Kleine Geschichte der Dämmstoffe "Erster Teil"

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Kleine Geschichte der Dämmstoffe "Erster Teil"
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                 Kleine Geschichte der Dämmstoffe
                 „Erster Teil“
                 Werner Eicke-Hennig*

                 Bereits unsere frühen Vorfahren dämmten ihre Hütten mit Heu und Stroh. Mit dem Fach-
                 werk- und Massivbau kamen beständigere Baustoffe, allerdings mit geringem Wärmeschutz.
                 Erst die Industrialisierung brauchte „Isolationsstoffe“ für ihre Wärmeanwendungen, das
                 führte zur Herausbildung der Dämmstoffindustrie. Der Hochbau hinkte demgegenüber beim
                 Wärmeschutz lange hinterher. Nach der Energiekrise 1974 entwickelte sich der Markt für bes-
                 ser dämmende und spezialisierte Dämmstoffe wie Glas-, Steinwolle und Hartschaum. Die
                 Dämmstärken wuchsen. Im Hausbau wurde stets um Sinn und Ausmaß von Dämmstoffan-
                 wendungen gerungen. Schöne Fassaden waren wichtiger als Wohnhygiene. Das ändert sich
                 seit einigen Jahren. Heute ist der Hochbau Motor der Dämmstoffanwendungen.

                 Ein exzellenter Start in der Bronzezeit                          Strohgedeckte Dächer blieben bis ins 18. Jahrhundert üb-
                 Schon vor 3400 Jahren in der Bronzezeit wiesen die Hütten        lich und noch um 1830 ging die Obrigkeit aus Brandschutz-
                 einen beachtlichen Wärmeschutz auf. Die Dächer deckte            gründen gegen die immer noch nicht gänzlich verschwun-
                 man mit Heu und Stroh. Bei 20 bis 30 cm Dicke ergaben            dene „weiche Bedachung“ vor. Die billigen und warmen
                 sich hier ein veritabler Wärmeschutz um 0,3 W/(m²K). Die         Strohdächer waren beliebter als das Ziegeldach. Auch bei
                 tragenden Pfosten der Wände waren beidseitig mit lehm-           den Außenwänden blieb die gute Qualität über fast drei
                 beworfenen Flechtwerk verkleidet. Dazwischen wärmte ein-         Jahrtausende erhalten. „Das deutsche Haus war ursprüng-
                 gestopftes trockenes Gras gegen die Kälte. Bei 10 cm Dicke       lich ein Holzbau, der Baustoff der Germanen war das Holz.
                 und guter Stopfdichte ergab sich ein U-Wert von 0,5 bis 1,0      (…) Noch im 15. Jahrhundert war das steinerne Haus eine
                 W/(m²K). Damals lag die Jahresmitteltemperatur um 4 °Cel-        Ausnahme“, schrieb Professor Schä­fer in „Deutsche Holz-
                 sius tiefer und man schützte sich intuitiv gegen die Kälte.      baukunst“ von 1937. [1] Die haltbarere Holzblockwand löste
                 Reste dieser „Energiesparwand aus der Bronzezeit“ wurden         die bronze­zeitliche Flechtwand ab. Je nach Dicke der ver-
                 unlängst von hessischen Archäologen ausgegraben. Die ge-         wendeten Rundstämme oder Balken lag ihr U-Wert bei
                 fundenen Siedlungsbauten waren abgebrannt, so dass sich          0,5 - 0,8 W/(m²K). Zur Fugendichtung dienten Moose und
                 im hartgebrannten Lehmbewurf Graseindrücke auf jeweils           Flechten. Bis dahin wurde die Dämmwirkung der Baustoffe
                 einer Seite der Lehmbekleidung des Flechtwerks erhalten          eher gefühlsmäßig genutzt. Da nur Baustoffe wie Holz und
                 hatten. Der Nachbau (Bild 1) zeigte, wie die Graseindrücke       Pflanzenfasern zur Verfügung standen, war der Wärme-
                 entstanden waren.                                                schutz im Wesentlichen eine Funktion des Baustoffes. Eine
                                                                                  Konstruktionsweise zur Erzielung einer Dämmwirkung ist
                                                                                  nur bei der „Energiesparwand“ nachgewiesen. Die Mängel
                                                                                  der damaligen Bauweisen überwogen: Geringe Beständig-
                                                                                  keit, Feuchte im Haus und starke Brandgefahren, statisch
                                                                                  geringe Belastbarkeit.

                                                                                  Schlechter Wärmeschutz im Fachwerkbau
                                                                                  Mit der wachsenden Bevölkerungszahl, den Städtegrün-
                                                                                  dungen ab 1100 (Hausbau, Heizung) und den stärkeren
                                                                                  wirtschaftlichen Tätigkeiten (Bergbau, Salinen, Glasgewin-
                                                                                  nung) wuchs die Holznot. Sie erzwang eine Holzsparbau-
                                                                                  weise mit schlechtem Wärmeschutz: Das Fachwerk. Eine
                                                                                  16 cm dicke Fachwerkwand mit Lehmgefachfüllung weist
                       Bild 1: Energiesparwand aus der Bronzezeit
                                                                                  einen U-Wert von nur 1,6 W/(m²K) auf. Die 12 cm dünne
                 * Dipl.-Ing. Werner Eicke-Hennig, Hessische Energiespar-Aktion   Wand besitzt einen U-Wert um nur 1,9 W/(m²K). Mit Feld-
                 Institut Wohnen und Umwelt GmbH                                  steinen oder den vor 1850 noch seltenen Ziegeln ausge-

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facht, kam man auf miserable Wärmeschutzwerte zwischen         eine Einhausung des Bettes, in dem man in Eigenwärme
3,2 und 2,5 W/(m²K). Wer konnte, erhöhte die Behaglich-        und -geruch schlief.
keit mit einer Innendämmung. Die hieß damals Holzpa-           Gegen die Kälte wurde mit der Feuerstelle im Haus ange-
neel, meist brusthoch, damit man etwas zum Schutz gegen        heizt. Wilhelm Busch zeichnete die damaligen Wohnverhält­
die Mäuse auf die „hohe Kante legen“ konnte. Für die De-       nisse mit seiner „Belagerung von Ofen“. (Bild 2) Das offene
cken reihte man zunächst Balken aneinander. Die Holznot        Feuer war über Jahrtausende die Wärmequelle im Haus.
erzwang einen Balkenabstand, der mit Strohlehmwickeln          Das offene Feuer wurde in den Bauernhäusern erst im 18.
als Brand-, Schall- und Wärmeschutz verfüllt wurde. Über       Jahrhundert abgeschafft, in vielen brannte es in der Ten-
Kellergewölben ergab Sand, später auch Schlacke einen          ne noch bis ins 20. Jahrhundert hinein. Der Schornstein
mäßigen Wärmeschutz. Fußböden wurden als nackter,              setzte sich erst im 19. Jahrhundert vollends durch, vorher
gestampfter Lehmboden, als aufgeständerter Dielenboden         entließ man den Rauch direkt ins Haus (Rauchhaus). Der
oder als Dielenböden mit Sand und Schlacke zwischen La-        Allesbrenner-Ofen kam im 18. Jahrhundert auf. Kenntnisse
gerhölzern ausgeführt. Deren U-Werte über 2,0 W/(m²K)          über Chemie und Physik des Feuers gab es keine.
sorgten für Fußkälte im Haus und waren eine Quelle für         Bis zur Industrialisierung 1850 gab es noch keine qualifi-
Unterleibserkrankungen.                                        zierten Dämmstoffe, stattdessen Holz, Heu, Stroh, Stroh-
                                                               lehm, Sand. Das erste Solarzeitalter nutzt das Holz und die
Erst die Holzbalkendecken mit den o. g. Füllungen ver-         Naturfaser extensiv als Bau- und Brennstoff für alle Anwen-
besserten den Wärmeschutz auf U-Werte um 1,0 W/                dungen. Schriftlich gefasste Vorschriften für den Wärme-
(m²K). In den „dunklen Jahrtausenden“ bis eintausend n.        schutz existieren nicht. Der Konstruktionsstoff war auch
Chr. lebten die Menschen hierzulande ohne Fenster. Das         gleich der Dämmstoff. Die Tabelle 1 zeigt die bis zum Ende
zugige Windauge, die Außentür und ein offenes Feuer in         des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Hilfsstoffe, die als
der Tenne waren die Lichtquellen. Fenster kamen erst im        Dämmstoff eingesetzt wurden. Unserer heutigen Definiti-
14./15. Jahrhundert systematischer auf und hatten dann als     on des Dämmstoffs entsprechen viele der Stoffe nicht. Zum
                                                               Einsatz kommen Stroh, Heu, Lehm, Bims, Sand, Holzwol-
                                                               le, Sägespäne, Holz, Seegras.

                                                               Leopold Sautter beschrieb vor 60 Jahren die Entwicklung:
                                                               „Der Mensch hat ursprünglich seine Behausungen geschaf-
                                                               fen, um sich vor den Unbilden der Witterung (und dane-
                                                               ben auch vor Feinden) zu schützen. Das Holz mit seinen
                                                               zahllosen winzigen Zellen war der von der Natur gegebene
                                                               Wärmedämmstoff, der das schnelle Abwandern der Wärme
                                                               des Herdfeuers aus den Blockhäusern verhinderte, der also
                                                               -wie der Mensch dies zunächst auffasste- das Eindringen
                                                               der Kälte verminderte. Als später in den Städten wegen der
                                                               vielen Feuersbrünste Steinhäuser immer mehr aufkamen
                                                               (auch weil mit dem Eindringen des italienischen Einflusses
Bild 2: „W. Busch, Die Belagerung von Ofen“                    in der Renaissance-Zeit der Steinbau als vornehmer angese-
                                                               hen wurde), beachtete man nicht, dass der Stein einen viel
Einscheibenverglasung einen Uw-Wert um 4,8 W/(m²K).            geringeren Wärmeschutz gewährt als das Holz. Dies fiel zu-
Behagliches Wohnen war bis zu Industrialisierung weder         nächst auch nicht sehr auf, weil die Wände der ersten Stein-
möglich noch ein Anspruch. Kälte im Haus wurde nach            häuser sehr dick gemacht wurden und damit vergleichs-
dem Motto ertragen: „Das ist eben so.“ Eine gewisse Behag-     weise zu den viel dünneren Holzwänden etwa denselben
lichkeit boten einzig solche Vorrichtungen wie der Lehn-       Wärmeschutz gewährten. Als man aber anfing sparsamer
stuhl mit hohem, wärmendem Rücken und der Alkoven,             zu bauen, dachte man viel mehr an die Standsicherheit der

 Stroh, Heu                                                                                0,047-0,06    W/(mK)
 Holz                                                                                      0,14          W/(mK)
 Pflanzliche Faserdämmstoffe, Seegras, Strohhäcksel                                        0,047         W/(mK)
 Sandschüttung in Decken                                                                   0,58-0,68     W/(mK)
 Strohlehm für Decken und Sparrenzwischenräume 800 kg/m³                                   0,70          W/(mK)
 Strohlehmwickel                                                                           0,47          W/(mK)
 Sägespäne-Holzspäne                                                                       0,07-0,093    W/(mK)
 Strohfaserplatten 140 kg/m³                                                               0,057         W/(mK)
 Schilfrohrplatten 200-300 kg/m³                                                           0,081-0,12    W/(mK)
 Seegras 55 kg/m³                                                                          0,045         W/(mK)
Tabelle 1: Wärmeleitfähigkeiten von historischen Materialien zur Wärmedämmung

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                 Gebäude als daran, dass die Steinwände auch einen aus-
                 reichenden Wärmeschutz gewähren müssen. Brennstoff
                 stand zunächst in genügender Menge zur Verfügung und
                 man wusste eben nicht, dass man viel weniger Brennstoff
                 brauchte, wenn die Wände des Hauses wärmedichter wä-
                 ren.“ [2] Wer keinen Begriff von Wärme hat, kann auch den
                 Stellenwert der Wärmeverluste durch die Bauteile seines
                 Hauses nicht begreifen. So ging mit der Holzverknappung
                 auch die Wärmebewahrung im Holzhaus verloren. Ein be-
                 sonderes „Wissen“ hatte in Bezug auf den Wärmeschutz
                 nicht existiert. Zudem wurden die Bauweisen der Bronze-
                 zeit durch die Völkerwanderung ausgelöscht.
                                                                                    Bild 3: Einsparung durch Rohrleitungsdäm-
                                                                                    mung, Berechnung von 1905 [3]
                 Industriealisierung - Motor der Dämm-                       „Isolier-Effektes“ (Bild 3) für die Wärmeanwendungen in
                 stoffentwicklung                                            der Industrie. Die alten Lösungen der vorindustriellen Ma-
                 Erst das Industriezeitalter brachte die Dämmstoffe. Die     nufakturen, Bündel und Zöpfe aus Stroh, Lehm, Sägemehl,
                 Dampfmaschinen und die vielfältigen industriellen Wär-      Tierhaaren, hielten den hohen Temperaturen der industri-
                 meanwendungen erzeugten einen Bedarf nach speziali-         ellen Dampfmaschinen nicht stand. Für den Einsatz in der
                 sierten Dämmstoffen, um die hohen Wärmeverluste der         Industrie wurden neue Dämmstoffe gebraucht, erfunden
                 Maschinen und damit die Produktionskosten zu senken.        und konfektioniert. Gleichzeitig entwickelte sich die Kühl-
                 Die Jagd nach besseren Wirkungsgraden begann. Im Vor-       kette und benötigte feuchteunempfindliche Dämmstoffe.
                 dergrund standen hitzeunempfindliche Dämmstoffe für         Es entstand eine Dämmstoffindustrie, die den sich öffnen-
                 die Rohrleitungs- und Kesseldämmung. Das thermodyna-        den industriellen Markt bediente. Die damaligen Dämm-
                 mische Fachwissen, das um die Erfindung der Dampfma-        stoffe waren:
                 schine entstand, stand nun auch für den Wärmeschutz zur
                 Verfügung. Die Verbesserung der Wirkungsgrade wurde         • Backkork und expandierter Kork, (1880)
                 Daueraufgabe, die rationelle Energienutzung „war Beglei-    • Kieselgur-Aufstrichmassen und Formteile (1880)
                 derscheinung der Industrie.“ Der „Wärmeingenieur“ war       • Schlackenwolle (1910)
                 Maschinenbauer und erlernte die Berechnung von Wär-         • Glaswatte (1931)
                 medurchgang, Wärmeübergangswiderständen, Energie-           • Steinwolle (1938)
                 einsparung durch Wärmeschutz. Seine Aufgabe löste er        • Asbestwolle (1939)
                 mit rationalen Rechenmethoden: Die Konstruktion wärme-      • Hartschäume (1938; 1950)
                 technischer Anlagen und die Bestimmung des optimalen

                                                                             Diatomit-Dämmung (Kieselgurformstücke) einer indust-
                                                                             riellen Dampfrohrleitung. Die Wärmeleitfähigkeit lag bei
                                                                             hohen Temperaturen bei 0,09 W/(mK). Kieselgur wurde
                                                                             und wird in Deutschland u. a. in Hessen abgebaut.

                                                                             Stopfdämmung aus Schlackenwolle an einem Indust-
                                                                             riekessel. Schlackenwolle war recht schwer und wurde
                                                                             deshalb nach 1945 am Markt gegen die Stein- und Glas-
                                                                             wolle ausgetauscht. Die Wärmeleitfähigkeit lag bei einem
                                                                             Raumgewicht von 200 kg/m³ bei 0,05 W/(mK).

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Kleine Geschichte der Dämmstoffe "Erster Teil"
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                                                                 Rohrleitungs- und Ventildämmung mit Asbestzöpfen.
                                                                 Asbest wurde in Deutschland schon in den sechziger Jah-
                                                                 ren als Dämmstoff nicht mehr eingesetzt, da Glas- und
                                                                 Steinwolle Gewichtsvorteile hatten. Die Gesundheitsdis-
                                                                 kussion kam erst später. Seine Wärmeleitfähigkeit lag je
                                                                 nach Raumgewicht zwischen 0,07 bis 0,16 W/(mK).

                                                                 Die Kälteanwendungen sind für die Entwicklung des
                                                                 Dämmstoffmarktes waren von großer Bedeutung, wie
                                                                 sie umgekehrt den Kühlhausbau erst möglich machten.
                                                                 Etwa ab 1880 begann mit Lindes Erfindung der Aufbau
                                                                 der Kühlkette weltweit. Als Problemlöser fungierte hier
                                                                 der Reform-Korkstein von Grünzweig+Hartmann, ein
                                                                 1898 erfundener mit Pech unter Hitze und Druck im
                                                                 Vakuum behandelter Kork, der 1906 zu expandiertem
                                                                 Kork mit geringerem Raumgewicht und leicht besserer
                                                                 Dämmwirkung weiterentwickelt wurde (EXPANSIT).
                                                                 Seine Wärmeleitfähigkeit lag bei 0,045 W/(mK). Die
                                                                 feuchteunempfindlichen Produkte entsprachen den Be-
                                                                 dürfnissen der Kälteindustrie, bis sie ab 1960 durch die
                                                                 Hartschäume ersetzt wurden. Aus den Bedürfnissen der
                                                                 Kälteindustrie entwickelte sich übrigens 80 Jahre später
                                                                 das Glaser-Verfahren zur Tauwasser­berechnung.

Bild 4: Dämmstoffe bei industriellen Wärme- und Kälteprozessen um 1930

1850: Massivbau verdrängt Holzbauweise                          us über 20-30 km für Baustoffe zu teuer war. Wettbewerbe
Mit dem Massivbau brachte die Industrialisierung ei-            der Behörden förderten aus Holzspargründen auch die
nen großen Umbruch in der Bauweise. Die Tradition der           Massivdecke. Bald ersetzten Hohlsteindecken den Holzbal-
Holz­bauweise verlor gegen die beständigeren, feuchteun-        ken. Letztendlich siegte die Betonplattendecke nach 1945.
empfindlichen, nichtbrennbaren, statisch hoch belastba-         Die weiche Bedachung verschwandt aus Brandschutz-
ren und billigeren Massivbaustoffe. Für den einsetzenden        gründen. Ihr guter Wärmeschutz um 0,2-0,3 W/(m²K) ver-
Massenwohnungsbau reichte das verfügbare Holz ohnehin           schlechterte sich durch die Ersatzstoffe Lehmwickel, Putz
nicht. Deutschland wurde nun in hoher Geschwindigkeit           auf Spalierlattung und dünne Putzträger-Dämmplatten um
innerhalb eines halben Jahrhunderts im doppelten Wort-          das Fünf- bis Zehnfache.
sinn massiv um- und ausgebaut. Dörfer und Städte wur-
den um ein mehrfaches ihrer Gemarkungsfläche erweitert.
Der Zimmermann verlor seine Stellung als „Architekt des         Wärmeschutz im Hochbau ohne Bedeutung
Mittelalters“ an den Baumeister und Architekten. Ab dem         Die Industrialisierung brachte die Massivbaustoffe. Sie setzte
frühen 19. Jahrhundert setzt sich die Wandbauweise aus          aber keine neuen wärmetechnischen Standards. Im Hoch-
Vollziegeln durch. Deutschland wurde seit 1850 Ziegel-          bau kamen Dämmstoffe kaum zum Einsatz. Die Bauord-
land. Seine Anwendung wurde so beherrschend, dass die           nungen der Fürstentümer und Städte und des Preußischen
38 cm starke Ziegelwand im Bauwesen als „Normalwand“            Staates schrieben den Wärmeschutz einer „38 cm normal-
bezeichnet wurde, abgeleitet vom Normalformat der Stei-         feuchten Ziegelwand“ als Maß für die Wände und auch
ne. Statisch war die 38 cm dicke Wand die Mindest-Anfor-        für alle anderen Außenbauteile, außer den Fenstern, vor.
derung und man übernahm sie für den Wärmeschutz als             Mit der etwa ab 1922 gebräuchlichen k-Wert-Berechnung,
Maßstab. Ab 1850 standen Ziegel durch Maschinenziege-           wurde dieser „natürliche Maßstab“ nicht verändert, son-
leien kostengünstig zur Verfügung, waren Eisenbahntrans-        dern nur numerisch als Wärmedurchlasswiderstand 0,55
porte möglich und bezahlbar, wo vormals ein Transportradi-      m² h °C/kcal ausgedrückt, was einem U-Wert von 1,56

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              W/(m²K) entspricht. Eine Statistik von 1938 zeigt den Zie-     bau im Leben eine einmalige Kraftanstrengung. Zukünftig
              gel mit 75 % aller in diesem Jahr vermauerten Wandbild-        auftretende Heizkosten wurden und werden bei Bauent-
              ner weit vorn. Andere Wandbaustoffe haben bis 1945 nur         scheidungen nicht einbezogen, wir leben im Augenblick.
              geringe Chancen. Die „dicken“ Ziegelwände sind etwas           So blieb der Apell von L. Sautter 1932 ungehört: „Noch wich-
              wärmer als die Fachwerkwand (U = 1,56 statt 1,9 W/(m²K)),
              regendichter und haltbarer. „Dicke Wände dämmen gut“
              sagt der Volksmund noch heute dazu und meint unbewusst
              den nur „relativen“ Vorteil gegenüber der Fachwerkwand.
              Noch 1936 beschrieb Erich Mindner die wenigen bekannten
              Dämmstoffe: „Als wärmeisolierende Bestandteile kommen
              hochporöse Stoffe zur Verwendung: Holzwollplatten, Torf-
              platten, Kokosfasermatten und als bester Stoff Kork und
              Expansitkork.“ [4] Zur gleichen Zeit widmete H. Balcke in
              „Die Wärmeschutztechnik“ nur 8 von 112 Seiten dem The-
              ma: „Der Wärmeschutz im Bauwesen“. Genannt werden
              Kork- und Torfplatten, Holzwolleleichtbauplatten und lose
              Füllstoffe. Darunter auch die Glaswolle, die zu dieser Zeit,
              auf Bitumenpapier gesteppt, als neuartige Matte vermark-
              tet wird. [5] Erich Raisch, Leiter des Forschungsheimes für
              Wärmeschutz, stellte zum Stand der Wärmeschutztechnik
              1927 fest: „Während jedoch im Laufe der folgenden Jahren
                                                                                      Bild 5: Entwicklung des Heizenergiever-
              (nach 1918 d. Verf.) die Anwendung der Wärmeschutzmittel                brauchs in Wohngebäuden 1900-1957
              in der Industrie immer weiter an Boden gewann und heute,
              kann man wohl sagen, allgemein die notwendige Beach-           tiger als für die Herstellung ist der Wärmeschutz für die Be-
              tung erlangt hat, ist im Bauwesen nach einem vielverspre-      wirtschaftung der Bauten. Es ist unwirtschaftlich, billig zu
              chenden Anfang und trotz tatkräftiger Unterstützung von        bauen und dann teuer zu wohnen. Wie bei einer Maschine
              einsichtigen Baufachleuten und Behörden das Verständnis        müssen auch bei einem Bauwerk von vorneherein nicht nur
              für den Wärmeschutz nicht im gleichen Maße gewachsen,          die Herstellungskosten, sondern auch die spätere Leistung
              wie es auf Grund der ihm zukommenden Bedeutung nötig           als grundlegend berücksichtigt werden. Der Wärmeschutz
              wäre.“ [6] Es scheint, als gelte dies noch heute.              beeinflusst die Bewirtschaftung durch den Brennstoffver-
                                                                             bauch und die Unterhaltungskosten des Hauses.“ [9]

                                                                             Die „Investoren“ sind technische Laien, weder Wärme-
              Hemmnisse für den Dämmstoffeinsatz im                          transportvorgänge, noch die Einschätzung der Höhe des
              Hochbau                                                        Heizenergieverbrauchs, noch die Ursachen von Unbehag-
              Anders als in der Industrie, wo als rationaler Handlungsan-    lichkeit sind bekannt und Kenntnisse über neue Techniken
              satz die Verbesserung der Wirkungsgrade zur Wärmedäm-          fehlen. Hygienemängel werden erduldet, weil es überall in
              mung der Kesselanlagen und Rohrleitungen drängte, fehlte       allen Häusern zu kalt, feucht oder im Sommer zu heiß ist.
              dieser Antrieb im Wohnungsbau. Statt baulichem Wärme-          Es fehlte auch an einschlägigen Fachleuten im Hochbau.
              schutz, waren hier eingeschränktes Heizen und niedrige         Das Thema „Energetischer Entwurf“ fehlte weitgehend im
              Raumtemperaturen die zum Einsatz kommenden Spar-               Berufsbild von Architekt, Bauingenieur, Baumeistern und
              maßnahmen. Bild 5 zeigt die Entwicklung des Heizener-          Bauträgern im Hochbau. Stattdessen stand und steht der
              gieverbrauchs von 1900 bis 1957. [7] In denselben Häusern,     künstlerische Entwurf im Vordergrund oder konzentriert
              die um 1970 rund 300 kWh/(m²*a) verbrauchten, wurden           sich das Interesse auf geringe Baukosten. Ein Problem der
              noch um 1900 nur 60 - 70 kWh/(m²*a) und um 1957 um             menschlichen Wahrnehmung tritt hinzu: „Der Feuchtig-
              180 kWh/(m²*a) Endenergie verbraucht. Heizen war im-           keitsschutz (...) wurde immer im Bauwesen stark beachtet,
              mer ein großer finanzieller Aufwand. Das eingeschränkte        weil ja das Eindringen der Feuchtigkeit sichtbare Schäden
              Heizen war früher Normalität des Wohnens. Noch Pèclet          hervorruft, während das Abfließen der Wärme unsichtbar
              hielt 15 °C Raumtemperatur für Wohnzimmer für „zweck-          vor sich geht.“ [10] Wärme und Wärmeverlust waren noch
              mäßig“. [8] Die Höhe des Heizenergieverbrauchs wurde als       unklare Begriffe. Der „Lehrer der Baukunst“, C. M. Hei-
              unabänderlich hingenommen, ebenso die Kälte im Haus.           gelin formulierte deshalb 1827 noch rein qualitativ: „Weit
              Diese Langmut hatte Ursachen: Bauten sind Infrastruktur        wärmer, als verblendete, mit Tapeten versehene und dabei
              und damit Aufwand, der sich überwiegend nie oder nicht         bloß ½ Fuß dicke Riegelwände, sind unverblendete, unta-
              in so schnellem Maße wieder erwirtschaftet, wie dies bei       pezierte, 1 Fuß dicke Backsteinwände… Weit mehr Wärme,
              Produktionsanlagen durch den Produktabsatz der Fall ist.       als selbst durch die schlechtesten Wände, entflieht durch
              An den Baukosten wird deshalb gespart, meist ist der Haus-     die Fenster.“ [11] Hier standen noch wichtige Erkenntnisse

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aus, bevor man „wärmer“ oder „kälter“, Art und Umfang            genauere Durchlässigkeitskoeffizienten „k“. Im Heizungs-
des Wärmebedarfs von Häusern, erklären und berechnen             bau schritt man nun schnell voran. Schon 1885 gab es das
konnte.                                                          erste Regelwerk für die Planung von Heizanlagen in öf-
                                                                 fentlichen Gebäuden durch den Preußischen Minister für
                                                                 öffentliche Arbeiten: „Anweisung wegen der Vorbereitung,
Der Heizungsbau schafft die Erkenntnisse                         Ausführung und Unterhaltung der Centralheizungs-Anla-
Die nötigen neuen Erkenntnisse entwickelte der Heizungs-         gen in fiskalischen Gebäuden“. Sie schrieb erstmalig eine
bau. Aus dem offenen Feuer im Haus war durch die In-             Berechnung der Gebäudewärmeverluste vor. Dieses Verfah-
dustrialisierung die Zentralheizung geworden. Deren ver-         ren von 1885 kam nach vielfältigen Verbesserungen 1929
mehrter Absatz rief nach Regeln für die Dimensionierung.         als erste DIN 4701 heraus. Die „Regeln für die Berechnung
J. Fourier hatte 1822 die theoretischen Grundlagen der Be-       des Wärmebedarfs von Gebäuden und für die Berechnung
rechnung des Wärmeaustausches gelegt. Diese wurden we-           der Kessel und Heizkörpergrößen von Heizungsanlagen“
nige Jahre später 1828 durch den französischen Physiker          hatten den V.D.C.I, Verband der Centralheizungsindustrie
J. C. E. Pèclet für den Heizungsbau vereinfacht. Er definierte   als Herausgeber. Dieser hatte in der Vorbereitung recht
erstmalig den k-Wert, den er „Durchlässigkeitskoeffizient“       fruchtbar mit dem 1918 gegründeten „Forschungsheim für
                                                                 Wärmeschutz“ in München zusammengearbeitet. Dessen
                                                                 ehemaliger Leiter Prof. E. Schmidt, besorgte die Zusam-
                                                                 menstellung der Norm, die eine umfangreiche Darstellung
                                                                 von k-Werten aller Bauteile enthielt. Die „Bauphysik“, wie
                                                                 wir sie heute nennen würden, ergänzte damals die Heiz-
                                                                 technik. Beide schufen Berechnungsregeln und Daten-
                                                                 grundlagen für die Bedürfnisse der Heizungsindustrie. Zu
                                                                 einem Entwurfsverfahren für den Hochbau wurde dies lei-
                                                                 der nicht weiterentwickelt.

   Bild 6: Peclès Schrift zur Feuerungskunde 1846

nannte, um die „Anlegung von Heerden, … Dampf- und
Warmwasser-Heizungen“ auf eine rechnerische Grundlage
zu stellen. Die „Pèclet-Formel“ Wärmemenge W = k * (ti - ta)
hatte große Ähnlichkeit mit Isaac Newtons 1701 niederge-
schriebenen Formel Quantum Q = A * k * (ti - ta), die auch
die sich abkühlende Fläche A integriert hatte. Schon um
1847 prägte Schinz in Deutschland den Begriff „Wärmever-
lust durch Transmission“. Ihm war bei einer Untersuchung
des Verbesserungspotenzials von Öfen aufgefallen dass
„... die Dicke und Leitfähigkeit der Wände des zu beheizen-
den Raumes einen unendlich viel größeren Einfluss auf die
aufgewendete Wärme habe, als die Oefen.“ [12] 1878 wur-          Bild 7: Auszug aus den k-Wert-Tabellen der DIN 4701 von 1929
                                                                 (Einheit: kcal/m² h°C)
de in der Zeitschrift „Der Rohrleger“ (später unbenannt in
„Der Gesundheitsingenieur“) ein Überblick über die Wär-
mebedarfsberechnungen der Zeit veröffentlicht. Der „Ver-         Für den Anfang des 20. Jahrhundert stellte Raisch den
ein für Gesundheitstechnik“, in dem die Heizungs- und            Stand der Wärmetechnischen Berechnungen wie folgt fest:
Lüftungsbauer organisiert waren, erörterte die noch offe-        „Die theoretische Physik hatte das ausgedehnte Gebiet der
nen Fragen 1880 und stellte Forschungsmittel bereit. Eine        Wärmeübertragung nur in einzelnen Zweigen eingehen-
„Kaiserliche Deutsche Trans- und Emissions-Kommission“           der bearbeitet und erforscht; Die Bedürfnisse der Technik
entstand. Doch nicht sie, sondern Hermann Rietschel, ein         waren dabei jedoch unbefriedigt geblieben, so dass letztere
überragender Professor für Heiz- und Lüftungstechnik,            um die Mitte des vergangenen 19. Jahrhunderts daran ging,
entwickelte die Lösung: Die Berechnung des Wärmedurch-           sich die nötigen Unterlagen selbst zu schaffen und die aus
gangs wurde durch die Übergangswiderstände ergänzt und           der Erfahrung gewonnen Erscheinungen in mehr oder we-
durch umfangreiche Messungen an Bauteilen entstanden             niger zutreffende Formeln zu kleiden. Die wissenschaftli-

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              che Behandlung der einzelnen Probleme trat dabei immer            zes im Wohn- und Industriebau“ vor. Mit dieser Publikation
              mehr in den Hintergrund, die rein empirische Erforschung          existierte nun u. a. eine umfassende und belastbare Darstel-
              der äußerlich zwar einfachen, in Wirklichkeit jedoch recht        lung der Rechenwerte der Wärmeleitfähigkeit. Den Feuchte-
              verwickelten Vorgänge bei der Wärmeübertragung, die in            einfluss hatte er umfangreich abgehandelt. Die Diskussion
              ihrer Gesamtheit nicht übersehen werden konnten, zeitig-          war damit um 1938 weitgehend abgeschlossen. Bild 8 zeigt
              te mancherlei Fehlergebnisse und verursachte schließlich          die damalige grobe Einteilung verschiedener Baustoffe hin-
              zu Beginn dieses Jahrhunderts einen Zustand, der äußerst          sichtlich ihrer Wärmeleitfähigkeit. Die Definitionsgrenze für
              unbefriedigend und für ein ersprießliches Weiterarbeiten in       Wärmedämmstoffe liegt heute bei ≤ 0,1 W/(mK).
              den einschlägigen technischen Gebieten hinderlich war.“ [13]
              Hinzu trat das Bedürfnis, die nach dem 1. Weltkrieg ent-
              standenen neuen Baustoffe und schlankeren Konstruktio-
              nen zu beurteilen (Ersatzbauweisen).

              Für den Hochbau wurden vor allem durch die Professoren
              Knoblauch, K. Gröber, Hencky, E. Raisch, E. Schmidt und J.
              S. Cammerer ab 1919 die heute noch gebräuchlichen Rechen-
              regeln erstellt und die Rechenwerte für die Wärmeleitfähig-
              keit durch Messung und Diskussion der Feuchtezuschläge
              geschaffen. Messinstrumente wie das Plattenverfahren zur
              Messung der Wärmeleitfähigkeitswerte wurden entwickelt
              und diskutiert. 1921 publizierte K. Gröber erstmalig die
              „Grundgesetze der Wärmeleitung und des Wärmeübergan-
              ges“. Zusammen mit Karl Hencky`s zeitgleich vorgelegten
              Buch „Die Wärmeverluste durch ebene Wände“ lagen nun
                                                                                Bild 8: Wärmeleitzahlen von Stoffgruppen (nach Cammerer 1936)
              exakte Berechnungsregeln für den Wärmeverlust vor. Was
              noch fehlt waren ebenso exakte Rechenwerte der Wärmeleit-
              fähigkeit der Baustoffe. Unklar war damals der Einfluss der       Ende der zwanziger Jahre verfügte man über das Instrumen-
              Feuchtigkeit. Die publizierten Wärmeleitfähigkeitswerte ein-      tarium, um Wärmeverluste im Hochbau rechnerisch abbil-
              zelner Autoren streuten zu stark und waren überwiegend zu         den zu können. Die Qualitätsprüfung der Hochbaukonst-
              günstig, da die Baustoffproben zu trocken waren oder durch        ruktionen war nun möglich. Gefühlsmäßige Einschätzung
              das Messverfahren austrockneten. Auch stellte man die Wär-        wurden durch numerisch exakte Methoden abgelöst. Eine
              meleitfähigkeiten für Wandbildner noch ohne den Einfluss          Arbeitshilfe der damaligen Zeit war 1936 der „Rechenstab
              der Fugen dar, da konnte ein Bimsstein schon einmal die           für Wärme- und Kälteschutz“. Er zeigte immerhin k-Werte
              Wärmeleitfähigkeit 0,15 W/(mK) zugeordnet bekommen, wo            herunter bis 0,58 W/(m²K) an und wurde mit einem weitbli-
              ihm als Mauerwerk 0,52 W/(mK) gebührten. J. S. Cam­merer,         ckendem Text beworben: „Im Kampf gegen die Rohstoffver-
              ehemaliger Mitarbeiter des Forschungsheims, legte 1936 sein       schwendung und den Verderb fällt dem Wärmeschutz im
              Buch „Konstruktive Grundlagen des Wärme- und Kälteschut-          Bauwesen eine sehr wichtige Rolle zu. Wir können durch

              Bild 9: Sonderrechenstab für die „Wärmedurchgangszahl“ von 1936

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Kleine Geschichte der Dämmstoffe "Erster Teil"
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wärmedämmende Bauweisen den Brennstoffverbauch sehr                    Medizinische Topografien entstanden aus Gesundheitsbe-
erheblich (durchschnittlich um 30 v. H.) einschränken. Da              richten der Amtsärzte, systematische Hygienemaßnahmen
unsere Wohnhäuser die weitverbreitetsten Wärmeerzeu-                   wie die Wasser- und Abwasserversorgung, Pockenimp-
gungs- und -verbrauchsanlagen Deutschlands sind, können                fung, eine Gesundheitspolizei wurden eingeführt. In der
also hier bedeutende Brennstoffmengen eingespart wer-                  Forschung sind hier unter vielen die Professoren Max v.
den. Deshalb muss der Architekt von vorn herein den Wär-               Pettenkofer, Louis Pasteur, Rudolf Virchow, Robert Koch,
meschutz der Häuser bestimmen. Der neue Rechenstab                     A. Korff-Petersen und C. Flügge zu nennen.
erleichtert diese Arbeit.“ [14]
                                                                       Aus der Erforschung von Wohnverhältnissen und Krank-
Ganz so einfach war es dann doch nicht. Wärmeverluste                  heit entstand ein Zweig der Hygiene, der sich mit der
berechnen zu können führte nicht automatisch auch zu ei-               Wohngesundheit auseinandersetzte. Hieraus entwickelte
nem guten Wärmeschutz der Häuser. Das Einsparpotenzial                 sich u. a. der Heizungsbau als Teil einer besseren Wohnhy-
von 30 % blieb unausgeschöpft. Schon 15 Jahre vorher hat-              giene. Die Verdrängung unzureichender Feuerungen und
te Prof. Hencky die gleiche Forderung ebenso ergebnislos               ihr Ersatz durch Zentralheizung mit gleichmäßiger Erwär-
erhoben: „Die Sparsamkeit beim Brennstoffverbauch im                   mung der Gebäude wurde ein Strang der Hygienediskussi-
Bauwesen steht und fällt daher mit der Erzielung eines nie-            on in Deutschland. Dr. Abel beschrieb 1927 die Entwicklung
deren Wärmebedarfs durch die bauliche Ausgestaltung und                der Gesundheitstechnik zwischen 1870 und 1920 so: „Das
durch richtige konstruktive Wahl der Umfassungswände in                Zusammentreffen einer Reihe von Umständen wirkte in
wärmetechnischer Hinsicht. (..) Bedenkt man nun, dass                  glücklicher Weise von den siebziger Jahren des vorigen Jahr-
das Wohngebäude die verbreiteteste Wärmerzeugungs-                     hunderts ab auf eine stärkere Beschäftigung mit der wis-
und Wärmeverwertungsanlage darstellt, so muss es vom                   senschaftlichen und praktischen Hygiene hin. In München
Standpunkt der Brennstoffwirtschaft aus oberstes Gesetz                erhielt Pettenkofer 1879 als erster Hygieniker ein eigenes
im Bauwesen werden, im weitgehendstem Maße für die                     Forschungs- und Unterrichtsinstitut, das zunächst in der
Herabminderung des Brennstoffverbrauches Sorge zu tra-                 Öffentlichkeit allerdings etwas skeptisch als „Hypothesen-
gen. Die große Bedeutung dieser Aufgabe geht auch klar                 palast“ bezeichnet wurde. Bald folgten gleiche Institute an
aus der Tatsache hervor, dass z. B. in Bayern rund 40 % der            anderen Universitäten, Leipzig, Göttingen, 1885 auch Ber-
gesamten verheizten Brennstoffmenge für Hausbrandzwe-                  lin. Die Hygiene wurde Unterrichts- und Prüfungsfach für
cke Verwendung findet. Neben den Grundsätzen der künst-                die Medizinstudierenden, und die Ärzteschaft begann sich
lerischen Gestaltung, der Festigkeit und der Hygiene sind              in ihrer Gesamtheit immer mehr mit diesem neuen Gebie-
daher in v o l l e r G l e i c h w e r t i g k e i t die Forderungen   te ihrer Wissenschaft zu beschäftigen, besonders seitdem
der Brennstoff- und Wärmewirtschaft zu verwirklichen.                  mit der Berufung von Robert Koch 1880 in das 1876 gegrün-
Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle bleiben, dass die Ein-           dete Reichsgesundheitsamt die Bakteriologie aufblühte und
sparung an Brennstoff weit vordringlicher und für unseren              mit ihren Entdeckungen der Erreger wichtiger Infektions-
industriellen Wiederaufbau wichtiger ist als die Einsparung            krankheiten ganz neue Gebiete dem hygienischen Han-
an Baukosten.“ [15]                                                    deln erschloss. In ähnlicher Weise bot der in dieser Zeit
                                                                       kräftig geförderte Ausbau der technischen Hochschulen
Das zeigt, dass nun Berechnungsregeln für Bauteile entwi-              dem angehenden Ingenieur Gelegenheit, sich auch in ge-
ckelt waren, keineswegs aber ein neues Anforderungsni-                 sundheitstechnischen Fragen eine vertiefte Ausbildung zu
veau für den energetischen Standard der Häuser. Die Phy-               verschaffen; Es sei nur erinnert an das 1885 von Rietschel in
siker hatten sich auf die „Regeln“ konzentriert. Eine neue             Charlottenburg errichtete Laboratorium zur Untersuchung
Bauqualität einzufordern war nicht ihre Sache. Das sollte              von Heiz- und Lüftungseinrichtungen….“ [16]
noch weitere 70 Jahre so bleiben. Auch das Niedrigenergie-,
das Passiv- und das Sonnenhaus wurden - außerhalb der                  Ein Situationsbericht Rudolf Virchows zeigte die verände-
offiziellen Bauphysik an den Hochschulen - als Standard                rungswürdigen Verhältnisse auf dem Lande im Jahr 1850:
entwickelt, erkämpft und beworben.                                     „Wohin man kommt, sieht man im Spessart relativ kleine
                                                                       Häuser, die über einem meist ganz überirdischen Keller ein
                                                                       einziges Wohnzimmer mit engem Kämmerlein und eine
Gesundes Wohnen - Hygienedebatte                                       kleine Küche enthalten…Unter demselben Dache ist häufig
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelt sich die Ge-              auch der Viehstall und die Scheune…. Allein auch hier fehlt
sundheitspflege zu einem öffentlichen Anliegen. Die Ge-                noch der Schornstein, und der Rauch strömt von der Küche
sundheitsvorstellung und -vorsorge war nicht mehr, wie                 gewöhnlich durch den Vorplatz und durch die in der Mit-
noch im Mittelalter, nur auf das Individuum beschränkt.                te quer geteilte Tür zum Hause heraus, indem er natürlich
Die sich entwickelnde Wissenschaft hatte neue Erkenntnis-              alle inneren Räume mit durchdringt.“ [17] Für das städtische
se zur Hygiene erzeugt und der Staat suchte Wege gegen                 Weimar heißt es um 1800 nicht günstiger: „Die Wohnkul-
die Seuchen wie die Cholera, die durch die Bevölkerungs-               tur in den kleinen, oft nur ein- oder zweistöckigen Wei-
konzentration in den großen Städten entstanden waren.                  marer Bürgerhäusern, bei denen nur das Erdgeschoß aus

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              Stein gemauert, das Obergeschoß in Fachwerk ausgeführt           Krankheit. Bücher zum Thema Wohnhygiene zeigten die
              war, hatte ein relativ niedriges Niveau. Die oft sehr engen,     Alternativen. Sie tragen Titel wie „Das Buch von der gesun-
              winkligen und dunklen Räume waren nur zum Teil beheiz-           den und praktischen Wohnung“ (1891) oder „Kleinhaus und
              bar…“ Und an anderer Stelle: „Von der Bauart der Mehr-           Mietskaserne - Eine Untersuchung der Bebauung vom wirt-
              zahl dieser Häuser kann sich selbst eine lebhafte Phantasie      schaftlichen und hygienischen Standpunkte“ (1905), „Das
              kaum eine Vorstellung machen. Ich fand neulich ein paar          Wohnhaus und seine Hygiene“ (1909) oder „Das gesunde
              Straßen, wo alte Häuser niedergerissen waren, die Brand-         Wohnhaus“ (1902) und 1926 „Die Gesundheitstechnik im
              mauern derselben bloßgelegt. Sie sahen aus, als hätten Bi-       Hausbau“. Besonderen Wert legten diese Veröffentlichun-
              ber sie gebaut. Steine, Holzlatten, gurtenartiges Flechtwerk     gen auf eine ausreichende Beheizung und Belüftung sowie
              mit Lehm bekleidet, bildeten abwechselnd, in verschieden         Wasser- und Abwasserhygiene. Die damals neuen techni-
              Fächern, ein wüstes Gemenge. Es soll vorgekommen sein,           schen Systeme, Zentralheizung, WC, Badeinrichtungen,
              dass aus dem Lehm solcher Mauern die Körner der Stroh-           Lüftungsanlagen, wurden vorgestellt. Der Wärmeschutz
              spreu, mit welcher die Lehmmasse gemischt wird, als Ge-          konnte noch nicht quantifiziert werden. Trockene Bauten
              treidehalme lustig durch die Tapeten der Zimmer gewach-          waren das Ziel und dafür sah man den Massivbau mit di-
              sen sind.“ [18] Und ein Situationsbericht über die schweren      cken Wänden als wichtig an: „Die Folgen des Bewohnens
              Mängel im Wohnungswesen für Berlin um 1880 schließt              nasser Räume sind so bekannt, dass eine feuchte Wohnung
              so: „Lagen die gesundheitlichen Verhältnisse schon in der        im Volksmunde gleichbedeutend ist mit einer ungesunden
              Reichshauptstadt derart, so kann man sich leicht vorstellen,     Wohnung. (…) Die Baumaterialien sind von hygienischem
              wie sie sonst, namentlich auch in kleineren Städten und auf      Interesse insofern, als Temperatur und Grad der Trocken-
              dem Lande zu jener Zeit waren. Einen Anhalt allgemeiner          heit des Hausinnern in gewissem Grade von ihrer Beschaf-
              Art gibt schon die Sterblichkeitsstatistik, die 1878 im Reiche   fenheit abhängt. (…) Bei der Wahl des Hausmaterials wird
              noch 26,2 auf 1000 Lebende betrug; 1926 war sie bis auf 11,7     das Wärmeleitungsvermögen in erster Linie berücksichtigt
              hinabgegangen.“ [19]                                             werden müssen. (…) Genügende Dicke der Mauern wird
                                                                               schon bedingt durch die Bausicherheit, ist aber auch von
              Die Hygieniker Prof. Flügge und Prof. Korff-Petersen zeig-       günstigem Einfluss auf die Wärmeökonomie des Hauses.
              ten in den zwanziger und drei­ßiger Jahren des 20. Jahr-         Übertriebene Sparsamkeit in den Mauerstärken rächt sich
              hunderts große, auf mangelnden sommerlichen wie win-             durch großen Kohlenverbrauch.“[21] Hier wurde bereits die
              terlichen Wärmeschutz be­ruhende, Gesundheitspro­ble­me          Verbindung zwischen energiesparsamen und wohngesun-
              in Mietskasernen und „Kleinhäusern“. Schimmelschäden             den Bauten gesehen.
              wurden ab 1920 sehr intensiv in der Bauforschung darge-
              stellt, die Ursachen und Abhilfemaßnahmen diskutiert.            Auf den Punkt brachte dies 1932 Leopold Sautter der in der
              Um 1920 wurde erhöhte Sommer-Säuglingssterb­lichkeit             Weimarer Zeit als eine Art sprachlicher Vermittler zwischen
              mit Über­hitzungen in den ungedämmten Dachwohnungen              Hygieneforschung und technischer Physik fungierte. Er
              verbunden und Unterleibserkrankungen mit ungedämm­               hob bereits in seiner Kapitelüberschrift die „Bedeutung des
              ten EG-Dielenböden. Im „Rauchhaus“ waren rheumatische            Wärmeschutzes für die Gesundheit der Bewohner“ hervor:
              Er­krankungen durch die mangelnde Beheizbar­keit eine ste-       „Die Wärmedichtheit der Bauten beeinflusst die Gesund-
              te Geißel.                                                       heit der Bewohner sehr. Häufig hat man in der Nähe von
              Die Gebäu­de­aus­stat­tung damals: Ungedämmte Bauteile           Außenwänden ein Kältegefühl, das meist für Zug gehalten
              mit U-Werten über 1,0 W/(m²K), undich­te, ein­­schei­ben­        wird. Dieser „Zug“ ist aber nicht auf undichte Fenster und
              ver­glaste Fenster, Ofenhei­zung. Vor 70 Jahren las sich         Türen zurückzuführen, sondern auf die sehr wärmeleiten-
              das so: In sol­chen Woh­nun­gen wird es (...) zu ei­ner star­    de Außenwand. Diese entzieht nicht nur der Raumluft, son-
              ken Aus­kältung des Fußbo­dens und der unteren Wand­             dern auch dem in der Nähe befindlichen (Wärme ausstrah-
              teile kommen; und an die­sen Stellen, eben­so an den dort        lenden) Körper die Wärme. Die Wärmeabgabe des Körpers
              befindli­chen Mö­beln, Bet­ten usw. muss sich fort­gesetzt       ist dabei um 8 - 10 v. H. höher, als in Räumen mit wärme-
              Was­ser­dampf aus der für hö­he­re Tem­pera­turgra­de gesät­     dichten Außenwänden (mit Wärmedämmschicht auf der
              tig­ten Luft nie­der­schlagen. Allmählich ent­steht auf diese    Innenseite). Solche meist einseitigen Abkühlungen führen
              Weise eine Durch­feuchtung der kälte­sten Wand und der           auf die Dauer zu Erkältungskrankheiten (Rheumatismus).
              in ihrer Nähe be­findlichen Ge­brauchs­gegen­stände; Von         ...Ähnliche Schäden werden durch kalte Erdgeschoß- und
              den Möbeln lösen sich Fourniere ab, die Betten nehmen            Küchenfußböden hervorgerufen (...). Häufige Schwitzwas-
              ei­nen muffigen Ge­ruch an, Stiefel und Tapeten zeigen           serbildungen können ebenfalls die Gesundheit der Bewoh-
              Schimmelbil­dung - kurz es bilden sich die Charaktere der        ner schädigen (...). Auch im Sommer treten Schäden durch
              „feuch­ten Woh­nung“ aus. [20] Dieser Diskussionsstrang          ungenügend wärmedichte Bauweisen auf, besonders in
              wurde durch Wohnungs-Enquetes begleitet, die Mosse/Tu-           Dachgeschoßwohnungen. Durch die Sonnenbestrahlung
              genreich in ihrem umfänglichen Buch „Krankheit und so-           werden diese bei fehlendem Wärmeschutz stark überhitzt.
              ziale Lage“ zusammengefassten wurden. Sie belegten den           Das ist für Erwachsene unerträglich, für Kleinkinder und
              Zusammenhang von kalten, zugigen, feuchten Bauten und            Säuglinge oft tödlich.“ [22]

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Kleine Geschichte der Dämmstoffe "Erster Teil"
| Titelthema

Aus diesen Erkenntnissen, dass „wärmedichtere“ Bauten            derseitig verputzten Ziegelmauer“, heißt es dort, wie schon
Kohle beim Bau und der Beheizung sparen, wirtschaftlich          70 Jahre vorher in den fürstlichen Bauordnungen. Dies
sind, die Ökonomie entlasten und auch gesünder sind, er-         entspreche am Besten den Forderungen der Wärmedäm-
arbeitete Sautter schon in den dreißiger Jahren einen Vor-       mung und Wärmespeicherung. Letztere wendet man in den
schlag für eine DIN „Wärmeschutz im Hochbau“. [23] Er            „Richtlinien“ gegen eine, über die 38 cm starke Ziegelwand
setzte sich jedoch damit nicht durch. Die DIN 4108 soll erst     hinausgehende Wärmedämmung, mit Bezug auf den Hy-
1952 Wirklichkeit werden.                                        gieniker Korff-Petersen. [27] Der hatte jedoch das genaue
                                                                 Gegenteil gezeigt. Seine Untersuchung an 5 baugleichen
                                                                 Häusern mit unterschiedlichen Außenwänden belegten:
Massivbau prägt die Wärmeschutzanfor-                            Das thermisch ausgeglichenste Klima wurde in einem ge-
derungen                                                         dämmten Vergleichsgebäude erzielt, das im Thermosbau-
Ein baulicher Fortschritt war mit den realitätsnäheren Re-       Verfahren errichtet wurde. Bei einem Wand-k-Wert von 0,35
chenregeln und Baustoffwerten nicht verbunden. Das neu           W/(m²K) erzielte das Gebäude nicht nur den geringsten
geschaffene Wissen um die Wärmeverluste führte nicht zu          Heizenergieverbrauch unter allen 5 Häusern. Die Abküh-
besseren Konstruktionen, wie in der Industrie. Es galt nach      lung nach Abstellung der Heizung vollzog sich sollte gar
wie vor, was 1899 im „Deutschen Baukalender“ unter der           nicht gelingen. Während das stark wärmspeichernde „Ze-
Überschrift „Umfassungsmauern“ so formuliert wurde:              menthaus“ (Beton) bei einem Wand-k-Wert von 1,3 W/(m²K)
„Um die Kälte abzuhalten, nimmt man bei Wohngebäuden             innerhalb 1-2 Stunden von 17 auf 15 °C auskühlte, wurde
gewöhnl. 1 1/2 Stein, für Bruchsteinmauerwerk min. 42            diese Raumtemperatur bei der Dämmbauweise im Abküh-
cm.“ [24] Die „Normalwand“ ist also 38 cm stark, als letzter     lungsversuch nicht erreicht. [28] Ähnliches wurde übrigens
Stock im Geschosswohnungsbau kann sie auch 25 cm dünn            nach 1990 in den ersten Niedrigenergiehäusern gemessen,
oder in Fachwerk ausgeführt werden. Bei Kleinhäusern bis         deren nächtliche Absenktemperaturen der Innenluft nur 1-2
2 Stockwerken können die Außenwände, in der klimatisch           K betrugen. So wurde schon 1921 die nicht richtig verstande-
bevorteilten Küstenregion (Wärmedämmgebiet I), eben-             ne Wärmespeicherung zu falschen Empfehlungen benutzt
falls 25 cm dünn ausgeführt werden. Der Wärmeschutz der          - von staatlichen Stellen. Die Wärmespeicherung wird noch
38 cm dicken Ziegelwand gilt in der Qualität auch für alle       heute von interessierten Kreisen als „Argument“ gegen die
anderen Bauteile (außer den Fenstern). „Bildet die Decke         Wärmedämmung geführt. Wie man sieht, hat dies trübe
von Wohnräumen ganz oder zum Teil zugleich das Dach,             geistige Wurzeln.
so ist sie so auszubilden, dass sie mindestens den gleichen      Den Schwerpunkt der „Kohlensparkampagne“ legte man
Schutz gegen Witterungseinflüsse bietet wie eine 38 cm           1921 auf das Nutzerverhalten. „Heize wirtschaftlich“, „Wär-
starke Normalziegelsteinwand mit inneren Wandverputz             mewirtschaft in der Küche“ usw. waren die ewigen The-
(…) Eine Ausstakung der Balken- und Sparrenfelder bei De-        men, die das Verhalten der Verbraucher ändern sollten.
cken mit Strohlehm, darüber die Dachhaut und darunter            Auch die 1934 in Kraft tretende DIN 4110, „Technische Be-
die Schalung und Rohrputz ist als ausreichend anzusehen.“        stimmungen zur Zulassung neuer Bauweisen“ ging über
[25] Auch das Fachwerkhaus wurde nicht angetastet: „Ins-         den Wärmeschutz einer 38 cm dicken Vollziegelwand nicht
besondere soll in Gegenden, in denen mehrgeschossiger            hinaus, den neue Bauweisen einzuhalten hatten. Schluss-
Fachwerkbau bodenständig ist, dieser für Einfamilienhäu-         endlich zeigte der Holzbau, wie stark der Maßstab der 38
ser, Kleinhäuser und Mittelhäuser -wenn nötig mit der orts-      cm starken Vollziegelwand die Gesellschaft durchdrungen
üblichen Bekleidung als Wetterschutz- … zugelassen wer-          hat. In den eignen „Gütevorschriften für den Holzbau“ des
den.“ Fachwerk war auch für Nebenbauten zulässig, ohne           deutschen Zimmererhandwerkes hieß es 1928: „3. Wärme-
dass besondere Anforderungen an den Wärmeschutz der              haltung. Die Außenwände eines Holzhauses sollen densel-
Ausfachung gestellt wurden. [26]                                 ben Wärmeschutz bieten, wie eine eineinhalb Stein starke,
                                                                 beiderseitig verputzte Ziegelvollwand.“ [29]

Energiesparen in der Kohlenkrise 1918
Die erste staatliche Richtlinie zum Wärmebedarf von Ge-          Die gleichwertige Vollziegelstärke
bäuden entstand durch die Kohlennot nach dem 1. Welt-            Die Bauphysik der damaligen Zeit entzog sich nicht dem
krieg. Reparationszahlungen und der Verlust der oberschle-       Druck der nun erst 60 Jahre alten Tradition der Ziegel-
sischen Zechen forderten einen sparsameren Umgang                bauweise. Man ging über die „Normalwand“ nicht hinaus,
mit der Kohle, die im Deutschen Reich einen Anteil von           obwohl man die besseren Techniken und ihre Wirtschaft-
90 % an allen Energieträgern hatte. Mit den „Richtlinien         lichkeit kannte. In den dreißiger Jahren war der Bewer-
zur Förderung der Wärmewirtschaft beim Wohnungsbau“              tungsmaßstab für die wärmetechnische Qualität von Bau-
reagierte das Preußische Ministerium für Volkswohlfahrt          teilen noch nicht festgelegt. In der Praxis befanden sich
1921 auf die Kohlennot. Im Inhalt blieb aber leider alles wie    der k-Wert, die Wärmeleitfähigkeit und die „gleichwertige
gehabt: „Die Wärmedurchlässigkeit der Außenwände darf            Vollziegelstärke“. Mit letzterer legte J. S. Cammerer ein Mo-
auf keinen Fall größer sein, als die einer 38 cm starken, bei-   dell vor, mit dem alle baulichen Konstruktionen auf die wär-

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Titelthema         |

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                                                                                         Firma Torfoleum. Die Kohlenkrise nach dem 1. Weltkrieg
                                                                                         führte zu einer ersten Energiespar-Informationskampagne.
                                                                                         In Bayern wurde eine Landeskohlenstelle eingerichtet. Ihre
                                                                                         „Ausstellung Wärmewirtschaft“ zeigte 1921 in München
                                                                                         viele Wandkonstruktionen, die der 38 cm starken Vollzie-
                                                                                         gelwand wärmetechnisch überlegen waren. Die beste Kon-
                                                                                         struktion aus 12 cm starkem Fachwerk mit Torfmullfüllung
                                                                                         und 3 cm starker innerer Gipsdielenbekleidung wies nur 36
                                                                                         % der Verluste der „1 ½-steinigen Normalwand“ auf. Dies
                                                                                         widersprach den zeitgleich verabschiedeten „Wärmewirt-
                                                                                         schaftlichen Richtlinien“ des Preußischen Staates.
                                                                                         Die Ausstellung wurde durch eine von den Professoren
                                                                                         Knoblauch, Schachner und Dr. Hencky erarbeitete Bro-
                                                                                         schüre begleitet. [31] In ihr wurde ein Wohnhaus auf seine
                                                                                         Energiesparmöglichkeiten durchgerechnet. Allerdings vari-
                                                                                         iert die Rechnung nur die Kompaktheit (EFH, ZFH, Rei-
                                                                                         henhaus) und die Anzahl und Lage der beheizten Zimmer,
                                                                                         nicht den Wärmeschutz. Das Einsparmaximum beträgt für
                                                                                         diese Maßnahmen 38 %. Bei den Außenwänden des Mo-
                                                                                         dellhauses hielt man sich wieder an die 38 cm starke Voll-
                                                                                         ziegelwand. Die „technische Physik“ formulierte also nicht

                      Bild 10: Beispiel der gleichwertigen Vollziegelstärke am Haus am
                      Horn in Weimar

                      metechnische Qualität der 38 cm starken Vollziegelwand
                      umgerechnet und bewertet wurden. Er begründet dies
                      mit „psychologischen Gesichtspunkten“: „Die gleichwer-
                      tige Vollziegelstärke ist heute jedem Architekten, der sich
                      nicht allein auf rein künstlerische Tätigkeiten beschränkt,
                      geläufig, während er nur selten eine genaue Vorstellung
                      von der Begriffsbestimmung der Wärmeleitzahl hat.“ [30]            Bild 12: Darstellung von Wärmeverlusten durch Schraffuren im
                      Dieser Maßstab trug viel zur Dominanz der Ziegelbauweise           Grundriss 1921
                      mit ihrem mäßigem Wärmeschutz bei. Er befand sich jahr-
                      zehntelang in allen Anzeigen und Werbemaßnahmen der

                                                                                         Bild 13: Energiesparmöglichkeiten durch kompaktes Bauen 1921

                                                                                         klar, wohin die Reise gehen sollte. Dies klärte die Geschich-
                                                                                         te. Der deutsche Hochbau blieb bis nach dem II. Weltkrieg
                                                                                         bei der 38 cm starken Vollziegelwand. Noch die Werbekam-
                                                                                         pagne „Kohlenklau“ der Nationalsozialisten transportierte
                                                                                         die Inhalte des verhaltensorientierten Sparens, wie zum
                                                                                         Beispiel das Zusammenlegen beheizter Räume im Mehr-
                                                                                         familienhaus, das in der Broschüre von 1921 erstmalig be-
Bild 11: Energiespar - Ausstellung 1921 mit Teil „Die warme Wand“                        rechnet wurde. Interessant geblieben ist die Darstellungsart

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der Verluste. Sie wurden durch die unterschiedliche Länge          Geringer Dämmstoffabsatz
dichter Schraffuren im Grundriss verdeutlicht.                     Eine Dämmstoff-Mengenstatistik gibt es für diese Zeit
Zwischen Industrialisierung bis zum Ende des II. Welt-             nicht. Im Jahr 1938 lag der Dämmstoffabsatz des Marktfüh-
krieges gab es, trotz aller Debattenbeiträge, keine wirksa-        rers, der Holzwolleleichtbauplatte, bei knapp 1 Mio. m³. Das
men Impulse für eine Verbesserung des Wärmeschutzes                sind 3 % der heutigen Mengen von ca. 30 Mio. m³. Zusam-
im Hochbau. Der Hochbau war durch einen geringen                   men mit den übrigen Dämmstoffen mit kleineren Markt-
Wärmeschutz mit Bauteil-U-Werten zwischen 1,0 und 1,6              anteilen werden 1,5 bis 2 Mio. m³ Dämmstoffe pro Jahr her-
W/(m²K) geprägt. Die U-Werte für Fenster liegen noch               gestellt worden sein. Die Firma Heraklith stellte selber fest:
schlechter zwischen 2,3 und 4,8 W/(m²K). In der Weima-             „Die Einführung des neuen Baustoffes in der Fachwelt war
rer Zeit begann mit dem „Neuen Bauen“ eine Zeit des                keine leichte Arbeit.“ [33] Die Bewerbung der Dämmstoffe
Experimentierens mit neuen Baustoffen und Formen. Die              geschah ausschließlich durch die einzelnen Dämmstoff-
Betonbauweise dringt in den Hochbau vor, das Flachdach             produzenten selbst. Weder Staat noch Wissenschaft halfen.
wurde entwickelt. Viele Kunststeine wie Schlackensteine,           Verbände der Dämmstoffwirtschaft, gab es noch nicht. So
Kunstbims, Zellenbeton (Porenbeton), Gitterziegel und              bleibt Dr. E. Raisch`s Hoffnung unerfüllt, wenn er schon
Langlochziegel kamen auf den Markt. Große Steinformate             1927 formulierte: „Die zahlenmäßige Veranschaulichung
wurden ausprobiert und setzten sich (noch) nicht durch.            der durch einen guten Wärmeschutz zu erzielenden Erspar-
Leichtbeton- und Schwerbetonwandschalen wurden kom-                nisse, war zu überzeugend, so dass man doch allenthalben
biniert, Hohlsteindecken entwickelt.                               begreifen musste, dass unsere Kohle und die dafür aufzu-
Die neuen Wandbaustoffe orientierten sich jedoch wie-              wendenden Kosten nicht zu einer unsinnigen Beheizung
der am Wärmeschutz der 38 cm starken Ziegelwand. Bei               des Weltalls vergeudet werden sollten.“ [34]
besserer Wärmeleitfähigkeit wurden die Konstruktionen
schlanker, so dass im Effekt wieder ein U-Wert um 1,5 W/           Die Dämmschichtdicken in Decken und zwischen oder
(m²K) entstand. Einzig die Betonbauweise mit Stahl- oder           unter den Sparren lagen in dieser Zeit bei 2 - 4 cm. Das
Schwerbeton erforderte Dämmstoffe, da bei einer Wärme-             Bild 14 zeigt das ambionierte Haus am Horn in Weimar,
leitfähigkeit um 2,1 W/(mK) ein gesundes Wohnen hinter             bei dem die neue großformatige Mauerwerksbauweise mit
nackten Betonwänden und -decken nicht möglich ist. Des-            einer Kerndämmung der Wände versehen wurde. Selbst
halb haben die meisten Zementwerke seit den zwanziger              hier, beim „Neuen Bauen“ der Weimarer Zeit waren nur
Jahren Dämmstofftöchter. Jobst Siedler fasste die Bauwei-          drei Zentimeter Torfplatten das Maß. Noch immer lag es
sen dieser Zeit in „Die Lehre vom Neuen Bauen“ 1932 zu-            jenseits der Vorstellungswelt, Dämmstärken von 6 oder 10
sammen. [32]                                                       cm auch nur zu denken, geschweige denn, zu rechnen.

                                                                   Das „Haus am Horn“ in Weimar wurde 1929 erbaut. Es
                                                                   gehörte zu den ambionierten Bauten des „Neuen Bau-
                                                                   ens“. In dieser Zeit wurden nicht nur neue Formen und
                                                                   das Flachdach, sondern auch neue Baumaterialien aus-
                                                                   probiert. Der JURKO-Stein war ein 8 cm starker Schla-
                                                                   ckenbetonstein mit der Wärmeleitfähigkeit um 0,5 W/
                                                                   (mK). Er wurde durch 3 cm Torfplatten ergänzt. Zusam-
                                                                   men ergab sich ein U-Wert von 0,9 W/(m²K), bei einer
                                                                   schlanken Wand von 19 cm Stärke. Die Hälfte der übli-
                                                                   chen Wandstärke, ein um 42 % besserer Wärmeschutz
                                                                   und geringere Baukosten. Die großformatige Wandbau-
                                                                   weise war ein Beitrag zur Rationalisierung des Mauer-
                                                                   werksbaus. Sie konnte sich, trotz aller guten Argumente,
                                                                   damals noch nicht durchsetzen.

Bild 14: Eine typische Dämmstoffdicke für die Zwischenkriegszeit

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