Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke

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Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Lebendige Kirche
Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Impressum

Publikation Nr. 02 | 2013 «Lebendige Kirche – Persönliche Perspektiven und Ausblicke»
Herausgeberin: Kirchgemeinde Bäretswil
1. Auflage 2013: 1000 Ex.
Kontakt:
Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Bäretswil
Schulhausstrasse 12
8344 Bäretswil
Telefon 043 833 65 51
www.refkirche-baeretswil.ch
sekretariat.baeretswil@zh.ref.ch
Redaktion: Daniel Stoller-Schai, Sabrina Müller (Redaktionsplan und AutorInnenbetreuung)
Lektorat: Barbara Walder
Gestaltung: Marcel Sharma
Druck: Media-Center Uster AG, Neugrütstrasse 2, 8610 Uster; www.mcu.ch
Bildnachweis: S.9: form23/photocase.com; S.11: misterQM/photocase.com; S.19: groessel/photocase.com;
S.21: Jul B./photocase.com; S.25: deyangeorgiev/photocase.com; S.27: the Cramer/photocase.com;
S.29 Jo.Sephine/photocase.com; S.33 akai/photocase.com; S.37 Klaus Gärtner/photocase.com;
S.39 suze/photocase.com; S.41 Bratscher/photocase.com

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Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Lebendige Kirche?
Persönliche Perspektiven und Ausblicke

Liebe Leserin, lieber Leser                                             • Eine bunte Blumenwiese – in grosser Vielfalt, die ansteckt
                                                                           zur Freude
Das Thema «Lebendige Kirche» bewegt die Kirchenlandschaft               • Wenn ich sehe und miterlebe, wie unsere Jungen aktiv sind
in Westeuropa und die Landeskirchen in der Schweiz. Auch vor            • Positive Inputs für mein Leben
der Zürcher Landeskirche haben die Fragen nach zukunftsfähigen          • Veränderung durch den Heiligen Geist
Strukturen und Finanzen nicht haltgemacht. In unserer Kirchge-          • Gott feiern
meinde in Bäretswil hat die Auseinandersetzung mit solchen The-         • Tankstelle
men zur grundlegenden Frage nach dem Wesen von Kirche geführt:          • Leib von Jesus Christus
    • Wie nehmen die Menschen Kirche wahr?                              • Heimat und Freundschaft
    • Was verbinden sie mit Kirche?                                     • Ort der Gemeinschaft mit Gott und Menschen
    • Was für Bilder und Assoziationen wecken die
      Begriffe «lebendig» und «Kirche»?                              Mit dieser Publikation möchten wir Gedankenanstösse für die
Wir haben Menschen aus Bäretswil, dem Kanton Zürich, der             Gestaltung von Kirche und vor allem Hoffnung und Leidenschaft
Schweiz und aus England gebeten, einen Artikel zu ihren persön-      weitergeben.
lichen Perspektiven und Ausblicken zu schreiben. Es sind Men-        Wir danken an dieser Stelle allen, welche sich beteiligt haben und
schen zwischen 3,5 und 85 Jahren mit unterschiedlichen Funktio-      lebendige Bilder von Kirche in sich tragen und sich so für das
nen und aus verschiedenen Kirchengemeinschaften.                     Reich Gottes einsetzen.
                                                                     Diese Publikation ist die zweite ihrer Art. Wir erachten es als wich-
Unser Ziel war es, der Vielfalt an Bildern von «Lebendiger Kirche»   tigen Bestandteil heutiger Gemeindearbeit, dass Menschen über
eine Plattform zu bieten und ganz unterschiedlichen Menschen         Gott und die Kirche sprechen. Wir wünschen viel Spass beim Le-
eine Stimme zu geben. Als Startschuss diente ein «Mitenand-          sen und nehmen Anregungen und Feedbacks gerne entgegen.
Gottesdienst» in Bäretswil im Sommer 2013, bei dem wir die
Frage stellten: «Was ist lebendige Kirche für mich?» Ein kleiner     Das Redaktionsteam:
Auszug daraus:                                                       Pfrn. Sabrina Müller
                                                                     Daniel Stoller-Schai, Präsident Kirchenpflege Bäretswil
   • Gemeinsam Gott nachjagen
   • Die Vielfalt der Beteiligten                                    Bäretswil, Dezember 2013
                                                                                                                                        3
Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Inhaltsverzeichnis

Remo Kündig, 17-jährig, Kaufmännischer Angestellter in Ausbildung                                5
Catherine Ernst, Psychologin FSP in Uster                                                        6
Tania Oldenhage, PD Dr. theol., Pfrn. der ref. Kirche Zürich-Fluntern                            7
Christoph Weber-Berg, Pfr. Dr. theol., Kirchenratspräsident des Kanton Aargau                    8
Andreas «Boppi» Boppart, Missionsleiter Campus für Christus Schweiz10
Christian Ninck, Heilpädagoge, Sozialtherapeut, La Colombe Suisse12
Pater Daniel Emmenegger, Benediktiner in Einsiedeln13
Thomas Schlag, Professor der Praktischen Theologie, Universität Zürich UZH14
Joris Stauber, 3,5-jährig15
Susanna und Ernst Oppliger, Kirchgemeindemitglieder, ref. Kirchgemeinde Bäretswil16
Alister Lowe, Pfr. in der methodistischen Kirche in Manchester18
Marc Heise, Pfr. ref. Kirche Bäretswil20
Matthias Walder, Pfr. ref. Kirche Hinwil und Dekan Pfarrkapitel Hinwil22
Kristina Hofstetter, Ethnologiestudentin in Basel23
Barbara Wyss, Bereichsleiterin am Institut für Gemeindebau und Weltmission Zürich (IGW)24
Rita Famos, Pfrn., Abteilungsleiterin der Abteilung Seelsorge Zürcher Landeskirchen26
Peter Hatt, Co-Leiter «Männertreff», Webmaster der Kirchgemeinde Bäretswil28
Michel Müller, Pfr., Kirchenratspräsident der ref. Landeskirche des Kantons Zürich30
Lucrezia Steiner, 17-jährig, Gymnastik Diplomschule31
Matthias Krieg, Dr. theol. et phil. Leiter der Abteilung Bildung Zürcher Landeskirchen32
Martin Fischer, Präs. Bezirkskirchenpflege Hinwil, VPräs. Kirchensynode des Kantons Zürich34
Hanna Bernhard, Kirchgemeindemitglied der ref. Kirche Bäretswil35
Daniel Stoller-Schai, Dr. oec., lic. phi. I, Kirchenpflegepräsident ref. Kirchgemeinde Bäretswil36
Anna Maria Matsch, Lehrerin, Katechetin und Kirchgemeindemitglied ref. Kirche Bäretswil38
Sabrina Müller, Pfrn. ref Kirche Bäretswil und Doktorandin zu: fresh expressions of Church40
Jürg Spaak, 22-jährig, Mathematikstudent, freiwilliger Mitarbeiter im Cevi Gossau ZH42
Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Remo Kündig                      17-jährig, Kaufmännischer Angestellter in Ausbildung
                           Oft haben Menschen ein völlig fal-             an verschiedenen Charakteren und der grosse Altersunterschied
                           sches Bild von der Kirche, man denkt           eine Rolle spielen. Wenn es Angebote für Jung und Alt gibt, sich alle
                           vielerorts, die Kirche gestaltet nur           mit Leidenschaft einsetzen und sich alle dabei wohlfühlen, denke
                           Gottesdienste, unterrichtet Kinder im          ich, dass dann Lebendigkeit garantiert ist. Eine andere Sichtweise
                           Glauben, tauft, verheiratet und be-            in Bezug auf die Lebendigkeit der Kirche ist für mich, dass man die
                           erdigt Menschen und kümmert sich               Arbeit, welche man für die Kirche verrichtet, oder das Besuchen
                           noch teils um ältere Menschen. Ich             der Gottesdienste am Sonntagmorgen nicht als eine Pflicht sieht,
                           denke, Kirche ist mehr als das. In mei-        sondern dass es ein Bedürfnis ist und man frei ist in der Entschei-
                           ner Kirchgemeinde gibt es, wie zum             dung, was man macht. Etwas, was mir besonders gut gefällt, ist,
                           Beispiel im Cevi oder Konfirmations-           wenn man die Freundschaft und Gemeinschaft, die man während
                           unterricht, viele freiwillig engagierte        dieser Zeit, zum Beispiel im Konfirmationsunterricht, pflegt, auch
                           Mitarbeiter. Diese freiwilligen Helfer         nach aussen trägt und ausserhalb von der Kirche eine solche Ge-
                           organisieren Anlässe, setzen sich für          meinschaft sucht, wo man zusammen in Christus wachsen kann.
                           andere Menschen ein und wirken in              Ein Beispiel dafür ist, dass meine Kollegen und ich einen Hauskreis
einer Gruppe mit. Alleine durch die Menge freiwilliger Mitarbeiter        gestartet haben, wo wir selbstständig und unabhängig von unserer
wird die Kirche lebendiger und ist so auch stark von den Jungen           Kirchgemeinde uns mit dem Glauben auseinandersetzen und eine
vertreten.                                                                Beziehung zu Gott suchen und pflegen.

Für mich persönlich ist eine lebendige Kirche nicht unbedingt ein         Mein persönlicher Beitrag zu der Lebendigkeit in meiner Kirchge-
bestimmter Ort, ich denke, eine lebendige Kirche ist dort, wo man         meinde ist, dass ich mich engagiere im Konfirmationsunterricht
sich offen und ehrlich über den Glauben unterhalten kann und Gott         und teilweise auch an Anlässen mitwirke. Diese freiwillige Arbeit
im Mittelpunkt ist, wo man sich als Gruppe mit Gott beschäftigt           verrichte ich sehr gerne, weil ich mich mit Jugendlichen beschäf-
und eine gute Gemeinschaft pflegt. Im Matthäus 18, Vers 20 steht:         tigen kann und dies eine spannende Arbeit finde, und ausserdem
«Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin           lerne ich immer mehr im Glauben und auch anderweitig in mei-
ich in ihrer Mitte.» Denn Gott hat eine Vorliebe für lebendige Kirchen,   nem Leben dazu. Dieser Entscheid, als Konfirmations-Co-Leiter
und wenn wir uns in Gruppen auch ausserhalb der Kirchgemeinde             zu arbeiten, war ein Entscheid, den ich bis heute nicht bereue,
mit Gott beschäftigen, dann kann Gott leichter zu uns als Gruppe          denn ich habe eine gute und starke Beziehung zu Gott aufbauen
sprechen und in uns wirken. Ausserdem denke ich, dass die Vielfalt        können und dabei eine Menge tolle Menschen kennengelernt.
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Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Catherine Ernst                     Psychologin FSP in Uster
                                Für mich persönlich ist eine leben-     sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte» (geschrieben im
                                dige Kirche eine Gruppe von Men-        Matthäusevangelium Kapitel 18, Vers 20).
                                schen, die nahe bei Gott und nahe
                                bei den Menschen lebt. Kirche wird      Begleiten heisst auch Anleitung in christlicher Spiritualität, die
                                durch Beziehungen gebaut. Sie ist       sich an Worten und Bildern aus der Bibel orientiert. Diese bieten
                                gegründet auf Gottes Beziehung zu       die Möglichkeit, auf einer Herzensebene die Gegenwart von Jesus
                                uns, unserer Beziehung zu ihm und       Christus zu erleben, welche heilt und befreit. «Unsere Aufgabe in
                                den Beziehungen untereinander. Eine     diesem Leben ist, das Auge des Herzens zu heilen, mit dem Gott
lebendige Kirche begleitet Menschen in ihrem Glaubensleben und          gesehen wird» (Augustinus). Menschen sehnen sich nach einer
in ihrem Alltag, und sie baut Brücken zu Menschen, die keinen Kon-      tiefen und heilsamen Begegnung mit Gott. Wir sind geschaffen für
takt zur Kirche haben.                                                  die Beziehung zu Gott. Gott will uns in Jesus Christus begegnen,
                                                                        er sehnt sich danach, unsere tiefsten Bedürfnisse nach Liebe und
In einer lebendigen Kirche wachsen Menschen in Beziehungen zu-          Geborgenheit zu erfüllen. Eine lebendige Kirche ermutigt Menschen
einander, sie sind füreinander da, unterstützen sich im Alltag. Es      darin, in ihrem Glauben und Vertrauen an Jesus Christus zu wach-
geht darum, Lebens-, Hilfs- und Festgemeinschaften zu gründen,          sen, und begleitet Menschen auf ihrem Weg zu einer persönlichen
Gastfreundschaft und eine Kultur der Wertschätzung zu pflegen           Begegnung mit ihm. Jesus Christus sagt: «Ich bin das Brot des
– zusammen essen und reden, einander besuchen und helfen, mit-          Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich
einander lachen und weinen, Feste und Gottesdienste feiern. Kirche      glaubt, wird nie mehr dürsten» (geschrieben im Johannesevangeli-
ist eine Lebensgemeinschaft, in der das Evangelium als Hoffnung         um Kapitel 6, Vers 35).
hineingestreut wird. Sie ist ein Ort, wo Fragen und Zweifel, Hoffnung
und Glaube, Freud und Leid geteilt werden. Das erfordert Regel-         Eine lebendige Kirche ermöglicht Menschen und begleitet sie darin,
mässigkeit in Beziehungen, Verfügbarkeit und Verlässlichkeit. Eine      ihre Gottesbeziehung auf verschiedene Arten und Weisen auszu-
lebendige Kirche geht zu den Menschen und holt sie dort ab, wo          drücken – durch Musik, Tanz, Theater, Poesie und vieles mehr. Über
sie sind. Das heisst auch, dass sie nicht an ein bestimmtes Gebäu-      diesen Weg der Kreativität wird nicht nur der Intellekt des Menschen
de gebunden ist. Kirche ist «bei den Menschen» und kann überall         angesprochen, sondern der ganze Mensch, mit Herz und Nieren.
stattfinden, auch unter freiem Himmel, beim Mittagstisch, im Spital,
auf der Strasse. Wo Menschen miteinander unterwegs sind, gilt die       Wie kann die Kirche auch in Zukunft lebendig bleiben? Indem sie
Zusage von Jesus Christus: «Denn wo zwei oder drei versammelt           nahe bei Gott und nahe bei den Menschen bleibt.
                                                                                                                                          6
Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Tania Oldenhage                       PD Dr. theol., Pfrn. der ref. Kirche Zürich-Fluntern
                        Eine lebendige Kirche ist für mich vor allem   sind viele Wohnungen. Dieser Vers wurde im Rahmen des interreligi-
                        eine weltoffene Kirche. Weltoffenheit – das    ösen Dialogs oft zitiert, um zu sagen: In Gottes Haus ist Platz für vie-
                        habe ich an meinem allerersten Arbeitstag      le verschiedene Religionen. Ob muslimisch, jüdisch, buddhistisch
                        als Theologin in der Schweiz erlebt. An die-   oder christlich – jede Religion hat ihren Platz und ihre Berechtigung.
                        sem Tag fand in einem kirchlichen Bildungs-
                        haus eine Tagung statt. Ich kam direkt von     Wenn Gott ein Haus hätte – wie sähe es aus? Gottes Haus ist kein
                        den USA und hatte mich etwas verspätet.        moderner Wohnkomplex, in dem alle Wohnungen gleich geschnit-
                        Ich öffnete die Tür vom Tagungssaal. Drin-     ten sind mit Schlaf- und Esszimmer, Küche, Bad. Ich denke nicht,
                        nen war ein Podiumsgespräch am Laufen.         dass wir die Religionen dieser Welt auf dasselbe Muster festlegen
Zwei Musliminnen und zwei Christinnen sassen an einem Tisch und        können. Ich glaube: Wenn Gott ein Haus hat, dann ist es bestimmt
diskutierten miteinander. Es ging um das Thema Frieden und Ge-         ein höchst phantasievolles Gebäude, in dem sich viele verschiede-
walt in den Religionen. Das war im Frühling 2003. Zu der Zeit war      ne Baustile abwechseln und manchmal ineinander übergehen.
der Irakkrieg im Gange. Negative Bilder vom Islam zirkulierten in
der Welt. Viele Leute in den USA und anderswo waren dabei, sich        Die Wohnungen sind so unterschiedlich wie die religiösen Orte in
abzugrenzen und abzuschotten gegenüber dem Fremden. In der             der Stadt Zürich: manche ähneln dem Grossmünster, andere sehen
Schweiz hab ich damals – vor zehn Jahren – das Gegenteil erlebt.       völlig anders aus. In jeder Wohnung gibt es verschiedene Bräuche,
Dort waren muslimische und christliche Frauen im Gespräch mitei-       werden verschiedene Geschichten erzählt. Nicht alle haben die glei-
nander und arbeiteten zusammen für den Frieden.                        chen Ressourcen. Manche Wohnungen brauchen Unterstützung,
                                                                       um zu überleben. Andere stehen seit Jahrhunderten fest und sicher
Eine Kirche ist für mich dann lebendig, wenn sie sich öffnet für das   auf der Erde. Manche Türen sind verschlossen, und man muss sich
Gespräch mit anderen Kulturen und Religionen. Diese interreligiöse     anmelden. Andere sind immer offen, und man kann hineinschnup-
Tagung war meine erste Begegnung mit einer weltoffenen Kirche in       pern.
der Schweiz. Viele andere Begegnungen folgten.
                                                                       Wenn Gottes Haus viele Wohnungen hat, dann weiss ich, was ich
Als Christin bin ich auf der Suche nach biblischen Bildern und Vor-    mir wünsche: Ich wünsche mir eine Kirche, die mithilft, gemeinsame
stellungen, die eine solche Haltung fördern können. Im Johannes-       Terrassen, Gemeinschaftsgärten und Hinterhöfe zu bauen, in denen
evangelium gibt es einen Vers, der im interreligiösen Dialog eine      sich Menschen verschiedener Kulturen und Religionen aufeinander
wichtige Rolle gespielt hat. Dort sagt Jesus: Im Haus meines Vaters    einlassen.
                                                                                                                                             7
Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Christoph Weber-Berg                              Pfr. Dr. theol., Kirchenratspräsident des Kanton Aargau
                         Lebendige Kirche
                         und zukunftsgerichtete Leitung                Worin drückt sich die «Lebendigkeit» aus?
                                                                       In Gottesdiensten wird der Glaube gefeiert. In Seelsorge und Dia-
                         Was ist für mich persönlich                   konie, in Mission und Entwicklungszusammenarbeit wird aus dem
                         eine lebendige Kirche?                        Glauben gehandelt. Im Unterricht und in Bildungsangeboten wird
                         Die Lebendigkeit einer Kirche hat nicht       über den Glauben nachgedacht. Feiern, handeln, nachdenken:
                         primär mit der Anzahl an Gottesdienst-        Das ist Kirche für Herz, Hand und Kopf – Kirche für den ganzen
                         teilnehmenden und Angeboten zu tun.           Menschen. Eine lebendige Kirche spricht den ganzen Menschen
                         «Wo zwei oder drei in meinem Namen            an, sie spricht verschiedene Menschen an, sie motiviert Men-
                         versammelt sind, da bin ich mitten unter      schen, sich zu beteiligen.
                         ihnen» (Mt. 18:20). Man mag einwenden,
                         dass das die Antwort eines Kirchenrats-       Was trage ich selber dazu bei?
präsidenten sei, dessen Landeskirche jährlich eine durchschnitt-       Als Kirchenratspräsident versuche ich mit Engagement und Auf-
liche Kirchgemeinde an Mitgliedern verliert: «Zweckoptimismus.»        wand Weichen so zu stellen, damit das Leben der Kirchgemein-
Diesem Einwand trete ich entschieden entgegen: Wenn wir aufhö-         den florieren kann. Doch genau hier zeigt sich, ob ich tatsächlich
ren daran zu glauben, dass unsere Kirche – egal wie gross, egal        auf die Lebendigkeit der Kirche vertrauen kann. Wenn unsere
wie «aktiv» – allein aus Christus, allein aus dem gegenwärtigen        Kirche lebt, so lebt sie nicht wegen meinen Aktivitäten, die letzt-
Geist Gottes lebt, dann braucht es uns nicht. Dann sind wir nicht      lich immer ungenügend und bruchstückhaft bleiben, sondern aus
Kirche, sondern eine leere Hülle.                                      Gott allein.

Von Gott empfangen wir das Leben, durch Christus sind wir frei,        Das hat auch etwas Entlastendes: Ich erinnere mich, wie mich
der Geist trägt unsere Gemeinschaft. Von daher kommt unser             ein Mann auf eine Predigt ansprach, die ich vor Jahren gehal-
Auftrag, die gute Botschaft des Evangeliums in Wort und Tat freu-      ten hatte. Dort hätte ich etwas gesagt, was ihm seither geblieben
dig unter die Menschen zu bringen: Friede auf Erden und unter          sei. Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Ich suchte die damalige
den Menschen! Trost für Trauernde! Segen für die Armen und für         Predigt auf meinem Computer. Auch nach der Lektüre wusste ich
die, die Frieden und Gerechtigkeit stiften! Gott lieben und die Mit-   nicht, worauf sich die Erinnerung dieses Mannes konkret bezog.
menschen wie sich selbst. Da, wo diese Botschaft gelebt wird, ist      Es wurde mir noch bewusster denn je: Was mein Tun und Lassen
lebendige Kirche.                                                      bei Menschen bewirkt, liegt nicht in meiner Hand. Ich gebe mir
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Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Mühe, eine gute Predigt zu schreiben. Doch die Hauptgedanken    Ich darf glauben, dass die Kirche auch in Zukunft durch Gott le-
meiner Rede gehen vergessen. Aber ein Nebensatz bewirkt etwas   ben wird, weil ich weiss, dass das, was ich tue, zwar notwendig,
im Leben eines Menschen.                                        manchmal vielleicht sogar hilfreich, letztlich aber vergänglich ist.

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Lebendige Kirche Persönliche Perspektiven und Ausblicke
Andreas «Boppi» Boppart                               Missionsleiter Campus für Christus Schweiz
                          Kirche ist nicht tot. Kirche lebt.       der von sich selbst sagt, dass er Weg, Wahrheit und Leben ist, im
                                                                   Zentrum ist, wird Kirche lebendig. Ohne ihn ist sie fade und leer,
                          Kirche begeistert mich. Sie ist Gottes   und wenn in ihr nicht gerade noch eine Orgel steht, wird sie an
                          Plan A. Einen Plan B hat er nicht. Ich   Geistlichkeit nicht wirklich von einem örtlichen Langhaar-Kanin-
                          habe mich bewusst entschieden, Teil      chen-Zuchtverein zu unterscheiden sein.
                          einer lokalen Kirche zu sein. Glaube
                          ist nicht einfach etwas, was sich nur    Durch meine Arbeit als Referent an kirchlichen Veranstaltungen
                          zwischen mir und Gott abspielt und       habe ich Einblick in unterschiedlichste Kirchenformen quer durch
                          niemanden sonst was angeht, wie          alle Denominationen. Und klar ist: Wo Kirchen sich gegen aussen
                          heute landläufig oft behauptet wird.     richten und gesendet leben, lebt die Kirche – wo nicht, da stirbt
                          Glaube hat auch eine starke Wir-Kom-     sie ab. Letztere ähneln einem See, der keinen Abfluss mehr hat.
                          ponente. Und diese kommt in einer        Es kommt zu «Verstopfung» und beginnt unangenehm zu riechen.
                          gesunden, lebendigen Gemeinschaft        Kirche ist eine lebendige Gemeinschaft von Menschen, die Got-
                          zu tragen. Das ist Kirche.               tes Geist Raum geben und sich als in die Gesellschaft gesendet
                                                                   verstehen, wie es Jesus gesagt hat: «Wie mich der Vater gesandt
Dabei beschränkt sich Kirche nicht einfach auf einen Sonntags-     hat, so sende ich euch» (Joh 20,21).
morgen-Gottesdienst. Gottesdienst ist Alltag – oder wie es Pau-
lus im Römer 12,1 sagt: mein ganzes Leben Gott zu Verfügung        Deshalb sammeln wir in unserer Kirche einmal pro Monat Esswa-
stellen – nicht einfach nur eine Stunde am Sonntag. So lebe ich    ren und Haushaltartikel und füllen sie während der Anbetungszeit
persönlich dieses Miteinander auch bei uns zu Hause weiter, wo     in Säcke ab für über 30 Familien oder Einzelpersonen, deren Geld
wir mit Mitmenschen, Freunden und Nachbarn essen, über den         im Moment gerade knapp ist. Und deshalb verbringen wir regel-
Glauben austauschen und zusammen beten.                            mässig Zeit mit Asylanten oder haben wir gemeinsam mit ver-
                                                                   schiedenen Kirchen die Aktion Gratishilfe (www.aktiongratishilfe.
Das Swissair-Grounding und die Finanzkrise sind symptomatisch      ch) gestartet und durchgeführt – wir haben Kirche von der reinen
für den schweren Stand der Kirche: Der postmoderne Mensch hat      «Komm-du-Struktur» in eine «Wir-gehen-Struktur» bewegt.
den Glauben an Institutionen und Systeme verloren. Aber Kirche,
die Christus im Zentrum hat, ist nach wie vor ein Leuchtfeuer in   Kirche, die sich verschenkt, lebt. Wer den Fokus gegen aussen
düsteren Zeiten. Mehr denn je. Denn dort, wo der Sohn Gottes,      hat, der muss auch nicht um seine Zukunft und die «Schäfchen»
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bangen. Denn wenn wir uns als Kirche dorthin ziehen lassen, wo
Gottes Herz sich hinbewegt, werden wir unweigerlich anziehend.
Durch alle Denominationen hindurch erlebe ich diese Aufbrüche
in Kirchen – oft werden sie bottom-up gestartet und sind dann
erfolgreich, wenn sie top-down nicht gebremst, sondern vielmehr
als belebend angesehen und gefördert werden.

Kirche begeistert mich. Denn das Evangelium verliert nie seine
Gültigkeit, aber die Form der Kirche muss immer wieder zeitge-
mäss angepasst werden. Leider haben einige Kirchen das genau
verkehrt herum verstanden: Sie haben das Evangelium anzupas-
sen versucht und die Kirche antiquiert belassen.

Solange eine Kirche den lebendigen Christus im Zentrum hat und
sich nach Gottes lebendigem Wort, der Bibel, ausrichtet, wird es
immer lebendige Kirchen geben. Und damit Hoffnung.

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Christian Ninck                     Heilpädagoge, Sozialtherapeut, La Colombe Suisse
                    In einer liberal geprägten Gemeinde der berni-       sich bewusst, zum Herrschaftsbereich unseres Gottes zu gehören, der
                    schen Landeskirche wurde ich getauft, konfir-        ein Ende dieser Weltzeit herbeiführen und eine neue Welt schaffen wird.
                    miert und bin darin aufgewachsen. Aber es war        Lebendigkeit drückt sich darin aus, dass man sich kennt und Anteil
                    kein Ort, wo ich mich wohlfühlte. Lebendigkeit       aneinander nimmt, dass alle Generationen vorhanden sind, d.h. Fami-
                    habe ich vor allem ausserhalb der Kirche erlebt:     lien mit ihren spezifischen Bedürfnissen willkommen sind und auch die
                    in einem Bibellesebund-Lager, als ich von Je-        Jugendlichen sich ihrem Bedürfnis entsprechend ausdrücken können.
                    sus Christus persönlich angesprochen wurde, in       Auch Alleinstehende haben ihren Platz und auf die älteren Leute wird
                    Mut-zur-Gemeinde-Wochen, in einer Fastenwo-          Rücksicht genommen. Es gibt verschiedene Musikstile in der Kirche,
                    che in Gnadenthal (Jesusbruderschaft), in Seel-      die sich abwechseln, und es kommen entsprechend verschiedene Mu-
sorgekonferenzen und Veranstaltungen von Campus für Christus und         siktalente zum Einsatz. Ich erlebe einen wichtigen Teil der Lebendigkeit
anderen. An all diesen Orten wurde dem Heiligen Geist gebührenden        in unserem Hauskreis, wo man Anteil am persönlichen Ergehen nimmt
Raum gegeben.                                                            und gibt und füreinander betet, wo man über Bibeltexte austauscht
                                                                         und Wegweisung in den Alltag mitnimmt.
Wenn ich an die Kirche denke, ist sie dort lebendig, wo Menschen
eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus haben und vom Dop-          Was trage ich selber dazu bei? Ich nehme wenn möglich am Gottes-
pelgebot der Liebe geleitet werden, wo sie sich in der Gemeinschaft      dienst teil und helfe gelegentlich beim anschliessenden Kirchenkaffee
engagieren und ihre verschiedenen Gaben einbringen können. Gebet,        mit. Ich bin Mitglied in einem Hauskreis und nehme oft an den Män-
Anbetung und Lobpreis nehmen einen wichtigen Platz ein, und es gibt      neranlässen unserer Gemeinde teil. Im Team «Kirche weltweit» bringe
verschiedene Seelsorgemöglichkeiten, die auf die diversen Belastun-      ich meine diesbezüglichen Erfahrungen ein, da ich selber an einem
gen und Nöte eingehen. Eine solche Gemeinschaft weiss sich mit der       Hilfsprojekt im Kongo engagiert bin. Auch die Teilnahme am wöchent-
weltweiten Gemeinde als dem Leib Christi verbunden, und es ist für sie   lichen Gemeindegebet ist mir wichtig. Ausserdem freue ich mich, im
selbstverständlich, sich um die Nöte der Brüder und Schwestern im        Dorf oder bei anderen Anlässen Kirchenmitglieder zu treffen.
Glauben zu kümmern und als gute Verwalter Gottes verantwortlich mit
Geld, Reichtum und Armut umzugehen. Die Gemeinschaft wird mehr           Wie kann Kirche auch in Zukunft lebendig bleiben? Wir brauchen gut
als Organismus anstatt als Organisation erlebt. Dazu gehört auch, die    fundierte Auslegung des Wortes Gottes, damit wir befähigt werden in
Wurzel unseres Glaubens zu kennen, die im Volk Israel liegt, und auch    unserem Alltag den Glauben zu leben, denn das gelebte Zeugnis wird
das Bewusstsein, mit unserem Schöpfer, dem liebenden Vater im Him-       immer wichtiger. Jesus Christus muss die Mitte unserer Gemeinde
mel, verbunden zu sein. Eine lebendige christliche Gemeinschaft ist      bleiben.

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Pater Daniel Emmenegger                                      Benediktiner in Einsiedeln
                    Um nach der Lebendigkeit von Kirche zu fragen,        doxe Weise, nämlich oft dann, wenn ich die Kirche leblos, unbeweg-
                    möchte ich da ansetzen, wo Kirche für mich sel-       lich und starr erfahre. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sich meine
                    ber am unmittelbarsten erfahrbar ist, nämlich in      eigenen Vorstellungen und Ideen von «Kirche» nicht mit dem decken,
                    der christlichen Gemeinde oder Gemeinschaft, in       was ich in Wirklichkeit vorfinde, und ich zugleich das Gefühl habe,
                    der ich selber als Getaufter lebe. In meinem Fall     dass sich nichts ändert (natürlich in die Richtung meiner eigenen Ide-
                    ist diese Gemeinschaft das Kloster Einsiedeln.        en) – wenn ich also gleichsam gegen eine Wand renne, die sich nicht
                                                                          bewegen lässt. Aber: Die unbewegliche Wand wirft mich auf mich
                     Und dieses Kloster «steht voll im Saft», wie die     selbst zurück und weist mir dadurch den Weg in meine Zelle (mein
                     Zürichsee-Zeitung vor ein paar Jahren titelte,       Zimmer). Die klösterliche Zelle ist der Ort der Ruhe, nicht nur der leib-
nachdem ein von ihnen gestelltes Redaktoren-Team einen Uniho-             lichen, sondern insbesondere auch der seelischen. In der Zelle ruhe
ckey-Match gegen uns Mönche deutlich verlor. Auch wenn man auf            ich bei Gott. Ich betrachte das Wort Gottes und versuche, ihm mein
die zahlreichen Aufgaben, Arbeiten, Tätigkeiten und Projekte unseres      Herz zu öffnen. Dabei erfahre ich, dass nicht zuerst die «Kirche» sich
Klosters blickt, könnte man meinen, dass hier viel getan wird und viel    bewegen muss, sondern ich mich selbst.
läuft – dass hier somit «lebendige Kirche» ist.
                                                                          Und dann geschieht etwas Eigenartiges und zugleich Faszinieren-
Aber ist es tatsächlich das, was die Lebendigkeit von Kirche aus-         des: Im Masse, in dem ich mich bewegen und das Wort Gottes in
macht? Ich merke deutlich, dass dem keineswegs so ist, ja dass da-        mein Herz dringen lasse, in dem Masse verändert sich auch die Kir-
mit die eigentliche Lebendigkeit der Kirche noch nicht mal annährend      che, wird sie lebendig. Ich merke: «Kirche» ist nicht einfach etwas
erfasst ist. Nur zu leicht schauen wir Menschen dorthin, wo sich etwas    ausserhalb von mir, sondern ich selbst bin mit meiner ganzen Exis-
bewegt, wo etwas passiert, wo etwas «los» ist. Auf einen einzelnen        tenz zutiefst mit ihr verbunden. Die Kirche – das Kloster oder die
Baum, der umfällt, werden wir bekanntlich sehr schnell aufmerksam,        Kirchgemeinde – ist nicht in erster Linie eine Organisation, die man
während ein ganzer wachsender Wald kaum Beachtung findet. Auch            so oder anders verwalten und gestalten muss, sondern ein Organis-
das eigentliche Leben der Kirche pulsiert sehr still und ruhig in ihrem   mus. Ich selbst bin ein lebendiges Organ dieses Organismus, dessen
tiefsten Innern. Es kann sich in konkreten Aktivitäten äussern, geht      Lebensquell Christus ist.
aber nie in ihnen auf, noch ist es mit ihnen identisch.
                                                                          Die Rebe bringt keine Frucht, wenn sie nicht am Weinstock bleibt (Joh
Wie wird man auf dieses eigentliche Leben der Kirche aufmerksam?          15,4). Indem die Kirche jedes ihrer Glieder zum wahren Weinstock
Nun, ich selber entdecke es immer wieder auf eine eigentlich para­        (Joh 15,1) führt, empfängt sie selbst das wahre und eigentliche Leben.
                                                                                                                                               13
Thomas Schlag                      Professor der Praktischen Theologie, Universität Zürich UZH
Was ist für mich persönlich eine lebendige Kirche?                    Gestalt annehmen: So etwa, wenn man sich in aller Ernsthaftig-
                                  Ich trete in meiner universitären   keit und Aufmerksamkeit um einzelne Menschen kümmert, mit
                                  Ausbildung von Theologinnen         tiefer Konzentration und Spiritualität miteinander und füreinander
                                  und Theologen für eine Kirche       betet, wenn man Klage und Hoffnung teilt, Solidarität zeigt und
                                  ein, die aktiv und vorausset-       sich wechselseitig zu neuen Lebensschritten ermutigt.
                                  zungslos für das Leben der Men-
                                  schen eintritt. Wenn ich dabei      Was trage ich selber dazu bei?
                                  von einer «öffentlichen Kirche»     Ich gehöre sicherlich nicht zu den «24-7»-Aktiven. Mein Engage-
                                  spreche, ist damit gemeint:         ment in einer Kirchgemeinde ist aufgrund meiner recht mobilen
                                  eine Kirche, die denen Gehör        beruflichen Existenz eher von punktueller Art. Aber durch eigene
schenkt, denen sonst vielleicht niemand mehr zuhört, und die für      Gottesdienste und Predigten, durch die Besuche von kirchlichen
diejenigen eintritt, die Hilfe und Begleitung benötigen. Eine sol-    Veranstaltungen oder die Beteiligung an einzelnen ehrenamtli-
che öffentliche Praxis umfasst einerseits Situationen, in denen       chen Initiativen und auch durch mediale Stellungnahmen ver-
Menschen in Krisen, Sorgen und Nöten sind, andererseits auch          suche ich meinen Teil dazu beizusteuern, dass Kirche öffentlich
die Lebensmomente voller Freude, Glück und Dankbarkeit. Eine          präsent ist. Zugleich gibt mir mein Beruf die Möglichkeit, in Ge-
lebendige Kirche leidet mit dem Einzelnen mit, hofft mit ihm, be-     meinden und Kirchenleitungen immer wieder neue Überlegungen
tet für ihn und wird auch ganz praktisch dort aktiv, wo konkrete      anzustossen. Wenn ich angefragt werde, einzelne Reformprojekte
Schritte der Hilfe notwendig sind.                                    oder Initiativen zu beraten, konkret zu begleiten oder zu kommen-
                                                                      tieren, so tue ich dies gerne. Und schliesslich versuche ich auch
Worin drückt sich die «Lebendigkeit» aus?                             Theologiestudierende und junge Pfarrerinnen und Pfarrer dazu zu
Ich persönlich denke in meiner Lehre und Praxis beim Stichwort        motivieren, ihre berufliche Praxis mit Freude, Wachsamkeit und
einer lebendigen Kirche nicht in erster Linie an eine kirchliche      Leidenschaft anzugehen.
Gemeinschaft, in der es «hoch hergeht». Natürlich ist es schön,
wenn kirchliche Aktivitäten «vor aller Augen» erkennbar und er-       Wie kann Kirche auch in Zukunft lebendig bleiben?
lebbar sind. Und selbstverständlich zeigt sich Kirche durch eine      Gott sei Dank, kann Kirche auf einen grossen Schatz an überlie-
lebensfrohe und lebhafte Atmosphäre von ihrer positiven Seite.        ferten Traditionen und auf viele gute Erfahrungen von Menschen
Aber gerade in einer Kirche, die für das Leben der Menschen da        mit Kirche und Kirchgemeinde zurückgreifen. Wir müssen dabei
ist, darf aus meiner Sicht diese Lebendigkeit auch ganz andere        keineswegs das Rad immer neu erfinden, indem etwa immer wie-
                                                                                                                                     14
der neue Reformen und Projekte angestossen werden. Sondern       Und so will ich in meiner Ausbildungspraxis vor allem vermit-
manchmal hilft einfach schon die Besinnung auf die Wurzeln des   teln: Eine lebendige und mitmenschliche Kirche zeigt sich in der
eigenen Glaubens, um sich von der Lebendigkeit der Botschaft     grösstmöglichen Bereitschaft zur Anerkennung des Anderen,
anstecken zu lassen. Dafür ist es aber wesentlich, dass Kirche   egal, woher jemand kommt, was diese Person mitbringt und mit
Möglichkeiten und Räume gemeinsamen Zusammenlebens               wie vielen Ecken und Kanten sie ausgestattet ist. Denn auch die-
schafft und bereitstellt. Nur wenn Menschen gelingende und       se können und sollen wesentliche Bestandteile eines Hauses der
schätzenswerte Erfahrungen mit Kirche machen, werden sie die-    lebendigen Steine werden.
sen Schatz auch weitertragen wollen und können.

Joris Stauber                3,5-jährig
                                                                 Mir gefällt an der Kirche, wenn ich auch dabei sein kann, am bes-
                                                                 ten wenn ausser meiner Mami auch mein Papi und mein kleiner
                                                                 Bruder dabei sind, die ganze Familie.

                                                                 In die Kinderhüeti gehe ich nicht so gerne, weil da meine Mami
                                                                 wieder weggeht und ich Angst bekomme.

                                                                 Am schönsten fände ich, wenn ich auch etwas zum Essen mit in
                                                                 die Kirche nehmen könnte.

                                                                 Die Geschichte von David und Goliath aus der Kinderbibel finde
                                                                 ich besonders spannend, und Noah gefällt mir auch, weil da ein
                                                                 grosses Schiff vorkommt.
                                                                                                                               15
Susanna und Ernst Oppliger                                    Kirchgemeindemitglieder, ref. Kirchgemeinde Bäretswil
Lebendige Kirche und der heilige Bund der Ehe                         gelebt wird. Da haben wir als ältere Ehepaare eine grosse Aufga-
                                                                      be und Verantwortung. Wir haben als Eltern mit unsern Kindern
Was hat die Ehe zu tun mit der lebendigen Kirche? Lebendige Kir-      und Enkeln einen reichen Schatz an Erfahrungen. Das soll uns
che ist da, wo Menschen ihren Glauben an den dreieinigen Gott         fähig machen, geistliche Elternschaft zu leben. Wir brauchen in
                                     leben und etwas von seinem       lebendigen Kirchen geistliche Mütter und Väter, die Freude haben
                                     Reich in dieser Welt sichtbar    an ihren «Kindern». Die Jungen brauchen unsere Unterstützung,
                                     machen. Dies geschieht, indem    unsere Ermutigung. Unsere Offenheit für die neuen und andern
                                     sie einander wertschätzen und    Ideen der nächsten Generation ist sehr wichtig.
                                     für Begegnungen offen sind.
                                     Wir haben es als Neuzuzüger in   Als Ehepaar haben wir in dieser Welt und in der Kirche eine be-
                                     Bäretswil sehr geschätzt, dass   sondere Berufung. Der Bund der Ehe wird in der Kirche vor Gott
                                     Leute nach dem Gottesdienst      geschlossen und bekommt einen besonderen Segen. Anhand der
                                     auf uns zukamen, sich für uns    einmalig schönen Liebe zwischen Mann und Frau will Gott uns et-
interessierten und uns spontan zum Essen eingeladen haben. Wir        was ganz Besonderes zeigen: Diese grosse Gabe Gottes an den
staunten über die grosse Anzahl von freiwilligen MitarbeiterInnen.    Menschen ist ein Bild für die Liebe Gottes zu seinem Volk. Davon
Das ist ein riesiges Potential einer lebendigen Kirchgemeinde! Wir    schreibt Jesaja:
haben als Ehepaar gespürt, dass wir geschätzt werden und uns
mit unsern persönlichen Fähigkeiten und Interessen einbringen         Wie ein junger Mann sich mit seinem Mädchen verbindet, so wird
können.                                                               sich dein Schöpfer für immer mit dir verbinden. Wie ein Bräutigam
                                                                      sich an seiner Braut freut, so wird dein Gott Freude an dir haben.
Die Lebendigkeit einer Kirche zeigt sich in generationenübergrei-     (Jes 62,5)
fenden Angeboten und Engagements: Alte mit den Jungen und
Junge mit den Alten. Das bedeutet, dass im Gemeindeleben              Paulus nimmt im Neuen Testament diesen Gedanken auf und ver-
­Altes und Neues, Tradition und Innovation Platz haben müssen.        gleicht die christliche Gemeinde mit der Braut und Jesus Christus
 Es muss alles in Bewegung bleiben, es darf nicht so sein, wie        mit dem Bräutigam. Es gilt für das neutestamentliche Volk Gottes
 es immer war! Das ist zwar nicht immer einfach, aber überaus         genau dasselbe: Gott hat in Jesus Christus den neuen Bund mit
 wichtig. Denn jede Generation muss ihren eigenen Glaubensweg         allen Menschen geschlossen – aus Liebe! Es ist ein Liebesverhält-
 finden und ihre eigenen Formen, wie Glaube ausgedrückt und           nis, es ist ein Liebesbund!
                                                                                                                                     16
Die Bibel spricht davon, dass Mann und Frau «ein Fleisch wer-        unvollkommenen Menschsein! Und auch das Scheitern einer Ehe
den». Hier geht es um die Sexualität. Paulus versteht sie als das    gehört zu unserm Menschsein. Das soll uns jedoch nicht davon
Sichtbarwerden einer geistlichen Wahrheit und spricht von einem      abhalten, den heiligen Bund der Ehe zu pflegen und zu schützen.
«tiefen Geheimnis». Geheimnisse müssen wir nicht enträtseln          Eine lebendige Kirche setzt sich dafür ein und bietet spezielle An-
oder ganz verstehen, aber sie können gefeiert werden. Das Eins-      lässe für Ehepaare an.
werden von Mann und Frau ist solch ein Geheimnis, das gefei-
ert werden darf. Paulus bezieht dieses «ein Fleisch werden» auf      So wie der Regenbogen uns an den Bund Gottes mit allen Men-
Christus und das Geheimnis des neuen Bundes: In diesem Er-           schen erinnert, so darf und soll jede Ehe an den Bund erinnern,
leben von sich verschenken und empfangen bestätigen und er-          den Gott durch Jesus Christus mit uns geschlossen hat.
neuern wir den Ehebund, den Liebesbund zwischen Mann und
Frau. Dies ist die innigste und tiefste Verbindung zwischen zwei
Menschen!

Und auf diese Weise verbündet und verbindet sich in Jesus
Christus der ewige Gott selbst mit dem Menschen. Wirklich ein
Geheimnis! Wir feiern diesen Bund zeichenhaft im Abendmahl.
Christus schenkt sich uns, seiner Kirche mit seinem Leib und Blut.
Er hat sich für uns hingegeben.

Als Ehepaare haben wir mitten in der Welt und einer lebendigen
Kirche eine hohe, wunderbare Berufung! Wir dürfen und s­ ollen
einander lieben und unsere Liebe zueinander soll für andere Men-
schen etwas von Gottes uneingeschränkter und unbedingten Lie-
be sichtbar machen! Das ist der tiefe Sinn einer Ehe, die vor Gott
geschlossen und in seiner Liebe und Kraft gelebt wird.

Dass wir dabei schon oft und immer wieder an unsere Grenzen
gestossen sind und stossen, ist völlig klar. Es gehört zu unserm
                                                                                                                                     17
Alister Lowe                 Pfr. in der methodistischen Kirche in Manchester
                          What is a vital church for me personal?       and give thanks for what God might reveal. I would therefore be
                          Vital church for me is identifying were       looking for signs of growth in discipleship for any church. These
                          the very source of life exits in a chur-      signs would be different depending on the context and people
                          ch. It is not dependent on the nature of      we are dealing with. A committed atheist who through contact
                          church, whether it is lively or quiet but     with a church acknowledges that there might be something bey-
                          is it powered by the gift of the spirit. If   ond our understanding might be considered to grow in disciple-
                          it is powered by the spirit then it will be   ship, compared to a person who has been coming to church for
                          vibrant and move us towards disciple-         over fifty years yet has failed to adopt discipleship principles may
                          ship.                                         be regarded as not growing.

                            In the Great Commission (Matt 28) Je-       One of the key points in discipleship is when a person moves
                            sus gives a very particular instruction,    from considering their own needs but considering the needs of
‘to make disciples’. What is vital about church is that it is a place   others. We all need to be fed, but when our main or only focus
were discipleship grows both in terms of depth of discipleship          is on ourselves then we will stop growing. There is a point in a
and the numbers. Depth of discipleship means becoming ever              discipleship journey that we are challenged from our own needs
more Christ like in all we say and do. In many ways if the depth of     to serving others. This is a vital sign of church.
discipleship exists then the numbers will follow because part of
a discipleship is spreading the Good News and also when others          What is my contribution to that?
see what a difference it makes in our lives, some will want to          As a minister I see my role as being more of a spiritual navigator
know more.                                                              both to individuals and to the gathered community. It is part of
                                                                        my role to help people identify where they are, help them with
To extend the life metaphor of church further, life means fed and       the gift of the spirit to see where God is calling them and then to
reproducing. Organisms that neither feed nor grow (reproduce)           help develop a route. I can offer my insight and experience to the
die. So we have a need to be fed on the presence of Jesus Christ        situation but often I don’t have the answers and I offer to walk the
and then to share that with others.                                     unknown path together.

In what ways is vitality expressed ?                                    It is in the feeding that I am also fed. It is in serving others that I
As I am merely mortal I can only look at this through my own eyes       too am working our my discipleship priority. It is in trying to res-
                                                                                                                                           18
pond to others questions, questions that I haven’t even thought
of, challenges me rethink my faith.

How can church in the future stay vital?
What is vital for church both for today and tomorrow is to focus
on growth of discipleship and then to look at how to adapt the-
se principles to the context in which we live. Too much of our
church today is focused on worship and creeds. Whilst these
are important they should come out of a sense of discipleship. A
person cannot worship God if they have neither an acceptance
that God exists (in some form) nor have a concept of worship.
They need to make a move in discipleship first. Too much of our
worship is focused on us and our needs and not on others. Too
much of our worship is focused on a form that has been dictated
to us by the church we attend and hence does not communicate
in a relevant form to the individuals.

Church too needs to be a navigator helping people find a path.
But I do not mean any path. To be church it must be a path that
leads to being a disciple in Jesus Christ.

                                                                   19
Marc Heise                  Pfr. ref. Kirche Bäretswil
                              Wenn ich auf 18 Jahre Pfarramt in zwei    melt sind, da bin ich mitten unter ihnen.» (Matthäus 18, 20) Und
                              Gemeinden zurückblicke, kann ich sa-      wo Jesus mittendrin ist, da ist eine Gemeinde auch lebendig. Das
                              gen, dass ich in beiden Gemeinden, in     bedeutet auch: Ohne den aktiven Einbezug freiwilliger Mitarbei-
                              denen ich bisher tätig war, lebendige     terInnen, denen auch Verantwortung durch die Gemeindeleitung
                              Kirche erlebt habe. Interessant ist da-   übertragen wird, gibt es keine lebendige Gemeinde.
                              bei das Empfinden, dass die Gemein-
                              de immer so lebendig ist, wie ich es      Die Gemeinde lebt dann, wenn Christus in der Gemeinde lebt,
                              selbst auch bin. Wenn ich mitten im       oder anders gesagt, wenn Christus im Leben der Gemeindeglie-
                              Leben stehe, Freude am Leben habe         der Spuren hinterlässt und diese Spuren im Alltag der Menschen
                              und Freude an der Begegnung mit den       auf gute Art und Weise sichtbar werden. Die Lebendigkeit einer
                              verschiedensten Menschen aller Art,       Gemeinde hat weniger mit Engagement als mit der persönlichen
                              dann erlebe ich lebendige Gemeinde.       Gottesbeziehung zu tun. Gleichzeitig meine ich herausgefunden
Wenn ich selber nicht gut drauf bin, wenn ich selber mit mir und        zu haben, dass eine Gemeinde nur dann als lebendig und anzie-
der Umwelt im Unreinen bin, dann nehme ich auch die Gemeinde            hend wahrgenommen wird, wenn im Hintergrund gebetet wird.
nicht als lebendig wahr. Das heisst: Ob eine Gemeinde lebendig          Eine betende Gemeinde ist eine lebendige Gemeinde. Wahr-
ist oder lebendig scheint, ist eine sehr subjektive Frage. Das er-      scheinlich ist das so, weil ein betender Mensch immer auch ein
lebe ich als Pfarrer immer wieder. Während einer von der Leben-         demütiger Mensch ist oder zumindest sein sollte. Ein betender
digkeit der Gemeinde schwärmt, kritisiert ein anderer gleichzeitig      Mensch ist sich bewusst, dass er allein aus der Gnade Gottes
ihre Passivität und beklagt, dass kaum noch Leben in ihr sei. Die       lebt, und deshalb hat er nicht das Gefühl, er könne selbst eine
Lebendigkeit der Kirche ist immer nur so fest ausgeprägt, wie es        lebendige Gemeinde machen oder heranorganisieren. Eine leben-
das Glaubensleben des einzelnen Gemeindegliedes ist. Man kann           dige Gemeinde ist immer ein Geschenk Gottes, und eine Gemein-
nicht grundsätzlich sagen: Diese Gemeinde ist lebendig, die an-         de, die Demut nicht kennt, wird nicht als lebendig – sondern als
dere nicht. Ich kann mich in einer Gemeinde, in der nach aussen         hochnäsig und besserwisserisch wahrgenommen.
nicht viel los ist, mit allem, was ich habe und mitbringe, engagie-     Ein weiterer Punkt, der mir wichtig scheint, ist: Eine lebendige Ge-
ren, und wenn ich dabei nur drei bis vier Gleichgesinnte finde,         meinde ist immer auch eine liebende Gemeinde. Dabei ist wichtig,
die sich mit mir zusammen für die Gemeinde einsetzen, kann ich          dass die Gemeindeglieder die Liebe nicht nur untereinander prak-
diese Gemeinde als lebendig empfinden. Jesus verdeutlicht das           tizieren, sondern auch denjenigen Menschen mit offenen Herzen
mit den Worten: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versam-              begegnen, die mit der Gemeinde nichts zu tun haben wollen. Die
                                                                                                                                         20
Liebe einer lebendigen Gemeinde hört nicht bei den eigenen Mit-          man nicht nur von den Siegen, sondern auch von den Niederla-
gliedern auf. Man liebt nicht nur diejenigen, die so beten, wie ich      gen spricht und davon, wie man trotz des Scheiterns am Glauben
bete oder die mir zustimmen, wenn ich in der Gemeinde etwas              und am Vertrauen an und auf Gott festhalten will.
sage oder tue. Das ist ein schwieriger Anspruch, aber der Wil-
le dazu muss vorhanden sein. Eine lebendige Gemeinde sieht
Aussenstehende auch nicht als Bekehrungsobjekte, sondern als
Menschen, die von Gott wunderbar geschaffen sind und ihre ganz
persönliche Geschichte mitbringen. So kann man sagen, dass
eine lebendige Gemeinde ein verstehende, ja sogar eine mitlei-
dende Gemeinde ist.

Ich selbst habe noch nie eine Kirchgemeinde als lebendig erlebt,
die sich nicht voll und ganz dem Evangelium von Jesus Chris-
tus verpflichtet gefühlt hat. Eine Gemeinde ist nur dann lebendig,
wenn das Evangelium von J     ­ esus Christus auch im Alltag gepre-
digt, gehört und gelebt wird. Es reicht nicht, «nur» s­ ozial oder ka-
ritativ zu sein, genauso wie es nicht reicht, «nur» dogmatisch und
fromm zu sein.
Zum Schluss: Im Lauf der ­Jahre habe ich gemerkt, wie wichtig es
den Gemeinde­gliedern und auch Aussenstehenden ist, dass der
Pfarrer oder die Pfarrerin authentisch ist. Ich wirke dann glaub-
würdig, wenn ich als Pfarrer auch bereit bin, über meine Fehler
und Schwierigkeiten zu sprechen, nicht penetrant und dauernd,
aber dann, wenn es nötig und angebracht ist. Die Menschen wol-
len eine Pfarrperson erleben, die genauso um den Glauben und
die Beziehung zu Gott ringt, wie sie selbst, und die ihnen gleich-
zeitig auch aufzeigt, wie sie selber die Schwierigkeiten im Alltag
mit Gottes Hilfe versucht zu bewältigen. Wichtig ist dabei, dass
                                                                                                                                    21
Matthias Walder-Mäder                                 Pfr. ref. Kirche Hinwil und Dekan Pfarrkapitel Hinwil
                       Ganz persönlich ist für mich eine singende        digkeit von Gott selber. Daher ist es die Kunst der Kirche, lebendig
                       Gottesdienstgemeinschaft immer wieder Aus-        zu bleiben in der Verbundenheit mit dem Leben aus Gott, lebendig
                       druck einer lebendigen Kirche, egal, ob sie ein   zu bleiben aus dem Geist von Gott! Dann kann die Kirche unschein-
                       Lied aus dem Genfer Psalter oder eins von         bar sein und doch lebendig. Sie kann schwach sein und arm, aber
                       Chris Tomlin, ob sie rein und mehrstimmig         doch lebendig. Ihre Mitglieder müssen nicht trendig sein, nicht at-
                       oder halt einfach von Herzen singt. Menschen      traktiv oder stark, trotzdem kann sie lebendig sein. Schwierige, fehl-
                       sitzen nicht einfach da und lassen sich unter-    bare, reizbare, neurotische, feige, ja engstirnige Menschen können
                       halten, nein, sie erheben ihre Stimmen, um        dazugehören, und trotzdem kann die Kirche lebendig sein, weil sie
                       Gottes überwältigende Grösse zu besingen.         nicht aus uns Sündern, sondern aus Gottes Vergebung ihre Kraft
                       Natürlich ist das nur ein Ausdruck der Kirche,    und ihr Leben schöpft. Und aus diesem Grunde verliert sie auch die
wenn sie lebendig sein soll. Denn die christliche Gemeinde singt ja      Hoffnung für die Welt und die Liebe zu den Menschen nicht.
nicht nur – das wäre für einige dann doch eine grosse Herausfor-
derung! –, sie hört auch und spricht, sie handelt und besinnt sich,      Im konkreten Alltag der Kirchgemeinde ist also ausschlaggebend,
sie denkt und sie hilft, sie feiert und leidet, sie lebt Gemeinschaft,   dass sie nicht vor allem aus eigenen Kräften, sondern aus Gott lebt;
glaubt, hofft und liebt.                                                 dass sie Gefäss wird und bleibt für Gottes Fülle in Christus, das ge-
                                                                         füllt wird und überfliesst; dass sie immer bedürftig und empfänglich
Lebendig bedeutet dann für mich, dass Menschen als Teil der Kir-         bleibt, ja demütige und mutige Bittstellerin ist vor Gott, dem sie alles
che leben und handeln – leben und handeln können; und dies nicht         Leben verdankt.
oberflächlich oder widerwillig oder halbherzig, sondern mit Freude,
mit Leidensbereitschaft und von ganzem Herzen. Der Grund: Sie            Was sollte dann unmöglich sein? Was könnte der Kirche dann ihr
sind selber gepackt von der leidenschaftlichen Liebe von Gott, die       Leben und ihre Hoffnung rauben? Etwa Armut, Schwachheit, An-
er uns in Jesus Christus erweist. Diese Liebe bleibt nicht an der        fechtung? All das hat die Kirche schon durchgemacht.
Oberfläche, sie geht unter die Haut, sie trifft den Menschen im Her-
zen, wo er sich öffnen kann oder sich verschliesst.                      Ja, auch schwere Verfolgung und grosses Leid kann der Kirche ihr
                                                                         Leben nicht rauben. Weltweit gibt es heute viele Zeugnisse dieser
Darum ist Kirche lebendig, eine Herzenssache, wo sie Teil ist von        angefochtenen Kirche, die doch höchst lebendig ist aus Gott selber,
Gottes Reich, Teil seiner Absicht und seines Plans für uns, für diese    die sich versammelt und Gott lobt mit ihren Liedern, in allen Spra-
Welt, für seine Schöpfung. Denn ihr Leben kommt aus der Leben-           chen dieser Erde!
                                                                                                                                             22
Kristina Hofstetter                      Ethnologiestudentin in Basel
                          «Kirche bedeutet mir nichts.» So hätte       gebracht wurde. Wohlgemerkt von einem Mann, der aussah, als
                          noch bis vor nicht allzu langer Zeit meine   trüge er selbst eine schwere Geschichte und einen dafür umso
                          Antwort auf diese Frage gelautet. Dabei      leichteren eigenen Geldbeutel mit sich herum.
                          hätte ich die katholische Kirche, welcher
                          ich angehöre, assoziiert mit kalten, grau-   Der Puls dieser Kirche schlug im Takt meines Herzens inmitten
                          en Mauern, (zu) engen Strukturen und         der Trauer um einen geliebten, verstorbenen Menschen.
                          unbeugsamer Tradition, also mit Din-         Zum Rhythmus dieser Kirche tanzte ich innerlich, als ich eine
                          gen, womit ich mich weder identifizieren     durchgefrorene Surprise-Verkäuferin auf einen Kaffee einlud.
                          konnte noch wollte.                          Und die Kraft dieser Kirche wogt in mir jedes Mal, wenn ich spüre:
                                                                       Ich bin.
                         Mittlerweile habe ich realisiert, dass die-
                         se Antwort nur bedingt stimmt. Besser         Diese Form von Kirche vermag es aus meiner Sicht, in Anbetracht
ist: Diese Form von Kirche, in meiner Vorstellung ein hierarchi-       der unerklärlichen Tiefe des Lebens und Sterbens keine Erklärun-
sches Gebilde, ein riesiges, von Vätern gesteuertes Mutterschiff,      gen, dafür den Raum zu geben, sich dem Geheimnis auf eigene
eine politische Schachfigur und ein Machtinstrument bedeutet           Weise zu öffnen. Die Gemeinschaft, die daraus entsteht, ist weder
mir nichts.                                                            Zweck noch Wahl, sondern Schicksal, denn wir alle sind davon
                                                                       betroffen.
Aber es gibt noch eine andere Form, welche ich für mich ent-
deckte und die mir wertvoll ist. Diese Form von Kirche hat eigent-
lich keine Form, sondern manifestiert sich ständig neu. Sie lebt
jetzt und jetzt und jetzt, ist spürbar und doch flüchtig und darum
umso mehr geschätzt. Sie ist unabhängig von einem Gebäude,
von Geld und Verträgen. Auch sie kann es laut, aber insgeheim
ist sie leise.

Ich muss wohl noch etwas konkreter werden:
Den Atem dieser Kirche etwa spürte ich, als ich mein Portemon-
naie verlor und es mir am nächsten Tag voll und ganz zurück-
                                                                                                                                      23
Barbara Wyss                     Bereichsleiterin am Institut für Gemeindebau und Weltmission Zürich (IGW)
                           Lebendige Kirche –                          und achte und respektiere beide Formen der Kirche. Letztend-
                           sichtbare Kirche                            lich ist es nicht der Name der Denomination, der für Lebendigkeit
                                                                       steht. Lebendigkeit definiert sich viel mehr an der Tatsache, ob
                           Es liegt auf der Hand, dass sich der        wir in unserer christlichen Gemeinschaft den Lebenshauch Got-
                           Begriff Kirche nicht durch ein Gebäude      tes zulassen und in seine Mission, dieser Gesellschaft mit Liebe
                           definiert. Allerdings manifestiert sich     zu dienen, einstimmen.
                           in der heutigen Zeit die Kirche oft am
                           markantesten durch ihre Gebäude.            Für mich bedeutet das, dass ich mich nicht nur in meiner christ-
                           Als ehemalige Hochbauzeichnerin bin         lichen Familie wohl- und befreit fühle, sondern dass ich dieses
                           ich fasziniert von sakralen Bauten und      Bewusstsein des Angenommen- und Freiseins auch in die Gesell-
                           als Kirchbergerin lebe ich gar in einem     schaft hineintrage. Konkret tue ich dies durch mein politisches
                           Dorf, welches seinen Namen der statt-       Engagement. Ich setze mich dafür ein, dass christliche Werte wie
lichen Kirche auf dem Hügel verdankt. Dennoch gehe ich davon           Respekt, Freiheit und Solidarität in die Kommissionsarbeit in der
aus, dass Kirchen, Kapellen, Gemeindehäuser und Klöster ledig-         politischen Gemeinde einfließen. Etliche Mitglieder meiner kirch-
lich den Raum bieten für die lebendige Kirche. Ich wünsche mir         lichen Gemeinde engagieren sich aktiv in unterschiedlichen poli-
eine Kirche, die in der Gesellschaft sicht- und spürbar ist, auch      tischen Gremien.
wenn sie über keinen hohen Kirchenturm verfügt. Es sind die
Menschen, die der Kirche Lebendigkeit einhauchen. Ziehen sich          Als kirchliche Gemeinschaft wollen wir ein Ort der Zuflucht sein
diese Menschen jedoch zurück in die Kirchengebäude und treffen         für Menschen, die in der Gesellschaft wenig Raum und Anerken-
sich mit gleichgesinnten Christen, bleibt auch diese Gemeinschaft      nung finden. So haben wir in unserer Gemeinde keinen Pastoren
unsichtbar für die Gesellschaft. Erst wenn sich Christen gemein-       oder Pfarrer angestellt, sondern eine Seelsorgerin mit therapeu-
sam aufmachen und sich in die Missio Dei einklinken, entsteht          tischer Ausbildung. Diese Voraussetzung erlaubt es uns, Men-
eine Lebendigkeit, die es vermag, Kirchenmauern zu sprengen.           schen umfangreich in ihren Nöten zu begleiten. Zudem sind alle
                                                                       Gemeindeglieder gefordert zur Lebendigkeit des gemeindlichen
Ich persönlich gehöre einerseits der reformierten Kirche und ande-     Lebens beizutragen, da wir nicht über geistliche Profis verfügen,
rerseits einer Freikirche an. Die Mitgliedschaft in der reformierten   welche das Gemeindeleben am Laufen halten.
Kirche habe ich mit meiner Geburt erlangt. In der Freikirche habe
ich eine Familie gefunden. Ich bin stolz auf beide Zugehörigkeiten
                                                                                                                                     24
Die Lebendigkeit der Gemeinde hängt vom Engagement jedes
Einzelnen ab. Die Energie hinter dem Einsatz der einzelnen Kir-
chenmitglieder gründet wiederum auf der Gnade und Kraft Gottes.
Seine Kraft und unsere Bereitschaft aus dieser zu leben, erhält die
Kirche auch in Zukunft lebendig und sichtbar in der Gesellschaft.

                                                                      25
Rita Famos                 Pfrn., Abteilungsleiterin der Abteilung Seelsorge Zürcher Landeskirchen
Was ist lebendige Kirche?                                              Frau M. fand mit ihrem neuen, freiwilligen Engagement eine neue
Ein Beispiel aus der Seelsorge                                         Gemeinschaft, die es ihr ermöglichte, neue Freundschaften auf-
                                                                       zubauen. Sie fand eine herausfordernde Aufgabe, die sie befrie-
                               Frau M. war schon immer Mit-            digte und ihr das Bewusstsein stärkte, dass ihre Arbeit durchaus
                               glied der reformierten Kirche. Da       noch gefragt und geschätzt war. Durch gemeinsame Andachten
                               sie jedoch alleinstehend war und        im Projektteam, gemeinsamen Besuch von weiteren kirchlichen
                               mit einem 100%-Pensum ihren             Angeboten entdeckte Frau M. neu, wie wichtig ihr die Verwurze-
                               Lebensunterhalt bestreiten muss-        lung im christlichen Glauben war und welche Bereicherung christ-
                               te, hatte sie in ihrer Freizeit keine   liche Gemeinschaft bedeutet.
                               Energie mehr, um die kirchlichen
                               Veranstaltungen zu besuchen oder        Eine von vielen Seelsorgegeschichten, die veranschaulichen,
                               gar sich selber dafür zu engagieren.    was lebendige Kirche ist: Lebendige Kirche ist dann, wenn Men-
                               Ab und zu sass sie im Gottesdienst      schen, unabhängig davon, wie nah sie bis jetzt der Kirche waren,
und im Anschluss an einen Sonntagsgottesdienst bat sie mich            ein offenes Ohr finden für ihre Nöte und jederzeit eine professio-
für ein seelsorgliches Gespräch, weil ihr die anstehende Pen-          nelle Begleitung in Anspruch nehmen können. Lebendige Kirche
sionierung Sorgen bereitete: Der Betrieb, für den sie jahrelang        ist, wenn Menschen eine Gemeinschaft finden, die sie trägt und
gearbeitet hatte, musste Stellen abbauen und hatte Frau M. zur         sie ihre Einmaligkeit, ihre Bedeutsamkeit wertschätzend erfah-
frühzeitigen Pensionierung gedrängt. Wir versuchten in mehreren        ren lässt. Lebendige Kirche ist, wenn Menschen sich engagieren
Gesprächen die neue Situation vorwegzunehmen und die Sorgen            können für das Wohl der ganzen Gemeinschaft und dadurch am
zu benennen: Das Fehlen der Tagesstrukturen, das Wegfallen der         eigenen Leib erfahren, wie wertvoll ihre Persönlichkeit und ihr Wir-
regelmässigen sozialen Kontakte mit den Arbeitskolleginnen, die        ken ist. Lebendige Kirche ist, wenn Menschen durch professio-
fehlenden Herausforderungen und anderes mehr. Während den              nelle Seelsorge, aber auch durch die Gemeinschaft mit anderen
Gesprächen, in denen wir eine Zukunftsperspektive zu entwickeln        Gemeindegliedern zu ihrem Glauben als Lebensgrundlage finden
versuchten, fiel mir ein, dass in einem grossen Kirchgemeinde-         und den Glauben, der auch Zeiten des Zweifels beinhaltet, in Ge-
projekt Freiwillige gesucht wurden. Frau M. würde mit ihren Quali-     meinschaft leben können.
fikationen und Erfahrungen genau in diese Aufgaben passen.
Frau M. entschied sich, ihr Engagement dem Kirchgemeindepro-           Ich persönlich engagiere mich seit meinem 15. Lebensjahr für
jekt zur Verfügung zu stellen.                                         eine lebendige Kirche, in immer wieder wechselnden Rollen und
                                                                                                                                        26
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