Kleine Geschichte der Dämmstoffe "Erster Teil"
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Titelthema | Kleine Geschichte der Dämmstoffe „Erster Teil“ Werner Eicke-Hennig* Bereits unsere frühen Vorfahren dämmten ihre Hütten mit Heu und Stroh. Mit dem Fach- werk- und Massivbau kamen beständigere Baustoffe, allerdings mit geringem Wärmeschutz. Erst die Industrialisierung brauchte „Isolationsstoffe“ für ihre Wärmeanwendungen, das führte zur Herausbildung der Dämmstoffindustrie. Der Hochbau hinkte demgegenüber beim Wärmeschutz lange hinterher. Nach der Energiekrise 1974 entwickelte sich der Markt für bes- ser dämmende und spezialisierte Dämmstoffe wie Glas-, Steinwolle und Hartschaum. Die Dämmstärken wuchsen. Im Hausbau wurde stets um Sinn und Ausmaß von Dämmstoffan- wendungen gerungen. Schöne Fassaden waren wichtiger als Wohnhygiene. Das ändert sich seit einigen Jahren. Heute ist der Hochbau Motor der Dämmstoffanwendungen. Ein exzellenter Start in der Bronzezeit Strohgedeckte Dächer blieben bis ins 18. Jahrhundert üb- Schon vor 3400 Jahren in der Bronzezeit wiesen die Hütten lich und noch um 1830 ging die Obrigkeit aus Brandschutz- einen beachtlichen Wärmeschutz auf. Die Dächer deckte gründen gegen die immer noch nicht gänzlich verschwun- man mit Heu und Stroh. Bei 20 bis 30 cm Dicke ergaben dene „weiche Bedachung“ vor. Die billigen und warmen sich hier ein veritabler Wärmeschutz um 0,3 W/(m²K). Die Strohdächer waren beliebter als das Ziegeldach. Auch bei tragenden Pfosten der Wände waren beidseitig mit lehm- den Außenwänden blieb die gute Qualität über fast drei beworfenen Flechtwerk verkleidet. Dazwischen wärmte ein- Jahrtausende erhalten. „Das deutsche Haus war ursprüng- gestopftes trockenes Gras gegen die Kälte. Bei 10 cm Dicke lich ein Holzbau, der Baustoff der Germanen war das Holz. und guter Stopfdichte ergab sich ein U-Wert von 0,5 bis 1,0 (…) Noch im 15. Jahrhundert war das steinerne Haus eine W/(m²K). Damals lag die Jahresmitteltemperatur um 4 °Cel- Ausnahme“, schrieb Professor Schäfer in „Deutsche Holz- sius tiefer und man schützte sich intuitiv gegen die Kälte. baukunst“ von 1937. [1] Die haltbarere Holzblockwand löste Reste dieser „Energiesparwand aus der Bronzezeit“ wurden die bronzezeitliche Flechtwand ab. Je nach Dicke der ver- unlängst von hessischen Archäologen ausgegraben. Die ge- wendeten Rundstämme oder Balken lag ihr U-Wert bei fundenen Siedlungsbauten waren abgebrannt, so dass sich 0,5 - 0,8 W/(m²K). Zur Fugendichtung dienten Moose und im hartgebrannten Lehmbewurf Graseindrücke auf jeweils Flechten. Bis dahin wurde die Dämmwirkung der Baustoffe einer Seite der Lehmbekleidung des Flechtwerks erhalten eher gefühlsmäßig genutzt. Da nur Baustoffe wie Holz und hatten. Der Nachbau (Bild 1) zeigte, wie die Graseindrücke Pflanzenfasern zur Verfügung standen, war der Wärme- entstanden waren. schutz im Wesentlichen eine Funktion des Baustoffes. Eine Konstruktionsweise zur Erzielung einer Dämmwirkung ist nur bei der „Energiesparwand“ nachgewiesen. Die Mängel der damaligen Bauweisen überwogen: Geringe Beständig- keit, Feuchte im Haus und starke Brandgefahren, statisch geringe Belastbarkeit. Schlechter Wärmeschutz im Fachwerkbau Mit der wachsenden Bevölkerungszahl, den Städtegrün- dungen ab 1100 (Hausbau, Heizung) und den stärkeren wirtschaftlichen Tätigkeiten (Bergbau, Salinen, Glasgewin- nung) wuchs die Holznot. Sie erzwang eine Holzsparbau- weise mit schlechtem Wärmeschutz: Das Fachwerk. Eine 16 cm dicke Fachwerkwand mit Lehmgefachfüllung weist Bild 1: Energiesparwand aus der Bronzezeit einen U-Wert von nur 1,6 W/(m²K) auf. Die 12 cm dünne * Dipl.-Ing. Werner Eicke-Hennig, Hessische Energiespar-Aktion Wand besitzt einen U-Wert um nur 1,9 W/(m²K). Mit Feld- Institut Wohnen und Umwelt GmbH steinen oder den vor 1850 noch seltenen Ziegeln ausge- 6 | wksb | 65/2011
| Titelthema facht, kam man auf miserable Wärmeschutzwerte zwischen eine Einhausung des Bettes, in dem man in Eigenwärme 3,2 und 2,5 W/(m²K). Wer konnte, erhöhte die Behaglich- und -geruch schlief. keit mit einer Innendämmung. Die hieß damals Holzpa- Gegen die Kälte wurde mit der Feuerstelle im Haus ange- neel, meist brusthoch, damit man etwas zum Schutz gegen heizt. Wilhelm Busch zeichnete die damaligen Wohnverhält die Mäuse auf die „hohe Kante legen“ konnte. Für die De- nisse mit seiner „Belagerung von Ofen“. (Bild 2) Das offene cken reihte man zunächst Balken aneinander. Die Holznot Feuer war über Jahrtausende die Wärmequelle im Haus. erzwang einen Balkenabstand, der mit Strohlehmwickeln Das offene Feuer wurde in den Bauernhäusern erst im 18. als Brand-, Schall- und Wärmeschutz verfüllt wurde. Über Jahrhundert abgeschafft, in vielen brannte es in der Ten- Kellergewölben ergab Sand, später auch Schlacke einen ne noch bis ins 20. Jahrhundert hinein. Der Schornstein mäßigen Wärmeschutz. Fußböden wurden als nackter, setzte sich erst im 19. Jahrhundert vollends durch, vorher gestampfter Lehmboden, als aufgeständerter Dielenboden entließ man den Rauch direkt ins Haus (Rauchhaus). Der oder als Dielenböden mit Sand und Schlacke zwischen La- Allesbrenner-Ofen kam im 18. Jahrhundert auf. Kenntnisse gerhölzern ausgeführt. Deren U-Werte über 2,0 W/(m²K) über Chemie und Physik des Feuers gab es keine. sorgten für Fußkälte im Haus und waren eine Quelle für Bis zur Industrialisierung 1850 gab es noch keine qualifi- Unterleibserkrankungen. zierten Dämmstoffe, stattdessen Holz, Heu, Stroh, Stroh- lehm, Sand. Das erste Solarzeitalter nutzt das Holz und die Erst die Holzbalkendecken mit den o. g. Füllungen ver- Naturfaser extensiv als Bau- und Brennstoff für alle Anwen- besserten den Wärmeschutz auf U-Werte um 1,0 W/ dungen. Schriftlich gefasste Vorschriften für den Wärme- (m²K). In den „dunklen Jahrtausenden“ bis eintausend n. schutz existieren nicht. Der Konstruktionsstoff war auch Chr. lebten die Menschen hierzulande ohne Fenster. Das gleich der Dämmstoff. Die Tabelle 1 zeigt die bis zum Ende zugige Windauge, die Außentür und ein offenes Feuer in des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Hilfsstoffe, die als der Tenne waren die Lichtquellen. Fenster kamen erst im Dämmstoff eingesetzt wurden. Unserer heutigen Definiti- 14./15. Jahrhundert systematischer auf und hatten dann als on des Dämmstoffs entsprechen viele der Stoffe nicht. Zum Einsatz kommen Stroh, Heu, Lehm, Bims, Sand, Holzwol- le, Sägespäne, Holz, Seegras. Leopold Sautter beschrieb vor 60 Jahren die Entwicklung: „Der Mensch hat ursprünglich seine Behausungen geschaf- fen, um sich vor den Unbilden der Witterung (und dane- ben auch vor Feinden) zu schützen. Das Holz mit seinen zahllosen winzigen Zellen war der von der Natur gegebene Wärmedämmstoff, der das schnelle Abwandern der Wärme des Herdfeuers aus den Blockhäusern verhinderte, der also -wie der Mensch dies zunächst auffasste- das Eindringen der Kälte verminderte. Als später in den Städten wegen der vielen Feuersbrünste Steinhäuser immer mehr aufkamen (auch weil mit dem Eindringen des italienischen Einflusses Bild 2: „W. Busch, Die Belagerung von Ofen“ in der Renaissance-Zeit der Steinbau als vornehmer angese- hen wurde), beachtete man nicht, dass der Stein einen viel Einscheibenverglasung einen Uw-Wert um 4,8 W/(m²K). geringeren Wärmeschutz gewährt als das Holz. Dies fiel zu- Behagliches Wohnen war bis zu Industrialisierung weder nächst auch nicht sehr auf, weil die Wände der ersten Stein- möglich noch ein Anspruch. Kälte im Haus wurde nach häuser sehr dick gemacht wurden und damit vergleichs- dem Motto ertragen: „Das ist eben so.“ Eine gewisse Behag- weise zu den viel dünneren Holzwänden etwa denselben lichkeit boten einzig solche Vorrichtungen wie der Lehn- Wärmeschutz gewährten. Als man aber anfing sparsamer stuhl mit hohem, wärmendem Rücken und der Alkoven, zu bauen, dachte man viel mehr an die Standsicherheit der Stroh, Heu 0,047-0,06 W/(mK) Holz 0,14 W/(mK) Pflanzliche Faserdämmstoffe, Seegras, Strohhäcksel 0,047 W/(mK) Sandschüttung in Decken 0,58-0,68 W/(mK) Strohlehm für Decken und Sparrenzwischenräume 800 kg/m³ 0,70 W/(mK) Strohlehmwickel 0,47 W/(mK) Sägespäne-Holzspäne 0,07-0,093 W/(mK) Strohfaserplatten 140 kg/m³ 0,057 W/(mK) Schilfrohrplatten 200-300 kg/m³ 0,081-0,12 W/(mK) Seegras 55 kg/m³ 0,045 W/(mK) Tabelle 1: Wärmeleitfähigkeiten von historischen Materialien zur Wärmedämmung wksb | 65/2011 |7
Titelthema | Gebäude als daran, dass die Steinwände auch einen aus- reichenden Wärmeschutz gewähren müssen. Brennstoff stand zunächst in genügender Menge zur Verfügung und man wusste eben nicht, dass man viel weniger Brennstoff brauchte, wenn die Wände des Hauses wärmedichter wä- ren.“ [2] Wer keinen Begriff von Wärme hat, kann auch den Stellenwert der Wärmeverluste durch die Bauteile seines Hauses nicht begreifen. So ging mit der Holzverknappung auch die Wärmebewahrung im Holzhaus verloren. Ein be- sonderes „Wissen“ hatte in Bezug auf den Wärmeschutz nicht existiert. Zudem wurden die Bauweisen der Bronze- zeit durch die Völkerwanderung ausgelöscht. Bild 3: Einsparung durch Rohrleitungsdäm- mung, Berechnung von 1905 [3] Industriealisierung - Motor der Dämm- „Isolier-Effektes“ (Bild 3) für die Wärmeanwendungen in stoffentwicklung der Industrie. Die alten Lösungen der vorindustriellen Ma- Erst das Industriezeitalter brachte die Dämmstoffe. Die nufakturen, Bündel und Zöpfe aus Stroh, Lehm, Sägemehl, Dampfmaschinen und die vielfältigen industriellen Wär- Tierhaaren, hielten den hohen Temperaturen der industri- meanwendungen erzeugten einen Bedarf nach speziali- ellen Dampfmaschinen nicht stand. Für den Einsatz in der sierten Dämmstoffen, um die hohen Wärmeverluste der Industrie wurden neue Dämmstoffe gebraucht, erfunden Maschinen und damit die Produktionskosten zu senken. und konfektioniert. Gleichzeitig entwickelte sich die Kühl- Die Jagd nach besseren Wirkungsgraden begann. Im Vor- kette und benötigte feuchteunempfindliche Dämmstoffe. dergrund standen hitzeunempfindliche Dämmstoffe für Es entstand eine Dämmstoffindustrie, die den sich öffnen- die Rohrleitungs- und Kesseldämmung. Das thermodyna- den industriellen Markt bediente. Die damaligen Dämm- mische Fachwissen, das um die Erfindung der Dampfma- stoffe waren: schine entstand, stand nun auch für den Wärmeschutz zur Verfügung. Die Verbesserung der Wirkungsgrade wurde • Backkork und expandierter Kork, (1880) Daueraufgabe, die rationelle Energienutzung „war Beglei- • Kieselgur-Aufstrichmassen und Formteile (1880) derscheinung der Industrie.“ Der „Wärmeingenieur“ war • Schlackenwolle (1910) Maschinenbauer und erlernte die Berechnung von Wär- • Glaswatte (1931) medurchgang, Wärmeübergangswiderständen, Energie- • Steinwolle (1938) einsparung durch Wärmeschutz. Seine Aufgabe löste er • Asbestwolle (1939) mit rationalen Rechenmethoden: Die Konstruktion wärme- • Hartschäume (1938; 1950) technischer Anlagen und die Bestimmung des optimalen Diatomit-Dämmung (Kieselgurformstücke) einer indust- riellen Dampfrohrleitung. Die Wärmeleitfähigkeit lag bei hohen Temperaturen bei 0,09 W/(mK). Kieselgur wurde und wird in Deutschland u. a. in Hessen abgebaut. Stopfdämmung aus Schlackenwolle an einem Indust- riekessel. Schlackenwolle war recht schwer und wurde deshalb nach 1945 am Markt gegen die Stein- und Glas- wolle ausgetauscht. Die Wärmeleitfähigkeit lag bei einem Raumgewicht von 200 kg/m³ bei 0,05 W/(mK). 8 | wksb | 65/2011
| Titelthema Rohrleitungs- und Ventildämmung mit Asbestzöpfen. Asbest wurde in Deutschland schon in den sechziger Jah- ren als Dämmstoff nicht mehr eingesetzt, da Glas- und Steinwolle Gewichtsvorteile hatten. Die Gesundheitsdis- kussion kam erst später. Seine Wärmeleitfähigkeit lag je nach Raumgewicht zwischen 0,07 bis 0,16 W/(mK). Die Kälteanwendungen sind für die Entwicklung des Dämmstoffmarktes waren von großer Bedeutung, wie sie umgekehrt den Kühlhausbau erst möglich machten. Etwa ab 1880 begann mit Lindes Erfindung der Aufbau der Kühlkette weltweit. Als Problemlöser fungierte hier der Reform-Korkstein von Grünzweig+Hartmann, ein 1898 erfundener mit Pech unter Hitze und Druck im Vakuum behandelter Kork, der 1906 zu expandiertem Kork mit geringerem Raumgewicht und leicht besserer Dämmwirkung weiterentwickelt wurde (EXPANSIT). Seine Wärmeleitfähigkeit lag bei 0,045 W/(mK). Die feuchteunempfindlichen Produkte entsprachen den Be- dürfnissen der Kälteindustrie, bis sie ab 1960 durch die Hartschäume ersetzt wurden. Aus den Bedürfnissen der Kälteindustrie entwickelte sich übrigens 80 Jahre später das Glaser-Verfahren zur Tauwasserberechnung. Bild 4: Dämmstoffe bei industriellen Wärme- und Kälteprozessen um 1930 1850: Massivbau verdrängt Holzbauweise us über 20-30 km für Baustoffe zu teuer war. Wettbewerbe Mit dem Massivbau brachte die Industrialisierung ei- der Behörden förderten aus Holzspargründen auch die nen großen Umbruch in der Bauweise. Die Tradition der Massivdecke. Bald ersetzten Hohlsteindecken den Holzbal- Holzbauweise verlor gegen die beständigeren, feuchteun- ken. Letztendlich siegte die Betonplattendecke nach 1945. empfindlichen, nichtbrennbaren, statisch hoch belastba- Die weiche Bedachung verschwandt aus Brandschutz- ren und billigeren Massivbaustoffe. Für den einsetzenden gründen. Ihr guter Wärmeschutz um 0,2-0,3 W/(m²K) ver- Massenwohnungsbau reichte das verfügbare Holz ohnehin schlechterte sich durch die Ersatzstoffe Lehmwickel, Putz nicht. Deutschland wurde nun in hoher Geschwindigkeit auf Spalierlattung und dünne Putzträger-Dämmplatten um innerhalb eines halben Jahrhunderts im doppelten Wort- das Fünf- bis Zehnfache. sinn massiv um- und ausgebaut. Dörfer und Städte wur- den um ein mehrfaches ihrer Gemarkungsfläche erweitert. Der Zimmermann verlor seine Stellung als „Architekt des Wärmeschutz im Hochbau ohne Bedeutung Mittelalters“ an den Baumeister und Architekten. Ab dem Die Industrialisierung brachte die Massivbaustoffe. Sie setzte frühen 19. Jahrhundert setzt sich die Wandbauweise aus aber keine neuen wärmetechnischen Standards. Im Hoch- Vollziegeln durch. Deutschland wurde seit 1850 Ziegel- bau kamen Dämmstoffe kaum zum Einsatz. Die Bauord- land. Seine Anwendung wurde so beherrschend, dass die nungen der Fürstentümer und Städte und des Preußischen 38 cm starke Ziegelwand im Bauwesen als „Normalwand“ Staates schrieben den Wärmeschutz einer „38 cm normal- bezeichnet wurde, abgeleitet vom Normalformat der Stei- feuchten Ziegelwand“ als Maß für die Wände und auch ne. Statisch war die 38 cm dicke Wand die Mindest-Anfor- für alle anderen Außenbauteile, außer den Fenstern, vor. derung und man übernahm sie für den Wärmeschutz als Mit der etwa ab 1922 gebräuchlichen k-Wert-Berechnung, Maßstab. Ab 1850 standen Ziegel durch Maschinenziege- wurde dieser „natürliche Maßstab“ nicht verändert, son- leien kostengünstig zur Verfügung, waren Eisenbahntrans- dern nur numerisch als Wärmedurchlasswiderstand 0,55 porte möglich und bezahlbar, wo vormals ein Transportradi- m² h °C/kcal ausgedrückt, was einem U-Wert von 1,56 wksb | 65/2011 |9
Titelthema | W/(m²K) entspricht. Eine Statistik von 1938 zeigt den Zie- bau im Leben eine einmalige Kraftanstrengung. Zukünftig gel mit 75 % aller in diesem Jahr vermauerten Wandbild- auftretende Heizkosten wurden und werden bei Bauent- ner weit vorn. Andere Wandbaustoffe haben bis 1945 nur scheidungen nicht einbezogen, wir leben im Augenblick. geringe Chancen. Die „dicken“ Ziegelwände sind etwas So blieb der Apell von L. Sautter 1932 ungehört: „Noch wich- wärmer als die Fachwerkwand (U = 1,56 statt 1,9 W/(m²K)), regendichter und haltbarer. „Dicke Wände dämmen gut“ sagt der Volksmund noch heute dazu und meint unbewusst den nur „relativen“ Vorteil gegenüber der Fachwerkwand. Noch 1936 beschrieb Erich Mindner die wenigen bekannten Dämmstoffe: „Als wärmeisolierende Bestandteile kommen hochporöse Stoffe zur Verwendung: Holzwollplatten, Torf- platten, Kokosfasermatten und als bester Stoff Kork und Expansitkork.“ [4] Zur gleichen Zeit widmete H. Balcke in „Die Wärmeschutztechnik“ nur 8 von 112 Seiten dem The- ma: „Der Wärmeschutz im Bauwesen“. Genannt werden Kork- und Torfplatten, Holzwolleleichtbauplatten und lose Füllstoffe. Darunter auch die Glaswolle, die zu dieser Zeit, auf Bitumenpapier gesteppt, als neuartige Matte vermark- tet wird. [5] Erich Raisch, Leiter des Forschungsheimes für Wärmeschutz, stellte zum Stand der Wärmeschutztechnik 1927 fest: „Während jedoch im Laufe der folgenden Jahren Bild 5: Entwicklung des Heizenergiever- (nach 1918 d. Verf.) die Anwendung der Wärmeschutzmittel brauchs in Wohngebäuden 1900-1957 in der Industrie immer weiter an Boden gewann und heute, kann man wohl sagen, allgemein die notwendige Beach- tiger als für die Herstellung ist der Wärmeschutz für die Be- tung erlangt hat, ist im Bauwesen nach einem vielverspre- wirtschaftung der Bauten. Es ist unwirtschaftlich, billig zu chenden Anfang und trotz tatkräftiger Unterstützung von bauen und dann teuer zu wohnen. Wie bei einer Maschine einsichtigen Baufachleuten und Behörden das Verständnis müssen auch bei einem Bauwerk von vorneherein nicht nur für den Wärmeschutz nicht im gleichen Maße gewachsen, die Herstellungskosten, sondern auch die spätere Leistung wie es auf Grund der ihm zukommenden Bedeutung nötig als grundlegend berücksichtigt werden. Der Wärmeschutz wäre.“ [6] Es scheint, als gelte dies noch heute. beeinflusst die Bewirtschaftung durch den Brennstoffver- bauch und die Unterhaltungskosten des Hauses.“ [9] Die „Investoren“ sind technische Laien, weder Wärme- Hemmnisse für den Dämmstoffeinsatz im transportvorgänge, noch die Einschätzung der Höhe des Hochbau Heizenergieverbrauchs, noch die Ursachen von Unbehag- Anders als in der Industrie, wo als rationaler Handlungsan- lichkeit sind bekannt und Kenntnisse über neue Techniken satz die Verbesserung der Wirkungsgrade zur Wärmedäm- fehlen. Hygienemängel werden erduldet, weil es überall in mung der Kesselanlagen und Rohrleitungen drängte, fehlte allen Häusern zu kalt, feucht oder im Sommer zu heiß ist. dieser Antrieb im Wohnungsbau. Statt baulichem Wärme- Es fehlte auch an einschlägigen Fachleuten im Hochbau. schutz, waren hier eingeschränktes Heizen und niedrige Das Thema „Energetischer Entwurf“ fehlte weitgehend im Raumtemperaturen die zum Einsatz kommenden Spar- Berufsbild von Architekt, Bauingenieur, Baumeistern und maßnahmen. Bild 5 zeigt die Entwicklung des Heizener- Bauträgern im Hochbau. Stattdessen stand und steht der gieverbrauchs von 1900 bis 1957. [7] In denselben Häusern, künstlerische Entwurf im Vordergrund oder konzentriert die um 1970 rund 300 kWh/(m²*a) verbrauchten, wurden sich das Interesse auf geringe Baukosten. Ein Problem der noch um 1900 nur 60 - 70 kWh/(m²*a) und um 1957 um menschlichen Wahrnehmung tritt hinzu: „Der Feuchtig- 180 kWh/(m²*a) Endenergie verbraucht. Heizen war im- keitsschutz (...) wurde immer im Bauwesen stark beachtet, mer ein großer finanzieller Aufwand. Das eingeschränkte weil ja das Eindringen der Feuchtigkeit sichtbare Schäden Heizen war früher Normalität des Wohnens. Noch Pèclet hervorruft, während das Abfließen der Wärme unsichtbar hielt 15 °C Raumtemperatur für Wohnzimmer für „zweck- vor sich geht.“ [10] Wärme und Wärmeverlust waren noch mäßig“. [8] Die Höhe des Heizenergieverbrauchs wurde als unklare Begriffe. Der „Lehrer der Baukunst“, C. M. Hei- unabänderlich hingenommen, ebenso die Kälte im Haus. gelin formulierte deshalb 1827 noch rein qualitativ: „Weit Diese Langmut hatte Ursachen: Bauten sind Infrastruktur wärmer, als verblendete, mit Tapeten versehene und dabei und damit Aufwand, der sich überwiegend nie oder nicht bloß ½ Fuß dicke Riegelwände, sind unverblendete, unta- in so schnellem Maße wieder erwirtschaftet, wie dies bei pezierte, 1 Fuß dicke Backsteinwände… Weit mehr Wärme, Produktionsanlagen durch den Produktabsatz der Fall ist. als selbst durch die schlechtesten Wände, entflieht durch An den Baukosten wird deshalb gespart, meist ist der Haus- die Fenster.“ [11] Hier standen noch wichtige Erkenntnisse 10 | wksb | 65/2011
| Titelthema aus, bevor man „wärmer“ oder „kälter“, Art und Umfang genauere Durchlässigkeitskoeffizienten „k“. Im Heizungs- des Wärmebedarfs von Häusern, erklären und berechnen bau schritt man nun schnell voran. Schon 1885 gab es das konnte. erste Regelwerk für die Planung von Heizanlagen in öf- fentlichen Gebäuden durch den Preußischen Minister für öffentliche Arbeiten: „Anweisung wegen der Vorbereitung, Der Heizungsbau schafft die Erkenntnisse Ausführung und Unterhaltung der Centralheizungs-Anla- Die nötigen neuen Erkenntnisse entwickelte der Heizungs- gen in fiskalischen Gebäuden“. Sie schrieb erstmalig eine bau. Aus dem offenen Feuer im Haus war durch die In- Berechnung der Gebäudewärmeverluste vor. Dieses Verfah- dustrialisierung die Zentralheizung geworden. Deren ver- ren von 1885 kam nach vielfältigen Verbesserungen 1929 mehrter Absatz rief nach Regeln für die Dimensionierung. als erste DIN 4701 heraus. Die „Regeln für die Berechnung J. Fourier hatte 1822 die theoretischen Grundlagen der Be- des Wärmebedarfs von Gebäuden und für die Berechnung rechnung des Wärmeaustausches gelegt. Diese wurden we- der Kessel und Heizkörpergrößen von Heizungsanlagen“ nige Jahre später 1828 durch den französischen Physiker hatten den V.D.C.I, Verband der Centralheizungsindustrie J. C. E. Pèclet für den Heizungsbau vereinfacht. Er definierte als Herausgeber. Dieser hatte in der Vorbereitung recht erstmalig den k-Wert, den er „Durchlässigkeitskoeffizient“ fruchtbar mit dem 1918 gegründeten „Forschungsheim für Wärmeschutz“ in München zusammengearbeitet. Dessen ehemaliger Leiter Prof. E. Schmidt, besorgte die Zusam- menstellung der Norm, die eine umfangreiche Darstellung von k-Werten aller Bauteile enthielt. Die „Bauphysik“, wie wir sie heute nennen würden, ergänzte damals die Heiz- technik. Beide schufen Berechnungsregeln und Daten- grundlagen für die Bedürfnisse der Heizungsindustrie. Zu einem Entwurfsverfahren für den Hochbau wurde dies lei- der nicht weiterentwickelt. Bild 6: Peclès Schrift zur Feuerungskunde 1846 nannte, um die „Anlegung von Heerden, … Dampf- und Warmwasser-Heizungen“ auf eine rechnerische Grundlage zu stellen. Die „Pèclet-Formel“ Wärmemenge W = k * (ti - ta) hatte große Ähnlichkeit mit Isaac Newtons 1701 niederge- schriebenen Formel Quantum Q = A * k * (ti - ta), die auch die sich abkühlende Fläche A integriert hatte. Schon um 1847 prägte Schinz in Deutschland den Begriff „Wärmever- lust durch Transmission“. Ihm war bei einer Untersuchung des Verbesserungspotenzials von Öfen aufgefallen dass „... die Dicke und Leitfähigkeit der Wände des zu beheizen- den Raumes einen unendlich viel größeren Einfluss auf die aufgewendete Wärme habe, als die Oefen.“ [12] 1878 wur- Bild 7: Auszug aus den k-Wert-Tabellen der DIN 4701 von 1929 (Einheit: kcal/m² h°C) de in der Zeitschrift „Der Rohrleger“ (später unbenannt in „Der Gesundheitsingenieur“) ein Überblick über die Wär- mebedarfsberechnungen der Zeit veröffentlicht. Der „Ver- Für den Anfang des 20. Jahrhundert stellte Raisch den ein für Gesundheitstechnik“, in dem die Heizungs- und Stand der Wärmetechnischen Berechnungen wie folgt fest: Lüftungsbauer organisiert waren, erörterte die noch offe- „Die theoretische Physik hatte das ausgedehnte Gebiet der nen Fragen 1880 und stellte Forschungsmittel bereit. Eine Wärmeübertragung nur in einzelnen Zweigen eingehen- „Kaiserliche Deutsche Trans- und Emissions-Kommission“ der bearbeitet und erforscht; Die Bedürfnisse der Technik entstand. Doch nicht sie, sondern Hermann Rietschel, ein waren dabei jedoch unbefriedigt geblieben, so dass letztere überragender Professor für Heiz- und Lüftungstechnik, um die Mitte des vergangenen 19. Jahrhunderts daran ging, entwickelte die Lösung: Die Berechnung des Wärmedurch- sich die nötigen Unterlagen selbst zu schaffen und die aus gangs wurde durch die Übergangswiderstände ergänzt und der Erfahrung gewonnen Erscheinungen in mehr oder we- durch umfangreiche Messungen an Bauteilen entstanden niger zutreffende Formeln zu kleiden. Die wissenschaftli- wksb | 65/2011 | 11
Titelthema | che Behandlung der einzelnen Probleme trat dabei immer zes im Wohn- und Industriebau“ vor. Mit dieser Publikation mehr in den Hintergrund, die rein empirische Erforschung existierte nun u. a. eine umfassende und belastbare Darstel- der äußerlich zwar einfachen, in Wirklichkeit jedoch recht lung der Rechenwerte der Wärmeleitfähigkeit. Den Feuchte- verwickelten Vorgänge bei der Wärmeübertragung, die in einfluss hatte er umfangreich abgehandelt. Die Diskussion ihrer Gesamtheit nicht übersehen werden konnten, zeitig- war damit um 1938 weitgehend abgeschlossen. Bild 8 zeigt te mancherlei Fehlergebnisse und verursachte schließlich die damalige grobe Einteilung verschiedener Baustoffe hin- zu Beginn dieses Jahrhunderts einen Zustand, der äußerst sichtlich ihrer Wärmeleitfähigkeit. Die Definitionsgrenze für unbefriedigend und für ein ersprießliches Weiterarbeiten in Wärmedämmstoffe liegt heute bei ≤ 0,1 W/(mK). den einschlägigen technischen Gebieten hinderlich war.“ [13] Hinzu trat das Bedürfnis, die nach dem 1. Weltkrieg ent- standenen neuen Baustoffe und schlankeren Konstruktio- nen zu beurteilen (Ersatzbauweisen). Für den Hochbau wurden vor allem durch die Professoren Knoblauch, K. Gröber, Hencky, E. Raisch, E. Schmidt und J. S. Cammerer ab 1919 die heute noch gebräuchlichen Rechen- regeln erstellt und die Rechenwerte für die Wärmeleitfähig- keit durch Messung und Diskussion der Feuchtezuschläge geschaffen. Messinstrumente wie das Plattenverfahren zur Messung der Wärmeleitfähigkeitswerte wurden entwickelt und diskutiert. 1921 publizierte K. Gröber erstmalig die „Grundgesetze der Wärmeleitung und des Wärmeübergan- ges“. Zusammen mit Karl Hencky`s zeitgleich vorgelegten Buch „Die Wärmeverluste durch ebene Wände“ lagen nun Bild 8: Wärmeleitzahlen von Stoffgruppen (nach Cammerer 1936) exakte Berechnungsregeln für den Wärmeverlust vor. Was noch fehlt waren ebenso exakte Rechenwerte der Wärmeleit- fähigkeit der Baustoffe. Unklar war damals der Einfluss der Ende der zwanziger Jahre verfügte man über das Instrumen- Feuchtigkeit. Die publizierten Wärmeleitfähigkeitswerte ein- tarium, um Wärmeverluste im Hochbau rechnerisch abbil- zelner Autoren streuten zu stark und waren überwiegend zu den zu können. Die Qualitätsprüfung der Hochbaukonst- günstig, da die Baustoffproben zu trocken waren oder durch ruktionen war nun möglich. Gefühlsmäßige Einschätzung das Messverfahren austrockneten. Auch stellte man die Wär- wurden durch numerisch exakte Methoden abgelöst. Eine meleitfähigkeiten für Wandbildner noch ohne den Einfluss Arbeitshilfe der damaligen Zeit war 1936 der „Rechenstab der Fugen dar, da konnte ein Bimsstein schon einmal die für Wärme- und Kälteschutz“. Er zeigte immerhin k-Werte Wärmeleitfähigkeit 0,15 W/(mK) zugeordnet bekommen, wo herunter bis 0,58 W/(m²K) an und wurde mit einem weitbli- ihm als Mauerwerk 0,52 W/(mK) gebührten. J. S. Cammerer, ckendem Text beworben: „Im Kampf gegen die Rohstoffver- ehemaliger Mitarbeiter des Forschungsheims, legte 1936 sein schwendung und den Verderb fällt dem Wärmeschutz im Buch „Konstruktive Grundlagen des Wärme- und Kälteschut- Bauwesen eine sehr wichtige Rolle zu. Wir können durch Bild 9: Sonderrechenstab für die „Wärmedurchgangszahl“ von 1936 12 | wksb | 65/2011
| Titelthema wärmedämmende Bauweisen den Brennstoffverbauch sehr Medizinische Topografien entstanden aus Gesundheitsbe- erheblich (durchschnittlich um 30 v. H.) einschränken. Da richten der Amtsärzte, systematische Hygienemaßnahmen unsere Wohnhäuser die weitverbreitetsten Wärmeerzeu- wie die Wasser- und Abwasserversorgung, Pockenimp- gungs- und -verbrauchsanlagen Deutschlands sind, können fung, eine Gesundheitspolizei wurden eingeführt. In der also hier bedeutende Brennstoffmengen eingespart wer- Forschung sind hier unter vielen die Professoren Max v. den. Deshalb muss der Architekt von vorn herein den Wär- Pettenkofer, Louis Pasteur, Rudolf Virchow, Robert Koch, meschutz der Häuser bestimmen. Der neue Rechenstab A. Korff-Petersen und C. Flügge zu nennen. erleichtert diese Arbeit.“ [14] Aus der Erforschung von Wohnverhältnissen und Krank- Ganz so einfach war es dann doch nicht. Wärmeverluste heit entstand ein Zweig der Hygiene, der sich mit der berechnen zu können führte nicht automatisch auch zu ei- Wohngesundheit auseinandersetzte. Hieraus entwickelte nem guten Wärmeschutz der Häuser. Das Einsparpotenzial sich u. a. der Heizungsbau als Teil einer besseren Wohnhy- von 30 % blieb unausgeschöpft. Schon 15 Jahre vorher hat- giene. Die Verdrängung unzureichender Feuerungen und te Prof. Hencky die gleiche Forderung ebenso ergebnislos ihr Ersatz durch Zentralheizung mit gleichmäßiger Erwär- erhoben: „Die Sparsamkeit beim Brennstoffverbauch im mung der Gebäude wurde ein Strang der Hygienediskussi- Bauwesen steht und fällt daher mit der Erzielung eines nie- on in Deutschland. Dr. Abel beschrieb 1927 die Entwicklung deren Wärmebedarfs durch die bauliche Ausgestaltung und der Gesundheitstechnik zwischen 1870 und 1920 so: „Das durch richtige konstruktive Wahl der Umfassungswände in Zusammentreffen einer Reihe von Umständen wirkte in wärmetechnischer Hinsicht. (..) Bedenkt man nun, dass glücklicher Weise von den siebziger Jahren des vorigen Jahr- das Wohngebäude die verbreiteteste Wärmerzeugungs- hunderts ab auf eine stärkere Beschäftigung mit der wis- und Wärmeverwertungsanlage darstellt, so muss es vom senschaftlichen und praktischen Hygiene hin. In München Standpunkt der Brennstoffwirtschaft aus oberstes Gesetz erhielt Pettenkofer 1879 als erster Hygieniker ein eigenes im Bauwesen werden, im weitgehendstem Maße für die Forschungs- und Unterrichtsinstitut, das zunächst in der Herabminderung des Brennstoffverbrauches Sorge zu tra- Öffentlichkeit allerdings etwas skeptisch als „Hypothesen- gen. Die große Bedeutung dieser Aufgabe geht auch klar palast“ bezeichnet wurde. Bald folgten gleiche Institute an aus der Tatsache hervor, dass z. B. in Bayern rund 40 % der anderen Universitäten, Leipzig, Göttingen, 1885 auch Ber- gesamten verheizten Brennstoffmenge für Hausbrandzwe- lin. Die Hygiene wurde Unterrichts- und Prüfungsfach für cke Verwendung findet. Neben den Grundsätzen der künst- die Medizinstudierenden, und die Ärzteschaft begann sich lerischen Gestaltung, der Festigkeit und der Hygiene sind in ihrer Gesamtheit immer mehr mit diesem neuen Gebie- daher in v o l l e r G l e i c h w e r t i g k e i t die Forderungen te ihrer Wissenschaft zu beschäftigen, besonders seitdem der Brennstoff- und Wärmewirtschaft zu verwirklichen. mit der Berufung von Robert Koch 1880 in das 1876 gegrün- Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle bleiben, dass die Ein- dete Reichsgesundheitsamt die Bakteriologie aufblühte und sparung an Brennstoff weit vordringlicher und für unseren mit ihren Entdeckungen der Erreger wichtiger Infektions- industriellen Wiederaufbau wichtiger ist als die Einsparung krankheiten ganz neue Gebiete dem hygienischen Han- an Baukosten.“ [15] deln erschloss. In ähnlicher Weise bot der in dieser Zeit kräftig geförderte Ausbau der technischen Hochschulen Das zeigt, dass nun Berechnungsregeln für Bauteile entwi- dem angehenden Ingenieur Gelegenheit, sich auch in ge- ckelt waren, keineswegs aber ein neues Anforderungsni- sundheitstechnischen Fragen eine vertiefte Ausbildung zu veau für den energetischen Standard der Häuser. Die Phy- verschaffen; Es sei nur erinnert an das 1885 von Rietschel in siker hatten sich auf die „Regeln“ konzentriert. Eine neue Charlottenburg errichtete Laboratorium zur Untersuchung Bauqualität einzufordern war nicht ihre Sache. Das sollte von Heiz- und Lüftungseinrichtungen….“ [16] noch weitere 70 Jahre so bleiben. Auch das Niedrigenergie-, das Passiv- und das Sonnenhaus wurden - außerhalb der Ein Situationsbericht Rudolf Virchows zeigte die verände- offiziellen Bauphysik an den Hochschulen - als Standard rungswürdigen Verhältnisse auf dem Lande im Jahr 1850: entwickelt, erkämpft und beworben. „Wohin man kommt, sieht man im Spessart relativ kleine Häuser, die über einem meist ganz überirdischen Keller ein einziges Wohnzimmer mit engem Kämmerlein und eine Gesundes Wohnen - Hygienedebatte kleine Küche enthalten…Unter demselben Dache ist häufig Im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelt sich die Ge- auch der Viehstall und die Scheune…. Allein auch hier fehlt sundheitspflege zu einem öffentlichen Anliegen. Die Ge- noch der Schornstein, und der Rauch strömt von der Küche sundheitsvorstellung und -vorsorge war nicht mehr, wie gewöhnlich durch den Vorplatz und durch die in der Mit- noch im Mittelalter, nur auf das Individuum beschränkt. te quer geteilte Tür zum Hause heraus, indem er natürlich Die sich entwickelnde Wissenschaft hatte neue Erkenntnis- alle inneren Räume mit durchdringt.“ [17] Für das städtische se zur Hygiene erzeugt und der Staat suchte Wege gegen Weimar heißt es um 1800 nicht günstiger: „Die Wohnkul- die Seuchen wie die Cholera, die durch die Bevölkerungs- tur in den kleinen, oft nur ein- oder zweistöckigen Wei- konzentration in den großen Städten entstanden waren. marer Bürgerhäusern, bei denen nur das Erdgeschoß aus wksb | 65/2011 | 13
Titelthema | Stein gemauert, das Obergeschoß in Fachwerk ausgeführt Krankheit. Bücher zum Thema Wohnhygiene zeigten die war, hatte ein relativ niedriges Niveau. Die oft sehr engen, Alternativen. Sie tragen Titel wie „Das Buch von der gesun- winkligen und dunklen Räume waren nur zum Teil beheiz- den und praktischen Wohnung“ (1891) oder „Kleinhaus und bar…“ Und an anderer Stelle: „Von der Bauart der Mehr- Mietskaserne - Eine Untersuchung der Bebauung vom wirt- zahl dieser Häuser kann sich selbst eine lebhafte Phantasie schaftlichen und hygienischen Standpunkte“ (1905), „Das kaum eine Vorstellung machen. Ich fand neulich ein paar Wohnhaus und seine Hygiene“ (1909) oder „Das gesunde Straßen, wo alte Häuser niedergerissen waren, die Brand- Wohnhaus“ (1902) und 1926 „Die Gesundheitstechnik im mauern derselben bloßgelegt. Sie sahen aus, als hätten Bi- Hausbau“. Besonderen Wert legten diese Veröffentlichun- ber sie gebaut. Steine, Holzlatten, gurtenartiges Flechtwerk gen auf eine ausreichende Beheizung und Belüftung sowie mit Lehm bekleidet, bildeten abwechselnd, in verschieden Wasser- und Abwasserhygiene. Die damals neuen techni- Fächern, ein wüstes Gemenge. Es soll vorgekommen sein, schen Systeme, Zentralheizung, WC, Badeinrichtungen, dass aus dem Lehm solcher Mauern die Körner der Stroh- Lüftungsanlagen, wurden vorgestellt. Der Wärmeschutz spreu, mit welcher die Lehmmasse gemischt wird, als Ge- konnte noch nicht quantifiziert werden. Trockene Bauten treidehalme lustig durch die Tapeten der Zimmer gewach- waren das Ziel und dafür sah man den Massivbau mit di- sen sind.“ [18] Und ein Situationsbericht über die schweren cken Wänden als wichtig an: „Die Folgen des Bewohnens Mängel im Wohnungswesen für Berlin um 1880 schließt nasser Räume sind so bekannt, dass eine feuchte Wohnung so: „Lagen die gesundheitlichen Verhältnisse schon in der im Volksmunde gleichbedeutend ist mit einer ungesunden Reichshauptstadt derart, so kann man sich leicht vorstellen, Wohnung. (…) Die Baumaterialien sind von hygienischem wie sie sonst, namentlich auch in kleineren Städten und auf Interesse insofern, als Temperatur und Grad der Trocken- dem Lande zu jener Zeit waren. Einen Anhalt allgemeiner heit des Hausinnern in gewissem Grade von ihrer Beschaf- Art gibt schon die Sterblichkeitsstatistik, die 1878 im Reiche fenheit abhängt. (…) Bei der Wahl des Hausmaterials wird noch 26,2 auf 1000 Lebende betrug; 1926 war sie bis auf 11,7 das Wärmeleitungsvermögen in erster Linie berücksichtigt hinabgegangen.“ [19] werden müssen. (…) Genügende Dicke der Mauern wird schon bedingt durch die Bausicherheit, ist aber auch von Die Hygieniker Prof. Flügge und Prof. Korff-Petersen zeig- günstigem Einfluss auf die Wärmeökonomie des Hauses. ten in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahr- Übertriebene Sparsamkeit in den Mauerstärken rächt sich hunderts große, auf mangelnden sommerlichen wie win- durch großen Kohlenverbrauch.“[21] Hier wurde bereits die terlichen Wärmeschutz beruhende, Gesundheitsprobleme Verbindung zwischen energiesparsamen und wohngesun- in Mietskasernen und „Kleinhäusern“. Schimmelschäden den Bauten gesehen. wurden ab 1920 sehr intensiv in der Bauforschung darge- stellt, die Ursachen und Abhilfemaßnahmen diskutiert. Auf den Punkt brachte dies 1932 Leopold Sautter der in der Um 1920 wurde erhöhte Sommer-Säuglingssterblichkeit Weimarer Zeit als eine Art sprachlicher Vermittler zwischen mit Überhitzungen in den ungedämmten Dachwohnungen Hygieneforschung und technischer Physik fungierte. Er verbunden und Unterleibserkrankungen mit ungedämm hob bereits in seiner Kapitelüberschrift die „Bedeutung des ten EG-Dielenböden. Im „Rauchhaus“ waren rheumatische Wärmeschutzes für die Gesundheit der Bewohner“ hervor: Erkrankungen durch die mangelnde Beheizbarkeit eine ste- „Die Wärmedichtheit der Bauten beeinflusst die Gesund- te Geißel. heit der Bewohner sehr. Häufig hat man in der Nähe von Die Gebäudeausstattung damals: Ungedämmte Bauteile Außenwänden ein Kältegefühl, das meist für Zug gehalten mit U-Werten über 1,0 W/(m²K), undichte, einscheiben wird. Dieser „Zug“ ist aber nicht auf undichte Fenster und verglaste Fenster, Ofenheizung. Vor 70 Jahren las sich Türen zurückzuführen, sondern auf die sehr wärmeleiten- das so: In solchen Wohnungen wird es (...) zu einer star de Außenwand. Diese entzieht nicht nur der Raumluft, son- ken Auskältung des Fußbodens und der unteren Wand dern auch dem in der Nähe befindlichen (Wärme ausstrah- teile kommen; und an diesen Stellen, ebenso an den dort lenden) Körper die Wärme. Die Wärmeabgabe des Körpers befindlichen Möbeln, Betten usw. muss sich fortgesetzt ist dabei um 8 - 10 v. H. höher, als in Räumen mit wärme- Wasserdampf aus der für höhere Temperaturgrade gesät dichten Außenwänden (mit Wärmedämmschicht auf der tigten Luft niederschlagen. Allmählich entsteht auf diese Innenseite). Solche meist einseitigen Abkühlungen führen Weise eine Durchfeuchtung der kältesten Wand und der auf die Dauer zu Erkältungskrankheiten (Rheumatismus). in ihrer Nähe befindlichen Gebrauchsgegenstände; Von ...Ähnliche Schäden werden durch kalte Erdgeschoß- und den Möbeln lösen sich Fourniere ab, die Betten nehmen Küchenfußböden hervorgerufen (...). Häufige Schwitzwas- einen muffigen Geruch an, Stiefel und Tapeten zeigen serbildungen können ebenfalls die Gesundheit der Bewoh- Schimmelbildung - kurz es bilden sich die Charaktere der ner schädigen (...). Auch im Sommer treten Schäden durch „feuchten Wohnung“ aus. [20] Dieser Diskussionsstrang ungenügend wärmedichte Bauweisen auf, besonders in wurde durch Wohnungs-Enquetes begleitet, die Mosse/Tu- Dachgeschoßwohnungen. Durch die Sonnenbestrahlung genreich in ihrem umfänglichen Buch „Krankheit und so- werden diese bei fehlendem Wärmeschutz stark überhitzt. ziale Lage“ zusammengefassten wurden. Sie belegten den Das ist für Erwachsene unerträglich, für Kleinkinder und Zusammenhang von kalten, zugigen, feuchten Bauten und Säuglinge oft tödlich.“ [22] 14 | wksb | 65/2011
| Titelthema Aus diesen Erkenntnissen, dass „wärmedichtere“ Bauten derseitig verputzten Ziegelmauer“, heißt es dort, wie schon Kohle beim Bau und der Beheizung sparen, wirtschaftlich 70 Jahre vorher in den fürstlichen Bauordnungen. Dies sind, die Ökonomie entlasten und auch gesünder sind, er- entspreche am Besten den Forderungen der Wärmedäm- arbeitete Sautter schon in den dreißiger Jahren einen Vor- mung und Wärmespeicherung. Letztere wendet man in den schlag für eine DIN „Wärmeschutz im Hochbau“. [23] Er „Richtlinien“ gegen eine, über die 38 cm starke Ziegelwand setzte sich jedoch damit nicht durch. Die DIN 4108 soll erst hinausgehende Wärmedämmung, mit Bezug auf den Hy- 1952 Wirklichkeit werden. gieniker Korff-Petersen. [27] Der hatte jedoch das genaue Gegenteil gezeigt. Seine Untersuchung an 5 baugleichen Häusern mit unterschiedlichen Außenwänden belegten: Massivbau prägt die Wärmeschutzanfor- Das thermisch ausgeglichenste Klima wurde in einem ge- derungen dämmten Vergleichsgebäude erzielt, das im Thermosbau- Ein baulicher Fortschritt war mit den realitätsnäheren Re- Verfahren errichtet wurde. Bei einem Wand-k-Wert von 0,35 chenregeln und Baustoffwerten nicht verbunden. Das neu W/(m²K) erzielte das Gebäude nicht nur den geringsten geschaffene Wissen um die Wärmeverluste führte nicht zu Heizenergieverbrauch unter allen 5 Häusern. Die Abküh- besseren Konstruktionen, wie in der Industrie. Es galt nach lung nach Abstellung der Heizung vollzog sich sollte gar wie vor, was 1899 im „Deutschen Baukalender“ unter der nicht gelingen. Während das stark wärmspeichernde „Ze- Überschrift „Umfassungsmauern“ so formuliert wurde: menthaus“ (Beton) bei einem Wand-k-Wert von 1,3 W/(m²K) „Um die Kälte abzuhalten, nimmt man bei Wohngebäuden innerhalb 1-2 Stunden von 17 auf 15 °C auskühlte, wurde gewöhnl. 1 1/2 Stein, für Bruchsteinmauerwerk min. 42 diese Raumtemperatur bei der Dämmbauweise im Abküh- cm.“ [24] Die „Normalwand“ ist also 38 cm stark, als letzter lungsversuch nicht erreicht. [28] Ähnliches wurde übrigens Stock im Geschosswohnungsbau kann sie auch 25 cm dünn nach 1990 in den ersten Niedrigenergiehäusern gemessen, oder in Fachwerk ausgeführt werden. Bei Kleinhäusern bis deren nächtliche Absenktemperaturen der Innenluft nur 1-2 2 Stockwerken können die Außenwände, in der klimatisch K betrugen. So wurde schon 1921 die nicht richtig verstande- bevorteilten Küstenregion (Wärmedämmgebiet I), eben- ne Wärmespeicherung zu falschen Empfehlungen benutzt falls 25 cm dünn ausgeführt werden. Der Wärmeschutz der - von staatlichen Stellen. Die Wärmespeicherung wird noch 38 cm dicken Ziegelwand gilt in der Qualität auch für alle heute von interessierten Kreisen als „Argument“ gegen die anderen Bauteile (außer den Fenstern). „Bildet die Decke Wärmedämmung geführt. Wie man sieht, hat dies trübe von Wohnräumen ganz oder zum Teil zugleich das Dach, geistige Wurzeln. so ist sie so auszubilden, dass sie mindestens den gleichen Den Schwerpunkt der „Kohlensparkampagne“ legte man Schutz gegen Witterungseinflüsse bietet wie eine 38 cm 1921 auf das Nutzerverhalten. „Heize wirtschaftlich“, „Wär- starke Normalziegelsteinwand mit inneren Wandverputz mewirtschaft in der Küche“ usw. waren die ewigen The- (…) Eine Ausstakung der Balken- und Sparrenfelder bei De- men, die das Verhalten der Verbraucher ändern sollten. cken mit Strohlehm, darüber die Dachhaut und darunter Auch die 1934 in Kraft tretende DIN 4110, „Technische Be- die Schalung und Rohrputz ist als ausreichend anzusehen.“ stimmungen zur Zulassung neuer Bauweisen“ ging über [25] Auch das Fachwerkhaus wurde nicht angetastet: „Ins- den Wärmeschutz einer 38 cm dicken Vollziegelwand nicht besondere soll in Gegenden, in denen mehrgeschossiger hinaus, den neue Bauweisen einzuhalten hatten. Schluss- Fachwerkbau bodenständig ist, dieser für Einfamilienhäu- endlich zeigte der Holzbau, wie stark der Maßstab der 38 ser, Kleinhäuser und Mittelhäuser -wenn nötig mit der orts- cm starken Vollziegelwand die Gesellschaft durchdrungen üblichen Bekleidung als Wetterschutz- … zugelassen wer- hat. In den eignen „Gütevorschriften für den Holzbau“ des den.“ Fachwerk war auch für Nebenbauten zulässig, ohne deutschen Zimmererhandwerkes hieß es 1928: „3. Wärme- dass besondere Anforderungen an den Wärmeschutz der haltung. Die Außenwände eines Holzhauses sollen densel- Ausfachung gestellt wurden. [26] ben Wärmeschutz bieten, wie eine eineinhalb Stein starke, beiderseitig verputzte Ziegelvollwand.“ [29] Energiesparen in der Kohlenkrise 1918 Die erste staatliche Richtlinie zum Wärmebedarf von Ge- Die gleichwertige Vollziegelstärke bäuden entstand durch die Kohlennot nach dem 1. Welt- Die Bauphysik der damaligen Zeit entzog sich nicht dem krieg. Reparationszahlungen und der Verlust der oberschle- Druck der nun erst 60 Jahre alten Tradition der Ziegel- sischen Zechen forderten einen sparsameren Umgang bauweise. Man ging über die „Normalwand“ nicht hinaus, mit der Kohle, die im Deutschen Reich einen Anteil von obwohl man die besseren Techniken und ihre Wirtschaft- 90 % an allen Energieträgern hatte. Mit den „Richtlinien lichkeit kannte. In den dreißiger Jahren war der Bewer- zur Förderung der Wärmewirtschaft beim Wohnungsbau“ tungsmaßstab für die wärmetechnische Qualität von Bau- reagierte das Preußische Ministerium für Volkswohlfahrt teilen noch nicht festgelegt. In der Praxis befanden sich 1921 auf die Kohlennot. Im Inhalt blieb aber leider alles wie der k-Wert, die Wärmeleitfähigkeit und die „gleichwertige gehabt: „Die Wärmedurchlässigkeit der Außenwände darf Vollziegelstärke“. Mit letzterer legte J. S. Cammerer ein Mo- auf keinen Fall größer sein, als die einer 38 cm starken, bei- dell vor, mit dem alle baulichen Konstruktionen auf die wär- wksb | 65/2011 | 15
Titelthema | Produktanbieter. Auch das Bild 10 war eine „Werbung“ der Firma Torfoleum. Die Kohlenkrise nach dem 1. Weltkrieg führte zu einer ersten Energiespar-Informationskampagne. In Bayern wurde eine Landeskohlenstelle eingerichtet. Ihre „Ausstellung Wärmewirtschaft“ zeigte 1921 in München viele Wandkonstruktionen, die der 38 cm starken Vollzie- gelwand wärmetechnisch überlegen waren. Die beste Kon- struktion aus 12 cm starkem Fachwerk mit Torfmullfüllung und 3 cm starker innerer Gipsdielenbekleidung wies nur 36 % der Verluste der „1 ½-steinigen Normalwand“ auf. Dies widersprach den zeitgleich verabschiedeten „Wärmewirt- schaftlichen Richtlinien“ des Preußischen Staates. Die Ausstellung wurde durch eine von den Professoren Knoblauch, Schachner und Dr. Hencky erarbeitete Bro- schüre begleitet. [31] In ihr wurde ein Wohnhaus auf seine Energiesparmöglichkeiten durchgerechnet. Allerdings vari- iert die Rechnung nur die Kompaktheit (EFH, ZFH, Rei- henhaus) und die Anzahl und Lage der beheizten Zimmer, nicht den Wärmeschutz. Das Einsparmaximum beträgt für diese Maßnahmen 38 %. Bei den Außenwänden des Mo- dellhauses hielt man sich wieder an die 38 cm starke Voll- ziegelwand. Die „technische Physik“ formulierte also nicht Bild 10: Beispiel der gleichwertigen Vollziegelstärke am Haus am Horn in Weimar metechnische Qualität der 38 cm starken Vollziegelwand umgerechnet und bewertet wurden. Er begründet dies mit „psychologischen Gesichtspunkten“: „Die gleichwer- tige Vollziegelstärke ist heute jedem Architekten, der sich nicht allein auf rein künstlerische Tätigkeiten beschränkt, geläufig, während er nur selten eine genaue Vorstellung von der Begriffsbestimmung der Wärmeleitzahl hat.“ [30] Bild 12: Darstellung von Wärmeverlusten durch Schraffuren im Dieser Maßstab trug viel zur Dominanz der Ziegelbauweise Grundriss 1921 mit ihrem mäßigem Wärmeschutz bei. Er befand sich jahr- zehntelang in allen Anzeigen und Werbemaßnahmen der Bild 13: Energiesparmöglichkeiten durch kompaktes Bauen 1921 klar, wohin die Reise gehen sollte. Dies klärte die Geschich- te. Der deutsche Hochbau blieb bis nach dem II. Weltkrieg bei der 38 cm starken Vollziegelwand. Noch die Werbekam- pagne „Kohlenklau“ der Nationalsozialisten transportierte die Inhalte des verhaltensorientierten Sparens, wie zum Beispiel das Zusammenlegen beheizter Räume im Mehr- familienhaus, das in der Broschüre von 1921 erstmalig be- Bild 11: Energiespar - Ausstellung 1921 mit Teil „Die warme Wand“ rechnet wurde. Interessant geblieben ist die Darstellungsart 16 | wksb | 65/2011
| Titelthema der Verluste. Sie wurden durch die unterschiedliche Länge Geringer Dämmstoffabsatz dichter Schraffuren im Grundriss verdeutlicht. Eine Dämmstoff-Mengenstatistik gibt es für diese Zeit Zwischen Industrialisierung bis zum Ende des II. Welt- nicht. Im Jahr 1938 lag der Dämmstoffabsatz des Marktfüh- krieges gab es, trotz aller Debattenbeiträge, keine wirksa- rers, der Holzwolleleichtbauplatte, bei knapp 1 Mio. m³. Das men Impulse für eine Verbesserung des Wärmeschutzes sind 3 % der heutigen Mengen von ca. 30 Mio. m³. Zusam- im Hochbau. Der Hochbau war durch einen geringen men mit den übrigen Dämmstoffen mit kleineren Markt- Wärmeschutz mit Bauteil-U-Werten zwischen 1,0 und 1,6 anteilen werden 1,5 bis 2 Mio. m³ Dämmstoffe pro Jahr her- W/(m²K) geprägt. Die U-Werte für Fenster liegen noch gestellt worden sein. Die Firma Heraklith stellte selber fest: schlechter zwischen 2,3 und 4,8 W/(m²K). In der Weima- „Die Einführung des neuen Baustoffes in der Fachwelt war rer Zeit begann mit dem „Neuen Bauen“ eine Zeit des keine leichte Arbeit.“ [33] Die Bewerbung der Dämmstoffe Experimentierens mit neuen Baustoffen und Formen. Die geschah ausschließlich durch die einzelnen Dämmstoff- Betonbauweise dringt in den Hochbau vor, das Flachdach produzenten selbst. Weder Staat noch Wissenschaft halfen. wurde entwickelt. Viele Kunststeine wie Schlackensteine, Verbände der Dämmstoffwirtschaft, gab es noch nicht. So Kunstbims, Zellenbeton (Porenbeton), Gitterziegel und bleibt Dr. E. Raisch`s Hoffnung unerfüllt, wenn er schon Langlochziegel kamen auf den Markt. Große Steinformate 1927 formulierte: „Die zahlenmäßige Veranschaulichung wurden ausprobiert und setzten sich (noch) nicht durch. der durch einen guten Wärmeschutz zu erzielenden Erspar- Leichtbeton- und Schwerbetonwandschalen wurden kom- nisse, war zu überzeugend, so dass man doch allenthalben biniert, Hohlsteindecken entwickelt. begreifen musste, dass unsere Kohle und die dafür aufzu- Die neuen Wandbaustoffe orientierten sich jedoch wie- wendenden Kosten nicht zu einer unsinnigen Beheizung der am Wärmeschutz der 38 cm starken Ziegelwand. Bei des Weltalls vergeudet werden sollten.“ [34] besserer Wärmeleitfähigkeit wurden die Konstruktionen schlanker, so dass im Effekt wieder ein U-Wert um 1,5 W/ Die Dämmschichtdicken in Decken und zwischen oder (m²K) entstand. Einzig die Betonbauweise mit Stahl- oder unter den Sparren lagen in dieser Zeit bei 2 - 4 cm. Das Schwerbeton erforderte Dämmstoffe, da bei einer Wärme- Bild 14 zeigt das ambionierte Haus am Horn in Weimar, leitfähigkeit um 2,1 W/(mK) ein gesundes Wohnen hinter bei dem die neue großformatige Mauerwerksbauweise mit nackten Betonwänden und -decken nicht möglich ist. Des- einer Kerndämmung der Wände versehen wurde. Selbst halb haben die meisten Zementwerke seit den zwanziger hier, beim „Neuen Bauen“ der Weimarer Zeit waren nur Jahren Dämmstofftöchter. Jobst Siedler fasste die Bauwei- drei Zentimeter Torfplatten das Maß. Noch immer lag es sen dieser Zeit in „Die Lehre vom Neuen Bauen“ 1932 zu- jenseits der Vorstellungswelt, Dämmstärken von 6 oder 10 sammen. [32] cm auch nur zu denken, geschweige denn, zu rechnen. Das „Haus am Horn“ in Weimar wurde 1929 erbaut. Es gehörte zu den ambionierten Bauten des „Neuen Bau- ens“. In dieser Zeit wurden nicht nur neue Formen und das Flachdach, sondern auch neue Baumaterialien aus- probiert. Der JURKO-Stein war ein 8 cm starker Schla- ckenbetonstein mit der Wärmeleitfähigkeit um 0,5 W/ (mK). Er wurde durch 3 cm Torfplatten ergänzt. Zusam- men ergab sich ein U-Wert von 0,9 W/(m²K), bei einer schlanken Wand von 19 cm Stärke. Die Hälfte der übli- chen Wandstärke, ein um 42 % besserer Wärmeschutz und geringere Baukosten. Die großformatige Wandbau- weise war ein Beitrag zur Rationalisierung des Mauer- werksbaus. Sie konnte sich, trotz aller guten Argumente, damals noch nicht durchsetzen. Bild 14: Eine typische Dämmstoffdicke für die Zwischenkriegszeit wksb | 65/2011 | 17
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