umfang als bislang unbürokra- 2. Die UN müssen in die Lage versetzt werden, zu- durchlaufen. tisch direkte Projekthilfe anbieten. Beispiele wie die mindest einem Teil der fast 5000 Zivilexperten, die Unterstützung des ›Kofi Annan International Peace- mit einer Abfolge von Sechs-Monats-Verträgen zwi- keeping Training Centres‹ (KAIPTC) in Ghana zei- schen den Feldmissionen ihr Dasein fristen, angemes- gen, was möglich ist. Mit ähnlichen Initiativen, wie sene Aufstiegsmöglichkeiten und eine Chance zur der deutlichen Aufstockung voll finanzierter Plätze Übernahme auf feste Stellen zu bieten. Kofi Annan für internationale Teilnehmer in Ausbildungsgän- hatte dafür im Rahmen seines letzten Reformplans gen für Polizisten, Soldaten oder Zivilexperten im vom März 200629 die Schaffung von 2500 festen Stel- eigenen Land, könnte Deutschland mit verhältnis- len für Zivilexperten vorgeschlagen. Der Vorschlag mäßig wenig Geld eine Menge erreichen. So könn- befindet sich bis heute in den Mühlen des Haushalts- te auch ganz nebenbei die Sichtbarkeit des deut- verfahrens, sollte jedoch dringend umgesetzt werden. schen Beitrags zur Friedenssicherung in New York 3. Im UN-Sekretariat fehlt weiterhin eine kompe- erhöht werden. tente Analyse- und Strategieabteilung für Konflikt- All dies wird jedoch nur ein Tropfen auf den heißen prävention und Friedenskonsolidierung. Das DPKO Wenn der politische Stein sein, wenn das rapide Wachstum von UN-Frie- ist zu sehr mit der unmittelbaren Einsatzplanung be- Boden für den denseinsätzen anhält. Allein für die Darfur-Mission schäftigt; das DPA ist für diese Aufgaben unzurei- Einsatz von UNAMID müssen im Laufe des Jahres 2007 weitere chend ausgestattet und aufgestellt. UN-Friedenstruppen 26 000 Personen rekrutiert werden, darunter 6 000 Letztlich gilt es, die übergreifenden strategischen nicht ausreichend Polizisten und mehrere tausend Zivilisten. Allein die- Fragen nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn der bereitet ist, können se Mehrbelastung würde die zusätzlichen personellen politische Boden für den Einsatz von UN-Friedens- auch die bestaus- Ressourcen des DPKO in der Zentrale schon wieder truppen nicht ausreichend bereitet ist, können auch gebildeten und neutralisieren. Dies illustriert das folgende Szenario: die bestausgebildeten und bestausgerüsteten Friedens- bestausgerüsteten Die personelle Verstärkung der beiden neuen Abtei- kräfte mit ausgeklügelten Detailkonzepten wenig be- Friedenskräfte wenig lungen DPKO und DFS wird wegen der zeitaufwän- wirken. Den UN-Mitgliedstaaten und insbesondere bewirken. digen Rekrutierungsverfahren der UN erst im Früh- dem Sicherheitsrat sollte dies Mahnung genug sein, jahr 2008 ihre volle Wirkung entfalten. Zu diesem ihrer Verantwortung gegenüber den Friedenstruppen Zeitpunkt ist jedoch damit zu rechnen, dass nicht besser nachzukommen. mehr 100 000, sondern mit der Hybrid-Mission in Darfur und dem Ende September 2007 bewilligten EU-Einsatz in Tschad und der Zentralafrikanischen Republik27 etwa 125 000 Personen weltweit für die UN im Feld stehen werden.28 Damit wird sich das Verhältnis von DPKO-/DFS-Mitarbeitern zu Solda- ten, Polizisten und Zivilexperten im Feld von 1 zu 27 UN-Dok. S/RES/1778 v. 25.9.2007. 149 (2007) nicht etwa deutlich verbessern, sondern 28 Diese Zahl berücksichtigt die voraussichtliche Übergabe der Kosovo- sogar wieder leicht verschlechtern (1 zu 152). Noch Mission an die EU und die geplante Verringerung der Sudan-Mission schlechter sähe das Verhältnis aus, sollten Pläne für UNMIS, sobald UNAMID in Darfur die Sollstärke erreicht. eine neue Mission in Somalia in die Tat umgesetzt 29 UN-Dok. A/60/692 v. 7.3.2006, Abs. 28. 182 VEREINTE NATIONEN 5/2007
Hummer · Mayr-Singer | Wider die Straflosigkeit Wider die Straflosigkeit Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen Waldemar Hummer · Jelka Mayr-Singer Beim Verbrechen des Verschwindenlassens von Per- zei und Militär meist sehr rasch den ›Ausnahmezu- sonen handelt es sich um ein vielschichtiges Erschei- stand‹, innerhalb dessen die Grund- und Menschen- nungsbild verschiedenster Menschenrechtsverlet- rechte suspendiert sind. Damit war das Verbrechen zungen als Mittel staatlicher Repression. Nach jahr- des Verschwindenlassens zur Zeit seiner Begehung – zehntelangen Bemühungen ist es nunmehr gelun- zwar nicht formell legalisiert, so doch zumindest in- gen, im Rahmen der Vereinten Nationen eine uni- formell legitimiert – vor dem Zugriff der nationalen versell gültige, rechtverbindliche Konvention auszu- Strafrechtsordnung weitestgehend geschützt. Aber arbeiten, die Akte des Verschwindenlassens verbie- auch nach Beendigung des Ausnahmezustands wurde tet. Der Beitrag befasst sich mit der Entstehungsge- dieses Verbrechen nicht strafrechtlich verfolgt, da es schichte dieser Konvention und stellt sowohl ihre durch die Regierungen, die es mehr oder weniger ›an- materiell-rechtlichen als auch die institutionell-pro- geordnet‹ hatten, vor ihrem Abgang noch rasch straf- Prof. Dr. Dr. Dr. zeduralen Charakteristika dar. los gestellt wurde. Waldemar Hummer, Die Unzulässigkeit solcher nationaler Begnadigun- geb. 1942, lehrt am Das Verbrechen des Verschwindenlassens stellt ein gen beziehungsweise Amnestie-Gesetze wurde erst er- Institut für Europa- komplexes Begehungsdelikt dar, das eine Reihe bis- kannt als den Staaten bewusst wurde, dass es sich da- recht und Völker- her nur einzeln sanktionierter Verbrechen, wie Ent- bei – vor allem bei einer Politik des systematischen recht an der Univer- führung, Menschenraub, Folter, unmenschliche Be- und massiven ›Verschwindenlassens‹ – um ein Völ- sität Innsbruck. handlung, Tötung oder Leichenschändung zusam- kerrechtsdelikt handelte. Damit unterlag das Verbre- menfasst.1 Allein in Lateinamerika verschwanden in chen keinem staatlichen Strafanspruch, sondern ei- den 20 Jahren von 1966 bis 1986 mehr als 90 000 nem völkerrechtlichen und konnte daher auch nicht Personen.2 Die ersten Verurteilungen – in Argentinien national straflos gestellt werden. Doch selbst nach und Uruguay – fanden jedoch erst im Jahr 2006 statt. dieser Erkenntnis kam es längere Zeit nicht zur straf- Weniger die Komplexität des Tatbestands des ›Ver- rechtlichen Aufarbeitung dieses ›Systemunrechts‹. windenlassens‹ war der Grund, warum die Sanktio- Dieses wurde nämlich durch so genannte ›Schluss- nierung dieses Verbrechens mehr als 40 Jahre brauch- strich‹- oder ›Versöhnungsmodelle‹ zur (angeblichen) te, sondern vor allem der Umstand, dass die Täter die- Wahrung des sozialen Friedens und zur Aussöhnung ses Delikts im staatlichen Umfeld zu finden waren. während des Übergangsprozesses von Militärregimen Zumeist waren es staatliche Organe, die dieses Ver- zu zivilen Regierungen überlagert. brechen in Auftrag gegeben haben, und zwar stets aus Gründen der ›Staatsräson‹. Als Staatsräson galt die Die Vorgeschichte Bekämpfung subversiver oder anarchistischer ›Sub- jekte‹, die die Sicherheit und den Bestand des Staates Aufgrund dieser und anderer Hindernisse kam es im- Dr. Jelka Mayr-Singer, gefährdeten. Beispielhaft sei der Fall Roque Nuñez mer wieder zu Verzögerungen in der nationalen Auf- geb. 1956, lehrt genannt. Nuñez wurde im April 1976 mitten in der arbeitung dieses Verbrechens, die, wie im Fall Latein- ebenfalls am Institut Nacht von schwer bewaffneten Polizeieinheiten fest- amerikas, an die 40 Jahre betrugen. Die Aufarbeitung für Europarecht und genommen. Noch am selben Tag wurde auch seine durch staatliche Gerichte verlief schleppend. Über vie- Völkerrecht an der Frau verschleppt und an einen unbekannten Ort ver- le Jahre hinweg hat die internationale Gemeinschaft Universität Inns- bracht, wo sie mehrere Tage lang mit brutalen Metho- aus politischen Gründen keinen ernsthaften Versuch bruck. den verhört wurde. Zwei Tage später wurde auch sein unternommen, einen völkerrechtlichen Deliktstat- Sohn entführt, seine schwer behinderte Tochter wur- de hilflos zurückgelassen. Während seine Frau schließ- lich ein paar Häuserblocks von ihrem Haus entfernt mit verbundenen Augen wieder freigelassen wurde, 1 Vgl. dazu Waldemar Hummer/Jelka Mayr-Singer, ›Hacer desaparecer‹ gelten Roque Nuñez und sein Sohn seitdem als ver- und ›impunidad‹, in: Winfried Bausback/ Gilbert Gornig/ Tobias Irm- misst. Beim Verbrechen des Verschwindenlassens scher/ Burkhard Schöbener (Hrsg.), Iustitia et Pax. Gedächtnisschrift wird also nicht nur eine Person entführt, gefoltert, für Dieter Blumenwitz, Berlin 2007, in Druck. ermordet und ihrer Identität völlig beraubt, sondern 2 Vgl. Ana Lucrecia Molina Theissen, La desaparición forzada de per- es wird auch ihren Angehörigen unmöglich ge- sonas en América Latina, in: Instituto Latinoamericano de Derechos macht, Trauerarbeit zu leisten. Humanos (Hrsg.), Serie Estudios Básicos de Derechos Humanos VII, Um gegen subversive Umtriebe mit allen verfüg- San José de Costa Rica 1996, S. 65f; http://www.rosario.gov.ar/sitio/ baren Mitteln vorgehen zu können, verhängten Poli- lugares_disfrutar/museomemoria/archivos/desaparicionforzada.pdf VEREINTE NATIONEN 5/2007 183
Hummer · Mayr-Singer | Wider die Straflosigkeit bestand des Verschwindenlassens auszuarbeiten – we- Grundsatzkatalog für alle Staaten (»a body of prin- der auf regionaler noch auf universeller Ebene. ciples for all states«) verkündet, der allgemein beach- Was die regionale Ebene betrifft, so bezeichnete tet werden soll. Als Erklärung hat sie aber nur emp- erstmals 1979 und 1983 die Generalversammlung fehlenden Charakter und ist nicht rechtsverbindlich. der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Daher unternahmen nur wenige Staaten Schritte, um zwei Resolutionen3 die Praxis des Verschwindenlas- die darin enthaltenen Standards zu erfüllen. sens als »affront to the conscience of the hemisphere« Der erste völkervertragliche Schritt auf universel- beziehungsweise als »totally contrary to common tra- ler Ebene zur Sanktionierung des Verschwindenlas- ditional values« sowie als »Verbrechen gegen die sens wurde im Rahmen einer unter den Auspizien der Menschlichkeit«. Im Rahmen des Europarats kam Vereinten Nationen im Juli 1998 in Rom einberufe- es erstmals 19844 zu einer verurteilenden Entschlie- nen Staatenkonferenz gesetzt. Auf dieser Konferenz ßung der Parlamentarischen Versammlung, der erst wurde das Statut des Internationalen Strafgerichts- 20 Jahre später, in den Jahren 20045 und 20056, wei- hofs (IStGH)13 ausgearbeitet, das am 1. Juli 2002 in tere einschlägige Entschließungen folgen sollten. Kraft trat. Nach Art. 5 IStGH-Statut fallen vier Straf- An völkerrechtlichen Verträgen ist in diesem Zu- tatbestände unter die Gerichtsbarkeit des IStGH: 1. In den Vereinten sammenhang die ›Inter-Amerikanische Konvention Das Verbrechen des Völkermords, 2. Verbrechen ge- Nationen kam es erst über das gewaltsame Verschwindenlassen von Perso- gen die Menschlichkeit, 3. Kriegsverbrechen und 4. im Dezember 1978 nen‹ vom 9. Juni 19947 (OAS-Konvention) zu nennen, das Verbrechen der Aggression. Unter den Tatbestand zu einer Resolution die am 28. März 1996 in Kraft getreten ist und bis- des Verbrechens gegen die Menschlichkeit fällt auch der Generalver- her (nur) von 13 Staaten ratifiziert wurde. explizit das »Verschwindenlassen von Personen« sammlung, in der Was die universelle Ebene betrifft, so gestaltete (Art. 7 Abs. 1 lit i). diese »ihre tiefe sich die Konsensfindung noch schwieriger als auf der Der entscheidende Durchbruch zur Ächtung des Betroffenheit über regionalen Ebene. In den Vereinten Nationen kam es Verbrechens des Verschwindenlassens auf universel- Berichte aus erst im Dezember 1978 zu einer Resolution der Ge- ler Ebene fand aber erst durch die Annahme des ›In- verschiedenen neralversammlung, in der diese »ihre tiefe Betrof- ternationalen Übereinkommens zum Schutz aller Per- Teilen der Welt fenheit über Berichte aus verschiedenen Teilen der sonen vor dem Verschwindenlassen‹ durch die Gene- betreffend Akte des Welt betreffend Akte des gewaltsamen Verschwin- ralversammlung am 20. Dezember 2006 statt. Welche gewaltsamen Ver- denlassens von Personen« zum Ausdruck brachte. materiellen und institutionell-prozeduralen Charak- schwindenlassens Gleichzeitig beauftragte sie die Menschenrechtskom- teristika das Übereinkommen auszeichnen, soll wei- von Personen« zum mission (MRK) damit, sich mit dieser Materie zu be- ter unten erläutert werden. Vorab scheint es jedoch Ausdruck brachte. fassen und Empfehlungen zu erarbeiten.8 sinnvoll, das Zustandekommen und die wichtigsten Die MRK gründete in der Folge im Jahr 1980 auf strittigen Punkte im Zuge des Entwurfsprozesses zu Initiative Frankreichs hin eine eigene Arbeitsgruppe: beleuchten. die ›Working Group on Enforced or Involuntary Dis- appearances‹ (WGEID).9 Die WGEID war nicht bloß Das Übereinkommen mit einem bis dahin üblichen auf ein Land beschränk- ten Mandat, sondern nunmehr mit einem universel- Ausarbeitung len Mandat zur Frage des Verschwindenlassens aus- gestattet und wurde damit zum ersten so genannten Nach mehrjährigen Vorarbeiten auf der Grundlage thematischen Mechanismus.10 Die WGEID setzt sich eines von Louis Joinet vorgelegten Entwurfs nahm aus fünf unabhängigen Experten zusammen, deren die Unterkommission zur Verhütung von Diskrimi- Mandat für einen Zeitraum von jeweils drei Jahren nierung und für den Schutz von Minderheiten der gilt. Sie hält dreimal im Jahr Tagungen ab und erstat- MRK am 26. August 1998 einen Entwurf für ein In- tet der MRK (beziehungsweise seit Juni 2006 dem ternationales Übereinkommen zum Schutz aller Per- Menschenrechtsrat) jährlich Bericht. Seit ihrer Errich- sonen vor dem Verschwindenlassen an und leitete tung leitete die WGEID mehr als 50 000 Fälle von Ver- diesen an die MRK zur Beratung weiter.14 Drei Jahre schwindenlassen an mehr als 90 Regierungen weiter. später beschloss die MRK auf ihrer 57. Tagung, eine Von den über 40 000 nach wie vor ungeklärten Fäl- eigene Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines rechts- len sind 79 Staaten betroffen; einige wenige Regie- verbindlichen Instruments einzusetzen.15 Die erste for- rungen11 sind dem Ersuchen der Arbeitsgruppe um melle Sitzung dieser ›Intersessional Open-ended Wor- Aufklärung und Auskunft trotz mehrfacher Ermah- king Group to Elaborate a Draft Legally Binding Nor- nung nie nachgekommen. mative Instrument for the Protection of All Persons Am 18. Dezember 1992 wurde schließlich von der from Enforced Disappearance‹ (ISWG) fand aller- UN-Generalversammlung die Erklärung über den dings erst im Januar 2003 unter dem Vorsitz von Ber- Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen12 nard Kessedjian (Frankreich) statt.16 Ferner ersuchte ohne förmliche Abstimmung im Konsensus angenom- die MRK auf derselben Tagung ihren Vorsitzenden, men. Die Erklärung (im Folgenden kurz: UN-Erklä- einen unabhängigen Experten zu ernennen, der die rung 1992) wurde von der Generalversammlung als einschlägigen straf- und menschenrechtlichen Rah- 184 VEREINTE NATIONEN 5/2007
Hummer · Mayr-Singer | Wider die Straflosigkeit menbedingungen untersuchen und die bestehenden Weitere Diskussionen kreisten um die Fragen, wie rechtlichen Lücken identifizieren sollte. Zu diesem die Unabhängigkeit der einzurichtenden Instanz am unabhängigen Experten wurde der Österreicher Man- besten zu sichern, welche Art der Finanzierung anzu- fred Nowak ernannt, der seinen Bericht bereits im streben wäre und wie die geographische Repräsenta- Januar 200217 vorlegte. Dieser Bericht, die UN-Er- tivität sowie fachliche Kompetenz der Mitglieder ga- klärung 1992 und der Entwurf der Unterkommission rantiert werden könne. Nach einer Fülle weiterer Dis- von 1998 waren die Grundlage, auf der es der ISWG kussionsbeiträge zu den Fragen der Rechtsnatur des nach mehreren intensiven Beratungen auf ihrer fünf- ten Sitzung im September 2005 gelang, der MRK ei- nen einschlägigen Konventionsentwurf vorzulegen.18 Mit seiner Resolution 1/1 nahm der neu errichtete 3 Vgl. OAS Doc. AG/Res. 443 (IX-0/79) und OAS Doc. AG/Res. 666 UN-Menschenrechtsrat auf seiner ersten Sitzung am (XIII-0/83); vgl. dazu Reed Brody/ Felipe González, Nunca Más: An Ana- 29. Juni 2006 das Internationale Übereinkommen lysis of International Instruments on »Disappearances«, Human Rights zum Schutz aller Personen vor dem Verschwinden- Quarterly, 19. Jg., 2/1997, S. 368f. lassen an und leitete es zur Annahme an die General- 4 Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 828 (1984) versammlung weiter. Diese verabschiedete den Text v. 26.9.1984. am 20. Dezember 2006 ohne Änderungen.19 Das Über- 5 Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1371 (2004) einkommen war von über 100 Mitgliedstaaten ein- v. 28.4.2004 und Resolution 1403 (2004) v. 7.10.2004. gebracht worden und wurde (ohne formelle Abstim- 6 Vgl. dazu den Bericht des Berichterstatters des Ausschusses für mung) im Konsensus angenommen. Im Rahmen einer Recht und Menschenrechte, Christos Pourgourides, Council of Europe, feierlichen Zeremonie wurde das Übereinkommen Doc. 10679 v. 19.9.2005. am 6. Februar 2007 in Paris von 57 Staaten20 unter- 7 OAS Doc. OEA/Ser.P/Doc.3114/94; ILM 33 (1994) S. 1529ff. zeichnet. Aufgrund der überwältigenden Zustim- 8 UN-Dok. A/RES/33/173 v. 20.12.1978. mung, die das Übereinkommen in der Generalver- 9 MRK-Res. 20 (XXXVI) v. 29.2.1980. sammlung erfahren hat, besteht begründete Hoff- 10 Vgl. dazu Manfred Nowak, Einführung in das internationale Men- nung auf eine wahrhaft universelle Ratifizierung. schenrechtssystem, Wien 2002, S. 129. 11 Es handelt sich dabei um die von Burundi, Guinea, Israel, Mosambik, Strittige Fragen Namibia, der Seychellen und der Palästinensische Autonomiebehör- Zunächst stellte die Wahl der Rechtsnatur des zu ver- de; vgl. WGEID-Bericht, UN Doc. E/CN.4/2006/56 v. 27.12.2005, S. 126. abschiedenden Instruments an sich sowie des darin 12 UN-Dok. A/RES/47/133 v. 18.12.1992. Deutscher Text siehe Vereinte zu verankernden Überwachungsinstruments die Staa- Nationen (VN), 5/1993, S. 188ff. tenvertreter vor grundsätzliche Probleme. 13 UN Doc. A/CONF.183/9 v. 17.7.1998; in Kraft getreten am 1.7.2002. Drei Optionen lagen auf dem Tisch: Das Statut wurde bisher von 105 Staaten ratifiziert (Stand: Oktober 1. Ein eigener völkerrechtlicher Vertrag mit ei- 2007). nem neuen unabhängigen Überwachungsorgan; 14 Siehe dazu den Bericht der Sessional Working Group on the Admi- 2. Ein Fakultativ- oder Zusatzprotokoll zur Anti- nistration of Justice, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1998/19 v. 19.8.1998, in Folter-Konvention mit einem neu zu schaffenden dessen Anhang sich der Konventionsentwurf befindet. Überwachungsorgan beziehungsweise zum UN-Pakt 15 MRK-Res. 2001/46 v. 23. 4. 2001. über bürgerliche und politische Rechte21 mit Beauf- 16 Siehe dazu den Bericht UN Doc. E/CN.4/2003/71 v. 12.2.2003. tragung dessen Überwachungsorgans, des Menschen- 17 Commission on Human Rights, Civil and Political Rights, including rechtsausschusses (CCPR).22 Questions of: Disappearances and Summary Executions, Report submit- 3. Die Verschmelzung aller vertragsgestützten Men- ted by Mr. Manfred Nowak, independent expert charged with exami- schenrechtsausschüsse (treaty-monitoring bodies) in ning the existing international criminal and human rights framework eine einziges, unabhängiges Gremium, vorgeschlagen for the protection of persons from enforced or involuntary disappea- unter anderem vom Amt des Hohen Kommissars der rances, pursuant to paragraph 11 of Commission resolution 2001/46, Vereinten Nationen für Menschenrechte. UN Doc. E/CN.4/2002/71 v. 8.1.2002 (im Folgenden: Nowak-Bericht). Jene Staaten, die einer Ausweitung von Schutzin- 18 Siehe dazu den Bericht Bernard Kessedjians, UN Doc. E/CN.4/2006/ strumenten reserviert gegenüberstanden, favorisier- 57 v. 2.2.2006 (im Folgenden: Kessedjian-Bericht). ten naturgemäß die Variante der Betrauung des be- 19 International Convention for the Protection of All Persons from En- reits existierenden CCPR mit dieser Tätigkeit.23 An- forced Disappearance, UN Doc. A/RES/61/177 v. 20.12.2006, Annex. dere Staaten hingegen hoben gerade die Aufwertung 20 Österreich gehörte zu den Unterzeichnern; Deutschland und die des Übereinkommens durch einen eigenen Schutz- Schweiz haben bislang noch nicht unterzeichnet. Im August 2007 hat- mechanismus hervor und verwiesen zudem auf die ten 61 Staaten das Übereinkommen unterzeichnet. dauerhafte Überlastung des CCPR. Diese neuen, vor 21 Vgl. Nowak-Bericht, a.a.O. (Anm. 17), Abs. 97ff., S. 39ff. allem aber auch präventiven Funktionen mit zu über- 22 Vgl. Kessedjian-Bericht, a.a.O. (Anm. 18), S. 15ff., hier S. 18. nehmen, würde den CCPR bei weitem überfordern. 23 So auch Manfred Nowak in seinem Bericht, a.a.O. (Anm. 17) S. 41. Aus diesem Grunde würde er sich nicht als geeigne- 24 Vgl. den Bericht der Working Group auf ihrer 3. und 4. Tagung, UN tes Schutzinstrument anbieten.24 Doc. E/CN.4/2005/66 v. 10.3.2005, Abs. 148–169. VEREINTE NATIONEN 5/2007 185
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