BLAUER WASSERSTOFF KURZSTUDIE PERSPEKTIVEN UND GRENZEN EINES NEUEN TECHNOLOGIEPFADES - Greenpeace Energy
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KURZSTUDIE
BLAUER WASSERSTOFF
PERSPEKTIVEN UND GRENZEN EINES
NEUEN TECHNOLOGIEPFADES
AUTOR:
DR. STEFFEN BUKOLD
JANUAR 2020INHALTSVERZEICHNIS
EXECUTIVE SUMMARY 3
ERGEBNISSE UND ZUSAMMENFASSUNG DER STUDIE 4
ABKÜRZUNGEN UND GLOSSAR 13
1. WASSERSTOFF: ZUKUNFTSBRANCHE VOR POLITISCHEN
WEICHENSTELLUNGEN 14
2. BLAUER UND GRÜNER WASSERSTOFF:
VERFAHREN UND KOSTEN 21
3. DIE EMISSIONEN:
ERDGAS UND BLAUER WASSERSTOFF 36
4. CCS - UNVERZICHTBAR FÜR BLAUEN WASSERSTOFF 47
5. DIE VARIANTE: IMPORTIERTER WASSERSTOFF 55
QUELLENVERZEICHNIS 58
2EXECUTIVE SUMMARY
1. Wasserstoff entwickelt sich zu einer globalen Wachstumsbranche. Zahlreiche Großprojekte stehen
in Europa vor dem Start. Industrie- und energiepolitische Weichenstellungen stehen an.
2. Zwei neue Technologiepfade stehen zur Auswahl, um Wasserstoff emissionsarm herzustellen:
• Blauer Wasserstoff: Verwendet wie bisher Erdgas und soll mit CCS, also der Abscheidung und
Endlagerung von CO2, die Emissionen verringern.
• Grüner Wasserstoff: Elektrolyseure setzen Grünstrom ein, um Wasserstoff ohne Emissionen zu pro-
duzieren.
3. Klimapolitisch entscheidend ist die nach wie vor hohe Emissionsbelastung durch Blauen
Wasserstoff. Schon bevor Erdgas die Wasserstoffanlage erreicht (Vorkettenemissionen) sind rund
25% der Gesamtemissionen von Erdgas entstanden. Auch bei der Wasserstoffproduktion entstehen
trotz CCS erhebliche zusätzliche Emissionen.
4. Blauer Wasserstoff kann daher nur teilweise dekarbonisiert werden. Selbst bei modernen Anlagen
entstehen im Durchschnitt 143 gCO2/kWh; bei Nachrüstungen sind es sogar 218 gCO2/kWh. Blauer
Wasserstoff ist aus diesem Grund kein geeignetes Instrument, um die deutschen Klimaziele für
2050 zu erreichen.
5. Grüner Wasserstoff, der mit Windstrom erzeugt wird, kann mit Emissionen von lediglich 26 gCO2/
kWh bereitgestellt werden. Allerdings: Beim aktuellen Strommix lägen die Emissionen von Wasser-
stoff-Elektrolyse bei 691 gCO2/kWh. Elektrolyseure sind daher auf den massiven Ausbau von Solar-
und Windkraftanlagen angewiesen.
6. Blauer Wasserstoff hat im Moment klare Kostenvorteile gegenüber Grünem Wasserstoff. Die Pro-
duktion kostet im Durchschnitt 6,3 ct/kWh H2, während Grüner Wasserstoff mit durchschnittlich 16,5
ct/kWh H2 mehr als doppelt so teuer ist. Allerdings weisen Projekte für Blauen Wasserstoff diverse
Risiken auf:
• Kostenrisiken: Erdgaspreise, CO2-Preise und CCS-Preise sind langfristig kaum kalkulierbar.
• Projektrisiken: Der Aufbau einer landesweiten CO2-Infrastruktur wird auf Widerstand stoßen.
• Kapazitätsrisiken: CCS ist nur eine Übergangslösung, da die Speichermöglichkeiten für CO2 be-
grenzt sind. Hochwertige Endlagerstätten wären schon nach wenigen Jahrzehnten erschöpft.
7. Die Kostenlücke zwischen Grünem und Blauem Wasserstoff wird schnell schrumpfen. Dazu trägt
insbesondere der erwartete Preissturz für Elektroyseure von derzeit 1000 €/kW auf 200 €/kW Pro-
duktionskapazität bei. Eine schrittweise Angleichung der Kosten zwischen Blauem und Grünem Was-
serstoff scheint schon ab 2030 wahrscheinlich. Im Jahr 2050 dürfte Grüner Wasserstoff mit 6-9 ct/
kWh den Blauen Wasserstoff (8,4 ct/kWh) an vielen Standorten überflügelt haben.
8. Der Import von Wasserstoff, z.B. aus Nordafrika oder vom Persischen Golf, bringt aus heutiger
Sicht weder Kostenvorteile noch Preisvorteile und ist mit zusätzlichen Risken verbunden.
3ERGEBNISSE DER STUDIE
1. WASSERSTOFF - RELEVANZ UND Erdgasnetz zur Verfügung stellen kann. Wasser-
stoff soll also den Hauptweg der Dekarbonisie-
WEICHENSTELLUNGEN
rung, die Elektrifizierung, wo immer nötig er-
gänzen.
Das Projekt der deutschen Energiewende steht
erneut vor wichtigen politischen Weichenstel-
Wasserstoff ist seit einigen Jahren energie- und
lungen. Welche Technologiepfade der Wasser-
industriepolitisch im Aufwind. Zahlreiche Groß-
stoffwirtschaft sollen favorisiert und unterstützt
projekte stehen vor dem Start oder werden be-
werden? Soll Wasserstoff wie bisher mit Erdgas
reits realisiert. In Europa sind besonders
produziert, aber durch CCS dekarbonisiert wer-
Deutschland, die Niederlande und Großbritan-
den? Das wäre der Weg des Blauen Wasser-
nien aktiv geworden (vgl. Kap.1.5).
stoffs. Oder soll mit Grünstrom in Elektrolyseu-
ren emissionsfreier Grüner Wasserstoff her-
Beratungsinstitute wie Wood Mackenzie und
gestellt werden?
BNEF erwarten einen steilen Marktaufschwung
für die Elektrolyse-Branche weltweit und eine
Die folgende Kurzstudie liefert zu diesem
Verzehnfachung der Produktionskapazitäten in
Thema aktuelle Informationen und Argumente.
den kommenden Jahren (vgl. Kap.1.4). Auch
Sie stützt sich dabei auf eine Auswertung der
bei Blauem Wasserstoff tut sich mehr denn je:
internationalen und deutschen Fachliteratur. In
Allein in den letzten Monaten gab es in West-
diesem Ergebniskapitel werden die wichtigsten
europa eine ganze Reihe von Ankündigungen
Erkenntnisse zusammengetragen. Detaillierte
für große Wasserstoffprojekte.
Ausführungen und Quellen befinden sich in
den Hauptkapiteln, auf die jeweils verwiesen
wird. Ein kurzes Glossar der Fachbegriffe er- 2. STARKES WACHSTUM UND HOHE
leichtert den Einstieg. EMISSIONEN (VGL. KAP.1.2 UND 1.3)
Warum ist das Thema Wasserstoff überhaupt Wasserstoff ist schon heute ein wichtiges Ele-
relevant? Wasserstoff könnte der Schlüssel zu ment der globalen Energie- und Industrieland-
Sektoren werden, die hohe Temperaturen oder schaft. Jährlich werden 70 Mio. Tonnen in rei-
eine hohe Energiedichte benötigen und die sich ner Form verbraucht, weitere 45 Mio. Tonnen
mit Strom bislang überhaupt nicht oder nur zu in Gasgemischen. Die Nachfrage wächst stän-
sehr hohen Kosten dekarbonisieren lassen. dig und hat sich seit 1990 verdoppelt. Etwa 2%
Gleichzeitig bietet sich Wasserstoff als leis- des globalen Primärenergieangebots wandern
tungsfähiger Stromspeicher an, der überschüs- dafür in die Herstellung von Wasserstoff. Davon
sige Wind- oder Solarstrommengen über lange entfallen drei Viertel auf Erdgas (205 Mrd. Ku-
Zeiträume zwischenspeichern oder direkt dem bikmeter).
4Der Einsatz von Erdgas und Kohle sorgt dafür, c. Grüner Wasserstoff zielt auf die vollständi-
dass die Wasserstoffproduktion enorme Emis- ge Dekarbonisierung der Wasserstoffprodukti-
sionen freisetzt: 830 Mio. Tonnen CO2 jährlich on. In Elektrolyseuren wird Strom eingesetzt,
allein für die 70 Mio. Tonnen reinen Wasser- um Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff
stoffs. Wenn Erdgas eingesetzt wird, entstehen und Sauerstoff zu zerlegen. Der Prozess setzt
10 Tonnen CO2 für jede Tonne Wasserstoff; kein CO2 frei, wenn der Strom emissionsfrei
beim Einsatz von Kohle sind es sogar 19 Ton- produziert wurde. Das erfordert beim heutigen
nen. Strommix eine flexible Fahrweise.
Bislang werden nur 0,7% des Wasserstoffs 4. BLAUER WASSERSTOFF: DIE VER-
emissionsfrei hergestellt. Eine Dekarbonisierung
FAHREN (VGL. KAP.2.1)
von Wasserstoff kann also einen wichtigen Bei-
trag zum Klimaschutz leisten. Für die Produktion von Blauem Wasserstoff gibt
es unterschiedliche Verfahren. Im deutschen
In den kommenden Jahren wird die Nachfrage Kontext ist nur der Erdgaspfad mit zwei Varian-
nach Wasserstoff voraussichtlich stark steigen. ten von Bedeutung:
Die zahlreichen Herausforderungen der Sekto-
renkopplung oder auch die wachsende Zahl • SMR: Dampfreforming mit Erdgas (Steam
von Brennstoffzellenfahrzeugen werden dafür Methane Reforming). Es ist das mit Abstand
sorgen, dass emissionsarme Wasserstofftechno- häufi gste Verfahren zur Herstellung von
logien immer mehr an Bedeutung gewinnen. Wasserstoff weltweit.
• ATR: Autothermal Reforming. Ein aufwendi-
3. GRAU BLAU GRÜN - DIE FARBEN- geres Verfahren, das im Zusammenhang mit
LEHRE DES WASSERSTOFFS (VGL. CCS Vorteile hat.
KAP.1.1)
Der Energieverlust ist bei beiden Produktionen
Für die Wasserstoffproduktion steht eine Viel- relativ hoch, denn es gehen 20-35% der Ener-
falt von technischen Alternativen zur Verfü- gie bei der Produktion verloren. Hinzu kommen
gung. Für den europäischen Kontext sind drei die Energieverluste für die aufwendige Bereit-
Varianten wichtig: stellung von Erdgas.
a. Grauer Wasserstoff ist die heute dominie- Ölraffinerien verfügen in der Regel über große
rende Technik. Im Standardverfahren der SMR-Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff.
Dampfreformierung (SMR) wird durch den Ein- Dort entsteht ein hochkonzentrierter CO2-
satz von Erdgas Wasserstoff erzeugt. Es ist ak- Strom, der mit vergleichsweise geringem Auf-
tuell das kostengünstigste Verfahren, aber da- wand abgeschieden werden kann.
bei werden große Mengen CO2 frei.
Der Trend geht dennoch Richtung ATR. Zu-
b. Blauer Wasserstoff, das Hauptthema die- sammen mit CCS verspricht ATR, höhere CO2-
ser Kurzstudie, nutzt die vorhandenen Anlagen Abscheidungsraten als SMR zu erreichen. ATR
des Grauen Wasserstoffs, aber scheidet das im mit CCS soll daher in geplanten Großprojekten
Produktionsprozess entstehende CO2 zum in Großbritannien und Rotterdam zum Einsatz
größten Teil ab und lagert es unterirdisch ein kommen. Der Praxistest steht allerdings noch
(CCS Carbon Capture und Storage). aus.
5Auch die Methanpyrolyse (Methane Splitting) Ein Investitionsrisiko von Blauem Wasserstoff
wird diskutiert. Die Projekte sind noch in der stellen die Erdgaspreise dar. Sie schwankten in
Pilotphase. Hier wird Erdgas in einem Hoch- den letzten sieben Jahren zwischen 1,5 und 3,0
temperaturreaktor in Wasserstoff (“Türkiser ct/kWh im Jahresdurchschnitt und sind langfris-
Wasserstoff”) und Kohlenstoff zerlegt. CO2 tig kaum prognostizierbar. Zusätzliche Risiken
wird im Produktionsprozess nicht frei, aber da- für Blauen Wasserstoff sind die Abgaben für
für ist die Energieeffizienz geringer und die CO2 und die Preise (nicht Kosten) für CCS:
Prozesse sind weniger ausgereift.
a. Auch moderne Verfahren erzeugen zum Teil
5. BLAUER WASSERSTOFF: KOSTEN erhebliche Restemissionen, die CO2-Kosten er-
zeugen.
UND INVESTITIONSRISIKEN (VGL.
b. Da Erdgas schon bei Produktion und Trans-
KAP.2.2-2.4) port hohe THG-Emissionen verursacht (vgl. un-
ten), könnten Carbon Import Taxes in Zukunft
Die Kosten von SMR-Verfahren hängen in erster
ein zusätzliches Kostenrisiko darstellen.
Linie von den Gaspreisen und den Investitions- c. Bei steigenden CO2-Preisen werden die Be-
kosten ab. Bei Blauem Wasserstoff kommen die treiber großer CO2-Lagerstätten ihre Preise an-
CCS-Kosten hinzu, bei Grauem Wasserstoff die heben, da die Kunden ansonsten nur die Wahl
CO2-Abgaben. zwischen hohen CO2-Abgaben und Produkti-
onseinschränkungen hätten.
Im europäischen Durchschnitt werden die Kos-
ten auf 4,5 ct je kWh Wasserstoff (1,5 €/kgH2)1 Hinzu kommen Risiken durch die Synchronisie-
ohne CCS (Grauer Wasserstoff) und 6,3 ct/kWh rung der gesamten Wertschöpfungskette von
(2,1 €/kgH2) mit CCS (Blauer Wasserstoff) ge- der Erdgasversorgung über die Wasserstoffan-
schätzt. Für Blauen Wasserstoff ist die Datenla-
lage bis zum Transport von CO2 und zur Spei-
ge allerdings dürftig, da es nur wenige Projekte
cherung von CO2.
weltweit gibt.
Insbesondere in Deutschland könnten Endla-
Hohe CO2-Preise würden Blauen Wasserstoff gerstätten für CO2 oder neue CO2-Pipelines auf
gegenüber Grauem Wasserstoff attraktiver ma- lokalen Widerstand stoßen. Eine Alternative
chen. Ein CO2-Preis von 100 €/t verteuert die wäre der Bau der Wasserstoffanlagen direkt an
gängigen SMR-Verfahren um etwa 2,7 ct/kWh der Küste. Doch in diesem Fall müsste der pro-
Wasserstoff. duzierte Wasserstoff über größere Distanzen ins
Binnenland befördert werden, was ebenfalls
Die CO2-Vermeidungskosten von Blauem Was- erhebliche Kosten und den Bau neuer Infra-
serstoff werden in einer großen Spannbreite strukturen impliziert.
von 50-100 €/t gesehen. Im Durchschnitt er-
höht CCS die Produktionskosten um 30-50%,
Der Aufbau einer landesweiten Infrastruktur für
wenn hohe Abscheidungsraten von 90% er-
Blauen Wasserstoff würde viele Jahre in An-
reicht werden sollen. Machbarkeitsstudien deu-
spruch nehmen. Bis dahin könnten jedoch Al-
ten auch bei Megaprojekten auf hohe CO2- ternativen wie Grüner Wasserstoff bereits kos-
Vermeidungskosten, so z.B. 86-146 $/t für Por- tengünstiger sein und aus Investorensicht ein
thos/H-Vision (Rotterdam). übersichtlicheres Risikoprofil aufweisen. Doch
dann wäre dieser Pfad durch die bereits beste-
henden Anlagen für Blauen Wasserstoff blo-
1 Zur Umrechnung: Ein Preis von 1 €/kgH2 entspricht ckiert.
3 ct/kWh (Heizwert Hu)
66. GRÜNER WASSERSTOFF: DIE VER- 7. KOSTENVERGLEICH: GRÜNER VS
FAHREN (VGL. KAP.2.5) BLAUER WASSERSTOFF (VGL. KAP.
2.6 UND 2.7)
Grüner Wasserstoff wird durch Wasser-Elektro-
lyse aus Grünstrom hergestellt. Dabei wird Grüner Wasserstoff ist im Moment in Westeu-
Wasser mit Hilfe von Strom in seine Bestandtei- ropa mit 15-18 ct/kWh (5-6 €/kgH2) doppelt so
le Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) zerlegt. teuer wie Blauer Wasserstoff und etwa dreimal
Die Herstellung von Grünem Wasserstoff ist teurer als Grauer Wasserstoff (also ohne CCS).
emissionsfrei, wenn der dafür benötigte Strom Das sind allerdings nur Durchschnittswerte, die
emissionsfrei produziert wurde. im Einzelfall deutlich abweichen können.
Die Elektrolyseure haben derzeit die Wahl zwi- Nur in China kann Grüner Wasserstoff schon
schen zwei Hauptverfahren: heute in manchen Provinzen zu vergleichbaren
Kosten wie Blauer Wasserstoff produziert wer-
• AEL (Alkalische Elektrolyse). Sie ist ein oft den. Die Kostentrends verbessern die Marktpo-
erprobtes und kommerziell eingesetztes Ver- sition des Grünen Wasserstoffs allerdings auch
fahren. Es wurde schon in den 1920er Jahren in Europa. Praktisch alle Marktexperten rechnen
im großen Maßstab genutzt. damit, dass die Investitionskosten für Elektroly-
• PEM (Proton Exchange Membrane Electroly- seure in den kommenden Jahrzehnten auf ei-
sis). PEM gilt als besser skalierbar und fl exi- nen Bruchteil des heutigen Aufwands fallen
bler. Dafür waren die Kosten in der Vergan- werden. In China sind laut BNEF bereits heute
genheit merklich höher. Aber der Abstand Anlagenpreise von 200 $/kW möglich. Bis 2030
zur alkalischen Elektrolyse schrumpft rasch. könnten die Preise dort noch weiter bis auf 115
Daher gibt es gerade in Europa einen Trend, $/kW fallen.
verstärkt PEM einzusetzen. Die Größe der
projektierten Anlagen wächst derzeit rasch Sollten in Europa die Preise für Elektrolyseure
von 1 MW bis auf 100 MW. bis 2030 von derzeit 500-1500 €/kW auf 200
$/kW sinken, wären konkurrenzfähige Preise
Gegenüber den großen und relativ unflexiblen für Grünen Wasserstoff ab 2030 möglich. Nied-
SMR/ATM-Verfahren für Blauen Wasserstoff rige Anlagenpreise ermöglichen den kostende-
gelten Elektrolyseure als flexibler. Sie könnten ckenden Betrieb selbst bei geringer Auslastung.
daher dezentral platziert werden, etwa in der Die Betreiber könnten die Produktion dann auf
Nähe von Offshore-Windparks. die Zeiten mit hohem Stromdargebot, also ge-
ringen Stromkosten, beschränken.
Ohne eine emissionsarme Stromversorgung
bringt Elektrolyse-Wasserstoff jedoch keine Das folgende Schaubild zeigt die in der aktuel-
Klimavorteile. Elektrolyseure sind daher auf den len Fachliteratur (vgl. Kap. 2) erwarteten Preis-
massiven Ausbau von Solar- und Windkraftan- trends für Standorte in Deutschland. Grauer
lagen angewiesen, wenn sie einen relevanten und Blauer Wasserstoff bleiben im Durchschnitt
Beitrag zur Energiewende liefern sollen. Beim bis in das nächste Jahrzehnt hinein kostengüns-
aktuellen Strommix wäre Elektrolyse-Wasser- tiger als Grüner Wasserstoff.
stoff sogar klimaschädlicher als Grauer Wasser-
stoff. Sollte der erwartete Preissturz bei Elektroyseu-
ren eintreten, sinken die Kosten für Grünen
Wasserstoff im Laufe der 2030er auf ein ver-
gleichbares Preisniveau.
7In den Jahrzehnten danach wäre Grüner Was- Die Trends zu Schiefergas, LNG und neue Er-
serstoff dann auf breiter Front wettbewerbsfä- kenntnisse über den Umfang von Flaring (Abfa-
hig. Grauer und Blauer Wasserstoff können ckeln von Erdgas) und Methanemissionen bei
aufgrund der CO2-Abgaben ihr Kostenniveau der Erdgasförderung rücken den Einsatz von
nicht senken. Erwartbare verfahrenstechnische Erdgas seit einigen Jahren klimapolitisch in ein
Fortschritte bei der Produktion werden durch immer ungünstigeres Licht.
die steigenden CCS-Preise kompensiert, da zu-
erst die kostengünstigsten Lagerstätten genutzt Schon bevor das Gas die Kunden erreicht, sind
werden. Für den gesamten Zeitraum werden im bereits erhebliche Emissionen durch die Förde-
Schaubild stabile Erdgaspreise angenommen. rung, Aufbereitung und den Transport der En-
ergierohstoffe entstanden. Auf diese Vorket-
8. ERDGAS: DIE EMISSIONEN IN DER tenemissionen entfallen rund 25% der Ge-
samtemissionen von Erdgas, wobei die Band-
VORKETTE (VGL. KAP.3.1 UND 3.2)
breite in den Studien relativ eng bleibt.
Erdgas ist die Achillesferse für die Klimabilanz
von Blauem Wasserstoff. Seine Bereitstellung ist Diese THG-Belastung entsteht vor allem durch
mit hohen Emissionen verbunden, die von den das Abfackeln von Erdgas (Flaring) und durch
Wasserstoffproduzenten kaum beeinflusst wer- Methanemissionen an den Gas- und Ölfeldern.
den können. Hinzu kommen Emissionen bei der aufwendi-
8gen Verflüssigung von Erdgas (LNG) oder beim ketten sind es durchschnittlich 398g CO2e je
Pipelinetransport. Methan (der Hauptbestand- kWh Wasserstoff (13,24kg CO2e/kgH2).
teil von Erdgas) hat eine (je nach Zeithorizont)
25-100fach höhere Treibhausgaswirkung als 2. Anlagen für Blauen Wasserstoff scheiden
CO2 und ist daher besonders schädlich, wenn das CO2, das bei der Produktion entsteht, zum
es in die Atmosphäre entweicht. großen Teil ab (CCS). Bei älteren SMR-Anlagen
sind es durchschnittlich 65%, bei neueren ATR-
Die meisten Studien zur Umweltbelastung Anlagen können 90% erreicht werden. Hinzu
durch Blauen Wasserstoff unterschätzen oder kommen die Emissionen, die durch den Trans-
ignorieren die Treibhausgaswirkung der Vorket- port und die Einlagerung von CO2 entstehen.
te. Erst in aktuelleren Studien werden sie be- Sie können bei ATR-Anlagen und einer nahege-
rücksichtigt. Seither bewegen sich die Schätz- legenen Lagerstätte bei unter 1% liegen, dürf-
werte immer weiter nach oben. ten aber im Normalfall eher um die 5% der Ge-
samtemissionen ausmachen.
Die IEA kam in ihrer letzten Erhebung auf einen
Anteil von 1,7% der Methanfördermengen, der Im Durchschnitt entsteht selbst bei Blauem
unkontrolliert entweicht. Das sind insgesamt Wasserstoff eine Treibhausgasbelastung von
etwa 80 Millionen Tonnen Methan, wovon ca. 168g CO2e/kWh Wasserstoff (5,61 kgCO2/
45 Mio.t der Erdgasindustrie und knapp 40 kgH2), wovon die Vorkettenbelastung durch-
Mio. t der Ölindustrie zugerechnet werden. schnittlich 98g CO2e/kWh (3,24 kgCO2/kgH2)
ausmacht. Dieser Wert liegt zwar deutlich unter
Auch deutlich höhere Werte werden bereits Grauem Wasserstoff, aber Blauer Wasserstoff
diskutiert, aber allein die 45 Mio.t Methan aus bleibt weit davon entfernt, klimaneutral zu
der Erdgasproduktion entfalten eine THG-Wir- sein.
kung von 1,1-4,5 Gigatonnen CO2-Äquivalen-
ten pro Jahr, je nach Zeithorizont. 3. Elektrolyse-Wasserstoff kann nur dann
klimafreundlicher als Grauer Wasserstoff sein,
Dadurch entsteht ein heikles Problem für die wenn der Strom für die Elektrolyse ausreichend
Klimabilanz von Blauem Wasserstoff. Selbst dekarbonisiert ist. Bei der Stromversorgung
wenn die Wasserstoff-Anlagen modernste CCS- durch den durchschnittlichen deutschen
Technik verwenden, bleiben die Vorkettenemis- Strommix (474 gCO2/kWh) läge die THG-Be-
sionen unverändert hoch. Der Trend zu beson- lastung bei 691g CO2/kWh Wasserstoff (23
ders emissionsintensiven LNG-Importen und das kgCO2/kgH2), also fast doppelt so hoch wie bei
bevorstehende Versiegen geografisch naher Grauem Wasserstoff und knapp vier Mal höher
Quellen (Groningen) werden die Situation zu- als bei Blauem Wasserstoff.
sätzlich belasten.
4. Wenn der Strom für den Elektrolyseur rege-
9. DIE TREIBHAUSGASEMISSIONEN nerativ erzeugt wird (Wind/Solar), kann von
Grünem Wasserstoff gesprochen werden.
VON BLAUEM UND GRÜNEM WAS-
Zwar erzeugt auch die Bereitstellung der Wind-
SERSTOFF (VGL. KAP.3.3 UND 3.4) oder Solaranlagen und der Bau der Elektroly-
seure Emissionen, aber dennoch liegen die
1. Die direkten THG-Emissionen von Grauem
Wasserstoff liegen bei durchschnittlich 300g
CO2 je kWh Wasserstoff (10kg CO2/kgH2)2 aus
SMR-Anlagen; einschließlich der Erdgas-Vor- 2 Zur Umrechnung: 1 kg H2 = 33,3 kWh (Hu)
9Werte dann nur bei 26g CO2/kWh Wasserstoff 10. CCS FÜR BLAUEN WASSERSTOFF
(0,88 kgCO2/kgH2) für die Elektrolyse mit
(VGL. KAP.4)
Windstrom. Effi zientere Windturbinen und So-
larmodule, zumal produziert mit wachsenden
Für Blauen Wasserstoff ist der Aufbau einer
Grünstromanteilen, lassen diese Zahl in Zukunft
CCS-Infrastruktur unverzichtbar. Große CCS-
weiter schrumpfen.
Anlagen gibt es allerdings bisher fast aus-
schließlich im Zusammenhang mit der Öl- und
Die CO2-Intensität des Strommixes muss unter
Gasförderung. Die Klimabilanz ist dort durch-
180g CO2/kWh sinken, um Elektrolyse-Wasser-
wachsen, da eingepresstes CO2 teilweise wie-
stoff gegenüber Grauem Wasserstoff klimapoli-
der frei wird (Ölfelder) oder nur Teilmengen ab-
tisch attraktiver zu machen, und unter 80g
geschieden werden (Kraftwerke).
CO2/kWh, um gegenüber Blauem Wasserstoff
im Vorteil zu sein. Addiert man die bislang ver-
CCS-Projekte für die Endlagerung von CO2 er-
nachlässigten Emissionen von Erdgas in der
wiesen sich in den letzten Jahren als unerwartet
Versorgungskette, liegen diese Schwellenwerte
komplex und langwierig. Im Durchschnitt schei-
allerdings etwas höher.
tern zwei Drittel der Projekte. In Europa verfügt
nur Norwegen über zwei größere CCS-Anlagen
Grüner Wasserstoff aus Windstrom kann diese
(Sleipner, Snøhvit). Drei Großprojekte für Blau-
Werte problemlos unterschreiten. Die Zahlen
en Wasserstoff sind in der Planung.
machen jedoch deutlich, dass Grüner Wasser-
stoff auf den raschen Ausbau der Erneuerbaren
CCS stellt grundsätzlich nur eine Übergangslö-
Energien angewiesen ist, um klimapolitisch eine
sung dar, da die Speichermöglichkeiten be-
sinnvolle Option zu werden. Dazu gehört auch
grenzt sind. Die Knappheit lässt dann die Preise
die Frage, wo Wasserstoff eingesetzt wird. Die
der CO2-Speicher steil steigen, was die Verfah-
Verwendung in effizienten Brennstoffzellen
ren über kurz oder lang unattraktiv macht.
oder als notwendiger Feedstock für chemische
CCS-Lager sind zudem Endlager, müssen also
Prozesse wäre sinnvoller als die Nutzung in
über Jahrhunderte hinweg überwacht werden.
Verbrennungsmotoren oder als Beimischung in
Früher oder später liegt die Haftung beim Steu-
Kraftwerken, die nur niedrige Wirkungsgrade
erzahler.
aufweisen.
Wenn die vorhandenen Kapazitäten durch
Das zeigt auch die Abbildung auf der nächsten
Wasserstoffanlagen oder andere industrielle
Seite. Grüner Wasserstoff kann bei Grün-
Anwender genutzt werden, fehlen sie für eine
stromversorgung seine Gesamtemissionen auf
spätere Verschärfung des Klimaschutzes, etwa
26g CO2/kWh reduzieren, bei fallender Ten-
wenn der Atmosphäre CO2 entzogen werden
denz. Blauer Wasserstoff kann zwar den Pro-
muss (negative Emissionen). Insofern verbaut
duktionsprozess in neuen Anlagen zum großen
Blauer Wasserstoff Optionen für ambitionierte-
Teil dekarbonisieren, nicht aber die Vorketten-
re klimapolitische Optionen in der Zukunft.
emissionen. Daher bleiben die Emissionen mit
143-218g CO2e/kWh auf einem vergleichswei-
Die geologischen Risiken von CCS sind umstrit-
se hohen Niveau.
ten, aber erscheinen insgesamt überschaubar.
Schwerer wiegt das Kapazitätsproblem in
Deutschland bzw. in Europa.
10Die CO2-Speicherkapazitäten in Deutschland Speichermöglichkeiten zur Verfügung. CO2
sind sehr begrenzt. Das gilt insbesondere für müsste also über weitere Strecken transportiert
hochwertige Lagerstätten, also alte Erdgas- und werden.
Erdölfelder. Erschöpfte Erdgaslagerstätten
könnten 2,75 Mrd. Tonnen (Gt) CO2 aufneh- EU-weit sieht es etwas besser aus. Das realisti-
men, erschöpfte Erdöllagerstätten lediglich sche geologische CO2-Speicherpotenzial liegt
0,13 Gt. Tiefe salinare Aquifere, deren Eignung bei 77 Gt CO2. Die CO2-Emissionen der EU, die
allerdings noch zu prüfen wäre, könnten 6-13 aus der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle
Gt CO2 speichern. entstehen, summieren sich im Moment auf
etwa 3 Gt pro Jahr. Wenn in den kommenden
Bei einer umfassenden CCS-Anwendung in Jahrzehnten 1 Gt pro Jahr eingelagert werden
Deutschland, also z.B. 200 Mio.t CO2 pro Jahr müssten, wäre das CCS-Potenzial der EU etwa
(ca. ein Viertel der deutschen Emissionen), wä- Ende des Jahrhunderts erschöpft.
ren die Speichermöglichkeiten der Erdöllager-
stätten schon nach wenigen Monaten er- 11. DER IMPORT VON GRÜNEM UND
schöpft, die Erdgaslagerstätten nach 13 Jahren.
BLAUEM WASSERSTOFF (VGL. KAP.
Die Kapazität der Aquifere wäre nach drei bis
sechs Jahrzehnten erschöpft. 5)
In vielen Industrieregionen, darunter in NRW Der Import von Wasserstoff würde mehrere
und Baden-Württemberg, stehen kaum CO2- Probleme lösen, etwa die Akzeptanzprobleme
11von CCS für Blauen Wasserstoff oder auch die tion im Inland. Addiert man weitere Risiken (in-
Knappheit von Grünstrom für Elektrolyseure. nenpolitische Stabilität, Rechtssicherheit etc.)
erscheint daher die heimische Produktion von
Idealerweise findet die Produktion von Blauem Grünem Wasserstoff in den meisten Fällen at-
Wasserstoff in nahegelegenen Regionen mit traktiver als der Import aus Übersee.
sehr niedrigen Gaspreisen und großen Endla-
gerstätten für CO2 statt, also z.B. am Persischen Kostengünstiger wäre voraussichtlich der Im-
Golf. Grüner Wasserstoff könnte in Ländern mit port von Blauem Wasserstoff vom Persischen
sehr niedrigen Gestehungskosten für Solar- Golf. Betrachtet man nur die Kosten, wäre es
oder Windstrom produziert werden, also z.B. aber auch in diesem Fall voraussichtlich attrak-
in Nordafrika. tiver, wie bisher Erdgas zu importieren und im
Inland in Anlagen für Blauen Wasserstoff zu
Die Transportkosten von Wasserstoff sind aller- nutzen. Insofern wäre die Importoption nur
dings hoch. Im Durchschnitt erhöht allein der interessant, wenn die inländische Produktion
Schiffstransport die Gesamtkosten um z.B. an der CCS-Problematik scheitert.
50-150%. Die technisch sehr aufwendige Ver-
flüssigung von Wasserstoff kostet im Durch- Noch wichtiger ist es jedoch, bei Importoptio-
schnitt 3 ct/kWh Wasserstoff (1 $/kgH2). Bei nen die Differenz zwischen Kosten und Preisen
Importen über Seehäfen wären hohe inländi- ins Kalkül zu ziehen. Es ist unwahrscheinlich,
sche Distributionskosten in Deutschland in vie- dass Wasserstoff-Exporteure ihre Tankerladun-
len Fällen unvermeidlich. Die Distribution per gen deutlich unter dem Marktpreis für (poten-
Tanklaster über 500 Kilometer kostet weitere 3- ziell) inländisch erzeugten Wasserstoff anbieten
6 ct/kWh Wasserstoff. werden.
Die Produktion von Grünem Wasserstoff in Sollte es sich zudem nur um eine kleine Gruppe
Nordafrika und der Transport zu einem deut- von Exportstaaten handeln, wäre eine Kartell-
schen Seehafen wäre bis 2030 für 9-15 ct/kWh bildung leicht vorstellbar. Das Argument, dass
Wasserstoff darstellbar. Diese Kosten steigen importierter Wasserstoff kostengünstiger pro-
allerdings auf 15-21 ct/kWh Wasserstoff, wenn duziert werden kann als heimischer Wasserstoff
dadurch der Distributionsaufwand ins deutsche (Blau oder Grün), wäre also ohne Bedeutung.
Hinterland steigt. Insgesamt liegt das Preisni- Ähnlich wie schon heute im Erdgasmarkt bildet
veau also voraussichtlich in der Nähe oder so- sich dann ein internationaler Wasserstoffpreis.
gar über den erwarteten Kosten einer Produk-
12ABKÜRZUNGEN UND GLOSSAR
Associated Gas Grüner Wasserstoff
Erdgas, das bei der Ölförderung im Rohölge- Sammelbegriff für Verfahren, in denen Wasser-
misch enthalten ist stoff durch Elektrolyse aus erneuerbarem Strom
hergestellt wird
Blauer Wasserstoff
Sammelbegriff für Verfahren, in denen Wasser- H2
stoff aus Erdgas oder Kohle produziert wird, Wasserstoff (Hydrogen)
wobei CO2-Emissionen durch CCS oder verfah-
renstechnisch stark reduziert werden LNG
Liquefi ed Natural Gas; stark abgekühltes, fl üs-
CCS siges Erdgas
Carbon Capture and Storage (Abscheidung und
Einlagerung von CO2) Methan
CH4 (Hauptbestandteil von Erdgas)
CCUS
Carbon Capture, Utilisation and Storage (Ab- Methanpyrolyse
scheidung, Nutzung und Einlagerung von CO2) Verfahren zur Herstellung von Wasserstoff aus
Erdgas
CH4
Methan (Hauptbestandteil von Erdgas) SMR Steam Reforming (Dampfreformierung/
Dampfreforming); Verfahren zur Herstellung
CO2e / CO2äqu. von Synthesegas bzw. Wasserstoff aus Erdgas
CO2-Äquivalente; die Treibhausgaswirkung von
Gasen (hier insbesondere Methan) wird in die THG
entsprechende Menge CO2 umgerechnet Treibhausgase
Elektrolyse/Elektrolyseur Wasserstoff:
Hier: Trennung von Wasser in Wasserstoff und H2 (Hydrogen)
Sauerstoff in Elektrolyse-Anlagen (Elektrolyseur)
durch den Einsatz von Strom Heizwert (Hu) nach Gewicht:
33,3 kWh/kg (120,0 MJ/kgH2)
GHG
Greenhouse Gases (Treibhausgase) Heizwert (Hu) nach Volumen:
3,0 kWh/m3 (10,78 MJ/kgH2)
Grauer Wasserstoff 1 kWh = 3,6 MJ
Sammelbegriff für Verfahren, in denen Wasser-
stoff aus Erdgas oder Kohle produziert wird Ein Wasserstoffpreis von 1 €/kg entspricht 3 ct/
kWh (Hu)
131. WASSERSTOFF: ZUKUNFTS-
BRANCHE VOR POLITISCHEN
WEICHENSTELLUNGEN
Das Projekt der Energiewende steht vor wichti- Wärme, als langfristiger Stromspeicher oder als
gen politischen Weichenstellungen. Um die Rohstoff für wichtige chemische Produkte ver-
Klimaziele zu erreichen, sind Entscheidungen wendet werden. Er verbrennt ohne Emissionen
nötig, die auch energiepolitisch und industrie- von Schadstoffen oder Treibhausgasen.
politisch weitreichende Konsequenzen haben.
1.1 VON GRAU ZU BLAU UND GRÜN -
Bei der Stromerzeugung gibt es bereits große
DIE FARBENLEHRE DES WASSER-
Fortschritte. Die technologischen Pfade sind
vorhanden und relativ kostengünstig. Auch für STOFFS
den Straßenverkehr und bei der Raumheizung/
Hausbrand gibt es zumindestens für PKW und Für die Wasserstoffproduktion steht weltweit
eine Vielfalt von technischen Alternativen zur
im Neubau attraktive strombasierte Alternati-
Verfügung. Das Schaubild (Abb.1.1) zeigt auch
ven in Form von Elektrofahrzeugen und Wär-
die für Deutschland in Zukunft interessantesten
mepumpen.
Alternativen: Elektrolyse mit Grünstrom (Grü-
Andere Sektoren sind komplizierter. Insbeson- ner Wasserstoff) und Erdgas-Reforming mit
dere Wasserstoff (Hydrogen) soll der Schlüssel CCS, also CO2-Abscheidung und CO2-Endlage-
zu Sektoren werden, die hohe Temperaturen rung (Blauer Wasserstoff).
und eine hohe Energiedichte benötigen und die
sich mit Strom nur schwer oder nur zu sehr ho- Kohleverfahren spielen insbesondere in China
hen Kosten entkarbonisieren lassen. Dazu ge- eine große Rolle. Biomasse-Verfahren sind noch
hören wichtige Branchen wie die Eisen- und nicht sehr weit verbreitet, könnten aber in Ver-
Stahlindustrie, die Chemie, aber auch Trans- bindung mit CCS nicht nur klimaneutral, son-
portsektoren wie die Schifffahrt, schwere LKW dern sogar “negative Emissionen” erzeugen,
also der Atmosphäre CO2 entziehen.
oder die Luftfahrt. Gleichzeitig bietet sich Was-
serstoff als leistungsfähiger Stromspeicher an,
Weitere Varianten, die nicht im Schaubild auf-
der überschüssige Wind- oder Solarstrommen-
geführt werden, ist der Graue Wasserstoff.
gen über lange Zeiträume zwischenspeichern
oder direkt dem Erdgasnetz zur Verfügung stel- Dabei handelt es sich um das traditionelle Erd-
len kann. gas-Reforming ohne CCS. Eine neue Variante
ist der “Türkise Wasserstoff”, also die Me-
Ein großer Vorteil von Wasserstoff ist zudem thanpyrolyse, die weiter unten vorgestellt wird.
seine Vielseitigkeit. Er kann als Kraftstoff in Mo-
toren und Brennstoffzellen, als Brennstoff für
14In der politischen Diskussion in Deutschland Restemissionen, insbesondere durch die Be-
konkurrieren drei Konzepte um die Aufmerk- reitstellung von Erdgas.
samkeit:
Zudem kann Blauer Wasserstoff nur eine Zwi-
• Grauer Wasserstoff (Grey Hydrogen) schenlösung sein, denn die Kapazität der CO2-
• Blauer Wasserstoff (Blue Hydrogen) Lagerstätten ist begrenzt. Sobald die Kapazitä-
• Grüner Wasserstoff (Green Hydrogen) ten erschöpft sind oder durch Knappheitspreise
zu teuer werden, besteht das Risiko, dass bis
Grauer Wasserstoff ist die heute weltweit dahin nachhaltigere Alternativen wie Grüner
dominierende Technik. Im Standardverfahren Wasserstoff auch kommerziell interessanter
der Dampfreformierung (SMR) oder Varianten geworden sind. Doch dieser Weg wäre dann
davon wird durch den Einsatz von Erdgas welt- durch die bereits bestehende Infrastruktur für
weit Wasserstoff erzeugt. Es ist aktuell das kos- Blauen Wasserstoff blockiert.
tengünstigste Verfahren, aber dabei werden
große Mengen CO2 frei. Klimapolitisch ist Blauer Wasserstoff wird von der Öl- und Gasin-
Grauer Wasserstoff offensichtlich der falsche dustrie sowie weiten Teilen der Chemiebranche
Weg. Bei höheren CO2-Preisen wird er auch favorisiert. Diese erdgasbasierten Anlagen fü-
kommerziell immer weniger attraktiv. gen sich besser als isolierte Elektrolyseure in die
Verbundproduktion der Raffinerien oder der
Blauer Wasserstoff, das Hauptthema dieser großen Chemiekomplexe ein. Ölraffinieren ge-
Kurzstudie, gilt als eine klimapolitische Alterna- hören zu den größten Verbrauchern von Was-
tive. Dieser Pfad nutzt die vorhandenen Anla- serstoff. Durchschnittlich entstehen 20% ihrer
gen des Grauen Wasserstoffs, aber scheidet das CO2-Emissionen durch die Wasserstoffproduk-
entstehende CO2 zum größten Teil ab und la- tion (IEA 2020, S.138).
gert es unterirdisch ein (CCS Carbon Capture
und Storage). Dadurch werden die CO2-Emis- Grüner Wasserstoff setzt auf die vollständi-
sionen reduziert, aber es bleiben erhebliche ge Dekarbonisierung der Wasserstoffproduk-
Abb. 1.1 Optionen zur Produktion und Dekarbonisierung von Wasserstoff
Quelle: Aarnes (2018)
15tion. In Elektrolyseuren wird regenerativ er- • Der Druck kommt auch aus der Strombran-
zeugter Strom verwendet, um Wasser in seine che. Das schwankende Stromdargebot der
Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zu zer- Solarmodule und Windturbinen braucht
legen. Dadurch werden CO2-Emissionen voll- Speichermedien wie Wasserstoff, um Über-
ständig vermieden. schusse verwerten zu können und Abrege-
lungen zu vermeiden.
Das ist zwar klimapolitisch ein geeigneter Pfad,
aber die Kosten sind derzeit noch deutlich hö- • Selbst die Gasbranche, die ihren sicher ge-
her als bei den Konkurrenzverfahren, die Erd- glaubten Status als Brückentechnologie ge-
gas einsetzen. Zudem muss der Strom dekar- fährdet sieht, steht Wasserstoff nun offener
bonisiert sein, damit die Elektrolyse tatsächlich gegenüber. Beimischungen im Erdgasnetz
“grün” ist. Grüner Wasserstoff ist also auf den sind fast überall technisch problemlos mög-
Ausbau von Windstrom und Solarstrom lich.
angewiesen. Wenn Elektrolyseure den heutigen
Strommix nutzen müssten, hätte Grüner Was- 1.3 WASSERSTOFFPRODUKTION
serstoff selbst gegenüber Grauem Wasserstoff
HEUTE
keine Emissionsvorteile.
Wasserstoff ist schon heute ein wichtiges Ele-
Die deutsche Energiepolitik steht nun ebenso
ment in der globalen Energie- und Industrie-
wie die Industrie vor der schwierigen Frage,
landschaft. Jährlich werden 70 Mio. Tonnen in
welche Technologiepfade favorisiert und
reiner Form verbraucht, weitere 45 Mio. Ton-
unterstützt werden sollen. Diese Kurzstudie
nen in Gasgemischen zur Herstellung von Me-
liefert dazu Basisinformationen und Argumen-
thanol oder Stahl. Die Nachfrage wächst seit
te. Sie stützt sich dabei auf eine Auswertung
Jahrzehnten (vgl. Abb.1.2).
der deutschen und internationalen Fachlitera-
tur.
In Energiegrößen umgerechnet sind das 330
Mio. Tonnen Öl pro Jahr (IEA 2019e, S.85,
1.2 WASSERSTOFF: POLITISCH IM 587). Zum Vergleich: Das ist das Dreifache des
AUFWIND deutschen Ölverbrauchs.
Wasserstoff ist energiepolitisch weltweit im Die Nachfrage kommt überwiegend aus den
Aufwind. Nach einem folgenlosen Aufflackern Ölraffinerien und der Chemie. Wasserstoff wird
des Interesses Anfang des Jahrhunderts erhält insbesondere für Raffinerieprozesse sowie für
Wasserstoff nun Unterstützung aus allen Rich- die Herstellung von Ammoniak und Methanol
tungen: Politik, Industrie, Kommunen und re- benötigt (vgl. Abb.1.3). Räumlich konzentriert
generative Stromanbieter: sich die heutige Wasserstoffproduktion auf In-
dustriezentren an den Küsten der Nordsee, der
• Neu ist das verstärkte Interesse großer Emit- Golfküste in den USA und Südostchina.
tenten wie der Ölraffinerien, die immer hö-
heren CO2-Preise befürchten. Etwa 2% des globalen Primärenergiebedarfs
wandern in die Herstellung von Wasserstoff.
• Die Maschinen- und Anlagenbauer sehen Davon entfallen drei Viertel auf Erdgas (205
eine boomende Zukunftsbranche in Elektro- Mrd. Kubikmeter, das sind 6% des Weltange-
lyseuren und anderen Anlagen, die mit einer bots). Weitere 23% des Wasserstoffs entstehen
boomenden Wasserstoffwirtschaft verbun- durch Kohle (107 Mio. Tonnen Kohle, 2% des
den wären. Weltangebots). Öl und Strom stehen für die
restlichen 2% zur Verfügung.
16Die Verwendung von Erdgas und Kohle sorgen 1.4 ZAHLREICHE GROßPROJEKTE
dafür, dass die Wasserstoffproduktion enorme
GEPLANT - RASANTES MARKT-
Emissionen erzeugt. Wenn Erdgas eingesetzt
wird, entstehen 10 Tonnen CO2 je Tonne Was- WACHSTUM ERWARTET
serstoff; bei Öl sind es 12 tCO2/tH2, bei Kohle
sogar 19 tCO2/tH2 (IEA 2019c, S.38). Der Beratungskonzern WoodMackenzie rech-
net mit einem steilen Marktaufschwung für
Bei der globalen Produktion von reinem Was- Elektrolyse in den kommenden Jahren und
serstoff (70 Mio. t) entstehen jährlich 830 Mio. wettbewerbsfähigen Wasserstoffpreisen ge-
t CO2. Davon entweichen 700 Mio. Tonnen di- genüber den fossilen Pfaden (SMR) schon bis
rekt in die Atmosphäre. Etwa 130 Mio.t werden 2030 in wichtigen Märkten wie Australien,
bei für die Düngemittelherstellung eingesetzt Deutschland und Japan.
(IEA 2019c, S.17).
Sie erwarten 3,2 GW neuer Elektrolyse-Kapazi-
Die Dekarbonisierung von Wasserstoff täten weltweit in den Jahren 2020-2025. In
könnte also einen wichtigen Beitrag zum Kli- den Jahren 2000 bis Ende 2019 wurden nur
maschutz leisten. Bislang werden nur 0,7% 253 MW gebaut, wie Abb.1.4 zeigt (Deign
des Wasserstoffs emissionsfrei hergestellt (IEA 2019; WoodMackenzie 2019).
2019e, S.587; IEA 2019c, S.32,38).
So sehen das auch die Experten von Bloomberg
New Energy Finance (BNEF). Sollte es zu einem
Abb.1.2 Die Nachfrage nach Wasserstoff 1975-2018
Quelle: IEA (2019e), Fig.13.7
17zunächst politisch unterstützten globalen Auf- Zahl der Projekte geringer. Seit dem Jahr 2000
schwung für Grünen Wasserstoff kommen, wurden lediglich 9 Anlagen für Blauen Wasser-
werden die erwarteten Kostensenkungen ab stoff gebaut (IEA 2019c, S.27, Stand Mitte
2030 einen enormen Boom auslösen, so die 2019).
BNEF-Prognose. Im Jahr 2050 könnte die Pro- In den kommenden Jahren erwartete die IEA
duktion von Grünem Wasserstoff in einem op- bisher nur wenige größere Projektstarts im In-
timistischen Szenario auf jährlich 275 Mio. Ton- dustriebereich. Darunter befanden sich aller-
nen schlagartig steigen (Mathis 2019, Wilkes dings einige Megaprojekte. Zudem gab es in
2019). den letzten Monaten mehrere Neuankündi-
gungen für große Projekte (vgl. Liste unten).
Das Interesse an Grünem Wasserstoff ist in der
Tat in den letzten Jahren weltweit stark gestie- 1.5 WASSERSTOFF UND INDUSTRIE-
gen. Seit dem Jahr 2000 nahmen etwa 230
POLITIK: PROJEKTWELLE IN EUROPA
zumeist kleine Anlagen bis zu 10 MW den Be-
trieb auf. In den letzten Jahren stieg die Pro- Elektrolyse-Anlagen sind eine Schlüsseltechno-
jektgröße auf 20-30 Mio. Dollar je Anlage. In logie der Zukunft. Es werden voraussichtlich
den kommenden Jahren wird sich dieser Trend diejenigen Industrieunternehmen davon profi-
mit noch größeren Anlagen Richtung 100 MW tieren, die einen starken Heimatmarkt haben.
und einer sprunghaft steigenden Zahl neuer
Projekte fortsetzen. Insofern ist die Entscheidung “Grün oder Blau”
auch eine industriepolitische Frage. Wie schon
Aber auch bei Blauem Wasserstoff tut sich viel.
bei Solarzellen und Batterien hat die Frage, wie
Die Projekte waren hier bislang deutlich größer
der Wasserstoff in Zukunft produziert werden
als bei den Konkurrenten. Andererseits war die
Abb. 1.3 Die Wertschöpfungsketten im Wasserstoffmarkt
Quelle: IEA (2019c), Fig.6
18soll, weitreichende Folgen für den Industrie- Wasserstoff im Aufwind. Sie könnten Strom-
standort Deutschland. mengen nutzen, die von den Festlandnetzen
Derzeit sind in Europa zahlreiche neue Projekte nicht aufgenommen werden können. Wenn
am Start. Noch größer ist das Interesse nur in nur 5% der für 2030 geplanten Windstrom-
Ostasien. In Europa sind besonders Deutschland mengen dafür genutzt werden, könnten damit
(“Reallabor”-Programm), die Niederlande (v.a. 0,2 Mio. Tonnen Grüner Wasserstoff pro Jahr
Raffineriezentrum Rotterdam) und Großbritan- hergestellt werden (IEA 2019c, S.179).
nien (v.a. Nordengland) aktiv, wie die folgende
Liste von Großprojekten zeigt.
Da in der Nordsee große Offshore-Windparks
entstehen (zur Zeit 13 GW, geplant sind 50 GW
bis 2030), sind auch dort Pläne für Grünen
Abb.1.4 Wachstumserwartungen im Elektrolyse-Markt weltweit
Quelle: WoodMackenzie (2019)
19PROJEKTE IN EUROPA: GRÜNER UND BLAUER WASSERSTOFF
PROJEKTNAME & AKTEURE ANLAGEN
STANDORT
BP Rotterdam Refinery (NL) BP, Nouryon, Port of Rotterdam Blauer Wasserstoff 250 MW
Delfzijl (NL) Nouryon, Gasunie Elektrolyseur 20 MW
Element Eins (D) Tennet, Gasunie, Thyssengas Elektrolyseur 100 MW
GET H2 (D) RWE, Siemens Elektrolyseur 105 MW
Gigastack (UK) ITM Power, Orsted, Element En- PEM Elektrolyseure; Massenfertigung von 5 MW Mo-
ergy dulen
GrInHy2.0 (D) Salzgitter Mannesmann For- Hochtemperaturelektrolyse
schung GmbH; Salzgitter Flach-
stahl GmbH; Sunfire GmbH u.a.
H-DRI (D) ArcelorMittal Germany Wasserstoff-DRI-Anlage für Stahlindustrie; erst Gicht-
gas, später Grüner Wasserstoff
H21 NoE (UK) Cadent, Equinor, Northern Gas Bis 2035 12,5 GW (!) Blauer Wasserstoff Anlagen
Networks und 8 TWh (!) Wasserstoffspeicher in Nordengland;
CCS-Anlagen für 20 Mio.t CO2 pro Jahr;
Anpassung britischer Gasnetzwerke an hohen Was-
serstoffanteil
H2Future (Österreich) Voestalpine, Verbund PEM-Elektrolyse, 6MW für Stahlindustrie
H2M (Hydrogen to Magnum) Nuon, Equinor, Gasunie Nuon: 440 MW Wasserstoff-Kraftwerk in Eemshaven
(NL) Equinor: ATR-Anlage für Blauen Wasserstoff und
sorgt für CO2-Einspeicherung offshore in Norwegen
Hybridge (D) Amprion, OGE Elektrolyseur 100 MW
HYBRIT (Schweden) SSAG, LKAB, Vattenfall Wasserstoff-DRI-Anlage für Stahlindustrie aus Grü-
nem Wasserstoff
HyGreen Provence (F) Engie, Air Liquide Solarstromanlagen für Grünen Wasserstoff und H2-
Speicher für regionale Nutzung
Les Hauts de France (F) HydrogenPro, H2V Industry 5 Elektrolyseure mit je 100 MW
Raffinerie Heide (D) Ørsted, Raffinerie Heide Grüner Wasserstoff mit Offshore Windstrom
Refhyne (D) Shell, ITM Power, SINTEF, think- PEM-Elektrolyse (10 MW) v.a. für Raffinerie Rheinland
step u.a.
SALCOS (D) Salzgitter AG, Fraunhofer-Gesell- Wasserstoff-DRI-Anlage, u.a. mit Grünem Wasser-
schaft stoff aus GrinHy 2.0 (s.o.)
Quellen:
Schneider (2019), Global Energy Briefing (2019), Joas (2019), Gielen (2019). Liste mit 352 Projekten weltweit:
https://www.iea.org/reports/the-future-of-hydrogen/data-and-assumptions#abstract
Karte mit H2-Projekten in Europe: https://hydrogeneurope.eu/projects
202. BLAUER UND GRÜNER
WASSERSTOFF: VERFAHREN
UND KOSTEN
2.1 BLAUER WASSERSTOFF - DIE Die CO2-Abscheidung ist bei ATR vollständiger
als bei SMR. Allerdings wird dazu Sauerstoff
VERFAHREN
benötigt, dessen Herstellung zusätzliche Ener-
gie benötigt. Eine ATR-Anlage konsumiert zu-
Für die Produktion von Blauem Wasserstoff gibt
dem deutlich mehr Strom als eine vergleichbare
es unterschiedliche Verfahren. Allen gemeinsam
SMR-Anlage und die Energieeffizienz ist gerin-
ist die Verwendung von Erdgas (oder Kohle) als
ger. Bei einem durchschnittlichen Strommix re-
Brennstoff und als Rohstoff. Im deutschen Kon-
lativiert sich dadurch der Emissionsvorteil von
text ist nur der Erdgaspfad von Bedeutung.
ATM gegenüber den üblichen SMR-Verfahren
(Navigant 2019, S.27).
Zwei Verfahren sind besonders wichtig:
Dennoch geht der Trend Richtung ATR. ATR mit
• SMR: Dampfreforming mit Erdgas (Steam
CCS verspricht, CO2-Abscheidungsraten von
Methane Reforming). Es ist das mit Abstand
90% bei geringeren Kosten zu erzielen und soll
häufi gste Verfahren zur Herstellung von
daher z.B. in geplanten Großprojekten in Groß-
Wasserstoff weltweit.
britannien und Rotterdam zum Einsatz kom-
• ATR: Autothermal Reforming. Hier werden
men. Der Praxistest steht allerdings noch aus
Prozesse von SMR und POX (Partielle Oxida-
(IEA 2019c, S.40).
tion) kombiniert.
Fügt man SMR oder ATR die Prozesse der Ab- METHANPYROLYSE - TÜRKISER WASSER-
scheidung und Endlagerung von CO2 (CCS) STOFF (METHANE SPLITTING)
Daneben gibt es weitere, zum Teil vielverspre-
hinzu, bezeichnet man das gesamte Verfahren
chende neue Verfahren, die jedoch noch in der
als Blauen Wasserstoff (Blue Hydrogen).
Pilotphase sind. Dazu gehört das Methane
SMR/ATR ohne CCS wird umgangssprachlich
Splitting bzw. die Methanpyrolyse, die gele-
als Grauer Wasserstoff bezeichnet.
gentlich als “Türkiser Wasserstoff” bezeichnet
wird.
Der Energieverlust ist bei beiden Verfahren rela-
tiv hoch, denn es gehen 20-35% der Energie
Hier wird Erdgas thermisch in einem Hochtem-
bei der Produktion verloren, je nach Verfahren
peraturreaktor in seine Bestandteile Wasserstoff
(Thomas 2007; Balcombe 2018a). Hinzu kom-
und Kohlenstoff zerlegt. CO2 wird dabei nicht
men die Energieverluste für die aufwendige
frei. Die Prozesswärme kann durch Strom, Erd-
Bereitstellung von Erdgas (vgl. Erdgaskapitel).
gas oder einen Teil des hergestellten Wasser-
21stoffs bereitgestellt werden. Wegen der exter- stoff (also mit CCS) zu verfolgen (IEA 2019c,
nen Energieversorgung können jedoch Emis- S.96).
sionen entstehen.
Es gibt allerdings auch Ausnahmen, insbeson-
Die Energieeffizienz ist wegen der hohen Pro- dere in Deutschland:
zesstemperaturen deutlich geringer als bei • Die Rheinland Raffinierie (Shell) verfolgt ein
SMR, aber dafür entsteht dabei kein CO2, son- Elektrolyse-Projekt (10 MW), um 1% seines
dern nur Wasserstoff und fester Karbon (Car- Wasserstoffbedarfs mit Grünem Wasserstoff
bon Black), der vermarktet werden kann (Pöyry zu decken.
2019; Joas 2019, S.198). • Die Raffinerie Heide hat den Bau eines Elek-
trolyseurs mit 30 MW angekündigt, der mit
Wie bei den anderen erdgasbasierten Verfahren Offshore-Windstrom versorgt werden soll.
hat aber auch die Methanpyrolyse das Problem, • Eine noch größere Anlage (250 MW) ist in
dass in den Lieferketten für Erdgas erhebliche Rotterdam für die dortige BP-Raffinerie im
CO2- und Methanemissionen auftreten. Me- Gespräch im Rahmen des Projekts H-Vision
thanpyrolyse ist also kein emissionsfreier Tech- (IEA 2019c, S.97f.).
nologiepfad.
Die sechs größten eigenständigen SMR-Anla-
SMR IN RAFFINERIEN gen (Merchant Plants) in Deutschland sind in
Ölraffinerien verfügen in der Regel über große der folgenden Tabelle zu sehen (vgl. Abb.2.1).
SMR-Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff. An diesen Raffineriestandorten wird Erdgas,
Dort entsteht ein hochkonzentrierter CO2- Raffineriegas oder Naphtha Cracker Gas einge-
Strom, der zu relativ geringen Kosten abgefan- setzt, um Wasserstoff herzustellen.
gen werden kann.
2.2 DIE KOSTEN VON BLAUEM WAS-
Um die erwartbaren hohen CO2-Abgaben zu
SERSTOFF
vermeiden, sind Raffineriebetreiber daher eher
an Lösungen entlang des Pfades von Blauem
Wasserstoff mit CCS interessiert als an Grünem Die Kosten von SMR-Verfahren hängen in erster
Wasserstoff, der den externen Bezug von Strom Linie von den Gaspreisen und den Investitions-
notwendig macht und weniger gut in den Pro- kosten ab. Bei Blauem Wasserstoff kommen die
duktionskomplex einer Großraffinerie passt. CCS-Kosten hinzu, bei Grauem Wasserstoff die
CO2-Kosten.
Bislang jedoch sind die CO2-Preise zu niedrig.
Die IEA schätzt, dass Ölkonzerne in der EU erst Im europäischen Durchschnitt schätzt die IEA
ab einem CO2-Preis über 50 $/t kommerzielle für 2018 die Produktionskosten von erdgasba-
Anreize hätten, Projekte mit Blauem Wasser- siertem Wasserstoff auf ca. 1,7 $/kgH2 ohne
CCS (Grauer Wasserstoff), und auf 2,4 $/kgH2
Abb.2.1 Wasserstoffproduktion in Deutschland in Stand-Alone-Anlagen
Quelle: Robinius (2018), Table 6-7.
22mit CCS (Blauer Wasserstoff) (IEA 2019c, S.42). Die CO2-Vermeidungskosten sind bei Blauem
Eine internationale Übersicht über die Produkti- Wasserstoff erheblich. CCS erhöht laut IEA die
onskosten ist in der Abb.2.2 zu sehen. Sie rei- Kosten um ein Drittel bis zur Hälfte, wie auch
chen von knapp unter 1 $/kgH2 in den USA der Abb.2.2 zu entnehmen ist.
und am Persischen Golf, jeweils ohne CCS, bis
knapp 2,5 $/kgH2 in Europa und China mit Wenn 60% des CO2 eingefangen werden sol-
CCS. len, liegen die Kosten dafür derzeit für eigen-
ständig operierende SMR-Anlagen (Merchant
Die Kosten für Erdgas stellen dabei in Europa Plants) bei ca. 53 $/t CO2. Das gilt für europäi-
50-70% der gesamten Herstellungskosten. sche Verhältnisse und europäische Gaspreise.
Daraus ergeben sich für Projekte von Blauem
Wasserstoff zusätzliche Investitionsrisiken, da Wenn 90% des CO2 eingefangen werden sol-
die Erdgaspreise schwanken und langfristig len, steigen die Kosten laut IEA auf 80 $/t CO2
kaum kalkuliert werden können. für SMR Merchant Plants und 90-115 $/t CO2
in integrierten Ammoniak/Urea-Anlagen (IEA
Balcombe/Parkinson kommen in einer verglei- 2019c, S.39f).
chenden Preisübersicht für SMR-Projekte in den
USA auf etwas höhere Werte von 1,3 $/kgH2 Praxisnahe Zahlen von Amec Foster Wheeler
(ohne CCS) bis 1,9-2,1 $/kgH2 (mit CCS), trotz zeigen, dass die Ausstattung von SMR-Anlagen
der niedrigen Gaspreisen in den USA (Balcombe mit CCS-Abscheidungstechnik die Investitions-
2018a, Tab.4; Balcombe 2018b). kosten um 18-79% und die operativen Kosten
Abb.2.2 Produktionskosten von Wasserstoff mit und ohne CCS in fünf Regionen
Quelle: IEA (2019c), Fig.9
23um 18-33% erhöhen. Das entspricht CO2-Ver- Fall müsste der produzierte Wasserstoff über
meidungskosten von 47-70 Euro je Tonne (IE- größere Distanzen ins Binnenland befördert
AGHG/Amec Foster Wheeler 2017a). werden, was ebenfalls erhebliche Kosten und
den Bau neuer Infrastrukturen erfordert.
2.3 DAS SYNCHRONISIERUNGSPRO-
Es liegt auf der Hand, dass in der Praxis unver-
BLEM VON BLAUEM WASSERSTOFF
meidliche Verzögerungen bei einem Glied in
Die klimapolitischen Vorteile, vor allem bei der dieser Wertschöpfungskette (Erdgasversorgung,
SMR/ATM-Anlage, CO2-Transport, CO2-Endla-
Sektorkopplung, sind die wichtigsten Treiber für
gerstätte) sofort zu höheren Kosten bzw. Inves-
emissionsarme Wasserstoffprojekte, ob nun
titionsrisiken bei anderen Akteuren führen. So
“Blau” oder “Grün”. Allerdings können gerade
größere Projekte komplex werden, da sie eine könnte z.B. eine Betriebsgenehmigung für eine
umfangreiche Koordination entlang der Wert- neue Anlage von Blauem Wasserstoff so lange
schöpfungskette erfordern. Das kann zu lang- verweigert werden, bis die CO2-Endlagerfrage
wierigen Verzögerungen und zusätzlichen Kos- technisch und rechtlich gelöst ist.
ten führen.
Diese Koordinationsprobleme sind schon
Schon die Synchronisierung zwischen dem heute absehbar und könnten wegen der kom-
Windstromausbau in Norddeutschland und merziellen Risiken viele Investitionen ausbrem-
dem Neubau von Stromleitungen hat in sen. Es steht also zu befürchten, dass der Auf-
Deutschland zu großen Problemen geführt. bau einer größeren Infrastruktur für Blauen
Wasserstoff inklusive der CCS-Entsorgung
Gegen Windparks und neue Stromtrassen regt
Jahrzehnte in Anspruch nimmt.
sich vielerorts lokaler Widerstand, der Projekte
verzögert oder sogar vereitelt. Ein verschleppter
Ausbau von Wind- und Solarstromanlagen Sollten sich bis dahin die im Markt erwarteten
wäre das größte Investitionshindernis für den Kostentrends realisieren, dann besteht die Ge-
Ausbau von Grünem Wasserstoff. fahr, dass Blauer Wasserstoff in größerem Um-
fang erst dann zur Verfügung steht, wenn er
Probleme der Koordination und Synchronisie- gegenüber Grünem Wasserstoff nur noch ge-
rung sind bei Projekten für Blauen Wasser- ringe oder überhaupt keine Kostenvorteile
stoff eher noch größer. Auch Endlagerstätten mehr hat - aber weitaus höhere Emissionen
für CO2 oder neue CO2-Pipelines dürften in verursacht.
Deutschland auf lokalen und regionalen Wider-
stand stoßen.
2.4 PREISRISIKEN DURCH ERDGAS
Geologisch geeignete Standorte sind auf dem
Festland ohnehin nur in begrenztem Umfang “NORMALE" MARKTPREISRISIKEN
vorhanden (siehe CCS-Kapitel). Wenn CO2 bis Während die Stromkosten bestehender PV- und
in alte Erdgasfelder vor Norwegen transportiert Windstromanlagen recht verlässlich einge-
werden muss, wird der Bau eines Netzes von schätzt werden können, ist die Versorgung von
CO2-Pipelines notwendig, das die Emissionen Erdgas mit schwer kalkulierbaren Preisrisiken
der Anlagen sammeln und abtransportieren verbunden. Dadurch werden auch die Kosten
kann. von Blauem Wasserstoff unkalkulierbar.
Eine Alternative wäre der Bau der Wasserstoff- Die Erdgasimportpreise Deutschlands schwank-
anlagen direkt an der Küste. Doch in diesem ten in den letzten sieben Jahren zwischen 15
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