Wasserstoff - Chancen für die Wirtschaft in NRW - BET Energie
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IMPULSPAPIER – BEAUFTRAGT VON IHK NRW Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW Im Auftrag der Foto: Dirk Hartung
I N H A LT 1 Zusammenfassung Seite 3 2 Wasserstoff – wesentlicher Energieträger für die Vollendung der Energiewende Seite 5 3 Wertschöpfung in der Wasserstoffwirtschaft Seite 10 4 Tätigkeitsfelder und Anwendungsfälle für Unternehmen in NRW Seite 15 5 Handlungsfelder zur Unterstützung des Markthochlaufs Seite 28 ------------------------------- Endnoten Seite 30 Autor*innen: Dr. Olaf Unruh Sebastian Seier Lukas Wammes Felix Wendholt Leonie Söll Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 2
Z U S A M M E N FA S S U N G Weltweite Marktchancen für Unternehmen aus NRW Für die Nutzung von Wasserstoff muss nicht nur die In- frastruktur für die Erzeugung, sondern auch für Trans- Soll die Erderwärmung bis Mitte des Jahrhunderts port, Speicherung und Handel des grünen Gases aufge- auf unter 1,5 °C begrenzt werden, wie es im Klima- baut werden. Die international in Entstehung begriffene schutzabkommen von Paris vereinbart wurde, dür- Wasserstoffwirtschaft bietet Unternehmen aus Deutsch- fen bis 2050 weltweit nahezu keine Treibhausgase land und Nordrhein-Westfalen (NRW) große Chancen mehr in die Atmosphäre entlassen werden. Ein gro- für Innovation, Strukturwandel und Wachstum. Bis zu 9 ßer Teil der Emissionen wird durch den Einsatz er- Billionen Euro müssen weltweit bis 2050 in den Auf- und neuerbarer Energien und Energieeffizienzmaßnah- Ausbau der H2-Infrastruktur investiert werden. In NRW men reduziert werden können. In einigen Bereichen sind es über 80 Milliarden Euro. Um dieses Potenzial zu wie Hochtemperaturprozessen in der Industrie oder nutzen, sollten Unternehmen zeitnah in einem starken dem Schwerlast- und Fernverkehr stoßen die erneu- Heimatmarkt die Gelegenheit bekommen, Forschungs- erbaren Energien jedoch an technische Grenzen. Kli- und Entwicklungsarbeit zu leisten und funktionierende mafreundlicher Wasserstoff (H2) kann diese Lücke Geschäftsmodelle aufzubauen. So können der Wissens- füllen und die Energiewende vollenden. Im Auftrag vorsprung heimischer Unternehmen gewahrt und Ex- von IHK NRW ‒ den Industrie- und Handelskammern portpotenziale genutzt werden. in Nordrhein-Westfalen e. v. ‒ hat B E T die Potenzi- ale und Handlungsanforderungen untersucht, um Wasserstoff als Energieträger der Zukunft für die Weitere Unterstützung für den NRW-Wirtschaft nutzbar machen zu können. Markthochlauf notwendig Mit seinen zahlreichen potenziellen Abnehmern von grü- Grüner, blauer und türkiser Wasserstoff nem Wasserstoff, innovativen Unternehmen und der vor- handenen Gasinfrastruktur verfügt NRW über optimale können die Dekarbonisierung Rahmenbedingungen für den bevorstehenden Markt- vorantreiben hochlauf. Um diese Ausgangsbedingungen nutzen zu Während heute Wasserstoff hauptsächlich auf Basis fos- können und den Einsatz von Wasserstoff in der breiten siler Energieträger wie Erdgas und Erdöl hergestellt wird Wirtschaft frühzeitig zu ermöglichen, sollte eine Reihe (grauer H2), sind für die Dekarbonisierung der Wirtschaft von Maßnahmen ergriffen werden: emissionsarme bzw. -freie Erzeugungsverfahren ent- scheidend. Vor allem die Wasserstoffproduktion mittels › Markthochlauf am Ziel der Klimaneutralität ausrich- ten und passende Wettbewerbsbedingungen Elektrolyse mit erneuerbarem Strom (grüner H2) gilt in schaffen politischen Willensbekundungen wie der Nationalen Wasserstoffstrategie oder der Wasserstoff-Roadmap › Ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien Nordrhein-Westfalen (Wasserstoff-Roadmap NRW) als vorantreiben Hoffnungsträger. Daneben ermöglichen auch die Ab- › Technologieoffenheit gewährleisten spaltung und Speicherung bzw. Nutzung von Kohlen- › Politische Debatte zur Nutzung von blauem Wasser- stoffdioxid bei der fossilen Wasserstofferzeugung (blau) stoff als Übergangstechnologie anregen und die Methanpyrolyse (türkis) emissionsarme und re- lativ kostengünstige Alternativen. › Internationale Partnerschaften und Märkte auf- bauen › Transparente Förderprogramme für Wasserstoff Massiver Ausbau der erneuerbaren einrichten Energien erforderlich › Zeitnah eine verbindliche Definition von grünem Wasserstoff festlegen Bis 2030 sollen in Deutschland 5 Gigawatt (GW) und in Nordrhein-Westfalen bis zu 3 GW Elektrolysekapazität › Genehmigungsverfahren vereinfachen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff entstehen. Zur › Regulierung von Wasserstoffnetzen zügig auf den Versorgung dieser Elektrolyseure mit Strom ist in ganz Weg bringen Deutschland das Äquivalent der Jahresproduktion von › Informationsaustausch stärken 3.000 Onshore-Windkraftanlagen à 3 Megawatt (MW) erforderlich. Dies unterstreicht die Herausforderungen, Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden in Kapitel 5 (ab Seite 28) genauer beschrieben. vor denen Politik und Wirtschaft stehen, um die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie und der Wasserstoff- Roadmap NRW umzusetzen. Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 3
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W A S S ER S TOF F – Nicht alle Anwendungsfälle lassen sich problemlos auf erneuerbare Energien (EE) umstellen. Beispielsweise WESENTLICHER reichen die durch erneuerbare Wärmequellen wie Solar- thermie oder Biomasse erreichbaren Temperaturniveaus ENERGIETRÄGER FÜR nicht aus, um damit Hochtemperaturprozesse in der In- DI E VOLL END UNG D ER dustrie dekarbonisieren zu können. Ein weiteres Beispiel ist der Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr. Während ENERGIEWENDE die Neuzulassungen elektrischer Pkw rapide steigen, wird eine EE-basierte Elektrifizierung den Anforderun- gen in den drei genannten Transportsektoren nicht ge- recht. Insbesondere hinsichtlich der Reichweite und des Masseverhältnisses zwischen Batteriespeicher und Die Energiewende ist in den letzten 20 Jahren zum Mar- Fahrzeug stößt die Elektrifizierung hier an ihre Grenzen. kenzeichen der deutschen Energiepolitik geworden. Der Alternative klimafreundliche Energieträger sind zwin- deutsche Begriff „Energiewende“ wird selbst im Ausland gend erforderlich. verwendet, um die Transformation des Energiesystems von konventionellen zu erneuerbaren Energieträgern zu bezeichnen. Insbesondere Photovoltaik- und Windener- Wasserstoff als zentraler Baustein für eine erfolg- gie wurden in Deutschland in den letzten beiden Jahr- reiche Energiewende zehnten stark ausgebaut. Um die Klimaschutzziele zu er- reichen, muss die installierte Leistung in den kommen- Im Klimaschutzgesetz aus dem Dezember 2019 ist ver- den Dekaden nochmals mehr als verdoppelt werden (Ab- bindlich festgeschrieben, dass die Treibhausgasemissi- onen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 1990 um min- bildung 1).1 destens 55 %2 vermindert werden sollen. Langfristig ver- folgt die Bundesregierung das Ziel der Treibhausgas- Die Energiewende bringt neue Herausforderungen neutralität bis 2050. mit sich Dazu bedarf es eines weiterhin steigenden Anteils er- Mit dem Voranschreiten der Energiewende ergeben sich neuerbarer Energien und einer zunehmenden Umstel- neue Herausforderungen. So sind die dominanten Tech- lung der Verkehrs- und Wärmesektoren auf stromba- nologien, die Photovoltaik (PV) und die Windenergie, sierte Technologien. Eine reine Elektrifizierung in allen volatil, d. h., ihre Erzeugungsleistung ist wetterabhängig. Anwendungsbereichen ist jedoch volkswirtschaftlich Um die Stromnetze nicht zu überlasten und stets ein aus- nicht sinnvoll und technisch schwer umsetzbar. geglichenes Verhältnis von Angebot und Nachfrage an elektrischer Energie sicherstellen zu können, sind Flexi- bilität von Last und Erzeugung sowie Energiespeicher erforderlich. Abbildung 1: Entwicklung der installierten Leistung zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 5
Wasserstoff kann zum fehlenden Puzzleteil der Energie- Neben der Industrie wird Wasserstoff auch im Verkehrs- wende werden. Aufgrund seiner chemischen Eigen- bereich bereits verwendet. Insgesamt waren Anfang schaften eignet sich Wasserstoff, um die durch den Weg- 2021 in Deutschland 90 öffentliche Wasserstofftankstel- fall von fossilen Energieträgern entstehenden Lücken zu len in Betrieb, wobei 21 dieser Tankstellen in NRW zu schließen und ein weiteres Standbein für eine klimaneut- finden sind. Die Wasserstoffnachfrage an den in rale Zukunft zu bilden. Deutschland vorhandenen Tankstellen betrug im Jahr 2020 etwa 120 Tonnen (0,004 TWh).5 Bis 2023 will das Im Vergleich zu Strom lässt sich Wasserstoff auch über Joint Venture H2 MOBILITY Deutschland GmbH & Co. Wochen und Monate hinweg mit nur geringen Verlusten KG bundesweit mindestens 400 Wasserstofftankstellen speichern und ermöglicht einen saisonalen Ausgleich aufbauen.6 der wetterbedingten Schwankungen von erneuerbaren Energien. Nicht (effizient) elektrifizierbare Anwendungen Darüber hinaus existieren in Deutschland und NRW lassen sich mithilfe von Wasserstoff dekarbonisieren. erste kommunale Projekte, die die Vision vom klimaneut- ralen Wasserstoff Wirklichkeit werden lassen wollen (Ab- bildung 2).7 Schon heute kommt in vielen Bereichen Wasser- stoff zum Einsatz Prognosen zum zukünftigen Hochlauf Bereits heute spielt Wasserstoff für verschiedene An- von Wasserstoff wendungen eine wichtige Rolle. In der 2020 erschiene- nen nationalen Wasserstoffstrategie wird der jährliche Um neben den bereits bestehenden Anwendungsfeldern H2-Verbrauch auf aktuell ca. 55 Terrawattstunden (TWh) zukünftig weitere Segmente mit Wasserstoff versorgen beziffert. Historisch betrachtet sind die chemische In- zu können, sind deutlich größere Mengen an Wasser- dustrie sowie die Herstellung von Kraft- und Schmierstof- stoff notwendig. fen die Hauptverbraucher von Wasserstoff. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 50 % des jährlichen Ver- Abbildung 38 (siehe nächste Seite) zeigt eine Prognose brauchs auf die Ammoniak- und Methanolherstellung in des Hochlaufs bis 2050 und unterscheidet dabei zwi- der Chemieindustrie zurückgehen, 44 % auf Raffine- schen nationaler Erzeugung und H2-Importen. Es zeigt rieprozesse entfallen und die restliche Menge von sons- sich, dass aufgrund des noch erforderlichen Entwick- tigen industriellen Abnehmern wie der Glas-, Stahl- und lungsbedarfs und hoher Kosten mindestens bis 2030 mit Lebensmittelindustrie verwendet wird.3 Bisher übersteigt einem moderaten Hochlauf der Wasserstoffmenge zu dabei die stoffliche Nutzung von Wasserstoff mit über rechnen ist. 90 % die energetische deutlich.4 Abbildung 2: Auswahl aktueller Wasserstoffprojekte in NRW Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 6
Zwischen den Jahren 2040 und 2050 kommt es zu einer Politische Rückendeckung für den Hochlauf des enormen Steigerung des Verbrauchs und damit der Im- Wasserstoffs porte. Auffällig ist hierbei, dass Szenarien, in denen le- In der Politik ist der Handlungsbedarf zur Unterstützung diglich eine 80-prozentige Reduktion der Treibhaus- des Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft erkannt und im gasemissionen erreicht wird, mit signifikant weniger Jahr 2020 eine Reihe von Strategien veröffentlicht wor- Wasserstoff auskommen als Szenarien mit 95-prozenti- den. gem Reduktionsziel. Zudem wird deutlich, dass Deutsch- land wie im Bereich fossiler Energieträger auch zukünftig Die deutsche Bundesregierung hat am 10. Juni 2020 ihre eine H2-Importnation sein wird. Dennoch muss zur Errei- Wasserstoffstrategie vorgestellt. Darin beziffert die Re- chung ambitionierter Klimaschutzziele auch das heimi- gierung den im Jahr 2030 existierenden stofflichen und sche Produktionspotenzial maximal ausgeschöpft wer- energetischen H2-Bedarf auf insgesamt 90 bis 110 TWh. den. Neben wirtschaftlichen und regulatorischen Krite- In den nächsten zehn Jahren sollen in Deutschland rien ist hier die Akzeptanz der Bevölkerung für den be- 5 GW Elektrolysekapazität aufgebaut werden. Allein zur nötigten, weiteren Ausbau von EE-Anlagen ein wichtiger Versorgung dieser Elektrolyseure sind ca. 18 TWh EE- Erfolgsfaktor. Strom erforderlich, was etwa der Jahresproduktion von 3.000 Windenergieanlagen an Land entspricht. Dies un- Ein politisches Instrument zur Umsetzung der klimapoli- terstreicht die Herausforderungen, vor denen Politik und tischen Ziele und ein Treiber für den Einsatz grünen Wirtschaft stehen, um die Ziele der Nationalen Wasser- Wasserstoffs ist der CO2-Preis. Die Kosten für fossile stoffstrategie umzusetzen. Energieträger wie Kohle, Öl oder Erdgas werden dadurch in den nächsten Jahren im Vergleich zu klima- Zur Finanzierung des Markthochlaufs stellt die Bundes- freundlichen Energieformen steigen. Ende 2020 lag der regierung 7 Milliarden Euro zur Verfügung. Darüber hin- Preis für eine Tonne Kohlenstoffdioxid innerhalb des Eu- aus sind 2 Milliarden Euro für den Aufbau internationaler ropäischen Emissionshandelssystems bei über 30 Euro. Wasserstoffpartnerschaften vorgesehen. Dieser gilt vor allem für weite Teile der Energiewirtschaft und energieintensive Industriebranchen. Der neueinge- Die Bundesregierung hat mit der in der Novelle des Er- führte deutsche CO2-Preis auf fossile Brennstoffe betrifft neuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) 2021 festgeleg- den bisher nicht im europäischen Emissionshandel ein- ten Befreiung der Produktion von grünem Wasserstoff geschlossenen CO2-Ausstoß, beispielsweise in den von der EEG-Umlage bereits eine wichtige Grundlage für Sektoren Gebäude und Verkehr. die Erzeugung von Wasserstoff geschaffen.10 Der CO2-Preis ist für 2021 mit 25 Euro pro Tonne vorge- Auch andere europäische Länder verabschiedeten Was- geben und soll schrittweise steigen. Um eine Lenkungs- serstoffprogramme mit hohen Investitionsbeträgen. wirkung zu entfalten, müsste für eine 95%ige Reduktion Dazu gehören zum Beispiel Spanien (8,9 Milliarden der Treibhausgasemissionen der CO2-Preis bis 2050 auf Euro), Frankreich (7,2 Milliarden Euro), Italien (4,0 Milli- über 140 Euro steigen.9 arden Euro), Österreich (2,0 Milliarden Euro) und Portu- gal (1 Milliarde Euro).11 Abbildung 3: Import und Eigenproduktion von Wasserstoff (nur für energetische Nutzung) Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 7
Die Europäische Union hat das Potenzial von Wasser- › Die Stahlindustrie liegt in NRW besonders im Fokus. stoff ebenfalls erkannt und am 8. Juli 2020 eine europä- Bis zum Jahr 2025 soll die erste großtechnische Di- ische Wasserstoffstrategie verabschiedet. Dabei sind die rektreduktionsanlage zur Erzeugung von Stahl auf Ziele der Strategie in mehrere Schritte aufgeteilt. In den Basis von Wasserstoff entstehen. Jahren 2020 bis 2024 sollen Elektrolyseure mit einer Ge- samtleistung von mindestens 6 GW errichtet und bis › Bis 2025 sollen mindestens 400 und bis 2030 11.000 2030 auf 40 GW erweitert werden. Von 2030 bis 2050 Brennstoffzellen-Lkw in NRW unterwegs sein. sollen die Technologien für erneuerbaren Wasserstoff ausgereift sein und in großem Maßstab in allen Sekto- › Die Elektrolysekapazität will die Landesregierung ren, in denen die Dekarbonisierung mit EE allein schwie- bis zum Jahr 2030 auf 1 bis 3 GW steigern. rig ist, eingesetzt werden. Man geht von einer resultie- › Insgesamt ergibt sich für NRW gemäß der Roadmap renden Gesamtinvestition in der erneuerbaren Wasser- über alle Sektoren ein Wasserstoffbedarf von 104 stoffwirtschaft von bis zu 470 Milliarden Euro bis 2050 TWh im Jahr 2050.13 aus.12 In den folgenden Kapiteln werden die Wertschöpfungs- Auch mehrere Bundesländer haben Wasserstoffstrate- kette der Wasserstoffwirtschaft beschrieben, Tätigkeitsfel- gien verabschiedet, darunter die Wasserstoff-Roadmap der für Unternehmen in NRW sowie Anwendungsfälle für NRW, die die Landesregierung Anfang November 2020 Wasserstoff vorgestellt und notwendige Maßnahmen zur veröffentlichte. Darin werden Ziele für die Jahre 2025 weiteren Unterstützung des Markthochlaufs abgeleitet. und 2030 definiert. Der Schwerpunkt liegt auf den Sek- toren Industrie, Mobilität und Energieinfrastruktur: Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 8
WERTSCHÖPFUNG IN Erzeugung und Aufbereitung D E R WA S S ERS TO F F- NRW weist aufgrund der bestehenden (Chemie-)Industrie bereits heute einen hohen Wasserstoffverbrauch zur stoffli- WIRTSCHAFT chen Nutzung auf. Bisher wird der Bedarf der Industrie in NRW vor allem lokal durch Wasserstoff aus Erdgas ge- deckt. Deutschlandweit sind Rohöl und Erdgas bisher die wichtigsten Quellen zur Erzeugung von Wasserstoff (Abbil- dung 5). Dabei ist der hohe Anteil von Rohöl auf die Raffi- Der englische Physiker und Chemiker Henry Cavendish nerieindustrie zurückzuführen, die den erzeugten Wasser- entdeckte Wasserstoff im Jahr 1766 bei Experimenten stoff innerhalb des Raffinerieprozesses vollständig stofflich mit Metallen und Säuren. Im Folgenden wurde das Ele- weiterverwendet.14 ment in der Ballonfahrt, in Fahrzeugen sowie Flugzeu- gen eingesetzt. Stadtgas, das aus 51 % Wasserstoff be- stand, wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts u. a. zur Be- leuchtung und zur Wassererwärmung genutzt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ersetzte Erdgas das zumeist aus Kohle hergestellte Stadtgas. Die weitere Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland ist von der Wirtschaftlichkeit der Wasser- stoffnutzung abhängig. Die Wirtschaftlichkeit von grü- nem Wasserstoff hängt einerseits von Faktoren wie der Entwicklung der H2-Elektrolyseur- und Transporttechno- logien sowie dem Ausbau erneuerbarer Energien und dem Strompreis ab. Andererseits spielen die Preise kon- kurrierender fossiler Brennstoffe inklusive des CO2-Prei- ses eine Rolle. Der politisch forcierte Markthochlauf von (grünem) Was- serstoff soll die Kostendegression der Technologien vo- Abbildung 5: Anteile der Energieträger zur Wasserstofferzeu- gung in Deutschland (stoffliche und energetische Nutzung)15 rantreiben. Bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zu- künftiger Geschäftsmodelle müssen die einzelnen Wert- schöpfungsstufen berücksichtigt werden (Abbildung 4). Abbildung 4: Wertschöpfungskette der Wasserwirtschaft Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 10
Für die Erzeugung von Wasserstoff können verschie- Landesregierung mit einer Wasserstoffproduktion von dene Technologien und Verfahren zur Anwendung kom- 18 TWh.18 men, die jeweils farblich codiert sind (Abbildung 6).16 Momentan ist die Elektrolyse mit grünem Strom noch die Grauer Wasserstoff wird zumeist unter Hitze aus Erdgas teuerste Art der H2-Produktion. Bei steigenden CO2-Prei- (Dampfreformierung) oder Kohle (Vergasung) gewon- sen, weiter sinkenden Kosten für grünen Strom und der nen. Bei der Herstellung entweicht das im Erdgas und in zu erwartenden Kostendegression bei Elektrolyseuren der Kohle enthaltene CO2 in die Atmosphäre. ist jedoch davon auszugehen, dass 2050 grüner Was- serstoff etwa genauso teuer oder günstiger als grauer Eine höhere Klimafreundlichkeit des gleichen Verfahrens und blauer Wasserstoff sein wird.19 Zukünftige Kosten kann durch Abscheidung und Speicherung (CCS, Car- für türkisen Wasserstoff sind noch ungewiss, da sich bon Capture and Storage) oder Nutzung (CCU, Carbon diese Technologie noch in der Entwicklungsphase befin- Capture and Utilization) des Treibhausgases erreicht det. Forscher gehen davon aus, dass türkiser Wasser- werden. Dem so hergestellten Wasserstoff wird die stoff halb so teuer werden könnte wie grüner Wasser- Farbe “blau” zugeordnet. Problematisch ist dabei, dass stoff.20 eine dauerhafte Speicherung des CO2 sichergestellt wer- den muss. Die Speicherung von Kohlenstoffdioxid ist in Neben den oben genannten existieren weitere Erzeu- Deutschland derzeit de facto durch das Gesetz zur De- gungsarten: Die Chloralkali-Elektrolyse wird in der Che- monstration der dauerhaften Speicherung von Kohlendi- mieindustrie zur Herstellung von Chlor aus einer Salzlö- oxid ausgeschlossen, sodass bis zu einer Änderung die- sung verwendet. Als Nebenprodukte entstehen Natron- ses Gesetzes blauer Wasserstoff in Deutschland ledig- oder Kalilauge sowie Wasserstoff. Eine noch in der Ent- lich als Importgut in Frage kommt. wicklung befindliche Technologie ist die Herstellung von Wasserstoff aus Biomasse.21 Bei der Herstellung von türkisem Wasserstoff entsteht statt gasförmigem CO2 fester Kohlenstoff, da das Me- than aus dem Erdgas thermisch gespalten wird. Der Transport und Verteilung feste Kohlenstoff kann entweder ohne die Gefahr von Le- Bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff sind der Ort der ckagen gelagert oder als Rohstoff in der Industrie ver- Stromerzeugung und der Ort des Wasserstoffverbrauchs wendet werden. oft nicht derselbe. In Deutschland liegen EE-Kapazitäten eher im windreichen Norden, während Deutschlands In- Für grünen Wasserstoff werden reines Wasser und dustrie- und Bevölkerungsschwerpunkte tendenziell im Strom aus erneuerbaren Energien genutzt. Neben dem Westen und Süden zu verorten sind. Der Wasserstoff kann Wasserstoff entsteht Sauerstoff, der entweder in die At- entweder am Ort der Stromerzeugung produziert und dann mosphäre entlassen oder anderweitig genutzt werden zu den Verbrauchern befördert werden oder der Strom wird kann (z. B. für Verbrennungs-, Oxidations- und Heizpro- über vorhandene Leitungen zu den Abnehmern transpor- zesse in der Industrie). Zukünftig könnte die Wasserstoff- tiert der Wasserstoff vor Ort erzeugt. erzeugung auch ein Geschäftsmodell für EEG-Anlagen werden, die nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung Die wirtschaftlichste Transportvariante für Wasserstoff ausscheiden. Dies betrifft in NRW bis einschließlich 2025 hängt von Faktoren wie der Transportstrecke, -menge Wind- und PV-Anlagen mit einer Leistung von über und der Verwendungsform am Verbrauchsort ab. Im Ver- 2.000 MW.17 Damit könnten jährlich knapp 3 TWh Was- gleich zum Stromtransport ist der Energietransport in serstoff erzeugt werden. Im Jahr 2050 rechnet die Gaspipelines kosteneffizienter und die transportierbaren Abbildung 6: Wasserstoff-Farbpalette Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 11
Energiemengen sind höher. Auch wirkt das Pipelinenetz Mengen Erdgas und Wasserstoff eingespeist, wodurch für das darin vorhandene Gas als Speicher. Im Gegen- die Wasserstoffkonzentration bzw. das Mischungsver- satz zum Stromnetz sind Erzeugung und Verbrauch für hältnis ortsabhängig variiert. Hierdurch ergeben sich das Gasnetz daher weniger zeitkritisch. Herausforderungen durch die daraus bedingte Schwan- kung der Zusammensetzung und des Brennwertes des Soll der Wasserstoff transportiert und verteilt werden, Gases, was sich auf die Energieausbeute und die Mes- muss dies aufgrund seiner geringen Dichte komprimiert sung der erbrachten Leistung auswirkt. gasförmig, auf -253 °C gekühlt flüssig oder in Trägerma- terialien gebunden erfolgen. Bei letzterer Option sind Zudem ist die Zumischung in ihrer Höhe heute sowohl flüssige und feste Wasserstoffträger möglich. Als feste technisch als auch regulatorisch begrenzt. So sind viele Wasserstoffträger werden Metallhydridspeicher u. a. in Erdgasturbinen nur für Wasserstoffanteile von ein bis U-Booten eingesetzt. Als flüssiges Trägermaterial fun- fünf Prozent geeignet. Das Regelwerk des Deutschen gieren z. B. Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC) wie Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) erlaubt Dibenzyltoluol, die sich in einer chemischen Reaktion mit bisher höchstens zehn Volumenprozent Wasserstoff im Wasserstoff verbinden. Vor der Nutzung des Wasser- Gasnetz.26 Vor der Nutzung des Gases kann außerdem stoffs muss dieser wieder aus dem Trägermaterial her- je nach Anwendung eine Entmischung notwendig wer- ausgetrennt werden (Dehydrierung, z. B. durch Erhit- den, um die benötigte Reinheit von Erdgas oder Wasser- zen). Eine (energetisch) unaufwändige Dehydrierung ist stoff zu garantieren. Eine Wasserstoffkonzentration über neben anderen Eigenschaften entscheidend für die Nut- zwei Volumenprozent kann z. B. zu einer Versprödung zung eines Stoffes als Trägermaterial. Für den kompri- der Stahltanks von Erdgasfahrzeugen führen.27 miert gasförmigen oder gekühlt flüssigen Transport müs- sen die Kosten und der Energiebedarf der Erzeugung Zur Deckung des deutschen Wasserstoffbedarfs werden und Aufrechterhaltung der Zustände bis zur Weiterver- in Zukunft Importe notwendig. Grund ist das nicht ausrei- wendung berücksichtigt werden. chende Platzangebot für erneuerbare Energien in Deutschland. Innerhalb Europas kommen Staaten als Der Transport des erzeugten Wasserstoffs kann sowohl Lieferländer in Frage, die aufgrund hoher Wind- oder So- durch Pipelines als auch mithilfe von Lkw, Zügen und larenergieleistung grünen Strom oder Wasserstoff an Schiffen erfolgen. Während der Transport durch Lkw be- Deutschland liefern könnten. Unterschiedliche Untersu- reits erprobt und hauptsächlich für geringe Transport- chungen nennen Irland, Norwegen, das Vereinigte Kö- mengen und kurze Distanzen geeignet ist, wurden mit nigreich, Island, Spanien, Italien, Frankreich und Grie- Zug- und Schiffstransporten bisher wenige Erfahrungen chenland als mögliche Exporteure.28 Darüber hinaus gesammelt. Für den Zugtransport ist die Nutzung der für strebt die Bundesregierung Importe aus außereuropäi- den Lkw-Transport verwendeten Behälter denkbar, schen Ländern an. Beispielsweise könnten sonnenrei- wenn auch bisher nicht zugelassen.22 Das erste Tank- che nordafrikanische Länder wie Marokko Wasserstoff schiff für Flüssigwasserstoff namens “Suiso Frontier” aus Solarenergie herstellen, der dann per Pipeline oder wird durch die Firma Kawasaki Heavy Industries Ltd. ge- Schiff nach Deutschland transportiert wird. baut und befindet sich aktuell in der Fertigstellung. Japan plant, damit Wasserstoff aus Australien zu importieren. Auch heutige Erdgasproduzenten wie Norwegen und 2021 soll die Strecke das erste Mal mit Wasserstoff be- Russland könnten zur blauen und türkisen Wasserstoff- laden zurückgelegt werden.23 produktion beitragen. Für NRW interessant sind bezüg- lich zukünftiger Importe die bereits vorhandenen Trans- Für den Transport von großen Mengen über längere portleitungen für Erdgas zu den Niederlanden, die im Strecken an Land erscheint aus heutiger Sicht die Nut- März 2020 eine ambitionierte Wasserstoffstrategie be- zung von Rohrleitungen als wirtschaftlichste Variante. schlossen haben. Mit dem Ende der Erdgasförderung in Möglich ist sowohl ein Neubau von Wasserstoffpipelines den Niederlanden könnten vorhandene Leitungen umge- als auch eine Umwidmung vorhandener Erdgasinfra- widmet werden. struktur, die bereits in einzelnen Projekten erprobt wird. Schätzungen gehen davon aus, dass die Umwidmung In NRW selbst ist bereits heute ein industriell betriebenes, vorhandener Erdgasleitungen etwa 10 bis 25 % der Neu- reines Wasserstoffnetz vorhanden. Dieses verbindet baukosten für Wasserstoffpipelines verursachen wür- Wasserstoffproduktionsstätten mit Industriekunden mit ei- den. Nötig ist beispielsweise eine Untersuchung der Lei- ner Länge von 240 km zwischen Castrop-Rauxel und Le- tungen auf Risse und ein Austausch von Teilen der Ven- verkusen.29 Die 16 Fernleitungsnetzbetreiber Deutsch- tile. PE-Leitungen, deren wachsender Anteil im Verteil- lands stellten 2020 zudem das sogenannte H2-Startnetz netz bereits dominiert24, können ohne Einschränkungen für 2030 vor, ein Wasserstoffnetz mit einer Länge von für Wasserstoff genutzt werden. Auch wird davon ausge- 1.200 km, wovon 1.100 km durch Umwidmung von Erd- gangen, dass eine Umnutzung von Stahlleitungen gasleitungen gedeckt werden sollen. Auf NRW entfallen grundsätzlich möglich ist. Allerdings müssen Vorkehrun- 240 km, davon sollen 190 km durch Umwidmung von Erd- gen getroffen werden, wie der Einsatz eines geringeren gaspipelines verwirklicht werden.30 Druckes, zusätzlicher Innenbeschichtung oder moderner Wartungstechnik zur Risserkennung.25 Des Weiteren ist eine Zumischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz möglich. Allerdings würden voraussichtlich an unter- schiedlichen Stellen im Gasnetz verschieden große Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 12
Speicherung Die Speicherung von Wasserstoff kann erforderlich wer- den, wenn Erzeugung bzw. Anlieferung und Verbrauch zeitlich auseinanderfallen. Zur Nutzung des Wasser- stoffs als Speichermedium für EE-Strom ist eine (saiso- nale) Speicherung des erzeugten Wasserstoffs bis zur Rückverstromung notwendig. Für die Speicherung von Wasserstoff können die auch zum Transport genutzten Behältertechnologien verwendet werden, d. h. Druck- Abbildung 7: Wasserstoffverbrauch 2050 in NRW33 und Flüssiggasspeicherbehälter bzw. eine Speicherung mithilfe von Trägermaterialien. Für die gasförmige Lage- Wasserstoff wird bereits heute in der Industrie einge- rung großer Wasserstoffmengen sind voraussichtlich un- setzt. Heute liegt der Gesamtwasserstoffverbrauch in terirdische Kavernenspeicher geeignet, die heute zur Deutschland je nach Quelle bei 55 bzw. 57 TWh pro Erdgasspeicherung genutzt werden. Dabei sind in NRW Jahr, der vor allem durch die Grundstoff- und Petroche- 39 TWh von 270 TWh deutschen Erdgasspeicherkapa- mie entsteht. 30 % davon entfallen auf NRW. Der heute zitäten (Poren- und Kavernenspeicher) vorhanden. Der eingesetzte graue Wasserstoff kann zukünftig durch grü- allergrößte Teil der 39 TWh in NRW befindet sich im Ka- nen Wasserstoff ersetzt werden. Bis 2050 könnte grüner vernenspeicher im Raum Gronau/Epe.31 Wasserstoff abhängig von Elektrolyseur- und CO2-Prei- sen günstiger werden als grauer Wasserstoff.34 Wasserstoff hat eine sehr geringe Moleküldichte, wodurch es durch viele Materialien hindurchdiffundiert. Weitere Potenziale für den Einsatz von Wasserstoff sind Zudem kann Wasserstoff Metalle verspröden, indem es in der Stahl- und Zementindustrie sowie der Glas- und sich in deren Gitterstruktur einlagert. Dies muss bei der Kunststoffherstellung vorhanden. Das Gas kann in diesen Auswahl geeigneter Materialien für Speicher berücksich- Bereichen sowohl stofflich als auch energetisch zur Erzeu- tigt werden. Darüber hinaus ist die volumetrische Ener- gung von Prozesswärme genutzt werden. Lange Investiti- giedichte verhältnismäßig gering. Bei mobilen Speichern onszyklen führen bereits vor dem Zeitpunkt der Wirtschaft- besteht die Gefahr, den Vorteil der hohen gewichtsspe- lichkeit des Einsatzes von grünem Wasserstoff zu Hand- zifischen Energiedichte des Wasserstoffs durch das Ge- lungsbedarf, um eine Dekarbonisierung der Industrie bis wicht des Speichers zu verspielen. 2050 erreichen zu können. Dabei könnte zunächst auch (importierter) blauer oder türkiser Wasserstoff genutzt Die Kompression des Wasserstoffs kostet etwa 10 % des werden. Später würde auf grünen Wasserstoff umgestellt Energiegehalts des Wasserstoffs, die Verflüssigung un- oder zumindest durch diesen ergänzt werden, sobald die- ter Kühlung 30 %, was die Wirtschaftlichkeit beein- ser in ausreichenden Mengen vorhanden ist und dessen flusst.32 Erwärmt sich der verflüssigte Wasserstoff im Kosten gesunken sind. Durch einen frühen Einsatz von Speicherbehälter und verdampft, muss Wasserstoff ab- Wasserstofftechnologien ergeben sich für deutsche Un- gelassen werden, um den Druck konstant zu halten, was ternehmen zudem Know-how-Vorteile und Exportpotenzi- zu Speicherverlusten führt. Der Einsatz von Trägermate- ale für Wasserstofftechnologien. rialen soll diesen Nachteilen begegnen. Problematisch sind bei vielen Trägermaterialen heute der Energieauf- Eine Nutzung von Wasserstoff im Verkehrssektor ist vor wand bei der Dehydrierung und das hohe Gewicht der allem für den Lastenverkehr und schwere Nutzfahrzeuge Stoffe selbst im Vergleich zur darin speicherbaren Was- wahrscheinlich. Im Pkw-Bereich erscheint aus heutiger serstoffmenge. Bisher werden daher vor allem Kompres- Sicht der flächendeckende Einsatz von Wasserstoff auf- sion und Verflüssigung kommerziell eingesetzt. grund des im Vergleich zu Batteriefahrzeugen geringen Wirkungsgrads von etwa 25 % (von elektrischer Energie zum Antrieb des Fahrzeugs)35 volkswirtschaftlich ineffi- Anwendung zient. 2020 waren nur drei der 21 Wasserstofftankstellen Bei der Anwendung von Wasserstoff kann zwischen in NRW auch für die Betankung von Lkw ausgelegt.36 energetischer und nicht-energetischer bzw. stofflicher Nutzung unterschieden werden. Für die energetische Handel Nutzung in NRW schätzt das Forschungszentrum Jülich im Rahmen einer Begleitstudie zur Wasserstoff-Road- Bisher wird Wasserstoff vor allem lokal produziert und map NRW einen Bedarf von 104 TWh im Jahr 2050. Da- verbraucht. Daher ist ein Wasserstoffhandel heute nur von entfallen 42 TWh auf den Industriesektor, 33 TWh räumlich begrenzt vorhanden. So dient die Rhein-Ruhr- auf den Verkehr und 26 TWh auf Rückverstromung. Der Pipeline der Versorgung der angeschlossenen Unter- Verband der Chemischen Industrie geht für Deutschland nehmen in der Region. In der Nationalen Wasser- von einem stofflichen Verbrauch von 227 TWh pro Jahr stoffstrategie wird ein Fokus auf Handelsbeziehungen im Jahr 2050 aus, wovon etwa 30 % NRW zugerechnet mit geeigneten Partnerländern gelegt. Ein System zur werden. Damit ergibt sich für NRW im Jahr 2050 insge- Festlegung von international einheitlichen Standards samt ein prognostizierter Verbrauch von 172 TWh. und Zertifizierung von grünem und klimafreundlichem Wasserstoff wird auf europäischer Ebene im Rahmen des Projektes CertifHy entwickelt. Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 13
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TÄT I G K E I T S F E L D E R von über 80 Milliarden Euro in Wasserstoffinfrastruktur er- fordern.39 UND ANWENDUNGS- Um dieses Potenzial für einheimische Unternehmen FÄ L L E F Ü R U N T E R N E H - nutzbar zu machen, ist jedoch ein ambitionierter Hoch- MEN IN NRW lauf der Wasserstoffwirtschaft in NRW erforderlich, um Unternehmen die Entwicklung und Erprobung innovati- ver Technologien und Dienstleistungen zu ermöglichen und einen technologischen Vorsprung im internationalen Wettbewerb zu erlangen. Wasserstoff lässt sich technisch in zahlreichen Anwen- dungsfällen in der Industrie, dem Verkehrssektor, dem Zur Verdeutlichung des bestehenden Potenzials für Un- Gebäudebereich und der Energiewirtschaft einsetzen. ternehmen aus NRW wurden drei Tätigkeitsfelder und Aufgrund der in der ersten Phase des Markthochlaufs sieben Anwendungsfälle in der Wasserstoffwirtschaft noch vergleichsweise hohen Kosten grünen Wasser- ausgewählt und beleuchtet. Während die Tätigkeitsfel- stoffs und der beschränkten Verfügbarkeit wird das Gas der Chancen für Hersteller und Zulieferer von Materialien jedoch auch als der „Champagner unter den Energieträ- und Komponenten entlang der Wertschöpfungskette gern“37 bezeichnet, mit dem v. a. Anwendungen dekar- adressieren, beschreiben die Anwendungsfälle Möglich- bonisiert werden sollten, für die andere EE-Lösungen keiten der Wasserstoffnutzung in den Sektoren Industrie, technisch nicht geeignet sind. Verkehr, Gebäude und Energieerzeugung. Insbesondere im Verkehr und in der Industrie ist laut ver- schiedenen Studien mit einem hohen Einsatz von Wasser- stoff in Deutschland zu rechnen (Abbildung 8).38 Neben dem heimischen Markt bieten zukünftig auch internationale Kunden signifikante Absatzchancen für Unternehmen aus NRW. Bis 2050 könnte die weltweite Wasserstoffnach- frage pro Jahr bei förderlichen politischen Rahmenbedin- gungen auf 27.500 TWh Wasserstoff und damit knapp um den Faktor 13 steigen. Dies würde bis 2050 weltweit In- vestitionen in Höhe von über 9 Billionen Euro und in NRW Abbildung 8: Szenarien des Wasserstoffbedarfs in Deutschland nach Sektoren Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 15
Komponenten für die dezentrale Nutzung in der Industrie als Erzeugung von Wasserstoff Ausgangsstoff für chemische Produkte Komponenten für Auf- und Ausbau der H2-Brennstoffzellen-Antriebe im Wasserstoffinfrastruktur Güterverkehr und im ÖPNV (H2-/Mischnetze) Komponenten für die mobile und Herstellung und Nutzung stationäre Speicherung synthetischer Kraftstoffe von Wasserstoff Erzeugung von Prozesswärme Energieversorgung von Haushalten und in der Industrie Gewerbe mittels Brennstoffzellen Rückverstromung von Wasserstoff Wasserstoffeinsatz in der und Einspeisung von Abwärme Stahlproduktion ins Wärmenetz (BHKW) Abbildung 9: Ausgewählte Tätigkeitsfelder und Anwendungsfälle im Bereich der Wasserstoff-Wertschöpfungskette Auf den folgenden Seiten sind Über die verschiedenen Anwendungsfelder hinweg er- geben sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette › die technische Aufgabenstellung, Potenziale für bestehende und zukünftige Hersteller von Komponenten für den Aufbau der Wasserstoffinfrastruk- › Erfahrungen in NRW, tur. In verschiedenen Anwendungsgebieten benötigte Komponenten sind beispielsweise Turbinen zur Strom- › Potenziale in NRW und erzeugung, Brenner u. a. zur Wärmeerzeugung, diverse › die regulatorischen Rahmenbedingungen Materialien und Komponenten zum Bau von Brennstoff- zellen und Wasserstoffsensoren, u. a. für Mobilitätsan- für die Tätigkeitsfelder und Anwendungsfälle in Form wendungen. von Steckbriefen dargestellt. Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 16
STECKBRIEF 01: Komponenten für die Erfahrungen in NRW dezentrale Erzeugung › Im Kreis Steinfurt wird daran gearbeitet, bis zum von Wasserstoff Jahr 2025 an mehreren Standorten ca. 65 GWh Wasserstoff pro Jahr produzieren zu können. Diese Menge soll bis zum Jahr 2030 auf ca. 192 GWh pro Jahr gesteigert werden. Der so produzierte Was- Mithilfe der Elektrolyse kann (grüner) Wasserstoff zent- serstoff soll regional im Verkehrssektor verbraucht ral in großen Anlagen und verbrauchernah, also de- werden und so die CO2-Emissionen senken.42 Der zentral, erzeugt werden. Bei der Wasserelektrolyse Strom zum Betrieb der Elektrolyseure in diesem wird Wasser unter Einsatz von Strom in seine Bestand- Projekt soll aus Post-EEG-Anlagen stammen. teile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt.40 Notwendige Voraussetzungen zur erfolgreichen Elektrolyse sind ein ausreichend dimensionierter Elektrolyseur sowie Strom aus erneuerbaren Energien und Wasser. Potenzial in NRW › Ein in der deutschen Wasserstoffstrategie veran- kertes Ziel lautet, bis zum Jahr 2030 eine Elektro- O2 - H2 lysekapazität von 5 GW zu errichten. In der Was- serstoff-Roadmap NRW wird diesbezüglich ein Zielkorridor von 1 bis 3 GW definiert.43 › In Deutschland würde dies zu einer Wasserstoff- produktion von 14 TWh und in NRW von 2,8 bis Membran 8,4 TWh pro Jahr führen.44 › Besonderes Potenzial bietet sich neben Herstellern von Elektrolyseuren auch für Hersteller von effi- Anode OH- Kathode zienten und robusten Membranen, Entwickler von H+ Sensorik zur Integration in Elektrolysezellen sowie Anbieter kostengünstiger Plasmaspritzverfahren zur Elektrodenbeschichtung.45 Abbildung 10: Exemplarische PEM-Elektrolysezelle Regulatorische Rahmenbedingungen › Auf der Basis des Regierungsprogramms Wasser- stoff- und Brennstoffzellentechnologie 2016 – 2026 Technische Aufgabenstellung stellt das ressortübergreifende Nationale Innovati- onsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellen- › Bei der Elektrolyse wird Wasser in Wasserstoff und technologie (NIP) ca. 1,4 Milliarden Euro bereit. Zu- Sauerstoff aufgespalten. Dies geschieht in einer dem wird die anwendungsorientierte Grundlagen- Elektrolysezelle, die aus einem Gehäuse mit zwei forschung zu grünem Wasserstoff im Rahmen des angeschlossenen Gasabscheidern, zwei Elektro- Energie- und Klimafonds von 2020 bis 2023 mit den (Anode und Kathode) sowie einer dazwischen 310 Millionen Euro weiter ausgebaut und es ist be- eingebrachten gasdichten, aber wasserdurchlässi- absichtigt, die anwendungsnahe Energieforschung gen Membran (Diaphragma) (z. B. aus Asbest/Po- zu Wasserstofftechnologien mit 200 Millionen Euro lytetrafluorethylen-Teflon) besteht. von 2020 bis 2023 zu stärken. › In dem Gehäuse befindet sich ein Elektrolyt (z. B. › In der Vorlage des EEG 2021 wurde aufgenom- Kalilauge). Bei Anlegen einer äußeren Gleichspan- men, dass die Erzeugung von grünem Wasserstoff nung zwischen Kathode und Anode (bestehend künftig von der EEG-Umlage befreit werden soll. aus z. B. Platin/Nickel) fließt ein elektrischer Strom, Darüber hinaus werden für die Herstellung von grü- der an der Kathode für die Wasserstoff- und an der nem Wasserstoff künftig die KWK-Umlage und die Anode für die Sauerstoffentwicklung sorgt.40 Offshore-Umlage herabgesetzt.46 › Es wird hauptsächlich zwischen drei Verfahren der Elektrolyse unterschieden: Die klassische alkali- sche Elektrolyse nutzt als Elektrolyt üblicherweise eine alkalische Flüssigkeit. Die Polymer-Elektrolyt- Membran (PEM) Elektrolyse beruht auf dem La- dungstransport von Protonen, wofür der Elektrolyt aus einer ionenleitfähigen Polymermembran be- steht. In der Hochtemperatur-Elektrolyse wird der Transport von Oxidionen genutzt, wobei für den Elektrolyten Yttrium-stabilisiertes Zirconiumoxid (YSZ) verwendet wird.41 Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 17
STECKBRIEF 02: Komponenten für Auf - und Erfahrungen in NRW Ausbau der Wasserstoff - › Im Projekt „GET H2 Nukleus“ um den Kraftwerksstand- infrastruktur (H2-/Mischnetze) ort der RWE AG in Lingen werden bestehende Erdgas- leitungen der Unternehmen Evonik Industries AG, Nowega GmbH und OGE Open Grid Europe GmbH auf den Transport von 100 % Wasserstoff umgestellt. Dar- Wasserstoff muss vom Erzeuger zum Verbraucher trans- über hinaus errichtet die Evonik Industries AG teilweise portiert werden. Dies gilt sowohl für die heimische Erzeu- auch neue Wasserstoffleitungen.50 gung als auch für den Import. Für den Transport großer › Der Transport des Wasserstoffs erfolgt über diese Inf- Mengen bieten sich Rohrleitungsnetze an. Dabei kann rastruktur mit einer Länge von 130 km zu Chemieparks der Wasserstoff entweder in bestehende Erdgasnetze und Raffinerien in Lingen, Marl und Gelsenkirchen. Die beigemischt werden oder es können dedizierte Wasser- Inbetriebnahme wird 2023 erfolgen. stoffnetze aufgebaut werden. Wasserstoffleitungen kön- nen unter Versprödung und Korrosion leiden, wenn bei- spielweise der Stahl nicht rein genug ist oder zu hohe Härte aufweist.47 Potenzial in NRW › Laut Wasserstoff Roadmap NRW sollen bis zum Jahr 2030 in Deutschland 1.300 km Wasserstoffleitungen Kompressoren durch Umrüstung und Neubau errichtet werden. Davon Tiefbau Fittinge sollen 240 km Leitungen in NRW liegen. Von den 240 km können rund 190 km durch die Umwidmung von Erdgasleitungen erreicht werden. › Besonderes Potenzial bietet sich für Hersteller von Stahl- rohrleitungen höherer Güte und innovativer Schweiß- Rohrleitung techniken sowie Tiefbau-Unternehmen. Produzenten von geeigneten Gasdruckregelanlagen und Leitungskompo- nenten wie z. B. Fittings könnten ebenfalls profitieren. Andere Möglichkeiten ergeben sich bei der Verwendung Stahl- & von Kunststoffrohren.51 Schweißarbeiten Gasdruckregler Kunststoffrohre Regulatorische Rahmenbedingungen Abbildung 11: Komponenten des Ausbaus der Infrastruktur › Seit dem 10. Februar 2021 liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur zukünftigen Regulierung von rei- nen Wasserstoffnetzen vor. Darin werden Wasserstoff- Technische Aufgabenstellung netze als allgemeines Versorgungsnetz eine gesondert definierte Kategorie in § 3 EnWG. Eine Beimischung › Der Betrieb von Gasnetzen erfordert in bestimmten Ab- von Wasserstoff in Erdgasnetze wird nach aktuellem ständen sogenannte Verdichter, die den Druck auf- Stand von der Bundesregierung nicht angestrebt. rechterhalten. Dies wird erforderlich, da Reibungsver- luste existieren, die über die langen Distanzen die Be- › Für eine Übergangsphase lässt eine Opt-in-Option den wegung des Gases hemmen. derzeit nicht regulierten Wasserstoffnetzbetreibern die Wahl, ob sie weiterhin unregulierter oder regulierter › Durch Abweichungen in der Energiedichte und der Netzbetreiber sein wollen. Wenn sie dies tun, müssen Durchflussrate von Wasserstoff im Vergleich zu Erdgas die Wasserstoffnetze buchhalterisch von den Erdgas- kann die maximale Energiekapazität einer Wasserstoff- netzen getrennt werden. Pipeline einen Wert von bis zu 80 % der Energiekapa- zität erreichen, die sie beim Transport von Erdgas hat.48 › Wasserstoffnetze sollen von den Netznutzern finanziert werden. Eine Querfinanzierung der Wasserstoffnetze › Im Vergleich zu reinen Erdgasleitungen werden eine mit allgemeinen Tarifen für Erdgas und Wasserstoff soll höhere Reinheit der Stahlrohre, weniger harte Schweiß- nicht möglich sein.52 nähte, Legierungen mit höherer Zähigkeit und eine an- gemessene Flexibilität für Ausdehnung bei Dichtungen › Laut technischen Vorgaben des DVGW ist in bestehen- und Achsversetzungen notwendig.49 den Erdgasnetzen eine Beimischung von knapp zehn Volumenprozent Wasserstoff zulässig. Eine Aus- weitung dieser Vorgabe wird aktuell geprüft.53 Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 18
STECKBRIEF 03: Komponenten für die mobile Erfahrungen in NRW und stationäre Speicherung › Der Aufbau der Wasserstofftankstelleninfrastruktur von Wasserstoff in NRW führt zu einem steigenden Bedarf an mobi- len und stationären Speichersystemen. Druck- gastanks werden sowohl neben Gebäuden als auch auf Lkw-Trailern montiert. Flüssiggasspeicher H2 kann als Speicher- und Transportmedium für Ener- werden teilweise stationär an Tankstellen einge- gie dienen. Dabei existieren grundsätzlich drei ver- setzt. Anfang 2021 existierten in NRW 21 Wasser- schiedene Wege, Wasserstoff zu speichern: die Druck- stofftankstellen.58 speicherung, die Speicherung von flüssigem Wasser- › Die NPROXX Jülich GmbH entwickelt und produ- stoff und die Absorptionsspeicherung. Zudem wird zwi- ziert in Jülich Carbonfaser-Druckbehälter zur Spei- schen mobiler und stationärer Speicherung unterschie- cherung von H2.59 den, die unterschiedliche Anforderungen an die Spei- chertechnologie mit sich bringen. Potenzial in NRW CG LH › Salzkavernen wie z. B. in Epe oder Xanten in NRW, H die heute zur Speicherung von Erdgas, Erdöl und H Helium genutzt werden, könnten zukünftig für die Druckgas- Salz- LOHC Flüssiggas- Metall Hyd- (saisonale) Speicherung von Wasserstoff verwen- speicher kavernen speicher rid Speicher det werden. In NRW sind Kavernenspeicher mit ei- nem Gesamt-Arbeitsgasvolumen von ca. 3,8 Milli- arden Nm³ in Betrieb.60 Abbildung 12: Optionen zur H2-Speicherung › Die Nähe von NRW zu den Niederlanden, wo aktu- ell große H2-Produktionsstätten geplant sind, eröff- net weitere Möglichkeiten. Shell plant, mit weiteren Technische Aufgabenstellung Partnern vor der Küste Nordhollands Offshore- Windstrom mit einer Leistung von 3 bis 4 GW zu › Gasförmiger Wasserstoff lässt sich bei einem erzeugen und mittels Elektrolyse in grünen Was- Druck von 200 bar (Lkw-Trailer) bis 700 bar (Pkw- serstoff umzuwandeln.61 Die in NRW vorhandenen Tank) speichern.54 Speichermöglichkeiten können zur Sicherstellung › Eine Alternative stellt die Verflüssigung von Was- einer H2-Verteilung in Deutschland genutzt werden. serstoff dar. In diesem Zustand besitzt LH2 eine we- › Besonderes Potenzial bietet sich neben Herstellern sentlich höhere Dichte (71 kg/m³), muss aber bei von Speicherlösungen (z. B. Druckgastanks) auch -253 °C gespeichert werden.55 Entwicklern von Betankungslösungen, die die ho- › Metallhydride absorbieren gasförmigen Wasser- hen Anforderungen an den Druck umsetzen kön- stoff und können so als Speicher eingesetzt wer- nen. Dabei sind Kompressoren zum Verdichten den. Beim Kontakt des Wasserstoffs mit dem Me- und Lösungen zum Herunterkühlen des Wasser- tallhydrid zerfallen die H2-Moleküle in atomaren stoffs von elementarer Bedeutung. Wasserstoff und dringen in das Material ein. Durch Druckerniedrigung und leichte Wärmezufuhr kann der Wasserstoff wieder ausgetrieben werden. Da- Regulatorische Rahmenbedingungen bei ist das langsame Ein- und Ausspeichern der Hauptnachteil dieser Speicherart, während die › Die stabile Auslegung der Drucktanks ist Voraus- Möglichkeit, unter Normaldruck zu arbeiten, der setzung für die kompakte Speicherung von Was- größte Vorteil ist. serstoff unter hohem Druck. Sie müssen das Zwei- › Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC) speichern fache des zugelassenen Betriebsdrucks aushalten den Wasserstoff in einem flüssigen Trägermedium. können.62 Ein Thermal-Öl bindet Wasserstoff chemisch durch › Wasserstoff selbst ist nicht explosionsfähig und eine katalytische Reaktion. Durch Erhitzen des Trä- kann nur in Mischungsverhältnissen ab 4 % H2 in germediums auf 250 bis 320 °C kann der Wasser- Luft gezündet werden. Detonationen treten in freier stoff wieder freigegeben werden.56 Luft praktisch nicht auf, müssen aber in geschlos- › Die Kosten der Speicherarten unterscheiden sich senen Räumen durch geeignete Sicherheitsmaß- noch deutlich und liegen zwischen 0,18 Euro/kg für nahmen verhindert werden. die Speicherung in Containern und 4,15 Euro/kg bei der Speicherung mittels LOHC.57 Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 19
STECKBRIEF 04: Erzeugung von Prozess- Erfahrungen in NRW wärme in der Industrie › Das Projekt „Hyglass“ untersucht die Eignung einer reinen Wasserstoffnutzung oder -zumischung zur Deckung des hohen Prozesswärmebedarfs der Die Bereitstellung von Prozesswärme begründet einen Glasherstellung, um Erdgas zu ersetzen. Das Pro- großen Teil des industriellen Energiebedarfs und hat jekt wird vom Gas- und Wärme-Institut Essen e.V. somit große Relevanz für eine Dekarbonisierung der (GWI) und dem Bundesverband Glasindustrie Industrie (z. B. bei der Herstellung von Glas, Zement, durchgeführt und über IN4climate.NRW geför- Fliesen oder Erzeugnissen der Chemieindustrie). Was- dert.65 serstoff bietet sich als Energieträger an, um den CO2- Ausstoß der Wärmeerzeugung zu verringern, welche aktuell hauptsächlich auf Basis von fossilen Brennstof- Potenzial in NRW fen erzeugt wird. › Die Prozesswärme machte 2019 deutschlandweit über zwei Drittel des Endenergieverbrauchs der In- dustrie aus.66 Ein Großteil wird unter Verwendung Erneuerbare Energie von Kohle und Erdgas erzeugt. Mit über 200 TWh wurde in Deutschland 2015 ca. die Hälfte der Pro- zesswärme aus Erdgas bereitgestellt. Dabei sind rund 75 % der gesamten Prozesswärme für ener- gieintensivere Temperaturniveaus über 500°C er- forderlich.67 O2 Hochtemperatur- - H2 prozesswärme › In der Wasserstoff-Roadmap NRW werden für das Jahr 2030 erste Anlagen mit Wasserstoffnutzung in der Glasproduktion, Fliesen- und Ziegelindustrie Elektrolyse und ein Drehofen in der Gießereitechnik sowie die Entwicklung und Prüfung von Verfahren zum Ein- satz von Wasserstoff in der Zementindustrie zum Ziel gesetzt. Abbildung 13: Verbrennung von grünem Wasserstoff ersetzt › Industrien mit großem Bedarf an Prozesswärme die aus fossilen Energieträgern erzeugte Prozesswärme. über 500 °C sind hier besonders relevant. Dies be- trifft z. B. die Zement-, Stahl- und Mineralölprodukte sowie u. a. die Nichteisenmetallproduktion und Gießereien, Grundstoff- und sonstige Chemie, Technische Funktionsweise Glas- und Keramikherstellung sowie die Verarbei- › Generell können unterschiedliche Anforderungen tung von Steinen und Erden.68 an die Bereitstellung von Wärme in industriellen Prozessen bezüglich des geforderten Tempera- turniveaus, der Notwendigkeit eines Verbren- Regulatorische Rahmenbedingungen nungsprozesses oder anderer prozessbedingter Besonderheiten vorliegen. Als Temperaturniveaus › Die Förderrichtlinie „Dekarbonisierung in der In- können z. B. Nieder- (bis 100°C), Mittel- (bis dustrie“ soll helfen, prozessbedingte Emissionen 500°C) und Hochtemperaturbereiche (über 500°C) zu reduzieren. Bis 2024 sollen über das Bundes- abgegrenzt werden.63 umweltministerium energieintensive Branchen wie › Während im Niedertemperaturbereich zahlreiche Stahl, Zement, Kalk, Chemie und Nichteisenme- EE-Technologien (z. B. Solarthermie, Geothermie, talle mit 2 Milliarden Euro unterstützt werden. Wärmepumpen) dem Wasserstoff kostengünstig › Wasserstoffanwendungen in der Industrie werden Konkurrenz machen, ist die Verwendung beson- zudem durch die „Technologieoffensive Wasser- ders in höheren Temperaturbereichen sinnvoll. stoff“ des BMWi gefördert.69 Dort sind vor allem Biomethan oder eine vollstän- dige Elektrisierung mögliche nicht-fossile Konkur- renztechnologien. So kann Wasserstoff beispiels- weise Erdgas in existierenden Produktionsprozes- sen ersetzen.64 Wasserstoff – Chancen für die Wirtschaft in NRW - Impulspapier im Auftrag von IHK NRW 20
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