Was ist Islam? Dr. Ali Özgür Özdil - Cross Cultural Center

 
WEITER LESEN
Was ist
Islam?
 Dr. Ali Özgür Özdil
Copyright © Dr. Ali Özgür Özdil
   3. Auflage, Hamburg 2013
     www.iwb-hamburg.de

      Herausgegeben von
  Zentrum der interkulturellen
    Kommunikationsstiftung
  Istanbul, Türkei / April 2018
     Gedruckt in der Türkei
Bei Anfragen und Rückmeldungen:
        info@kim.org.tr

        www.kim.org.tr

                2
INHALTSVERZEICHNIS 		                                              Seite

Vorwort .................................................................6

I. Einleitung ....................................................... 8

II. Einführung .................................................... 11
    1. Allgemeines zu Einführungen in den
       Islam ........................................................ 11
    2. Lebensabschnitte des Propheten ............... 12
    3. Wir sind Muslime, keine „Mohammedaner“
       oder Islamisten ........................................ 14
    4. Wichtigkeit der Definition von
       Begriffen .................................................. 15
       a) Der Begriff „Dîn“ für Religion .............. 19
       b) Der Begriff „Islâm“ .............................. 21
    5. Fünf Bedeutungsebenen von Islam ........... 22
       a) Lexikalische Bedeutung ...................... 23
       b) Islam als „Urreligion der
           Menschheit“ ....................................... 25
       c) Islam als letzte Offenbarung Gottes an
           den Propheten Muhammad ............ 27
       d) Islam als historische & kulturelle
           Größe ................................................. 38
       e) Islam als „Projektion“ .......................... 40
    6. Allâh, Schöpfer und Erhalter .................... 48
    7. Der Koran ................................................ 51
       a) Die beherrschenden Themen in
           Mekka ................................................ 52
       b) Die Hauptthemen in Medina ............... 53
                                    3
8. Der Prophet Muhammad ...................... 54
        a) Seine Kindheit .................................... 54
        b) Seine Jugend ....................................... 55
        c) Sein Berufungserlebnis ....................... 56
        d) Die Auswanderung nach
           Medina ............................................... 58
    9. Die islamische Glaubenslehre ................... 60
        a) Der Glaube an Gott ............................. 61
        b) Der Glaube an die Engel ...................... 61
        c) Der Glaube an die von Gott
           offenbarten Schriften .......................... 62
        d) Der Glaube an die Gesandten
           Gottes ................................................. 62
        e) Der Glaube an den Jüngsten Tag .......... 62
        f) Der Glaube an al-Qadar ...................... 63
    10. Zur islamischen Pflichtenlehre:
        Die „Fünf Säulen“ des Islam ...................... 64

III. Schlusswort ................................................... 78

IV. Literaturliste .................................................. 80

V. Anhang ......................................................... 83
   1. Zeittafel (frühislamische Zeit) ................... 83
   2. Rechtsschulen .......................................... 84
   3. Glaubensrichtungen ................................. 84

                                   4
Der Prophetengefährte Umar ibn al-Khattâb
t1 (gest. 644) berichtet: „Eines Tages, während
wir beim Gesandten Gottes 2 saßen, erschien
ein Mann vor uns, in sehr weißen Gewändern
und mit sehr schwarzem Haar. An ihm war
keine Spur der Reise zu sehen, und von uns
kannte ihn niemand. Schließlich setzte er sich
zum Propheten , lehnte seine Knie gegen des-
sen Knie, legte seine Handflächen auf dessen
Oberschenkel und sagte: »O Muhammad, unter-
richte mich über den Islam.« Da antwortete der
Gesandte Gottes : » Islam ist, dass du bezeugst,
dass kein Gott da ist außer Allah, und dass
Muhammad der Gesandte Allahs ist, dass du das
Gebet verrichtest, die Zakah gibst, im Ramadan
fastest und zum Hause pilgerst, wenn du dazu
imstande bist.« Er sagte: »Du hast recht gespro-
chen« und wir waren erstaunt darüber, dass er
ihn befragte und ihm (dann) recht gab. Er fuhr
fort: »Nun unterrichte mich über den Iman.«
Er sagte: »Iman ist, dass du an Allah glaubst, an
Seine Engel, an Seine Bücher, an Seine Gesandten
und an den Jüngsten Tag, und dass du an die

1   Beim Erwähnen eines Prophetengefährten fügen Muslime oft einen
    Lobspruch an: „Möge Gott zufrieden mit ihm/ihr sein“, was in isla-
    mischen Werken oft in arabischer Schrift erfolgt.
2   Wenn Muslime den Namen des Propheten Muhammad erwähnen,
    folgt ein Lobspruch wie z.B.: „Der Segen und Friede Gottes auf ihm“.

                                   5
Vorhersehung glaubst mit ihrem Guten und mit
ihrem Bösen.« Er sagte: »Du hast recht gespro-
chen« und fuhr fort: »Nun berichte mir über das
rechte Tun (arab.: Ihsan).« Er antwortete: »Es ist
dies, dass du Allah dienst, als ob du Ihn sehen
würdest, und wenn du Ihn auch nicht siehst, so
sieht Er dich doch.« Er fuhr fort: »Nun berich-
te mir über die Stunde,« worauf er antwortete:
»Darüber weiß der Befragte nicht mehr als der
Fragende.« Er sagte: »Dann berichte mir über ihre
Anzeichen.« Er antwortete: »Dass die Magd ihre
Herrin zur Welt bringt, und dass du siehst, wie
die barfüßigen, nackten, mittellosen Schafhirten
sich gegenseitig im Bauen zu übertreffen suchen«.
Danach entfernte sich der Fremde und ich ver-
weilte eine Zeitlang. Dann sagte der Prophet :
»O Umar, weißt du wer der Fragende war?« Ich
entgegnete: »Allah und Sein Gesandter wissen es
am bestens. Er erwiderte: »Es war Gabriel, der zu
euch gekommen ist, euch eure Religion zu leh-
ren.«“ (Überliefert bei Muslim)

                  VORWORT

    Der Schwiegersohn des Propheten
Muhammad , der Kalif Ali ibn Abi Tâlib (gest.
661), soll einmal gesagt haben: „Die Menschen
sind Feinde dessen, was sie nicht kennen.“
                        6
Bei jeder Einführung in den Islam sollte
berücksichtigt werden wo, für wen und wie
eine solche Einführung stattfindet. Denn die
Umstände, unter denen die Menschen mit dem
Islam in Kontakt treten, können von Zeitpunkt
zu Zeitpunkt und von Land zu Land sehr un-
terschiedlich sein. Jedes Sachbuch sollte zum
Ziel haben, die Menschen aufzuklären, d.h.
ihnen ein klares Bild von dem zu vermitteln,
was ihnen bisher fremd gewesen ist, wobei das
Fremde relativ ist.
     Die älteren Ausgaben von „Was ist
Islam?“ sind bereits vergriffen. Daher war eine
Neuauflage nötig. Doch trotz der steigenden
Anzahl an Publikationen und Dokumentationen
zum Islam scheint die Angst der Leser vor dem,
was sie für Islam halten, nicht abzunehmen,
sondern im Gegenteil, sie nimmt zu. Hier soll
einerseits auf dieses Phänomen eingegangen
und andererseits sollen durch eine sachgemäße
Darstellung des Islam Vorurteile und Ängste
abgebaut werden. Dies geschieht bereits in ei-
nigen Moscheen, die seit Jahren ihre Türen
für Besuchergruppen öffnen. Insbesondere
Schulklassen profitieren von diesen Angeboten,
aber auch jede andere Besuchergruppe oder
Einzelpersonen, die ein Interesse am Dialog mit
Muslimen haben.
                       7
I. EINLEITUNG

     In dieser Einführung soll einerseits die
Komplexität dessen, was unter „Islam“ ver-
standen wird, deutlich gemacht werden.
Andererseits soll – durch eine differenzierte
Vorgehensweise – ein Hilfsmittel für das bessere
Verständnis des Islam, so wie ihn Muslime se-
hen und leben, gegeben werden. Dabei werden
für die nicht-muslimischen Leser zuerst fremde
Begriffe definiert und dann die verschiedenen
Bedeutungsebenen von „Islam“ erläutert.
     Des Weiteren soll durch die Arbeit
mit einer islamischen Methode (aus der
Binnenperspektive heraus) gezeigt werden, dass
im Zentrum der Darstellung Gott und Seine
Offenbarung (der Koran) stehen und nicht –
wie das bei nicht-muslimischen Autoren der
Fall ist – der Prophet Muhammad .
     Erst nach Klärung grundsätzlicher Fragen
soll am Ende auf die religiöse Praxis der
Muslime (die islamische Pflichtenlehre) einge-
gangen werden.
     Es ist ein schwieriges Unterfangen, eine
Weltreligion, deren Entstehung bis an den
Anfang der Schöpfung zurückgeht (!), in nur
einem Buch zusammenzufassen. Und wenn

                       8
alle Ozeane Tinte wären und alle Bäume
Schreibrohre, könnten sie nicht die Geschichte
der Schöpfung Gottes niederschreiben (vgl.
dazu Koransure 18:109). Gott selbst teilt uns
Menschen, die wir nur einen Teil der Schöpfung
ausmachen, im Koran nur so viel an Wissen mit,
dass es ausreicht, Ihn zu erkennen (vgl. Sure
2:255), um Ihm zu dienen (vgl. Sure 51:56).
     Die beste Empfehlung an alle Interessierten
wäre eigentlich, den Koran, d.h. die Offenbarung
Gottes, zu lesen und sich ein eigenes Bild zu
verschaffen, statt nur aus der Feder und der
Perspektive anderer zu lernen, was Islam ist.
Schließlich nehmen wir die Welt in der wir
leben auch mit unseren eigenen Sinnen wahr.
Oder wie soll ein Mensch den Geschmack einer
Frucht kennen, wenn er sie selbst nicht probiert
hat? Denn: „Wer nur an der Honigflasche leckt,
erfährt nie, wie Honig schmeckt“.
     Dies alles, damit die Leser einen besseren
Einblick sowohl in den Geist der islamischen
Lehre als auch in das Leben der Muslime hier in
Deutschland bekommen. Dieser Einblick sollte
zusätzlich durch den Dialog mit Muslimen, z.B.
in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz, vor
allem aber auch in der Schule und durch einen
Moscheebesuch, ergänzt werden. Denn Wissen

                       9
verleiht uns ein Gefühl der Sicherheit, um so
auch mit fremden Phänomenen umgehen zu
können.
     Wie einst der Prophet Abraham durch
Nachdenken die Existenz Gottes erkannt hat, hat
jeder Mensch die Möglichkeit, in den Zeichen in
der Schöpfung seinen Schöpfer und Erhalter zu
erkennen. Die Welt, in der wir leben, ist auch
ein Koran, in der selbst ein Analphabet lesen
lernen und die Existenz Gottes erkennen kann.
     Die Offenbarungseinheiten, die dem
Propheten Muhammad vom Erzengel Gabriel
in Mekka und Medina in einem Zeitraum von
23 Jahren übermittelt wurden und die wir seit
der Regierungszeit des dritten Kalifen Uthmân
(türk. Osman, 644-656) als Buch vorliegen ha-
ben, enthalten Verse, die im arabischen „ayat“
genannt werden. „Ayat“ bedeutet „Zeichen“.
Dabei gilt die gesamte Schöpfung, also auch der
Mensch, als Zeichen Gottes.
     Das koranische Schöpfungsziel lautet:
„Ich habe die Menschen und die Djinn3 er-
schaffen, nur damit sie Mir dienen“ (51:56).
Der Prophetengefährte Ibn Abbâs deutete die-
sen Vers mit: „...nur damit sie Mich erkennen“.
Dem einen Gott allein zu dienen und Ihm kei-
3   Mit Djinn sind jene Wesen und/oder Kräfte gemeint, die mit blo-
    ßem Auge nicht sichtbar sind.

                                10
ne anderen Götter beizugesellen ist die zentrale
Botschaft des Korans. Im Zentrum der korani-
schen Botschaft steht also die Gotteserkenntnis,
und dies ist die höchstmögliche Stufe der
menschlichen Erkenntnis.

              II. EINFÜHRUNG

    1. Allgemeines zu Einführungen in den Islam

     Die deutschsprachige Literatur zum Islam
ist heute unüberschaubar. Aus dieser Fülle von
Informationsquellen gilt es, jene Informationen
herauszuziehen, die für ein gutes Verständnis
des Islam „hier und heute“ nützlich sind. Was
die Themen anbetrifft, trifft man auf folgende
Methode, die typisch ist für den europäischen
Kulturraum: Es wird immer mit der Biographie
des Propheten Muhammad begonnen. Auch
wenn der respektvolle Umgang mit seiner
Lebensgeschichte eher die Ausnahme ist, kann
man von märchenhaften Darstellungen bis hin
zu hoch wissenschaftlichen Büchern alles fin-
den. Er gilt in den Darstellungen nicht-musli-
mischer Autoren als der „Stifter“ des Islam und
steht somit im Mittelpunkt. Dies sehen Muslime
nicht so. Hier eine kurze Methodenkritik:

                       11
2. Lebensabschnitte des Propheten

     Am Anfang seiner Lebensgeschichte
wird das religiöse Umfeld beschrieben, in
das er hineingeboren wurde. Dabei wird da-
rauf hingewiesen, dass die Araber, obwohl
sie an einen Obergott (ilâh) glaubten, damals
die drei weibliche Gottheiten al-Lât, al-Uz-
za und Manât verehrten. Außerdem wurde in
Mekka, der Geburtsstadt des Propheten, der
männliche Hubal verehrt. Dieses altarabische
Heidentum wird mit dem Terminus „Djâhilîya“
(„Unwissenheit“) beschrieben.
     Dann beginnt die Beschreibung des
Berufungserlebnisses. Dies ist der zentrale Punkt
der Biographien. Denn hier wird entschieden,
ob Muhammad als ein Gesandter Gottes angese-
hen wird oder als jemand, der 23 Jahre lang nur
einer Vision folgte oder vielleicht ein Betrüger,
ein Magier oder ein Dichter gewesen sein kön-
ne; alles Dinge, die man ihm damals vorwarf.
Hier scheiden sich die Wege der muslimischen
von den nicht-muslimischen Biographen. In
der Regel glauben die nicht-muslimischen
Biographen, ihn als falschen Propheten ent-
larvt zu haben, was den gesamten Verlauf ihrer
Darstellung des „Islam“ beeinflusst. Muhammad

                       12
ist für sie kein Prophet, der eine Botschaft von
Gott erhalten hat und somit ist der Islam nicht
göttlichen Ursprungs. Wogegen die muslimi-
schen Biographen genau die gegensätzliche
Meinung vertreten. Im Grunde ist eine solche
Argumentation z.B. aus christlicher Sicht na-
türlich; schließlich lehnen auch Juden Jesu
Messianität ab.
      Erst nach der Biographie des Propheten
gehen die Autoren der verschiedenen
Einführungen unterschiedlich vor. Obwohl die
historische Vorgehensweise von der Methode
her für ein ganzheitliches Verständnis besser
wäre, stehen bei den meisten Autoren ausge-
suchte Themen im Vordergrund, die sie als be-
sonders relevant für den Islam halten, wie z.B.
„Die Ausbreitung des Islam“, „Die Fünf Säulen
des Islam“, „Die Scharia“, „Djihâd“, „Die Frau
im Islam“ usw. Diese scheinen auch heute
noch die wichtigsten Themen zu sein, welche
die Leser am meisten interessieren, wobei das
Thema „Fundamentalismus“ noch hinzugekom-
men ist. Niemand wird aber auch nur einer die-
ser Themenpunkte verstehen können – egal wie
umfangreich die Einführung in sie ist – wenn
er/sie nicht weiß, was „Islam“ ist. Denn geht es
hier nicht um „Die Ausbreitung des Islam“ und

                       13
um „Die Fünf Säulen des Islam“ bzw. „Die Frau
im Islam“?
      Deshalb soll in dieser Einführung vielmehr
ein Grundlagenwissen vermittelt werden, an-
statt zu wiederholen, was jeder täglich durch die
Medien erfahren kann.

    3. Wir sind Muslime, keine„
    Mohammedaner“ und keine Islamisten

     Von vielen Nichtmuslimen, aber auch von
manchen Muslimen wird in der Bundesrepublik
immer noch der Begriff „Mohammedaner“ be-
nutzt. Dieser Begriff ist eine vom Namen des
Propheten Muhammad abgeleitete Bezeichnung
für die Muslime, die sich im 19. Jh. durchge-
setzt und viele volksetymologische Bildungen
wie „Muselman(n)“ (engl. „Musselman“, auf
Französisch und spanisch „Musulman“ und
auf Italienisch „Musulmano“), abgeleitet von
der persischen Form „Moselmân“, verdrängt
hat. Die missverstandene Endung (-man)
führte zum deutschen Plural „Muselmanne“
oder „Muselmänner“ und im Englischen zu
„Musselmen“. Bis zum 18. Jh. waren auch die
selteneren Formen – besonders in der theolo-
gischen Literatur – wie z.B. „Machomedist“,
„Muhammadist“ oder „Alcoranist“ gebräuchlich.
                       14
Von den Muslimen selbst werden alle die-
se europäischen Begriffe abgelehnt. Vor al-
lem aus dem Grund, weil wir nicht Anhänger
Muhammads sind, sondern des Islam.
Muhammad ist nicht der erste oder einzige
Prophet, an den wir glauben. Er ist also nicht der
Begründer des Islam, sondern sein Vollender.
Dazu jedoch unten mehr.

    4. Die Wichtigkeit der Definition von Begriffen

     Bestimmte Begriffe entstehen zu einer
bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort
und können nicht ohne weiteres in andere
Kulturräume transportiert werden. Dies betrifft
nicht nur den Begriff „Mohammedaner“.
     An einem anderen Beispiel soll gezeigt wer-
den, dass bekannte Begriffe allein nicht zum
Verständnis dieser führen, denn oft überneh-
men Menschen die Hülle, aber nicht den Inhalt
dessen, was sie beobachten:
     „Laut muslimischer Überzeugung ist der
»Islam« eine »Offenbarungsreligion«, die auf
»Gott« (arab. Allâh) zurückgeht und nicht auf
den »Propheten Muhammad«“.
     Wie deutlich diese Aussage auch sein mag,
so wirft sie doch mehrere Fragen auf, die es

                        15
zu beantworten gilt. Und enthält zugleich ei-
nen Hinweis auf die Vorgehensweise, d.h. die
Methode, nach der eine Einführung in den
Islam geschehen sollte. Diese Einführung be-
ginnt nicht mit Muhammad, sondern mit
„Islam“, denn der Islam erkennt auch alle an-
deren Propheten der Menschheitsgeschichte
wie Abraham, Moses und Jesus an.4 An dieser
Stelle mit Muhammad zu beginnen würde das,
was wir Muslime mit Islam meinen, zu sehr ein-
schränken.
     Zunächst sollte geklärt werden, was „Islam“
ist. „Der Islam ist eine Offenbarungsreligion“,
sagt wenig über seinen Inhalt aus. Was wiede-
rum ist „Religion“ im islamischen Sinne? Erst
nach Klärung dieser beiden zentralen Fragen
kann man sich dem wichtigsten Teil überhaupt
zuwenden, nämlich „Allâh“. Denn ohne Gott
wäre der Islam als Offenbarungsreligion nicht
denkbar. Unmittelbar damit hängt der Tauhîd-
Gedanke zusammen. Tauhîd, „die Einheit
Gottes“, d.h. der Monotheismus, ist das zentrale
4   „Sprich: «Wir glauben an Gott und an das, was auf uns herabge-
    sandt worden ist und was herabgesandt wurde zu Abraham und
    Ismael und Isaak und Jakob und den Nachfahren, und was gege-
    ben wurde Moses und Jesus und (anderen) Propheten vom ihrem
    Herrn. Wir machen keinen Unterschied zwischen ihnen, und Ihm
    ergeben wir uns.»“ (3:85). Mit „anderen Propheten“ sind z.B. Noah,
    David und Salomon gemeint, aber auch jene, die nicht im Koran
    namentlich genannt werden.

                                 16
Thema im Islam. Gott ist die Ursache, Gott ist
das Ziel! Denn fragt man einen monotheistischen
Gläubigen, woher alles kommt, dann wird er/sie
unweigerlich alles auf Gott zurückführen. Und
fragt man andersherum, wohin alles geht, wird
er/sie wieder zum gleichen Ergebnis gelangen.
     Danach sollte „die Offenbarung“,5 d.h.
der Koran erläutert werden, um dann erst auf
den Propheten Muhammad und die anderen
Propheten zu sprechen zu kommen, die im
Laufe der Zeit Offenbarungen von Gott erhalten
haben.
     Alle anderen Themen wie „die islami-
sche Theologie (Kalâm)“, „die islamische
Rechtswissenschaft (Fiqh)“, „die Mystik
(Tasawwuf/Irfân)“ usw. können als die Äste
des Baumes „Islam“ betrachtet werden, wobei
Unterthemen wie „Djihâd“, „die Frau im Islam“
usw. als deren „Früchte“ gesehen werden kön-
nen, um es bildlich zu darzustellen.
     Was aber haben die nicht-muslimischen
Betrachter vom Islam, den sie nur von außen
sehen, kennen gelernt? Viele haben sich bis-
her nur (oberflächlich) mit seinen „Früchten“
5   „Offenbarung“ ist nicht nur als „Schrift“ zu verstehen, wie z.B. die
    niedergeschriebene Bibel oder der Koran, sondern als alles, was
    auf die Existenz Gottes hinweist. Der Mensch, das Universum, ein-
    fach alles, worin wir die Existenz unseres Schöpfers und Erhalters
    erkennen, ist eine Offenbarung.

                                  17
auseinandergesetzt und diese auch nur als
schlecht (verdorben) empfunden. Nur weni-
ge haben den Zugang zu seinen Wurzeln ge-
wagt und sie auch erreicht, wofür bestimm-
te Hilfsmittel erforderlich sind. Dabei weiß
doch jeder, der sich mit Wissenschaften aus-
einandersetzt, dass eine Einführung in die
Grundlagen einer Wissenschaft eine wichtige
Voraussetzung für das spätere Studium die-
ser ist. Genau aus diesem Grunde müssen die
Unterthemen erst einmal ausgegrenzt werden,
um zuallererst über die Wurzel (Gott und die
Offenbarung) und den Stammbaum (der Islam
und die Gottesgesandten) zu sprechen. Die
Hauptthemen der islamischen Geistesgeschichte
müssen wegen ihres Umfanges und ihrer
Komplexität ebenfalls zurückgestellt werden.
     Uns bleibt also nur ein bestimmter Teil von
dem, was wir „Islam“ nennen, um einen kurzen
Einblick in ihn zu wagen. Dabei ist – wie bereits
erwähnt – die Definition von Begriffen, die im
Lichte einer bestimmten Zeit und Kultur ent-
standen sind, sehr wichtig. Täte man dies nicht,
würden die islamischen Begriffe bei vielen zu
falschen Assoziationen führen, denn Sprache
und Denken hängen unmittelbar miteinander
zusammen, und die Menschen werden nun ein-

                       18
mal von dem geprägt, was in ihrem Kulturraum
auf sie wirkt.

    a) Der Begriff „Dîn“ für Religion

     Das arabische Wort Dîn („Religion“) ist
verwandt mit dem Wort dain („schulden“, ab-
geleitet von der Wortwurzel dâna). Dîn be-
zeichnet sinngemäß das, was der Mensch Gott,
sich selbst und der Schöpfung insgesamt schul-
det. Nach islamischer Ansicht ist damit eine
ethisch verantwortete Lebensweise gemeint, die
alle Lebensumstände umfasst und vor deren
Hintergrund die Beziehungen des Menschen
geordnet werden, nämlich die Beziehung zu
seinem Schöpfer, zu sich selbst, zu seinen
Mitmenschen, zu den Geschöpfen und zur
Schöpfung insgesamt. Dîn ist somit ein System
gegenseitiger Verpflichtungen, sowohl zwischen
Mensch und Gott, näher bezeichnet als Bund
Gottes mit den Menschen (mit bestimmten pro-
phetischen Persönlichkeiten oder mit einzelnen
Völkern), und auch zwischen den Menschen
untereinander, wodurch eine „Medina“
(Gemeinschaft, Zivilisation, Staat) entsteht, als
auch zwischen dem Menschen und anderen
Geschöpfen, aufgrund dieses in der Schöpfung

                       19
einzigartigen Bundes wird der Mensch auch
„Statthalter Gottes“ genannt.6
     Die Pflege dieser Beziehungen und die
Wahrung der damit verbundenen Rechte und
Pflichten ist die Verwirklichung des religiös-ethi-
schen Lebensprinzips (iqâmatu ‚d-Dîn). Am
„Tag des Gerichts“ (yaumu ‚d-Dîn) werden die
aus dem Gleichgewicht geratenen Beziehungen
wieder hergestellt und die ethischen Werte und
Ziele voll verwirklicht.

      Abgesehen von der lexikalischen Bedeutung
des arabischen Begriffs für Religion, gibt es
Aussagen des Propheten Muhammad, der seine
Botschaft in einen größeren Sinnzusammenhalt
stellt, etwa indem er sagt: „Religion ist
Ratschlag…“ (ad- Dînu an-Nasîha).7 Unter
Muslimen ist auch folgende Zusammenfassung
für Religion weit verbreitet: „Religion ist
Zwischenmenschlichkeit“ (ad- Dînu muâmala).

6   Im Koran kommt der Begriff „Statthalter“, womit die Verantwortung
    des Menschen gemeint ist, in verschiedenen Formen vor: a) Adam,
    speziell stellvertretend für die entstehende Menschheit (2:30), b)
    David als einzelner Mensch (38:26) und c) die Menschen insgesamt
    (6:165; 7:69, 74, 142; 10:14, 17; 24:55; 35:39) als Statthalter Gottes.
7   Überliefert bei Muslim

                                   20
b) Der Begriff „Islâm“

     Islam (Gottergebenheit8) ist jene Haltung,
die Dîn erfüllt in der Hingabe zu Gott. Abgeleitet
ist das Wort vom IV. Stamm der Wortwurzel
s-l-m ( ), was „heil, unversehrt, ganz, voll-
ständig, sicher, frei sein“ bedeutet. Islam im
Sinne einer Weltreligion ist nur eine, nicht
grundlegende Bedeutung des Wortes. Auch dass
alle Dinge den Naturgesetzen Gottes gehorchen,
kann als Islam bezeichnet werden, bis hin zu
jeder Handlung, die Gott gefällt. Nach Aussage
des Korans hat der Prophet Muhammad keine
neuartige Religion gebracht9, sondern vielmehr
die Urreligion der Menschheit wiederbelebt.10
Adam wird dabei als erster in der Reihe der
Propheten gesehen.11
     Wörter wie Salâm („Unversehrtheit,
Friede, Sicherheit“) und Muslim („der sich
8   „Wahrlich, die Religion bei Gott ist die Gottergebenheit (Islâm).“ (3:20)
9   „Sprich: «Ich bin keine neue Erscheinung unter den Gesandten, und
    ich weiß nicht, was mit mir oder mit euch geschehen wird. Ich folge
    bloß dem, was mir offenbart wurde; und ich bin nur ein erklärender
    Warner.»“ (46:10)
10 „Er (Gott) hat euch in der Religion das vorgeschrieben, was Er
   Noah zum Vermächtnis gegeben hat und was Wir dir (Muhammad)
   offenbart haben und was Wir Abraham, Mose und Jesus zum
   Vermächtnis gegeben haben: Nämlich, bleibt standhaft in der
   Religion, und seid nicht gespalten darin.“ (42:14)
11 „Gott erwählte Adam und Noah und das Haus Abrahams und das
   Haus Imrâns vor den Völkern, ein Geschlecht, die einen vor den
   anderen; und Gott ist allhörend, allwissend.“ (3:34 f.)

                                     21
Gott Hingebende, Dienende“) sind mit dem
Wort Islâm verwandt, da sie aus der gleichen
Wortwurzel gebildet werden.
     An dieser Stelle sei eine genaue Definition
von „Islam“ geliefert, um eine bessere
Differenzierung dessen, was durch die Medien
häufig mit Islam in Verbindung gebracht wird,
zu ermöglichen. So können – sowohl von
Nichtmuslimen als auch von Muslimen – kom-
plexe Themen und Phänomene den Bereichen,
in die sie hingehören, einfacher zugeordnet
werden. So wird auch besser deutlich, warum
Muslime und Nichtmuslime häufig aneinan-
der vorbeireden, obwohl sie das gleiche mei-
nen. Denn häufig finden die Diskussionen auf
unterschiedlichen Ebenen statt: Der eine redet
über das, was im Koran steht, der andere hat
als Maßstab für seine Beurteilung des Islam den
realen Zustand in den sogenannten islamischen
Ländern vor Augen.

    5. Fünf Bedeutungsebenen von Islam

    Es ist in der Tat sehr schwierig, alles was
mit Islam in Verbindung gebracht wird, diffe-
renziert zu betrachten und richtig einzuord-
nen. Seien es irgendwelche Traditionen wie

                       22
z.B. die Beschneidung von Mädchen, Kriege
oder Terrorakte; sobald sie in den sogenann-
ten islamischen Ländern geschehen, werden
sie als „typisch“ islamisch dargestellt. Dass die-
se Vorgehensweise falsch ist, wird weiter unten
deutlich werden. Hier soll nun ein Hilfsmittel für
eine Differenzierung verschiedener Phänomene
geliefert werden.

       a) Die lexikalische Bedeutung

     Islam bedeutet – wie bereits geklärt –
„Gottergebenheit“. So wäre z.B. der Koranvers:
„Inna ‚d-Dîna ainda Allâhi ‚l-Islâm“12 mit
„Wahrlich, die Religion bei Gott ist die
Gottergebenheit“ richtig übersetzt.
     Ein weiterer Koranvers könnte ebenfalls
als Beispiel dienen: „Sprich: «Wir glauben an
Gott und an das, was auf uns herabgesandt
worden ist und was herabgesandt wurde zu
Abraham und Ismael und Isaak und Jakob
und den Nachfahren, und was gegeben wurde
Moses und Jesus und (anderen) Propheten von
ihrem Herrn. Wir machen keinen Unterschied
zwischen ihnen, und Ihm ergeben wir uns (=
muslimûn). Und wer eine andere Glaubenslehre

12   Siehe Sure 3:20

                       23
als die Gottergebenheit (= Islâm) begehrt, nim-
mer soll sie von ihm angenommen werden,
und im zukünftigen Leben soll er unter den
Verlierenden sein.»“ (3:85-86).
     In Anbetracht der Tatsache, dass nach isla-
mischer Auffassung der Monotheismus das wich-
tigste Glaubensprinzip ist, so dass von der Einheit
Gottes, der Einheit der Menschheit und von der
Einheit in der Schöpfung die Rede ist, gewinnt
„Islam“ eine Bedeutung, die mehr als die Einheit
der „gottergebenen“ Menschen darstellt. Alles was
existiert (also auch ein Baum, ein Regentropfen,
der Wind usw.), praktiziert den Islam, solange es
seiner Bestimmung, d.h. dem Plan Gottes folgt,
was wir ohne weiteres als die von Gott eingesetz-
ten „Naturgesetze“ bezeichnen können. Selbst
Sonne und Mond praktizieren Islam. Somit sind
jeder natürliche Prozess (z.B. Tag und Nacht) und
jede natürliche Handlung Islam.
     Maudûdî schreibt in seinem Werk
„Weltanschauung und Leben im Islam“ zu der
Frage „Was ist Islam?“ unter anderem: „Sogar
ein Mensch, der sich weigert, an Gott zu glau-
ben oder ein Idol anbetet, muss gezwungener-
maßen ein „Muslim“ sein, soweit es seine kör-
perliche Existenz betrifft. Denn während seines
gesamten Lebens, vom Stadium als Embryo bis
zur körperlichen Auflösung nach dem Tod, folgt
                        24
jede Zelle seiner Muskeln und jedes Glied seines
Körpers den für sie vorgeschriebenen Gesetzen
Gottes. Selbst seine Zunge, die aufgrund seiner
Unwissenheit Gott verneint oder eine Vielzahl
von Gottheiten preist, ist ihrer eigensten Natur
nach ein Muslim“.13

      b) Islam als „Urreligion der Menschheit“

     Die zweite Bedeutungsebene von „Islam“,
die an dieser Stelle vorgestellt werden soll, be-
zieht sich auf das Wesen und den Kern jeder
Religion.
     In der Religionswissenschaft, aber auch in
der Religionsethnologie wird die Frage gestellt,
ob die Menschheit ursprünglich polytheistisch
oder monotheistisch gewesen sei. Aus islami-
scher Sicht ist es etwas völlig Natürliches, dass
es Gemeinsamkeiten zwischen den menschli-
chen Kulturen und Religionen gibt, denn laut
Koran wurden zu allen Völkern zu verschiede-
nen Zeiten Gesandte Gottes geschickt14 mit der

13 Vgl. Abu-l-A‘lâ Maudûdî: „Weltanschauung und Leben im Islam“.
   Leicester 1989, S. 17
14 „Und für jedes Volk ist ein Gesandter. Wenn also ihr Gesandter
   kommt, so wird zwischen ihnen entschieden nach Gerechtigkeit
   und kein Unrecht widerfährt ihnen.“ (10:48) „Und in jedem Volke
   erweckten Wir einen Gesandten (der predigte): »Dient Gott und
   meidet den Bösen«.“ (16:37)

                               25
Botschaft Gottes in der jeweiligen Sprache des
Volkes15 und jedem Volke wurden jeweils eigene
Andachtsübungen aufgetragen.16
     Ein weiterer Aspekt, der in diesem
Zusammenhang erwähnt werden muss, ist
die Tatsache, dass aus islamischer Sicht jeder
Mensch mit der „natürlichen Veranlagung“
(arab. fitra) der Gottergebenheit geboren wird.
Somit sind alle Kinder von Geburt an „Muslime“.
     „Islam“ bekommt hier also eine umfas-
sendere Bedeutung, da Gott kein Volk ohne
Rechtleitung gelassen hat. Wie im oben zi-
tierten Vers 3:85 zu lesen ist, glauben die
Gottergebenen (Muslime) auch an das, was den
anderen Propheten von dem einen Gott gegeben
wurde. Somit sind auch die anderen Propheten,
z.B. Adam, Noah, Abraham, Moses und Jesus
nach islamischem Selbstverständnis Muslime
und das, was sie verkündet haben, ist nichts
anderes als Islam (Gottergebenheit). Jesus z.B.
spricht in Sure 3:52: „»Wer sind meine Helfer
zu Gott (man ansârî ilâ Allâh)?« Die Jünger sag-
ten: »Wir sind die Helfer Gottes (nahnu ansâr
Allâh). Wir glauben an Ihn. Bezeuge, dass wir
15 „Wir schickten keinen Gesandten, es sei denn mit der Sprache sei-
   nes Volkes, auf das er sie aufkläre.“ (14:5)
16 „Einem jeden Volke haben Wir Andachtsübungen gegeben, die sie
   befolgen...“ (22:68).

                                26
(Ihm) ergeben sind (waschhad biannâ mus-
limûn)«“ (vgl. auch 61:14).
     Aber nicht nur der Glaube an alle Propheten
und Offenbarungen bildet im Islam eine gemein-
same Grundlage mit den anderen Religionen,
sondern auch religiöse Praktiken wie beten und
fasten sind allen Religionen gemein. Somit ist
es möglich, sogar bei Menschen, die sich als
Atheisten bezeichnen, Gemeinsamkeiten zu fin-
den, da es keine Kultur ohne Religion gibt und
alle Menschen gewissen ethischen Grundlagen
folgen, die auf den „Urbund“17 mit Gott zu-
rückzuführen sind. Schließlich wollen alle
Menschen, ob sie an den einen Gott glauben
oder nicht, in Frieden und in Freiheit leben.
Nicht ohne Grund ist der Begriff „Islam“ für
viele Muslime auch identisch mit dem Begriff
„Frieden“ (arab. silm), der aus der gleichen
Wortwurzel s-l-m gebildet wird.

       c) Islam als letzte Offenbarung Gottes
       an den Propheten Muhammad

    Diese Bedeutungsebene zeichnet sich da-
durch aus, dass nach islamischer Auffassung
nach dem Propheten Muhammad keine

17   Vgl. Sure 7:172

                        27
Propheten mehr kommen werden und die
Offenbarung Gottes ihr endgültiges Stadium er-
reicht hat. In dieser Kategorie befinden sich alle
religiösen Praktiken, die sich von den Praktiken
anderer Religionsgemeinschaften unterschei-
den, wie z.B. die täglichen fünf Pflichtgebete,
die Zakât (soziale Pflichtabgabe), das Fasten im
Ramadân, die Pilgerfahrt nach Mekka usw., die
alle ihre speziellen Bestimmungen und Formen
haben.
      Wenn Muslime von „dem Islam“ reden,
meinen sie meist diese Kategorie, denn es wer-
den nur die Elemente als verbindlich anerkannt,
über die es in allen islamischen Gesellschaften
einen Konsens gibt. Es handelt sich dabei um
die religiösen Elemente, über die es sichere
schriftliche Quellen gibt, die dem Koran nicht
widersprechen und die in ihrer Mehrheit of-
fenkundig, klar und gut verständlich sind und
somit als Grundlage des islamischen Glaubens
dienen können (siehe Näheres dazu unter 7.
und 8.).
      Die erste und wichtigste Quelle ist der
Koran, dessen Überlieferung und schriftliche
Zusammenstellung als unverfälscht gilt. Das be-
deutet, dass der Koran seit seiner Offenbarung
an den Propheten Muhammad r keine

                       28
Veränderung durchgemacht hat und dass sein
Text, so wie er uns heute vorliegt, von unzäh-
ligen Gefährten des Propheten auswendig ge-
lernt, niedergeschrieben und auf verschiedenen
Wegen überliefert worden ist (arab. mutawâtir).
Darüber sind sich selbst nicht-muslimische
Orientalisten einig, zumal mehrere Funde ori-
ginaler Niederschriften von Teilen des Korans
belegen, dass diese mit unserem heutigen Koran
identisch sind. Der einzige Unterschied zur
muslimischen Auffassung liegt allerdings dar-
in, dass der Koran für die nicht-muslimischen
Orientalisten keine göttliche Offenbarung dar-
stellt, sondern die Worte eines Genies namens
Muhammad sind (siehe Näheres zum Koran
unter 5.).
      Die nächste Quelle ist die Sunna des
Propheten, die aus den verschiedenen Hadith-
Sammlungen (Überlieferungen) gewonnen
wird.
      Der Begriff „Sunna“ wird im Koran aus-
schließlich für das „Verfahren“ bzw. „Vorgehen
Gottes“ benutzt.18 Dieser Begriff ist vorko-
ranischen Ursprungs, so dass schon die po-
lytheistischen Araber (arab. muschrikûn)
von ihm Gebrauch machten, in dem sie den
18 Vgl. auch die Suren 3:137; 4:26; 8:38; 15:13; 17:77; 33:38, 62; 35:43;
   40:85; 48:23

                                  29
Gewohnheiten ihrer Vorfahren folgten, ohne
diese zu hinterfragen. Der Koran aber lehnt die-
sen heidnischen Brauch ab: „Und wenn man zu
ihnen sagt, sie sollen dem folgen, was Gott her-
abgesandt hat, sagen sie: »Nein, wir folgen dem,
was wir als Glauben und Brauch unserer Väter
übernommen haben«.“ (2:170 f.) Vielmehr ver-
langt der Koran: „Ihr Gläubigen! Fürchtet Gott
und sagt, was recht ist, dann lässt Er euch eure
Werke gedeihen und vergibt euch eure schuld!
Wer Gott und Seinem Gesandten gehorcht, dem
ist großes Glück zuteil geworden.“ (33:71)19
     Gott ruft die Menschen auf, sowohl sei-
ner Offenbarung zu folgen als auch seinem
Gesandten:
     „Sprich: Wenn ihr Gott liebt, so folgt mir.
Lieben wird euch Gott und euch eure Sünden
vergeben; denn Gott ist vergebend, barmherzig.
Sprich: Gehorcht Gott und dem Gesandten...“
(3:30 f.).20
     „Jene, die dem Gesandten folgen, dem des
Lesens und Schreibens unkundigen21 Propheten,
19   Vgl. auch 3:132; 4:13
20 Vgl. auch 4:59, 69 und 80
21 Dieser Vers, in dem Begriff „ummî“ (für Analphabet) vorkommt,
   beinhaltet die Bedeutung, dass der Prophet Muhammad der
   Ursprünglichkeit und Archetypik der Offenbarung mit reinem, ur-
   sprünglichem Hingegebensein begegnete und für sie offen war,
   praktisch wie ein unbeschriebenes Blatt. Er hat dem, was ihm wäh-

                                30
dessen Eigenschaften sie bei sich erwähnt fin-
den, in der Thora22 und im Evangelium.23 Er
gebietet das Rechte und verwehrt ihnen das
Unrecht, und er erlaubt ihnen das Gute und
verbietet ihnen das Schlechte...“ (7:157 f.).
    „Sprich: Oh ihr Menschen. Ich bin wahrlich
der Gesandte Gottes für euch alle...“ (7:158 f.).
    „Wahrlich, ihr habt in dem Gesandten
Gottes ein schönes Vorbild für jeden, der auf
Gott und den Jüngsten Tag hofft und Gottes
häufig gedenkt.“ (33:21).
    „...Und was euch der Gesandte gibt, das
nehmt an; und was er euch untersagt, dessen
enthaltet euch...“ (59:7).
    Die Sunna, d.h. die Lebenspraxis des
Propheten, lässt sich in zwei Kategorien einord-
nen: Die eine Kategorie umfasst die persönliche,
kulturelle und normative Sunna, die andere das,
was der Prophet gesagt, getan und gebilligt hat.
    a) Zur Verdeutlichung der persönlichen
Sunna des Propheten können als Beispiele an-
geführt werden, dass er Datteln liebte oder dass
er keinen Knoblauch oder keine Zwiebeln aß.
   rend des Akts des Empfanges offenbart wurde, nichts aufgrund
   von Bildung oder theologischer Reflexion hinzugefügt; vgl. Paul
   Schwarzenau „Korankunde für Christen“. S. 28.
22 Vgl. 5. Mose (Deuteronomium), 18:15, 33:2
23 Vgl. Genesis 17:20, 49:10. Johannes 1:19-25, 7:40-41, 14:16, 15:26,
   16:8-13. Matthäus 21:42-44. Lukas 24:49. Psalm 45:17.

                                 31
Wer der persönlichen Sunna des Propheten fol-
gen möchte, darf dies ohne weiteres tun. Nur
darf die persönliche Sunna nicht verallgemei-
nert und zur Norm erklärt werden.
     b) Zur kulturellen Sunna gehören all die
Dinge, die für den Lebensraum der damaligen
Muslime auf der arabischen Halbinsel typisch
waren, wie z.B. essen mit der Hand. Auch das
Befolgen dieser kulturellen Sunna ist jedem frei-
gestellt, darf aber ebenfalls nicht verallgemei-
nert werden. Auf der anderen Seite sei darauf
hingewiesen, dass bestimmte Kulturelemente
durchaus auch ihre Daseinsberechtigung haben,
solange ihr Sinn nachvollzogen werden kann.
Das Essen ausschließlich mit der rechten Hand
macht nämlich nur dann einen Sinn, wenn vor
und nach dem Essen die Hände gewaschen wer-
den und die Reinigung nach dem Stuhlgang mit
Wasser immer mit der linken Hand vorgenom-
men wird. Diese Gewohnheit hat also einen be-
stimmten Grund und Sinn.
     c) Die normative Sunna dagegen bildet
eine Ausnahme. Sie sollte von allen Muslimen
befolgt werden. Dass der Prophet z.B. arabisch
sprach und der Gebetsruf (arab. azân) auf
Arabisch war, soll die Muslime nicht dazu ver-
anlassen, dies auf den arabischen Kulturraum

                       32
zu beschränken, sondern ist eine Sunna, die
sich über Raum und Zeit hinwegsetzt und so-
mit überall wo Muslime sind, zur Praxis gehört.
Es ist z.B. eine normative Sunna, die nicht nur
auf den arabischen Kulturraum beschränkt wer-
den darf, das Gebet sowie den Gebetsruf auf
Arabisch zu sprechen, da Arabisch die Sprache
des Propheten war und der Gebetsruf zur dama-
lige Zeit ebenfalls auf Arabisch ausgeführt wur-
de. Diese Sunna hat sich über Raum und Zeit
hinweggesetzt und gehört überall auf der Welt
bei allen Muslimen zur Praxis.
     Den Sinn in der Befolgung der Sunna des
Propheten sehen die Muslime besonders dar-
in, dass er als Gesandter Gottes, der den Koran
empfangen hat, Gott am besten gedient und so-
mit eine besondere Vorbildfunktion hat.
     Eine weitere Besonderheit der Sunna ist,
dass es viele Situationen gab, in denen der
Prophet die Offenbarungen erläutern oder er-
gänzen musste. Z.B. in Bezug auf das Gebet:
Der Koran gibt keine direkten Anweisungen
wann, wie oft und wie gebetet werden soll. In
einer Überlieferung heißt es dagegen: „Betet so,
wie ihr mich beten gesehen habt“.24 Ein anderes
Beispiel sind die Anweisungen des Propheten
24 Überliefert im Sahîh von al-Buhârî, im Sunan von ad-Dârimî sowie
   im Musnad von Ahmad b. Hanbal.

                                33
zur Zakât (soziale Pflichtabgabe), zu ihrer Höhe
und über die Besitztümer, auf die Zakât entfällt.
     Der Begriff „Hadith“, was „Erzählung,
Bericht“ bedeutet, wird häufig als Synonym für
Sunna benutzt. Einerseits wird eine bestimmte
Überlieferung als Hadith bezeichnet, anderer-
seits die Gesamtheit der Traditionen, die auf den
Propheten zurückgeführt werden.
     Anfangs wurden die Traditionen mündlich
überliefert, seit dem 8. Jh. gibt es jedoch auch
umfangreiche Niederschriften des gesammelten
Materials.
     Die Muwattâ des Mâlik ibn Anas (gest.
795) ist das älteste uns erhalten gebliebe-
ne Rechtskompendium, welches gesammel-
te Überlieferungen enthält. Das Werk ist nach
Themen geordnet (in der musannaf Form). Darauf
folgt das Werk von Ahmad ibn Hanbal (gest.
857), das älteste und berühmteste Werk, das nach
Überlieferern geordnet wurde (arab. musnad).
     Die berühmtesten sunnitischen Werke
sind die Sahihân von al-Buhârî (gest. 870) und
Muslim (gest. 874), dann folgen die Sunan-
Werke von Ibn Mâdjah (gest. 866), Abu Dâwûd
(gest. 888), at-Tirmizî (gest. 892), an-Nasâ’î
(gest. 915), ad-Dârimî (gest. 868) und ad-Dara-
qutnî (gest. 997).

                       34
Die berühmtesten schiitischen Hadithsamm-
lungen sind von al-Kulaynî (gest. 941), as-Sadûq
(gest. 991) und at-Tûsî (gest. 1067).
     In der Hadith-Literatur gibt es verschie-
dene Kategorien, nach der die Richtigkeit ei-
ner Überlieferung eingeschätzt wird. Jede
Überlieferung besteht aus zwei Teilen:

    a) Inhalt (arab. matn)
    b) Überliefererkette (arab. isnâd)

     In die erste Kategorie fallen die echten bzw.
gesunden Überlieferungen. Eine Überlieferung
gilt als „echt“ bzw. „gesund“ (arab. sahîh),
wenn man gegen die Überliefererkette keine
Bedenken hat und der Inhalt folgende Kriterien
der Textkritik erfüllt:

Er darf
• nicht dem Koran widersprechen;
• nicht der Vernunft widersprechen;
• nicht den Erfahrungen widersprechen;
• nicht den Tatsachen widersprechen;
• keine unsinnigen Aussagen enthalten;
• keiner anderen gut belegten Überlieferung
   widersprechen;
• keine unanständigen Reden enthalten.

                       35
In der nächsten Kategorie befindet sich
die Überlieferungen, die als „gut“ oder „schön“
(arab. Hasan) bezeichnet werden, in deren
Überlieferungsketten und/oder Inhalte man
aber geringfügige Schwächen vermutet.
     Als „schwache“ Überlieferungen (arab.
da‘îf) werden diejenigen bezeichnet, bei denen
man hinsichtlich der Überliefererkette und/oder
des Inhalts starke Bedenken hat.
     Außerdem gibt es noch zahlreiche
Überlieferungen, die abgelehnt werden, weil sie
als „Fälschung“ (arab. maudû‘) entlarvt wurden.
     Was die Überlieferungskette anbetrifft, sind
folgende Kriterien zu befolgen:

•   In die Kategorie der sicheren Überlieferungen
    gehören die Überlieferungen, die von meh-
    reren Seiten her überliefert wurden (arab.
    mutawâtir) und wenn die letzte Person
    in der Überliefererkette (der Informant)
    Kontakt zum Propheten hatte. Nur diese
    Texte dürfen als Grundlage für die islami-
    sche Glaubenslehre (arab. aqîda) verwen-
    det werden.
•   Ebenfalls in diese Kategorie gehören die
    Überlieferungen, die auf mindestens drei
    verschiedenen Wegen überliefert wurden
    (arab. maschhûr).
                       36
•   In die nächste Kategorie gehören die
    Überlieferungen, die auf mindestens zwei
    verschiedenen Überlieferungswegen über-
    mittelt wurde (arab. azîz).
•   Der untersten Kategorie sind die
    Überlieferungen zugeordnet, die von nur
    einer Quelle stammen (arab. ahad).
•   Eine weitere Kategorie bilden die
    Überlieferungen, deren Überliefererkette
    nicht bis auf einen Prophetengefährten zu-
    rückzuführen ist, sondern bei einer Person
    der Nachfolgegenerationen endet und/oder
    deren Inhalt Zweifelhaftes enthält (arab.
    gharîb).

     Es geht in dieser Bedeutungsebene von
„Islam“ – auch wenn hier nur einige Merkmale
der islamischen Lehre genannt wurden – nicht
um äußere Erscheinungen (Muslime beten zwar
auch, aber doch anders als Christen), mit de-
nen sich „der Islam“ definiert. Viel wichtiger ist
es, den Dingen auf den Grund zu gehen und
über ihren Sinn nachzudenken. Deswegen sind
in dieser Bedeutungsebene von Islam besonders
die Primärquellen Koran und Sunna näher er-
läutert worden.
     Wir können nämlich erst dann sagen, dass
wir dieses oder jenes verstanden haben, wenn
                        37
wir den Sinn dessen nachvollziehen können. Es
genügt nicht zu sagen: „Ich weiß, dass Muslime
fünfmal täglich beten“. Viel wichtiger ist es zu
wissen, warum und was Muslime beten.

      d) Islam als historische und
      kulturelle Größe

     Wir beobachten heute eine kulturelle Vielfalt
unter den Muslimen, die durch historische
Entwicklungen und vorislamische Traditionen
beeinflusst ist. Die ersten Muslime sind be-
reits im 7. Jh. von der arabischen Halbinsel in
nicht-islamische Länder ausgewandert. Dabei
wurden sie von verschiedenen Motiven getrie-
ben. Die einen reisten, um den Islam zu verkün-
den, andere reisten für Handelszwecke und wie-
derum andere um Wissen zu erwerben – dem
Ausspruch des Propheten folgend, nach Wissen
zu suchen, selbst wenn es in China wäre.25
     Nach Afrika und Asien ist der Islam haupt-
sächlich über die sogenannten Wanderprediger
(Mystiker) und Händler gelangt. Eine Ausbreitung
des islamischen Glaubens durch Kriege hat es
nie gegeben. Die kriegerische Ausbreitung des
25 In einer weiteren Überlieferung heißt es: „Nach Wissen zu streben
   ist religiöse Pflicht für jeden Muslim!“, überliefert im Sunan von Ibn
   Mâdjah.

                                   38
politischen Machtbereichs hatte niemals die
„Bekehrung“ Anderer zum Ziel. So haben die
Muslime in vielen Ländern, in denen sie herrsch-
ten, über mehrere Jahrhunderte hinweg als
Minderheit gelebt. Die Geschichte Andalusiens ist
ein Zeugnis islamischer Toleranz gegenüber Juden
und Christen, die in der Menschheitsgeschichte
bis heute seinesgleichen sucht.
     Häufig werden von Nichtmuslimen histori-
sche Vorfälle oder kulturspezifische Eigenarten
eher mit „Islam“ in Verbindung gebracht als
die Lehre an sich, da diese den meisten fremd
ist. Allein in der Bundesrepublik Deutschland
leben derzeit mehr als vier Millionen Muslime
aus über 60 verschiedenen Ländern. Diese
Muslime brachten nicht nur unterschiedliche
Essgewohnheiten mit, sondern auch verschie-
dene Sprachen und Traditionen. Trotz der nati-
onalen und kulturellen Unterschiede begreifen
sich aber alle als Muslime. Den Islam in der
Bundesrepublik nun an den unterschiedlichen
muslimischen Gesellschaften zu messen ist in
der Tat ein schwieriges, wenn nicht unmögliches
Unterfangen. Viel einfacher und auch viel wich-
tiger ist es, diese Vielfalt unter den Muslimen an
der islamischen Lehre zu messen, die sich vor
allem nach Koran und Sunna zu richten hat.

                       39
Es darf und kann nicht alles, was z.B. aus der
Türkei kommt, als „Islam“ bezeichnet werden.
Genauso falsch wäre es, alles was aus den USA
oder aus Russland kommt, als „Christentum“ zu
bezeichnen.

      e) Islam als „Projektion“

     Bekannte und vor allem aktuelle Themen
wie z.B. der „Heilige Krieg“, „Fundamentalismus“
und die „Frauenfrage“ werden häufig in einem
Atemzug mit dem Islam genannt. Für viele
Menschen sind diese Themen am interessan-
testen, weil sich ihr Wissen meist nur auf sie
beschränkt, wobei hier nicht von einem wis-
senschaftlich fundiertem Wissen die Rede sein
kann, sondern eher von unreflektierten quanti-
tativen Informationen. Außerdem sind diese ge-
nannten Phänomene Produkte der eigenen euro-
päischen Kultur und somit nichts Unbekanntes.

      1. Beispiel: „Heiliger Krieg“

     Der Begriff „Heiliger Krieg“ stammt aus der
christlichen Geschichte26 und ist der Lehre des
26 Speziell die Kreuzzüge, die von Papst Urban II. 1196 zur Befreiung
   des Heiligen Landes ausgerufen wurden, haben diesen Begriff ge-
   prägt.

                                40
Islam fremd. Kein Krieg kann heilig sein! Die
arabische Bezeichnung für einen solchen Krieg
wäre al-harb al-muqaddasa,27 der Begriff „harb“
(Krieg, Kampf) hat jedoch keine Verwandtschaft
mit dem Begriff Djihâd (türk. Cihad).
     Der Begriff Djihâd – im Koran häufig in
Verbindung mit ...fî sabîl Allâh (...auf dem Wege
Gottes) vorkommend – hat in seiner Wortwurzel
die Bedeutung von „sich bemühen, sich anstren-
gen, streben, kämpfen“ und wird im Deutschen
oft fälschlicherweise als „Heiliger Krieg“ wie-
dergegeben. Diese falsche Bezeichnung basiert
auf dem politischen Missbrauch von Djihâd,
Djihâd bezeichnet jedoch im islamrechtlichen
Sinne kein räumlich und/oder zeitlich begrenz-
tes kriegerisches Unternehmen im Namen
des Islam (auf staatlicher Ebene), so wie es im
Christentum in der Zeit der Kreuzzüge der Fall
war. Es gibt auch keine „Djihâde“ („Heilige
Kriege“), da das Wort keinen Plural kennt.
     Die Formulierungen „persönlicher Einsatz“
oder „persönlicher Kampf“„für die Sache Gottes“
oder „Mühe aufwenden auf dem Wege Gottes
mit personellen und materiellen Opfern“ tref-
fen eher zu. Auch wurden die Pilgerfahrt28 oder
27 Vgl. dazu Paul Schwarzenau: Der Islam ist anders. In: BRU: Ein
   Magazin für die Arbeit mit Berufsschülern. 6 (1992), S. 6
28 Überliefert im Sahîh al-Buhârî.

                                 41
das gerechte Wort29 und die Fürsorge für die
Eltern30 vom Propheten Muhammad als „wert-
vollster Djihad“ bezeichnet. Außerdem ist bei
dem Begriff auffällig, dass er etwas bezeichnet,
das „für“ und nicht „gegen“ etwas gerichtet ist.
Deswegen ist „Heiliger Krieg gegen Ungläubige“
eine völlig falsche Übersetzung.

      2. Beispiel: Fundamentalismus

     Auch „Fundamentalismus“ ist ein aus dem
christlichen Kulturkreis stammender Begriff.31
Dieser wird heute häufig in einem Atemzug mit
dem Islam genannt, er ist der islamischen Lehre
jedoch ebenfalls fremd. Als Synonym dazu wird
häufig der Begriff „Islamismus“ benutzt, wo-
bei insbesondere muslimische Intellektuelle,
die „den Westen“ kritisieren oder dem Islam
auch eine politische Dimension zuweisen, als
„Islamisten“ bezeichnet werden. Diesen beiden
Begriffen werden diejenigen zugeordnet, die auf
irgendeine Art und Weise allen unislamischen
Einflüssen kritisch gegenüberstehen. Da dieser
Begriff jedoch zu falschen Assoziationen führen
29 Überliefert bei Abû Dâwûd, at-Tirmizî, ibn Mâdjah und Ahmad ibn
   Hanbal.
30 Überliefert im Sahîh al-Buhârî.
31 Eine Ende des 19. Jh. entstandene Bewegung des amerikanischen
   Protestantismus zur Abwehr des Liberalismus.

                                 42
kann, sollten die Muslime vermeiden, sich da-
mit zu identifizieren.
     Der Islam lehnt jede Form des Extremismus
ab und lässt „Gewalt“ nur als Mittel der
Verteidigung zu. Selbst zu Extremfällen wie
z.B. Kriege gibt es im Koran und in der Sunna
die Vorschrift, „das Maß nicht zu überschrei-
ten.“32 Eines der wichtigsten Ziele menschlichen
Handelns sollte die Herstellung von Frieden
sein. Wir lesen im Koran: „Und wenn sie sich
dem Frieden zuneigen, dann neige auch du
dich ihm zu, und lass vom Kampf (gegen sie)
ab!“33. Des Weiteren lesen wir im Koran: „O
Leute der Schrift, geht in eurem Glauben nicht
ins Extreme.“34. Ibn Abbâs        überliefert vom
Propheten : „Hütet euch vor Extremismus in
der Religion“, in der Religion, verehrte Muslime.
„Denn die, die vor euch waren, sind deswegen
untergegangen, weil sie in der Religion über-
trieben haben.“35 Des Weiteren überliefert ibn
Masud       vom Propheten : „Diejenigen, die
das Maß überschritten haben, sind untergegan-
gen.“ Und er wiederholte dies dreimal.36
32 Vgl. 2:190 f.
33 Vgl. 8:61
34 Vgl. Sure 4:171 und 5:77
35 Überliefert bei ibn Hanbal, an-Nasai und ibn Madjah.
36 Überliefert bei Muslim, ibn Hanbal und Abu Dawud.

                                43
3. Beispiel: Die Frau im Islam

     „Die Frau im Islam“ ist eines der begehr-
testen Themen, über die in nicht-islamischen
Kreisen diskutiert wird, wobei davon ausgegan-
gen wird, dass „der Islam“ die Frau unterdrücke
und dem Mann mehr Rechte gäbe als der Frau.
Muslime weisen dieses aus dem Mittelalter stam-
mende Vorurteil zurück.37 Vielmehr sind Mann
und Frau vor Gott, sowohl in religiöser als auch
in geistiger Hinsicht, gleichwertig. Die Rechte
und Pflichten von Mann und Frau wurden im
Koran offenbart: „Und die gläubigen Männer
und Frauen sind untereinander Freunde. Sie ge-
bieten was recht ist und verbieten was verwerf-
lich ist, verrichten das Gebet, geben die Zakât
und gehorchen Gott und Seinem Gesandten.
Ihrer wird sich Gott erbarmen...“. (9:71)38
37 Siehe zu den Ursachen dieses Vorurteils Pinn, Irmgard; Wehner
   Marlies: EuroPhantasien. Die islamische Frau aus westlicher Sicht.
   Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. Duisburg 1995
38 Vgl. auch: „Die muslimischen Männer und muslimischen Frauen,
   die gläubigen Männer und gläubigen Frauen, die Männer, die sich
   (Gott) demütig ergeben und die Frauen, die sich (Gott) demütig
   ergeben, die wahrhaftigen Männer und die wahrhaftigen Frauen,
   die geduldigen Männer und die geduldigen Frauen, die bescheide-
   nen Männer und die bescheidenen Frauen, die Männer, die Almosen
   geben und die Frauen, die Almosen geben, die Männer, die fasten
   und die Frauen, die fasten, die Männer, die ihre Keuschheit wahren
   und die Frauen, die ihre Keuschheit wahren, die Männer, die Gottes
   häufig gedenken und die Frauen, die Gottes häufig gedenken –
   Gott hat für sie Vergebung und herrlichen Lohn bereitet“ (33:35).

                                44
Sie können auch lesen