WIR WAREN UNSICHTBAR Honduras nach dem Putsch Perspektiven der Widerstandsbewegung
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Schutzgebühr: 2,- Euro WIR WAREN UNSICHTBAR Honduras nach dem Putsch Perspektiven der Widerstandsbewegung Für eine neue Verfassung – Politische Vorhaben der Resistencia Landkonflikte – Indigener & bäuerlicher Protest Queerer & feministischer Widerstand Europas problematische Entwicklungs- zusammenarbeit
IMPRESSUM Die Honduras-Broschüre ist eine Gemeinschaftsproduktion der Hondurasdelegation 2010 und der Lateinamerika Nachrichten ViSdP: Eva Bahl, Andrés Schmidt, Marius Zynga // Auflage: 4.200 Stück Honduras-Delegation 2010 // c/o Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. Pariser Straße 13 // 81667 München // Tel. 0049-89-448 59 45 // Email: info@oeku-buero.de www.oeku-buero.de // hondurasdelegation.blogspot.com Lateinamerika Nachrichten e.V. // Gneisenaustr. 2a // 10961 Berlin Tel. 0049-30-694 61 00 // Email: redaktion@LN-Berlin.de www.lateinamerika-nachrichten.de Foto: Javier Solas Zu sehen ist die „Abuela en Resistencia“, die auf keiner Demonstration gegen den Putsch fehlt. Das Titelfoto ist von Ariel Sosa. Wir danken für die finanzielle Unterstützung von: Rosa Luxemburg Stiftung Kurt-Eisner-Verein Österreichische HochschülerInnen- schaft Grüne Bildungswerkstatt Wien (GBW) Basisgruppe Internationale Entwick- lung – Uni Wien Förderkreis Oscar-Romero-Haus e.V. Flüchtlingshilfe Mittelamerika e.V.
EDITORIAL // INHALT VOR DEM PUTSCH WAREN SIE UNSICHTBAR Frauen, LehrerInnen, Queers, Kleinbauern und -bäuerinnen, Indigene und ArbeiterInnen wehrten sich ver- einzelt gegen eine neoliberale, repressive Übermacht, die ihre Ordnung in Honduras durchsetzte. Unter Präsident Zelaya begannen diese Gruppen erstmals, über gemeinsame Forderungen nach einem anderen Honduras nachzudenken. In der Widerstandsbewegung gegen den Putsch gelangte die Bewegung zu ei- ner gesellschaftlichen Bedeutung, der die PutschistInnen nur noch mit Gewalt Einhalt gebieten konnten. Heute sind sie sichtbar. Ihr Kampf forderte zahllose Opfer, und die Unterdrückung gegen die Bewegung dauert unvermindert an. Den Aufbruch sichtbar zu machen, haben auch wir uns zur Aufgabe gemacht. Eine zehnköpfige Delegation bereiste im Dezember 2010 Honduras, um diese Bewegung in ihrer Vielfalt kennen zu lernen. Wir sind nicht unbeteiligt. Die Ereignisse in Honduras geschehen in einer Konstellation internatio- naler Interessen. Dass die Regierungen der EU ein moralisch und politisch bankrottes Regime gegen einen enormen gesellschaftlichen Aufbruch verteidigt, löst ein Unbehagen aus, das über die Grenzen von Hondu- ras hinausgeht. Sichtbares Ergebnis davon ist dieses Heft, das wir als Einladung verstehen. Die Lateinamerika Nachrichten und die Honduras-Delegation 2010 freuen sich, dieses gemeinsam präsen- tieren zu können. Ebenfalls für die Verbreitung sorgen die Wiener Zeitschrift Lateinamerika Anders, das Münchner Info-Blatt des Ökumenischen Büros, und, so hoffen wir, Sie und ihr. // Honduras-Delegation 2010 & LN-Redaktion INHALT 2 Honduras nach dem Putsch // Eine Einleitung zum Dossier „Wir waren unsichtbar“ 4 Häufig gestellte Fragen // Frage und Antwort zum Putsch in Honduras 6 Neue politische Kraft // Panorama und Perspektiven der Widerstandsbewegung 10 Rückwärts Marsch – Drei Schritte nach rechts // Der politische Backlash unter Präsident Porfirio Lobo Sosa 14 Kämpferische Frauen // Die honduranische Frauenbewegung hat nach dem Putsch an Stär- ke gewonnen und neue Themen erschlossen 17 „Für unser Recht auf Leben“ // Interview mit dem Aktivisten Donny Reyes von der hondu- ranischen LGBT-Bewegung über die Situation von Queers seit dem Putsch 20 Die Stimme der Lencas // Die Indigenenorganisation COPINH ist eine zentrale Stütze der Widerstandsbewegung in Honduras 24 Öl ins Feuer // Die Subventionierung „grüner Projekte“ könnte die Landkonflikte in Honduras weiter zuspitzen 28 Eine Musterstadt für Reiche // Interview mit Jesús Garza, Mitglied der Widerstandsbewe- gung (FNRP) und der Honduranischen Koalition der Bürgeraktion (CHAAC) 30 Ich weiß, was du vorletzten Sommer getan hast // In Honduras sind dieses Jahr gleich zwei Wahrheitskommissionen im Einsatz. Eine offizielle und eine der Widerstandsbewegung 32 Kontinuität auch mit Putschisten // Der Umsturz in Honduras hat die Beziehungen der EU zu dem mittelamerikanischen Land zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt 35 Endet eh alles wie auf Kuba // Die Friedrich-Naumann Stiftung für die Freiheit hält zu den PutschistInnen. Dass ihre eigenen StipendiatInnen den Putsch kritisieren, ist ihr egal 37 Historischer Überblick 39 Die Honduras-Delegation 2010 // Kontakt // Veranstaltungen // Unterstützen & Mitmachen
HONDURAS NACH DEM PUTSCH EINE EINLEITUNG ZUM DOSSIER „WIR WAREN UNSICHTBAR“ Foto: Delmer Membreño Als am 28. Juni 2009 der Präsident von Hondu- schon 20 Jahre lang in Form einer Militärdiktatur ras im Schlafanzug von Militärs aus seinem Haus beherrscht hatte. Die Wahlen, die das Regime gezerrt, in ein Flugzeug gesteckt und nach Costa am 29. November 2009 abhielt, hatten daher in Rica entführt wurde, stand das zentralamerikani- erster Linie den Zweck, diese autoritäre Optik zu sche Land plötzlich im Licht der Weltöffentlichkeit. korrigieren. Einen Überblick über die Ereignisse Was hatte diesen Putsch ausgelöst, und womit rund um den Putsch, seine Vorgeschichte und Manuel Zelaya den Zorn der Oligarchie des Lan- die Illegitimität der Wahlen bietet Marius Zynga des auf sich gezogen? in einer Sammlung von häufig gestellten Fragen Der Tag des zivil-militärischen Putsches markierte zum Putsch in Honduras. Einen Überblick über eine Zäsur in den Auseinandersetzungen um die die Geschichte von Honduras allgemein bietet die Zukunft Honduras´. Gleichzeitig bedeutet er auch Zeitleiste im Anhang. die partielle Wiederherstellung der Logik der Ge- Die katastrophalen Auswirkungen der neolibera- walt, die das Land im vergangenen Jahrhundert len Strukturanpassungsprogramme der 1990er 2 Dossier Honduras
Jahre haben auch in Honduras soziale Bewegun- sich unter Lobo besonderer Repression ausge- gen entstehen lassen, die mit Zelaya in vielen setzt. Ihr Kampf um das Recht auf Land und den Fragen einen Bündnispartner fanden. Sie sind es, Erhalt der natürlichen Ressourcen ist gleichzeitig die sich nach dem Putsch in eine vielfältige Mas- ein Kampf um Nahrungsmittelsouveränität und senbewegung verwandelten, die die Idee eines bezeichnet eine zentrale Dimension der struktu- sozial gerechten und lebenswerten Honduras un- rellen sozialen Probleme Honduras. Nora Bluhme missverständlich einfordert. Der Putsch gab die- bringt eine Reportage aus Bajo Aguán, dem Zen- ser Bewegung, der Tragik der harten Repression trum des honduranischen Landkonflikts. zum Trotz, eine neue Dynamik. Einem Porträt des Inzwischen sieht es so aus, als versuche die Widerstands gegen das Putschregime und seinen Regierung unter Porfirio Lobo Sosa die Protes- Perspektiven widmet sich Magdalena Heuwieser. te auszusitzen. Sie versucht mit einer Mischung Die Bewegung sieht sich seit dem Putsch mit aus der Bekundung guten Willens und Repressi- einem neoliberalen backlash konfrontiert. Die ak- on den Kopf über Wasser zu halten. Eine dieser tuelle Regierung von Porfirio Lobo Sosa betreibt vorgeblichen Maßnahmen zur „Versöhnung“ ist radikalen Kahlschlag überall dort, wo in den letz- die Einrichtung einer offiziellen Wahrheitskom- ten Jahren unter Zelaya zögerliche Fortschritte mission, die die Ereignisse rund um den Putsch erreicht wurden. Angriffe auf Sozialstandards, untersuchen soll. Da an dieser Kommission aber Privatisierungen und der Ausverkauf natürlicher dieselben Persönlichkeiten und Institutionen be- Ressourcen sind Programm. Ein vorläufiger Hö- teiligt sind, die den Putsch getragen haben, wur- hepunkt der Wirtschaftspolitik von Lobo ist aber de von Menschenrechtsgruppen eine „alternative die geplante Einrichtung sogenannter „Modell- Wahrheitskommission“ ins Leben gerufen. Kath- städte“ im Norden, in denen Land an ausländi- rin Zeiske beschreibt die Kontroverse rund um die sche InvestorInnen konzessioniert wird. Unter beiden Kommissionen. Aussetzung geltenden Arbeitsrechts und in Au- Schließlich widmen wir uns der für uns zentra- tonomie vom Staat Honduras und seinen Geset- len Frage der Anerkennungspolitik der EU und zen wird dort ein regelrechtes „Investorenpara- Deutschlands, die in der besorgniserregenden dies“ eingerichtet. Zu dem Thema befindet sich Menschenrechtsbilanz der Regierung Lobos of- in der Broschüre ein Interview mit Jesús Garza. fensichtlich kein Hindernis für eine Partnerschaft Begleitet wird die Agenda Lobos von massiver sehen. Die EU unterstützt den honduranischen Repression gegen AktivistInnen der sozialen Be- Sicherheitssektor im Rahmen des sogenannten wegungen und einer Attitüde der Straflosigkeit PASS-Programms und hat im Mai 2010 ein Asso- gegenüber politischen Morden und Entführun- ziierungsabkommen mit Lobo unterzeichnet. Ha- gen. Nichts desto trotz wählt die Europäische rald Neuber erklärt, wie die EU sich zur Komplizin Union Lobo zum engen Partner in der Region. Mit des aktuellen Regimes macht. Das tatkräftige Un- den Entwicklungen unter Porfirio Lobo Sosa und terstützung des Putsches durch die in Honduras ihren Konsequenzen setzt sich Fabian Unterber- tätige FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung hat ger auseinander. Kirstin Büttner unter die Lupe genommen. Die Angriffe der Regierung auf unterschiedliche Widerstand und Repression in Honduras dauern Bevölkerungsgruppen haben auch den Wider- an. Seit Februar streiken die Lehrergewerkschaf- stand breit und vielfältig wachsen lassen. Jen- ten in Honduras gegen die anstehende Privatisie- seits der Debatten über „alte“ und „neue Linke“ rung der Bildung durch eine Gesetzesreform. Am hat sich in Honduras eine Bewegung formiert, 30. März kam es im gesamten Land zu schweren die sowohl den Kampf für einen strukturellen Auseinandersetzungen, als Polizei und Militär gegen und systemischen Wandel, als auch feministi- den von der Widerstandsbewegung ausgerufenen sche, indigene und ökologische Kämpfe vereint. Generalstreik vorgingen. In der Region Bajo Aguán Kathrin Pelzer beleuchtet die Rolle von Frauen im forderten die Kugeln des Repressionsapparates Widerstand, während Donny Reyes im Interview mindestens einen Toten, im gesamten Land gab es mit Eva Bahl von den Realitäten des lesbisch- unzählige Verletzte und Festgenommene. Die sich schwul-bi-transsexuellen Widerstandes berichtet. auf den Strassen abspielenden Szenen erinnerten Johannes Schwäbl widmet sich den Kämpfen laut Augenzeugen an die Tage nach dem Putsch. der Indigenenorganisation COPINH. Sie sehen // Fabian Unterberger Dossier Honduras 3
HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN FRAGE UND ANTWORT ZUM PUTSCH IN HONDURAS Wodurch kam es zu dem Putsch gegen die Re- rufung einer Verfassunggebenden Versammlung gierung von Manuel Zelaya? stattfinden sollte. Als Manuel Zelaya 2006 das Präsidentenamt Zelaya forderte einen „sozialistischen Liberalis- übernahm, glaubte niemand, dass er eine Politik mus“, damit „alle Vorteile des Systems dorthin gegen die Interessen der Eliten und für die Mehr- kommen, wo sie am meisten benötigt werden: heit der Bevölkerung machen würde. Er selbst ist zu den Frauen, den Männern, den Kinder, den Großgrundbesitzer und stammt aus einer wohlha- Bauern, den Produzenten!“ Zelayas Gegner be- benden Familie. haupteten, er wolle mit der Volksbefragung und Als Strategien gegen steigende Energiepreise dem darauf folgenden Referendum lediglich seine suchte er dennoch bald den Kontakt selbst zu Wiederwahl erreichen und Honduras in eine Dik- umstrittenen möglichen Partnern wie Venezuelas tatur verwandeln. Präsident Hugo Chávez. Dieser bot mit dem la- teinamerikanischen Erdölbündnis Petrocaribe ei- Hätte sich Zeleya nach einem erfolgreichen ne preiswerte Alternative zu Öl zu Marktpreisen. Referendum wiederwählen lassen können? Dadurch verringert Honduras seine Abhängigkeit Nein. Das Referendum, das im Falle der Zu- von US-amerikanischen und europäischen Öl- stimmung der Bevölkerung gemeinsam mit den multis und intensivierte die Beziehungen zu Ve- Wahlen am 29. November 2009 hätte stattfinden nezuela. Im August 2008 trat Honduras dem von sollen, hätte zunächst eine Verfassunggebende Venezuela und Kuba ins Leben gerufene Staaten- Versammlung einberufen. Diese hätte dann in bündnis ALBA bei. den Monaten darauf die Aufgabe gehabt, eine Kurz darauf hob Manuel Zelaya den Mindestlohn neue Verfassung zu erarbeiten. für Angestellte im öffentlichen Dienst an und Brisant dabei ist, dass der honduranische Kon- suchte den Dialog mit VertreterInnen von Bau- gress Mitte Januar 2011 eine Änderung des Arti- ern- und Indigenenorganisationen. Diese linkso- kel 5 der Verfassung vorgenommen hat. Dadurch rientierte Politik brachte die Eliten gegen Zelaya werden Referenden bezüglich der Wiederwahl auf. Als er Mitte 2009 dann eine unverbindliche des Präsidenten möglich gemacht. Volksbefragung durchführen wollte, wurde das Militär beauftragt, Zelaya zu verhaften und ihn au- Wer steckt hinter dem Putsch? ßer Landes zu bringen. Zur Begründung hieß es, Die Verhaftung und Außerlandesbringung Zelayas jede Volksbefragung zu Wahlgesetzen sei verfas- wurde von Militärs unter Führung von General Ro- sungsrechtlich verboten. meo Vásquez Velásquez durchgeführt. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof die Verhaftung Zelayas Welche Änderungen der Verfassung sah Zela- angeordnet, da ihm aufgrund der geplanten Volks- ya vor? befragung von der Opposition und der Oligarchie Manuel Zelaya hatte sich dazu nie konkret geäu- des Landes ein Verfassungsbruch vorgeworfen ßert. Details sollte erst die Verfassunggebende wurde. Schon in den Monaten zuvor hatten die Versammlung erarbeiten. Zelaya sagte aber, er von den Eliten kontrollierten Medien gegen Zela- wolle die Bevölkerung stärker an politischen Pro- yas linksgerichteten politischen Kurs gewettert. zessen beteiligen. Dazu plante er, am 28. Juni Auch die USA müssen frühzeitig von dem Vorha- 2009 die BürgerInnen in einer nicht bindenden ben eines Staatsstreiches gewusst haben, denn Meinungsumfrage zu konsultieren. Sie sollten die PutschistInnen nutzten den US-Militärstütz- darüber entscheiden, ob bei den kommenden punkt Palmerola bei Comayagua, um Zelaya aus- Wahlen gleichzeitig ein Referendum zur Einbe- zufliegen. 4 Dossier Honduras
Am Tag des Putsches wurde im Parlament die vor der Amtseinführung von Porfirio Lobo damit Fälschung eines Rücktrittsschreibens Zelayas begonnen, Amnestien für politische Straftaten verlesen sowie Telefonnetz und Rundfunk abge- zu erlassen. schaltet. Kurz nach dem Putsch meldete sich auch der honduranische Kardinal und Vorsitzende von Welche lateinamerikanischen Länder anerken- Caritas International, Óscar Andrés Rodríguez, zu nen die Putschregierung von Porfirio Lobo? Wort. Er rechtfertigte die Absetzung Zelayas und Anerkannt wird die Regierung von Porfirio Lobo vertrat die Meinung, Venezuelas Präsident Hugo bisher von Mexiko, Guatemala, Belize, El Salva- Chávez wolle durch Zelaya Kommunismus in Hon- dor, Costa Rica, Panama, Kolumbien, Peru und duras einführen. Ähnlicher Meinung waren auch Chile. Brasilien, Ecuador, Bolivien, Argentinien, honduranische Unternehmerverbände, konserva- Venezuela und Nicaragua haben die Regierung tive US-Politiker und die FDP-nahe Friedrich-Nau- von Porfirio bisher nicht anerkannt. Weiterhin mann Stiftung, die in Tegucigalpa ein Regionalbü- ist Honduras‘ Mitgliedschaft in der Organisation ro unterhält. Amerikanischer Staaten (OAS) suspendiert. Wurden die für den Putsch verantwortlichen Was macht Manuel Zelaya heute? Personen in irgendeiner Weise sanktioniert? Manuel Zelaya lebt seit dem 27. Januar 2010 im Nein. Zwar teilte der US-Botschafter Hugo Llo- Exil in der Dominikanischen Republik. Er ist Haupt- rens einen Monat nach dem Putsch Washington koordinator der Widerstandsbewegung und hofft mit, dass es „keinen Zweifel mehr daran (gibt), auf eine baldige Rückkehr nach Honduras. Zelaya dass die Amtsübernahme durch Roberto Miche- wurde von Hugo Chávez zudem die Leitung des letti illegitim war.“ Er bezeichnete die Vorgänge „Politischen Rates“ von Petrocaribe übertragen. als einen Putsch und widerlegte die Vorwürfe der PutschistInnen gegen Präsident Manuel Was fordert die Widerstandsbewegung? Zelaya. Dennoch wurde Putschpräsident Rober- Die Widerstandsbewegung fordert unter ande- to Micheletti der Status eines Abgeordneten auf rem die Einberufung einer Verfassunggebenden Lebzeiten und damit ein lebenslanges Monats- Versammlung. In der neuen Verfassung sollen die gehalt, Immunität sowie Polizeischutz für sich Prinzipien der partizipativen Demokratie etabliert und seine Familie zugesichert. Im März 2010 er- werden. Weiter wird die Erneuerung des aktuel- nannte Porfirio Lobo den für den Putsch verant- len Machtapparates, die Rückkehr Manuel Zela- wortlichen General Romeo Vásquez Velásquez yas aus dem Exil und die Rücknahme neoliberaler zum Präsidenten der nationalen Telefongesell- Arbeitsgesetze gefordert. schaft Hondutel. Die Putschregierung hatte noch // Marius Zynga Foto: Javier Eliu
NEUE POLITISCHE KRAFT PANORAMA UND PERSPEKTIVEN DER WIDERSTANDSBEWEGUNG 6 Dossier Honduras
Plötzlich waren die Straßen voller Menschen, voller Transparente und Lärm, voller Zorn und Euphorie. Plötzlich waren die Wände entlang der Straßen gespickt mit regimekritischen Graffiti, die die Machthabenden in Honduras an den Pranger stellten. Der Putsch bedeu- tete nicht nur vermehrte Unterdrückung und Gewalt, er brachte auch Positives hervor: eine neue politische und soziale Kraft, die Wider- standsbewegung FNRP. Diese setzt sich seit- dem für einen tiefgreifenden Wandel im Land ein, der über eine partizipative Verfassungge- bende Versammlung erreicht werden soll. Soziale Bewegungen hatte es in Honduras selbst- verständlich auch vor dem Putsch gegeben, wenn auch weniger stark ausgeprägt als in den um- liegenden zentralamerikanischen Ländern. Dort wehrten sich seit den 1970er Jahren organisierte Guerilla-Bewegungen gegen die US-gestützten Militärregimes. In Honduras wurden währenddes- sen die Land- und Gewerkschaftsbewegungen meist mit Kompromissen oder direkter Gewalt kleingehalten. Ab Anfang der 1990er Jahre be- gann sich aber auch dort verstärkter Widerstand gegen die einsetzenden neoliberalen Strukturan- passungsprogramme zu regen. Aufgrund des tief- greifenden Wandels im Wirtschaftsmodell und der daraus resultierenden Prekarisierung der Arbeits- verhältnisse wurde – und blieb – jedoch vor allem die Gewerkschaftsbewegung sehr geschwächt. Ab der Jahrtausendwende kam neuer Schwung in die sozialen Proteste und es entstanden ver- mehrt Frauen- oder Umweltbewegungen sowie Widerstand gegen neue Freihandelsabkommen. Diese Gruppen agierten jedoch hauptsächlich ge- trennt voneinander, wenn auch mit der Gründung des Bloque Popular (Volksblock) der Coordinadora Nacional (Nationale Koordination) in den Jahren 2000 und 2003 Fundamente für eine Vernetzung gelegt wurden. Parlamentarisch weitgehend isoliert, suchte Ma- nuel Zelaya ab seiner Amtszeit 2006 Rückhalt in der Zivilbevölkerung. Die Annäherung wurde auf- grund seiner progressiven Reformen, dem Beitritt zum linken lateinamerikanischen Staatenbündnis Foto: Javier Eliu Vielfalt der Bewegung Die Widerstandsbewegung ist eine neue politische und soziale Kraft Dossier Honduras 7
ALBA und dem gemeinsamen Einsatz für die, von Foto: Delmer Membreño ihm vorgeschlagene Umfrage über eine partizipa- tive Verfassunggebende Versammlung (VV) auch erwidert. Die herrschende Elite im Land sah so- mit die recht stabilen Kräfteverhältnisse in Gefahr. Der Staatsstreich sollte eigentlich die Stabilität wiederherstellen und den wachsenden Einfluss der Zivilgesellschaft verhindern. Tatsächlich konn- te die nationale Elite ihr Fortbestehen durch ihr aggressives Eingreifen auch erst einmal sichern. Dies jedoch auf einem fragileren Fundament als zuvor, da die sozialen Bewegungen durch ihre gemeinsame Kraft in der Widerstandsbewegung Frente Nacional de Resistencia Popular (FNRP) erst an Schwung gewannen. Dass nach dem Putsch also eine so massive Bewegung entstand, lag einerseits an der Allianz mit Zelaya, der Zunah- me der sozialen Proteste im letzten Jahrzehnt, der Existenz von schon bestehenden Organisations- strukturen und dem gemeinsamen Feindbild: den „Putschisten“, beziehungsweise dem gemeinsa- men Ziel: der Verteidigung der Demokratie, der Rückkehr Zelayas und der Einberufung einer VV. „Der Putsch war wie ein Aufwachen für die Zivil- bevölkerung und der Protest wie eine Schule auf den Straßen“, beschreibt Edgar Soriano, Historiker und Delegierter der FNRP. Die wenigen alternati- ven Medien klärten auf über die „zehn Familien“, die das Land besitzen. Treue KirchgängerInnen Straßen voller Menschen „Protest ist wie eine waren geschockt von der Komplizenschaft des Schule auf den Straßen“. katholischen Kardinals. Die großen Zeitungen ent- puppten sich als Putsch-Medien und wurden links – oder eher rechts – liegen gelassen. Antreibende auch die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr zur Kraft war somit vor allem die aufkommende Er- demokratischen Ordnung mit Zelaya im Lande. kenntnis darüber, dass der formaldemokratische Die Repression, finanzielle Schwierigkeiten und Staat vielmehr Projekt einer abgehobenen Elite die Notwendigkeit der Rückkehr zum Arbeits- und ist und weite Bevölkerungsteile ausschließt. Schulalltag ließen die FNRP ihre Strategie än- Auf den Putsch folgten mehrere Monate mit dern. Zum Widerstand gegen den Putsch kamen täglichen friedlichen Massenmobilisierungen, langfristigere Forderungen hinzu und es wurde Straßenblockaden, Boykotts und Streiks in den vermehrt auf die Stärkung der internen Struktu- Städten und auf dem Land. Ausgangssperren, ren und Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung gewaltsame Auflösung der Demonstrationen, durch den Aufbau alternativer Medien und politi- willkürliche Festnahmen, Militarisierung und Ver- sche emanzipative Bildung gesetzt. gewaltigungen von Frauen durch Polizisten waren Nach dem Amtsantritt Lobos Anfang 2010 hat sich die Antwort des Putschregimes unter Roberto Mi- die Situation für den Widerstand keineswegs ver- cheletti. Auch die Zensur der wenigen kritischen bessert. Vielmehr stellt die internationale Anerken- Medien, Bedrohung von Menschenrechtsaktivis- nung des Regimes und das Ignorieren sämtlicher tInnen und eine steigende Anzahl politischer Mor- Menschenrechtsverletzungen ein Hindernis für de standen auf der Tagesordnung. die FNRP dar. Trotz allem ist sie im Land weiter- Nach der Wahlfarce im November 2009 und dem hin eine sehr wichtige soziale und politische Kraft sinkenden internationalen Interesse schwand und wird laut Statistiken von über 30 Prozent der 8 Dossier Honduras
Bevölkerung als solche anerkannt. Die FNRP selbst tem, ein Verbot von Privatisierungen, den Austritt beschreibt sich als eine offene, demokratische, aus Freihandelsabkommen und die Förderung anti-kapitalistische, anti-hierarchische, anti-impe- regionaler Integration darstellen. Auch eine neue rialistische, anti-patriarchale und anti-rassistische Agrarreform stünde auf dem Plan. Für die Einbe- Bewegung. Studierende, indigene und bäuerliche rufung sammelte die FNRP im Jahr 2010 über 1,4 Gemeinschaften, Umweltgruppen, Gewerkschaf- Millionen „Souveräne Erklärungen für eine VV“, ten, feministische, lesbische und homosexuelle Be- was über 55 Prozent der WählerInnenschaft ent- wegungen, KünstlerInnen und MusikerInnen, Teile spricht. Diese haben zwar keinen bindenden Cha- von Parteien, Hausfrauen, Maquila-ArbeiterInnen, rakter, dennoch zeigen sie, wie sehr der Wunsch AnwältInnen, Lehrende, Menschenrechtsorganisa- nach grundlegenden Veränderungen in der Bevöl- tionen und vor allem auch viele zuvor nicht organi- kerung verankert ist. sierte Einzelpersonen sind darin repräsentiert – im Von 26. bis 27. Februar 2011 fand in Tegucigalpa Ganzen über 60 Organisationen. die bisher größte Generalversammlung mit über Durch die Pluralität an AkteurInnen nahm die FNRP 1.500 VertreterInnen aus allen Departamentos viele neue Konzepte auf, die selbst in den linken und sozialen Sektoren statt. Lange hatten alle Kreisen noch ignoriert worden waren. So wurde darauf hingefiebert, sollten in ihr doch die zukünf- klar, dass ausschließende Praktiken nicht nur auf tigen Strategien zur Erreichung einer VV beschlos- die Beziehung Kapital-Arbeit zutreffen, sondern sen werden. auch auf ethnische Herkunft, Gender und sexuelle Die Monate davor hatten viele interne Diskussi- Orientierung. Die Beschränkung auf die „Arbeiter- onen darüber stattgefunden. Erkennbar waren klasse als einzigen sozialen Akteur“ wurde damit hauptsächlich zwei Fraktionen: Die eine Seite plä- erweitert auf einen heterogenen sozialen Block. dierte für die Teilnahme an den nächsten Wahlen Vor allem Frauen, Feministinnen, Homo- und Trans- 2013, um schließlich mit einer Mehrheit im Parla- sexuelle konnten sich innerhalb der FNRP neue ment eine partizipative VV einberufen zu können. Freiräume eröffnen. „Dass heute bei Versamm- Andere Gruppen setzten sich für den weiteren lungen gendergerechte Sprachweise verwendet Boykott der illegitimen Regierung Lobo und eine wird, war vorher in unserer „Macho-Gesellschaft“ eigenständige Einberufung einer VV ein, die einen unmöglich“, begeistert sich Sara Eliza Rosales, De- stärkeren Bewusstseinsbildungsprozess und eine legierte der FNRP, Schriftstellerin und Feministin. Basisorganisierung in der Bevölkerung erreichen Ziel der Basisorganisation ist ein grundlegender könnte. Wandel der Gesellschaftsform, des politischen In der Versammlung wurde entschieden, dass Systems und des Wirtschaftsmodells. Ähnlich eine Wahlbeteiligung erst geplant werden kann, wie andere Transformationsprozesse der „Neuen wenn die „Voraussetzungen dafür stimmen“. Dazu Linken“ in Lateinamerika stellen sie eine VV ins gehören die bedingungslose Rückkehr von Zelaya Zentrum ihres Kampfes. Dabei geht es keines- und anderen politisch Exilierten sowie das Durch- falls nur um eine rein formale Gesetzesänderung. führen einer selbst einberufenen VV. Erst danach Vielmehr soll es sich um einen emanzipatori- und mit einem geänderten Wahlgesetz könnte schen Diskussionsprozess in allen Sektoren der die FNRP als soziale und politische Kraft direkt an Bevölkerung handeln, in dem sich Basisgruppen Wahlen teilnehmen. gemeinsam überlegen, mit welchen Problemen Bis jetzt erlaubt das Gesetz nur Parteien oder sie konfrontiert sind und welche Forderungen sie unabhängige Kandidaturen. Somit konnten eine stellen. „Eine neue Verfassung in Honduras muss Trennung in eine politische Partei und eine soziale zum Ziel haben, ein neues und alternatives Le- Bewegung, sowie die immer größer werdende bensmodell zu entwerfen“, betont Jesus Antonio Dominanz der liberalen Partei innerhalb der FNRP Chavez, Aktivist der FNRP. Und Berta Cáceres von verhindert werden. Die VV soll am zweiten Jah- COPINH erklärt: „Wir wären erstmals in der Lage, restag des Putsches, am 28. Juni 2011, einberu- einen Präzedenzfall für die Emanzipation der Frau- fen werden. Auch wird weiterhin auf die Desta- en zu schaffen. Die aktuelle Verfassung erwähnt bilisierung des Regimes gesetzt, unter anderem Frauen an keiner einzigen Stelle.“ Außerdem wür- durch einen nationalen Generalstreik. de die erhoffte Magna Charta eine Grundlage für den endgültigen Bruch mit dem neoliberalen Sys- // Magdalena Heuwieser Dossier Honduras 9
RÜCKWÄRTS MARSCH – DREI SCHRITTE NACH RECHTS DER POLITISCHE BACKLASH UNTER PRÄSIDENT PORFIRIO LOBO SOSA Foto: Hugo Bautista
Die durch zweifelhafte Wahlen im November 2009 an die Macht gelangte Regierung von Lobo Sosa bläst zum Generalangriff auf So- zialstandards, belebt die Privatisierungsvor- haben neu und eröffnet den Ausverkauf der natürlichen Ressourcen des Landes. Diese reaktionäre Politik der PutschistInnen-Regie- rung verschärft die soziale Polarisierung. Der Widerstand dagegen hat mit harter Repressi- on zu kämpfen und wird zum Ziel straffreier Morde, Entführungen und Sabotagen. Nichts- destotrotz wählt die Europäische Union Lobo Sosa als engen Partner in der Region. Porfirio Lobo Sosa präsentiert sich gerne als Prä- sident der nationalen Versöhnung. Sein Kabinett taufte er pathetisch „Regierung der nationalen Ein- heit“. Doch schon in der Interpretation der Wahlen vom November 2009 gibt es zwei völlig verschie- dene Perspektiven im Land. Während Lobo sich durch eine stabile Mehrheit gestützt sieht, spricht die Opposition von Wahlbetrug. Die Wahlbeteili- gung erreichte laut Regierung einen historischen Höchststand von 80 Prozent, während die Oppo- sition, die zum Wahlboykott aufrief, höchstens von 40 Prozent ausgeht. Obwohl keine unabhängige Wahlbeobachtung stattfand, wurde in nationalen Medien von zahlreichen Unregelmäßigkeiten be- richtet. Ganz zu schweigen von den militarisierten Verhältnissen, unter denen die Wahl stattfand. Den zweifelhaften Umständen der Wahl zum Trotz sind mittlerweile jedoch drei Dinge manifest: Lobo ist seit über einem Jahr Präsident von Honduras, regiert ein Land, das zutiefst gespalten ist und schafft es doch, international an Boden zu ge- winnen. Die Polarisierung in Honduras rührt nicht ausschließlich vom Putsch her, sondern gründet sich auch auf der neoliberalen Offensive, welche die Regierung Lobo in ihrem einjährigen Bestehen ausgezeichnet hat. In ihr findet eben die Politik, die unter den Vorgängern Zelayas die massiven sozia- len Proteste der 1990er auf den Plan brachte, ihre Fortsetzung. Zelaya brach in weiten Teilen mit der neoliberalen Agenda seiner Vorgänger und koope- rierte mit den sozialen Bewegungen. Demgegen- über scheint Lobo von der Nationalpartei Honduras (PNH), der konservativsten Kraft des Landes, dar- um bemüht, diese lästige Erinnerung so schnell als möglich auszulöschen. Gescheiterter Versuch Putschisten verhindern Zela- yas Landung in Tegucigalpa Dossier Honduras 11
Eine erste Offensive der Regierung richtete sich deren BewohnerInnen darstellt, wird so zum pro- gegen die LehrerInnengewerkschaft „Föderation fitträchtigen Schnäppchen. der Lehrerorganisationen Honduras“ (FOMH). „Das Resultat des Putsches ist ein noch nie da Der von ihr 1997 erkämpfte Mindestlohn wurde gewesener Ausverkauf der natürlichen Ressour- gestrichen, seit Lobos Amtsantritt sind 6.000 cen von Honduras“, resümiert Berta Cáceres. Die- Grund- und MittelschullehrerInnen gänzlich ohne ser macht auch vor den honduranischen Wäldern Bezahlung geblieben. nicht halt. Ganze Waldstriche werden auf ihre Der Abbau von Sozialstandards in einem Land, in Kapazität vermessen, Kohlendioxid zu absorbie- dem ohnehin schon über die Hälfte der Bevölke- ren. Anschließend werden sie parzelliert und an rung in Armut lebt, macht auch vor der Maquila- ausländische Konzerne verleast, die dadurch an Industrie nicht halt. Ein neues Stundenarbeitsge- neue Kohlendioxid-Emissionszertifikate gelangen. setz zeichnet dafür verantwortlich, dass regulär Die lokale Bevölkerung hingegen wird durch die Beschäftigte massenhaft ihre Anstellung verlieren Konzessionierung der Wälder an private Unter- und durch StundenarbeiterInnen ersetzt werden, nehmen von deren Nutzung ausgeschlossen. die weder Anspruch auf Versicherung noch auf Ur- Den Gipfel des Ausverkaufs des Landes stellt laub haben. aber das im Januar 2011 beschlossene Projekt Die von Zelaya gestoppten Privatisierungsvorha- der so genannten Charter-City („Ciudad Mo- ben im Energie-, Telekommunikations- und Infra- delo“) im Norden von Honduras dar. Nach den strukturbereich hat Lobo wieder aufgenommen. hierfür erforderlichen Verfassungsänderungen Das Wasserkraftwerk „José Cecilio del Valle“, das werden in „Speziellen Entwicklungszonen“ die 120.000 Menschen in über 90 Gemeinden im Sü- honduranischen Gesetze weitgehend außer den Honduras versorgt, wurde an ein italienisches Kraft gesetzt. In diesen autonomen Städten Konsortium verkauft. Die vollständige Privatisie- mit eigener Legislatur sollen ausländische In- rung von Hondutel, dem staatlichen Telekommu- vestorInnen direkt am Gesetzgebungsprozess nikationsunternehmen, ist nach einer strategi- beteiligt werden. Die „investorenfreundlichen“, schen Allianz mit dem amerikanischen Anbieter den chinesischen „Sonderproduktionszonen“ Latincom im Januar 2011 nur noch eine Frage der nicht unähnlichen Autonomiegebiete sollen auch Zeit. Ganz oben auf der Privatisierungsliste steht Freihandelsabkommen mit anderen Staaten ab- auch der staatliche Energiekonzern ENEE. schließen können. Doch nicht nur Staatsbetriebe bringt Lobo unter Unterdessen eskaliert die Regierung den Land- den Hammer. Auch natürliche Ressourcen wer- konflikt im Tal von Bajo Aguán im Nordosten den unter seiner Regierung zum Verkaufsschla- Honduras. Seit dem Inkrafttreten des „Moderni- ger. Ein neues Wassergesetz, beschlossen schon sierungsgesetzes für den Agrarsektor“, das den im August 2009 unter dem Putschpräsidenten Verkauf von staatlichem und Genossenschafts- Roberto Micheletti, ermöglicht heute die Konzes- land erlaubte, ist dort ein rasanter Landkonzen- sionierung von Flüssen an ausländische Unter- trationsprozess im Gang. Mittlerweile verfügt in nehmen. Bis April 2010 genehmigte die Regie- Honduras ein Prozent der Bevölkerung über 33 rung 47 derartige Projekte, 250 weitere befinden Prozent des fruchtbaren Bodens. BäuerInnen- sich in Planung. Teilweise mit hohen finanziellen organisationen fordern heute die Grundstücke Hilfen von USAID, welches die von den Konsorti- zurück, die in ihren Augen illegal und unter Ver- en getragenen Projekte mitfinanziert, werden an letzung des Landgesetzes von 1972 verkauft wur- den Flussläufen Wasserkraftwerke errichtet. Da den. Dem begegnen die GroßgrundbesitzerInnen Honduras jetzt schon mehr Energie produziert als wie Miguél Facussé wiederum mit dem Einsatz es selbst konsumiert, erläutert Berta Cáceres, Ko- von paramilitärischen Milizen, die für zahlreiche ordinatorin der Indigenenorganisation COPINH, Massaker in der Region verantwortlich gemacht solle mit dem erzeugten Strom vor allem der kri- werden. Lobo entsendete zusätzlich Militär und sengebeutelte US-Markt beliefert werden. Profi- verhängte den Ausnahmezustand über Gebiete, te um die 40 Milliarden US-Dollar werden in den in denen gerade protestiert wurde. Die Grenzen nächsten 30 Jahren aus der Energiegewinnung zwischen Miliz und Soldat sind dabei häufig flie- erwartet. Der Fluss Río Negro, an dessen Lauf ßend. Gleichzeitig kommt die Regierung schon drei Dörfer liegen, und der die Lebensgrundlage unterzeichneten Abkommen zur Titulierung von 12 Dossier Honduras
Land, für das die Kooperativen Besitzansprüche geltend machen konnten, nicht nach. Auch das 2008 noch unter Zelaya verabschiedete Dekret 18-2008 ließ Lobo außer Kraft setzen. Es garan- tierte den Bauern und Bäuerinnen die Ausstel- lung von Besitzurkunden, sofern sie nachweisen konnten, das Land seit mindestens zehn Jahren bestellt zu haben. Während heute 80 Prozent der ländlichen Bevöl- kerung in Armut leben, setzt Lobo Sosa auf den Anbau von Palmöl für den Export. „Was in Hondu- ras forciert wird, ist das alte neoliberale Konzept der Produktion für den Export bei gleichzeitigem Import von Nahrungsmitteln aus dem Ausland.“, resümiert Gilberto Ríos von der Nichtregierungs- organisation FIAN, die sich für das Menschen- recht auf Nahrung einsetzt. Es sind diese sozialen Verhältnisse, die Honduras seit dem formellen Ende der Militärdiktatur 1982 gespalten haben. Laut einer aktuellen Studie des Berta Cáceres von COPINH „Das Resultat des Put- unabhängigen Forschungsinstituts CESPAD ha- sches ist der totale Ausverkauf der Ressourcen.” ben 71 Prozent der HonduranerInnen kein Ver- trauen in die Demokratie in ihrem Land. Ein Drittel der Befragten unterstützt direkt die Widerstands- In einem solchen Klima fallen Morddrohungen, bewegung FNRP. Angesichts der Unerträglichkeit wie sie etwa Esdras Amado López, Direktor vom der Verhältnisse befürworten 55 Prozent der Be- Fernsehsender Canal 36 im Januar 2011 von ei- völkerung das von der FNRP verfochtene Anlie- nem Militär erhielt, auf fruchtbaren Boden. Hin- gen einer Verfassunggebenden Versammlung und zu kommt, dass von den registrierten Mordfällen einer „Neugründung“ Honduras‘. bisher nur ein einziger aufgeklärt wurde. Dieses Die Regierung von Pepe Lobo erkennt die FNRP Klima der Straflosigkeit und der Angst hat mit De- aber nicht als politischen Akteur an. Seit Amtsan- mokratie nichts zu tun. Oscar Mendoza, Sekretär tritt Lobos hat die Repression massiv zugenom- der Basisorganisation PRO, ist alarmiert: „Was men. Allein im ersten Halbjahr von Januar bis wir hier erleben, ist die ‚Kolumbianisierung‘ des August 2010 registrierte die renommierte hondu- Konflikts in Honduras.“ ranische Menschenrechtsorganisation COFADEH Honduras, das seit dem Putsch aus der Organisa- (Komitee der Angehörigen der Verhafteten und tion Amerikanischer Staaten (OAS) ausgeschlos- Verschwundenen in Honduras) über 100 politi- sen ist, konnte anfangs nur auf die Unterstüt- sche Morde. Dazu kamen mehr als 1.000 politisch zung Kolumbiens, Perus und Panamas zählen. motivierte Menschenrechtsverletzungen. Die Ko- Mittlerweile aber haben die meisten westlichen ordinatorin der Organisation, Bertha Oliva, ruft die Regierungen ihre Beziehungen zur Putschregie- internationale Gemeinschaft dazu auf, den Ver- rung normalisiert. In der EU brechen vor allem söhnungsdiskurs von Porfirio Lobo als das zu er- Spanien und Deutschland die Lanze für Lobo. kennen, was er sei: eine Lüge. „Ich bin es leid zu Der Aufsichtsratvorsitzende der deutschen Ent- sehen, wie hier verfolgt, gemordet, unterdrückt wicklungshilfeagentur GIZ, Hans-Jürgen Beer- und gleichzeitig gelogen wird“, beklagt Oliva. feltz, meint: „Die Regierung von Präsident Lo- Im April 2010 erklärten die „Reporter ohne Gren- bo bedeutet für uns einen positiven Wandel im zen“ Honduras zum gefährlichsten Land für Jour- Land“. Gloria Oqueli, Ex-Päsidentin des zentrala- nalistInnen weltweit. Nicht ohne Grund: Als An- merikanischen Parlaments, stellt demgegenüber fang 2011 der Zeitungsjournalist Henry Suazo von fest: „Die EU macht sich zur Komplizin der Bar- Unbekannten erschossen wurde, erhöhte sich die barei in Honduras.“ Zahl der 2010 ermordeten JournalistInnen auf elf. // Fabian Unterberger Dossier Honduras 13
KÄMPFERISCHE FRAUEN DIE HONDURANISCHE FRAUENBEWEGUNG HAT NACH DEM PUTSCH AN STÄRKE GEWONNEN UND NEUE THEMEN ERSCHLOSSEN Die Feministas en Resistencia sind ein breites stieg dabei um 60 Prozent. Honduras wird bereits Bündnis von Frauenorganisationen, das sich mit Ciudad Juárez in Mexiko verglichen, das die nach dem Putsch in Honduras formierte. Ge- weltweit höchste Anzahl an Frauenmorden ver- meinsames Ziel ist der Kampf gegen die durch zeichnet. Die permanente Vernachlässigung die- den Putsch bedingte steigende Gewalt an Frau- ser dramatischen Entwicklung durch die Regie- en. Die eng vernetzte Bewegung wendet sich rung veranlasst Frauen vermehrt, internationale gegen Haushaltskürzungen beim staatlichen Allianzen zu schmieden und Organisationen zu Gleichstellungsplan und mobilisiert gegen ar- aktivieren, um auf diesem Wege nationale Maß- beitsrechtliche Diskriminierung von Frauen. nahmen zu erzwingen. Feministas en Resistencia bekämpfen ebenso Im Zentrum für Frauenrechte (CDM) in San Pedro nationale wirtschaftliche Deregulierungs- und Sula im Norden Honduras‘ wird der Tag gegen Flexibilisierungsprozesse, welche von der neuen Gewalt an Frauen am 25. November 2010 groß Regierung in Gang gesetzt wurden. „Seit dem begangen. Die Juristin Maria Elena Sabillón und Putsch haben die Unternehmen viel an Macht ihre Mitarbeiterinnen sehen diesen Tag als Mög- gewonnen. Der Putsch war von wirtschaftlichen lichkeit, ihren Widerstand gegen die aktuelle Regie- Interessen geprägt. Der ehemalige Präsident rung zum Ausdruck zu bringen. Das CDM ist eine Zelaya wollte die Arbeitsbedingungen verbes- der zahlreichen Frauenorganisationen, die sich zu sern, indem er beispielsweise den Mindestlohn den Feministas en Resistencia (Feministinnen im erheblich anhob, das haben die UnternehmerIn- Widerstand) zusammen geschlossen haben und nen mit dem Putsch verhindert“ erklärt Yadira eine gut vernetzte und aktive Opposition gegenü- Minero. Sie arbeitet für EMIH (Equipo Monitoreo ber der illegitimen Regierung darstellen. Mit Hilfe Independiente de Honduras), eine Organisati- lokaler Radioprogramme, die kurzzeitig von der on, die ArbeitnehmerInnen in Zulieferbetrieben Regierung Lobos verboten wurden, und mit regel- transnationaler Konzerne in ihrem Kampf für ihre mäßig stattfindenden Demonstrationen streiten sie Rechte unterstützt. Mit großer Sorge beobachten für vormals bestehende Errungenschaften wie den die unterschiedlichsten Frauenorganisationen das Zugang zur „Pille danach“. Auch sind sie gegen die neue Gesetz zur Flexibilisierung der Arbeit. Die von der Regierung Lobos geplante Beschneidung „Neuerungen“ enthalten den ArbeiterInnen den des Budgets, das für die Umsetzung dringend not- Anspruch auf Sozialleistungen, Mutterschutz und wendiger Schritte im Rahmen des nationalen Ge- Urlaubsansprüche vor. Gewerkschaftliche Selbst- schlechter- und Gleichstellungsplans benötigt wird. organisation wird durch temporäre Arbeitsverhält- Alle Frauenorganisationen, die sich innerhalb nisse nahezu verunmöglicht. Bereits jetzt ist ein der Feministas en Resistencia organisieren, Anstieg an prekären Arbeitsplätzen zu beobach- eint das Anliegen, die seit dem Putsch drama- ten, dennoch sind in den offiziellen Statistiken nur tisch ansteigende Gewalt an Frauen national wie wenige Anzeigen gegen die Unterwanderung des auch international publik zu machen. Ziel ist es, geltenden Arbeitsrechts zu finden. Yadira Minero (inter)nationale Unterstützung gegen diese Men- führt das auf die Verunsicherung der Bevölkerung schenrechtsverletzung einzufordern. zurück, die aufgrund der instabilen politischen Bereits in den ersten Tagen nach dem Putsch war Situation zusehends Schwierigkeiten hat, ihre ein drastischer Anstieg von Gewalt gegen Frau- Rechte in diesem politischen System geltend zu en zu verzeichnen. Die Anzahl der Frauenmorde machen. Für die unterschiedlichen Frauenorgani- 14 Dossier Honduras
Foto: Maja Hofmann Es ist die Zeit der Angst Angst von Frauen vor der Gewalt der Männer, Angst von Männern vor Frauen ohne Angst sationen innerhalb der Feministas en Resistencia Marktliberalisierung in Verbindung mit der Schaf- ist diese Entwicklung aus zwei Gründen alarmie- fung von Freihandelszonen in schlecht bezahlte rend. Zum einen wird die Regierung die Armuts- Arbeitsplätze mit geringen Aufstiegschancen ge- gefährdung und das Abgleiten von Frauen in die drängt wurden. Die Regierung Lobo verschreibt Armut durch instabile, prekäre und temporäre sich in ihrer Politik neoliberalen Wirtschaftsinter- Arbeitsplätze weiter vorantreiben. Bereits jetzt essen. Die Unterzeichnung des Assoziierungsab- sind Frauen in Honduras vielfachen Diskriminie- kommens mit der Europäischen Union, in dem rungen innerhalb der Arbeitswelt ausgesetzt. Ex- der Ausbau von Freihandelszonen sowie das emplarisch können hierfür die Maquilas angeführt Gesetz zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes werden, Niedriglohn-Fertigungsbetriebe, in de- vorgesehen sind, macht dies deutlich. Die Diskri- nen überwiegend Frauen tätig sind, um Produk- minierung von Frauen wird somit strukturell lang- te der Textil-, Spielzeug- und Elektroindustrie für fristig im Land verankert. den Weltmarkt herzustellen. Geprägt sind diese Die geplanten budgetären Einschnitte im natio- Arbeitsplätze durch die Unterwanderung arbeits- nalen Gleichstellungsplan verhindern die Umset- rechtlicher Bestimmungen, die Verletzung einer zung wesentlicher Maßnahmen im Kampf gegen Vielzahl an Frauenrechten und sexuelle Über- Gewalt an Frauen. Die Weiterführung neoliberaler griffe. Die Löhne liegen mit 3000 Lempiras (114 Wirtschaft verhindert eine gleichberechtigte Teil- Euro) monatlich trotz immenser Überstunden, nahme am gesellschaftlichen Leben und negiert die gefordert werden, weit unter dem existenzsi- die Leistung, welche Frauen durch ihre reproduk- chernden Mindesteinkommen von 226 Euro. Die tive Arbeit erbringen. Die Feministas en Resisten- Maquilaindustrie zeigt exemplarisch, wie Frauen cia fordern unter anderem Geschlechtergerech- bereits in der Vergangenheit durch Handels- und tigkeit, Respekt für die kulturelle Diversität des Dossier Honduras 15
Landes, die Schaffung einer gewaltlosen Kultur Verfassunggebende Versammlung einzuberufen. und die Einhaltung der Menschenrechte. Diese Wesentlich für ihren Erfolg ist es, für ihre Forderun- Forderungen bringen sie in nationalen und inter- gen außerhalb Honduras Verbündete zu finden, die nationalen Organisationen ein und artikulieren sie sich aktiv solidarisch erklären, wie Yadira Minero es in mannigfaltigen Arten des Protests. treffend formuliert: „Der Putsch ist vorbei, aber wir In Anbetracht des gewaltvoll herbeigeführten Macht- geben nicht auf und benötigen internationale Un- wechsels und der Missachtung von Menschenrech- terstützung, weil unser Staat versagt.“ ten seitens der aktuellen Regierung beteiligen sich // Kathrin Pelzer die Feministas en Resistencia an dem Projekt, eine Mehr Informationen unter: www.frauensolidaritaet.org Foto: Javier Eliu Abuela en Resistencia Dionisia Díaz, die „Großmutter des Widerstands“ verpasst keine Demo gegen den Putsch JEDEN TAG EIN FRAUENMORD In Honduras ist in den letzten Jahren die Zahl der Frauenmorde stetig angestiegen, was das zentralameri- kanische Land zu einem der gefährlichsten der Region macht. Etwa 1.750 Frauen sind durch gewaltsame Umstände in den letzten 74 Monaten gestorben, so Ramón Custodio López, der nationale Beauftragte für Menschenrechte. Ein im März 2011 erschienener Bericht der nationalen Menschenrechtskommission CONADEH (Comisionado Nacional de Derechos Humanos) zeigt den jährlichen Anstieg der Frauenmorde. Während es sich im Jahr 2005 um 175 Morde handelte, waren es 2006 schon 202, im darauffolgenden Jahr sogar 295 Morde. 2008 stieg die Anzahl auf 312 Tote, 2009 auf 363. Im Jahr 2010 verharrte sie auf ho- hem Niveau bei 343 Femiziden. Allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres sind schon über 60 Frau- enmorde gemeldet. Inzwischen wird in Honduras somit umgerechnet jeden Tag eine Frau umgebracht. Laut CONADEH sind die Opfer der Gewalt Frauen aller Altersstufen. Es handelt sich dabei ebenso um krimi- nelle Aktionen wie auch um häusliche Gewalt in der Ehe. Todesursachen sind vielfach Schussverletzungen, jedoch auch Enthauptungen, Erstickung, heftige Schläge, Verbrennungen, Vergewaltigungen und Folter. Es wird geschätzt, dass über 80 Prozent der Frauenmorde aufgrund fehlender Ermittlungen unbestraft bleiben. Den starken Anstieg der Gewalt gegen Frauen stellen Frauenrechtsorganisationen wie CDM (Centro de Derechos de la Mujer) und feministische Bündnisse in Honduras auch in Zusammenhang mit dem Putsch im Juni 2009 fest. Seitdem ist insgesamt die Gewalt, auch von Seiten des Militärs und der Polizei, stark angestiegen. Der nationale Menschenrechts-Ombudsmann Ramón Custodio wird von der Widerstandsbe- wegung und zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsorganisationen aufgrund dessen unkritischer Haltung gegenüber den Menschenrechtsverletzungen, die auf den Staatsstreich folgten, abgelehnt. // Magdalena Heuwieser Mehr Informationen unter: http://www.conadeh.hn/Joomla/index.php/component/content/article/217-femicidios 16 Dossier Honduras
„FÜR UNSER Fotos: Nora Bluhme RECHT AUF LEBEN“ INTERVIEW MIT DEM AKTIVISTEN DONNY REYES VON DER HONDURANISCHEN LGBT-BEWEGUNG ÜBER DIE SITUATION VON QUEERS SEIT DEM PUTSCH Am 13. Dezember 2009 wurde der schwule Hat sich die Situation für Schwule, Lesben AIDS-Aktivist Walter Tróchez, der auch in und Trans* nach dem Putsch im Juni 2009 ver- der Widerstandsbewegung aktiv war, umge- ändert? bracht. Anlässlich des ersten Jahrestages sei- Ja, auf jeden Fall. Der Putsch hat die Gewalt ver- ner Ermordung fand eine Protestkundgebung stärkt, weil durch ihn vor allem das Militär und die vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft in staatlichen Sicherheitskräfte mehr Macht erhalten Tegucigalpa statt. Die Lateinamerika Nach- haben. Und aus ihren Reihen kamen auch schon richten sprachen mit Donny Reyes von der vorher diejenigen, die Leute von uns ermordet ha- queeren Organisation Arcoiris über die Situ- ben. Und wenn man den Mördern mehr Macht ation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und gibt, dann gibt es auch mehr Morde. Seit dem Trans* (LGBT) in Honduras seit dem Putsch Putsch wurden über 30 Menschen ermordet. Die sowie über die Hintergründe der zahlreichen Opfer sind, wie schon immer, die verwundbarsten Morde an schwulen Männern und Trans* Teile der Gesellschaft: Angehörige der LGBT-Ge- (Transsexuelle und Transgender). meinschaft, Jugendliche, Frauen und so weiter. Dossier Honduras 17
Sie sind heute hier, um an die Ermordung von Walter Tróchez vor einem Jahr zu erinnern. Was ist das Ziel der Kundgebung? Wir sind hier, um herauszufinden, was die Staats- anwaltschaft bis jetzt in dem Mordfall Walter Tróchez ermittelt hat. Walter ist im Dezember 2009 zuerst entführt und gefoltert, und dann er- mordet worden. Bis heute ist niemand angeklagt oder gar verurteilt worden. Wir prangern an, dass so viele Angehörige der LGBT-Gemeinschaft seit dem Putsch ermordet worden sind, ohne dass je- mand zur Rechenschaft gezogen wurde. Was hat Walter Tróchez für die LGBT-Bewe- gung in Honduras bedeutet? Walter war ein Menschenrechtsverteidiger der LGBT-Gemeinschaft und der Personen, die mit dem HI-Virus leben. Und er war in der Wider- standsbewegung gegen den Putsch aktiv. Für uns ist seine Ermordung ein besonders tragischer Fall, weil er eine leitende Figur der Bewegung war und sich offen für die Rechte dieser marginalisierten Gruppen eingesetzt hat. Haben Sie eine Vermutung, wer ihn ermordet hat und warum? Wir sind sicher, dass es Angehörige der staatli- chen Sicherheitskräfte sind, die die homosexuellen Männer und Trans*-Personen in diesem Land er- morden. Im Fall von Walter war es sogar so, dass er einige Tage vor seiner Ermordung bereits einmal entführt und gefoltert worden war. Er hatte danach auch Anzeige erstattet und ausgesagt, dass es Po- lizisten gewesen waren. Dieser Mord liegt ganz klar in staatlicher Verantwortung. Und gab es eine Reaktion der staatlichen Stel- len und der Justiz auf den Mord? Ist in dem Fall jemand verhört oder festgenommen worden? Nein. Genau das ist es ja, was wir anprangern: Hier regieren Gleichgültigkeit und Straflosigkeit. Es gibt keinerlei Initiative von Seiten der zuständi- gen Stellen. Wenn es überhaupt Reaktionen gibt, dann wirken sie einer Aufklärung eher entgegen: dann wird versteckt, verschleiert, Akten und An- zeigen gehen verloren. Die Behörden machen im- mer das Gegenteil von dem, was eigentlich ihre Aufgabe ist: Wenn sie ermitteln sollen, ermitteln sie nicht. Wenn sie einen Fall dokumentieren sol- Gerechtigkeit jetzt! Trans*aktivistin auf einer Veran- len, dokumentieren sie ihn nicht und so weiter. staltung für die Symbolfigur des queeren Widerstands So überlassen sie die LGBT-Gemeinschaft der 18 Dossier Honduras
völligen Wehrlosigkeit. Wir werden aber weiterhin darauf aufmerksam machen, dass unser Leben in Gefahr ist. Wir glauben, dass jetzt der Zeitpunkt ist, um zu kämpfen. Was sind die staatlichen Interessen bei der Verfolgung von Homosexuellen und Trans*- Personen? Historisch waren wir immer marginalisiert und uns ist Gewalt angetan worden. Der Staat verfolgt ei- ne Politik der „sozialen Säuberung“. Es gibt zum Beispiel ein Gesetz, auf dessen Grundlage es möglich ist, wegen „unmoralischen Akten“ festge- nommen und ins Gefängnis geworfen zu werden. Gemeinsam mit einer hier herrschenden Kultur der Frauenfeindlichkeit, des Patriarchats, des Machis- mo und der Homophobie ergibt das eine tödliche Mischung, die das Leben von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans* in diesem Land gefährdet. Was können Sie abschließend über die Situa- tion der Menschenrechte für Lesben, Schwule und Trans* im aktuellen Honduras sagen? DONNY REYES Wie können wir Menschenrechte haben, wenn Der Aktivist der queeren Organisation Arcoiris wir umgebracht werden? Wir müssen ersteinmal wurde mehrfach bedroht und festgenommen. Zu- für unser Recht auf Leben kämpfen und dann letzt wurden er und andere Angehörige der Grup- kommt alles weitere. pe wegen der Teilnahme an der Solidarität mit streikenden Lehrer_innen am 30. März inhaftiert. // Interview: Eva Bahl und Øle Schmidt SEXUELLE VIELFALT IM WIDERSTAND Als sich die Menschen in Honduras am 28. Juni 2009 versammelten, um gegen die Entführung des Präsidenten Zelaya und die Machtübernahme der Militärs zu demonstrieren, waren von Anfang an die Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft präsent. Genau an diesem Tag sollte der Christopher Street Day begangen werden, weswegen die Aktivist_innen sofort mit ihren Regenbogenfahnen zur Stelle waren. Seitdem ist die LGBT-Gemeinschaft ein wichtiger Bestandteil der heterogenen Widerstandsbewegung. 2010 entstand dann die Bewegung der Sexuellen Vielfalt im Widerstand (Movimiento de Diversidad Sexual en Resistencia). Die LGBT-Gemeinschaft ist stark von der Gewalt nach dem Putsch betroffen: Seit dem Putsch sind mindestens 34 schwule Männer und Trans* ermordet worden. Am 27. Januar dieses Jahres verurteilte US-Präsident Barack Obama öffentlich die Ermordung von fünf Angehörigen der LGBT-Gemeinschaft in Honduras innerhalb eines Monats. Nach dieser Intervention wurde nun eine Ermittlungseinheit mit US-amerikanischer Unterstützung angekündigt, die sich mit Verbrechen gegen LGBT-Personen und Journalist_innen beschäftigen soll. Auf der Pressekonferenz, bei der diese zukünf- tige Zusammenarbeit bekannt gegeben wurde, sprach Präsident Lobo allerdings von „einem oder zwei Schwulen, von denen vorgebracht wird, sie seien ermordet worden“. Die tatsächlichen Opferzahlen werden also weiterhin heruntergespielt. Besonders ernst scheint Lobo die Angelegenheit auch nach der Intervention durch das Weiße Haus nicht zu nehmen. Dossier Honduras 19
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