Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
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Impressum Publikation Nr. 02 | 2013 «Lebendige Kirche – Persönliche Perspektiven und Ausblicke» Herausgeberin: Kirchgemeinde Bäretswil 1. Auflage 2013: 1000 Ex. Kontakt: Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Bäretswil Schulhausstrasse 12 8344 Bäretswil Telefon 043 833 65 51 www.refkirche-baeretswil.ch sekretariat.baeretswil@zh.ref.ch Redaktion: Daniel Stoller-Schai, Sabrina Müller (Redaktionsplan und AutorInnenbetreuung) Lektorat: Barbara Walder Gestaltung: Marcel Sharma Druck: Media-Center Uster AG, Neugrütstrasse 2, 8610 Uster; www.mcu.ch Bildnachweis: S.9: form23/photocase.com; S.11: misterQM/photocase.com; S.19: groessel/photocase.com; S.21: Jul B./photocase.com; S.25: deyangeorgiev/photocase.com; S.27: the Cramer/photocase.com; S.29 Jo.Sephine/photocase.com; S.33 akai/photocase.com; S.37 Klaus Gärtner/photocase.com; S.39 suze/photocase.com; S.41 Bratscher/photocase.com 2
Lebendige Kirche? Persönliche Perspektiven und Ausblicke Liebe Leserin, lieber Leser • Eine bunte Blumenwiese – in grosser Vielfalt, die ansteckt zur Freude Das Thema «Lebendige Kirche» bewegt die Kirchenlandschaft • Wenn ich sehe und miterlebe, wie unsere Jungen aktiv sind in Westeuropa und die Landeskirchen in der Schweiz. Auch vor • Positive Inputs für mein Leben der Zürcher Landeskirche haben die Fragen nach zukunftsfähigen • Veränderung durch den Heiligen Geist Strukturen und Finanzen nicht haltgemacht. In unserer Kirchge- • Gott feiern meinde in Bäretswil hat die Auseinandersetzung mit solchen The- • Tankstelle men zur grundlegenden Frage nach dem Wesen von Kirche geführt: • Leib von Jesus Christus • Wie nehmen die Menschen Kirche wahr? • Heimat und Freundschaft • Was verbinden sie mit Kirche? • Ort der Gemeinschaft mit Gott und Menschen • Was für Bilder und Assoziationen wecken die Begriffe «lebendig» und «Kirche»? Mit dieser Publikation möchten wir Gedankenanstösse für die Wir haben Menschen aus Bäretswil, dem Kanton Zürich, der Gestaltung von Kirche und vor allem Hoffnung und Leidenschaft Schweiz und aus England gebeten, einen Artikel zu ihren persön- weitergeben. lichen Perspektiven und Ausblicken zu schreiben. Es sind Men- Wir danken an dieser Stelle allen, welche sich beteiligt haben und schen zwischen 3,5 und 85 Jahren mit unterschiedlichen Funktio- lebendige Bilder von Kirche in sich tragen und sich so für das nen und aus verschiedenen Kirchengemeinschaften. Reich Gottes einsetzen. Diese Publikation ist die zweite ihrer Art. Wir erachten es als wich- Unser Ziel war es, der Vielfalt an Bildern von «Lebendiger Kirche» tigen Bestandteil heutiger Gemeindearbeit, dass Menschen über eine Plattform zu bieten und ganz unterschiedlichen Menschen Gott und die Kirche sprechen. Wir wünschen viel Spass beim Le- eine Stimme zu geben. Als Startschuss diente ein «Mitenand- sen und nehmen Anregungen und Feedbacks gerne entgegen. Gottesdienst» in Bäretswil im Sommer 2013, bei dem wir die Frage stellten: «Was ist lebendige Kirche für mich?» Ein kleiner Das Redaktionsteam: Auszug daraus: Pfrn. Sabrina Müller Daniel Stoller-Schai, Präsident Kirchenpflege Bäretswil • Gemeinsam Gott nachjagen • Die Vielfalt der Beteiligten Bäretswil, Dezember 2013 3
Inhaltsverzeichnis Remo Kündig, 17-jährig, Kaufmännischer Angestellter in Ausbildung 5 Catherine Ernst, Psychologin FSP in Uster 6 Tania Oldenhage, PD Dr. theol., Pfrn. der ref. Kirche Zürich-Fluntern 7 Christoph Weber-Berg, Pfr. Dr. theol., Kirchenratspräsident des Kanton Aargau 8 Andreas «Boppi» Boppart, Missionsleiter Campus für Christus Schweiz10 Christian Ninck, Heilpädagoge, Sozialtherapeut, La Colombe Suisse12 Pater Daniel Emmenegger, Benediktiner in Einsiedeln13 Thomas Schlag, Professor der Praktischen Theologie, Universität Zürich UZH14 Joris Stauber, 3,5-jährig15 Susanna und Ernst Oppliger, Kirchgemeindemitglieder, ref. Kirchgemeinde Bäretswil16 Alister Lowe, Pfr. in der methodistischen Kirche in Manchester18 Marc Heise, Pfr. ref. Kirche Bäretswil20 Matthias Walder, Pfr. ref. Kirche Hinwil und Dekan Pfarrkapitel Hinwil22 Kristina Hofstetter, Ethnologiestudentin in Basel23 Barbara Wyss, Bereichsleiterin am Institut für Gemeindebau und Weltmission Zürich (IGW)24 Rita Famos, Pfrn., Abteilungsleiterin der Abteilung Seelsorge Zürcher Landeskirchen26 Peter Hatt, Co-Leiter «Männertreff», Webmaster der Kirchgemeinde Bäretswil28 Michel Müller, Pfr., Kirchenratspräsident der ref. Landeskirche des Kantons Zürich30 Lucrezia Steiner, 17-jährig, Gymnastik Diplomschule31 Matthias Krieg, Dr. theol. et phil. Leiter der Abteilung Bildung Zürcher Landeskirchen32 Martin Fischer, Präs. Bezirkskirchenpflege Hinwil, VPräs. Kirchensynode des Kantons Zürich34 Hanna Bernhard, Kirchgemeindemitglied der ref. Kirche Bäretswil35 Daniel Stoller-Schai, Dr. oec., lic. phi. I, Kirchenpflegepräsident ref. Kirchgemeinde Bäretswil36 Anna Maria Matsch, Lehrerin, Katechetin und Kirchgemeindemitglied ref. Kirche Bäretswil38 Sabrina Müller, Pfrn. ref Kirche Bäretswil und Doktorandin zu: fresh expressions of Church40 Jürg Spaak, 22-jährig, Mathematikstudent, freiwilliger Mitarbeiter im Cevi Gossau ZH42
Remo Kündig 17-jährig, Kaufmännischer Angestellter in Ausbildung Oft haben Menschen ein völlig fal- an verschiedenen Charakteren und der grosse Altersunterschied sches Bild von der Kirche, man denkt eine Rolle spielen. Wenn es Angebote für Jung und Alt gibt, sich alle vielerorts, die Kirche gestaltet nur mit Leidenschaft einsetzen und sich alle dabei wohlfühlen, denke Gottesdienste, unterrichtet Kinder im ich, dass dann Lebendigkeit garantiert ist. Eine andere Sichtweise Glauben, tauft, verheiratet und be- in Bezug auf die Lebendigkeit der Kirche ist für mich, dass man die erdigt Menschen und kümmert sich Arbeit, welche man für die Kirche verrichtet, oder das Besuchen noch teils um ältere Menschen. Ich der Gottesdienste am Sonntagmorgen nicht als eine Pflicht sieht, denke, Kirche ist mehr als das. In mei- sondern dass es ein Bedürfnis ist und man frei ist in der Entschei- ner Kirchgemeinde gibt es, wie zum dung, was man macht. Etwas, was mir besonders gut gefällt, ist, Beispiel im Cevi oder Konfirmations- wenn man die Freundschaft und Gemeinschaft, die man während unterricht, viele freiwillig engagierte dieser Zeit, zum Beispiel im Konfirmationsunterricht, pflegt, auch Mitarbeiter. Diese freiwilligen Helfer nach aussen trägt und ausserhalb von der Kirche eine solche Ge- organisieren Anlässe, setzen sich für meinschaft sucht, wo man zusammen in Christus wachsen kann. andere Menschen ein und wirken in Ein Beispiel dafür ist, dass meine Kollegen und ich einen Hauskreis einer Gruppe mit. Alleine durch die Menge freiwilliger Mitarbeiter gestartet haben, wo wir selbstständig und unabhängig von unserer wird die Kirche lebendiger und ist so auch stark von den Jungen Kirchgemeinde uns mit dem Glauben auseinandersetzen und eine vertreten. Beziehung zu Gott suchen und pflegen. Für mich persönlich ist eine lebendige Kirche nicht unbedingt ein Mein persönlicher Beitrag zu der Lebendigkeit in meiner Kirchge- bestimmter Ort, ich denke, eine lebendige Kirche ist dort, wo man meinde ist, dass ich mich engagiere im Konfirmationsunterricht sich offen und ehrlich über den Glauben unterhalten kann und Gott und teilweise auch an Anlässen mitwirke. Diese freiwillige Arbeit im Mittelpunkt ist, wo man sich als Gruppe mit Gott beschäftigt verrichte ich sehr gerne, weil ich mich mit Jugendlichen beschäf- und eine gute Gemeinschaft pflegt. Im Matthäus 18, Vers 20 steht: tigen kann und dies eine spannende Arbeit finde, und ausserdem «Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin lerne ich immer mehr im Glauben und auch anderweitig in mei- ich in ihrer Mitte.» Denn Gott hat eine Vorliebe für lebendige Kirchen, nem Leben dazu. Dieser Entscheid, als Konfirmations-Co-Leiter und wenn wir uns in Gruppen auch ausserhalb der Kirchgemeinde zu arbeiten, war ein Entscheid, den ich bis heute nicht bereue, mit Gott beschäftigen, dann kann Gott leichter zu uns als Gruppe denn ich habe eine gute und starke Beziehung zu Gott aufbauen sprechen und in uns wirken. Ausserdem denke ich, dass die Vielfalt können und dabei eine Menge tolle Menschen kennengelernt. 5
Catherine Ernst Psychologin FSP in Uster Für mich persönlich ist eine leben- sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte» (geschrieben im dige Kirche eine Gruppe von Men- Matthäusevangelium Kapitel 18, Vers 20). schen, die nahe bei Gott und nahe bei den Menschen lebt. Kirche wird Begleiten heisst auch Anleitung in christlicher Spiritualität, die durch Beziehungen gebaut. Sie ist sich an Worten und Bildern aus der Bibel orientiert. Diese bieten gegründet auf Gottes Beziehung zu die Möglichkeit, auf einer Herzensebene die Gegenwart von Jesus uns, unserer Beziehung zu ihm und Christus zu erleben, welche heilt und befreit. «Unsere Aufgabe in den Beziehungen untereinander. Eine diesem Leben ist, das Auge des Herzens zu heilen, mit dem Gott lebendige Kirche begleitet Menschen in ihrem Glaubensleben und gesehen wird» (Augustinus). Menschen sehnen sich nach einer in ihrem Alltag, und sie baut Brücken zu Menschen, die keinen Kon- tiefen und heilsamen Begegnung mit Gott. Wir sind geschaffen für takt zur Kirche haben. die Beziehung zu Gott. Gott will uns in Jesus Christus begegnen, er sehnt sich danach, unsere tiefsten Bedürfnisse nach Liebe und In einer lebendigen Kirche wachsen Menschen in Beziehungen zu- Geborgenheit zu erfüllen. Eine lebendige Kirche ermutigt Menschen einander, sie sind füreinander da, unterstützen sich im Alltag. Es darin, in ihrem Glauben und Vertrauen an Jesus Christus zu wach- geht darum, Lebens-, Hilfs- und Festgemeinschaften zu gründen, sen, und begleitet Menschen auf ihrem Weg zu einer persönlichen Gastfreundschaft und eine Kultur der Wertschätzung zu pflegen Begegnung mit ihm. Jesus Christus sagt: «Ich bin das Brot des – zusammen essen und reden, einander besuchen und helfen, mit- Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich einander lachen und weinen, Feste und Gottesdienste feiern. Kirche glaubt, wird nie mehr dürsten» (geschrieben im Johannesevangeli- ist eine Lebensgemeinschaft, in der das Evangelium als Hoffnung um Kapitel 6, Vers 35). hineingestreut wird. Sie ist ein Ort, wo Fragen und Zweifel, Hoffnung und Glaube, Freud und Leid geteilt werden. Das erfordert Regel- Eine lebendige Kirche ermöglicht Menschen und begleitet sie darin, mässigkeit in Beziehungen, Verfügbarkeit und Verlässlichkeit. Eine ihre Gottesbeziehung auf verschiedene Arten und Weisen auszu- lebendige Kirche geht zu den Menschen und holt sie dort ab, wo drücken – durch Musik, Tanz, Theater, Poesie und vieles mehr. Über sie sind. Das heisst auch, dass sie nicht an ein bestimmtes Gebäu- diesen Weg der Kreativität wird nicht nur der Intellekt des Menschen de gebunden ist. Kirche ist «bei den Menschen» und kann überall angesprochen, sondern der ganze Mensch, mit Herz und Nieren. stattfinden, auch unter freiem Himmel, beim Mittagstisch, im Spital, auf der Strasse. Wo Menschen miteinander unterwegs sind, gilt die Wie kann die Kirche auch in Zukunft lebendig bleiben? Indem sie Zusage von Jesus Christus: «Denn wo zwei oder drei versammelt nahe bei Gott und nahe bei den Menschen bleibt. 6
Tania Oldenhage PD Dr. theol., Pfrn. der ref. Kirche Zürich-Fluntern Eine lebendige Kirche ist für mich vor allem sind viele Wohnungen. Dieser Vers wurde im Rahmen des interreligi- eine weltoffene Kirche. Weltoffenheit – das ösen Dialogs oft zitiert, um zu sagen: In Gottes Haus ist Platz für vie- habe ich an meinem allerersten Arbeitstag le verschiedene Religionen. Ob muslimisch, jüdisch, buddhistisch als Theologin in der Schweiz erlebt. An die- oder christlich – jede Religion hat ihren Platz und ihre Berechtigung. sem Tag fand in einem kirchlichen Bildungs- haus eine Tagung statt. Ich kam direkt von Wenn Gott ein Haus hätte – wie sähe es aus? Gottes Haus ist kein den USA und hatte mich etwas verspätet. moderner Wohnkomplex, in dem alle Wohnungen gleich geschnit- Ich öffnete die Tür vom Tagungssaal. Drin- ten sind mit Schlaf- und Esszimmer, Küche, Bad. Ich denke nicht, nen war ein Podiumsgespräch am Laufen. dass wir die Religionen dieser Welt auf dasselbe Muster festlegen Zwei Musliminnen und zwei Christinnen sassen an einem Tisch und können. Ich glaube: Wenn Gott ein Haus hat, dann ist es bestimmt diskutierten miteinander. Es ging um das Thema Frieden und Ge- ein höchst phantasievolles Gebäude, in dem sich viele verschiede- walt in den Religionen. Das war im Frühling 2003. Zu der Zeit war ne Baustile abwechseln und manchmal ineinander übergehen. der Irakkrieg im Gange. Negative Bilder vom Islam zirkulierten in der Welt. Viele Leute in den USA und anderswo waren dabei, sich Die Wohnungen sind so unterschiedlich wie die religiösen Orte in abzugrenzen und abzuschotten gegenüber dem Fremden. In der der Stadt Zürich: manche ähneln dem Grossmünster, andere sehen Schweiz hab ich damals – vor zehn Jahren – das Gegenteil erlebt. völlig anders aus. In jeder Wohnung gibt es verschiedene Bräuche, Dort waren muslimische und christliche Frauen im Gespräch mitei- werden verschiedene Geschichten erzählt. Nicht alle haben die glei- nander und arbeiteten zusammen für den Frieden. chen Ressourcen. Manche Wohnungen brauchen Unterstützung, um zu überleben. Andere stehen seit Jahrhunderten fest und sicher Eine Kirche ist für mich dann lebendig, wenn sie sich öffnet für das auf der Erde. Manche Türen sind verschlossen, und man muss sich Gespräch mit anderen Kulturen und Religionen. Diese interreligiöse anmelden. Andere sind immer offen, und man kann hineinschnup- Tagung war meine erste Begegnung mit einer weltoffenen Kirche in pern. der Schweiz. Viele andere Begegnungen folgten. Wenn Gottes Haus viele Wohnungen hat, dann weiss ich, was ich Als Christin bin ich auf der Suche nach biblischen Bildern und Vor- mir wünsche: Ich wünsche mir eine Kirche, die mithilft, gemeinsame stellungen, die eine solche Haltung fördern können. Im Johannes- Terrassen, Gemeinschaftsgärten und Hinterhöfe zu bauen, in denen evangelium gibt es einen Vers, der im interreligiösen Dialog eine sich Menschen verschiedener Kulturen und Religionen aufeinander wichtige Rolle gespielt hat. Dort sagt Jesus: Im Haus meines Vaters einlassen. 7
Christoph Weber-Berg Pfr. Dr. theol., Kirchenratspräsident des Kanton Aargau Lebendige Kirche und zukunftsgerichtete Leitung Worin drückt sich die «Lebendigkeit» aus? In Gottesdiensten wird der Glaube gefeiert. In Seelsorge und Dia- Was ist für mich persönlich konie, in Mission und Entwicklungszusammenarbeit wird aus dem eine lebendige Kirche? Glauben gehandelt. Im Unterricht und in Bildungsangeboten wird Die Lebendigkeit einer Kirche hat nicht über den Glauben nachgedacht. Feiern, handeln, nachdenken: primär mit der Anzahl an Gottesdienst- Das ist Kirche für Herz, Hand und Kopf – Kirche für den ganzen teilnehmenden und Angeboten zu tun. Menschen. Eine lebendige Kirche spricht den ganzen Menschen «Wo zwei oder drei in meinem Namen an, sie spricht verschiedene Menschen an, sie motiviert Men- versammelt sind, da bin ich mitten unter schen, sich zu beteiligen. ihnen» (Mt. 18:20). Man mag einwenden, dass das die Antwort eines Kirchenrats- Was trage ich selber dazu bei? präsidenten sei, dessen Landeskirche jährlich eine durchschnitt- Als Kirchenratspräsident versuche ich mit Engagement und Auf- liche Kirchgemeinde an Mitgliedern verliert: «Zweckoptimismus.» wand Weichen so zu stellen, damit das Leben der Kirchgemein- Diesem Einwand trete ich entschieden entgegen: Wenn wir aufhö- den florieren kann. Doch genau hier zeigt sich, ob ich tatsächlich ren daran zu glauben, dass unsere Kirche – egal wie gross, egal auf die Lebendigkeit der Kirche vertrauen kann. Wenn unsere wie «aktiv» – allein aus Christus, allein aus dem gegenwärtigen Kirche lebt, so lebt sie nicht wegen meinen Aktivitäten, die letzt- Geist Gottes lebt, dann braucht es uns nicht. Dann sind wir nicht lich immer ungenügend und bruchstückhaft bleiben, sondern aus Kirche, sondern eine leere Hülle. Gott allein. Von Gott empfangen wir das Leben, durch Christus sind wir frei, Das hat auch etwas Entlastendes: Ich erinnere mich, wie mich der Geist trägt unsere Gemeinschaft. Von daher kommt unser ein Mann auf eine Predigt ansprach, die ich vor Jahren gehal- Auftrag, die gute Botschaft des Evangeliums in Wort und Tat freu- ten hatte. Dort hätte ich etwas gesagt, was ihm seither geblieben dig unter die Menschen zu bringen: Friede auf Erden und unter sei. Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Ich suchte die damalige den Menschen! Trost für Trauernde! Segen für die Armen und für Predigt auf meinem Computer. Auch nach der Lektüre wusste ich die, die Frieden und Gerechtigkeit stiften! Gott lieben und die Mit- nicht, worauf sich die Erinnerung dieses Mannes konkret bezog. menschen wie sich selbst. Da, wo diese Botschaft gelebt wird, ist Es wurde mir noch bewusster denn je: Was mein Tun und Lassen lebendige Kirche. bei Menschen bewirkt, liegt nicht in meiner Hand. Ich gebe mir 8
Mühe, eine gute Predigt zu schreiben. Doch die Hauptgedanken Ich darf glauben, dass die Kirche auch in Zukunft durch Gott le- meiner Rede gehen vergessen. Aber ein Nebensatz bewirkt etwas ben wird, weil ich weiss, dass das, was ich tue, zwar notwendig, im Leben eines Menschen. manchmal vielleicht sogar hilfreich, letztlich aber vergänglich ist. 9
Andreas «Boppi» Boppart Missionsleiter Campus für Christus Schweiz Kirche ist nicht tot. Kirche lebt. der von sich selbst sagt, dass er Weg, Wahrheit und Leben ist, im Zentrum ist, wird Kirche lebendig. Ohne ihn ist sie fade und leer, Kirche begeistert mich. Sie ist Gottes und wenn in ihr nicht gerade noch eine Orgel steht, wird sie an Plan A. Einen Plan B hat er nicht. Ich Geistlichkeit nicht wirklich von einem örtlichen Langhaar-Kanin- habe mich bewusst entschieden, Teil chen-Zuchtverein zu unterscheiden sein. einer lokalen Kirche zu sein. Glaube ist nicht einfach etwas, was sich nur Durch meine Arbeit als Referent an kirchlichen Veranstaltungen zwischen mir und Gott abspielt und habe ich Einblick in unterschiedlichste Kirchenformen quer durch niemanden sonst was angeht, wie alle Denominationen. Und klar ist: Wo Kirchen sich gegen aussen heute landläufig oft behauptet wird. richten und gesendet leben, lebt die Kirche – wo nicht, da stirbt Glaube hat auch eine starke Wir-Kom- sie ab. Letztere ähneln einem See, der keinen Abfluss mehr hat. ponente. Und diese kommt in einer Es kommt zu «Verstopfung» und beginnt unangenehm zu riechen. gesunden, lebendigen Gemeinschaft Kirche ist eine lebendige Gemeinschaft von Menschen, die Got- zu tragen. Das ist Kirche. tes Geist Raum geben und sich als in die Gesellschaft gesendet verstehen, wie es Jesus gesagt hat: «Wie mich der Vater gesandt Dabei beschränkt sich Kirche nicht einfach auf einen Sonntags- hat, so sende ich euch» (Joh 20,21). morgen-Gottesdienst. Gottesdienst ist Alltag – oder wie es Pau- lus im Römer 12,1 sagt: mein ganzes Leben Gott zu Verfügung Deshalb sammeln wir in unserer Kirche einmal pro Monat Esswa- stellen – nicht einfach nur eine Stunde am Sonntag. So lebe ich ren und Haushaltartikel und füllen sie während der Anbetungszeit persönlich dieses Miteinander auch bei uns zu Hause weiter, wo in Säcke ab für über 30 Familien oder Einzelpersonen, deren Geld wir mit Mitmenschen, Freunden und Nachbarn essen, über den im Moment gerade knapp ist. Und deshalb verbringen wir regel- Glauben austauschen und zusammen beten. mässig Zeit mit Asylanten oder haben wir gemeinsam mit ver- schiedenen Kirchen die Aktion Gratishilfe (www.aktiongratishilfe. Das Swissair-Grounding und die Finanzkrise sind symptomatisch ch) gestartet und durchgeführt – wir haben Kirche von der reinen für den schweren Stand der Kirche: Der postmoderne Mensch hat «Komm-du-Struktur» in eine «Wir-gehen-Struktur» bewegt. den Glauben an Institutionen und Systeme verloren. Aber Kirche, die Christus im Zentrum hat, ist nach wie vor ein Leuchtfeuer in Kirche, die sich verschenkt, lebt. Wer den Fokus gegen aussen düsteren Zeiten. Mehr denn je. Denn dort, wo der Sohn Gottes, hat, der muss auch nicht um seine Zukunft und die «Schäfchen» 10
bangen. Denn wenn wir uns als Kirche dorthin ziehen lassen, wo Gottes Herz sich hinbewegt, werden wir unweigerlich anziehend. Durch alle Denominationen hindurch erlebe ich diese Aufbrüche in Kirchen – oft werden sie bottom-up gestartet und sind dann erfolgreich, wenn sie top-down nicht gebremst, sondern vielmehr als belebend angesehen und gefördert werden. Kirche begeistert mich. Denn das Evangelium verliert nie seine Gültigkeit, aber die Form der Kirche muss immer wieder zeitge- mäss angepasst werden. Leider haben einige Kirchen das genau verkehrt herum verstanden: Sie haben das Evangelium anzupas- sen versucht und die Kirche antiquiert belassen. Solange eine Kirche den lebendigen Christus im Zentrum hat und sich nach Gottes lebendigem Wort, der Bibel, ausrichtet, wird es immer lebendige Kirchen geben. Und damit Hoffnung. 11
Christian Ninck Heilpädagoge, Sozialtherapeut, La Colombe Suisse In einer liberal geprägten Gemeinde der berni- sich bewusst, zum Herrschaftsbereich unseres Gottes zu gehören, der schen Landeskirche wurde ich getauft, konfir- ein Ende dieser Weltzeit herbeiführen und eine neue Welt schaffen wird. miert und bin darin aufgewachsen. Aber es war Lebendigkeit drückt sich darin aus, dass man sich kennt und Anteil kein Ort, wo ich mich wohlfühlte. Lebendigkeit aneinander nimmt, dass alle Generationen vorhanden sind, d.h. Fami- habe ich vor allem ausserhalb der Kirche erlebt: lien mit ihren spezifischen Bedürfnissen willkommen sind und auch die in einem Bibellesebund-Lager, als ich von Je- Jugendlichen sich ihrem Bedürfnis entsprechend ausdrücken können. sus Christus persönlich angesprochen wurde, in Auch Alleinstehende haben ihren Platz und auf die älteren Leute wird Mut-zur-Gemeinde-Wochen, in einer Fastenwo- Rücksicht genommen. Es gibt verschiedene Musikstile in der Kirche, che in Gnadenthal (Jesusbruderschaft), in Seel- die sich abwechseln, und es kommen entsprechend verschiedene Mu- sorgekonferenzen und Veranstaltungen von Campus für Christus und siktalente zum Einsatz. Ich erlebe einen wichtigen Teil der Lebendigkeit anderen. An all diesen Orten wurde dem Heiligen Geist gebührenden in unserem Hauskreis, wo man Anteil am persönlichen Ergehen nimmt Raum gegeben. und gibt und füreinander betet, wo man über Bibeltexte austauscht und Wegweisung in den Alltag mitnimmt. Wenn ich an die Kirche denke, ist sie dort lebendig, wo Menschen eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus haben und vom Dop- Was trage ich selber dazu bei? Ich nehme wenn möglich am Gottes- pelgebot der Liebe geleitet werden, wo sie sich in der Gemeinschaft dienst teil und helfe gelegentlich beim anschliessenden Kirchenkaffee engagieren und ihre verschiedenen Gaben einbringen können. Gebet, mit. Ich bin Mitglied in einem Hauskreis und nehme oft an den Män- Anbetung und Lobpreis nehmen einen wichtigen Platz ein, und es gibt neranlässen unserer Gemeinde teil. Im Team «Kirche weltweit» bringe verschiedene Seelsorgemöglichkeiten, die auf die diversen Belastun- ich meine diesbezüglichen Erfahrungen ein, da ich selber an einem gen und Nöte eingehen. Eine solche Gemeinschaft weiss sich mit der Hilfsprojekt im Kongo engagiert bin. Auch die Teilnahme am wöchent- weltweiten Gemeinde als dem Leib Christi verbunden, und es ist für sie lichen Gemeindegebet ist mir wichtig. Ausserdem freue ich mich, im selbstverständlich, sich um die Nöte der Brüder und Schwestern im Dorf oder bei anderen Anlässen Kirchenmitglieder zu treffen. Glauben zu kümmern und als gute Verwalter Gottes verantwortlich mit Geld, Reichtum und Armut umzugehen. Die Gemeinschaft wird mehr Wie kann Kirche auch in Zukunft lebendig bleiben? Wir brauchen gut als Organismus anstatt als Organisation erlebt. Dazu gehört auch, die fundierte Auslegung des Wortes Gottes, damit wir befähigt werden in Wurzel unseres Glaubens zu kennen, die im Volk Israel liegt, und auch unserem Alltag den Glauben zu leben, denn das gelebte Zeugnis wird das Bewusstsein, mit unserem Schöpfer, dem liebenden Vater im Him- immer wichtiger. Jesus Christus muss die Mitte unserer Gemeinde mel, verbunden zu sein. Eine lebendige christliche Gemeinschaft ist bleiben. 12
Pater Daniel Emmenegger Benediktiner in Einsiedeln Um nach der Lebendigkeit von Kirche zu fragen, doxe Weise, nämlich oft dann, wenn ich die Kirche leblos, unbeweg- möchte ich da ansetzen, wo Kirche für mich sel- lich und starr erfahre. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sich meine ber am unmittelbarsten erfahrbar ist, nämlich in eigenen Vorstellungen und Ideen von «Kirche» nicht mit dem decken, der christlichen Gemeinde oder Gemeinschaft, in was ich in Wirklichkeit vorfinde, und ich zugleich das Gefühl habe, der ich selber als Getaufter lebe. In meinem Fall dass sich nichts ändert (natürlich in die Richtung meiner eigenen Ide- ist diese Gemeinschaft das Kloster Einsiedeln. en) – wenn ich also gleichsam gegen eine Wand renne, die sich nicht bewegen lässt. Aber: Die unbewegliche Wand wirft mich auf mich Und dieses Kloster «steht voll im Saft», wie die selbst zurück und weist mir dadurch den Weg in meine Zelle (mein Zürichsee-Zeitung vor ein paar Jahren titelte, Zimmer). Die klösterliche Zelle ist der Ort der Ruhe, nicht nur der leib- nachdem ein von ihnen gestelltes Redaktoren-Team einen Uniho- lichen, sondern insbesondere auch der seelischen. In der Zelle ruhe ckey-Match gegen uns Mönche deutlich verlor. Auch wenn man auf ich bei Gott. Ich betrachte das Wort Gottes und versuche, ihm mein die zahlreichen Aufgaben, Arbeiten, Tätigkeiten und Projekte unseres Herz zu öffnen. Dabei erfahre ich, dass nicht zuerst die «Kirche» sich Klosters blickt, könnte man meinen, dass hier viel getan wird und viel bewegen muss, sondern ich mich selbst. läuft – dass hier somit «lebendige Kirche» ist. Und dann geschieht etwas Eigenartiges und zugleich Faszinieren- Aber ist es tatsächlich das, was die Lebendigkeit von Kirche aus- des: Im Masse, in dem ich mich bewegen und das Wort Gottes in macht? Ich merke deutlich, dass dem keineswegs so ist, ja dass da- mein Herz dringen lasse, in dem Masse verändert sich auch die Kir- mit die eigentliche Lebendigkeit der Kirche noch nicht mal annährend che, wird sie lebendig. Ich merke: «Kirche» ist nicht einfach etwas erfasst ist. Nur zu leicht schauen wir Menschen dorthin, wo sich etwas ausserhalb von mir, sondern ich selbst bin mit meiner ganzen Exis- bewegt, wo etwas passiert, wo etwas «los» ist. Auf einen einzelnen tenz zutiefst mit ihr verbunden. Die Kirche – das Kloster oder die Baum, der umfällt, werden wir bekanntlich sehr schnell aufmerksam, Kirchgemeinde – ist nicht in erster Linie eine Organisation, die man während ein ganzer wachsender Wald kaum Beachtung findet. Auch so oder anders verwalten und gestalten muss, sondern ein Organis- das eigentliche Leben der Kirche pulsiert sehr still und ruhig in ihrem mus. Ich selbst bin ein lebendiges Organ dieses Organismus, dessen tiefsten Innern. Es kann sich in konkreten Aktivitäten äussern, geht Lebensquell Christus ist. aber nie in ihnen auf, noch ist es mit ihnen identisch. Die Rebe bringt keine Frucht, wenn sie nicht am Weinstock bleibt (Joh Wie wird man auf dieses eigentliche Leben der Kirche aufmerksam? 15,4). Indem die Kirche jedes ihrer Glieder zum wahren Weinstock Nun, ich selber entdecke es immer wieder auf eine eigentlich para (Joh 15,1) führt, empfängt sie selbst das wahre und eigentliche Leben. 13
Thomas Schlag Professor der Praktischen Theologie, Universität Zürich UZH Was ist für mich persönlich eine lebendige Kirche? Gestalt annehmen: So etwa, wenn man sich in aller Ernsthaftig- Ich trete in meiner universitären keit und Aufmerksamkeit um einzelne Menschen kümmert, mit Ausbildung von Theologinnen tiefer Konzentration und Spiritualität miteinander und füreinander und Theologen für eine Kirche betet, wenn man Klage und Hoffnung teilt, Solidarität zeigt und ein, die aktiv und vorausset- sich wechselseitig zu neuen Lebensschritten ermutigt. zungslos für das Leben der Men- schen eintritt. Wenn ich dabei Was trage ich selber dazu bei? von einer «öffentlichen Kirche» Ich gehöre sicherlich nicht zu den «24-7»-Aktiven. Mein Engage- spreche, ist damit gemeint: ment in einer Kirchgemeinde ist aufgrund meiner recht mobilen eine Kirche, die denen Gehör beruflichen Existenz eher von punktueller Art. Aber durch eigene schenkt, denen sonst vielleicht niemand mehr zuhört, und die für Gottesdienste und Predigten, durch die Besuche von kirchlichen diejenigen eintritt, die Hilfe und Begleitung benötigen. Eine sol- Veranstaltungen oder die Beteiligung an einzelnen ehrenamtli- che öffentliche Praxis umfasst einerseits Situationen, in denen chen Initiativen und auch durch mediale Stellungnahmen ver- Menschen in Krisen, Sorgen und Nöten sind, andererseits auch suche ich meinen Teil dazu beizusteuern, dass Kirche öffentlich die Lebensmomente voller Freude, Glück und Dankbarkeit. Eine präsent ist. Zugleich gibt mir mein Beruf die Möglichkeit, in Ge- lebendige Kirche leidet mit dem Einzelnen mit, hofft mit ihm, be- meinden und Kirchenleitungen immer wieder neue Überlegungen tet für ihn und wird auch ganz praktisch dort aktiv, wo konkrete anzustossen. Wenn ich angefragt werde, einzelne Reformprojekte Schritte der Hilfe notwendig sind. oder Initiativen zu beraten, konkret zu begleiten oder zu kommen- tieren, so tue ich dies gerne. Und schliesslich versuche ich auch Worin drückt sich die «Lebendigkeit» aus? Theologiestudierende und junge Pfarrerinnen und Pfarrer dazu zu Ich persönlich denke in meiner Lehre und Praxis beim Stichwort motivieren, ihre berufliche Praxis mit Freude, Wachsamkeit und einer lebendigen Kirche nicht in erster Linie an eine kirchliche Leidenschaft anzugehen. Gemeinschaft, in der es «hoch hergeht». Natürlich ist es schön, wenn kirchliche Aktivitäten «vor aller Augen» erkennbar und er- Wie kann Kirche auch in Zukunft lebendig bleiben? lebbar sind. Und selbstverständlich zeigt sich Kirche durch eine Gott sei Dank, kann Kirche auf einen grossen Schatz an überlie- lebensfrohe und lebhafte Atmosphäre von ihrer positiven Seite. ferten Traditionen und auf viele gute Erfahrungen von Menschen Aber gerade in einer Kirche, die für das Leben der Menschen da mit Kirche und Kirchgemeinde zurückgreifen. Wir müssen dabei ist, darf aus meiner Sicht diese Lebendigkeit auch ganz andere keineswegs das Rad immer neu erfinden, indem etwa immer wie- 14
der neue Reformen und Projekte angestossen werden. Sondern Und so will ich in meiner Ausbildungspraxis vor allem vermit- manchmal hilft einfach schon die Besinnung auf die Wurzeln des teln: Eine lebendige und mitmenschliche Kirche zeigt sich in der eigenen Glaubens, um sich von der Lebendigkeit der Botschaft grösstmöglichen Bereitschaft zur Anerkennung des Anderen, anstecken zu lassen. Dafür ist es aber wesentlich, dass Kirche egal, woher jemand kommt, was diese Person mitbringt und mit Möglichkeiten und Räume gemeinsamen Zusammenlebens wie vielen Ecken und Kanten sie ausgestattet ist. Denn auch die- schafft und bereitstellt. Nur wenn Menschen gelingende und se können und sollen wesentliche Bestandteile eines Hauses der schätzenswerte Erfahrungen mit Kirche machen, werden sie die- lebendigen Steine werden. sen Schatz auch weitertragen wollen und können. Joris Stauber 3,5-jährig Mir gefällt an der Kirche, wenn ich auch dabei sein kann, am bes- ten wenn ausser meiner Mami auch mein Papi und mein kleiner Bruder dabei sind, die ganze Familie. In die Kinderhüeti gehe ich nicht so gerne, weil da meine Mami wieder weggeht und ich Angst bekomme. Am schönsten fände ich, wenn ich auch etwas zum Essen mit in die Kirche nehmen könnte. Die Geschichte von David und Goliath aus der Kinderbibel finde ich besonders spannend, und Noah gefällt mir auch, weil da ein grosses Schiff vorkommt. 15
Susanna und Ernst Oppliger Kirchgemeindemitglieder, ref. Kirchgemeinde Bäretswil Lebendige Kirche und der heilige Bund der Ehe gelebt wird. Da haben wir als ältere Ehepaare eine grosse Aufga- be und Verantwortung. Wir haben als Eltern mit unsern Kindern Was hat die Ehe zu tun mit der lebendigen Kirche? Lebendige Kir- und Enkeln einen reichen Schatz an Erfahrungen. Das soll uns che ist da, wo Menschen ihren Glauben an den dreieinigen Gott fähig machen, geistliche Elternschaft zu leben. Wir brauchen in leben und etwas von seinem lebendigen Kirchen geistliche Mütter und Väter, die Freude haben Reich in dieser Welt sichtbar an ihren «Kindern». Die Jungen brauchen unsere Unterstützung, machen. Dies geschieht, indem unsere Ermutigung. Unsere Offenheit für die neuen und andern sie einander wertschätzen und Ideen der nächsten Generation ist sehr wichtig. für Begegnungen offen sind. Wir haben es als Neuzuzüger in Als Ehepaar haben wir in dieser Welt und in der Kirche eine be- Bäretswil sehr geschätzt, dass sondere Berufung. Der Bund der Ehe wird in der Kirche vor Gott Leute nach dem Gottesdienst geschlossen und bekommt einen besonderen Segen. Anhand der auf uns zukamen, sich für uns einmalig schönen Liebe zwischen Mann und Frau will Gott uns et- interessierten und uns spontan zum Essen eingeladen haben. Wir was ganz Besonderes zeigen: Diese grosse Gabe Gottes an den staunten über die grosse Anzahl von freiwilligen MitarbeiterInnen. Menschen ist ein Bild für die Liebe Gottes zu seinem Volk. Davon Das ist ein riesiges Potential einer lebendigen Kirchgemeinde! Wir schreibt Jesaja: haben als Ehepaar gespürt, dass wir geschätzt werden und uns mit unsern persönlichen Fähigkeiten und Interessen einbringen Wie ein junger Mann sich mit seinem Mädchen verbindet, so wird können. sich dein Schöpfer für immer mit dir verbinden. Wie ein Bräutigam sich an seiner Braut freut, so wird dein Gott Freude an dir haben. Die Lebendigkeit einer Kirche zeigt sich in generationenübergrei- (Jes 62,5) fenden Angeboten und Engagements: Alte mit den Jungen und Junge mit den Alten. Das bedeutet, dass im Gemeindeleben Paulus nimmt im Neuen Testament diesen Gedanken auf und ver- Altes und Neues, Tradition und Innovation Platz haben müssen. gleicht die christliche Gemeinde mit der Braut und Jesus Christus Es muss alles in Bewegung bleiben, es darf nicht so sein, wie mit dem Bräutigam. Es gilt für das neutestamentliche Volk Gottes es immer war! Das ist zwar nicht immer einfach, aber überaus genau dasselbe: Gott hat in Jesus Christus den neuen Bund mit wichtig. Denn jede Generation muss ihren eigenen Glaubensweg allen Menschen geschlossen – aus Liebe! Es ist ein Liebesverhält- finden und ihre eigenen Formen, wie Glaube ausgedrückt und nis, es ist ein Liebesbund! 16
Die Bibel spricht davon, dass Mann und Frau «ein Fleisch wer- unvollkommenen Menschsein! Und auch das Scheitern einer Ehe den». Hier geht es um die Sexualität. Paulus versteht sie als das gehört zu unserm Menschsein. Das soll uns jedoch nicht davon Sichtbarwerden einer geistlichen Wahrheit und spricht von einem abhalten, den heiligen Bund der Ehe zu pflegen und zu schützen. «tiefen Geheimnis». Geheimnisse müssen wir nicht enträtseln Eine lebendige Kirche setzt sich dafür ein und bietet spezielle An- oder ganz verstehen, aber sie können gefeiert werden. Das Eins- lässe für Ehepaare an. werden von Mann und Frau ist solch ein Geheimnis, das gefei- ert werden darf. Paulus bezieht dieses «ein Fleisch werden» auf So wie der Regenbogen uns an den Bund Gottes mit allen Men- Christus und das Geheimnis des neuen Bundes: In diesem Er- schen erinnert, so darf und soll jede Ehe an den Bund erinnern, leben von sich verschenken und empfangen bestätigen und er- den Gott durch Jesus Christus mit uns geschlossen hat. neuern wir den Ehebund, den Liebesbund zwischen Mann und Frau. Dies ist die innigste und tiefste Verbindung zwischen zwei Menschen! Und auf diese Weise verbündet und verbindet sich in Jesus Christus der ewige Gott selbst mit dem Menschen. Wirklich ein Geheimnis! Wir feiern diesen Bund zeichenhaft im Abendmahl. Christus schenkt sich uns, seiner Kirche mit seinem Leib und Blut. Er hat sich für uns hingegeben. Als Ehepaare haben wir mitten in der Welt und einer lebendigen Kirche eine hohe, wunderbare Berufung! Wir dürfen und s ollen einander lieben und unsere Liebe zueinander soll für andere Men- schen etwas von Gottes uneingeschränkter und unbedingten Lie- be sichtbar machen! Das ist der tiefe Sinn einer Ehe, die vor Gott geschlossen und in seiner Liebe und Kraft gelebt wird. Dass wir dabei schon oft und immer wieder an unsere Grenzen gestossen sind und stossen, ist völlig klar. Es gehört zu unserm 17
Alister Lowe Pfr. in der methodistischen Kirche in Manchester What is a vital church for me personal? and give thanks for what God might reveal. I would therefore be Vital church for me is identifying were looking for signs of growth in discipleship for any church. These the very source of life exits in a chur- signs would be different depending on the context and people ch. It is not dependent on the nature of we are dealing with. A committed atheist who through contact church, whether it is lively or quiet but with a church acknowledges that there might be something bey- is it powered by the gift of the spirit. If ond our understanding might be considered to grow in disciple- it is powered by the spirit then it will be ship, compared to a person who has been coming to church for vibrant and move us towards disciple- over fifty years yet has failed to adopt discipleship principles may ship. be regarded as not growing. In the Great Commission (Matt 28) Je- One of the key points in discipleship is when a person moves sus gives a very particular instruction, from considering their own needs but considering the needs of ‘to make disciples’. What is vital about church is that it is a place others. We all need to be fed, but when our main or only focus were discipleship grows both in terms of depth of discipleship is on ourselves then we will stop growing. There is a point in a and the numbers. Depth of discipleship means becoming ever discipleship journey that we are challenged from our own needs more Christ like in all we say and do. In many ways if the depth of to serving others. This is a vital sign of church. discipleship exists then the numbers will follow because part of a discipleship is spreading the Good News and also when others What is my contribution to that? see what a difference it makes in our lives, some will want to As a minister I see my role as being more of a spiritual navigator know more. both to individuals and to the gathered community. It is part of my role to help people identify where they are, help them with To extend the life metaphor of church further, life means fed and the gift of the spirit to see where God is calling them and then to reproducing. Organisms that neither feed nor grow (reproduce) help develop a route. I can offer my insight and experience to the die. So we have a need to be fed on the presence of Jesus Christ situation but often I don’t have the answers and I offer to walk the and then to share that with others. unknown path together. In what ways is vitality expressed ? It is in the feeding that I am also fed. It is in serving others that I As I am merely mortal I can only look at this through my own eyes too am working our my discipleship priority. It is in trying to res- 18
pond to others questions, questions that I haven’t even thought of, challenges me rethink my faith. How can church in the future stay vital? What is vital for church both for today and tomorrow is to focus on growth of discipleship and then to look at how to adapt the- se principles to the context in which we live. Too much of our church today is focused on worship and creeds. Whilst these are important they should come out of a sense of discipleship. A person cannot worship God if they have neither an acceptance that God exists (in some form) nor have a concept of worship. They need to make a move in discipleship first. Too much of our worship is focused on us and our needs and not on others. Too much of our worship is focused on a form that has been dictated to us by the church we attend and hence does not communicate in a relevant form to the individuals. Church too needs to be a navigator helping people find a path. But I do not mean any path. To be church it must be a path that leads to being a disciple in Jesus Christ. 19
Marc Heise Pfr. ref. Kirche Bäretswil Wenn ich auf 18 Jahre Pfarramt in zwei melt sind, da bin ich mitten unter ihnen.» (Matthäus 18, 20) Und Gemeinden zurückblicke, kann ich sa- wo Jesus mittendrin ist, da ist eine Gemeinde auch lebendig. Das gen, dass ich in beiden Gemeinden, in bedeutet auch: Ohne den aktiven Einbezug freiwilliger Mitarbei- denen ich bisher tätig war, lebendige terInnen, denen auch Verantwortung durch die Gemeindeleitung Kirche erlebt habe. Interessant ist da- übertragen wird, gibt es keine lebendige Gemeinde. bei das Empfinden, dass die Gemein- de immer so lebendig ist, wie ich es Die Gemeinde lebt dann, wenn Christus in der Gemeinde lebt, selbst auch bin. Wenn ich mitten im oder anders gesagt, wenn Christus im Leben der Gemeindeglie- Leben stehe, Freude am Leben habe der Spuren hinterlässt und diese Spuren im Alltag der Menschen und Freude an der Begegnung mit den auf gute Art und Weise sichtbar werden. Die Lebendigkeit einer verschiedensten Menschen aller Art, Gemeinde hat weniger mit Engagement als mit der persönlichen dann erlebe ich lebendige Gemeinde. Gottesbeziehung zu tun. Gleichzeitig meine ich herausgefunden Wenn ich selber nicht gut drauf bin, wenn ich selber mit mir und zu haben, dass eine Gemeinde nur dann als lebendig und anzie- der Umwelt im Unreinen bin, dann nehme ich auch die Gemeinde hend wahrgenommen wird, wenn im Hintergrund gebetet wird. nicht als lebendig wahr. Das heisst: Ob eine Gemeinde lebendig Eine betende Gemeinde ist eine lebendige Gemeinde. Wahr- ist oder lebendig scheint, ist eine sehr subjektive Frage. Das er- scheinlich ist das so, weil ein betender Mensch immer auch ein lebe ich als Pfarrer immer wieder. Während einer von der Leben- demütiger Mensch ist oder zumindest sein sollte. Ein betender digkeit der Gemeinde schwärmt, kritisiert ein anderer gleichzeitig Mensch ist sich bewusst, dass er allein aus der Gnade Gottes ihre Passivität und beklagt, dass kaum noch Leben in ihr sei. Die lebt, und deshalb hat er nicht das Gefühl, er könne selbst eine Lebendigkeit der Kirche ist immer nur so fest ausgeprägt, wie es lebendige Gemeinde machen oder heranorganisieren. Eine leben- das Glaubensleben des einzelnen Gemeindegliedes ist. Man kann dige Gemeinde ist immer ein Geschenk Gottes, und eine Gemein- nicht grundsätzlich sagen: Diese Gemeinde ist lebendig, die an- de, die Demut nicht kennt, wird nicht als lebendig – sondern als dere nicht. Ich kann mich in einer Gemeinde, in der nach aussen hochnäsig und besserwisserisch wahrgenommen. nicht viel los ist, mit allem, was ich habe und mitbringe, engagie- Ein weiterer Punkt, der mir wichtig scheint, ist: Eine lebendige Ge- ren, und wenn ich dabei nur drei bis vier Gleichgesinnte finde, meinde ist immer auch eine liebende Gemeinde. Dabei ist wichtig, die sich mit mir zusammen für die Gemeinde einsetzen, kann ich dass die Gemeindeglieder die Liebe nicht nur untereinander prak- diese Gemeinde als lebendig empfinden. Jesus verdeutlicht das tizieren, sondern auch denjenigen Menschen mit offenen Herzen mit den Worten: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versam- begegnen, die mit der Gemeinde nichts zu tun haben wollen. Die 20
Liebe einer lebendigen Gemeinde hört nicht bei den eigenen Mit- man nicht nur von den Siegen, sondern auch von den Niederla- gliedern auf. Man liebt nicht nur diejenigen, die so beten, wie ich gen spricht und davon, wie man trotz des Scheiterns am Glauben bete oder die mir zustimmen, wenn ich in der Gemeinde etwas und am Vertrauen an und auf Gott festhalten will. sage oder tue. Das ist ein schwieriger Anspruch, aber der Wil- le dazu muss vorhanden sein. Eine lebendige Gemeinde sieht Aussenstehende auch nicht als Bekehrungsobjekte, sondern als Menschen, die von Gott wunderbar geschaffen sind und ihre ganz persönliche Geschichte mitbringen. So kann man sagen, dass eine lebendige Gemeinde ein verstehende, ja sogar eine mitlei- dende Gemeinde ist. Ich selbst habe noch nie eine Kirchgemeinde als lebendig erlebt, die sich nicht voll und ganz dem Evangelium von Jesus Chris- tus verpflichtet gefühlt hat. Eine Gemeinde ist nur dann lebendig, wenn das Evangelium von J esus Christus auch im Alltag gepre- digt, gehört und gelebt wird. Es reicht nicht, «nur» s ozial oder ka- ritativ zu sein, genauso wie es nicht reicht, «nur» dogmatisch und fromm zu sein. Zum Schluss: Im Lauf der Jahre habe ich gemerkt, wie wichtig es den Gemeindegliedern und auch Aussenstehenden ist, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin authentisch ist. Ich wirke dann glaub- würdig, wenn ich als Pfarrer auch bereit bin, über meine Fehler und Schwierigkeiten zu sprechen, nicht penetrant und dauernd, aber dann, wenn es nötig und angebracht ist. Die Menschen wol- len eine Pfarrperson erleben, die genauso um den Glauben und die Beziehung zu Gott ringt, wie sie selbst, und die ihnen gleich- zeitig auch aufzeigt, wie sie selber die Schwierigkeiten im Alltag mit Gottes Hilfe versucht zu bewältigen. Wichtig ist dabei, dass 21
Matthias Walder-Mäder Pfr. ref. Kirche Hinwil und Dekan Pfarrkapitel Hinwil Ganz persönlich ist für mich eine singende digkeit von Gott selber. Daher ist es die Kunst der Kirche, lebendig Gottesdienstgemeinschaft immer wieder Aus- zu bleiben in der Verbundenheit mit dem Leben aus Gott, lebendig druck einer lebendigen Kirche, egal, ob sie ein zu bleiben aus dem Geist von Gott! Dann kann die Kirche unschein- Lied aus dem Genfer Psalter oder eins von bar sein und doch lebendig. Sie kann schwach sein und arm, aber Chris Tomlin, ob sie rein und mehrstimmig doch lebendig. Ihre Mitglieder müssen nicht trendig sein, nicht at- oder halt einfach von Herzen singt. Menschen traktiv oder stark, trotzdem kann sie lebendig sein. Schwierige, fehl- sitzen nicht einfach da und lassen sich unter- bare, reizbare, neurotische, feige, ja engstirnige Menschen können halten, nein, sie erheben ihre Stimmen, um dazugehören, und trotzdem kann die Kirche lebendig sein, weil sie Gottes überwältigende Grösse zu besingen. nicht aus uns Sündern, sondern aus Gottes Vergebung ihre Kraft Natürlich ist das nur ein Ausdruck der Kirche, und ihr Leben schöpft. Und aus diesem Grunde verliert sie auch die wenn sie lebendig sein soll. Denn die christliche Gemeinde singt ja Hoffnung für die Welt und die Liebe zu den Menschen nicht. nicht nur – das wäre für einige dann doch eine grosse Herausfor- derung! –, sie hört auch und spricht, sie handelt und besinnt sich, Im konkreten Alltag der Kirchgemeinde ist also ausschlaggebend, sie denkt und sie hilft, sie feiert und leidet, sie lebt Gemeinschaft, dass sie nicht vor allem aus eigenen Kräften, sondern aus Gott lebt; glaubt, hofft und liebt. dass sie Gefäss wird und bleibt für Gottes Fülle in Christus, das ge- füllt wird und überfliesst; dass sie immer bedürftig und empfänglich Lebendig bedeutet dann für mich, dass Menschen als Teil der Kir- bleibt, ja demütige und mutige Bittstellerin ist vor Gott, dem sie alles che leben und handeln – leben und handeln können; und dies nicht Leben verdankt. oberflächlich oder widerwillig oder halbherzig, sondern mit Freude, mit Leidensbereitschaft und von ganzem Herzen. Der Grund: Sie Was sollte dann unmöglich sein? Was könnte der Kirche dann ihr sind selber gepackt von der leidenschaftlichen Liebe von Gott, die Leben und ihre Hoffnung rauben? Etwa Armut, Schwachheit, An- er uns in Jesus Christus erweist. Diese Liebe bleibt nicht an der fechtung? All das hat die Kirche schon durchgemacht. Oberfläche, sie geht unter die Haut, sie trifft den Menschen im Her- zen, wo er sich öffnen kann oder sich verschliesst. Ja, auch schwere Verfolgung und grosses Leid kann der Kirche ihr Leben nicht rauben. Weltweit gibt es heute viele Zeugnisse dieser Darum ist Kirche lebendig, eine Herzenssache, wo sie Teil ist von angefochtenen Kirche, die doch höchst lebendig ist aus Gott selber, Gottes Reich, Teil seiner Absicht und seines Plans für uns, für diese die sich versammelt und Gott lobt mit ihren Liedern, in allen Spra- Welt, für seine Schöpfung. Denn ihr Leben kommt aus der Leben- chen dieser Erde! 22
Kristina Hofstetter Ethnologiestudentin in Basel «Kirche bedeutet mir nichts.» So hätte gebracht wurde. Wohlgemerkt von einem Mann, der aussah, als noch bis vor nicht allzu langer Zeit meine trüge er selbst eine schwere Geschichte und einen dafür umso Antwort auf diese Frage gelautet. Dabei leichteren eigenen Geldbeutel mit sich herum. hätte ich die katholische Kirche, welcher ich angehöre, assoziiert mit kalten, grau- Der Puls dieser Kirche schlug im Takt meines Herzens inmitten en Mauern, (zu) engen Strukturen und der Trauer um einen geliebten, verstorbenen Menschen. unbeugsamer Tradition, also mit Din- Zum Rhythmus dieser Kirche tanzte ich innerlich, als ich eine gen, womit ich mich weder identifizieren durchgefrorene Surprise-Verkäuferin auf einen Kaffee einlud. konnte noch wollte. Und die Kraft dieser Kirche wogt in mir jedes Mal, wenn ich spüre: Ich bin. Mittlerweile habe ich realisiert, dass die- se Antwort nur bedingt stimmt. Besser Diese Form von Kirche vermag es aus meiner Sicht, in Anbetracht ist: Diese Form von Kirche, in meiner Vorstellung ein hierarchi- der unerklärlichen Tiefe des Lebens und Sterbens keine Erklärun- sches Gebilde, ein riesiges, von Vätern gesteuertes Mutterschiff, gen, dafür den Raum zu geben, sich dem Geheimnis auf eigene eine politische Schachfigur und ein Machtinstrument bedeutet Weise zu öffnen. Die Gemeinschaft, die daraus entsteht, ist weder mir nichts. Zweck noch Wahl, sondern Schicksal, denn wir alle sind davon betroffen. Aber es gibt noch eine andere Form, welche ich für mich ent- deckte und die mir wertvoll ist. Diese Form von Kirche hat eigent- lich keine Form, sondern manifestiert sich ständig neu. Sie lebt jetzt und jetzt und jetzt, ist spürbar und doch flüchtig und darum umso mehr geschätzt. Sie ist unabhängig von einem Gebäude, von Geld und Verträgen. Auch sie kann es laut, aber insgeheim ist sie leise. Ich muss wohl noch etwas konkreter werden: Den Atem dieser Kirche etwa spürte ich, als ich mein Portemon- naie verlor und es mir am nächsten Tag voll und ganz zurück- 23
Barbara Wyss Bereichsleiterin am Institut für Gemeindebau und Weltmission Zürich (IGW) Lebendige Kirche – und achte und respektiere beide Formen der Kirche. Letztend- sichtbare Kirche lich ist es nicht der Name der Denomination, der für Lebendigkeit steht. Lebendigkeit definiert sich viel mehr an der Tatsache, ob Es liegt auf der Hand, dass sich der wir in unserer christlichen Gemeinschaft den Lebenshauch Got- Begriff Kirche nicht durch ein Gebäude tes zulassen und in seine Mission, dieser Gesellschaft mit Liebe definiert. Allerdings manifestiert sich zu dienen, einstimmen. in der heutigen Zeit die Kirche oft am markantesten durch ihre Gebäude. Für mich bedeutet das, dass ich mich nicht nur in meiner christ- Als ehemalige Hochbauzeichnerin bin lichen Familie wohl- und befreit fühle, sondern dass ich dieses ich fasziniert von sakralen Bauten und Bewusstsein des Angenommen- und Freiseins auch in die Gesell- als Kirchbergerin lebe ich gar in einem schaft hineintrage. Konkret tue ich dies durch mein politisches Dorf, welches seinen Namen der statt- Engagement. Ich setze mich dafür ein, dass christliche Werte wie lichen Kirche auf dem Hügel verdankt. Dennoch gehe ich davon Respekt, Freiheit und Solidarität in die Kommissionsarbeit in der aus, dass Kirchen, Kapellen, Gemeindehäuser und Klöster ledig- politischen Gemeinde einfließen. Etliche Mitglieder meiner kirch- lich den Raum bieten für die lebendige Kirche. Ich wünsche mir lichen Gemeinde engagieren sich aktiv in unterschiedlichen poli- eine Kirche, die in der Gesellschaft sicht- und spürbar ist, auch tischen Gremien. wenn sie über keinen hohen Kirchenturm verfügt. Es sind die Menschen, die der Kirche Lebendigkeit einhauchen. Ziehen sich Als kirchliche Gemeinschaft wollen wir ein Ort der Zuflucht sein diese Menschen jedoch zurück in die Kirchengebäude und treffen für Menschen, die in der Gesellschaft wenig Raum und Anerken- sich mit gleichgesinnten Christen, bleibt auch diese Gemeinschaft nung finden. So haben wir in unserer Gemeinde keinen Pastoren unsichtbar für die Gesellschaft. Erst wenn sich Christen gemein- oder Pfarrer angestellt, sondern eine Seelsorgerin mit therapeu- sam aufmachen und sich in die Missio Dei einklinken, entsteht tischer Ausbildung. Diese Voraussetzung erlaubt es uns, Men- eine Lebendigkeit, die es vermag, Kirchenmauern zu sprengen. schen umfangreich in ihren Nöten zu begleiten. Zudem sind alle Gemeindeglieder gefordert zur Lebendigkeit des gemeindlichen Ich persönlich gehöre einerseits der reformierten Kirche und ande- Lebens beizutragen, da wir nicht über geistliche Profis verfügen, rerseits einer Freikirche an. Die Mitgliedschaft in der reformierten welche das Gemeindeleben am Laufen halten. Kirche habe ich mit meiner Geburt erlangt. In der Freikirche habe ich eine Familie gefunden. Ich bin stolz auf beide Zugehörigkeiten 24
Die Lebendigkeit der Gemeinde hängt vom Engagement jedes Einzelnen ab. Die Energie hinter dem Einsatz der einzelnen Kir- chenmitglieder gründet wiederum auf der Gnade und Kraft Gottes. Seine Kraft und unsere Bereitschaft aus dieser zu leben, erhält die Kirche auch in Zukunft lebendig und sichtbar in der Gesellschaft. 25
Rita Famos Pfrn., Abteilungsleiterin der Abteilung Seelsorge Zürcher Landeskirchen Was ist lebendige Kirche? Frau M. fand mit ihrem neuen, freiwilligen Engagement eine neue Ein Beispiel aus der Seelsorge Gemeinschaft, die es ihr ermöglichte, neue Freundschaften auf- zubauen. Sie fand eine herausfordernde Aufgabe, die sie befrie- Frau M. war schon immer Mit- digte und ihr das Bewusstsein stärkte, dass ihre Arbeit durchaus glied der reformierten Kirche. Da noch gefragt und geschätzt war. Durch gemeinsame Andachten sie jedoch alleinstehend war und im Projektteam, gemeinsamen Besuch von weiteren kirchlichen mit einem 100%-Pensum ihren Angeboten entdeckte Frau M. neu, wie wichtig ihr die Verwurze- Lebensunterhalt bestreiten muss- lung im christlichen Glauben war und welche Bereicherung christ- te, hatte sie in ihrer Freizeit keine liche Gemeinschaft bedeutet. Energie mehr, um die kirchlichen Veranstaltungen zu besuchen oder Eine von vielen Seelsorgegeschichten, die veranschaulichen, gar sich selber dafür zu engagieren. was lebendige Kirche ist: Lebendige Kirche ist dann, wenn Men- Ab und zu sass sie im Gottesdienst schen, unabhängig davon, wie nah sie bis jetzt der Kirche waren, und im Anschluss an einen Sonntagsgottesdienst bat sie mich ein offenes Ohr finden für ihre Nöte und jederzeit eine professio- für ein seelsorgliches Gespräch, weil ihr die anstehende Pen- nelle Begleitung in Anspruch nehmen können. Lebendige Kirche sionierung Sorgen bereitete: Der Betrieb, für den sie jahrelang ist, wenn Menschen eine Gemeinschaft finden, die sie trägt und gearbeitet hatte, musste Stellen abbauen und hatte Frau M. zur sie ihre Einmaligkeit, ihre Bedeutsamkeit wertschätzend erfah- frühzeitigen Pensionierung gedrängt. Wir versuchten in mehreren ren lässt. Lebendige Kirche ist, wenn Menschen sich engagieren Gesprächen die neue Situation vorwegzunehmen und die Sorgen können für das Wohl der ganzen Gemeinschaft und dadurch am zu benennen: Das Fehlen der Tagesstrukturen, das Wegfallen der eigenen Leib erfahren, wie wertvoll ihre Persönlichkeit und ihr Wir- regelmässigen sozialen Kontakte mit den Arbeitskolleginnen, die ken ist. Lebendige Kirche ist, wenn Menschen durch professio- fehlenden Herausforderungen und anderes mehr. Während den nelle Seelsorge, aber auch durch die Gemeinschaft mit anderen Gesprächen, in denen wir eine Zukunftsperspektive zu entwickeln Gemeindegliedern zu ihrem Glauben als Lebensgrundlage finden versuchten, fiel mir ein, dass in einem grossen Kirchgemeinde- und den Glauben, der auch Zeiten des Zweifels beinhaltet, in Ge- projekt Freiwillige gesucht wurden. Frau M. würde mit ihren Quali- meinschaft leben können. fikationen und Erfahrungen genau in diese Aufgaben passen. Frau M. entschied sich, ihr Engagement dem Kirchgemeindepro- Ich persönlich engagiere mich seit meinem 15. Lebensjahr für jekt zur Verfügung zu stellen. eine lebendige Kirche, in immer wieder wechselnden Rollen und 26
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