Buchreport - Was der Handel tun kann - Libri GmbH

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Exklusives Themen-Dossier für Libri-Kunden

buchreport
Wissen. Verstehen. Handeln

          Sorgenthema Frequenz

          Was der Handel tun kann

                     Prof. Christ: Frequenzrückgang als Chance
                     ▪ KundeneventThementouren
                     ▪ Was Kunden wirklich wollen
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                 PRAXISTIPP Buchhandlung Transfer aus Dortmund bietet Thementouren an

                 Der Stadtteil als Schauplatz
                 Sagen, Legenden und historische Ereignis-     ■ Alle 2 Monate steht eine Tour auf dem     Transfer:
                 se haben dann einen besonderen Reiz,          Programm, die von Schäder oder Kienast      Seit einigen Monaten
                 wenn sich ihre Schauplätze direkt vor der     konzipiert und zu Fuß oder per Rad durch-   bietet die Buchhand-
                 eigenen Haustür befinden. Die Buchhand-       geführt wird.                               lung Transfer in Dort-
                 lung Transfer im Dortmunder Stadtteil         ■ Zum weiteren Austausch stehen nach        mund-Hörde Themen-
                 Hörde hat das in der neuen Veranstal-         der Tour Kaffee, Tee und Getränke in der    touren an. Zuletzt führ-
                 tungsreihe „transfer.touren“ aufgegriffen.    Buchhandlung bereit.                        te Journalist Wolfgang
                 Journalist Wolfgang Kienast führt in einer    ■ Auf einem Büchertisch präsentieren die    Kienast (rechts) zu sa-
                 knapp dreistündigen Radtour unter dem         Buchhändler passende Titel.                 genumwobenen Orten
                 Motto „Hörde und die Welt der Sagen“ zu       ■ Geworben wird mit Plakaten im Laden,      in Hörde. Transfer-Inha-
                 legendenumwobenen Orten. Aber auch die        in der Stadt, Stadt- und Landesbibliothek   ber Jochen Grieving und
                 Tour „Hörde zur Zeit der Ruhrbesetzung        und VHS sowie über Flyer und Webseite;      Birgit Lange-Grieving
                 1923“ mit Historiker Kai Schäder und die      wichtigster Kanal ist der direkte Kunden-   haben das Konzept fest
                 Kräuterführung „Hörde und das essbare         kontakt.                                    ins Veranstaltungspro-
                 Grün“ stehen seit Herbst 2017 regelmäßig      ■ Bis zu 15 Personen können nach Anmel-     gramm genommen und
                 im Programm.                                  dung teilnehmen, ein Ticket kostet 24       denken über weitere
                    Bei ihren Kunden war Transfer-Inhabe-      Euro.                                       Thementouren nach.
                 rin Birgit Lange-Grieving immer wieder           Die Touren kommen gut an, sagt Birgit
                 auf großes Interesse an Regionalia und Lo-    Lange-Grieving. Im Schnitt sind 10 Perso-
                 kalgeschichte gestoßen. Allein in Hörde       nen pro Tour dabei; das Feedback war bis-
                 gibt es zwei aktive Geschichtskreise. Die     her sehr positiv.
                 Buchhandlung führt daher ein breites Sor-        Das Fazit für die Buchhandlung:
                 timent an Regionalia und hat mit dem          ■ Die Buchhändler, die sich als „Inhalts-
                 hauseigenen Transfer-Verlag vor 3 Jahren      dienstleister“ verstehen, machen auf die
                 die Stadtgeschichte „675 Jahre Hörde – Pio-   Themenvielfalt im Sortiment aufmerksam.
                 niergeist im Dortmunder Süden“ herausge-      ■ Die Touren intensivieren den Austausch
                 bracht. Gemeinsam mit deren Verfasser         mit den Kunden.
Foto: transfer

                 Kai Schäder haben die Buchhändler das         ■ Das Konzept spricht stadtweit neue Kun-   Erschienen im
                 Konzept für die Thementouren entwickelt:      denkreise an.                               buchreport.express 25/2018
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HANDEL Die Kundenfrequenz geht zurück, der Einzelhandel ist alarmiert.
Im buchreport-Interview rät der Stadtplaner Wolfgang Christ, die Veränderung
als radikalen Umbruch zu begreifen und den Innenstadthandel neu zu denken.

»Wer in die Stadt geht,
will Urbanität erleben«
                             Prognosen für den stationären Einzelhan-      Für den Stadtplaner Wolfgang Christ (66)
                             del sind nicht freundlich: Mit dem dynami-    sind das nur kurzfristige Anpassungen, die
                             schen Wachstum des Online-Handels wer-        auch nur dem Augenblick genügen. Er ap-
                             den viele Läden sterben, allein 50.000 bis    pelliert, nicht zuzuschauen, wie nach und
                             2020, heißt es seit Längerem. So beobach-     nach die Einkaufslandschaft in der Innen-
                             ten viele Händler aufmerksam ihre Seis-       stadt erodiert, sondern die Entwicklung
                             mografen: Kundenfrequenz, Umsätze, die        vom Ende her zu denken: Was digitalisiert
                             Leerstände in der Nachbarschaft. Es wird      werden kann, wird digitalisiert. Nur wenn
                             geschaut, was der eigene Online-Shop leis-    der Handel die Radikalität der Veränderun-
                             tet, ob Multichannel wirklich funktionie-     gen begreife, könne er wirklich neue An-
                             ren kann und wie man auf kurzen Wegen,        sätze angehen und die innerstädtische
                             mit Tempo und Service von Amazon mit-         Handelskultur aktiv mitgestalten. Christ
                             halten kann. Und man setzt sich auch im       im buchreport-Interview: „Nicht klagen,
                             Buchhandel bei Gelegenheit kleiner und        dass alles so schlimm ist, weil etwas zu En-
                             investiert in die Aufenthaltsqualität.        de geht. Denn so toll war das doch nicht.“

                             W
                                       as ist dran an der einfachen Kau-   Er unternimmt gerade den Versuch, On-
Wolfgang                               salität: Online-Shopping wächst     line- und stationären Handel so gut wie
Christ                                 zulasten des Stationären?           möglich zu verbinden, Multichannel, Click
ist Architekt und Stadt-     Der Online-Handel trifft auf eine Handels-    & Collect und solche Dinge. Das sind in
planer. Er arbeitet seit     wirtschaft, die seit der Jahrtausendwende     meinen Augen aber nur Reaktionen und
1980 u.a. am Thema
Stadtentwicklung und         im Grunde stagniert. Deshalb entwickelt       Übergangsphänomene. Es löst nicht das
Handel. Christ ist Ge-       sich jedes Handelsformat, das wächst, auf     strukturelle Defizit.
schäftsführer des von        Kosten anderer Formate. In der Vergan-           Der Handel muss jetzt zuallererst die
ihm 2008 gegründeten         genheit haben Discounter, Fachmarktzen-       Radikalität der Veränderungen begreifen,
Urban INDEX Instituts
(Darmstadt), einer Be-
                             tren und Shopping-Center ihren Anteil am      um dann neue Ansätze zu finden. Die wer-
ratungsgesellschaft zur      Handelskuchen vergrößert zulasten der ei-     den anders aussehen als heutige Läden,
Entwicklung von Stadt-       gentümergeführten Läden, des Fachhan-         Fußgängerzonen und Einkaufscenter.
qualität auf der Grund-      dels und der Warenhäuser. Das kann man        Was sind die radikalen Wahrheiten?
lage einer indikatoren-
basierten Planung.
                             als evolutionären Prozess verstehen. Das      Es sind vor allem zwei Dinge: Das Ein-
Prof. Christ lehrte von      Neue ist: Jetzt ist das gesamte Einzelhan-    kaufsverhalten und die Einkaufskultur ver-
1994 bis 2013 an der         delsmilieu von einer Entwicklung betrof-      ändern sich: Das ist das, was der klassische
Bauhaus-Universität          fen, die nicht aus dem Handel selbst          Einzelhandel jetzt in Form von Frequenz-
Weimar Entwerfen und
                             kommt, sondern von Unternehmen, die ei-       und Umsatzrückgängen beobachtet und
Städtebau. 2015 war er
Initiator und Mitgrün-       nen ganz anderen technologischen Hinter-      was absehbar die bisherigen Einkaufs-
der des ersten deut-         grund haben und völlig neue Strukturen        strukturen in Frage stellt.
                                                                                                                          Foto: www.derPirat.com

schen universitären          fürs Shopping aufbauen. Das ist nicht            Das noch Grundsätzlichere ist, dass sich
Wissensnetzwerks für
                             mehr die Handel-ist-Wandel-Evolution.         der Einzelhandel in der Vergangenheit nicht
Stadt und Handel
(wissensnetzwerk-stadt       Wie kann der klassische Einzelhandel rea-     ernsthaft bemüht hat, aus seinem gewohn-
-handel.de).                 gieren?                                       ten Rahmen auszubrechen. Wir müssen
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                         auch verstehen, dass Amazon & Co. neue         ping-Center gewisse rituelle Züge hat, all
                         Geschäftsfelder mit dem Handel in Verbin-      das verschwindet zugunsten banalisierter
                         dung bringen, die der Handel selbst nie für    Infrastrukturen.
                         sich reklamiert hat: mit Kommunikation,        Das Ende des Shoppens?
                         mit Unterhaltung, mit Film und Fernsehen,      Zumindest verbinden wir Einkaufen nicht
                         mit der Musikindustrie. Die Grenzen zwi-       mehr mit dem gesellschaftlichen und kul-
                         schen Handel, Unterhaltung, Einkaufen,         turellen Status, den es bislang hatte. Damit
                         Verkaufen, Produktion und Distribution lö-     verliert die Innenstadt, die ja komplett auf
                         sen sich auf.                                  diese ritualisierte Handelskultur ausge-
                                                                        richtet war, ihre Bedeutung und ihre Rolle.
 »Waren fließen heute wie Wasser aus                                    In der Verbindung von Stadt und Handel
                                                                        handelt es sich unter dem Paradigma des
dem Hahn direkt in die Wohnung. Die                                     Online-Handels nicht um eine Weiterent-
                                                                        wicklung, sondern um einen radikalen
Kultur des Einkaufens verschwindet.«                                    Kulturbruch, und die Lösung dieses Pro-
                                                                        blems verlangt völlig neue Planungsansät-
                         Zum ersten Aspekt: Wie entwickelt sich das     ze, verlangt vor allem eine neue Kommuni-
                         Gefüge aus Stationär- und Online-Handel?       kationskultur. Wir müssen das auch zu ei-
                         Der Online-Handel besticht durch Effi-         nem politisch bedeutenden Thema ma-
                         zienz und betrifft den gesamten Versor-        chen, denn mit dem potenziellen Ver-
                         gungseinzelhandel. All das, was wir zum        schwinden des Handels aus der Mitte der
                         täglichen Bedarf brauchen, ist potenziell      Stadt droht die Mitte der Gesellschaft verlo-
                         onlinefähig. Das sieht man aktuell an der      ren zu gehen.
                         Entwicklung des Lebensmitteleinzelhan-         Was heißt das für die Entwicklung der Städte?
                         dels. Noch vor Kurzem wurde bestritten,        Der Handel ist heute die tragende Funkti-
                         dass eine Online-Lieferung von Lebensmit-      on der Innenstadt. Das lässt sich als Pro-
                         teln in Deutschland überhaupt eine Chan-       dukt der Moderne verstehen: Wir haben
                         ce hätte. Jetzt sieht man, dass dieses neue    unsere Innenstädte nach dem Krieg umge-
                         Format vor allem in den Metropolen zu          baut zugunsten von Fußgängerzonen und
                         boomen beginnt. Alles, was standardisiert      des großflächigen Einzelhandels. Das war
                         werden kann, wird automatisiert und kann       eine Gegenbewegung zur grünen Wiese,
                         über eine technologisch hoch entwickelte       weil der Handel ja schon sehr bald, nach-
                         Logistik verteilt werden.                      dem viele Menschen ein Auto ihr Eigen
                                                                        nennen konnten, in die Peripherie dräng-
                                                                        te. Das heißt: Die Innenstadt ist entwickelt
»Mit dem potenziellen Verschwinden                                      worden als Pendant zu einer immer weite-
                                                                        ren Sub-Urbanisierung. Wir kennen das
          des Handels aus der Mitte                                     alle: In der Regel hat man versucht, einen
  der Stadt droht auch die Mitte der                                    Cityring anzulegen, hat Parkhäuser ge-
                                                                        baut. Das hat dazu geführt, dass wir in den
    Gesellschaft verloren zu gehen.«                                    Innenstädten eine Homogenisierung der
                                                                        traditionellen urbanen Vielfalt erlebt ha-
                                                                        ben zugunsten des Handels, die uns heute
                            Es ist vergleichbar mit dem Wasseran-       problematisch erscheint.
                         schluss, der im 19. Jahrhundert in die Häu-        Die Etablierung von Fußgängerzonen
                         ser kam: Waren fließen heute wie Wasser        hat dazu geführt, dass sich in den Kernen
                         aus dem Hahn direkt in die Wohnung. Ein-       unserer Innenstädte im Grunde nichts
                         kaufen ist etwas Alltägliches, etwas gerade-   weiter als Einzelhandel angesiedelt hat
                         zu Beiläufiges geworden. Man muss nicht        und ansiedeln konnte. Wohnen, Gewerbe,
                         mehr selbst zur Ware gehen, mit all den        Handwerk hat als Funktion die Innenstadt
                         damit verbundenen Konventionen. Früher         verlassen. Wir haben in den Stadtzentren
                         hat man sich sogar noch besonders geklei-      so etwas wie potemkinsche Dörfer des
                         det, wenn man „in die Stadt“ ging. Die Kul-    Handels errichtet. Hier kommen jetzt
                         tur des Einkaufens, die mit dem Marktbe-       städtebauliche und handelsstrukturelle
                         such in der mittelalterlichen Stadt begann     Tendenzen der Anonymisierung und der
                         und bis heute mit der Fahrt zum Shop-          Standardisierung zusammen und ergeben
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               heute eine kritische Masse, mit der wir uns     denkt, gibt es nur eine Option: sich so weit    Suche nach einer
               auseinandersetzen müssen.                       wie möglich auf das zu konzentrieren, was       neuen Handelskultur:
                   Das Modell „Alles unter einem Dach“,        nicht digitalisierbar, nicht automatisierbar,   Die vom Delikatessen-
               das die Warenhäuser im 19. Jahrhundert          nicht standardisierbar ist. Das ist struktu-    markt Eataly bespielte
               eingeführt haben, ist übertragen worden         rell die einzige Strategie, dem Schicksal       Schrannenhalle in
               auf die Stadtmitte als Ganzes. Heute aber       des kompletten Funktions- und Bedeu-            München bietet eine
               ist das Internet das Dach, unter dem eine       tungsverlustes zu entgehen. Wir sehen in        Mischung aus Gastro-
               unendliche Vielfalt und Menge an Waren          den Innenstädten bereits, dass eine ganze       nomie, Lebensmittel,
               zugänglich ist, und insofern sind die In-       Reihe von Entwicklungen in diese Rich-          Buchhandel und Event-
               nenstädte, die einen Ausdruck von Aus-          tung gehen, und zwar eher, wenn man sich        plattform.
               tauschbarkeit widerspiegeln, in einer zu-       nicht in der 1a-Lage bewegt, sondern in
               nehmend schwierigen Situation.                  den Seitenstraßen. Da findet man Läden,
               Wir reden über Immobilien und eine wie          die nicht eindeutig zuzuordnen sind. Das
               auch immer gewachsene Stadt-Hardware.           sind nicht nur Kauforte, da wird auch et-
               Wie lässt sich das umbauen?                     was hergestellt, da wird repariert, das sind
               Die Städte, die ihre Kernlagen nahezu           Schauräume, das sind Orte, die zum Ver-
               100% homogenisiert haben, werden mehr           weilen einladen. Es entstehen Mischfor-
               Probleme haben als jene Städte, die sehr        men zwischen privatem und öffentlichem
               viel sensibler, im wörtlichen Sinne konser-     Raum, zwischen Handwerk und Handel,
               vativer mit dieser Entwicklung umgegan-         zwischen Hightech und Kunst und nicht
               gen sind.                                       zuletzt zwischen Wohnen und Arbeiten.
                  Wir haben uns daran gewöhnt, dass der        Dies sind Ansätze, die in meinen Augen
               Handel in der Stadt funktioniert. Vermie-       Hoffnung machen, dass die Innenstadt
               ter, Eigentümer waren nicht besonders ge-       auch mithilfe einer neuen Handelskultur
               fordert, ihre Immobilien immer auf den          auch im Zeitalter der Digitalisierung Mitte
               neuesten Stand zu bringen, weil Mieten          sein könnte. Im Kern wird es darum ge-
               wie durch ein Naturgesetz jedes Jahr stie-      hen, Menschen anzuziehen, die andere
               gen. Aber wir haben jetzt einen Paradig-        Menschen treffen wollen. Die Innenstadt
               menwechsel zu gewärtigen. Man muss              der Zukunft ist mehr Platz als Markt. In
               heute zuallererst eine neue Form der Zu-        den USA ist hierfür der Begriff des ‚Place-
               sammenarbeit einüben. Ohne Kooperation          making‘ geprägt worden. Das zeigt, wohin
               zwischen allen Akteuren wird man die He-
               rausforderung, die durch den Online-Han-        »Die Option: sich auf das konzentrieren,
               del auf die Stadt zukommt, nicht bewälti-
               gen.                                            was nicht digitalisierbar ist.«
               Was kann der Handel selbst tun? Was bleibt
               noch übrig, wenn alles über den Online-         die Reise gehen sollte: Der Mensch ist ja
               „Wasserhahn“ ins Haus f ließt?                  ein soziales Wesen und ein Leben im Inter-
               Das Szenario lautet: Alles, was rationali-      net ist nicht möglich. Wir brauchen, je
               siert werden kann, wird rationalisiert. Alles   mehr wir im Internet unterwegs sind, ana-
Foto: Eataly

               was digitalisiert werden kann, wird digitali-   loge Knoten in diesem digitalen Netz, an
               siert. Wenn man von dieser Basis aus            denen wir uns gegenseitig versichern, dass
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                             wir sozial verbunden sind, dass wir uns          zu gehen. Was nicht heißt, dass der Han-
                             mit unseren Emotionen nicht nur im virtu-        del von dieser Entwicklung ökonomisch
                             ellen, sondern auch im realen Raum an-           nicht profitieren könnte. Im Gegenteil:
                             sprechen können.                                 Wer in die Stadt geht, will Urbanität erle-
                             Aber im Internet ist das Geschäft ...            ben. Meine These ist: Nur eine Handels-
                             In dem von mir beschriebenen Milieu              strategie, die an diesem Erlebnis andockt
                             müsste der stationäre Handel seine exklu-        und es zusätzlich bereichert, wird mittel-
                             sive Aufgabe suchen, die dann über den           fristig der Kannibalisierung durch den On-
                             derzeitigen Versorgungshandel weit hi-           line-Markt entgehen.
                             nausgehen würde.                                 Lässt sich das in dem Rahmen, den unsere
                                                                              Städte aktuell bilden, überhaupt umsetzen?
        »Was eine persönliche Handschrift                                     Die Anforderungen, die ich hier formulie-
                                                                              re, sind nicht einfach umzusetzen. Das
                trägt, hat sichtbar Erfolg.«                                  liegt an der städtebaulichen und architek-
                                                                              tonischen Struktur der Innenstädte. In vie-
                             Wenn die Stärke des Online-Handels die ef-       len Fällen ist die klassische kleinteilige,
                             f iziente Versorgung und die Bedarfsde-          feinkörnige Parzellenstruktur verschwun-
                             ckung ist, bleibt die Bedarfsweckung fürs        den und durch große Einheiten abgelöst
                             Stationäre?                                      worden, zunächst durch Warenhäuser und
                             Wenn wir von Bedarfsdeckung sprechen,            in den vergangenen 20 Jahren durch die
                             dann geht es wie gesagt schon heute um           Shopping-Center und Fachmärkte. Es ist
                             mehr als nur um die Dinge des alltäglichen       aber nicht nur eine Frage der Immobilien,
                             Bedarfs eines Haushalts. Die spielen für         sondern vor allem eine Frage der Mentali-
                             den Erfolg einer Innenstadt künftig eine         tät und der Bereitschaft, diesen Herausfor-
                             immer geringere Rolle. Was dagegen in            derungen unvoreingenommen gegenüber-
                             den Vordergrund treten muss, ist das An-         zutreten. Wir brauchen ein neues Denken.
                             gebot an realen sozialen Netzwerken, also        Für uns Stadtplaner heißt es, zu akzeptie-
                             Freunde wirklich zu treffen, Teil einer Sze-     ren, dass die alten planerischen Methoden,
                             ne, einer Gruppe zu sein, Gemeinschaft zu        die ja im Wesentlichen auf der Abgren-
                             finden, sich emotional wohlzufühlen.             zung von Funktionen abzielen, abgelöst
                             Wenn wir uns heute schon in diesem Sin-          werden durch ein Denken, das Kooperati-
                             ne erfolgreiche Innenstädte anschauen,           on anstrebt, das Komplexität nicht ent-
                             dann fällt mir als Erstes auf, dass immer        flechten, sondern Komplexität aufbauen
                             mehr Menschen auch und gerade im Win-            will, damit sich Synergien für Stadt und
                             ter bereit sind, sich im Straßenraum auf-        Handel entfalten können. Wir müssen da-
                             zuhalten. Der öffentliche Raum wird zum          zu einen neuen Blick auf die Innenstadt
                             eigentlichen Anker des Handels! Die Au-          werfen, uns den Immobilienbestand an-
                             ßengastronomie boomt, es eröffnen über-          hand urbaner Indikatoren wie dem „Urban
                             all Cafés, oft mit eigener Rösterei. Alles       INDEX“ anschauen. Wir müssen wissen,
                             was von Hand gemacht ist, eine persönli-         welche Umnutzungschancen in diesem
Stichwort                    che Handschrift trägt und ein lebendiges         Bestand stecken und welche Qualitäten,
                             Miteinander von innen und außen, von al-         zum Beispiel im Hinblick auf eine neue
Urban INDEX                  ter Stadt, neuem Handel und neuer                Verbindung von Wohnen und Arbeiten,
Der Urban INDEX
                             Dienstleistung generiert, hat sichtbar Er-       von Handwerk und Handel und eine neue
macht Stadtqualität
messbar. Die Analyse         folg. Wir finden zahlreiche Indikatoren für      Verbindung von Handel und Gastronomie
und Bewertung einer          eine neue soziale und wirtschaftliche In-        zukünftig gebraucht werden.
Lage geschieht mit Hil-      frastruktur, die in der Stadt entsteht. Es ist   Mit welcher konkreten Perspektive?
fe von analogen Stand-       nicht mehr das Warenhaus, das uns in die         Mit dieser kritischen Bestandsaufnahme
ort-Indikatoren. So
zeigen z.B. „Vitalität“,     Stadt zieht, oder das Shopping-Center,           lassen sich Strategien und Perspektiven
„Puls“, oder „Terroir“       oder Schnäppchen aller Art, sondern es           entwickeln, die so attraktiv sind, dass
an, wie lebendig ein         sind diese Orte. Sie versprechen einen kul-      Stadtplanung, Politik, Immobilieneigentü-
Straßenraum ist, wie         turellen und kreativen Mehrwert. Unter           mer, Einzelhändler, Dienstleister, Gastro-
vielfältig ein Quartier
genutzt wird und wie
                             möglichst interessanten Menschen zu sein         nomen, Wohnungswirtschaft und die Zi-
lokale Identität einen       und die Erfahrungen, die wir dabei zu ma-        vilgesellschaft partnerschaftlich zusam-
Ort prägt.                   chen hoffen, ist das, was uns motiviert, das     menkommen. Und nicht zunächst das Ei-
                             Haus zu verlassen und in eine Stadtmitte         geninteresse im Vordergrund steht, son-
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dern die Entwicklung als Ganzes       gorithmen und Hochtechnologie
in den Blick genommen wird. So        logistisch ersetzt werden kann.
etwas existiert noch nicht in ange-   Solche Umbruchsituationen gab
messener Weise in den Köpfen der      es auch schon zuvor, aber die, die
Vertreter der gerade genannten        wir heute haben, betrifft die Ge-
Gruppen.                              winner der vergangenen Jahre, die
Klingt nach einer großen Heraus-      Shopping-Center, die Filialisten,
forderung. Es gibt ja ein Handels-    die Fachmärkte. Daran können
format, in der das konzertierte Ar-   sich viele noch nicht gewöhnen.
beiten dirigiert wird: Sind Shop-     Was nun die Erfahrung, das Ma-
ping-Center potenzielle Gewinner?     nagement und die strategischen
Ich glaube, dass Shopping-Center      Kompetenzen der Großformen
ein überholtes Handelsformat dar-     des Handels angeht, ist es nicht
stellen, weil sie ganz konzentriert   weit her im Vergleich zu den ame-
den Charakter der Masseneinzel-       rikanischen Firmen des Silicon
handelsstruktur widerspiegeln. Es     Valley, die das tradierte Geschäft
sind nach innen gerichtete Häu-       des deutschen Einzelhandels aus
ser, die den Großteil ihrer Fläche    den Angeln heben. Diese Firmen
für Anbieter bereitstellen, deren     zeichnen sich vor allem auch da-
Waren sie auch online vertreiben      durch aus, dass sie Milliarden in
und die von neuen Playern aus         Forschung und Entwicklung in-
dem Online-Bereich herausgefor-       vestieren. Der deutsche Einzel-
dert werden. Die sind in der Lage,    handel macht zwar etwa 400 Mrd
das Geschäft mit Massenproduk-        Euro Umsatz, aber die For-
ten wie Schuhen, Elektronik usw.      schungs- und Entwicklungsbud-
sehr viel effizienter, für den Kun-   gets der Handelsfirmen ergeben
den bequemer und sogar preis-         zusammengenommen gerade mal
günstiger anzubieten, als das die     einen zweistelligen Millionenbe-
Läden im Shopping-Center kön-         trag. Wir sind leider nicht darauf
nen. Aber tatsächlich ist es immer    vorbereitet in Deutschland und
noch der wichtigste Vorteil von       Europa, was die Wissens- und In-
Shopping-Centern, dass sie alles      formationsgesellschaft von uns er-
aus einer Hand planen,entwickeln      wartet und versagen im Bereich
und betreiben können. Man hat         des Handels auch, was die neuen
den Erfolg des Ganzen im Blick        Chancen angeht.
und generiert dadurch Synergie-       Ihre Analyse muss jeden Händler,
effekte für die Einzelnen. Sie ha-    ob groß oder klein, deprimieren:
ben so einen großen strategischen     Wie soll der Turnaround gelingen?
Vorsprung vor den Städten, weil       Es gibt keinen Grund, depressiv
sie die Erfahrung der Steuerung       zu werden. Wir erleben im Mo-
komplexer Prozesse haben. Sie         ment nichts anderes als die Grün-
können Entwicklungen steuern          derzeit einer neuen Gesellschaft,
und lernen viel von anderen           einer neuen Kultur unter dem Pa-
Standorten und Konzepten. Das         radigma der Digitalisierung. Das
machen sie auch gut. Andererseits     sollte eigentlich alle motivieren,
bleibt es aber das Geschäftsmo-       Neues anzugehen, Experimente
dell, Läden unter einer Plattform     zu wagen, also nicht klagen, dass
zu arrangieren, die immer weni-       alles so schlimm ist, weil etwas zu
ger gebraucht wird.                   Ende geht. Denn so toll war das
Zentrales Management und über-        doch nicht.
greifende Erfahrungen haben auch         Die Innenstädte, die für den
die den Einzelhandel dominieren-      Handel optimiert wurden, haben
den Filialisten: Sind sie Gewinner    andererseits auch fast alles verlo-
oder Verlierer?                       ren, was sie als Stadt lebenswert
Verlieren werden tendenziell alle,    gemacht hat: die Homogenisie-
deren Geschäftsmodell durch Al-       rung auf Kosten der Urbanität. Die
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        »Gründerzeit bedeutet, dass auch                                   stadt. Eine andere Möglichkeit, die sich ab-
                                                                           zeichnet, sind Co-Working-Spaces, Orte, an
          lieb gewonnene Dinge gehen.«                                     denen man temporär allein oder mit ande-
                                                                           ren zusammenarbeiten kann. Die urbane
                          Digitalisierung ist umgekehrt ja im Grun-        Lage besitzt ja die Qualität der guten Er-
                          de genommen die ideale Technologie für           reichbarkeit, der sozialen und technischen
                          eine kleinteilige, individualisierte, persona-   Infrastruktur. Auch der Handel selbst hätte
                          lisierte Kultur des Handels, aber auch des       in diesem System eine Chance. Die Ver-
                          Handwerks und anderer Funktionen. Man            bindung mit Handwerk, Fertigung, Repa-
                          muss natürlich sehen, dass dieser Um-            ratur mit personalisierter Anpassung von
                          bruch nicht zu dramatischen Verwerfun-           Produkten an individuelle Wünsche mit ei-
                          gen führt, sprich: Leerstand, das Abbre-         ner je besonderen Aufenthaltsqualität. Ich
                          chen der Handelstraditionen in den Städ-         sehe eine Innenstadt vor mir, die weiterhin
                          ten, was in der Tat droht. Andererseits          von vielen Menschen aufgesucht wird, die
                          müssen wir sehr viel mehr wagen im Hin-          aber dort viel entspannter unterwegs sind
                          blick auf neue Modelle, neue Ideen, was          als heute, die die Individualität des Ortes
                          die Stadt und der Handel in Zukunft leis-        genießen.
                          ten sollen.                                      Wie weit ist der Weg dahin?
                              Deprimierend ist, dass der Einzelhandel      Entscheidend ist, zu erkennen, dass es sich
                          selbst sich noch so wenig bewegt.                nicht um eine normale Strukturanpassung
                          Es werden Flächen verkleinert ...                handelt. Dies ist vielen Immobilieneigen-
                          Ja, die Filialisten sehen diese Entwicklun-      tümern der Innenstädte so nicht bewusst.
                          gen und versuchen, das Beste daraus zu           Es gibt ja eigenartigen Leerstand in den In-
                          machen. Viele reduzieren erst einmal Flä-        nenstädten aus einem ganz einfachen
                          chen, einige nutzen den Laden nur noch           Grund, weil die Immobilieneigentümer
                          als Showroom, andere konzentrieren sich          nicht bereit sind, ihre Mieten der neuen
                          auf Flagship-Stores in Metropolen oder           Lage anzupassen. Das ist ein Indikator für
                          großstädtischen Zentren und ziehen sich          die Verweigerung einer neuen Blickrich-
                          aus den Klein- und Mittelstädten zurück.         tung. Gründerzeit bedeutet, dass auch lieb
                          Das sind so Versuch- und Irrtumsprozesse,        gewonnene Dinge gehen, bei allem Ver-
                          die in solchen Umbruchsituationen ganz           ständnis dafür, daran festzuhalten. Die Zu-
                          normal sind. Sie ändern aber nichts an der       kunftsformel des Einzelhandelsverbands,
                          Tatsache, dass in vielen Städten zwei Drittel    nach der der Laden nicht verschwinden
                          und mehr der Läden dieser Filialisten nur        und es eine Kooperation zwischen statio-
                          Abspielorte einer standardisierten Han-          närem und Online-Handel geben wird, ist
                          delskultur sind, für die ich schwarz sehe.       in der jetzigen Lage vielleicht gar nicht an-
                                                                           ders zu formulieren. Aber die Idee sollte
 »Die Innenstadt der Zukunft kann der                                      sein, je stärker die Digitalisierung voran-
                                                                           schreitet, die analogen Qualitäten als kom-
analoge Anker im digitalen Meer sein.«                                     plementäre, kompensatorische Qualitäten
                                                                           in den Fokus des Planens und des Den-
                          Was ist Ihre Stadtvision?                        kens zu rücken.
                          Es wird in Sachen Einzelhandel Ausnah-              Es wird noch viel passieren im digitalen
                          men geben, was die großen Zentren in den         Raum. Das Bedürfnis nach Stadtqualität,
                          Metropolen angeht. Die Stadtlandschaft,          nach schönen Räumen, nach kohärenten,
                          die wir in Deutschland haben, die geprägt        konturierten Stadtbildern wird umso stär-
                          ist von Mittelstädten und Kleinstädten,          ker sein, je mehr wir im digitalen Raum
                          wird den Handelsbesatz, wie wir ihn heute        unterwegs sind. Die Innenstadt der Zu-
                          sehen, so nicht mehr behalten können.            kunft kann der analoge Anker im digitalen
                          Wir brauchen neue Frequenzbringer in             Meer sein und der Handel kann sich auf
                          den Städten. Die Schulen, Universitäten          diese Perspektive einstellen und sich fra-
                          und Weiterbildungsinstitutionen sind Kan-        gen, was der Mensch in diesem analogen
                          didaten, die in leer stehende Großhandels-       Hafen braucht, um diese Bedürfnisse zu
                          flächen einziehen könnten. In den USA            befriedigen und damit Geld zu verdienen.
                          gibt es da sehr schöne Beispiele. Das bringt
                          vor allem eine neue Klientel in die Innen-       Die Fragen stellte Thomas Wilking
                                                                                        Erschienen im buchreport.magazin 9/2017
Buchreport - Was der Handel tun kann - Libri GmbH
buchreport.sortiment: Frequenz

          Franziska
           Hampel
     arbeitet seit knapp
  3 Jahren bei Libri und
verantwortet die Abtei-
        lung Marketing.
 Vorher hat sie über 10
 Jahre Berufserfahrung
    auf Unternehmens-
    und Agenturseite in
 den Bereichen Marke-
ting, PR und Strategie-
  und Markenberatung
            gesammelt.

»Der Einzelhandel muss wieder
mehr an Relevanz gewinnen«
Der Libri.Campus wird neu aufgestellt und noch stärker auf die Praxis zugeschnitten.
Franziska Hampel erklärt, wie Libri wieder mehr Schwung in den Handel bringen will.

Seit 15 Jahren bietet Libri seinen      Der Einzelhandel braucht eine           Verleger und Buchhändler verbin-
Kunden mit dem Libri.Campus             neue, eine starke Funktion – er         det eins: Sie helfen Geschichten auf
praktische Antworten auf aktuelle       muss an Relevanz gewinnen. Hier         die Welt zu kommen.
Herausforderungen. Jetzt wird das       gibt es bereits viele tolle Ideen und   Wie wird die Buchhandlung zum
Konzept neu ausgerichtet. Im Inter-     Stellschrauben. Das kommt na-           Dritten Ort?
view erklärt Franziska Hampel, bei      türlich ganz auf das Angebot der       Andreas Meyer und Arnd Roszin-
Libri verantwortlich für Presse und     Buchhandlung an. Zentrale Fragen        sky-Terjung haben es auf dem letz-
Marketing, was sich ändert und wie      dabei sind: Wie können wir ge-         ten Libri.Campus gut auf den
Libri Buchhändler künftig mit prak-     meinsam Orte attraktiver gestalten,     Punkt gebracht: Um für das Publi-
tischen Lösungen begleiten will.        um die Anziehungs- und Aufent-          kum relevant zu sein, muss zum ei-
Was sind aktuell die größten Proble-    haltsqualität zu verbessern? Das        nen die Stimulanz gesteigert und
me im Handel?                           heißt, wie kann die Buchhandlung        zum anderen, eine Gemeinschaft
Das Käuferverhalten ändert sich –      zum sogenannten dritten Ort zwi-        aufgebaut werden. Dazu braucht es
in der Folge auch der Handel. Die       schen Arbeit und Zuhause werden?        natürlich vor allem eins: Authenti-
Auswirkungen zeigen sich inzwi-             Als ich vor kurzem auf der drit-    zität! Und was uns allen schwer
schen deutlich: Digitalisierung, ve-    ten Indiebooknight vom Harbour          fällt: Sich die Zeit für Veränderun-
rändertes Mediennutzungsverhal-        Front Literaturfestival dem Mare-       gen zu nehmen. Neues auszupro-
ten, Informationsflut, Frequenzver-     Verleger, Nikolaus Gelpke, ge-          bieren und mutig zu sein.
lust, Verödung der Innenstädte etc.   lauscht habe, wurde mir klar, dass      ... und wie begleitet Libri die Händ-
Im Kern dreht sich alles um die         die Stellschrauben für Erfolg die      ler dabei?
Frage: Wie mache ich den statio-        Gleichen sind: Ein klares Profil,       Wir bei Libri verstehen uns als Part-
nären Handel in einer vernetzten       mit dem man sich vom Wettbewerb         ner des Buchhandels. Das heißt
Welt unersetzlich?                      abgrenzt, Zielgruppenverständnis,       auch, dass wir gemeinsam Verän-
Wie lautet Ihre persönliche Antwort     Mehrwerte und Überraschungen.           derungen angehen und die Zu-
                                                                                                                        Foto: Libri

auf die Frage?                          Und ganz wichtig: Begeisterung!         kunft gestalten. Seit 15 Jahren ver-
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anstaltet Libri in Kooperation mit     Alle sind willkommen, natürlich           dreas Meyer und Arnd Roszinsky-
dem BuchmarktForum den Li-             auch Buchhändler!                         Terjung – sowie Alexander v. Key-
bri.Campus – der sich zur größten        Mehr Informationen bald unter          serlingk geben (s. Kasten).
Weiterbildungsveranstaltung       im   www.libri.de/booklab.                        Dort werden Beispiele von Buch-
unabhängigen Buchhandel entwi-         Können Sie kurz erklären, was man         handlungen präsentiert, die sich als
ckelt hat, und jedes Jahr aktuelle     sich darunter vorstellen kann?            „Dritter Ort“ aufgestellt haben oder
Branchenthemen aufgreift. Auch         Ein Hackathon setzt sich aus den          auf dem Weg dorthin sind. Und es
der Libri.Campus in Bad Hersfeld       Begriffen „Hacken“ und „Mara-             bietet sich die Gelegenheit, eigene
steht vor großen Veränderungen.        thon“ zusammen. Er bietet Gele-           Pläne in diese Richtung zu disku-
Nach 15 Jahren übergeben Arnd          genheit, Ideen in Rekordzeit auf die      tieren oder weiterzuentwickeln.
Roszinsky-Terjung und Andreas          Beine zu stellen. Hier arbeiten              Für alle, die nicht vor Ort dabei
Meyer das Staffelholz...               ganz unterschiedliche Menschen            sein können, werden wir im An-
Andreas Meyer: Man muss auf-           mit unterschiedlichen Erfahrungen         schluss berichten.
hören, wenn es Superlative hagelt.
Arnd Roszinsky-Terjung: Wir bleiben
dem Libri.Campus freundschaft-
                                       »Die Libri-Angebote werden noch stärker
lich verbunden, doch nach 15 Jah-      verzahnt und praxisnaher. Damit reagieren
ren fanden wir es an der Zeit, ein
Signal für eine neue Campus-Gene-      wir auch auf die Quo-vadis-Studie.«
ration zu geben.
Franziska Hampel: Momentan erar-       und Perspektiven zusammen. Das            Was wollen Sie mit buchreport.sorti-
beiten wir ein neues Konzept für       heißt, innerhalb von 2,5 Tagen ent-       ment erreichen?
den Libri.Campus und berücksich-       stehen greifbare Ergebnisse.              In Zeiten der Informationsflut wol-
tigen dabei auch das ergänzende        Und wie soll der Hackathon mehr           len wir gute und hilfreiche Inhalte
Weiterbildungsangebot der Li-          „Schwung in den Handel“ bringen?          bündeln und quartalsweise ein kos-
bri.Akademie. Die Libri-Angebote       Es geht um die Zukunft des Buch-          tenloses Dossier zur Verfügung
werden noch stärker verzahnt und       handels und um die Frage: Aus wel-        stellen. Oft fehlt im Alltag die Zeit,
praxisnaher.                           chen Ideen lassen sich erfolgreiche       einen Artikel konzentriert zu lesen
    Damit reagieren wir auch auf die   Konzepte und Lösungen, schnell            und sich eigene Gedanken zu ma-
Quo-vadis-Studie und möchten den       adaptierbare Ideen oder visionäre         chen. Alle drei Monate erscheint
Buchhändlern Handwerkszeug für         Ansätze entwickeln? Alles, was            uns ein guter Rhythmus, um ge-
Veränderungen und Herausforde-         Menschen für Geschichten, Bücher          danklich zurück und nach vorne zu
rungen im Markt wie etwa zu den        und das Lesen begeistert, sie in den      blicken.
Themen Multichannel oder Perso-        Buchhandel lockt und zum Verwei-          Was können die Buchhändler inhalt-
nalbedarf mitgeben. Die Umfrage-       len einlädt, sie zu Fans, Multiplika-     lich erwarten?
ergebnisse des letzten Libri.Cam-      toren oder Stammkunden macht!             Buchhändler erhalten viermal im
pus helfen uns bei der Neuausrich-     Können Sie einige Buchhändler nen-        Jahr ausgewählte Beiträge mit ho-
tung. Für Ideen und Anregungen         nen, die die Impulse vom Libri.Cam-       her Praxisrelevanz, die Ideen und
sind wir immer dankbar! Dabei          pus aufgegriffen und sich positiv         Tipps geben.
müssen wir uns auch bewusst ma-        verändert haben?                             Wir hoffen, dass wir damit Im-
chen, dass wir nicht alles auf einen   Auf der Frankfurter Buchmesse             pulse geben, die auch in der Praxis
Schlag ändern können. Wir gehen        wird es dazu eine Praktiker-Session       wirken. Ganz nach dem Motto: Ein-
Stück für Stück vor und testen da-     mit dem BuchmarktForum – An-              fach mal machen!
bei auch neue Ideen und Formate.
Können Sie schon mehr verraten?          Frankfurter Buchmesse 2018
Hampel: Im Januar wagen wir ei-
nen Blick über den Tellerand unse-
rer Branche. Das heißt, wir wollen
                                         Die Buchhandlung als Dritter Ort
nicht nur mit Buchmenschen neue          Andreas Meyer und Arnd Roszinsky-Terjung vom BuchMarktForum sowie Berater
Ideen finden, sondern eine bunte         Alexander v. Keyserlingk präsentieren auf der Frankfurter Buchmese 2018 Beispiele
Mischung einbinden, die Lust hat,        von Buchhandlungen, die sich als „Dritter Ort“ aufgestellt haben oder auf dem
                                         Weg dorthin sind. Buchhändlerinnen und Buchhändler sind herzlich eingeladen, ei-
Lösungen zu finden.
                                         gene Pläne in diese Richtung zu diskutieren oder weiterzuentwickeln.
    Vom 24. bis 26. Januar 2019 ini-
tiiert Libri einen sogenannten
                                         ■ Termin: Samstag, 13.10.2018, 11 bis 12 Uhr
Hackathon: „BookLab – Neuer
Schwung für Buch und Handel“.            ■ Ort: Frankfurter Buchmesse, Libri-Stand Halle 4.0, Stand F 11
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H A N D E L Die Kleinstadt Aschersleben setzt auf eine »Analoge Agenda«.
Veranstaltungen sollen für Attraktivität und Aufenthaltsqualität sorgen.
Atmosphäre, Authentizität, Aura lauten die Schlagworte der Neuerfindung.

Die analoge Agenda für
eine neue Handelskultur
                             „Lasst den Quatsch!“ Die klare Ansage         Die Umbrüche haben Spuren in der Ein-
                             klingt Martin Lampadius noch immer im         zelhandelslandschaft hinterlassen. Als En-
                             Ohr. Der Vorsitzende der Kaufmannsgilde       de 2002 die letzte Buchhandlung dicht
                             Aschersleben hatte mit seinen Einzelhan-      macht, ruft dies die Wirtschaftsförderer der
                             delskollegen in der Kleinstadt am Nord-       Stadt auf den Plan, schon weil dies nicht
                             ostrand des Harzes ehrgeizige Pläne, mit      zum neu gepflegten Image als Schul- und
                             einem regionalen Online-Angebot die Ab-       Behördenstadt passt. Auch Martin Lampa-
                             wanderung der Kunden zu großen Online-        dius ist dabei, animiert seinen buchaffinen
                             Shops zu stoppen.                             Schwiegervater Friedrich Steinmetzer zur
                                Das Kopfschütteln darüber kam von          Gründung des heutigen Buchhauses am
                             Wolfgang Christ: „Ihr werdet nicht das        Markt. Die Buchhandlung wurde mittler-
                             Amazon von Aschersleben.“ Der Architekt       weile von seiner Tochter Beatrix Lampadi-
                             und Stadtplaner Christ ist in der Region      us übernommen, die allerdings als Orches-
                             bekannt aus seiner Zeit als Professor an      termusikerin und Musikpädagogin nicht
                             der Bauhaus-Universität in Weimar und         aktiv im Unternehmen mitarbeitet.
Aschersleben-Panorama
                             ein gefragter Gesprächspartner etwa bei          Das Kaufmännische der Buchhandlung
(auf der rechten Seite):
                             bei IHK-Veranstaltungen in Magdeburg          hat Martin Lampadius, hauptberuflich Ge-
▪ Autorenlesung im
                             und Halle. Der einzige Weg sei, so sein Rat   schäftsstellenleiter beim Dumont-Anzei-
Buchhaus am Markt mit
                             an die Ascherslebener Kaufmannsgilde,         genblatt-Verlag Wochenspiegel, im Blick.
Krimi-Autor Stephan
                             die Stadt attraktiver zu machen.              Der sagt, er sei nicht unzufrieden, kann
Ludwig („Zorn“, Fischer)
                                                                           sich aber auch den Branchentrends nicht
▪ Anlauf zu einem mo-
                             Handel spürt Strukturwandel                   entziehen: Die 180-qm-Buchhandlung,
natlichen Bio- und Bau-
                             Die äußeren Voraussetzungen sind nicht        Mitglied der eBuch-Genossenschaft und
ernmarkt
                             schlecht: Aschersleben verfügt über ein       angeschlossen ans Genialokal-Onlineshop-
▪ Mittelalterlich gepräg-
                             mittelalterlich geprägtes Stadtbild und ei-   System, erwirtschaftet rund 500.000 Euro
tes Stadtbild (Rathaus)
                             ne Einzelhandelszentralität von über 100,     mit leichten Rückgängen im Kerngeschäft,
▪ City-Inszenierung mit
                             heißt: Der Standort bindet deutlich Kauf-     die durch die leichten Online-Zuwächse
„Lichtereinkauf und lan-
                             kraft aus den umliegenden Einzugsgebie-       nicht kompensiert werden.
ger Abendöffnung
                             ten. Die Stadt kämpft allerdings immer           Die Stammkundschaft ist wohl treu,
▪ Kaufmannsgilde-Vor-
                             noch mit den Disruptionen der „Wende“.        aber der örtliche Einzelhandel spürt insge-
stand Martin Lampadi-
                             Nach dem Ende der DDR wurden Anfang           samt die Erosion durch den Online-Han-
us, dessen Familie auch
                             der 1990er Jahre große Industrieunterneh-     del. Auch in Aschersleben waren die Ein-
die Buchhandlung am
                             men, eine Papierfabrik, ein Textilprodu-      kaufsstraßen und Läden schon mal besser
Markt gegründet hat.
                             zent und ein Karosseriewerk geschlossen,      frequentiert. Dafür drehen die Paketdiens-
                             verbunden mit einem massiven Abwande-         te ihre Runden. Die Ascherslebener Kauf-
                             rungseffekt.                                  mannsgilde hat Handlungsbedarf.
                                Die Einwohnerzahl hat sich mittlerweile
                             auch durch Eingemeindungen bei 27.000         Zusammenarbeiten oder untergehen
                                                                                                                          Fotos: Jens Dammann

                             Einwohnern stabilisiert, allerdings ist die   Die Gilde ließ sich von Wolfgang Christ bei
                             Kaufkraft beeinträchtigt durch eine immer     ihren ambitionierten Online-Plänen aus-
                             noch zweistellige Arbeitslosenquote.          bremsen, der sollte dann aber auch eine
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10 Leitsätze für die »Analoge Agenda«                                          del mit Eigenschaften, die das Internet
                                                                               nicht bieten kann, mit einer Handelskultur
Zehn schlagwortartige Leitsätze sollen helfen, die Analoge Agenda des          mit dreifachem A: Atmosphäre, Authenti-
stationären Handels in Zeiten des digitalen Strukturwandels in die             zität und Aura. Für Aschersleben werden
Praxis umzusetzen. Adressat sind alle, die an der Entwicklung von              Projektbausteine vorgeschlagen, die die
Stadt und Handel mitwirken:                                                    Stadtmitte analog stärken sollen. Dabei
1. Liebe DEINE Stadt.                                                          macht der Stadtplaner klar, dass „in die
2. Stelle alles auf den PRÜFSTAND.
                                                                               Stadt gehen“ nicht mehr in erster Linie von
3. Begreife das Internet als ÖKOSYSTEM.
                                                                               der Motivation des Einkaufens getragen
4. Serviere WEIN statt Wasser.
5. Begreife die Innenstadt als MITTE für alle.                                 wird (s. Agenda-Auszüge beginnend auf
6. Mach die STRASSE zum real existierenden sozialen Netzwerk.                  der rechten Seite).
7. Mach Deinen Laden zum FLAGSHIP Deiner Stadt.
8. Mach Deine Stadt zur MARKE.                                                 Lichtereinkauf und Grüner Markt
9. Investiere in SCHÖNHEIT.                                                    Ist das Papier geduldig oder weht bereits
10. Handele als TEAMPLAYER.                                                    der „Agenda“-Wind durch Aschersleben?
Quelle: Wolfgang Christ/Urban Index Institut                                   Kaufmannsgilde-Vorstand Martin Lampa-
                                                                               dius spricht von einem neuen Blick auf die
                                                                               Stadt und dem Versuch, sie „mit allen Sin-
                                Alternative liefern. Der Stadtplanungspro-     nen“ erfahrbar zu machen. Die im Som-
                                fessor wurde beauftragt, eine „Analoge         mer 2017 vorgestellte Agenda gilt im übri-
                                Agenda Aschersleben“ zu erstellen, die er      gen als langfristig angelegtes Projekt. Bis-
                                im Sommer 2017 im Kulturzentrum Grau-          her sind kleine demonstrative Maßnah-
                                er Hof präsentierte. „Zusammenarbeiten         men verwirklicht worden, die die Beteilig-
                                oder zusammen untergehen“, fasste die          ten bindet:
                                „Mitteldeutsche Zeitung“ die Botschaft von     ■ Ende 2017 ist die Stadt erstmals weih-
                                Wolfgang Christ zusammen, der für poin-        nachtsbeleuchtet worden.
                                tierte Einlassungen bekannt ist und für ein    ■ Der „Lichtereinkauf“ zum Adventstart
                                radikales Umdenken von Händlern, Ver-          mit langer Abendöffnung, Glühwein, Geba-
                                mietern und Kommunen wirbt.                    ckenem und Musik wird weiter kultiviert.
                                   In einem gr0ßen buchreport-Interview        ■ Ein Bio- und Bauernmarkt („Grüner
                                hatte der Stadtplaner sogar für eine „neue     Markt“) soll einmal im Monat in die Stadt
                                Gründerzeit“ plädiert. Damit hat er auch       locken, ist allerdings abhängig von den
                                das Motto für eine buchreport-Veranstal-       Marktbeschickern.
                                tung am 1. März in Dortmund gesetzt („In-      ■ Mehr Parkbänke sollen die Aufenthalts-
                                nenstadt und Handel: Chancen einer neu-        qualität erhöhen.
                                en Gründerzeit“), bei der Christ der Key-          „Alles nichts Außergewöhnliches, aber
                                note-Sprecher ist (s. Kasten auf S. 13).       kleine Bausteine“, sagt Lampadius, der an-
                                                                               sonsten versucht, die Einzelhändler in Sa-
                                Eine Agenda für den Stadthandel                chen Öffnungszeiten und bei der Abstim-
                                Die „Analoge Agenda Aschersleben“ ist ei-      mung über verkaufsoffene Sonntage auf
                                ne Fallstudie für die Optionen des lokalen     eine Linie zu bringen. Und: Die Stadt hat
                                Einzelhandels. Ausgangsthesen:                 immerhin kürzlich einen hauptamtlichen
                                ■ Die Zukunft des Handels wird sich im         City-Manager bestellt.
                                Ökosystem des Internets abspielen mit der          Dem Appell von Stadtplaner Wolfgang
                                Tendenz der Ablösung des stationären           Christ, dass sich alle Beteiligten in der Stadt
                                Handels traditioneller Prägung.                als Teamplayer verstehen mögen, werde zu-
                                ■ Allein Unternehmen mit entsprechen-          nehmend gefolgt. Mit jeder erfolgreichen
                                dem Know-How, Kapital und Marktzugang          Aktion wachse auch die Bereitschaft von Fi-
                                werden in der Lage sein, die Potenziale der    lialbetrieben, sich zu beteiligen.
                                Digitalisierung effizient und effektiv aus-        Profitieren soll natürlich auch die eigene
                                zuschöpfen.                                    Buchhandlung, wobei Martin Lampadius
                                ■ Die „kleinen“ Einzelhändler spielen in ei-   weiß, dass Bücher und das Lesen derzeit un-
                                ner anderen Liga. Der Stadthandel braucht      abhängig von der Einzelhandelsszene Ge-
                                eine eigene Agenda im digitalen Wandel.        genwind spüren. Es gebe zu viel „Zeiträu-
                                   Christ entwickelt Ziele und Wege für ei-    ber“ für die Ruhe fordernde Buchlektüre.
                                nen konkurrenzfähigen stationären Han-         Thomas Wilking wilking@buchreport.de
                                                                                           Erschienen im buchreport.magazin 2/2018
buchreport.sortiment: Frequenz

                                                                                                                                     Ideen für eine Stadt:
                                                                                                                                     Prof. Wolfgang Christ (l.)
                                                                                                                                     hat Anfang Juli 2017
                                                                                                                                     seine Ideen unter der
                                                                                                                                     Überschrift „Analoge
                                                                                                                                     Agenda Aschersleben –
                                                                                                                                     Stadt und Handel im
                                                                                                                                     digitalen Wandel“ vorge-
                                                                                                                                     stellt. Es richtete sich an
                                                                                                                                     die örtlichen Einzelhänd-
                                                                                                                                     ler und die Stadt. Bot-
                                                                                                                                     schaften: Ohne Handel
                                                                                                                                     sterbe eine Stadt und
                                                                                                                                     alle Beteiligten müssten
                                                                                                                                     zusammenarbeiten.

                                    »Analoge Agenda Aschersleben«
                                    Entwicklungsansätze für die Kleinstadt Aschersleben als beispielhafte Fallstudie
                                    Die Innenstadt als Einkaufsort steht nach der Herausforderung durch               eine überschaubare Ausstellung,
                                    Einkaufszentren auf der grünen Wiese aktuell noch stärker unter Anpas-            ein Fest oder ein Festival etc. und
                                    sungsdruck durch den digitalen Wandel. Die ökonomische, soziale und kul-          groß genug, Vielfalt und Spannung
                                    turelle Infrastruktur entwickelt sich neu auf der Basis des Internets, sagt der   zu bieten.
                                    Stadtplaner Wolfgang Christ: Der Stadthandel brauche eine eigene, neue               Die Herausforderung liegt da-
                                    Agenda im digitalen Wandel.                                                       rin, das Profil der Mitte im Drei-
                                       Es gibt nicht die Agenda, die jedem Ort überzustülpen ist. Für die Klein-      klang von Stadt, Handel und Insze-
                                    stadt Aschersleben in Sachsen-Anhalt hat Christ einige Bausteine ent-             nierung zu schärfen. Dazu gehört
                                    wickelt. Die „Analoge Agenda Aschersleben“, im folgenden deutlich gekürzt         die Choreographie von Läden und
                                    dokumentiert, zeigt am Beispiel wo Ansatzpunkte liegen können.                    Lagen, mit dem Ziel Synergie-
                                                                                                                      effekte zu erzielen. Leerstand ist
                                    Die Analoge Agenda Aschersleben         Projektbausteine für einen konkur-        dann eine Chance für neue Per-
                                    ist ein langfristig angelegtes Stadt-   renzfähigen Einzelhandelsstandort         spektiven.
                                    entwicklungsprojekt. Es soll das        Stadtmitte:
                                    Prinzip gelten, dass die Digitalisie-                                             Stadtmitte konturieren
                                    rung nicht das Problem, sondern         Stadthandel kuratieren                    Wer in die Stadt geht, versteht da-
                                    die Chance für eine stadtgerechte       So wie ein Kurator üblicherweise          runter üblicherweise immer noch,
                                    und urban nachhaltige Handelskul-       für die künstlerische Zusammen-           in die Mitte zu gehen. Je mehr Am-
                                    tur darstellt. Damit diese Option       stellung einer Ausstellung oder das       biente als Wert geschätzt wird, desto
                                    auch eingelöst werden kann, gilt es,    Profil eines Festivals verantwort-        dringender ist es, die Mitte räumlich
Foto: Kaufmannsgilde Aschersleben

                                    sich auf lokale Identität, Unverwech-   lich ist, müsste ein Kurator für den      deutlich erfahrbar zu machen. Wie
                                    selbarkeit und Einzigartigkeit der      Stadthandel die vor Ort vorhande-         Kino und Theater, aber auch Kir-
                                    Stadt zu stützen, um die Schätze der    nen Potenziale sichten, ergänzen          chen und Shopping-Center demons-
                                    Ambiente-Strategie zu heben: At-        und zielgenau neu mischen.                trieren, wirkt Atmosphäre umso in-
                                    mosphäre, Authentizität und Aura.       Aschersleben ist klein genug für          tensiver, je gestimmter ein Raum
buchreport.sortiment: Frequenz

                                                                             Wegeabschnitte tritt jedoch nicht
                                                                             deutlich genug zu Tage. Sinnvoll
                                                                             wäre es, die ablesbare Clusterbil-
                                                                             dung weiter zu stärken und atmo-
                                                                             sphärisch aufzuladen. An den
                                                                             Schnittpunkten fehlen die sichtba-
                                                                             ren Anreize für einen „Eintritt“.
                                                                             Die jeweils hochwertige baulich-
                                                                             räumliche Fassung der Lauflage
                                                                             ist zusammen mit den Platzräu-
                                                                             men an den Ecken wie geschaffen
                                                                             für die Rolle als Rückgrat des
                                                                             Handels in der Stadtmitte.

                                                                             Kauf lage fördern
                                                                             Individuelle Angebote für Waren
                                                                             und Dienstleistungen sind oft nicht
                                                                             an den Mainstream-Lagen ökono-
                                                                             misch machbar. Die Miete ist zu
                                                                             hoch und die Fläche vielleicht zu
                                                                             groß. Besondere Angebote erfor-
                                                                             dern aber auch besondere Lagen.
                                                                             Exklusive Konzepte suchen ein
                                                                             städtebaulich und atmosphärisch
                                                                             passendes Umfeld. Es kommt also
                                                                             weniger auf die üblichen Standort-
                                                                             anforderungen wie ausreichende
                                                                             Parkplätze oder Sichtbarkeit im
                                                                             Straßenraum an. Auch Öffnungs-
                                                                             zeiten weichen vom Üblichen ab.
                                                                             Der Einzugsradius geht oft weit
                                                                             über die Stadt hinaus. Die Kommu-
                                                                             nikation mit einem begrenzten
nach innen und abgeschlossener         in der Regel ein vielfältiges Ange-   Kundenkreis läuft über das Inter-
nach außen ist. Es wäre also hilf-     bot an Gütern des täglichen und       net und hat den Charakter einer
reich, wenn der Einzelhandel in der    aperiodischen Bedarfs. Sie bieten     Community. Kommen diese Krite-
Stadtmitte räumlich-gestalterisch      zudem Anreize zum Bummeln und         rien zusammen, dann sprechen
konturierter auftreten könnte. Es      Verweilen. Dies ist hier nur einge-   wir von einer „Kauflage“.
sollte möglich sein, die Handelsmit-   schränkt der Fall. Die wechselnde        Im Unterschied zur Lauflage be-
te als Bild zu fassen – und das dann   verkehrliche Widmung der Lauf-        treten Kunden den Laden gezielt
auch nach außen zu vermitteln.         lage verhindert den Eindruck eines    mit der festen Absicht einzukau-
                                       an sich klaren Zusammenhangs.         fen. Die Persönlichkeit des Laden-
Lauf lage formen.                         Entscheidender ist die fehlende    besitzers wirkt genauso anziehend
Als Lauflage hat sich in Aschersle-    gestalterische Bindung und Orien-     wie das Ambiente innen und au-
ben ein Rechteck aus vier Straßen      tierung. Die Form des Rechtecks       ßen. Aschersleben sollte gezielt
etabliert. Das Einzelhandelsgutach-    eignet sich zwar hervorragend als     ein Kauflagen-Management betrei-
ten von 2014 definiert hier die        „Merkgerüst“. Das Konsum-Profil       ben. Dabei sollten Synergieeffekte
1a-Lage der Stadt. Lauflagen bieten    der vier vergleichsweise kurzen       zwischen den Läden und dem
                                                                             Quartier – meist eher von Wohnen
                                                                             geprägt – angestrebt werden.
»Besondere Angebote erfordern auch
                                                                             Stadt im Angebot
besondere Lagen. Exklusive Konzepte                                          In der Vergangenheit stand die Wa-
suchen ein städtebaulich und atmos-                                          re, das Produkt im Mittelpunkt von
                                                                             Angebot und Nachfrage. Heute
phärisch passendes Umfeld.«                                                  dreht sich alles um Marken und die
buchreport.sortiment: Frequenz

von ihnen transportierten Botschaf-
ten. Der Stadthandel muss die An-
                                       »Die Potenziale des Handels: Unmittel-
sprache von Emotion und Lebens-        barkeit, persönliche Beratung, Genuss des
gefühl noch erweitern und Wa-
re / Produkt / Marke mit der exklu-    öffentlichen Raumes, heimatliche
siven Note „Stadt“ verknüpfen.
Stadt ist ein Werbeträger und das
                                       Verbundenheit, persönliche Bindungen ...«
sollten die Kaufleute offensiv nut-
zen. Die Kundenansprache sollte        27 – 65 Jahre, eher weiblich. Face-   Album „Mein Aschersleben“ veröf-
„Stadt im Angebot“ haben.              book wäre die passende Plattform.     fentlicht. Langfristig ist auch eine
    Für Aschersleben heißt das:           Das „Netzwerk Aschersleben“        Publikation als Buch möglich, in
Das eigentliche Werbe-Kapital ist      könnte u.a. umfassen:                 dem die Fotografen die persönliche
die Stadt in ihrer ganzen Vielfalt     ■ ein gemeinsamer Auftritt der        Geschichte zum Bild erzählen.
und Schönheit! Die Ausstattung         Aschersleber Gewerbetreibenden            Sinn und Zweck des Netzwerks
des Handelsangebots in der Stadt-      ■ Fokus auf Dialog, Service, Com-     ist die verstärkte Bindung der Ein-
mitte ist zu begrenzt, um allein mit   munity (keine stumpfe Werbeplatt-     wohner sowie der „Freunde“ der
dem Warenangebot in der Konkur-        form)                                 Stadt und ihres Handels an die In-
renz mit anderen Standorten,           ■ Präsentation des Potenzials der     nenstadt. Kundenwünsche können
Nachbarkommunen und dem In-            Innenstadt                            erfasst und Optimierungsmöglich-
ternet zu punkten. In jedem Fall       ■ Bindung, persönlicher Kontakt,      keiten abgefragt werden. Interakti-
geht es darum, die Anziehungs-         „Wir-Gefühl“                          on und Dialog dienen der direkten
kraft der Mitte zu erhöhen und die     ■ Austauschplattform der lokalen      Zielgruppenansprache.
Verweildauer zu verlängern. Die        Anwohner für Tipps, Hilfegesuche,
Stadt ist so vielfältig aufgestellt,   Hilfsangebote, nicht kommerziel-
dass damit auch ein permanentes        ler Verkauf etc.                      Die Projektbausteine sind eine Zu-
Problem des Einzelhandels ange-        ■ Hashtag #MeinAschersleben: An-      sammenfassung der Studie „Analo-
gangen werden könnte: Der Zwang        wohner zeigen ihren persönlichen      ge Agenda Aschersleben“ von Prof.
nach ständiger Veränderung, nach       Blick auf die Stadt. Die besten Fo-   Wolfgang Christ | Urban Index Insti-
immer neuen Anreizen für einen         tos werden auch auf der Seite im      tut | www.ui-institut.de
Ladenbesuch.
    Die ‚Verlinkung’ mit den Stadt-
bausteinen müsste sich nach au-
ßen in einer entsprechend aufge-
bauten Corporate Identity auch
visuell vermitteln.

Netzwerk Aschersleben
Die Potenziale des Handels in der
Innenstadt sind u.a: Unmittelbar-
keit, persönliche Beratung, baukul-
turelle und städtebauliche Schön-
heit, Genuss des öffentlichen Rau-
mes, heimatliche Verbundenheit,
persönliche Bindungen und Bezie-
hungen, Real-Life Shopping etc.          Vortrag von Wolfgang Christ
Der Vorschlag ist, die analogen Po-
tenziale online erfahrbar zu ma-
chen, damit z.B. die lokale Verbun-
                                         10 Bausteine für die Innenstadt
denheit zu stärken, städtische Vor-      In seinem Vortrag auf der buchreport-Veranstaltung „Innen-
züge und Geschichte zu vermitteln,
                                         stadt und Handel: Chancen einer neuen Gründerzeit“ hat
persönliche Kundenbindung zu
festigen, eine Community aufzu-          Stadtplaner Wolfgang Christ 10 Bausteine für die Zukunft
bauen, Austausch und Dialog in ei-       des Innenstadthandels entwickelt. Zur Video-Aufzeichnung:
nem eigenen Netzwerk zu pflegen.
Zielgruppe: regional und begrenzt        www.buchreport.de/christ-video
überregional, mittelständisch,
buchreport.sortiment: Frequenz

RÜCKBLICK Nach 15 Jahren startet der Libri.Campus mit neuem Konzept.
Die Organisatoren, Arnd Roszinsky-Terjung und Andreas Meyer, ziehen Bilanz.

Gemeinsam gut gelaunt
die Zukunft anpacken

      Impulsgeber für die   15 Jahre Libri.Campus ist eine stattliche      Gab es am Anfang Akzeptanzprobleme bei
  Buchbranche: Verlags-     Zeit. Wie kam es eigentlich zur Idee dieser    den Buchhändlern?
 berater Andreas Meyer      Veranstaltung?                                 Roszinsky-Terjung:      Erstaunlicherweise:
  (li.) und Buchhandels-    Andreas Meyer: Der Start erfolgte für heuti-   Nein. Im Gegenteil, wir erlebten die Buch-
berater Arnd Roszinsky-     ge Zeit seltsam reibungslos: Arnd Roszin-      händler von Anfang an als unglaublich of-
 Terjung haben gemein-      sky-Terjung und ich hatten 1999 das Buch-      fen.
  sam 15 Jahre lang den     marktForum gegründet und strategische          Wer ist die Zielgruppe des Libri.Campus?
    Libri.Campus organi-    Konferenzen immer zu den Themen ange-          Meyer: Ausschließlich Independent-Buch-
     siert und moderiert.   boten, die für die Zukunft der Branche         händler, und zwar das ganze Spektrum,
                            wichtig und von keinem anderen Konfe-          von ganz kleinen Laden-Besitzern bis zu
                            renzformat besetzt waren.                      kleinen Filialisten.
                               Die Prinzipien dieser Konferenzen wa-       Was konnten die unabhängigen Buchhänd-
                            ren: Einerseits Benchmarks aus anderen         ler mitnehmen?
                            Branchen auf den Buchmarkt transferie-         Roszinsky-Terjung: Uns war immer wichtig,
                            ren, andererseits soviel Interaktion unter     den Blick über den Tellerrand zu ermögli-
                            den Teilnehmern auslösen wie möglich.          chen. Die Libri.Campus-Veranstaltungen
                            …klingt ziemlich modern.                       hatten immer einen starken strategischen
                            Arnd Roszinsky-Terjung: Weiß ich nicht, wir    Fokus, der aber nix mit Wolken-Kuckuck-
                            ticken nun mal so. Die damalige Marke-         sheim zu tun hatte, sondern mit den zen-
                            tingleiterin von Libri, Annerose Beurich,      tralen Zukunftsfragen. Und die wichtigste
                            fand dieses Konzept gut. Und fragte uns,       Frage beginnt nun mal beim Kunden, sei-
                            ob wir so etwas auch für Händler auf die       nen Bedürfnissen und Träumen – heute
                                                                                                                         Foto:

                            Beine stellen könnten.                         und morgen.
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