Weltweit. 2018 - Institut für Auslandsbeziehungen

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GRUSSWORT                                                                   S.   4

VORWORT                                                                     S.   6

IFA – EIN JAHR IN BILDERN                                                  S.   8

WHAT CAN CULTURE DO?                                                        S. 10

EUROPA                                                                      S. 14
Kulturelle Antworten für die Freiheit

DIALOG DER ZIVIL­GESELLSCHAFT                                               S. 18
Zusammenarbeit, Kooperation und Synergie

KUNST UND KULTURAUSTAUSCH                                                   S. 22
Austausch

AUSSTELLUNGEN 2018                                                          S. 28

KULTUR UND KONFLIKT                                                         S. 30
„Vergnügen spornt mehr an als Sparen“

FLUCHT UND MIGRATION                                                        S. 35
Keine Entscheidungen über die Jugend ohne uns Jugendliche

IFA 2018. WISSENSWERTES IN ZAHLEN                                           S. 38

PUBLIKATIONEN 2018                                                          S. 40

PRÄSIDIUM, MITGLIEDER UND BEIRÄTE                                           S. 42

DANKE                                                                       S. 46

ORGANIGRAMM                                                                 S. 47
BILDNACHWEIS                                                                S. 48
IMPRESSUM                                                                   S. 49

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Weltweit. 2018 - Institut für Auslandsbeziehungen
GRUSSWORT

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Grußwort von Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Raulff,
seit 1. Oktober 2018 Präsident des ifa (Institut für Auslands­
beziehungen)

Noch ist alles ungewohnt. Die ersten Worte, die ersten           Die enormen Potenziale, über die das ifa verfügt, sind
Gesten, die ersten Auftritte. Die Aufgaben eines Präsi­          teil­­­­weise materieller und teilweise ideeller Natur. Auf der
denten, lauter Erstmaligkeiten für einen, der vor kurzem         einen Seite die großartigen Bestände an Kunstobjekten,
noch voll im operativen Geschäft gestanden hat. Noch             Schätze sondergleichen, und neben ihnen die historischen
fühlt sich alles wie eine große neue Lehrzeit an. Was für        und aktuellen Sammlungen der Bibliothek. Auf der ande­
ein Vergnügen, wieder zuhören zu dürfen! Versuchen zu            ren Seite die umfassenden Erfahrungen der global agie­
verstehen, warum getan wird, was getan wird, und                 renden Mittlerorganisation, die hohe Kompetenz und
warum es gerade so getan wird. Sich die Fremdheit nicht          pragmatische Intelligenz seiner Mit­­arbeiterinnen und
so rasch abnehmen lassen: Sie ist ein kostbarer Schatz,          Mitarbeiter: ästhetisches Urteil und politische Erfahrung,
den man nicht zu früh gegen Vertrautheit eintauschen             verbunden auf einem hohen Grad von Verantwortungs­
sollte. Der Blick von außen erfasst Einzelheiten, über           bewusstsein – ein seltenes, faszinierendes Schauspiel.
die das Auge des Insiders hinweggleitet. Staunen, sagten
die Griechen, sei der Anfang des Erkennens.                      Dieser phantastischen Institution, dieser von einem
                                                                 vergleichsweise kleinen Stab fester und freier Kolleginnen
Staunenswert ist in der Tat, was der folgende Bericht            und Kollegen getragenen Aktivität zu der verdienten
verzeichnet. Das Institut für Auslandsbeziehungen mag            höheren Sichtbarkeit zu verhelfen, diese Aufgabe recht­
die älteste Mittlerorganisation der deutschen auswärtigen        fertigt jedes Engagement des neuen Präsidenten.
Kulturpolitik sein, in seiner Unermüdlichkeit, in der
Vielzahl seiner Tätig­keiten und in seiner verblüffenden         Er tritt ja in eine Reihe, in der zu stehen ihn mit Stolz
Kreativität erscheint es als deren jüngste. Wer sich in so       und Demut erfüllen muss. Ursula Seiler-Albring, die dem
vielfältiger Weise engagiert, tut allerdings gut daran, ge­­­    ifa vom Mai 2006 bis zum Juni 2017 als Präsidentin
legentlich einen Moment innezuhalten und versuchsweise           vorstand, hat das Institut am reichen Schatz ihrer politi­
den Blick von außen auf sich zu richten. Aufgabenkritik          schen Erfahrung teilhaben lassen. Martin Roth, der zu
nennt man, wozu solche Augenblicke Anlass bieten                 früh Verstorbene, hat dem ifa eine Vision von Kulturpolitik
können, und dabei kann sich auch ein neuer Präsident             hinterlassen, von der die nach ihm benannte Initiative
nützlich machen. Wenn es das Ziel ist, das Aktionsfeld           eine anschauliche Vorstellung vermittelt. Bernt Graf zu
nicht immer weiter zu verbreitern, sondern im Gegenteil,         Dohna hat mit kluger Besonnenheit dazu bei­­getragen,
an den richtigen Stellen zu vertiefen, dann mag sein Blick       das Institut durch die Passage des Übergangs zu steuern.
von außen dazu beitragen, den selbstkritischen Prozess           Ronald Grätz und das gesamte Team des ifa beweisen Tag
auf entscheidende Punkte zu lenken.                              für Tag, welche bewundernswerten Leistungen möglich
                                                                 sind, wenn nicht nur die Ziele des Handelns, sondern
                                                                 auch die Motive des Engagements klar sind, wenn, mit
                                                                 einem Wort, der spirit des Ganzen stimmt.

                                                                                                                               5
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Die Weltpolitik hält uns in Atem. Vermeintliche Gewisshei­         Migration und Diversität im Mittelpunkt. Europa ist ohne­
ten werden nahezu täglich in Frage gestellt. Hier sind nicht       hin „Dauer­thema“, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern
zuletzt die USA im Fokus, die die alte Grundordnung in             auch in unseren Programmen und Projekten. Das wach­
vielen Bereichen in Frage stellen. Die Außen­kulturpolitik         sende Engagement der Zivilgesellschaft für Europa ist ein
reagiert darauf, aber auch zur Stärkung des transatlanti­          gutes Zeichen, auch wenn gleichzeitig die Zahl der Europa­
schen Kulturaustauschs mit einem Deutschlandjahr USA               skeptiker zunimmt und die Zukunft Europas so unklar
unter dem Motto „Wunderbar together“, an dem das ifa mit           erscheint wie lange nicht. Mit sowohl hoffnungsvollen als
mehreren Ausstellungen beteiligt ist.                              auch skeptischen Stimmen beobachtet der „Kulturreport
                                                                   Fortschritt Europa“ die Entwicklungen. Nicht zuletzt hat
Thematisiert wurden die außenkulturpolitischen Beziehun­           uns die europaweite Datenschutzgrundverordnung be­­
gen zwischen Deutschland und den USA auch in der                   schäftigt – auch das ein sowohl positives als auch heraus­
Dissertation „Re-winning American hearts and minds.                forderndes Thema.
Weimar public diplomacy and the United States, 1902–1934”,
die mit dem ifa-Forschungspreis 2018 ausgezeichnet wurde           Wir danken den Zuwendungsgebern, dem Auswärtigen
– ein Zeichen, wie wichtig es ist, die Geschichte im Blick zu      Amt, dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst des
behalten. Wie wichtig es ist, die Geschichte zu kennen, um         Landes Baden-Württemberg und dem Kulturamt der Stadt
die Gegenwart zu verstehen, zeigt die Diskussion um das            Stuttgart für die umfangreiche Unterstützung und die gute
koloniale Erbe nicht nur in Deutschland, die die Museums­          Kooperation. Wir danken darüber hinaus den vielen Insti­
kultur und die Kultur­politik aktuell prägt. Das ifa-Forschungs­   tutionen in Deutschland, mit denen wir im Berichtszeit­
programm hat in diesem Kontext im vergangenen Jahr eine            raum intensiv und produktiv zusammengearbeitet haben,
Studie herausgegeben, die aktueller nicht sein könnte:             sowie unseren Partnern weltweit. Nicht zuletzt gilt unser
„Reflexion kolonialer Vergangenheit in der musealen Gegen­­        Dank den Abgeordneten des Bundestags und des Europä­
wart? Kuratorische Herausforderungen an der Schnittstelle          ischen Parlaments, die sich für unsere Arbeit engagieren,
von ethnologischen Museen und Kunst“. Auch beim Martin             uns unterstützen und uns beraten. Wir danken auch den
Roth Symposium, das das ifa in Zusammenarbeit mit dem              Beiräten Kunst, KULTURAUSTAUSCH, WIKA, RAVE und
Auswärtigen Amt organisierte, stand der Umgang mit dem             Forschungsprogramm, den Jurys des Theodor-Wanner-­
nationalen Erbe im Mittelpunkt – das Thema wird die                Preises, des ifa-Forschungspreises sowie dem Freundeskreis
Außenkulturpolitik nachhaltig verändern.                           für die Biennale Venedig und dem Förderverein für das ifa
                                                                   für Rat und vielfältige Hilfe.
Ein weiteres großes Thema ist der Klimawandel, der aktuell
durch die Jugenddemonstrationen „Fridays for Future“ in            Ein besonderer Dank gilt der Mitgliederversammlung und
das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt wird.         dem Präsidium, die uns stets kritisch-kollegial begleiten.
Die Zeitschrift KULTURAUSTAUSCH erstellte in der ersten            Insbesondere danken möchte ich allen Mitarbeiterinnen
Ausgabe 2018 eine Bestandsaufnahme zur Situation der Erde          und Mitarbeitern des ifa, die auch im vergangenen Jahr
im Hinblick auf die klimatischen Veränderungen. Auch die           unermüdlich und engagiert die Programme und Projekte
Stipendiatinnen und Stipendiaten unserer Programme sind            auch unter nicht immer einfachen Umständen umgesetzt,
Hoffnungsträger – für ihr Land, für den Dialog, für die            begleitet und zum Erfolg geführt haben!
Zukunft. Sie setzen sich u. a. für gesellschaftliche Verände­
rungen, Partizipation von Jugendlichen und benachteiligten         An dieser Stelle heiße ich unseren neuen Präsidenten
Bevölkerungsgruppen sowie demokratische Prinzipien ein.            Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Raulff herzlich willkommen, der
Akteure der deutschen Minderheiten aus Mittelost-, Südost­         uns seit letztem Jahr produktiv begleitet.
europa und den GUS-Staaten kamen 2018 in Berlin zusam­
men, um Chancen und Möglichkeiten verbandlicher Jugend­            Wir werden unsere Arbeit in bewährter Form fortsetzen
­arbeit und Teilhabe zu formulieren. Bei dem alljährlich           und dort weiterentwickeln und verändern, wo dies zur
stattfindenden Sommercamp der deutschen Minderheiten               Sicherung unseres Erfolgs und für unsere Zukunft not­­
in Polen stand die Auseinandersetzung mit den Werten und           wendig und sinnvoll ist.
Themen eines gemeinsamen Europas wie demokratische
Partizipation, Meinungsfreiheit, soziales Engagement, zivil­-
gesellschaftliche Teilhabe, Rolle der Medien, Populismus,          Ronald Grätz, Generalsekretär

                                                                                                                                7
Weltweit. 2018 - Institut für Auslandsbeziehungen
IFA – EIN JAHR IN BILDERN

                                         artin Roth Symposium
                                        M
                                        Unter der Leitfrage „What can culture do?“ versammelten
                                        sich auf Einladung des ifa im Juni rund 500 Teilnehmer­
                                        innen und Teilnehmer im Kraftwerk Berlin, 35 inter­
                                        nationale Expertinnen und Experten aus Kultur, Wissen­
                                        schaft und Politik diskutierten am Symposium.

                                                            Prof. Dr. Dr. h. c. Raulff wird neuer Präsident des ifa
                                                            Das Präsidium des ifa hat den Historiker und Publizis­
                                                            ten Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Raulff (links) einstimmig
                                                            zum neuen Präsidenten des ifa berufen. Ulrich Raulff
                                                            trat sein Amt am 1. Oktober 2018 an und übernahm es
                                                            von Bernt Graf zu Dohna (rechts), der das Amt kom­
                                                            missarisch verwaltete.

    CrossCulture Programm 2018
    Im Rahmen des CrossCulture
    Programms fanden auch in
    diesem Jahr wieder Workshops
    für die Stipendiatinnen und
    Stipendiaten statt, bei denen sie
    sich austauschen und vernetzen
    konnten.

                                                                                 Im Rahmen des Country
                                                                                 Representative Kick-off
                                                                                 Treffens besuchten 15 Cross­
                                                                                 Culture Programm Alumni
                                                                                 den Bundes­tag in Berlin.

                                        The Event of a Thread – Auslandspremiere im Fine Arts
                                        Centre Sheikh Abdullah Al Salem Cultural Center in
                                        Kuwait Stadt, Kuwait. Im Bild: Susanne Weiß (Kuratorin
                                        der Ausstellung), Karlfried Berger (deutscher Botschafter
                                        in Kuwait), Ehrengast Sheikha Altaf Salem Al-Ali Al-Sabah
                                        (Patronin und Chairperson des Al Sadu House) und Inka
                                        Gressel (Kuratorin der Ausstellung, ifa).

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                               inderspielstadt „Klein
                              K
                              Raschau“ – Zum sechsten
                              Mal fand die Kinderspielstadt
                              „Mini Miasto/Klein Raschau“
                              des Vereins Pro Liberis Silesiae
                              (PLS) statt. In „Klein Raschau“
                              bestimmten die Kinder die
                              Regeln des täglichen Lebens.

                              Auslandspremiere der Ausstellung „Die ganze         Verleihung des ifa-Forschungs­
                              Welt ein Bauhaus“ im Museo Nacional de Arte         preises – 2018 ging der ifa-For­
                              Decorativo in Buenos Aires, Argentinien             schungspreis an Dr. Sonja
                                                                                  Großmann und Dr. Elisabeth
                                                                                  Piller. Maria Sobotka wurde für
                                                                                  ihre Masterabschlussarbeit mit
                                                                                  dem ifa-Förderpreis geehrt.

                              Auch 2018 war das ifa wieder auf der Frankfurter
                              Buchmesse vertreten und fragte unter anderem
                              bei der Podiums­diskussion „Propaganda und Fake
                              News: Herausforderung für Politik und Gesell­
                              schaft“ nach der Wirkung von Social Bots und Fake
                              News.

Der WIKA-­Workshop fand 2018                                                      Afrika – wohin? Politik,
unter dem Motto „Models of Future                                                 Wirtschaft und Migration –
Cultural Relations – Realities,                                                   In der Reihe „Total Glokal.
Challenges, Visions“ statt.                                                       Stuttgarter Weltgespräche“
                                                                                  diskutierte Prinz Asfa-Wossen
                                                                                  Asserate, Großneffe des letzten
                                                                                  äthiopischen Kaisers Haile
                                                                                  Selassie.

                              Puppentheater – Der Karpatendeutsche Verein
                              in der Slowakei inszenierte mit professionellen
                              Puppentheatermachern ein Theaterstück.

                              Jugend-Radio-Workshop – Eine Gruppe von Nach­
                              wuchsjournalisten aus drei verschiedenen Schulen
                              in Rumänien besuchte während ihres Radio-Work­
                              shops das Gebäude von Radio Temeswar.

                                                                                                                         9
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                                             What can culture do?

Am 22. und 23. Juni 2018 lud das ifa         Keinesfalls eine rhetorische Frage:      zuletzt interessierte Bürgerinnen und
gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt            Ist Kultur ein eher trennender oder      Bürger.
erstmalig aus- und inländische Wissen­       verbindender Faktor?
schaftler/-innen, Künstler/-innen, Muse­     Triebel: Kultur „ist“ nicht irgend­      Was unterscheidet die „transnatio-
umsmacher/-innen und Interessierte zum       etwas. Sie ist eine Praxis. Kulturelle   nale“ von der internationalen Kultur­
„Martin Roth Symposium“ in das Kraft­        Praktiken sind einerseits Artikulation   arbeit? Warum ist Letztere laut ifa
werk in Berlin-Mitte ein. Mit der zwei­      von Prägung. In dieser Eigenschaft       und AA im Rahmen der Außenkul-
tägigen von den Anliegen und Positionen      lassen sie Tradition – und damit auch    turpolitik „neu zu be­­denken“?
des ehemaligen ifa-­Präsidenten inspirier­   Unterschied – erkennbar werden und       Triebel: Eine internationale Kultur­
ten Veranstaltung sollten Impulse für die    ermöglichen auch Wir-Bildung.            arbeit strukturiert sich entlang eines
Neuausrichtung der Auswärtigen Kultur­       Kulturelle Produktionen sind aber        nationalstaatlichen Bezugsrahmens,
politik gesetzt werden. Im Mittelpunkt       auch jeweils neu artikuliert, nehmen     das impliziert der Begriff. Unter den
der Diskussionen standen die neu zu be­­     immer Spuren ihrer jeweiligen räum­      Bedingungen von zunehmender
denkenden Auf­gaben der Außenkultur­         lichen und zeitlichen Kontexte mit       Mobilität und Digitalisierung aber
politik wie die transnationale Kulturar­     auf, sind jeweils neues Handlungs­       leben Menschen vermehrt auch neue
beit, der Umgang mit nationalem Erbe,        geschehen. Damit ist Kultur immer        andere als auf eine Nation oder auf
die Arbeit mit schwierigen Partnern          auch offen für Aushandlungen und         ein Territorium bezogene – sowie
und die Digitalisierung. Über die Ergeb­     Inspiration zu neuer Varianz.            gleichzeitig mehrere – Zugehörig­
nisse dieser Initiative sprechen wir mit     Der Sinologe und Philosoph Francois      keiten. Auf diese Realität werden
Dr. Odila Triebel, Leiterin Dialog und       Jullien spricht von Kultur als Res­­     derzeit zentrale politische Kämpfe
Forschung Kultur und Außenpolitik am         source. Es geht darum, kulturelle        fokussiert. Der Ethnologe Arjun
ifa und Mitkuratorin des Symposiums.         Fähigkeiten und Überlieferungen          Appadurai erklärt diese Konflikte
                                             nutzen zu können, um Gegenwart zu        aus der Vorstellung einer Gesellschaft
Das Martin Roth Symposium hat                verstehen und sie konstruktiv zu         als einer Mehrheit mit Minderheiten
sich der großen Frage „What can              gestalten.                               heraus. Andererseits liegt in diesen
culture do/Was kann Kultur leis-                                                      vielfältigen Zugehörigkeiten aber
ten?“ gewidmet. Welche Antworten             Im Kultursektor tummeln sich             auch ein großes Potenzial für Netz­
wurden gefunden?                             bekanntermaßen die unterschied-          werke wie zum Beispiel solchen, die
Odila Triebel: Unter anderem: Kultur         lichsten Akteure. Welche davon           sich weltweit für Menschenrechte
kann Lernorte bieten, sie kann Zu­sam-       konnte man beim Martin Roth              einsetzen. Die zentralen Zukunfts­
menarbeit an gemeinsamen Zukunfts­           Symposium treffen?                       herausforderungen der Menschheit
fragen ermöglichen, sie kann Freude          Triebel: Führungskräfte aus Museen,      brauchen deswegen beides: sowohl
und Staunen über Vielfalt und Er­-           Stiftungen, Galerien, Kuratorinnen       staatlich gesicherte Rechtsstaatlich­
findungsreichtum menschlicher Krea­          und Kuratoren, Kunstschaffende,          keit mit multilateralen Absprachen
tivität vermitteln. Und mit all diesen       Kunsthistoriker/-innen, Kultur­          als auch eine Fernsolidarität, die den
Eigenschaften kann kulturelle Arbeit         manager/-innen, Fachleute aus Archi­-    staatlichen Bezugsrahmen erweitert
einen gesellschaftlichen Raum der            tektur, Sozialwissenschaft und           und mit neuen Ideen bereichert.
Frei­heit sichern und gestalten.             Medien, Botschafts- und Regierungs­
                                             angehörige aus aller Welt. Und nicht

                                                                                                                              11
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Schließlich zielt der Begriff der trans­   Im Umgang mit Artefakten aus ande­        Beispiel hierfür stellte Catherine
nationalen Kulturarbeit aber auch auf      ren Kulturräumen zum Beispiel muss        Flood, Kuratorin einer gleichnamigen
Europa: Wenn Europa in der Welt            der Westen lernen, in diesen nicht nur    Aus­­stellung am Viktoria and Albert
einstehen will für ein Gesellschafts­      einen ökonomischen Wert oder einen        Museum, vor: eine aus einer leeren
verständnis, das den notwendigen           epistemischen, also Wissenswert, zu       Plastikflasche gebaute Tränengas­
Zusammenhang von Rechtsstaatlich­          sehen. Stattdessen gilt es zu verstehen   maske. Aus der Vitrine heraus gelangte
keit und einer freien, die kritische       und anzuerkennen, dass in anderen         sie ins Netz, wurde mit einer Bau­­
Debatte zulassenden Zivilgesellschaft      Kulturen viele dieser Artefakte als       anleitung ergänzt – und konnte dann
bewahren will – dann kann Außen­           Subjekte gesehen werden, als etwas,       auf mehreren Kontinenten bei Straßen­
kulturarbeit eine europäisch transna­      das einen gemeinschafts- und sinn­        protesten wiedergefunden werden.
tionale sein, eine, die die Repräsenta­    stiftenden Wert hat, als etwas, das die   (Mitschnitt unter: https://www.youtube.com/
tion des eigenen Nationalstaats nicht      Macht hat, mit dem Betrachter eine        watch?v=zm6uylbjAUc)
ins Zentrum stellen muss.                  Beziehung einzugehen und ihn zu
                                           verändern.                                Hatten die beim Martin Roth Sym­­­­
Eines der Panels beschäftigte sich                                                   posium versammelten Fachleute
mit dem „Ungehorsam der Objekte“.          Für die AKBP relevant ist die Ein­        konkrete Empfehlungen für die
Was kann man aus diesem Konzept            sicht, dass jede kulturelle Praxis in     „Arbeit mit schwierigen Partnern“,
für die Auswärtige Kulturpolitik           Kontexten steht und eben auch in          insbesondere mit diktatorischen
ableiten?                                  internationalen Kontexten. Sie wird       Systemen?
Triebel: Dieser Begriff hat mehrere        auch im internationalen Zusammen­         Triebel: Zelfira Tregulova, General­
Dimensionen. In einem Museum               hang beobachtet, wahrgenommen,            direktorin der Tretykov Galerie in
zum Beispiel können Sie im Prinzip         interpretiert und diskutiert. Verein­     Moskau, zitierte Wladimir Putin:
jederzeit die Objektbeschriftungen         facht könnte man sagen, früher sollte     Die Arbeit sowohl von Politikern als
verändern, genauso wie auch die            Kunst Herrschaft glorifizieren, dann      auch von Kulturakteuren würde sich
Konstellationen, mit denen Sie Ob­­        glorifizierte sie sich in den Museen      zentral auf Brücken beziehen. Die
jekte miteinander in Beziehung             selber – und nun gilt es anzuerken­       einen würden sie jedoch zerstören,
setzen. Damit verändern sie jeweils        nen, dass sie in der Rezeption ein        die anderen wieder aufrichten. Es ist
den Blick auf die Ausstellungsobjekte.     Eigenleben entfalten kann. Kulturelle     notwendig, Dialog nicht abreißen zu
Diese Art der Selbstreflexion, des         Objekte haben immer auch eine sozi­       lassen und Mittel zu haben, in schwie­
Hinterfragens der europäischen Taxo­­      ale Dimension. Der Umgang mit             rigen Zeiten an der Verbesserung der
nomien, wurde u. a., aber nicht nur,       ihnen ist deswegen auch von Verant­       Beziehungen arbeiten zu können. Jede
durch den Einfluss postkolonialer          wortung getragen. Ein sehr schönes        Zusammenarbeit ist ein Einzelfall.
Debatten seit einigen Jahrzehnten in
den Kulturwissenschaften theoretisch
diskutiert. Eine neue Dringlichkeit
bekam sie in jüngster Zeit, als die
Auseinandersetzung mit der eigenen
kolonialen Vergangenheit dann auch
kulturpolitische Aufgabe wurde.

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Jeder Kulturakteur, der dies einmal      Ein erklärtes Ziel des Martin Roth        Odila Triebel ist Leiterin des Bereichs
unter schwierigen Rahmenbedingun­        Symposiums war das Setzen neuer           „Dialog und Forschung Kultur und
gen versucht hat, weiß, wie schwer       Impulse für die Weiterentwicklung         Außenpolitik“ am ifa. Sie studierte
das ist, wie viel Abwägung und           der deutschen Außenkulturpolitik.         Literaturwissenschaften, Philosophie und
Geduld es täglich erfordert. Von daher   Welche Impulse sind aus den               Öffentliches Recht und promovierte im
sind Foren wichtig, in denen man sich    Diskussionen hervorgegangen?              Bereich internationale Kulturwissen­
über Erfahrungen austauschen kann.       Triebel: Die Idee, dass Außenkultur­      schaften. Mit einem Stipendium der DFG
                                         politik aus der Zusammenarbeit von        lag ihr Forschungsschwerpunkt auf poli­
Das Programm widmete sich u. a. dem      Gesellschaften bestehen sollte, ist in    tischer und ästhetischer Repräsentation
Rechtfertigungsproblem westlicher        Deutschland einige Jahrzehnte alt.        sowie Konzepten des Nationalstaates.
Kulturinstitutionen – gegenüber          Globalisierung und Digitalisierung        Sie unterrichtete an der Rice University
den ehemaligen kolonialen Subjek-        verstärken aber Auseinandersetzun­        in Houston, Texas und der Universität
ten, aber auch gegenüber den weni-       gen um Ressourcen und um Teilhabe.        Tartu, Estland. Sie hat vielfältige Fort­
ger Privilegierten in den eigenen        Gesellschaften müssen deswegen            bildungs- und Austauschprogramme auf­­
Gesellschaften. Haben sich hierfür       auch ihre Kulturgüter neu verhan­         gebaut und kuratiert regelmäßig interna­
bei der Veranstaltung Lösungswege        deln. Immer mehr Menschen leben           tionale Dialogkonferenzen und Vortrags­
angedeutet?                              viele verschiedene Zugehörigkeiten        serien. Sie veröffentlicht und berät
Triebel: Eurozentrismus zu überwin­      gleichzeitig – nicht nur die zu einer     international zu Strategien auswärtiger
den und einen gerechteren Bildungs­      nationalen Gemeinschaft. Eine demo­       Kulturbeziehungen.
zugang zu ermöglichen – das sind         kratiebasierte Außenkulturpolitik
beides zwei sehr große Lernaufgaben      muss sich dabei auch verstärkt zu         Für die Initiative und großzügige
für Gesellschaften. Ein erster Schritt   einem internationalen Umfeld ver­­        Unterstützung danken wir dem Aus­­
ist, immerhin ein Anerkennen des         halten, das den notwendigen Zusam­        wärtigen Amt, insbesondere dem
Problems zu ermöglichen. Die Debat­      menhang von Rechtsstaatlichkeit und       Leiter der Kulturabteilung Ministerial­
ten, die wir derzeit sehen, sind des­    freiheitlicher Zivilgesellschaft immer    direktor Dr. Andreas Görgen sowie
wegen ein Fortschritt. Als Prozess       häufiger zugunsten autoritärer Gesell­­   dem Advisory Board – Marion
werden dabei beide Herausforderun­       schaftsentwürfe aufgibt. Und schließ­     Ackermann, Sir David Chipperfield,
gen wohl insgesamt noch länger eine      lich können zentrale Zukunftsaufga­       Andreas Görgen, Ronald Grätz,
gesamtgesellschaftliche Anstrengung      ben der Menschheit wie zum Beispiel       Benita von Maltzahn, Chen Ping,
bleiben. Gerade auch weil viele          Anpassung an den Klimawandel              Ulrich Raulff, Tim Reeve, Harriet
Menschen derzeitige Veränderungen        aber nur gemeinsam friedlich bewäl­       Roth, Christoph Thun-Hohenstein,
als Kontrollverlust erfahren. Kultu­     tigt werden. Zentral geht es also         Zelfira Tregulova, Klaus Vogel und
relle Bildung kann dabei die Fähig­      genau darum: Wie kann man unter           Mariët Westerman.
keit unterstützen, Zukunft aktiv zu      diesen heutigen Bedingungen den
gestalten.                               Freiheitsraum Zivilgesellschaft erhal­
                                         ten und fördern. Analog. Und digital.

                                         Die Fragen stellte Guido Jansen-­
                                         Recken.

                                                                                                                               13
EU­-
     RO-
     PA

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                                       Kulturelle Antworten für die Freiheit

Auszug aus der Studie „Cultural        Die internationale Ordnung unter­        sie sich gegen die Europäische Union
Freedom in European Foreign Policy“    liegt einem starken Wandel.              wandte, noch war die EU in ihren
von Gijs de Vries, die im Rahmen des   Die Macht verlagert sich von westli­     Handlungen gelähmt. Weltweit bleibt
ifa-­Forschungsprogramms „Kultur und   chen Staaten zu aufstrebenden Mäch­      das Image der EU weitgehend posi­
Außenpolitik“ entstanden ist.          ten, liberal-demokratische Werte         tiv. Für Europas Identität ist Demo­
                                       werden in vielen Teilen der Welt         kratie von zentraler Bedeutung. Seit
                                       angegriffen und die USA scheinen         Jahrzehnten verbreitet sich die
                                       das Interesse an der Aufrechterhal­      Demokratie in der ganzen Welt, aber
                                       tung der liberalen internationalen       in den letzten Jahren hat sich der
                                       Ordnung zu verlieren. Russland und       Trend gewendet. Demokratische
                                       China schränken die Meinungsfrei­        Werte litten unter der Einschränkung
                                       heit ein und verzerren diese und die     von Medienfreiheit, unabhängiger
                                       Europäische Union sieht ihre Ideen       Institutionen und Rechtsstaatlichkeit.
                                       und Vorstellungen zunehmend in           Autoritäre Regierungen lernten, das
                                       Gefahr. Wenn demokratische Länder        System und die Demokratie zu unter­
                                       in ihren internationalen Bemühungen      graben. Den autoritären Angriffen
                                       um die Wahrung der Menschenrechte        auf die Demokratie muss sowohl
                                       erfolgreich sein sollen, müssen sie      „Hard“ als auch „Soft Power“ entge­
                                       mit gutem Beispiel vorangehen.           gengebracht werden, einschließlich
                                       Glaubwürdigkeit fängt zu Hause an.       einer energischen Verteidigung der
                                                                                Meinungsfreiheit und Menschen­
                                       Angesichts der Bedrohung ihrer           rechte. Um gegen Unterdrückung
                                       kulturellen Identität muss Europa        vorzugehen, sollten die Regierungen
                                       eine kulturelle Antwort finden. Die      der EU die wichtigsten internationa­
                                       EU-Mitgliedsstaaten praktizieren seit    len Menschenrechtsregime, ein­
                                       Langem auswärtige Kulturpolitik          schließlich der des Europarates,
                                       und die EU-Minister erklären, dass       entschiedener stärken. Europäische
                                       Kultur auch ein fester Bestandteil der   Diplomaten sollten sich häufiger
                                       internationalen Beziehungen der EU       offen für Kulturschaffende, Journalis­
                                       sein muss. Die dem vorliegenden          tinnen und Journalisten sowie andere
                                       Beitrag zugrunde liegende Studie         Opfer der Zensur aussprechen. Die
                                       untersucht die europäische Strategie     EU sollte auch stärker ihre Stimme
                                       in den internationalen Kulturbezie­      zur Verteidigung der wissenschaftli­
                                       hungen. Europas Position ist stärker,    chen Freiheit erheben, als eine
                                       als es auf den ersten Blick erscheinen   Dimension des umfassenderen
                                       mag. Die europäische öffentliche         Rechts aller auf Teilhabe am kulturel­
                                       Meinung reagierte weder dadurch          len Leben. Die führenden Unterneh­
                                       auf die Teilungsversuche und Unsi­       men digitaler Kommunikation von
                                       cherheiten der jüngsten Zeit, dass       heute üben eine außergewöhnliche

                                                                                                                      15
E U R O PA

kulturelle Kraft aus. Der Ansatz der      Gefühl von wirtschaftlicher Unge­          zu integrieren. Europa kann sich
EU, Social-Media-Unternehmen zu           rechtigkeit und politischer Entrech­       „business as usual“ nicht mehr leis­
verpflichten, als Gatekeeper von Infor­   tung gefördert, mit dem sich die           ten.
mationen aufzutreten, birgt Risiken       Regierungen der EU noch befassen
für die Meinungsfreiheit. Möglicher­      müssen. Kulturelle Ursachen von            Auswärtige Kulturpolitik ist kein
weise sind Rechtsvorschriften erfor­      Unzufriedenheit gehören zu den             Allheilmittel. Kultur kann weder
derlich, um Transparenz und Verant­       komplexesten. Die EU sollte deshalb        innerstaatliche noch internationale
wortlichkeit sicherzustellen. Unab­       ihre Politik und Haushalte für Zivil­      Konflikte lösen. Kultur kann jedoch
hängiger Qualitätsjournalismus            gesellschaft, Bildung und Kultur           unabhängiges Denken, Dialog und
braucht mehr Unterstützung, auch          stärken. Die Europäer betrachten           Verständnis fördern, sofern sie von
von der EU.                               Kultur als den Faktor, der am meisten      Künstlern frei und unabhängig ein­
                                          dazu beiträgt, ein Gemeinschaftsge­        gesetzt wird. Die derzeitige Politik
Die Kultur- und Kreativwirtschaft         fühl unter ihnen als Unionsbürger zu       der EU enthält einige begrüßens­
zählt zu den am schnellsten wachsen­      schaffen. Kulturerbe, Staatsbürger­        werte Neuerungen, doch das Poten­
den Sektoren der Welt und bietet den      kunde und Sprachunterricht sollten         zial auswärtiger Kulturpolitik ist
Ärmsten und Schutzlosesten oft ein        zusammen mit Maßnahmen zur                 noch lange nicht ausgeschöpft.
Einkommen. Die Ziele für nachhal­         Förderung der Geisteswissenschaften        Die EU sollte ihre Politik für interna­
tige Entwicklung (Sustainable             in der öffentlichen Bildung zu den         tionale Kulturbeziehungen verbes­
Development Goals) implizieren,           Bausteinen nationaler und europä­          sern und sie in ihre anderen Politik­
dass Kultur ein integraler Bestandteil    ischer Politik zur Stärkung der            felder integrieren, um die Rechte und
der Maßnahmen zur Linderung von           Ausprägung der Unionsbürgerschaft          Freiheiten, die im Mittelpunkt der
Armut, zur Förderung von Bildung,         gehören. Die EU müsste in ihrem            Identität Europas stehen, im In- und
der Gleichstellung der Geschlechter       neuen mehrjährigen Finanzrahmen            Ausland zu verteidigen und zu
und einer nachhaltigen Verstädte­         eine ausreichende Finanzierung hier­       fördern.
rung ist und friedliche Gesellschaften    für sicherstellen.
schaffen kann, die die universellen                                                  Die Studie steht unter www.ssoar.info frei zum
Menschenrechte respektieren. Dies ist     Die Angriffe auf die Grundwerte der        Download zur Ver­fügung.
die umfassendste Agenda für Kultur,       Freiheit, der Demokratie und der
die die Welt je gesehen hat. Die EU       Rechtsstaatlichkeit in Europa lassen       Gijs de Vries ist Visiting Senior Fellow
sollte ein Weißbuch veröffentlichen,      keinen Raum für Selbstzufriedenheit.       an der London School of Economics and
in dem vorgeschlagen wird, dass die       Europa hat die Mittel, um zu reagie­       Political Science (LSE). Er war Mitglied
EU gemeinsam mit internationalen          ren, es fehlt jedoch der Orientie­         der Regierung der Niederlande und des
Partnern maßgeblich die Umsetzung         rungssinn. Aus­­wärtige Kulturpolitik      Europäischen Parlaments. Er war auch
dieser Agenda vorantreibt. Die euro­      muss im Mittel­punkt der Antwort           der Vertreter der Niederlande beim
päischen Prioritäten sollten Kultur       Europas auf die Erosion der Freiheit       Kon­vent über die Zukunft Europas.
und Bildung, Kultur und Regierungs­       in der ganzen Welt stehen. Das tradi­      Gijs de Vries war Mitbegründer des Euro­­
führung sowie Kultur und Sicherheit       tionelle Modell der Kulturdiplomatie,      pean Council on Foreign Relations und
umfassen. Neben den weltweiten            das den Schwer­­punkt auf die Dar­­        Vor­­standsmitglied der European Cultural
Veränderungen der liberalen               stellung nationaler kultureller Errun­     Foundation. Er war außerdem Senior
Ordnung gab es auch innerhalb der         genschaften legt, ist nicht mehr zweck­­   Member des St. Antony's College in
EU zentrale Entwicklungen, wie der        mäßig. Es muss durch ein Modell            Oxford und Dozent für internationale
Anstieg von Intoleranz im Zuge            ersetzt werden, das nicht nur natio­       Beziehungen an der Universität Leiden.
populistischer Bewegungen. Ohne           nale Perspektiven mit einem gemein­
Freiheit gibt es keine Demokratie und     samen europäischen Ansatz verbin­
„illiberale Demokratie“ stellt eine       det, sondern auch kulturelle Freiheit
existenzielle Bedrohung für die euro­     unter den prioritären Zielen hat.
päischen Werte und Institutionen dar.     Gleichzeitig sollten nationale Kultur­
Die Unzufriedenheit in der Bevölke­       institute mehr tun, um die euro­
rung wird durch ein durchdringendes       päische Dimension in ihren Betrieb

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                                                                                     Erdoğan, Putin, Trump: Europa steht
A U S G E W Ä H LT E P R O J E K T E                                                 vielen Herausforderungen gegenüber.
                                                                                     Was tun gegen grassierenden Populis­­
Über europäische Werte und Narra­                                                    mus und Twitterdemokratie? Kann
tive im Rahmen der UN Social                                                         sie ein Schlüssel sein, um Menschen­
Development Goals sprachen Fach­                                                     rechte, Frieden und Stabilität zu
leute bei der Diskussion „Which way                                                  fördern? Dies sind die Fragen, auf die
ahead? Culture in EU external rela­                                                  Slavoj Žižek, Timothy Garton Ash,
tions and SDGs“ im Auswärtigen            Im EUNIC-Cluster Stuttgart lud das         Navid Kermani, Heribert Prantl, Claus
Amt. Podiumsgäste waren Gijs de           ifa in Kooperation mit der Bundes­         Leggewie und andere Autoren in der
Vries, Beauftragter des ifa-­             zentrale für politische Bildung (bpb),     diesjährigen Ausgabe des Kultur­
Forschungs­­­programms „Kultur und        der Kulturpolitischen Gesellschaft         reports Fortschritt Europa unter dem
Außenpolitik“, Dr. Eva Polonska-­         Baden-Württemberg und dem Schau­           Thema „Kulturen des Wir“ Antworten
Kimunguyi (beide London School of         spiel Stuttgart zur Podiumsdiskussion      finden.
Economics), Dr. Andrzej Jakubowski        „Europa diskutieren: Kann Kultur
(Institute of Law Studies of the Polish   Europa retten?” mit Asiem El Difraoui,
Academy of Sciences, Warschau) und        David Engels, Cesare de Marchi und
Christine M. Merkel (Deutsche             Márton Méhes ein.
UNESCO-Kommission). Die Teilneh­
menden plädierten dabei für eine          In Zusammenarbeit mit der Robert
engere europäische Zusammenarbeit.        Bosch Stiftung veranstaltete das ifa
                                          einen Vortrag mit Dr. Amanda Sloat
Wie können Synergien zwischen             über das Verhältnis der USA und
nationalen und europäischen außen­        Europas nach den Midterm-Wahlen.
kulturpolitischen Aktivitäten ver­        Thema waren auch die Außenpolitik
stärkt werden? Wie können Praktiker       der USA sowie die Entwicklung der
und politische Entscheidungsträge­        transatlantischen Beziehungen.
rinnen effektiver daran arbeiten,
Freiheiten und Rechte zu verteidi­
gen? In welchen Bereichen wird die
europäische Glaubwürdigkeit heraus­
­gefordert? Diesen Fragen stellten sich
Gijs de Vries, Visiting Senior Fellow
am Europe Institute der London
School of Economics und Experte im
ifa-Forschungsprogramm „Kultur
und Außenpolitik“, Aida Liha Mate­
jicek (Generaldirektion Internationale    Zwölf Tage „Jugend bewegen –
Zusammenarbeit und Entwicklung            Europa gestalten“. Unter diesem
der Europäischen Kommission (DG           Motto fand 2018 das fünfte deutsch-
DEVCO)) und Ayokoh Mensah                 sprachige Sommercamp für Jugend­
(Centre for Fine Arts (BOZAR)) bei        liche deutscher Minderheiten aus
der EUNIC General Assembly in             Mittelost-, Südost- und Osteuropa statt.
Brüssel.                                  Elf Länder, 80 Teilnehmende, eine
                                          Sprache. Veranstalter waren das ifa
                                          und das Goethe-Institut Prag zu­­sam­
                                          men mit der Landesversammlung der
                                          deutschen Vereine in der Tschechi­
                                          schen Republik e.V.

                                                                                                                           17
DIALOG
 DER
 Z I V I L­
 G E S E L L-
 SCHAFT

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                                            Zusammenarbeit, Kooperation und Synergie

Die Martin Roth-Initiative bietet Schutz­   Welche Impulse gab es, die Initia-        als Zielmarke für die Martin Roth-­
räume für verfolgte Kunst- und Kultur­      tive ins Leben zu rufen?                  Initiative. Wir verfügen weder über
schaffende, indem sie betroffene Personen   Maik Müller: Die Initiative beruht        die Mittel noch sehen wir derzeit ein
an Kultureinrichtungen (in Deutsch­         auf der Beobachtung vom Institut für      so starkes Engagement der deutschen
land) vermittelt und deren Aufenthalt       Auslandsbeziehungen und dem               Kulturszene, um so viele Personen in
betreut. Namensgeber der Initiative ist     Goethe-Institut, dass zivilgesell­        Gastorganisationen unterzubringen.
der verstorbene Kulturwissenschaftler       schaftliche Partner und Kulturschaf­      Von der Solidaritätsbekundung zum
und Museumsdirektor Martin Roth, der        fende, die sich für Meinungsfreiheit,     tatsächlichen Tun ist es also noch ein
sich Zeit seines Lebens für eine offene     Menschenrechte oder Demokratie            Schritt. Tausend ist eine hohe Zahl, die
Gesellschaft einsetzte. Der ehemalige       engagieren, in vielen Ländern zuneh­      wir vielleicht in ein paar Jahren errei­
ifa-Präsident sah Kunst und Kultur als      mend unter Druck geraten. Bis letztes     chen können, aber unsere der­­zeitigen
Grundlage für ein demokratisches und        Jahr gab es keine strukturierten Inst­    Zielmarken liegen deutlich darunter.
friedliches Zusammenleben. In dieser        rumente, um darauf zu antworten.
Tradition steht auch die 2018 ins Leben     Die Martin Roth-Initiative ist ein
gerufene Martin Roth-Initiative.            Instrument, um diesen Menschen zu
                                            helfen: Durch temporäre Aufenthalte
Interview mit dem Leiter der Martin         in Deutschland oder in einem Dritt­
Roth-Initiative Maik Müller.                staat wird ihnen Schutz geboten.
                                            Auch das Auswärtige Amt und die
                                            Parlamentarier des Bundestages
                                            beobachten mit Besorgnis die zuneh­
                                            menden Einschränkungen zivilgesell­
                                            schaftlicher Freiräume weltweit und
                                            unterstützen die Martin Roth-Initiative
                                            sowohl politisch als auch finanziell.

                                            In einem offenen Aufruf mehrerer          Die Initiative arbeitet seit Novem-
                                            Kulturschaffender aus Deutschland         ber 2018. Was ist seitdem passiert –
                                            im September 2017 wurde gefordert,        wie sahen die ersten Schritte und
                                            dass jährlich mindestens eintausend       Projekte aus?
                                            bedrohten Kunst- und Kultur­              Müller: Die Initiative gibt es ja nicht
                                            schaffenden die Möglichkeit gege-         erst seit dem offiziellen Start im
                                            ben werden sollte, in sicheren Ver­­      August 2018. Die Verhandlungen
                                            hältnissen ihrer Arbeit nachzugehen.      zwischen dem ifa, dem Auswärtigen
                                            Wie realistisch ist es, dieses Ziel zu    Amt und dem Goethe-Institut fanden
                                            erreichen?                                schon vorher statt. 2017 wurde ein
                                            Müller: Die Forderung würde ich als       Pilotprojekt gestartet, das Kultur­
                                            ein politisches Statement der Solida­     schaffenden aus der Türkei Gastauf­
                                            rität verstehen, aber sicherlich nicht    enthalte in Deutschland ermöglichte.

                                                                                                                             19
DIALOG DER ZIVILGESELLSCHAFT

Seit April 2018 arbeitet das Projekt­     wir zusammenarbeiten können. So           fällen verlängert werden. Wir halten
büro der Martin Roth-Initiative und       erhielten wir bis jetzt schon an die 90   die geförderten Personen und Gastin­
wir wurden damit beauftragt, Pro­         Anfragen und konnten 25 Kultur­           stitutionen von Beginn dazu an, an die
zesse, Kriterien und Netzwerke in die     schaffende unterstützen.                  Rückkehr oder einen Plan B zu denken.
Wege zu leiten, um diese temporären                                                 Die Martin Roth-Initiative kann eben
Schutzaufenthalte zu bewerkstelligen.     Wie läuft Ihre Arbeit dann konkret        nicht die Verantwortung für das Leben
Letztes Jahr wurden außerdem zwei         ab?                                       der geförderten Personen übernehmen.
große Veranstaltungen organisiert.        Müller: Das ist ganz unterschiedlich,     Dieses liegt bei den Personen selbst
Zum einen mit potenziellen und            denn die Anfragen kommen über ver­­­      und unser Mandat läuft nicht über
tatsächlichen Gastinstitutionen der       schiedene Kanäle zu uns. Wir prüfen       diese Förderung hinaus. Umso wich­
deutschen Kulturszene, zum anderen        zunächst, ob der präsentierte Fall        tiger ist es uns deshalb, dass wir
mit Repräsentanten von anderen            unter unser Mandat fällt und ob die       während der Projektlaufzeit das Thema
Schutzprogrammen, NGOs und                Kriterien grob passen. Wenn dies so       Rückkehr und mögliche Alternativen
internationalen oder lokalen Akteu­       ist, erfragen wir weitere Informationen   von Anfang an mitdenken und dabei
ren der Zivilgesellschaft weltweit.       zu dem Fall und dem geplanten             helfen, ein über die Förderung hinaus­
Das Motto der Martin Roth-Initiative      Aufenthalt. Nach einer Referenzprü­       gehendes Unterstützer-Netzwerk
ist ganz klar: „Zusammenarbeit,           fung, die den Fall verifiziert und die    aufzubauen.
Kooperation und Synergie“. Es geht        Gefährdungslage einschätzt, wird
nicht um Konkurrenz mit anderen           analysiert, ob der Person am besten       Könnte die Initiative nicht zu
Programmen, sondern darum, welt­          in einem Drittstaat oder durch einen      Konflikten zwischen der Regierung
weit zusammenzuarbeiten.                  Aufenthalt in Deutschland zu helfen       des Herkunftslandes der betroffenen
                                          ist. All diese Informationen gehen        Person und dem deutschen Staat
Wie treten Sie mit möglichen              schließlich an ein unabhängiges Aus­      führen? Die Finanzierung kommt
Stipendiaten und Stipendiatinnen          wahlgremium, das sich derzeit aus         immerhin vom Auswärtigen Amt.
in Kontakt?                               fünf Repräsentanten und Repräsen­         Müller: Letztendlich kommt es
Müller: Wir arbeiten über die Netz­       tantinnen deutscher Kulturinstitutio­     immer auf den Fall an. Es ist das Ziel
werke der deutschen auswärtigen           nen und zivilgesellschaftlicher Initia­   der Martin Roth-Initiative immer so
Kultur- und Bildungspolitik und           tiven zusammensetzt. Unabhängig           sensibel vorzugehen, dass es zu
publizieren keine öffentlichen Aus­       von uns wird dort entschieden, ob         keiner Verschärfung schon bestehen­
schreibungen. Die Fälle kommen über       eine Förderung der Martin Roth-Initi­     der Konflikte kommt. Deswegen
das ifa oder dessen Partner im Aus­       ative gewährt werden kann. Nicht          wird bei uns die sichere Kommunika­
land zu uns, über die Goethe-Institute,   hinter jeder Anfrage steht eine Gast­     tion und das diskrete Vorgehen
aber auch über deutsche Botschaften       organisation. Dann ist es unsere Auf­     großgeschrieben. Nicht alle, die von
sowie über den erweiterten Kreis          gabe, eine passende Organisation in       der Martin Roth-Initiative gefördert
vertrauenswürdiger und befreunde­         Deutschland zu finden. Da wir das         werden, können auch als deren
ter Organisationen. Manchmal              nicht immer garantieren können,           Stipendiat auftreten. Sie können ein­
kommen die Anfragen auch direkt           haben wir auch die Möglichkeit,           fach nur als Künstler bei einer Orga­
von gefährdeten Personen, die über        Aufenthalte in der jeweiligen Region      nisation unterkommen, ohne dass
Netzwerke von uns gehört haben.           ohne Bindung an eine Institution zu       von irgendwelchen Schutzaufenthal­
Um uns weiter zu vernetzen, gehen         finanzieren.                              ten die Sprache ist. Zudem ist klar:
wir auf Konferenzen von anderen                                                     Das Auswärtige Amt unterstützt uns
Schutz- und Residenzprogrammen            Das Stipendium ist auf 12 Monate          zwar politisch und finanziell, gleich­
für Kulturschaffende und Künstler.        begrenzt. Was passiert danach?            zeitig ist die Martin Roth-Initiative
Außerdem organisieren wir Ver­­           Müller: Diese Frage ist eine Heraus­      aber eine zivilgesellschaftliche Initia­
anstaltungen, um verschiedene             forderung für alle Programme, die         tive. Das Institut für Auslandsbezie­
Akteure zusammenzubringen, über           ähnliche Arbeit leisten wie wir.          hungen und das Goethe-Institut sind
die Arbeit der Martin Roth-Initiative     Die Stipendien für den Aufenthalt in      Mittlerorganisationen der deutschen
zu informieren, aber auch um zu           Deutschland werden bis zu 12 Monate       auswärtigen Kultur- und Bildungs­
erfahren, was andere tun und wie          gewährt und können in Ausnahme­           politik, aber eben nicht Teil der

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Bundesregierung. Auf diese Unab­                                                   europa sowie in den Ländern der
hängigkeit können sich sowohl die                                                  Gemeinschaft Unabhängiger Staaten.
deutsche Regierung als auch die                                                    Sie bereichern sie mit neuen Ideen,
Organisationen bei möglichen                                                       fördern den interethnischen Dialog
konfliktintensiven Fällen berufen.                                                 und sprechen insbesondere die
                                                                                   jüngere Generation an. Auf dem
Die Fragen stellte Corinna Billmaier.                                              Programm ihres Mitarbeiterseminars
                                                                                   standen u. a. diverse Schulungen, ein
Herkunftsländer der Stipendiaten                                                   Besuch im Auswärtigen Amt sowie
und Stipendiatinnen (Stand               Auf Initiative der deutschen Minder­      der Austausch mit der Arbeitsge­
12/2018): Afghanistan (3), Bangla­       heitenverbände wurde im November          meinschaft Deutscher Minderheiten.
desch (1), Burundi (1), Demokratische    2018 in Berlin mit 50 Teilnehmenden
Republik Kongo (4), Libyen (1),          eine internationale Jugendkonferenz
Ruanda (1), Tschad (1), Türkei (5)       unter dem Titel „gemeinsam durch­
                                         starten“ organisiert. Neben der Ver­
Weitere Informationen unter              netzung untereinander und mit
www.martin-­roth-initiative.de           Akteuren der Bundespolitik und der
                                         Berliner Kulturszene standen der Aus­­­
                                         tausch von Best-Practice-Projekten
A U S G E W Ä H LT E P R O J E K T E     und die Fortbildung in Schlüssel­
                                         kompetenzen im Mittelpunkt.
2018 beging die Moskauer Deutsche                                                  In Zusammenarbeit mit der Stiftung
Zeitung ihr zwanzigjähriges Jubiläum,    22 Personen interviewte ifa-Redakteu­     Mercator, der chinesischen Soong-
im Januar fand in Berlin dazu ein        rin Magdalena Sturm bis Ende 2018         Ching-Ling-Stiftung und dem ifa
Gespräch statt. Ehemalige Redakteu­      schon für ihren Blog „Russlanddeut-       fand im November 2018 erneut ein
rinnen und Redakteure, Expertinnen       sche – Российские немцы“, auf dem         deutsch-chinesisches Forum „Kultu-
und Experten blickten auf die ver­       Angehörige der deutschen Minder­­­­heit   relle Bildung“ in Peking und Tianjin
gangenen 20 Jahre zurück. Als deutsch­   in Russland und deren Nachkommen          statt. Der inhaltliche Schwerpunkt
sprachiges Medium im Ausland leis­       ihre Familiengeschichten erzählen.        lag auf „Kreativität und Innovations­
tet die MDZ mit Unterstützung des        www.sibiriendeutsche.tumblr.com           fähigkeit“.
ifa seit 1998 einen Beitrag zur Ver­
ständigung zwischen Deutschland          Auf der Frankfurter Buchmesse
und Russland.                            diskutierten Dr. Reinhold Ewald
                                         (Universität Stuttgart), Prof. Dr. Dr.
Inmitten einer Zeit des Umbruchs         Ulrich Raulff (ifa) und Anna Veigel
durch Digitalisierung, zunehmende        (kulturweit) Fragen zum Global Citi­
globale Interdependenzen und den         zenship wie: Sind wir Weltbürger, nur
Wandel der Arbeitswelt muss sich das     weil Kommunikation uns weltweit
Bildungssystem neu ausrichten.           synchron verbindet? Oder müssen
Im Rahmen von „Total Glokal.             wir Weltbürgertum erst lernen?
Stuttgarter Weltgespräche“ disku­
tierten im November im ifa David         Eine Woche voller Erfahrungsaus­
Klett (Klett Lernen und Information      tausch, Weiterbildung und Netzwer­
GmbH), Marja Marti­kainen (Univer­       ken haben die ifa-Kulturmanager
sität Helsinki) und Heike Schmoll        und Redakteure in Berlin erlebt. Die
(FAZ) neue Formen der Wissens­­          Entsandten unterstützen die Kultur-,
aneignung und Wissensvermittlung.        Presse-, Jugend- und Bildungsarbeit
                                         der deutschen Minderheitenorgani­
                                         sationen in Mittel-, Ost- und Südost­

                                                                                                                           21
KUNST
     UND
     K U LT U R -
     A U S TA U S C H

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                                         Austausch

                                         Afrikanische Perspektiven in den Kunstprojekten des ifa
                                         Beitrag von Dr. Ellen Strittmatter und Nina Huber

Das Fragile ist Ausgangspunkt für        Willen, Verbindungen einzugehen
das gleichnamige Ausstellungspro­        und mit Menschen und Dingen
jekt Fragile, das Wolfgang Tillmans      verbunden zu sein: “I am interested,”
seit 2018 auf dem afrikanischen          so der Künstler, “in talking about [...]
Kontinent gemeinsam mit dem ifa          a sense of connectedness and
verwirklicht. Es kennzeichnet nicht      presence, which I feel all over my
nur die Beschaffenheit seiner Motive     body in being alive.” Tillmans sucht
und Materialien, im Fragilen liegt bei   seine Bilder nicht, er findet sie. Aber
Tillmans auch eine Qualität des          um sie zu entdecken, so sagt er, muss
Daseins und eine geistige Haltung.       er sich bewusst öffnen. Das Finden
Als feines Sensorium steht es für ihn    ist keine passive Haltung, sondern
am Anfang eines Wahrnehmungspro­         ein extrem aktiver Wahrnehmungs-
zesses, beschreibt die körperliche       und Erkenntnisvorgang, der auf Aus­­       Khwezi Gule und Tillmans zum
und geistige Disposition, in der so      tausch basiert.                            Thema „Relationality and Networks“
etwas wie eine Kommunikation mit                                                    in der Kunst. Des Weiteren tritt die
der Umwelt überhaupt erst entstehen      Tillmans selbst reist zum Aufbau           Ausstellung aus dem Ausstellungs­
kann. Es bezeichnet eine Art von         jeder einzelnen Station, passt die         raum und dem Museumsgebäude
gespannter Aufmerksamkeit und            Installation auf die lokalen Gegeben­      heraus. Sie bezieht den Stadtraum
Aufnahmebereitschaft für die Begeg­      heiten an und bezieht den Ausstel­         mit ein, indem Werbeflächen und
nungen und Beziehungen in der Welt       lungsort konkret in die kuratorischen      Straßenbanner mit Arbeiten bespielt
und schließt damit nicht nur alle        Prozesse ein. Gemeinsam mit dem            werden oder Graffiti, Sticker und
Formen der individuellen physischen      internationalen Aufbauteam entste­         Guerilla-Poster-Aktionen zum
und mentalen Durchlässigkeit und         hen so immer wieder neue Konstella­        Einsatz kommen. Die Konzepte von
Verletzlichkeit ein, sondern auch        tionen und Perspektiven. Lokale            Museum, Zugang und Partizipation
seine spezifische Bereitschaft und       Autoren werden eingeladen, um ihre         werden somit hinterfragt und gleich­
seinen unbedingten schöpferischen        spezifische Sicht auf die Themen der       zeitig auf die Probe gestellt.
                                         Ausstellung, das Medium der Foto­
                                         grafie und die gesellschaftliche Be­­      Diese Offenheit und das Interesse am
                                         deutung von Kunst zu teilen. So wächst     Austausch spiegeln die zentralen
                                         die Textsammlung zur Ausstellung           Merkmale der Arbeitsweise und des
                                         analog zum Tourneeverlauf. Im              Selbstverständnisses des ifa wider,
                                         Rahmenprogramm wird der aktive             das weltweit Ausstellungen zu zeit­
                                         Austausch fortgeführt: In Nairobi          genössischer Kunst initiiert, konzi­
                                         fand beispielsweise ein Künstlerge­        piert, organisiert und fördert, mode­
                                         spräch zwischen den kenianischen           riert, reflektiert und dokumentiert.
                                         Künstlern Jackie Karuti und James          Ausstellungen, die die Freiheit der
                                         Muriuki mit Wolfgang Tillmans statt.       Kunst in ihr Zentrum stellen,
                                         In Johannesburg diskutierten Kabelo        Zugänge zur Kultur schaffen, die
                                         Malatsie, Thembinkosi Goniwe,              internationalen Kulturbeziehungen

                                                                                                                           23
K U N S T U N D K U LT U R A U S TA U S C H

                                              Während die Tillmans-Ausstellung             weise mit dem Thema und der Auf­­
                                              ihren Weg 2018 von Kinshasa über             arbeitung des Kolonialismus. Sie ver­­
                                              Nairobi nach Johannesburg nahm,              bindet unterschiedliche junge künst­
                                              war in Windhuk die ifa-Ausstellung           lerische Positionen miteinander, die
                                              FUTURE PERFECT zu sehen. Sie                 koloniale Vermächtnisse in den Blick
                                              zeigt zentrale Positionen der aktuel­        nehmen und dekonstruieren, bringt
                                              len künstlerischen Produktion und            sie in verschiedenen Medien in ein
                                              führt Werke von 16 in Deutschland            Gespräch über sichtbare und unter­
                                              lebenden Künstlerinnen und Künst­            schwellige Hierarchien und Reprä­
                                              lern zusammen, die sich in unter­            sentationsverhältnisse. Alle beteiligten
                                              schiedlichen Medien mit Zukunfts­            Künstler arbeiten an vielen Sprachen,
stärken und damit einen Beitrag zur           vorstellungen und Spekulationen              um koloniale Strukturen in der Gegen­
Völkerverständigung und zur Stär­             über den Verlauf von Geschichte              ­wart aufzuspüren, sie zu benennen,
kung der Zivilgesellschaften leisten.         beschäftigen.                                sie immer wieder in Erinnerung zu
Das ifa versteht zeitgenössische                                                           rufen und gleichzeitig zum Aus­­
Kunst als wichtiges Medium im                 In Namibia wurden junge Kultur­              gangs­­punkt einer neuen und anderen
inter­­nationalen Dialog und arbeitet         schaffende von Philipp Ziegler, einem        Form der Kommunikation und des
damit an einer dynamischen Schnitt­           der Kuratoren der Ausstellung, ein­          Austauschs der Kulturen zu machen.
stelle der internationalen Kunst-             geführt und eingeladen, öffentliche
und Kulturszenen. Einen besonderen            Führungen durch die Ausstellung zu           Die seit 2013 vom ifa herausgegebene
Stellenwert hat der Austausch mit             geben, die ihren persönlichen Zu­­­          internationale Onlineplattform Con­­
Afrika: Seit mehreren Jahren entwi­           gang zu den Werken widerspiegeln.            temporary And (C&), die 2018 durch
ckelt das ifa Ausstellungen und Kunst­­       Auch ein begleitender Technik-Work­          C& América Latina erweitert wurde,
projekte gemeinsam mit Künstlern              shop machte deutlich, dass die Arbeit        hat sich zum Ziel gesetzt, über die
aus Senegal, Äthiopien, Togo u. a.,           im Museum multiperspektivisch ist            zeitgenössische Kunstszene Afrikas
die auf dem afrikanischen Kontinent           und die Stärke eines gemeinsamen             zu informieren und Kunstschaffende
zu sehen sind, oder gibt afrikanischen        Ausstellungprojekts im Beitrag jedes         weltweit miteinander zu vernetzen.
Positionen in Deutschland einen               Einzelnen liegt – nicht das Voneinan­        Auch außerhalb des digitalen Raums
Raum. Viele der vom ifa verwirklich­          der-, sondern das Miteinander-Lernen         entwickelt das C&-Team um Julia
ten Formate werden von kokreativen            steht stets im Vordergrund.                  Grosse und Yvette Mutumba um­­
Aspekten getragen, basieren also auf                                                       fangreiche Workshop-, Publikations-
der Idee, am Ausstellungsort mit              Die ifa-Galerien in Berlin und Stutt­        und Ausstellungsprogramme,
Menschen in einen bewussten Aus­­             gart leben ihrerseits den Austausch          so beispielsweise auch 2018/2019 im
tausch zu treten.                             mit afrikanischen Perspektiven auf           Rahmen des Deutschlandjahres in
                                              verschiedenen Ebenen. Die über               den USA. Mit Show me your Shelves!
                                              mehrere Jahre hinweg konzipierte             Bibliotheken als Ort der Begegnung
                                              transdisziplinäre Programmreihe              werden nicht nur deutsche afro-­
                                              Untie to Tie beschäftigt sich beispiels­­­   diasporische und afro-amerikanische

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