Wirtschaft und Zivilgesellschaft-Partner für ein modernes Russ- land - Konrad-Adenauer ...
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REDE Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. RUSSLAND ANDREAS SCHOCKENHOFF Juni 2009 Wirtschaft und Zivilgesellschaft– Partner für ein modernes Russ- www.kas.de/moskau www.kas.de land REDE VON DR. ANDREAS SCHOCKENHOFF (MDB), STELLV. VORSITZENDER DER CDU/CSU-FRAKTION FÜR AUßEN-, SICHERHEITS- UND EUROPAPOLITIK Sehr geehrte Gäste, verehrte Damen und Innerhalb dieser Zusammenarbeit spielen Herren, die deutschrussischen Wirtschaftsbeziehun- es ist mir eine große Ehre, heute zu Ihnen gen selbstverständlich eine zentrale Rolle. sprechen zu dürfen. Dass wir uns zu die- Auch wenn viele von Ihnen sich das viel- sem wichtigen Thema austauschen kön- leicht nicht bewusst machen sollten, so sind nen, dafür danke ich der deutsch- die meisten deutschen Unternehmen sog. russischen Auslandshandelskammer und „zivilgesellschaftliche Akteure“ und ich zähle der Konrad-Adenauer-Stiftung, die es sie damit zu den Partnern des Russland- möglich gemacht haben. Dieser Austausch Koordinators! Es ist also mehr als ange- ist umso wichtiger, als wir uns in schwie- bracht, dass wir mit einander ins Gespräch rigen Krisenzeiten treffen, die neue Fra- kommen! gen aufwerfen, aber auch neue Möglich- keiten eröffnen. Meine Sicht als Russland-Koordinator ließe sich so umschreiben: Erstens bedeutet die Mit einigem Amüsement habe ich von einem globale Finanz- und Wirtschaftskrise für russischen Verwaltungschef gelesen, der Deutschland und Russland einen tiefen, viel- seinen Beamten kürzlich verboten hat, das leicht sogar historischen Einschnitt. Wie in Wort „Finanzkrise“ in den Mund zu nehmen. anderen Staaten stellen sich neue Fragen Die Krise finde „im Kopf und nicht in der nach den Grenzen staatlicher und wirt- Wirtschaft“ statt, war seine Begründung. schaftlicher Macht und einem zukunftsfähi- Ich kann nur sagen, dass ich es umgekehrt gen Konsens zwischen Staat und Gesell- erlebe. Die Wirtschaftskrise hat Deutschland schaft. Zweitens hat Russland die Krise je- fest im Griff - auch wir müssen inzwischen doch nicht nur härter getroffen, sondern mit einem Rückgang des BIP von 6 Prozent stellt es vor eine ungleich größere Heraus- für dieses Jahr rechnen – aber sie ist bis forderung: die Wende zu einer gesamtge- jetzt auch bei uns noch nicht in allen Köpfen sellschaftlichen Modernisierung. angekommen. Ich selbst erlebe sie aller- dings an allen Fronten – direkt als Abgeord- Drittens: Die neuen Herausforderungen er- neter, in meiner Region am Bodensee, die öffnen neue Chancen für die deutschrussi- stark mittelständisch geprägt ist, aber auch sche Zusammenarbeit. Dies wiederum als Vizefraktionsvorsitzender meiner Partei, schafft – viertens - neue Perspektiven für wo ich täglich sehe, wie die internationale alle Ebenen der zwischengesellschaftlichen Finanzkrise alle Aspekte der Außen-, Si- Zusammenarbeit, in der Wirtschaft und Zi- cherheits- und Europapolitik berührt – und vilgesellschaft heute natürliche Partner sind. natürlich als Koordinator der Bundesregie- rung für die deutschrussische zwischenge- Zu den deutsch-russischen Wirtschaftsbe- sellschaftliche Zusammenarbeit, die von der ziehungen. Ich würde sagen, die Krise hat Krise ebenfalls grundsätzlich betroffen ist. uns näher gebracht, weil ein neues Be-
2 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. wusstsein über die gegenseitige Abhängig- Doch machen wir uns nichts vor: Noch ist keit entsteht und weil – vielleicht noch wich- dieser Tag nicht abzusehen. Allein im Janu- tiger - viele Politiker und Unternehmer be- ar/Februar ging der deutsch-russische Han- RUSSLAND reits über das Ende der Krise hinaus den- del um fast 50 Prozent zurück - noch hält ANDREAS SCHOCKENHOFF ken. Deutschland bleibt Russlands wichtigs- der Trend an. Deutsche Exporte im Wert ter Handelspartner und Russland für von rund 2,5 Mrd. Euro sind wegen Finan- Juni 2009 Deutschland der „Boom-Markt Nummer 1“ zierungsproblemen russischer Partner in Ge- (Wirtschaftswoche), der heute bereits rund fahr – und mit ihnen 4.000 deutsche Ar- www.kas.de/moskau 70.000 deutsche Arbeitsplätze sichert. beitsplätze. Noch hat die russische Regie- www.kas.de rung den Vorschlag des Ost-Ausschusses Wenn Europas zweitgrößter Automarkt um der Deutschen Wirtschaft, einen Garantie- 60 Prozent einbricht, leiden deutsche Ar- fonds für notleidende russische Unterneh- beitnehmer in allen großen Autowerken. So men einzurichten, nicht realisiert. Allgemein war beim Opel-Rettungspaket der Zuschlag hat sich die Auftragslage für deutsche Un- für den Zulieferer Magna mit seinen russi- ternehmen in Russland erheblich ver- schen Partnern Sberbank und GAZ, deren schlechtert; viele Projekte, auch in den stra- Konzept auf den russischen Markt setzt, tegisch wichtigen Hochtechnologie- und wohl kein Zufall. Lassen Sie mich dazu nur Energiesektoren, sind auf Eis gelegt oder kurz sagen: Auch wenn der Einstieg bei gänzlich storniert. Grundsätzlich hofft die Opel in Russland als „Coup gefeiert wurde, deutsche Wirtschaft - ebenso wie die deut- bleiben für die deutsche Öffentlichkeit viele sche Politik – darauf, dass die Krise in Russ- Fragezeichen! land dazu führt, viele der nötigen Struktur- reformen durchzuführen, die Russland bis- Wie ich verstehe, ist die Stimmung der lang versäumt hat. Noch überwiegt indes deutschen Wirtschaft in Moskau trotz spür- die Skepsis. Bisher zeigen sich ganz andere barer Absatzeinbußen weiter positiv. Kaum Tendenzen: protektionistische Maßnahmen, eine der fast 6.000 hier registrierten deut- sinkende Investitionen und eine weitere schen Firmen plant einen Rückzug, zeigt Konzentration wirtschaftlicher Macht beim eine neue Studie der Wirtschaftswoche.. Staat. Auch die erneute Verzögerung bei Trotz großer Klagen über fehlende Rechtssi- den WTO-Verhandlungen ist kaum ein Zei- cherheit, Korruption, Bürokratie und kom- chen für einen „neuen Aufbruch“, wie ihn plizierte Steuerregeln setzen die meisten Bundesminister Steinmeier jüngst gefordert Unternehmen auf die großen Chancen des hat. Russlandgeschäfts. Schon heute überwiegt bei vielen deutschen und russischen Groß- Wie also trotzt Russland der Krise - der ers- unternehmen der Versuch, jenseits der Kri- ten „echten kapitalistischen und globalen se neue langfristige Perspektiven im Russ- Krise“, die das „neue Russland“ durch- landgeschäft aufzubauen – das unterstreicht macht? Auf dem jüngsten Petersburger vor allem die Einigung von Siemens mit Wirtschaftsforum wurde laut darüber gere- dem Nuklearkonzern Rosatom auf eine stra- det, dass man bereits wieder den Cham- tegische Zusammenarbeit in der Kernener- pagner kaltstellen könnte. Dass es dafür zu gietechnik. Dieses Signal sollte auch der Be- früh ist, wie auch Präsident Medwedew klar such der 230(!)-köpfigen Rekorddelegation unterstrich, zeigte die überstürzte Reise von aus „meinem“ Bundesland Baden- Ministerpräsident Putin in den kleinen Ort Württemberg unter Leitung von Ministerprä- Pikáljowo, von dem noch nicht viele gehört sident Oettinger Ende Mai setzen. Die hoch- hatten. Laut der Zeitung „Moskówskij Kom- rangigen Gespräche und vor allem das somólez“ war nicht das hochrangig besetzte Richtfest für das große neue „German Cen- Petersburger Wirtschaftsforum, sondern Pi- ter“, das Anfang 2010 eröffnet werden soll – kaljowo mit seinen 300 protestierenden Ar- das war mehr als “business as usual” und beitern Putins wichtigstes Reiseziel in die- unterstrich ebenfalls den Versuch, auf die sem Jahr, vielleicht sogar seiner ganzen Zeit „Krise als Chance“ zu setzen. als Regierungschef, wie die Zeitung meinte. Denn auch wenn Umfragen klar zeigen, dass die russische Bevölkerung der politi-
3 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. schen Führung weiter vertraut, gibt es, wie ner langsam entstehenden Mittelklasse – Experten meinen, Dutzende weiterer Pikal- deren Anteil die russische Führung bis 2020 kowos, vor allem sog. Monostädte, die von auf 50 Prozent erhöhen wollte - scheint da- RUSSLAND hoher Arbeitslosigkeit betroffen sind, in de- mit zumindest erst einmal gestoppt. ANDREAS SCHOCKENHOFF nen sich Proteste entzünden können. Stattdessen nehmen die sozialen Probleme, Juni 2009 Tatsächlich hat sich - nach ersten Hoffnun- die schon vor der Krise gravierend waren, gen, dass Russland den Sturm als „Insel der durch die Wirtschaftskrise nun alarmierend www.kas.de/moskau Stabilität“ überleben könne - schnell ge- zu. Allein die Korruption geht durch den www.kas.de zeigt, dass es im Gegenteil härter betroffen wirtschaftlichen Rückgang keinesfalls zu- ist als die meisten Länder. Die Zahlen sind rück, sondern hat sogar dramatisch zuge- alarmierend – Sie kennen sie gut genug. nommen, bevor die Bekämpfungsmaßnah- Mich besorgt vor allem der Rückgang der men des russischen Präsidenten je greifen Industrieproduktion, zuletzt monatlich um konnten – viele von Ihnen erleben dies si- 17 Prozent mit steigender Tendenz, der cher in Ihrem Alltag. Rückgang inländischer Investitionen, v.a. im Bereich Infrastruktur, aber auch der auslän- (Nach Angaben des Innenministeriums gab dischen Investitionen, um ganze 30 Prozent es im ersten Quartal 2009 ein Drittel mehr im ersten Quartal 2009, und die massive korruptionsrelevante Straftaten als ein Jahr Kapitalflucht, die westliche Experten für die- zuvor!). Ein größeres Destabilisierungspo- ses Jahr auf bis zu 180 Mrd. Dollar schät- tential haben aber vor allem die wachsen- zen. Diese Entwicklungen gefährden nicht den sozialen Gegensätze, der Anstieg von nur viel von der wirtschaftlichen und politi- Kriminalität, Fremdenfeindlichkeit und ext- schen Aufbauarbeit der letzten Jahre, son- remistischen Tendenzen und vor allem die dern v.a. die ehrgeizige Modernisierungs- weiter zurückfallende Gesundheitsfürsorge. agenda 2020 des Tandems Medwedew- Putin. Dieser Zusammenhang zwischen wirtschaft- licher und sozialer Entwicklung wird inzwi- Sorgen bereiten mir vor allem die sozialen schen auch von der russischen Führung er- Folgen der Krise. Auch in Deutschland be- kannt und diskutiert – ein wichtiges Novum. droht die Krise den gesellschaftlichen Zu- Deutlich zeigt sich dies in der neuen russi- sammenhalt, vielleicht mehr als wir bisher schen Sicherheitsdoktrin, die einen weit um- wahrnehmen. Doch die Folgen des wirt- fassenderen Katalog sozialer Probleme auf- schaftlichen Rückgangs treffen Russland, wo listet, als ich hier skizziere, und die diese das soziale Netz noch brüchig und im Auf- offen als „Gefahren für die nationale Sicher- bau begriffen ist, ungleich härter. Dabei se- heit“ bezeichnet! Dieselbe Sicherheitsdokt- he ich, wie gesagt, den Schlüssel für Russ- rin unterstreicht aber auch die Agenda eines lands Zukunft in seiner inneren Entwicklung. selbstbewussten Russland, das weiter an- Doch schon heute sind - nach ILO-Normen – strebt, zu einer der fünf größten Wirt- bereits 7,7 Mio. Menschen in Russland ar- schaftsmächte der Welt aufzusteigen. Auch beitslos, d.h. 10,2 Prozent der Bevölkerung. das Ziel, den Rubel als internationale Reser- Der Wirtschaftswissenschaftler Yewgenij vewährung durchzusetzen, wird wieder Gontmacher schätzt die Zahl sogar auf 20 hochgehalten. Doch ein nüchterner Blick Mio., da sich viele Menschen nicht arbeitslos gebietet zu sehen, dass Russland erst ein- melden. Dazu kommt eine geschätzte Zahl mal andere Aufgaben hat. Derzeit führt von bis zu 7 Mio. Russen, die in nächster Russland vor allem in der G-20-Gruppe als Zeit aus anderen GUS-Republiken zurück- größter Verteiler von Staatshilfen. Spätes- kehren könnten, ebenfalls auf der Suche tens 2010 wird es wieder Anleihen auf den nach Arbeit. Schon heute ist der Anteil der internationalen Kapitalmärkten aufnehmen Menschen, die unter dem offiziellen Exis- müssen. Für viele Vertreter der Eliten wird tenzminimum leben – der in den letzten dies kein einfacher Schritt sein, nachdem Jahren auf fast 15 Prozent zurückgegangen Russland sich durch die Rückzahlung aller war – wieder auf 25 Prozent gestiegen. Das Auslandsschulden und den Aufbau seines sind 35 Millionen Menschen! Der Aufbau ei-
4 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Stabilitätsfonds in den letzten Jahren neue wie viel skeptischer russische Experten, wie Handlungsspielräume geschaffen hat. so oft, bei dieser Frage sind. Das gilt beson- ders für eine viel diskutierte Studie des IN- RUSSLAND „Russland wird diesem Sturm trotzen“, be- DEM-Instituts, die diverse Szenarien für die ANDREAS SCHOCKENHOFF kräftigte Präsident Medwedew gerade wie- Entwicklung des Landes durchspielt. Unter der in einem Interview mit der Zeitung fünf möglichen Szenarien erscheint den Ex- Juni 2009 „Kommersant“. Immer offener spricht der perten die Möglichkeit eines „Smart Russia“ Präsident an, was inzwischen in Experten- – also eines Russland, das genau auf www.kas.de/moskau kreisen, aber vor allem auch in den Medien Rechtsstaatlichkeit und Wettbewerb setzt, www.kas.de offen diskutiert wird: dass Russland die Kri- nur verschwindend klein (2 Prozent!). Als se so stark getroffen habe, weil es die Di- wahrscheinlichste Option wird - mit 56 Pro- versifizierung seiner Wirtschaft versäumt zent - der Weg in eine „Entwicklungsdikta- habe; dass die Bildung großer Staatshol- tur“ gesehen, also ein autoritärdirigistisches dings in eine Sackgasse geführt habe und Modell nach dem Pinochet-Muster gesehen, die Förderung kleiner und mittlerer Unter- gefolgt - mit 37 Prozent – von dem wenig nehmen endlich Vorrang haben müsse und hoffnungsvolleren Szenario eines sogenann- die Staatsbürokratie das größte Hindernis ten „stagnierenden Russland“ mit einer pas- für Diversifizierung und Innovation sei. siven Bevölkerung, das chronisch instabil bleibt. Auch eine dramatische Zuspitzung „Ohne erfolgreiches Unternehmertum wird der Wirtschaftskrise würde keinesfalls die unser Staat keine Zukunft haben“, erklärte Aussichten auf ein „Smart Russia“, sondern der Präsident bei seinem jüngsten Treffen nur die Möglichkeit unkontrollierter Unruhen mit Wirtschaftsvertretern am „Tag des Un- und einer revolutionären Situation erhöhen. ternehmers“. Das Leben als freier Unter- nehmer in Russland sei aber so schwierig, Auch wenn ich solche pessimistischen Sze- dass viele junge Leute lieber in den Staats- narien sehr genau im Auge behalten muss, dienst als in die Wirtschaft gingen. weil ich sie nicht ausschließen kann, glaube ich an ein „Smart Russia“! Nicht weil ich Eine Studie der Unternehmensberater von dem alten Klischee anhänge, dass man „an McKinsey, die der Sberbank zur Seite ste- Russland einfach glauben muss“, sondern hen, hat der russischen Führung kürzlich weil ich auf drei Faktoren setze: den Prag- einen scheinbar einfachen Weg vorgezeich- matismus der Eliten, das Potential der russi- net: das Land müsse nur die Arbeitsproduk- schen Gesellschaft und die Einsicht, dass tivität um jährlich 6 Prozent erhöhen, um alles andere Russland keine Zukunftsper- trotz der Krise das Ziel zu erreichen, sein spektive bietet. Bestätigt sehe ich mich pro-Kopf- Bruttoinlandsprodukt bis zum durch die zunehmend differenzierte und of- Jahr 2020 auf 30.000 US-Dollar zu erhöhen. fene Debatte, die heute unter den politi- Voraussetzung dafür seien drei Dinge: ein schen – und vor allem den wirtschaftlichen- klarer Wille zur Veränderung, eine verbes- Eliten über den Kurs Russlands geführt wird serte Rechtslage und unbehinderte Wettbe- und die ich mit großem Interesse verfolge. werbsbedingungen. Diese drei Faktoren, Daraus lese ich eine wachsende Bereit- davon bin ich ebenfalls überzeugt, werden schaft, den Realitäten ins Gesicht zu sehen: erstens über Russlands Zukunftsfähigkeit den Grenzen der „Rohstoffmacht“ Russland, entscheiden und sind zweitens ein gemein- den Defiziten und Strukturmängeln der rus- sames Anliegen von Wirtschaft und Zivilge- sischen Wirtschaft und der Notwendigkeit sellschaft. Ich sprach eben bewusst von ei- marktwirtschaftlicher Reformen. nem „scheinbar einfachen Weg“ – vor allem wenn man hinterfragt, wie die Chancen für Nüchternheit und Realismus, wie sie auch eine Realisierung dieser drei Faktoren ste- aus der neuen Sicherheitsstrategie spre- hen. chen, sind die beste Basis für „neues“ und pragmatisches Denken. Immer mehr Men- Wille zur Veränderung. Wir können nur hof- schen scheinen zu verstehen, dass Russland fen, dass die russischen Eliten diesen Willen als „einsame Macht“, wie es im letzten Jahr aufbringen werden. Jedoch fällt mir auf, um oft genannt wurde, seine Stellung in der
5 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Welt nicht behaupten und vor allem seine der Eindruck politischer Einflussname auf eigenen inneren Probleme nicht lösen kann. Staatsanwaltschaft oder Gerichte auf. Das Zwei der größten Herausforderungen, vor bekannteste – wenn auch nicht einzige – RUSSLAND denen das Land steht, verleihen den Debat- Beispiel ist der Fall des früheren Yukos- ANDREAS SCHOCKENHOFF ten dabei eine wachsende Dringlichkeit: die Vorstandsvorsitzenden Michail Chodor- ungelöste demographische Krise – einem kowski. In Deutschland und insbesondere Juni 2009 neuen UN-Bericht zufolge wird die russische im Deutschen Bundestag besteht die Sorge, Bevölkerung bis 2050 um 26 Millionen, dass dieser Prozess nicht den rechtsstaatli- www.kas.de/moskau wenn nicht sogar um 34 Millionen Men- chen Bedingungen entspricht, zu denen www.kas.de schen, also um ein Viertel zurückgehen- Russland sich verpflichtet hat. Das Verfah- sowie die rapide Entvölkerung weiter Lan- ren wird als Testfall für die vom russischen desteile im Osten. Mir scheint, dass große Präsidenten angemahnte Glaubwürdigkeit Teile der heutigen Wirtschaftseliten ver- der russischen Justiz gesehen. Das offene standen haben, dass Russland für seine Zu- Ansprechen dieser Sorgen sehe ich als Un- kunftsfähigkeit in erster Linie zwei Dinge terstützung des Kurses des russischen Prä- braucht: Investitionen - inländische und sidenten im Kampf gegen „Rechtsnihilis- ausländische – und die Partizipation und mus“ und für mehr Rechtsstaatlichkeit. freie Gestaltungsmöglichkeit einer gut aus- gebildeten und engagierten Bevölkerung. Zum dritten Kriterium besserer Wettbe- Dieser Zusammenhang zwischen wirtschaft- werbsbedingungen. Wie im Rechtsbereich lichen und gesellschaftlichen Reformen wird geht es auch hier nicht nur um ordnungspo- gerade unter den jüngeren Wirtschaftseliten litische Fragen. Grundsätzlich sehe ich immer offener diskutiert. Ein Beispiel ist das Russlands Modernisierung nicht als techni- jüngste Krasnojarsker Wirtschaftsforum, wo schen Prozess, sondern als gesamtgesell- die Forderung im Mittelpunkt stand, dass schaftliche Aufgabe. Für jedes der vier „I“ der Staat in Krisenzeiten neben der Wirt- von Präsident Medwedew – Institutionen, schaft auch auf die Gesellschaft als „dritte Innovation, Investitionen und Infrastruktur Säule“ setzen müsse. Diese und viele ande- - braucht Russland das aktive Engagement re Stimmen sind Grund genug, dass ich seiner Menschen. Modernisierung erfordert meine Hoffnungen weiter auf ein „Smart nicht nur Investitionen und Know-How. Mo- Russia“ setze, das die richtigen Weichen für dernisierung erfordert auch, dass der Staat seine Zukunft stellt. freiheitliches Handeln und Gestalten sicher- stellt durch Rechtsstaatlichkeit, durch deut- Doch zurück zur Studie von McKinsey. Ihr lich weniger Korruption und Bürokratie, zweites Kriterium ist eine verbesserte durch mehr Pluralismus in Politik und Ge- Rechtslage in Russland. Auch im Rechts- sellschaft. Viele Erklärungen des Präsiden- und Justizbereich, den der Präsident von ten deuten auf ein neues Verständnis im Anfang an zur „Chefsache“ erklärt hat, Verhältnis zwischen Staat und Bürger. So bleibt die Situation widersprüchlich. Gerade erklärte er in seinem Interview mit der hier gilt, was ich immer wieder beobachte, „Nowaja Gazeta“, Russland sei erst dabei zu dass Russland sich in verschiedenen Ge- lernen, die Zivilgesellschaft als „die andere schwindigkeiten entwickelt. Es gibt hoff- Seite des Staates“ zu akzeptieren. Die Zivil- nungsvolle Entwicklungen, im Wirtschafts- gesellschaft sei eine „Feedback-Institution“ bereich oder im Strafvollzugssystem. Dem innerhalb des Staates, die „die sozial be- stehen jedoch besorgniserregende Entwick- wussten und aktiven Menschen“ vereine – lungen gegenüber, u.a. die Einschränkung besser kann es kaum definieren. der Geschworenengerichtsbarkeit, die un- aufgeklärten Morde an Journalisten und Auch hier ist die Bilanz bisher widersprüch- Menschenrechtlern, die Verschärfung von lich, doch immerhin gibt es erste konkrete Strafen für Delikte im Zusammenhang mit positive Signale, wie die Freilassung der Ex- terroristischen Akten, aber auch die neue Yukos Anwältin Swetlana Bachmina, die Regelung für die Ernennung des Vorsitzen- Mandatsverlängerung des Menschenrechts- den des Verfassungsgerichts. Vor allem bei beauftragten Lukin, vor allem aber des „Ra- einer Reihe von Strafverfahren drängt sich tes für die Entwicklung von Zivilgesellschaft
6 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. und Menschenrechten“ unter der Leitung Vereine sind sie oft anerkannte Projektpart- von Ella Pamfilowa. Das Wichtigste aber: ner – gemeinsam bilden sie ein wichtiges nur zwei Monate nach seinem ersten Treffen Fundament der deutschrussischen zwi- RUSSLAND mit dem Rat hat Präsident Medwedew einen schengesellschaftlichen Zusammenarbeit. ANDREAS SCHOCKENHOFF Entwurf für ein überarbeitetes NGO-Gesetz Anders als oft angenommen, wird indes nur in der Duma eingebracht, das die Vorschrif- ein kleiner Teil – nur 8 Prozent - der russi- Juni 2009 ten für die Registrierung und Kontrolle von schen NGOs maßgeblich durch westliche Fi- Nicht-Regierungsorganisationen vereinfa- nanzgeber unterstützt. Die rechtliche Unsi- www.kas.de/moskau chen soll. cherheit, der hohe bürokratische Aufwand www.kas.de und vor allem das offene Misstrauen der Eine substantielle Verbesserung des NGO- Behörden haben in den letzten Jahren wenig Gesetzes, die mir seit 2006 ein wichtiges dazu beigetragen, zivilgesellschaftliches En- Anliegen ist, ist der zweite Testfall für die gagement zu fördern. Doch wie so oft in Glaubwürdigkeit der vom russischen Präsi- Russland, ist auch hier vieles trotzdem sei- denten thematisierten Reformen. Der NGO- nen Weg gegangen. Zumindest nimmt die Sektor ist die Basis eines sich entwickelnden Zahl hauptamtlicher und freiwilliger Mitar- Dritten Sektors in Russland, der für die Zu- beiter langsam, aber stetig zu. Beeindru- kunft entscheidend ist. Ich gestehe, ich bin ckend ist auch die Flexibilität, mit der viele ein großer Fan nicht nur der deutschen, russische NGOs auf die aktuellen gesell- sondern besonders der jungen russischen schaftlichen Veränderungen reagieren und „nicht-kommerziellen Organisationen“. Mit ihre Tätigkeitsfelder erweitern. Noch sind beiden habe ich zum Thema zwischengesell- nur 5 Prozent der Russen in zivilgesell- schaftliche Zusammenarbeit einen neuen schaftlichen Organisationen aktiv (in Austausch angeregt, vor wenigen Wochen in Deutschland ist es jeder dritte). Doch neue Berlin und nun in Moskau, wo ich morgen politische Rahmenbedingungen, in denen die Mitglieder des sogenannten „Pamfilowa- NGOs als Partner bzw. „Verbündete“ der po- Rates“ und andere russische NGO-Vertreter litischen Führung angesehen werden, und zu einer Expertenrunde eingeladen habe. eine neue Gesetzgebung, die gemeinnützi- ges Engagement fördert, könnten dies Ich kann Ihnen nur raten, einige Vertreter schnell ändern. dieser bunten neuen Landschaft näher ken- nenzulernen. Mehr als die sogenannte russi- Parallel dazu hat auch das philanthropische sche Mittelklasse, die vorwiegend aus Engagement in Russland in den letzten Jah- Staatsbeamten besteht, stehen sie für mich ren einen Aufschwung erlebt, der bei uns für das „private Aufblühen“, von dem der wenig bekannt ist. Das russische Mäzena- Schriftsteller Viktor Jerofejew spricht. Seit tentum, das im 19. Jahrhundert in den aris- den 90er Jahren, die heute von vielen nur tokratischen Familien und später in der alt- als chaotisch und demütigend gesehen wer- gläubigen Moskauer Kaufmannschaft eine den, war ein Netz von fast 500.000 NGOs Blüte erlebte, wurde in der kommunisti- entstanden. Davon sind 230.000 NGOs schen Zeit völlig zerschlagen. Doch mit der geblieben, die sich trotz erschwerter Rah- Wende lebte es wieder auf, auch wenn es menbedingungen erstaunlich vital behauptet oft mit einem zweifelhaften Image behaftet haben. Für mich sind sie Ausdruck der Be- blieb, das mit Korruption, Schattenwirt- reitschaft, wieder „von unten“ Mitverant- schaft und Geldwäsche verbunden war. Der wortung zu übernehmen, von der im „Sys- Fall Chodorkowski und eine verschärfte Ge- tem Putin“ viel verloren gegangen ist, aber setzgebung trugen weiter dazu bei, soziales auch der Einstellung eines „Ich-will-auch- Engagement zu marginalisieren. Trotzdem besser-leben“, die sich laut Viktor Jerofejew machten vor der Krise Zuwendungen der „aus dem Würgegriff des Staates befreit hat „Corporate Charity“ in Russland rund 1,5 wie ein Huhn aus den Fängen des Bauers“. Mrd. Dollar – nicht viel, wenn man an die Forbes-Liste denkt, aber ein vielfacher An- Viele dieser Organisationen arbeiten heute stieg im Vergleich zu den frühen 90er Jah- weitgehend selbstständig, kompetent und ren. professionell. Für deutsche Initiativen und
7 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Inzwischen gibt es 12 größere russische Pri- ven, die in Russland engagiert sind, zu we- vatstiftungen, die professionell und transpa- nige Berührungspunkte, manchmal sogar rent arbeiten und vor der Krise zwischen 1- Vorurteile und Berührungsängste. RUSSLAND 36 Mio. Dollar jährlich für soziale und kultu- ANDREAS SCHOCKENHOFF relle Zwecke ausgaben, sowie Dutzende Deshalb möchte ich mit einigen konkreten kleinere mit Budgets von einigen 10- Vorschlägen schließen: Juni 2009 100.000 US-Dollar. Bei vielen Unterneh- mern gehörte es bis vor kurzem zum guten 1. Das bestehende „Fremdeln“ ist in erster www.kas.de/moskau Ton, sich ein gewisses Maß an „corporate Linie ein Problem der gegenseitigen Wahr- www.kas.de social responsibility“ auf die Fahnen zu nehmung. Wirtschaft und Zivilgesellschaft schreiben. Immer öfter setzten Firmen da- sollten sich ebenfalls als „Verbündete“ se- bei auf eine Zusammenarbeit mit den nicht- hen - mit einem gemeinsamen Anliegen und kommerziellen Organisationen. Dies unter- gemeinsamen Interessen. Die deutsche strich auch der Vorstandsvorsitzende von Wirtschaft sieht sich auch als Übermittler Sewerstal, Alexej Mordaschów, als er in die- westlicher Standards und Normen – zu die- sem Jahr in Berlin den Dr. Friedrich Joseph sen gehört ebenfalls die Vernetzung mit ei- Haass-Preis erhielt. Um die wichtigsten stra- nem kompetenten Dritten Sektor. Als „Ko- tegischen Probleme Russlands in Angriff zu ordinator“ sehe ich es als meine Aufgabe, nehmen, erklärte er, bedürfe es einer ge- genau diese Vernetzung zu unterstützen. meinsamen Anstrengung von drei Seiten: Ein neues Forum soll mein neuer Newsletter von Staat, Privatwirtschaft und Non-Profit- sein, der „KO-RUS-KURIER“ , der seit die- Organisationen. Die Preissumme stiftete er sem Monat per Internet Informationen über einem von eben diesen drei Partnern getra- neue Initiativen und Möglichkeiten der zwi- gen Projekt – einer Kinderstiftung in seiner schengesellschaftlichen Kooperation anbie- Heimatstadt Tscherepówez. tet und den auch Sie in Bälde abrufen kön- nen. Sie sehen: Auch in Russland beginnen Wirt- schaft und Zivilgesellschaft sich als Partner 2. Auch für die Zusammenarbeit mit russi- zu sehen. Russland kann davon nur profitie- schen Stiftungen sollte die Krise als Chance ren. In Deutschland ist das funktionierende genutzt werden. Nach Angaben des „Donors Dreieck Staat-Wirtschaft-Dritter Sektor un- Forums“ in Moskau hatten Anfang 2009 verzichtbar für das Funktionieren unseres rund 80 Prozent der russischen Unterneh- Gemeinwesens. Nach allen Studien ist der men langfristige Pläne im Bereich „corpora- Dritte oder „Non-Profit-Sektor“, der in te social responsibility“. In knapperen Zei- Deutschland rund 6 Prozent des BIP aus- ten könnte vieles durch Synergieeffekte und macht und ca. 1,4 Millionen Menschen be- „joint ventures“ auch im Stiftungsbereich schäftigt, ein wesentlich effizienterer und gerettet werden. Wie der Magnat Morda- flexiblerer Anbieter sozialer Dienstleistun- schów in Berlin sagte, ist dieses Engage- gen als staatliche Institutionen. Der Staat ment gerade in Krisenzeiten „besonders re- hat dies längst erkannt und setzt v.a. in der levant“. Internationale Studien zeigten, Sozialpolitik klar auf den Dritten Sektor als dass „sozial verantwortliche Unternehmen seinen wichtigsten Partner. eine höhere Profitabilität und Wertsteige- rung erzielen und weniger anfällig sind für So lassen Sie mich zum Ende wiederholen: die negativen Auswirkungen des globalen Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind für wirtschaftlichen Wandels“. Es ist sicher in mich auch natürliche Partner für ein moder- unserem gemeinsamen Interesse, dieses nes Russland. Sie sind die Basis für ein Denken aktiv zu unterstützen. „Smart Russia“! Aus diesem Grund ist mir eine bessere Vernetzung der deutschen Un- 3. Alles ist möglich. Das Spektrum gemein- ternehmen mit dem – deutschen und russi- samer Projekte ist heute praktisch grenzen- schen - NGO-Sektor ein besonderes Anlie- los. Offiziell hat die russische Regierung die gen. Noch gibt es meiner Ansicht nach zwi- Themen Energieeffizienz, Gesundheit und schen unseren Wirtschaftsvertretungen und Verwaltungsmodernisierung zu Kernberei- deutschen Stiftungen, Vereinen und Initiati- chen der Zusammenarbeit mit Deutschland
8 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. erhoben. Allein dies eröffnet eine breite Vielfalt neuer Themen- und Projektbereiche. Vor allem im Umweltbereich, der in den RUSSLAND letzten Putin-Jahren zunehmend marginali- ANDREAS SCHOCKENHOFF siert wurde, ist zwischen den Umweltminis- tern eine „neue Etappe der Kooperation“ Juni 2009 eingeläutet worden. Gerade hier haben wir Deutschen einen klaren „Mehrwert“, der von www.kas.de/moskau direkter Relevanz für den NGO-Sektor ist. www.kas.de Wir haben nicht nur technisch viel zu bieten, sondern wissen vor allem, dass Umwelt- schutz nicht nur „von oben“ gemacht wird, sondern nur durch breites gesellschaftliches Umdenken, also auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu realisieren ist. 4. Besonders möchte ich am Ende noch einmal für eine lokale Zusammenarbeit von Unternehmen und gemeinnützigen Initiati- ven plädieren, d.h. in der konkreten Nach- barschaft und Umgebung, vor allem in den Regionen. Dabei geht es meist nicht um spektakuläres Kultur-Sponsoring oder auf- wändiges Eventmanagement, sondern um praktisches gesellschaftliches Engagement für und mit den Menschen „vor Ort“. Für praktisch jede Thematik und Region gibt es deutsche Vereine und Organisationen, die Kontakte, Kompetenz und Ortskunde zu bie- ten haben. Dabei gibt es nichts, was es nicht gibt, wie ich in den letzten Jahren er- lebt habe: direkte Sozialhilfe von „Tür zu Tür“, wie ein bekannter Verein heißt, Pro- jekte für alte Kirchenmusik und neue Heil- therapien, Initiativen für jugendliche Straf- gefangene, lokale Bibliotheken oder den Ausbau des sogenannten Great Baikal Trail, eines bereits 400 km langes Wanderwege- netzes, das von Freiwilligen gebaut, ge- pflegt und verbunden worden ist. Lassen Sie sich inspirieren – ich helfe Ihnen gerne bei der Vermittlung von Information und Kon- takten! Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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