Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft

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Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Ausgabe 17 · April 2021
                                                Zeitung der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft

Wege der Frauen
Kommentare
US-Nahost-Politik
Normalisierungsabkommen

Schwerpunkt
Frauenbefreiung nicht auf später verschieben
Fidaa Zaanin, Khouloud Daibes, Hanan Ashrawi,
Khalida Jarrar, Amal Abu Srour
Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Palästina Journal

                                                   Inhalt
Impressum

ISSN 1436-252X

Herausgeberin                                      Palästina Journal · Ausgabe 17 · April 2021
Deutsch-Palästinensische
Gesellschaft e.V. (DPG)
PF 1148, 49171 Hilter a.T.W.
dpg@dpg-netz.de, www.dpg-netz.de

                                                                                                                                       18
Redaktion
Wiebke Diehl (Berlin)

                                                     05
Hermann Dierkes (Duisburg)
Jan-Günther Frenzel (Berlin)

                                                                                                               09
Detlef Griesche (Bremen)
Ursula Mindermann (Telgte)
Nazih Musharbash (Bad Iburg)
Gisela Siebourg (Berlin)
Wiltrud Rösch-Metzler (Stuttgart)
verantwortliche Redakteurin                        03 Nachrichten aus Palästina // Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen / Wahljahr 2021 in Paläs-
                                                      tina / Impfkampagne in Gaza hat begonnen / Wieder Sicherheitskooperation mit Israel / HeidelbergCement
Redaktionsanschrift                                   bei völkerrechtswidrigem Rohstoffabbau / Rekord bei Hauszerstörungen / Palästinas Kulturgüter
redaktion@dpg-netz.de
                                                   06 Kommentare // US-Nahost-Politik: nichts Neues / Normalisierungs-Abkommen: erneuter Verrat
Korrektur                                          07 Deutschland, EU und Nahost // Frankreich ignoriert Menschenrechtsgerichtshof / EU-Außenbeauftragter
Lea Mindermann                                        Josep Borrell kritisiert Siedlungsbau in Givat Hamatos / Kein Schutz für EU-Entwicklungshilfe / Top-Diplomaten
                                                      in Süd-Hebron / EU wird Wahlprozess in Palästina begleiten / Aufwertung der IHRA durch Deutschland / Außen-
Satz, Layout & Druck                                  ministertreffen in Kairo zum Nahost-Friedensprozess
Druckhaus Köhler GmbH
Siemensstraße 1–3, 31177 Harsum                    09 Schwerpunkt: Wege der Frauen // Palästinensischer Widerstand von Frauen: Ahed al-Tamimi und die Frauen
www.druckhaus-koehler.de                              von Jubbet al-Thi’b
                                                   10 Schwerpunkt: Wege der Frauen // Frauenbefreiung nicht auf später verschieben
Erscheinungsweise
Das Palästina Journal erscheint                    11 Aktivitäten // Auf ein Wort! / DPG-Beitrittserklärung / Kundgebung zum Internationalen Tag der Solidarität mit
im Jahr 2021 zweimal.                                 Palästina / Kein Impfstoff für Palästina? / Keine Ahndung von Kriegsverbrechen? / DPG in Europäischer Paläs-
                                                      tinakoordination / DPG-Regionalgruppen / Virtuelle Veranstaltungsreihe / Seminarbericht „Freies Land – freie
Preis                                                 Frauen“ / 38 Rezepte aus Palästina / Palästinenser*innen in der Diaspora
Der Bezugspreis für das Palästina Journal
ist im DPG-Mitgliedsbeitrag enthalten.             15 Schwerpunkt: Wege der Frauen // Die palästinensische Position in Deutschland vermitteln
                                                   16 Schwerpunkt: Wege der Frauen // „Normalisierung mit Israel bedeutet Normalisierung der Besatzung,
Abo                                                   Normalisierung von Rechtlosigkeit“
Bitte wenden Sie sich an die DPG.
                                                   18 Schwerpunkt: Wege der Frauen // Khalida Jarrar schreibt aus der Haft
Spenden                                            19 Schwerpunkt: Wege der Frauen // Palästina weiterhin ohne echte Rechtsreform für Frauen
Um dieses unabhängige Journal veröffentlichen zu
können, ist die DPG auf Spenden angewiesen.        21	Medienempfehlungen // Filme / Ausstellungen / Bücher
                                                   23 Weltweite Solidarität // Veranstaltungsverbote in der Kritik / Berliner Kunstprojekt verhindert / Kulturinstituti-
Bitte spenden Sie an:                                 onen werden aktiv / Bt3P klagen gegen BDS-Bundestagsbeschluss / Protest gegen Zerstörung von Khirbet Hamsa
Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V. (DPG)      Al Foqa / Was ist BDS? / CAF liefert Straßenbahn für Siedlung / Gymnasiast*innen verweigern Kriegsdienst
Sparda West e.G.
BIC: GENODED1SPK                                   26 Der Konflikt auf einen Blick
IBAN: DE37 3706 0590 0100 3392 10                  27	Poesie // Dareen Tatour: „Die Frauen-Hymne“
                                                   28 Kunst // Sliman Mansour: „Die Auswandererin“

                                                       Liebe Leser*innen,
Titelbild
                                                       der Schwerpunkt dieser Ausgabe befasst sich mit dem Thema „Rolle der palästinensischen Frau“.
Junge Frau im besetzten Palästina
                                                       Obwohl die aktuelle politische Situation sich mittlerweile in und um Palästina dramatisch ver-
Foto // URSULA MINDERMANN                              schlechterte, hat sich das Redaktionsteam entschieden, am Schwerpunkt festzuhalten und die
                                                       Auswirkungen mancher Entscheidungen, Abkommen und Beschlüsse durch Nachrichten und Kom-
                                                       mentare zu berücksichtigen. Wir wünschen eine gute Lektüre.

                                                       Ihre Redaktion
                                                       redaktion@dpg-netz.de

02 · Ausgabe 17 · April 2021
Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Nachrichten aus Palästina

Nachrichten aus Palästina
Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen                                                           Foto // privat
 D er Internationale Strafgerichtshof (IStGH) will möglichen Kriegsverbrechen in den von Israel be-
setzten palästinensischen Gebieten nachgehen. Damit ist der Weg frei für Ermittlungsverfahren zu
möglicherweise dort begangenen Kriegsverbrechen der israelischen Armee und palästinensischer
Milizen. Hamas und Fatah begrüßten die Ankündigung des Internationalen Strafgerichtshofs, die
israelische Regierung verurteilte sie als „Antisemitismus“.

Wahljahr 2021 in Palästina
 P räsident Mahmoud Abbas hat am 15. Januar den Wahlprozess im besetzten Palästina per Dekret
gestartet. Am 22. Mai 2021 wird das Parlament (Legislativrat), am 31. Juli 2021 der Präsident und     Im Gazastreifen wird Müll von Familien
am 31. August 2021 der Palästinensische Nationalrat gewählt. Ministerpräsident Shtayyeh betonte:      in Covid-Quarantäne separat entsorgt.
„Die palästinensische Demokratie soll nicht länger eine Geisel der (israelischen) Besat-
zung sein. Die unterzeichneten Abkommen sehen vor, dass alle Palästinenser*innen im                   Impfkampagne in Gaza
Gaza-Streifen und in der Westbank einschließlich Jerusalem an den Wahlen teilnehmen.“                 hat begonnen
Er forderte die Internationale Gemeinschaft, besonders die EU, auf, ihren Druck auf die israelische     I m Gazastreifen hat Ende Februar die Impf-
Besatzungsregierung zu erhöhen, damit auch die palästinensische Bevölkerung in Ost-Jerusalem an       kampagne gegen das Coronavirus begonnen.
den Wahlen teilnehmen kann.                                                                           Das teilte das Gesundheitsministerium mit.
                                                                                                      In den ersten drei Wochen sollen 11.000
                                                                                                      Menschen den russischen Impfstoff Sputnik-
HeidelbergCement bei völkerrechtswidrigem Rohstoffabbau                                               V erhalten. Vorrang haben medizinisches
                                                                                                      Personal, Ältere und Risikopatient*innen. Im
 Foto // ONECLIMATE, ZAZIM, MA‘AN u.a.
                                                                                                      von der Hamas regierten Gazastreifen leben
                                                                                                      etwas mehr als zwei Millionen Menschen auf
                                                                                                      engem Raum bei schlechter medizinischer
                                                                                                      Versorgung. Seit Beginn der Pandemie wur-
                                                                                                      den dort mehr als 54.000 Infektionen und über
                                                                                                      540 Todesfälle registriert.
                                                                                                      Im Westjordanland, wo die Palästinensische
                                                                                                      Autonomiebehörde regiert, begannen die Imp-
                                                                                                      fungen Anfang Februar.

                                                                                                      Kollektivstrafe
                                                                                                        I srael verhängt Sanktionen und Strafen
                                                                                                      gegen Banken, die Zahlungen von der Palästi-
                                                                                                      nensischen Autonomiebehörde (PA) an die Fa-
 A ktivist*innen forderten, den Steinbruch Nahal Rabba in der Samaria Gate Industrial Zone sofort     milien von Palästinenser*innen abwickeln, die
zu schließen und das Gebiet ökologisch wiederherzustellen. Der deutsche Konzern HeidelbergCe-         in israelischen Gefängnissen sitzen oder inhaf-
ment, über sein Tochterunternehmen Hansen Besitzer des Steinbruchs, verstößt mit dem Betrieb          tiert waren. Das meldete die palästinensische
eines Siedler-Steinbruchs in besetztem Gebiet gegen das Völkerrecht.                                  Nachrichtenagentur Maan. Die Sanktionen
                                                                                                      traten ab dem 30. Dezember in Kraft. Tel Aviv
                                                                                                      nimmt sich auch das Recht heraus, notfalls
Menschenrechtsaktivist Issa Amro verurteilt                                                           das Geld zu konfiszieren. Bereits im Mai hatte
 D er Menschenrechtsaktivist Issa Amro aus Al Khalil/Hebron ist am 6. Januar von einem israeli-       die jordanische Cairo Amman Bank den Famili-
schen Militärgericht zu sechs Monaten Haft verurteilt worden. Amnesty International, die EU und       en der Gefangenen mitgeteilt, sie sollten sich
viele andere setzen sich für ihn und den Schutz aller Menschenrechtsverteidiger*innen in Israel und   eine andere Bank suchen, wie die Nachrich-
Palästina ein.                                                                                        tenagentur AP berichtete. Einige ihrer Filialen
                                                                                                      wurden daraufhin mit Molotowcocktails ange-
                                                                                                      griffen. Die Palästinenser*innen fürchten, die
Fokolar-Bewegung wählt Palästinenserin                                                                anderen 13 Bankhäuser, die auf der Westbank
 D ie neue Präsidentin der weltweiten katholischen Fokolar-Bewegung ist die 58-jährige Margaret       aktiv sind, könnten dem Beispiel der Cairo
Karram. Die israelische Palästinenserin wurde für sechs Jahre gewählt, teilte die Bewegung mit.       Amman Bank folgen.

                                                                                                                                                        03
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Palästina Journal · Nachrichten aus Palästina

    Wieder Sicherheitskooperation mit Israel                                                              Razzien bei Familien
     D ie Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hat die Sicherheitskooperation mit Israel wieder          6 .402 Mal ist das israelische Militär in den Jahren
    aufgenommen, wie Mitte November bekannt wurde. Im Mai 2020 hatte die palästinensische Füh-            2017/18 nach Angaben des UN-Büros für die Koordi-
    rung die Zusammenarbeit mit den israelischen Sicherheitskräften im Blick auf die beabsichtigte        nierung humanitärer Angelegenheiten in palästinen-
    Annexion von Teilen des Westjordanlandes aufgekündigt. In der Hoffnung auf eine Weiterführung         sische Häuser in den besetzten Gebieten eingedrun-
    der Oslo-Verhandlungen unter US-Präsident Joe Biden wurde sie wieder aufgenommen.                     gen. Ein Haftbefehl oder auch nur ein Grund für einen
                                                                                                          Verdacht ist nicht erforderlich. Die Soldat*innen drin-
                                                                                                          gen in die Häuser ein, um den Palästinenser*innen
    PLO-Generalsekretär Saeb Erekat verstorben                                                            „das Gefühl zu geben, verfolgt zu werden“,
                                                                                                          um „ihre Anwesenheit zu demonstrieren“, um
      Foto // © World Economic Forum / Faruk Pinjo
                                                                                                          die Häuser und ihre Bewohner*innen zu „kartogra-
                                                                                                          fieren“. Die Implikationen sind schrecklich: Eltern,
                                                                                                          die für den Bericht befragt wurden, sprachen davon,
                                                                                                          dass ihre Kinder Langzeitsymp­tome wie Angst, Über-
                                                                                                          empfindlichkeit und Schlafstörungen sowie aggres-
                                                                                                          sives Verhalten entwickeln. Die Eltern selbst entwi-
                                                                                                          ckelten ähnliche Symptome.
                                                                                                          Der Bericht analysiert Zeugenaussagen von Ex-
                                                                                                          Soldat*innen und Palästinenser*innen, und be-
                                                                                                          schreibt den Einsatz von Invasionen – die fast immer
                                                                                                          nachts stattfinden. Diese Einsätze fänden ständig
                                                                                                          statt – durchschnittlich neun Mal pro Nacht. Viele
                                                                                                          Soldat*innen berichteten sogar, dass sie manchmal
                                                                                                          zum Zweck der Ausbildung oder der Erprobung neu-
                                                                                                          er Ausrüstung durchgeführt wurden („Sie mussten
     P LO-Generalsekretär Saeb Erekat ist im November 2020 im Alter von 65 Jahren in Jerusalem mit        das Aufbrechen der Türen üben“).
    Covid-19 verstorben. Der prominente Politiker war langjähriger Chefunterhändler in den palästi-
    nensisch-israelischen Verhandlungen. Erekat studierte in San Francisco und Bradford und lehrte als
    Politikwissenschaftler an der Universität Nablus. Der weltgewandte Diplomat war überzeugt, dass       Rekordzahl bei
    der Nahostkonflikt nur auf dem Verhandlungsweg gelöst werden kann.                                    Hauszerstörungen
                                                                                                           I n einem vor kurzem veröffentlichten UN-Bericht
                                                                                                          über Hauszerstörungen und Vertreibungen in der
    Siedlergewalt                                                                                         Westbank ist eine Rekordzahl von Abrissen und
     I sraelische Armeen, private Sicherheitsdienste und Siedler*innen verüben im Schnitt monatlich       Beschlagnahmungen verzeichnet. Im November
    zehn Angriffe auf Kindergartenkinder, Schüler*innen, Lehrer*innen und Einrichtungen. Dies ergab       2020 haben die israelischen Behörden 178 palästi-
    eine Untersuchung des Norwegian Refugee Councils für den Zeitraum Januar 2018 bis Juni 2020.          nensische Gebäude im Westjordanland abgerissen,
    Dreiviertel der insgesamt 296 Übergriffe führte das israelische Militär aus, darunter Überfälle auf   beschlagnahmt oder deren Bewohner*innen zum
    Schulen, Festnahmen von Kindern in Schulen und an Checkpoints und Schüsse auf Kinder.                 Abriss gezwungen. „Das ist die höchste Zahl in
                                                                                                          einem einzigen Monat, seit OCHA im Jahr
                                                                                                          2009 begann, diese Praxis systematisch zu do-
    Fares und seine Schafherde                                                                            kumentieren“. 158 Menschen wurden vertrieben.
     A m 7. Oktober 2020 kam Fares mit seiner Herde zum Weiden aus seinem Dorf A-Tha’ala (South           Über 1000 weitere Personen wurden beeinträchtigt.
    Hebron Hills). Drei Siedler aus Havat Ma’on griffen ihn und seine Herde an. Sie hetzten ihren Hund    Alle Gebäude, bis auf eines, das als Kollektivstrafe
    auf ihn und seine Schafe. Das Ergebnis: zwei Schafe starben, sechs wurden verletzt und 15 Schafe      abgerissen wurde, befanden sich in der C-Zone oder
    hatten eine Fehlgeburt. Als der Hund Fares angriff, war er gezwungen, das Tier mit einem Stein zu     Ost-Jerusalem und wurden aufgrund fehlender Bau-
    bedrohen, um es fernzuhalten. Die Siedler fotografierten dies und reichten eine Beschwerde gegen      genehmigungen, die für Palästinenser*innen fast
    Fares ein, er habe Steine auf sie geworfen. Soldat*innen verhafteten ihn. Am nächsten Tag reichte     unmöglich zu erhalten sind, gezielt zerstört.
    Fares Familie bei der Polizei Beschwerde ein. Nach 23 Tagen wurde Fares gegen Kaution freigelas-      https://www.icahd.de/ocha-bericht-westbank-
    sen und bis zu seinem Prozess vor Gericht unter Hausarrest gestellt. Keiner der Angreifer wurde       zerstoerungen-und-vertreibung-november-2020/
    verhaftet. https://www.icahd.de/sagt-nicht-ihr-haettet-es-nicht-gewusst-nr-722/

                                                                                                          UN schützen Frauen
    Kollaborateure erhalten keine Staatsbürgerschaft                                                       U N Women bezuschusst zusammen mit der ka-
     4 .284 Palästinenser*innen, denen Kollaboration mit Israel vorgeworfen wird und deren Leben in       nadischen Regierung den Ausbau der bestehenden
    Palästina gefährdet ist, haben zwischen 2016 und 2019 versucht, in Israel eine Aufenthaltsberechti-   Frauen-Schutzräume in der Westbank und in Gaza:
    gung zu bekommen. Nur elf Personen, d.h. 0,2 Prozent haben eine solche erhalten. Diese Zahlen hat-    Mehwar Centre for the Protection and Empower-
    te die medizinische Organisation Physicians for Human Rights (PHR) bei der israelischen Regierung     ment of Women and Families in Bethlehem,
    angefragt. PHR setzt sich dafür ein, dass diese Personen in Israel dann auch Krankenversicherung      Al Bayt Al Aman in Nablus, Bait Al Tawarea in
    und Arbeitserlaubnis erhalten.                                                                        Jericho und das Hayat Centre in Gaza.

04 · Ausgabe 17 · April 2021
Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Nachrichten aus Palästina

                                                                                                                                                Foto // SAMIDOUN
UN fordern Freilassung von                            Maher Al-Akhras beendet nach 103 Tagen
ehemaligem Gaza-Direktor von                          seinen Hungerstreik
World Vision                                           N ach 103 Tagen hat Maher Al-Akhras seinen Hungerstreik beendet, nachdem die
 D ie Anklage Israels gegen Mohammed el-Ha-           Besatzungsbehörden versprachen, seine Administrativhaft nicht zu erneuern. Am
labi, dem ehemaligen Direktor von World Vision        27. Juli 2020 wurde er in seinem Haus in der Nähe der Stadt Jenin verhaftet und
in Gaza, wog schwer. Er habe Geld an die Hamas        ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert, mit der Behauptung, dass er eine
umgeleitet. Über vier Jahre später, nachdem           Bedrohung für die israelische Sicherheit darstelle. Nach 91 Tagen Streik hatte sich
                                                                                                                                          Maher al-Akhras darf Be­
el-Halabi immer noch im israelischen Gefäng-          der Gesundheitszustand des Gefangenen stark verschlechtert, und er befand sich such von seiner Tochter im
nis sitzt, er Folter und über 140 nicht-öffentliche   in Lebensgefahr. Er hatte Schwierigkeiten zu sprechen und fiel mehrmals ins Koma. Krankenhaus empfangen
Verhandlungstage hinter sich hat, fordern vier
UN-Sonderberichterstatter*innen seine sofortige
Freilassung oder ein sofortiges faires Gerichtsver-   Verbesserte Arbeitserlaubnis für Israel
fahren. World Vision und die australische Regie-       Z ukünftig sollen palästinensische Arbeiter*innen aus dem besetzten Palästina in Israel selber über
rung, die das Geld gab, haben den Vorwurf über-       eine Arbeitserlaubnis verfügen und dadurch unabhängiger von ihren Chef*innen werden. Bislang ist
prüft und keine Bestätigung gefunden.                 die Arbeitserlaubnis im Besitz des israelischen Arbeitgebers bzw. der israelischen Arbeitgeberin.

Besetzung ist Apartheid                               Palästinas Kulturgüter und die israelische Besatzung
  I m Westjordanland begeht Israel systematisch        V on Jericho, der ältesten noch bewohnten Stadt bis hin zum ersten religiösen Pilgerort Jerusalem ver-
Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form           fügt Palästina über reiche archäologische Stätten. Das historische und kulturelle Erbe Palästinas ist eine
eines Apartheidregimes, dessen Opfer die paläs-       Quelle des Nationalstolzes, der die nationale, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Identität des Landes
tinensische Bevölkerung ist», hat die israelische     nachhaltig geprägt hat. Auf Palästinas Territorium befinden sich nach Angaben der palästinensischen
Juristen-NGO Yesh Din in einem Rechtsgutachten        Mission in Deutschland rund 7.000 archäologische Stätten. Mehr als die Hälfte davon sind in Gebieten,
festgestellt. Es handele sich um ein Verbrechen       die unter vollständiger israelischer Kontrolle sind. 200 Stätten liegen inzwischen in israelischen Siedlun-
der Apartheid, weil die israelischen Behörden         gen. Weitere 1.000 Stätten sind durch den Bau der Annexionsmauer beschädigt oder zerstört worden.
im Kontext der Beherrschung und Unterdrückung
einer nationalen Gruppe durch eine andere natio-
nale Gruppe unmenschliche Handlungen, Politiken       Palästinensischer AuSSenminister besucht Berlin
und Praktiken umsetzen, die dem im Völkerrecht        D er palästinensische Außenminister Dr. Riyad Al-Malki hat im November in Berlin Bundesaußen-
definierten Tatbestand unmenschlicher Handlun-        minister Heiko Maas getroffen. Im Verlauf der Pandemie habe Deutschland so viel „medizinische
gen entsprechen. Zum Beispiel: Verweigerung von       Ausrüstung (für Palästina) zur Verfügung gestellt, wie niemand sonst.“ Jetzt seien noch ein-
Rechten einer nationalen Gruppe; Verweigerung         mal 50 Beatmungsgeräte dazugekommen. Maas informierte, dass Deutschland eine aktivere Rolle
von Ressourcen einer Gruppe und deren Übertra-        mit Blick auf die Rückkehr zum palästinensisch-israelischen Dialog spielen wolle.
gung auf eine andere Gruppe; physische und recht-
liche Trennung zwischen den beiden Gruppen; die
Anwendung unterschiedlicher Rechtssysteme, um         Gewalt gegen Kinder
nur einige zu nennen. Wie das Gutachten weiter          I m vergangenen Jahr haben israelische Besatzungstruppen Gewalt und schwere Verstöße ge-
festhält, verfolge die israelische Regierung im       gen palästinensische Kinder verübt. 2020 dokumentierte die NGO Defense for Children Internati-
Westjordanland einen Prozess der «schrittweisen       onal Palestine (DICP) 79 Fälle, in denen palästinensische Kinder aus der Westbank in israelischen
Annexion».                                            Gefängnissen inhaftiert und misshandelt wurden. Fast 85% der Kinder gaben an, im Verlauf ihrer
                                                      Inhaftierung körperlich misshandelt worden zu sein, 68% berichteten von Fesselungen ihrer Beine,
                                                      91% wurden die Augen verbunden, so das DCIP. Die israelischen Besatzungstruppen hatten die
Präsident Abbas fordert Frie-                         meisten der Kinder nachts aus ihren Häusern geholt und verhaftet (57%). Zudem erfuhren 76% nicht
denskonferenz                                         die Gründe ihrer Verhaftung.
 P räsident Mahmud Abbas hat bei der UN-Gene-
ralversammlung im September 2020 eindringlich
an UN-Generalsekretär António Guterres appel-         Jüdischer Nationalfonds engagiert sich für Siedlungen
liert, eine Nahost-Friedenskonferenz zu organisie-     D er Jüdische Nationalfonds (JNF) ist künftig offiziell in der Westbank am Ausbau der völkerrechts-
ren. Die Konferenz soll „dem palästinensischen        widrigen Siedlungen beteiligt. Der JNF arbeitet seit seiner Gründung im Jahr 1901 als zentrales
Volk seine Unabhängigkeit und Freiheit in             Instrument für die Kolonisierung Palästinas. Bis heute ist festgeschrieben, dass Land in JNF-Besitz
einem eigenen Staat zu garantieren,“ sagte            ausschließlich für Jüdinnen und Juden reserviert ist.
Abbas in seiner Rede, die in der UN-Generalde-
batte als Videobotschaft ausgestrahlt wurde. Ziel
müsse die Beendigung der israelischen Besatzung       Druck auf Hamas-Kandidat*innen
sein und das palästinensische Volk in den Grenzen      D er israelische Inlandsgeheimdienst hat bereits damit begonnen, Kandidat*innen der Hamas für
von 1967 seine Freiheit und Unabhängigkeit mit        die Wahlen unter Druck zu setzen, damit diese ihre Kandidatur aufgeben, wie die Haaretz-Redak-
Ost-Jerusalem als Hauptstadt erhalten. Für die        teurin Amira Hass berichtet. Die Drohungen reichen von Telefonanrufen bis zu Administrativhaft (da
Flüchtlinge müsse eine Lösung auf Basis der UN-       braucht es keinen Grund für die Festnahmen). Aus diesen Gründen könne man unter Besatzung nicht
Resolution 194 getroffen werden.                      von freien Wahlen reden, so Amira Hass.

                                                                                                                                                                    05
Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Palästina Journal · Kommentare

                            US-Nahost-Politik:                                             Normalisierungs-Abkom-
                            nichts Neues                                                   men: erneuter Verrat

                           D                                                               D
                                         ie neue US-Administration unter Biden propa-                   ie vom ehemaligen US-Präsident Donald
Kommentare
                                         giert „Gerechtigkeit, Respekt und Diversität“.                 Trump auf Wunsch des israelischen Minister-
                                         Mal sehen, was in der Praxis aus den schö-                     präsidenten Benjamin Netanjahu initiierten
                                         nen Worten wird. Klar ist aber jetzt schon: Die                Annäherungen einiger arabischen Staaten zu
                            Palästinenser*innen sind damit wieder mal nicht gemeint.       Israel dienen nicht dem Frieden in Nahost oder zwischen
                            Das ist das Ergebnis der mehrstündigen Senatsanhörung          Israel und Palästina, wie von den beiden suggeriert wird.
                            des designierten Außenministers Blinken. Man wolle zu          Im Vordergrund stehen eigene politisch-strategische und
                            dem Atom-Vertrag mit dem Iran zurückkehren, der von            wirtschaftliche Interessen. So werden die Golfstaaten
                            Trump einseitig gekündigt worden war, „wenn sich der           mit einer so genannten Normalisierung und Anerkennung
                            Iran zur Erfüllung verpflichtet“. Gleichzeitig versicher-      Israels angelockt, um sich für eine Allianz gegen den ver-
                            te Blinken, weiterhin fest an der Seite Israels zu stehen.     meintlichen gemeinsamen Feind Iran zur Verfügung zu
                            Offenbar will sich das Biden-Team weder mit der Israel-        stellen. Zurzeit ist Saudi-Arabien diesem Pakt noch nicht
                            Lobby, der Rüstungs- und „Sicherheits“-industrie, noch mit     beigetreten, obwohl der mächtige Kronprinz Mohammad
                            Netanjahu anlegen. Dieser hatte sich ja als intimer Trump-     bin Salman darauf drängt. Es wird vermutet, dass der alte
                            Kompagnon sehr schwer getan, Bidens Wahlsieg anzuer-           König sich zurückhaltend verhält, so dass möglicherweise
                            kennen. Sein schließlicher Kurswechsel bewies erneut           nach seinem Ableben diese Allianz Israel/USA/Golfstaa-
                            seine Skrupellosigkeit. Da hätte es der Fürsprache von Bun-    ten komplettiert wird.
                            desaußenminister Maas bei Biden gar nicht mehr bedurft.           Während die Golfstaaten eine palästinafeindliche
                               Blinken hat weder von Israels ausuferndem Siedlungs-        Strategie verfolgen, ist die Motivation vom Sudan und
                            bau, von den Rechten der Palästinenser*innen und ihrer         Marokko noch fragwürdiger. Für die Normalisierung zu Is-
                            kolonialen Unterdrückung, noch von den kriegerischen           rael wird das Königreich Marokko dadurch geködert, dass
                            Aktivitäten Israels in der Region gesprochen. Dafür aber,      die Besetzung der Westsahara anerkannt wird, sowohl
                            dass die Sicherheit des „jüdischen und demokrati-              von den USA als auch von seinem neuen Freund Israel
                            schen Staates sakrosankt“ sei. So ermahnte er beide            als Besatzer Palästinas. Auch der arme, bis dahin von den
                            Seiten heuchlerisch, „keine einseitigen Schritte zu            USA mit Sanktionen belegte Sudan wird für seine Aner-
                            unternehmen“. Nichts Neues! Die Trump-Politik, u.a.            kennung Israels „gekauft“, und im Nu ist er aus der Liste
                            die demonstrative Verlegung der Botschaft von Tel Aviv         terroristischer Staaten gestrichen.
                            nach Jerusalem sowie der Einkauf arabischer Diktaturen,           Ägypten (1979) und Jordanien (1994) haben Frie-
                            um ihre Anerkennung Israels zu erreichen, wurde aus-           densverträge mit Israel abgeschlossen, in die sie die
                            drücklich befürwortet. Die vom Westen immer wieder im          Palästinenser*innen nicht eingeschlossen haben. Seitdem
                            Munde geführte „Zwei-Staaten-Lösung“ wurde zwar als            bestehen diplomatische Beziehungen zu Israel – ohne
                            Randnotiz wiederholt, aber, so Blinken sinngemäß, diese        Normalisierung. Beide Staaten setzten sich auf diplomati-
                            sei derzeit nicht aktuell. Die BDS-Kampagne zur Durch-         schem Weg für eine Unabhängigkeit Palästinas ein.
                            setzung des Völkerrechts wurde – unter Berufung auf               Die Vereinigten Arabischen Emirate nehmen offiziell
                            Biden selbst – auf entsprechende Fragen aus dem rech-          diplomatische Beziehungen zu Israel auf und hoffen, um
                            ten Republikaner-Lager wie Cruz und Graham abgelehnt,          der Kritik der Palästinenser*innen zu entgehen, angeblich
                            weil sie Israel einseitig anprangere. Israel sei auch kein     auf die Aussetzung von weiteren Annexionen durch Isra-
                            rassistischer Staat. Beide Positionen trafen auf lebhafte      el. Israel hätte wahrlich eine noch bessere Option als die
                            Zustimmung im Senat. Der letzte Punkt sollte auch als          diplomatische Anerkennung durch die Vereinigten Arabi-
                            klare Absage auf ein Interview mit der palästinesisch-         schen Emirate (VAE), Marokko oder Sudan gehabt: Die
                            stämmigen Abgeordneten der Demokratischen Partei,              Staatschefs von 56 arabischen und islamischen Staaten
                            Rashida Tlaib, gewertet werden. Diese hatte Israel kurz        waren bereit, normale Beziehungen zu Israel aufzuneh-
                            vor der Senatsanhörung ausdrücklich als rassistisch cha-       men, wenn es den von Saudi-Arabien ausgearbeiteten
                            rakterisiert, nicht zuletzt aufgrund der Impf-Strategie der    Friedensplan von 2002 akzeptiert hätte. Der Plan sieht
                            israelischen Regierung, die die Palästinenser*innen aus-       immer noch vor, dass die arabische und islamische Welt
                            grenzt und eindeutig Apartheid-Charakter trägt.                (einschließlich Iran) ihre Beziehungen zu Israel normali-
                               Blinken wurde vom republikanischen Senator Graham           siert, wenn sich Israel auf seine Grenzen vor dem Sechs-
                            als „bemerkenswerte Wahl“ gelobt. Nun ist er neuer US-         Tage-Krieg von 1967 zurückzieht und die Besatzung be-
                            Außenminister – neu ist allerdings, wie es sich abzeichnet     endet. Außerdem umfasst der Plan die Gründung eines
                            – nur die Person. Die deutsche Bundesregierung und die         palästinensischen Staates wie er in den internationalen
                            EU können sich beruhigt zurücklehnen und ihren völker-         Abkommen vorgesehen war. Israel hat nie auf dieses
                            rechtswidrigen Kurs in Sachen Israel/Palästina fortsetzen.     Angebot reagiert und damit eine historische Chance ver-
                            Es sei denn, es finden endlich mehr Menschen den Mut,          passt. Dass die neue Beziehung zwischen Israel und den
                            die Mainstream-Politik zu einem Kurswechsel zu zwingen.        VAE die vorgesehene Annexion stoppt, ist eine Mär.
                                                                                              Die so genannten Normalisierungsabkommen sind
                            Hermann Dierkes                                                nichts anderes als eine Belohnung für Verstöße gegen
                                                                                           das Völkerrecht, Waffendeals und ein erneuter Verrat am
                                                                                           Recht der Palästinenser*innen.
  06 · Ausgabe 17 · April 2021
                                                                                           Nazih Musharbash
Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Deutschland, EU und Nahost

Deutschland,
EU und Nahost
Frankreich ignoriert                                    Eine EU-Delegation hatte am 17. November aus         Ein-Staat-Realität mit ungleichen Rechten
Menschenrechtsgerichtshof                               Protest gegen die neue Siedlung mit knapp 1.300      und ewigem Konflikt. Dies ist die Zukunft
[ ] Frankreich widersetzt sich dem Urteil des Euro-     Wohneinheiten den Ostjerusalemer Stadtteil           der Region, die sowohl inakzeptabel als auch
päischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR),         Givat Hamatos besucht. Das proisraelische Isra-      strategisch nicht machbar ist.“ „In diesem
so das palästinensische Webportal electronic inti-      elnetz berichtete, jüdische Aktivist*innen hätten    Bemühen sollten die EU und die europäi-
fada. Das einstimmige Urteil des Gerichtshofs im        die Diplomat*innen als „Antisemiten“ und „Ter-       schen Länder ihre Führungsrolle demonst-
Juni 2020 hatte die strafrechtlichen Verurteilungen     rorunterstützer“ beschimpft; sie sollten „nach       rieren, indem sie ihre Möglichkeiten an ver-
von elf französischen Aktivist*innen für die palästi-   Europa zurückgehen“.                                 fügbaren politischen Instrumenten nutzen“,
nensischen Rechte aufgehoben. Das Gericht stellte                                                            schrieben sie.
fest, dass die Verurteilungen der Aktivist*innen
wegen des Aufrufs, israelische Waren zu boykot-         Bundesregierung kritisiert
tieren, gegen die in der Europäischen Menschen-         Israel wegen Givat Hamatos                           KOSOVO UND TSCHECHIEN
rechtskonvention garantierte Meinungsfreiheit           [ ] Die Bundesregierung nehme die Veröffentli-       ERÖFFNEN BOTSCHAFT
verstießen. Es ordnete an, dass die französische        chung der Ausschreibungen zum Bau der Siedlung       IN JERUSALEM
Regierung rund 7.000 Euro Schadenersatz an              Givat Hamatos in Ost-Jerusalem mit großer Sorge      [ ] Kosovo und Tschechien haben entschieden,
jede/n der Aktivist*innen zahlen muss und sprach        zur Kenntnis, erklärte das Auswärtige Amt. „Die-     Botschaften in Jerusalem zu eröffnen. Ein solcher
ihnen ihre Prozesskosten zu. Dennoch gab das fran-      ser Schritt sendet das falsche Signal zur fal-       Schritt steht im Widerspruch zum Völkerrecht und
zösische Justizministerium ein Memorandum an            schen Zeit.“ Der Siedlungsbau in den besetzten       der EU-Politik und verstößt gegen die UN-Resolu-
die Staatsanwält*innen heraus, in dem diese auf-        Gebieten sei nicht mit dem Völkerrecht vereinbar     tion 478 aus dem Jahr 1980, die die Einrichtung
gefordert werden, weiter gegen Aktivist*innen zu        und gefährde die Möglichkeit einer verhandelten      diplomatischer Missionen in Jerusalem verbietet.
ermitteln, die zum Boykott Israels aufrufen. Nach       Zwei-Staaten-Lösung. „Das Ausschreibungs-
Ansicht der Rechtsexpert*innen Richterin Ghislain       verfahren für Givat Hamatos sollte gestoppt
Poissonnier und Rechtsprofessor Nicolas Boeglin,        werden. Wir hoffen und erwarten, dass die            KRITIK AN GYSI
ziele das neue Memorandum „offensichtlich da-           israelische Regierung ihr Bekenntnis zur             [ ] Gregor Gysi, der das Abkommen Israels mit den
rauf ab, die Bestrafung von Boykottaufrufen             Zwei-Staaten-Lösung erneuert und durch               Vereinigten Arabischen Emiraten kritiklos begrüß-
nach französischem Vorbild beizubehalten“.              praktische Schritte untermauert.“                    te, ist innerparteilich dafür getadelt worden. „So
                                                                                                             sehr die Normalisierung der Beziehungen
                                                                                                             zwischen den arabischen Staaten und Israel
EU-AuSSenbeauftragter                                   Parlamentarier*innen drängen                         zu wünschen ist, so sehr setzt sie ein Ende
Josep Borrell kritisierte Sied-                         EU-AuSSenminister*innen                              der fortgesetzten Unterdrückung und Ent-
lungsbau in Givat Hamatos                               [ ] Rund 450 europäische Parlamentarier*innen        rechtung der Palästinenser*innen und eine
[ ] Der EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hat          haben einen Brief an die Außenminister*innen         Absage an jegliche Annexion voraus“, heißt
das Ausschreibungsverfahren für den Bau von             in Europa unterzeichnet. Darin werden sie auf-       es beim Bundesarbeitskreis Nahost der Linken.
Wohneinheiten für eine völlig neue Siedlung in          gefordert, den Wechsel in der US-Regierung zu
Givat Hamatos kritisiert. Er erklärte am 15. No-        nutzen, um den Druck auf Israel zu erneuern, da-
vember 2020 in Brüssel: „Dies ist ein Schlüs-           mit es seine „De-facto-Annexion“ des Westjord-       Kein Schutz für
selstandort zwischen Jerusalem und Beth-                anlandes stoppt. Unter den Unterzeichner*innen       EU-Entwicklungshilfe
lehem im besetzten Westjordanland. Jeder                sind Abgeordnete aus 22 europäischen Ländern,        [ ] Die Europäische Union habe bei mehreren
Siedlungsbau wird den Aussichten auf einen              sowie Mitglieder des EU-Parlaments. Die große        Gelegenheiten „Israel auch aufgefordert, EU-
lebensfähigen und zusammenhängenden pa-                 Mehrheit gehört Parteien der linken Mitte an, wie    finanzierte Vermögenswerte, die abgerissen,
lästinensischen Staat und, allgemeiner, der             den Sozialdemokrat*innen und den Grünen. Knapp       demontiert oder beschlagnahmt wurden, zu-
Möglichkeit einer verhandelten Zweistaa-                zehn Prozent kommen aus Deutschland, von Diet-       rückzugeben oder zu entschädigen. Im Jahr
tenlösung im Einklang mit den international             mar Bartsch (Die Linke) über Franziska Brantner      2020 waren 114 mit EU-Mitteln finanzierte
vereinbarten Parametern und mit Jerusalem               (Grüne) bis Dietmar Nietan (SPD).                    Einrichtungen betroffen, und die EU setzt
als künftiger Hauptstadt zweier Staaten                 Die Parlamentarier*innen stellen in ihrem Brief      sich in der Öffentlichkeit dafür ein, dass der
schweren Schaden zufügen.“ Er betonte, die              fest, dass die Entwicklungen vor Ort „auf eine       EU-Vertreter in den besetzten palästinensi-
„EU hat Israel wiederholt dazu aufgefordert,            schnell fortschreitende De-facto-Annexion“           schen Gebieten gemeinsam mit den Missi-
alle Siedlungsaktivitäten zu beenden und die            hindeuten, „insbesondere durch den beschleu-         onschefs der EU-Mitgliedstaaten relevante
seit März 2001 errichteten Außenposten ab-              nigten Siedlungsausbau und den Abriss pa-            Orte in der Zone C der besetzten palästi-
zubauen. Es bleibt die feste Position der EU,           lästinensischer Strukturen“. Diese Politik, so       nensischen Gebiete besucht, wobei derzeit
dass die Siedlungen nach internationalem                stellten sie fest, „eliminiert die Möglichkeit ei-   weitere Maßnahmen zum Schutz von EU-
Recht illegal sind.“                                    ner Zwei-Staaten-Lösung und verfestigt eine          Investitionen erwogen werden.“ Dies teilte die

                                                                                                                                                            07
Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Palästina Journal · Deutschland, EU und Nahost

Europäische Kommission am 15. Januar 2021 auf      missbrauchen, um legitime Kritik an Israel                 auf, ihre Zusammenarbeit und ihren Dialog auf
eine Anfrage aus den Europa-Parlament mit.         und seiner Politik, insbesondere gegenüber                 der Grundlage weiterer gegenseitiger Zusagen,
Der US-Journalist Ramzy Baroud beobachtet, dass    dem palästinensischen Volk und im Zusam-                   auch im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie, zu
trotz gelegentlicher Proteste, die EU-Mitglieder   menhang mit der israelischen Besatzung der                 vertiefen. In diesem Zusammenhang begrüßten
die israelische Botschaft verstanden haben. Die    palästinensischen Gebiete, zu unterdrücken                 sie den Beschluss der Palästinensischen Behör-
Gesamtzahl der 2019 im C-Gebiet der Westbank       oder als antisemitisch zu stigmatisieren, die              de, die Zusammenarbeit auf der Basis von Israels
unterstützten Projekte sei auf zwölf gesunken, um  Bemühungen zur Bekämpfung des Antisemi-                    Bekenntnis zu früheren bilateralen Übereinkünften
einiges weniger als noch vor Jahren.               tismus gefährden wird und daher zurückge-                  wiederaufzunehmen.
                                                   wiesen werden sollte.“                                     Ein gerechter und dauerhafter Frieden soll auf der
                                                   Der Bericht schließt mit einer stark eingeschränk-         Grundlage des Völkerrechts, der einschlägigen Re-
Top-Diplomat*innen in Hebron ten Befürwortung: „In Anbetracht der obi-                                        solutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nati-
[ ] Diplomatische Vertreter*innen aus 17 Län- gen Ausführungen begrüßt ECRI die nicht                         onen und der vereinbarten Parameter, wie in der
dern, darunter auch EU-Mitglieder, haben im Ok- rechtsverbindliche IHRA-Arbeitsdefinition                     Arabischen Friedensinitiative, unterstützt werden.
tober 2020 palästinensische Gemeinden auf den von Antisemitismus in dem Sinne, dass sie                       Eine verhandelte Zweistaatenlösung soll auf der
Hügeln von Süd-Hebron, Masafer Yatta, besucht, ein besseres Verständnis von Antisemitis-                      Grundlage der Grenzen vom 4. Juni 1967 basieren
deren Bewohner*innen Israel zu vertreiben ver- mus unterstützt und fördert. (...) Obwohl                      und der Resolution des UN-Sicherheitsrats, die
sucht. Zuletzt wurde das Gebiet zu einer militäri- es sich weder um eine Definition handelt,                  die Entstehung eines unabhängigen und lebens-
schen Schießzone (firing zone) erklärt.            die in einem internationalen Vertrag enthal-               fähigen palästinensischen Staates gewährleistet,
Im Dorf Khirbet al-Majaz besuchten die Teil­ ten ist, noch um eine Definition, die in Ge-                     der neben einem sicheren und anerkannten Staat
nehmer*innen die örtliche Schule, die mit EU-­ richtsverfahren verwendet werden soll, noch                    Israel besteht.
Mitteln gebaut wurde und trafen auf Gemeinde­ um eine universell anerkannte akademische                       Mit den Vereinten Nationen soll ein umfassender,
vorsteher*innen zusammen. Die Tour, bei der Definition, ist ECRI der Ansicht, dass sie ein                    gerechter und dauerhafter Frieden in der Region
die neuesten Sicherheitsrichtlinien von Covid-19 positives Instrument sein kann und ermutigt                  auf der Grundlage der international anerkannten
eingehalten wurden, wurde von den israelischen die Mitgliedsstaaten des Europarates, sie zu                   Parameter leichter herbeigeführt werden.
NGOs Breaking the Silence und B‘Tselem organi- berücksichtigen, insbesondere in den Berei-                    Der Bau und die Erweiterung von Siedlungen
siert. Seit 2006 und bis Ende September 2020 hat chen Datenerhebung, Bildung und Bewusst-                     sowie die Beschlagnahme palästinensischer Ge-
B‘Tselem den Abriss von 66 Gebäuden dokumen- seinsbildung.“                                                   bäude und Grundstücke verstoßen gegen das Völ-
tiert, in denen 358 Menschen, darunter 163 Min- https://rm.coe.int/opinion-ecri-on-ihra-wd-                   kerrecht und untergraben die Realisierbarkeit der
derjährige lebten. Seit Anfang 2012 hat B‘Tselem on-antisemitism-2755-7610-7522-1/1680a091dd                  Zweistaatenlösung. Das humanitäre Völkerrecht
auch den Abriss von 21 Nicht-Wohngebäuden in                                                                  in den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten
diesen Gemeinden dokumentiert.                                                                                einschließlich Ost-Jerusalems muss eingehalten
                                                       Aufwertung der IHRA                                    werden.
                                                       durch Deutschland                                      Zusammensetzung, Charakter und Status der 1967
EU wird Wahlprozess                                    [ ] Außenminister Maas verstärkt das deut-             besetzten palästinensischen Gebiete einschließ-
in Palästina begleiten                                 sche Engagement für die International Holocaust        lich Ost-Jerusalems muss bewahrt werden. Der
[ ] EU-Wahlbeobachter*innen werden die Wahlen          Remembrance Alliance IHRA. Er möchte „dafür            traditionelle und rechtliche Status quo der heiligen
in Palästina unterstützen. Die Zentrale Wahlkom-       sorgen, dass die IHRA auf Augenhöhe mit                Stätten in Jerusalem ist aufrechtzuerhalten.
mission (CEC) in Palästina hatte dazu eine Einla-      anderen internationalen Organisationen                 Die Friedensverträge zwischen arabischen Staa-
dung an die Europäische Union und das Europäische      wahrgenommen wird. Die Anerkennung als                 ten und Israel, einschließlich der kürzlich unter-
Parlament ausgesprochen. Der EU-Vertreter Sven         internationale Institution nach dem Gast-              zeichneten Übereinkünfte, sind ein Beitrag zur Bei-
Kuhn von Burgsdorf betonte die Unterstützung der       staatgesetz ermöglicht dies. Und wir setzen            legung des israelisch-palästinensischen Konflikts
EU zur Abhaltung freier und fairer Wahlen im Ein-      damit auch ein Zeichen für die internationale          auf der Grundlage der Zweistaatenlösung.
klang mit internationalen Standards und ihre Rolle     Zusammenarbeit, die wir – sowohl bei der Er-           Alle Parteien einschließlich des internationalen
als langjährige Schlüsselpartnerin (die EU). Die Be-   innerung an die Schrecken der Vergangenheit            Quartetts und seiner potenziellen internationalen
teiligung der gesamten palästinensischen Bevölke-      als auch für die Gestaltung unserer Zukunft            Partner sollen kollektive Anstrengungen und prak-
rung am Wahlprozess sei wichtig, so von Burgsdorf      – unbedingt brauchen.“ Die Bundesregierung             tische Schritte unternehmen, um glaubwürdige
und müsse, einschließlich der Beteiligung der Be-      hat im März 2021 eine Rechtsverordnung auf den         Verhandlungen über alle Endstatusfragen im Nah-
völkerung in Ost-Jerusalem sichergestellt werden.      Weg gebracht, mit der der International Holocaust      ostfriedensprozess zu fördern.
                                                       Remembrance Alliance (IHRA) die Rechtspersön-          Die Bemühungen um die palästinensische Aus-
                                                       lichkeit einer internationalen Institution verliehen   söhnung und die Bereitschaft zu Wahlen werden
Kritische Stellungnahme                                wird. Damit genießt die IHRA dann die für diese        begrüßt, die Bemühungen Ägyptens, die Spaltung
zur IHRA                                               Organisationsform vom Gaststaatgesetz vorgese-         innerhalb der Palästinenser*innen zu überwinden,
[ ] Die Europäische Kommission gegen Rassis-           henen Immunitäten und Befreiungen.                     unterstützt.
mus und Intoleranz (ECRI), ein offizielles Gremium                                                            Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Paläs-
von Menschenrechtsexpert*innen, die von den                                                                   tinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) stellt
Mitgliedsstaaten des Europarates ernannt wer-          Treffen in Kairo zum Nahost-                           humanitäre Hilfe und grundlegende Dienste für die
den, hat am 2. Dezember 2020 eine Stellungnah-         friedensprozess                                        palästinensischen Flüchtlinge bereit. Die internati-
me zur IHRA-Definition verabschiedet, in der sie       [ ] Nach einem gemeinsamen Treffen am 11.              onale Gemeinschaft muss ihre Zusagen gegenüber
Bedenken gegen die Definition äußert: „ECRI            Januar 2021 in Kairo zum Nahostfriedensprozess         dem UNRWA erfüllen.
betont nachdrücklich, dass jeder Versuch,              riefen die Außenminister von Deutschland, Frank-       Zuletzt fand das mittlerweile fünfte Treffen der
die Arbeitsdefinition und ihre Beispiele zu            reich, Jordanien und Ägypten, Israel und Palästina     vier Außenminister am 11. März in Paris statt.

08 · Ausgabe 17 · April 2021
Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Schwerpunkt // Wege der Frauen

Palästinensischer Widerstand von Frauen
Ahed al-Tamimi und die Frauen von Jubbet al-Thi’b

A
          uf lokaler Ebene gibt es zahllose           Die Frauen von Jubbet al-Thi’b:                      lernt, wie man Unterstützung bekommen kann. Sie
          Beispiele, wie in Palästina auf die         Im Beduinen-Weiler Jubbet al-Thi’b, südöstlich       wandten sich an lokale wie internationale Zeitun-
          unterschiedlichste Art und Weise            von Jerusalem, kämpfen palästinensische Frauen       gen, Radio und Fernsehen. Außerdem erhielten sie
          Widerstand geleistet wird, gegen            sowohl gegen die Besat-                              Hilfe von zwei palästinensisch-israelischen NGOs,
die Besatzung, gegen autoritäre Unterdrü-             zung als auch gegen die                              Bimkom und Comet-Me. Und schließlich schaltete
ckung und für ein Leben in Freiheit und Wür-          autoritäre Politik der pa-                           sich die diplomatische Community ein, allen voran
de. Hier nur zwei Beispiele:                          lästinensischen Lokalver-                            die niederländische Botschaft und die Regierung
                                                      waltung. Sie sind außerge-                           sowie das Parlament in Den Haag.
                                                      wöhnliche Frauen mit ihrer
Die al-Tamimi Familie                                 Bereitschaft, Initiative zu                          Der erste Erfolg war ein rudimentäres Stromnetz,
mit Ahed al-Tamimi, die einen                         ergreifen, stur ihre berech-                         gespeist von Sonnenkollektoren und Diesel. Die-
israelischen Besatzungs­                              tigten Ziele zu verfolgen Fadia al-Wahsh             ses wurde Ende 2016 durch Comet-Me gebaut.
soldaten ohrfeigte                                    und, wo immer möglich,                               Schon im Sommer 2017 konfiszierte die israeli-
                                                      Unterstützung zu holen. Sie haben schnell gelernt,   sche Armee (Jubbet al-Thi’b befindet sich im C-
  Foto // Fadi Quran
                                                      wie wichtig die Rolle der Presse ist.                Gebiet der West Bank, wo die israelische Armee
                                                                                                           die volle Kontrolle ausübt) die Sonnenkollektoren.
                                                                                                           Dabei hatten sie aber nicht mit den Frauen von
                                                        Foto // Helga Baumgarten
                                                                                                           Jubbet al-Thi’b und mit der niederländischen Po-
                                                                                                           litik gerechnet. Die Sonnenkollektoren waren aus
                                                                                                           den Niederlanden finanziert worden, und von dort
                                                                                                           wurde derart massiver Druck auf die israelische
                                                                                                           Regierung ausgeübt, dass die Sonnenkollektoren
                                                                                                           zurückgegeben wurden: eine einzigartige Aktion.

                                                                                                           Inzwischen sind die Frauen im Dorf entscheidend
                                                                                                           weitergekommen. Sie haben eine Frauenorganisa-
                                                                                                           tion gegründet und offiziell registriert. Eine Grund-
                                                                                                           schule wurde im Dorf gebaut (und man hofft, dass
                                                                                                           die israelische Armee die Androhung des Abrisses
Ahed al-Tamimi mit ihren Eltern                                                                            nicht umsetzen wird). Eine Straße zum nächsten
                                                                                                           Dorf, in dem die größeren Kinder zur Schule ge-
Die Bewohner*innen des Dorfes Nabi Saleh bei                                                               hen, wurde gebaut. Es gibt inzwischen fließendes
Ramallah leisten seit Jahren Widerstand gegen                                                              Wasser im Dorf.
die Expansion israelischer Siedlungen in ihrer
Nachbarschaft. Dieser Widerstand wird mit durch-                                                           Was noch fehlt, ist der Anschluss an das Elektrizi-
weg friedlichen Demonstrationen durchgeführt,         Solaranlage in Jubbet al-Thi’b                       tätsnetz, denn die Sonnenkollektoren reichen nicht
an dem das gesamte Dorf, oft mit Unterstützung                                                             aus, um das ganze Dorf 24 Stunden am Tag mit
durch Menschen aus der Umgebung, auch Studie-         Alles begann 2014. Eine Gruppe von Frauen hatte      Strom zu versorgen. Dabei gibt es bis dato noch
renden aus der Universität Birzeit, teilnimmt. Die    schlicht genug von den unerträglichen Lebensbe-      Schwierigkeiten mit dem palästinensischen Elek-
israelische Armee schlägt diese Demonstrationen       dingungen: kein fließendes Wasser, kein Strom,       trizitätswerk und der Militärverwaltung. Bimkom
immer wieder mit brutaler Gewalt nieder. Ahed al-     keine Straße vom Dorf zur nächsten Ortschaft, zur    ist dabei, diese Probleme zu lösen.
Tamimi nahm schon als Jugendliche an diesen De-       Schule ihrer Kinder. Entscheidend war für sie die
monstrationen teil. Weltberühmt wurde sie durch       Gesundheit der Kinder.                               Einen weiteren Erfolg konnten die Frauen für sich
die Schlüsselszene, die ihre Mutter filmte und auf                                                         verbuchen: Sie entgingen der Gefahr der Korrup-
YouTube verbreitete: Aus Wut und Entsetzen über       Die Frauen nahmen ihr Schicksal und das ihrer        tion. Fadia al-Wahsh formuliert dies ganz klar:
die Verletzung ihres Cousins ohrfeigte Ahed einen     Kinder in ihre Hände und begannen beim Bürger-       „Wir akzeptieren kein Geld. Wie bitten dar-
israelischen Soldaten. Ahed wurde dafür gar als       meister des Nachbardorfes eine Anbindung ihres       um, dass uns durch Arbeit, durch Bauen und
palästinensische Jeanne d’Arc gefeiert.               Weilers an das Stromnetz zu fordern. Die zweite      durch Installierung z.B. von Sonnenkollekto-
                                                      Forderung war eine akzeptable Wasserversor-          ren geholfen wird.“
Die Ohrfeige hatte bittere Folgen für sie. Sie wur-   gung. Zuerst versuchte man, die Frauen abzuwim-
de verhaftet und verurteilt. Inzwischen studiert      meln. Aber Fadia al-Wahsh und ihre Mitstreiterin-
sie Jura an der Universität Birzeit, um später als    nen ließen sich nicht unterkriegen.
Juristin für das Recht ihrer Mitbürger*innen zu
kämpfen.                                              Durch ihre Kontakte mit den palästinensischen        Helga Baumgarten, Politologin und Historikerin, unterrichtet
                                                      NGO Medical Relief Committees hatten sie ge-         seit vielen Jahren an der Universität Birzeit/Palästina

                                                                                                                                                                    09
Wege der Frauen Kommentare - US-Nahost-Politik Normalisierungsabkommen - Deutsch-Palästinensische Gesellschaft
Palästina Journal · Schwerpunkt // Wege der Frauen

Frauenbefreiung nicht auf später verschieben
„Wir fordern Solidarität“ – Interview mit Fidaa Zaanin

I
     n Palästina stehen Frauen gegen patriarchale      Foto // Privat
     Gewalt und Besatzung auf; tausende nahmen
     an den Demonstrationen im Jahr 2019 teil.
     Aufgrund von Corona waren in den letzten Mo-
naten solche Proteste nicht mehr möglich. Haydar
Kizilbas und Alia Ka haben sich mit Fidaa Zaanin,
einer palästinensischen, sozialistischen Feminis-
tin aus Gaza, die seit einigen Jahren in Deutsch-
land lebt, getroffen, um über die Tal3at-Bewegung
der palästinensischen Frauen zu sprechen.

Am 26. September 2019 gab es in Berlin eine
Kundgebung in Solidarität mit der und als Teil der
Tal3at-Bewegung. Was waren die Anliegen der
Protestierenden?
Fidaa Zaanin: „Tal3at“ bedeutet „auf die
Straße zu gehen“, um gegen Gewalt zu protes-
tieren, egal, welches System hinter dieser Gewalt
steckt. Der Aufruf kam nach der Ermordung von Is-
raa Ghrayeb. Sie war ein junges palästinensisches
Mädchen, das in Beit Sahour, im Westjordanland,      Fidaa Zaanin, palästinensische, sozialistische Feministin aus Gaza
von ihrer Familie umgebracht wurde. Deswegen
hat Tal3at Frauen dazu aufgerufen, auf die Straße    Ist diese Bewegung eine spontane oder stehen                    richtig. Ich würde niemals zu einer Demonstration
zu gehen, um die Gewalt gegen Frauen anzupran-       längere Organisierungsprozesse dahinter? Und                    gehen, auf der israelische Soldatinnen stehen, nur
gern und um klarzumachen, dass es keine Befrei-      was sind die Perspektiven für diese Bewegung?                   weil sie Frauen sind. Einfach eine Frau zu sein ist
ung für das palästinensische Volk gibt, ohne die     Zaanin: Es ist eine ganz spontane Bewegung.                     für mich keine Gemeinsamkeit, es ist eine politi-
Befreiung der Frauen in Palästina. Man kann das      Es gibt einen Anstieg der Morde an Frauen, der                  sche Frage. Ich könnte mit so einer Frau den gan-
Thema der Frauenbefreiung nicht auf später ver-      sogenannten Ehrenmorde, in Palästina besonders                  zen Tag demonstrieren und am nächsten Tag kann
schieben, nachdem die Befreiung des palästinen-      innerhalb der 1948er-Gebiete. Die Tal3at-Proteste               sie an einem Checkpoint eine Waffe an meinen
sischen Volkes erreicht wurde.                       haben ja auch in Haifa angefangen. Und wir haben                Kopf halten. Das sind aber nicht die Worte, die
                                                     auf deren Aufruf geantwortet, in Berlin, Gaza, Bei-             diese Leute hören wollen.
Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass palästi-    rut und in den Geflüchtetenlagern.
nensische Frauen Teil der politischen Bewegung                                                                       Was wären, deiner Meinung nach, die Pflichten
sind …                                               In Deutschland wird über die Proteste geschwie-                 von linken Bewegungen hier in Deutschland, um
Zaanin: Ja, klar. Sogar schon unter dem britischen   gen. Warum eigentlich?                                          eure Kämpfe zu unterstützen?
Mandat in den 1930er-Jahren haben Frauen ange-       Zaanin: Zum Protest am 26. September 2019 vor                   Zaanin: Solidarität. Transnationale feministische
fangen, ihre eigenen Gemeinschaften zu gründen,      dem Rathaus Neukölln war keine deutsche Pres-                   Solidarität mit Palästina, im Kontext des Lebens
hauptsächlich um anderen Frauen in sozialen Fra-     se da. Ich denke, es hatte auch etwas mit den                   unter dem Siedlerkolonialismus. Die Leute soll-
gen zu helfen. Sie haben politische Arbeit unter     Slogans zu tun. Weil die Frauen gesagt haben:                   ten unsere Sache weitertragen. Informationen
dem Kolonialismus gemacht. Aber danach, mit der      „Althowra did al thakaria w’al isti3maar“,                      weiterzugeben kann ein revolutionärer Akt sein.
zweiten Intifada und der Form, die der Widerstand    also „Revolution gegen das Patriarchat und                      Damit Leute von den Protesten hören, durch pa-
angenommen hat, wurde die Rolle, die Frauen          den Kolonialismus“. So haben die deutschen                      lästinensische Stimmen. Das ist das Wichtigste,
eingenommen haben, immer kleiner. Gerade nach        Feminist*innen vielleicht verstanden, dass die                  dass sie palästinensische Frauen sprechen hören.
dem Oslo-Abkommen, durch Mengen an Geld, das         Proteste sich nicht nur gegen palästinensische                  Und es ist wichtig zu sagen, dass Palästina nicht
nach Palästina floss und dadurch, wie der Wider-     braune Männer richten, sondern auch gegen den                   befreit werden kann, solange Frauen nicht befreit
stand NGO-isiert wurde, wurden auch ihre politi-     Zionismus. Deswegen passt es vielleicht einfach                 sind. Auch in unseren Räumen hier in Deutsch-
schen Kämpfe vereinnahmt.                            nicht in die Kriterien der Deutschen. Nach dem                  land, Großbritannien und überall. Es geht darum,
Oft wurden Frauen in politischen Räumen ausge-       Motto: „Wie könnt ihr es wagen Israel zu kri-                   den Diskurs von Tal3at und den Frauen, die auf
schlossen und sogar von ihren eigenen Genossen       tisieren und nicht nur eure palästinensischen                   der Straße protestieren, aufzugreifen. Wir fordern
marginalisiert. Was die Frauen sagen, ist: „Nein,    brauen Männer?“                                                 Solidarität.
ihr könnt uns nicht ausschließen, ihr könnt nicht    Ich kann mich erinnern, wie sie über den Frau-
so weitermachen, wie ihr es die letzten 70 Jahre     enstreik in Tel Aviv berichtet haben: „Es ist so
getan habt“. Wir sagen nein, wir werden es auf       cool, es ist so bunt … Palästinensische Frau-
unsere Art machen, und nicht auf die Art, wie ihr,   en gehen zusammen mit israelischen Siedle-                      Die Redaktion dankt dem „The Lower Class Magazine“ in Ber-
die Männer, es haben wollt.                          rinnen auf die Straße …“. Aber das ist nicht                    lin für das Interview.

10 · Ausgabe 17 · April 2021
Liebe Mitglieder und Interessierte,                           schlechtere Lage in und um Palästina schwindet. Der israelische Minister-

                                                                                                                                                                            Auf Ein Wort
                                es freut uns sehr, dass das Palästina Journal so gut ange-    präsident Netanjahu nutzt diese Situation schamlos und völkerrechtswidrig
                                nommen und positiv bewertet wird. Die vielen Rückmel-         aus und treibt die evidente schleichende Annexion von Land sowie den Bau
                                dungen ermutigen uns, in der gewohnten Qualität und der       von illegalen kolonialen Wohneinheiten auf beschlagnahmtem palästinen-
                                bewährten Aufmachung weiter zu arbeiten.                      sischem Grund und Boden massiv voran. Joe Biden, als neuer US-Präsident,
                                Die seit über 50 Jahren andauernde israelische Besatzung      könnte einiges korrigieren, jedoch wesentliche, aus Israels Sicht wichtige
                                beeinträchtigt den Alltag in Palästina. Erschwerend kommt     Entscheidungen, kaum ändern. Und so bleibt Präsident Abbas nichts ande-
Nazih Musharbash                die Corona-Pandemie mit all ihren Auswirkungen hinzu. Poli-   res übrig als die Beziehungen zu den USA wieder aufzunehmen.
Präsident                       tische und militärische Gewalt sowie zunehmende Arbeitslo-    Ab dem 22. Mai sollen endlich Parlaments- und Präsidentschaftswahlen
Deutsch-Palästinensische
Gesellschaft e.V.
                                sigkeit, beengte Wohnverhältnisse, unzureichende Gesund-      in ganz Palästina stattfinden. Fatah und Hamas treten als die zwei größten
                                heitsversorgung und Armut entladen sich oft in häuslicher     Parteien an und sie wollen gemeinsam die Zukunft Palästinas bestimmen.
                Gewalt, unter der viele palästinensische Frauen leiden. Vermehrt kämpfen      Erstaunlich ist nur, dass ein Hamas-Funktionär verlangt, dass auch die in
                palästinensische Frauenrechtlerinnen für Reformen in der Gesetzgebung         Israel lebende palästinensische Bevölkerung an der Wahl teilnehmen soll,
                auf der einen und für gravierende Veränderungen im gesellschaftlichen Le-     wissend, dass die Hamas die Errichtung des angestrebten Staates Palästi-
                ben auf der anderen Seite – und sagen tradierten patriarchalen Sitten und     na in den 1967er Gebieten am 1. Juli 2017 in Doha proklamierte. Handelt es
                Traditionen den Kampf an. Diese Balance zwischen Emanzipation und Tra-        sich hier um eine Abkehr oder um eine Falle? Ein Sonderfall bleibt das von
                dition ist ein sensibler, wie ein notwendiger Akt. Die DPG unterstützt u.a.   Israel völkerrechtswidrig annektierte Ost-Jerusalem, dessen palästinensi-
                Projekte vor Ort auf der Basis „Hilfe zur Selbsthilfe“ und versucht Frauen    sche Bürger*innen voraussichtlich wieder einmal nicht abstimmen dürfen.
                und deren Familien ein besseres Einkommen zu ermöglichen.                     Insgesamt bleibt zu hoffen, dass das Ergebnis demokratischer Wahlen auch
                Die Corona-Pandemie, die globale Schäden verursacht hat, erfordert die        von allen Beteiligten in Palästina, wie auch von den für einen Friedenspro-
                volle Aufmerksamkeit der Menschen in allen Ländern. Es scheint so zu sein,    zess einflussreichen Staaten akzeptiert wird!
                dass dadurch die Aufmerksamkeit in der Weltpolitik auf die zunehmend          Nazih Musharbash, DPG-Präsident

              Kundgebung zum interna­                              Kein Impfstoff für Palästina?                        Keine Ahndung
              tionalen Tag der Solidarität                         [ ] Israel kommt seinen Verpflichtungen nicht        von Kriegsverbrechen?
              mit Palästina in Bonn                                nach, die Bevölkerung in Palästina mit ausrei-       [ ] Die Bundesregierung hat sich beim In-
              [ ] Zu einer corona-konformen Palästina-             chend Impfstoff zu versorgen. Die DPG hat des-       ternationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den
              Kundgebung hatten Organisationen am 29.              halb an Bundeskanzlerin Angela Merkel appelliert     Haag dafür eingesetzt, dass dieser nicht für die
              November 2020 in Bonn aufgerufen. Im Aufruf          ihren „Einfluss geltend zu machen, um dafür          Aufklärung von Kriegsverbrechen in Palästina
              hieß es: „Am 19. November 2020 verab-                zu sorgen, dass die palästinensische Bevöl-          zuständig ist. Die DPG kritisiert diese Position
              schiedete die UN-Generalversammlung                  kerung in der von Israel besetzten Westbank          von Bundesaußenminister Maas scharf: Er sei
              mit einer Mehrheit von 163 zu 5 Staaten              und im faktisch ebenfalls besetzten und unter        „der Rechtsauffassung, dass der IStGH
              zum wiederholten Mal eine Resolution, mit            langjähriger Blockade leidenden Gazastreifen         und seine Anklagebehörden aufgrund des
              der das Recht des palästinensischen Volkes           möglichst sofort in den Stand gesetzt wird,          Fehlens des völkerrechtlichen Elements
              auf Selbstbestimmung, einschließlich des             sich in der gleichen Quantität und Qualität          der Staatlichkeit von Palästina nicht zu-
              Rechts auf einen unabhängigen Staat Paläs-           wie die israelische Bevölkerung selbst gegen         ständig sei“ und nehme „billigend in Kauf,
              tina betont wird. Seit 1977 begeht die UNO           Covid-19 impfen zu lassen.“ Israel lasse zwar        dass Kriegsverbrechen auf beiden Seiten
              den 29. November alljährlich als Tag der             seine Bevölkerung im Rekordtempo gegen das           weder untersucht noch geahndet werden
              Internationalen Solidarität mit Palästina.           Corona-Virus impfen, vernachlässige aber seine       sollen.“
              Doch dies reicht nicht aus!“ Deshalb forder-         Pflichten gegenüber den Palästinenser*innen.
              ten die beteiligten Organisationen Deutsch-Pa-
              lästinensischer Frauenverein, Jüdische Stimme
              für einen gerechten Frieden in Nahost e.V.,
              BDS-Gruppe Bonn, Bonner Jugendbewegung,                    Werden Sie Mitglied in der
              Institut für Palästinakunde Bonn e.V., Deutsch-            Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft
              Palästinensische Gesellschaft NRW-Süd e.V.,                für ein
              Frauenwege Nahost, Antikriegs-AG Aufstehen

                                                                         Palästina
              Bonn: „Schluss mit den illegalen Siedlungen,
              der Besatzung der Westbank und der Be-
              lagerung Gazas! Abriss aller Mauern und

                                                                         ohne Besatzung
              Zäune in der Westbank und um Gaza! Voll-
              ständige Gleichberechtigung der arabisch-
              palästinensischen Bürger*innen Israels!
              Anerkennung des Rechts der palästinensi-
              schen Flüchtlinge auf Rückkehr!“

                Foto // George Rashmawi
                                                                         Bitte die Beitrittserklärung ausfüllen,
                                                                         unterschreiben und in einem Briefumschlag                                Wenn Sie mit der DPG für ein friedli-
                                                                         senden an:                                                               ches Zusammenleben aller Menschen
                                                                                                                                                  im Nahen Osten eintreten und Mit-
                                                                         Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V.                               glied der DPG werden wollen, dann
                                                                                                                                                  trennen Sie diesen Abschnitt ab und
                                                                         Dr. Ribhi Yousef
                                                                                                                                                  senden Sie ihn ausgefüllt an die an-
                                                                         Bismarckstraße 111                                                       gegebene Anschrift!
                                                                         47057 Duisburg
Palästina-Kundgebung am 29. November 2020 in Bonn
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