Schönes Ei? Faules Ei! Nein zur AHV-Steuervorlage - Die Gewerkschaft - Vpod
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April 2019 Das VPOD-Magazin erscheint 10-mal pro Jahr Die Gewerkschaft Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste Schönes Ei? Faules Ei! Nein zur AHV-Steuervorlage Warum STAF eine Mogelpackung und ein Weg in die Sackgasse ist Kampflustige VPOD-Gesundheitskonferenz mit Mathias Binswanger und Franco Cavalli
©paul prescott / Shutterstock.com 100 Jahre Erfolgsgeschichte für Arbeitnehmende Die International Labour Organisation (ILO) Tagung am Dienstag, 25. Juni 2019 in Bern 1919 Die enormen Probleme der Arbeitenden werden durch den Ersten Weltkrieg verschärft. Stichworte sind: Arbeitslosigkeit, Armut, Abbau von Arbeitsschutz. Die ILO wurde 1919 auf Druck der Gewerkschaften gegründet, um diese haltlosen Zustände zu bekämpfen. 2019 Die Durchsetzung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen ist aktueller denn je! Die fortschreitende Globalisierung der Märkte braucht internationale Spielregeln, um die Rechte der Arbeitnehmenden zu schützen. Die Tagung gibt Einblick in brisante Debatten und zeigt auf, wie die Gewerkschaften die Interessen von Arbeitnehmenden im globalen Powerplay durchsetzen. Datum und Zeit: Dienstag, 25. Juni 2019, 09.30–16.30 Uhr Ort: Bern, Hotel Kreuz Tagungsgebühr: gratis für Mitglieder von Garanto, Nautilus, SEV, syndicom, Unia und VPOD Nichtmitglieder: CHF 250.– Programm: Info/Anmeldung: info@movendo.ch, siehe Rückseite www.movendo.ch ©Adam Jan Figel / Shutterstock.com Referierende: Corinne Schärer, Präsidentin Movendo, Leiterin Abteilung Politik Unia | Jean-Jacques Elmiger, Botschafter, Präsident der Konferenz 2019 der ILO | Anna Biondi, Vizedirektorin Büro für Arbeitnehmendenfragen (ACTRAV), ILO | Eva Maria Belser, Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht Universität Freiburg | Yvonne Zimmermann, Koordinatorin Solifonds | Luca Cirigliano, Zentralsekretär SGB, Delegierter Arbeit- nehmende Schweiz bei der ILO | Blaise Matthey, Geschäftsführer FER Genf, Delegierter Arbeitgebende Schweiz bei der ILO | Bernard Thibault, Mitglied des Verwaltungsrats der ILO | Katharina Prelicz-Huber, Präsidentin VPOD, Delegationsmitglied Arbeitnehmende Schweiz | Stefan Giger, Generalsekretär VPOD | Bernhard Herold, Programmleiter Asien, Solidar Suisse | Anne Meier, Anwältin
Editorial und Inhalt | VPOD Themen des Monats 5 Vom Liken zum Streiken Der VPOD organisiert den Frauenstreik online und offline 6 Löchrige Leitung Wissenschaft: Je höher die Stufe, desto weniger Frauen 7 Ganz in Weiss Umkleidezeit wird Arbeitszeit – die VPOD-Kampagne Christoph Schlatter ist Redaktor des VPOD-Magazins gewinnt an Fahrt 8–10 Bin i gopfridstutz e Bank? Kämpferische Verbandskonferenz Gesundheit Sind so hohle Hände in Solothurn «Sind so kleine Hände», sang Liedermacherin Bettina Wegener 1976. Rotkäppchen dagegen stellte bei der bettlägerigen Grossmutter über- 11–15 Dossier: Nein zur AHV-Steuervorlage mässig grosse Greifer fest, aber das war dann ja auch gar nicht die Gross- Regula Rytz und Katharina Prelicz-Huber erläutern, mutter. In erster Linie teuer sind die Hände auf der neuen Tausenderno- warum STAF in die Sackgasse führt te. Die rechte dürfte einer Frau, die von links ins Bild greifende einem Mann gehören. Was will uns der Händedruck sagen? Die Entschlüsse- 17 Wackelrente wäre Vertrauensbruch lung der Handzeichen ist auch bei den anderen Werten der neuen Serie Die Senkung laufender Renten kommt nicht in Frage nicht leicht. Auf der Zehnernote geht’s angeblich um die Zeit, auf dem Zwanziger ums Licht. 50 Franken kostet der Wind, 200 die Materie. 18 Die Weggesperrten Und die Tausendernote widmet sich der Kommunikation. Neuerscheinungen zur Versorgungspraxis bis 1981 Warum eigentlich dieses seltsam bodenlose, ätherische Programm? Weil die Promis langsam ausgehen, die anständigen sowieso: Jacob 22–23 1. Mai Burckhardt, des Handschlags Vorläufer; ein eingefleischter Antise- Termine, Rednerinnen, Kulinarisches und Musikalisches mit und Antidemokrat. Auguste Forel (1000 Franken, 6. Notenserie): Grossvater der Rassenhygiene. Le Corbusier (10 Franken, 8. Serie): ein Sympathisant des Vichy-Regimes. Und Alberto Giacometti (100 Fran- ken, 8. Serie, noch im Umlauf ) war ein Mann mit entsprechend viel- Rubriken schichtigen Bedürfnissen (Frau + Geliebte + Prostituierte). Trotz Entfernung solcher Angriffsflächen stösst auch der jüngste 4 Gewerkschaftsnachrichten Schein auf Kritik. Während im Euroland der 500er abgeschafft ist, schickt die Schweiz weiterhin teures Papiergeld in die Welt hinaus, 16 Aus den Regionen und Sektionen obwohl dieses zum Bezahlen gänzlich ungeeignet ist. Zweckmässig 19 Sunil Mann: Trendfutter ist das Format hingegen, wenn jemand möglichst grosse Summen in einem unauffälligen Köfferchen verstauen will. Die Nettoumlauf- 20 Wirtschaftslektion: «It’s the ideology, stupid» Statistik der Tausendernote ergibt – bei insgesamt steigender Tendenz – einen regelmässigen Wellenschlag. Jedes Jahr im Dezember zuckt 21 Wettbewerb: Frauenarbeit die Kurve nach oben, im neuen Jahr schwappt sie zurück. Der Göttibat- zen zu Weihnachten? Selbst die NZZ mutmasst, dass die Auffälligkeit 24 VPOD aktuell einem Steuertrick geschuldet ist: Vermögen wird Ende Jahr in Bares 25 Hier half der VPOD: Kein Automatismus umgewandelt, damit es im Steuerausweis nicht erscheint. Zurück zum Handschlag. Noch heute ist er Besiegelung von Vertrag 26 Solidar Suisse: Mit Whatsapp in den Arbeitskampf und Wette. Als Begrüssung der Lehrerin war er zu meiner Zeit nicht üblich. Es scheint, dass man den Brauch erst angesichts misogyner 27 Menschen im VPOD: Maya Weber Hadorn, Ostermundigen Muslime zur Leitkultur erhoben hat. Berühmt ist der Handshake im Logo der einstigen SED. Im Original 1946 streckt Wilhelm Pieck seine KPD-Hand von links, Otto Grotewohl die SPD-Kelle von rechts. Muss ja auch so sein. Das Fussvolk sprach von «abgehackten Händen». Redaktion /Administration: Postfach 8279, 8036 Zürich Was kommt auf der noch fehlenden Hunderternote? Ghettofaust? Telefon 044 266 52 52, Telefax 044 266 52 53 High Five? Gekreuzte Finger? Nein, es sind die hohlen Hände; sie Nr. 3, April 2019 sollen das Thema Wasser illustrieren und die «humanitäre Seite der E-Mail: redaktion@vpod-ssp.ch | www.vpod.ch Schweiz». Hohle Hand, humane Schweiz? Hier scheint ein Missver- Erscheint 10-mal pro Jahr ständnis vorzuliegen. Oder ein bösartiger Kommentar. April 2019 3
VPOD | Gewerkschaftsnachrichten Kontrolliert geschwänzt: Klimastreik. Kontrolliert frisiert: Coiffeur-GAV. Hinnehmbare EL-Revision Die EL-Allianz, der auch der VPOD angehört, sieht die vom Parla- ment verabschiedete EL-Revision zwar mit gemischten Gefühlen, betrachtet sie aber unter dem Strich als hinnehmbar. Schmerzhaft sind die Senkung der Vermögensbeiträge, die Kürzung der Beiträge für Kinder und die Herabsetzung des EL-Mindestbetrags. Sie werden durch soziale Fortschritte kompensiert: Die seit 2001 nicht mehr an- gepassten Beiträge für Mieten werden endlich erhöht. Wertvoll ist die Möglichkeit für Arbeitnehmende ab 58, auch bei Stellenverlust in der Pensionskasse zu verbleiben. | elal Kontrolliert frisieren Die Sozialpartner ziehen für das erste Jahr des Coiffeur-GAV eine po- sitive Bilanz. Der allgemeinverbindlich erklärte Vertrag gilt für rund 4200 Salons mit 10 700 Beschäftigten (zu 95 Prozent Frauen). Die Mindestlöhne und die Förderung der Weiterbildung sorgten für ei- ne Aufwertung des Branchen-Images und für bessere Perspektiven der Berufsleute, stellt die Unia fest. Der Kampf gegen Lohndumping bleibt dringlich. | unia/slt (Foto: megaflopp/iStock) CH-Media baut ab VPOD grüsst Klimastreik Der fusionierte Grossverlag CH-Media (AZ-Zeitungen, Luzerner Zei- Die VPOD-Verbandskommission Bildung Erziehung Wissenschaft tung, St.Galler Tagblatt, Radio- und TV-Sender) baut scheibchenweise und die VPOD-Delegiertenversammlung begrüssen die Mobilisierung ab. Im Wochenabstand kommunizierte er eine Massenentlassung auf der Jugendlichen für das Klima. Die Lehrpersonen freuen sich, dass den Redaktionen seiner Sonntagszeitungen, dann Kündigungen im die Jugend unter dem Motto «Wozu lernen, wenn wir keine Zukunft Radio- und Fernsehbereich. In den Augen der Syndicom ist das «Sala- haben?» die Dringlichkeit ihres Anliegens unterstreicht. Schulleitun- mitaktik»; ein publizistisches Konzept sei nicht ersichtlich. In einigen gen werden gebeten, auf Sanktionen für klimaaktive Schülerinnen Regionen hat CH-Media faktisch ein Monopol. | syndicom und Schüler zu verzichten. | vpod (Foto: Leonhard Lenz/Wikimedia CC) Strommarkt: Übung abbrechen! Fahrvergünstigung für öV-Personal: Kein Neid! In der Vernehmlassung zur Revision des Stromversorgungsgesetzes Wieder einmal ein «Skandal» in der Sonntagspresse: die Fahrvergüns- spricht sich der VPOD vehement gegen die vollständige Öffnung des tigung für das Personal des öffentlichen Verkehrs. Das Gratis-GA sei Strommarkts aus. Die Übung sollte ersatzlos abgebrochen werden. ein Geschenk, ein Privileg? Der VPOD stellt klar, dass die Vergünsti- Sie brächte vor allem die Arbeitsbedingungen unter Druck, und die gung schlicht ein steuerbarer Lohnbestandteil ist, dass ihm also nichts Betriebe müssten Marketingausgaben erhöhen. Den Konsumentin- Unrechtes anhaftet. Auch von einem «streng gehüteten Geheimnis» nen und Konsumenten dient das am Ende des Tages nicht – das konn- kann keine Rede sein: Die Regelung ist absolut transparent. | vpod/slt te an ausländischen Beispielen zur Genüge studiert werden. | vpod Bus-Auschreibung im Jura: Gefahr erkannt Bundespersonal will 200 Franken mehr für alle Die Regierung des Kantons Jura hat aus Sicht der Gewerkschaften die Den vollen Teuerungsausgleich sowie 200 Franken pro Monat mehr Dumpinggefahr bei der Ausschreibung von Buslinien erkannt – und für alle – das fordert die Verhandlungsgemeinschaft Bundespersonal richtig reagiert. Syndicom und SEV begrüssen die Zusicherung des VGB, der auch der VPOD angehört, vorsorglich für 2020. Davon wür- jurassischen Verkehrsdirektors David Eray, dass sich die Zuschlagskri- den die Mitarbeitenden in den tieferen Lohnklassen vergleichsweise terien an den beiden GAV Chemins de fer du Jura (CJ) und PostAuto stärker profitieren als das Kader. Die VGB fordert den Bund weiter zu orientieren werden. Das setze auch ein Zeichen auf nationaler Ebene, konkreten Massnahmen für die bessere Vereinbarkeit von Erwerbsar- betonen die beiden Gewerkschaften. | vpod beit und Familie auf. | vgb/slt 4 April 2019
Frauenstreik | VPOD Der VPOD organisiert den Frauenstreik am 14. Juni online und offline Vom Liken zum Streiken Die Mobilisierung für den Frauenstreik nimmt Fahrt auf. Kollektive haben sich gebildet, Manifeste werden geschrieben, Streikideen vorbereitet. Auch der VPOD ist an der Organisation des 14. Juni an vorderster Front dabei. | Text: Natascha Wey (Foto: Annette Boutellier) Das Interesse am geplanten Frauenstreik Noch schickere (oder: «Frauen*streik», siehe Kasten) ist rie- Streikkleidung gibt’s im VPOD-Shop. sig. Am 14. Februar haben wir vom VPOD unseren Aufruf www.frauenstreik19.ch lan- ciert. Seither haben sich gegen 4000 Inter- essierte eingetragen; sie möchten Infos, sie wollen sich engagieren, sie haben Geld ge- spendet – oder alles zusammen. Erfreulich: Es sind auch viele Noch-nicht-Mitglieder aus VPOD-Branchen dabei, die sich einbringen möchten. Willkommen im Club! Das VPOD-Frauenstreikteam ist daran, die Streikwilligen in Absprache mit den Regi- onen zu kontaktieren und sie zu unterstüt- zen, damit der 14. Juni ein grosser Erfolg wird. Parallel dazu liefern wir Grundlagen- informationen. Zum Ablauf am fraglichen Freitag sind bereits einige Elemente fix: Um 11 Uhr soll es in der gesamten Schweiz ei- nen gemeinsamen Moment geben, an dem Natürlich müssen einige Dinge berücksich- zen, Fahnen, Besen oder Transparente aus Aktionen, Flashmobs oder sonstige Proteste tigt werden: Berufsgruppen mit Betreuungs- dem Fenster gehängt werden. Frau kann laut werden. Um 15.30 Uhr ist dann für alle und Fürsorgeaufgaben müssen zum Beispiel sich Streik-T-Shirts und Bandanas anziehen, Frauen Arbeitsschluss. Dieser Zeitpunkt gilt, sicherstellen, dass Klienten oder Patientinnen Buttons anstecken oder sich ganz in Violett weil Frauen immer noch 20 Prozent weniger oder Kinder betreut sind. Bei Fragen hilft das kleiden. Auch diesbezüglich waren wir nicht verdienen und daher, auf einen 8-Stunden- VPOD-Sekretariat gerne weiter. Für Mitglie- untätig: Geeignete Streikgarderobe bieten wir Tag gerechnet, ab 15.24 Uhr gratis arbeiten. der, die nicht den ganzen Tag streiken wollen in unserem Online-Shop (www.vpod.ch) an, Gegen Abend wird es dann an vielen Orten oder können, gibt es andere Aktionsformen, selbstverständlich im schicken VPOD-Design Demos und Feste geben. von der Protestpause über den Bleistift- und und in allen Grössen und Formen. Schickt den Bummelstreik bis zum Tragen eines An- uns Fotos eurer Streikaktionen, damit wir Ist der Streik erlaubt? steckknopfs. Weitere Aktionsideen gibt ein vielfältig darüber berichten können! «Dürfen wir überhaupt streiken?», möchten Merkblatt (ebenfalls unter www.vpod.ch). viele wissen. Dazu haben VPOD-Gleichstel- Wichtig ist, dass an diesem Tag sichtbar ist: lungssekretärin Christine Flitner und VPOD- Eine Gesellschaft und eine Arbeitswelt ohne Frauen, Frauen* und Männer Generalsekretär Stefan Giger ein Merkblatt die Arbeit von Frauen sind nicht denkbar. Der Stern in der of fiziellen Schreibweise ausgearbeitet (zu finden unter www.vpod.ch). Neben den unterschiedlichen Protestformen «Frauen*streik» soll zeigen, dass alle Arten von Um es vorwegzunehmen: Ja, der Frauenstreik ist natürlich das Ausarbeiten von konkreten Frauen angesprochen sind, etwa auch Trans- ist legal! Das Streikrecht steht seit 1999 in der Forderungen ein wichtiger Bestandteil. Dies sexuelle – kurz: «alle ausser Cis-Männer» («ein Bundesverfassung. Auch die Gleichstellung geschieht idealerweise bereits im Vorfeld, Cis-Mann ist ein Mann, der sich in dem sozialen der Geschlechter wäre seit 1981 ein Verfas- damit Forderungen am Streiktag selber ent- Geschlecht wiedererkennt, das ihm bei der Ge- sungsgrundsatz, seit 1996 im Gleichstel- weder der Geschäftsleitung oder den politisch burt zugewiesen worden ist»). Aber auch diese lungsgesetz konkretisiert. Trotzdem bewegt Verantwortlichen übergeben werden können. Spezies ist am Frauenstreik gefragt, denn so ein sich an dieser Front wenig. Der Frauenstreik Tag macht viel Arbeit. Aufbau, Abbau, Demoor- ist also eine politische Aktionsform und ein Schickt Fotos! ganisation, Restauration – helfende Hände sind Mittel, Arbeitsrechte zu verteidigen und Ver- Weiter werden bereits jetzt vielerorts Work- überall willkommen. Solidarische Männer kön- besserungen einzufordern. Der VPOD ruft shops zur Gleichstellung und zur Vereinbar- nen sich auf www.vpod.ch/frauenstreik melden. aktiv dazu auf! Mieux d’un rêve, une grève! keit organisiert. Es können Plakate, Schür- | vpod April 2019 5
VPOD | Gleichstellung Wissenschaft: Bei den Studierenden sind die Frauen in der Mehrheit – aber ihr Anteil sinkt mit jeder Hierarchiestufe Löchrige Leitung Die Gleichstellung von Frau und Mann in der Forschung ist nicht erreicht – weder in Europa noch in der Schweiz. Die Daten des Bundesamts für Statistik, die in einem Bericht der Europäischen Kommission publiziert wurden, zeigen deutlich die «Leaky Pipeline» nach oben. | Text: BFS/slt (Foto: gilaxia/iStockphoto) Seit mehreren Jahren besteht unter den Stu- Tierärztin ist zu einem dierenden an Schweizer Hochschulen ein Frauenberuf geworden – Ingenieurin (noch) nicht. ausgewogenes Verhältnis zwischen den Ge- schlechtern. 2016 machten die Frauen 51 Pro- zent der Immatrikulierten und sogar 54 Pro- zent der Bachelor- und Master-Diplomierten aus. Aber je höher man die akademische Karriereleiter hinaufsteigt, desto geringer ist der Frauenanteil. Dieses Phänomen wird auch «Leaky Pipeline» («löchrige Leitung») genannt (siehe Kasten). Die Studie «She Fi- gures» der Europäischen Kommission, in de- ren Rahmen auch die Schweizer Daten veröf- fentlicht worden sind, unterscheidet 6 Stufen der akademischen Laufbahn: Studium, erster Abschluss, Doktortitel, unterer akademischer Mittelbau, oberer akademischer Mittelbau und Professur. EU leicht besser als die Schweiz Ob in der Schweiz oder in der EU: Die ge- zent). Dann werden die Frauen immer sel- närmedizin, wo Frauen unter den Dozieren- schlechterspezifischen Unterschiede in der tener: Im unteren akademischen Mittelbau den mit Führungsverantwortung 29 Prozent akademischen Laufbahn lassen sich ab Stu- sind sie noch zu 41 Prozent, im oberen zu ausmachen. fe 3 (Doktorat) beobachten. 2016 betrug der 34 Prozent vertreten. Auf der Ebene Profes- Noch weniger sind es, weil dort bereits weni- Frauenanteil bei den frisch Doktorierten in sur stellen die Frauen 23 Prozent. In der EU ger Frauen nachkommen, in den Naturwis- der Schweiz 44 Prozent (in der EU: 48 Pro- gibt es mit 46, 40, 24 Prozent Frauen auf den senschaften (14 Prozent) und im Ingenieurs- oberen Stufen eine etwas höhere Frauenver- wesen (13 Prozent). Ebenso fehlen Frauen in tretung, aber die gleiche Tendenz. strategischen Funktionen der Wissenschaft: Wer ist schuld am Graben? Die Unterschiede nach Fachgebiet sind al- Ein gutes Viertel (27 Prozent) der Mitglieder Zu den Gründen für den Gender-Gap lässt sich lerdings enorm. Von den Doktoraten in den von Forschungsräten und ein knappes Drittel das Bundesamt für Statistik in seiner Medien- Informations- und Kommunikationstechno- (30 Prozent) der Hochschuldirektorate sind mitteilung nicht aus. Zwei Mutmassungen drän- logien stammen nur 15 Prozent von Frau- weiblich. gen sich auf: Das Leck in der «Pipeline» dürfte en, im Ingenieurswesen sind es 27 Prozent. sich zu einem guten Teil mit der schwierigen Dagegen sind die Bereiche Landwirtschaft/ Langsame Veränderung Vereinbarkeit erklären lassen. Eine wissen- Tiermedizin (76 Prozent Frauen), Pädago- Bei der Betrachtung über einen längeren schaftliche Karriere und die Verantwortung für gik (61 Prozent) und Sozialwissenschaften Zeitraum zeigt sich, dass die Unterschiede Kinder gehen nicht leicht zusammen; besonders (58 Prozent) inzwischen stark weiblich ge- zwischen Männern und Frauen tendenziell die heute geforderte internationale Mobili- prägt. Auch in der Humanmedizin (57 Pro- geringer werden, allerdings ziemlich lang- tät dürfte hemmend wirken. Mit Kindern zieht zent) und den Geisteswissenschaften (53 Pro- sam. Von 2009 bis 2016 ist in der Schweiz sich’s nicht so leicht von Bern nach Berkeley und zent) stammen die frischen Doktorarbeiten der Frauenanteil bei den Doktoraten nur um dann nach Berlin. Was aber ist der Grund für mehrheitlich aus Frauenhand. 2 Prozentpunkte gestiegen (von 42 auf 44 die hartnäckigen Unterschiede nach Fächern? Untervertreten sind die Frauen unter den Do- Prozent). «Es ist davon auszugehen, dass es Verdienst- und Karriereaussichten? Fehlende zierenden mit Führungsverantwortung, und noch einige Zeit dauern wird, bis in diesem Vorbilder? Vorübergehende Trends? Oder doch zwar auch in jenen Domänen, wo sie noch Bereich die Gleichstellung von Frau und eher innere Neigungen, die einer gezielten Be- beim Doktorat in der Überzahl waren. Etwa Mann erreicht wird», kommentiert das Bun- einflussung schwer zugänglich sind? | slt in der heute stark weiblich geprägten Veteri- desamt für Statistik. 6 April 2019
Gesundheit | VPOD Umkleidezeit wird Arbeitszeit – die VPOD-Kampagne gewinnt an Fahrt Ganz in Weiss Die Forderung des VPOD, dass Umkleiden bezahlte Arbeitszeit ist, wird inzwischen nicht mehr bestritten. Einige Betriebe haben bereits mit der Umsetzung begonnen. | Text: Elvira Wiegers et al./VPOD (Foto: Gaëtan Bally/Keystone) Das Geschäft mit der Gesundheit brummt. Lösung möglicherweise in einer nationalen im Zürcher Kinderspital («Kispi») dank der Hunderte von Millionen von Franken wer- Regelung? Kampagne des Zürcher VPOD-Sekretärs Ro- den in Neubauten mit todschicken Innenein- H+ schreibt in einem internen Brief an die land Brunner ab April eine entsprechende Re- richtungen gepumpt. Hier ein neues Betten- Spitaldirektorinnen und Spitaldirektoren: gelung gelten. Der VPOD wird die konkrete haus, dort ein Ambulatorium. Das Geld dafür «Mehrere konsultierte Juristen und das Seco Umsetzung und deren Auswirkungen auf die scheint in Hülle und Fülle vorhanden zu sein. teilen die Ansicht mit H+, dass angeordnete übrigen Arbeitsbedingungen mit grossem In- Fehlen tut es dann an einem anderen Ort, Umkleidezeit Arbeitszeit sei und in geeigne- teresse verfolgen. Die Stadt Zürich wiederum nämlich in den Taschen des Personals. Hier ter Form abgegolten werden müsse. Eine ge- hat beschlossen, die Frage der Umkleidezeit wird gespart und geschmürzelt, ungeachtet nerelle Empfehlung an die Spitäler, Kliniken für alle städtischen Betriebe und Angestellten der Tatsache, dass fast 40 Prozent des Gesund- und Pflegeinstitutionen, Umkleidezeiten als zu überprüfen, nicht nur für die Spitäler. heitspersonals wieder aus dem Beruf ausstei- Arbeitszeit anzurechnen und diese auch zu Solange die Schweizer Spitäler keine kon- gen und dass permanenter Personalmangel bezahlen, macht H+ jedoch nicht.» H+ ist al- kreten Vorschläge zur Umsetzung machen, für immer mehr Stress bei jenen sorgt, die so gegen eine flächendeckende Anerkennung fordert der VPOD weiterhin seine Mitglieder den Bettel noch nicht hingeschmissen haben. der Umkleidezeit und empfiehlt stattdessen auf, ihm eine Vollmacht für eine Lohnnach- eine betriebliche Umsetzung, wo sich eine forderung für die letzten 5 Jahre zu erteilen. Der berühmte Tropfen Regelung nicht vermeiden lässt. Bei einer Vollzeitanstellung macht das pro Das Gesundheitspersonal hat die kontinu- Kopf rund 2½ Monatslöhne aus. Bereits jetzt ierliche Verschlechterung seiner Arbeitsbe- Klage oder Einigung? hat die vom VPOD errechnete Klagesumme dingungen in der Vergangenheit meist ohne Als erste gab im Februar die Zürcher Schult- die Millionengrenze überschritten. Ob diese Murren hingenommen – bis der berühmte hess-Klinik bekannt, dass sie rückwirkend ab Lohnnachforderungen vor Gericht durchge- Tropfen das Fass zum Überlaufen brachte. Anfang 2019 eine tägliche Umkleidezeit von setzt werden, hängt schliesslich stark davon Im Fall des Universitätsspitals Zürich (USZ) 15 Minuten als Arbeitszeit anrechnet. Auch ab, wie grosszügig die Angebote der Spitäler war es die Ankündigung eines neuen Garde- andere Spitäler haben sich inzwischen be- ausfallen, die Umkleidezeit anzurechnen. robensystems, das zu noch längeren Umklei- wegt und mit dem VPOD Gespräche geführt Der VPOD ist jedenfalls bereit und wird die de- und Wegzeiten führen wird. Im USZ hat oder die Einführung der bezahlten Umklei- Kampagne bis dahin auf weitere Regionen denn auch im vergangenen September die dezeit bereits in Angriff genommen. So soll ausdehnen. Kampagne «Umkleidezeit ist Arbeitszeit» ih- ren Anfang genommen. Das grosse und an- haltende Medienecho hat dazu beigetragen, Ganz einfach: dass die Kampagne relativ schnell auch in an- Wo Arbeitskleidung Pflicht ist, gehört deren Regionen lanciert werden konnte: Noch das Umziehen zur im Dezember des vergangenen Jahres startete Arbeitszeit. sie in den Kantonen Solothurn und St. Gallen, im Februar folgte der Kanton Freiburg. Nachdem die Rechtmässigkeit der VPOD- Forderung anfänglich von Organisationen wie dem Verband der Zürcher Krankenhäu- ser bestritten worden war, anerkennen heute sowohl Spitäler als auch der nationale Dach- verband der Schweizer Spitäler H+, aber et- wa auch die Regierung des Kantons Zürich Handlungsbedarf. Konkret geht es um die Umsetzung des nationalen Arbeitsgesetzes. Die Frage lautet nun: Muss der VPOD mit jedem einzelnen Schweizer Spital eine eige- ne Vereinbarung erkämpfen? Oder liegt die April 2019 7
VPOD | Verbandskonferenzen Verbandskonferenz Gesundheit, 14./15. März im Alten Spital Solothurn, mit Franco Cavalli und Mathias Binswanger als Hauptrednern Bin i gopfridstutz e Bank? Das Schweizer Gesundheitswesen krankt. Der Arzt Franco Cavalli und der Ökonom Mathias Binswanger kamen an der VPOD-Verbandskonferenz Gesundheit in Solothurn zu ähnlichen Diagnosen: Fehlanreize durch falsche Finanzierung. Namentlich die Teilnehmerinnen sind kampf- und streiklustig. | Text und Fotos: Christoph Schlatter Kämpferisch aufgestellt: VPOD-Verbandskonferenz Gesundheit. Zwei Freiburger Kolleginnen gerieten zuerst Gesundheitswesen funktioniert, auch wenn zwei grossen (und bürgerlicherseits gewoll- ins Bürgerspital, also ins akut-aktuelle statt das noch so oft behauptet wird, nicht als ten) Schwächen zum heutigen Übelstand ins Alte Spital. Aber sie wurden dort sofort wettbewerbsgesteuerter Markt. Franco Caval- beigetragen. Das sind erstens die einkom- wieder entlassen und fanden letztlich eben- li hat über Jahrzehnte als Onkologe gewirkt. mensunabhängigen Krankenkassenprämien, so den Weg zur Verbandskonferenz wie jene 12 Jahre sass er für die SP im Nationalrat; die das Gesundheitswesen auf den Weg einer Kolleginnen aus dem Tessin, die zum ersten als der Wechsel in den Ständerat misslang, Zweiklassengesellschaft eingespurt haben. Mal in ihrem Leben nördlich des Gotthards zog er sich aus der Politik zurück. Aus der Bereits heute hängt es auch in der Schweiz weilten (was die germanischen Götter aller- Tagespolitik, muss man präzisieren: Sein Re- vom Geldbeutel ab, wie lange man beispiels- dings mit Dauerregen quittierten). Im Innern ferat beim VPOD nannte die Profiteure des weise mit Prostatakrebs noch zu leben hat. war die Stimmung in Solothurn durchaus heutigen Systems beim Namen: «Heute gilt Neue und wirksame, aber teure Medikamen- heiter. Heiter, aber kämpferisch, um genau nicht mehr, dass die Banken in der Schweiz te werden mit künstlicher Verzögerung in zu sein. Kritisch kann man allerdings sehen, die stärkste Lobby haben. die Grundversicherung dass jetzt auch beim VPOD die Grenzen zwi- Die Krankenkassen und Fehlanreize durch falsche Finanzie- aufgenommen. In der schen Arbeit und Freizeit verschwimmen. die Pharmaindustrie ha- rungssysteme: Sie sorgen laut Wolfgang Zwischenzeit überleben Das Signal zum Umtrunk verband die Konfe- ben diese Position über- Müller, Präsident der VPOD-Verbands- die Reichen, die Armen renzleitung mit dem Appell, beim Weisswein nommen.» Mehr noch: kommission Gesundheit, dafür, dass sterben. Streikmöglichkeiten für alle Bereiche des Ge- Höchstens noch im Dro- die Patientin nicht mehr im Mittelpunkt Der zweite grosse Fehler sundheitswesens zu erörtern, die anderntags genhandel und in der steht. Katharina Prelicz-Huber, VPOD- ist die unterschiedliche abgefragt würden . . . Prostitution werde so viel Präsidentin, betonte in ihrem Gruss- Finanzierung von ambu- Geld verdient wie bei der wort, dass durch diese Verschiebung lantem und stationärem Fehlanreize aller Art Pharma, sagte Cavalli. besonders die Pflege in eine schwierige Bereich. Bekanntlich wer- Auch wenn die beiden Hauptreferenten aus Weiter: Das Krankenver- Position geraten ist, weil sie «kein Geld den ambulante Leistun- verschiedenen Disziplinen stammen – der sicherungsgesetz KVG bringt». Was schafft Abhilfe? Das kurz- gen (abzüglich Franchise eine Arzt, der andere Ökonom –, kamen sie – obwohl seinerzeit ein und mittelfristig zu erörtern, war eine und Selbstbehalt) voll von doch zu ähnlichen Schlüssen. Nämlich: Das Fortschritt – habe mit der Aufgaben der Konferenz. | slt der Kasse bezahlt, statio- 8 April 2019
Verbandskonferenzen | VPOD näre aber zu 55 Prozent durch die Kantone. ben in mehreren Versuchen bis dato ohne Er- zielt auf den genau gleichen wunden Punkt: Weil immer weniger stationär und immer folg war. (Per Resolution zeigte die Verbands- die Unfähigkeit zur Korrektur infolge fehlen- mehr ambulant gemacht wird, steigen die konferenz der «Einführung des Monismus» der oder falscher Analyse. Krankenkassenprämien überproportional. unter Ägide der Kassen die rote Karte; eine Volkswirtschaftler Binswanger sprach von den Namentlich die teuren Vor- und Nachunter- zweite Resolution warnt vor der weiteren De- drei grossen Illusionen, die sich im Schweizer suchungen werden heute meist ambulant regulierung der Arbeitszeiten – im Gegenteil Gesundheitswesen türmen. Es ist a) ein Irr- gemacht. Eine Finanzierung aus einer Hand müsse das Arbeitsgesetz geschärft werden.) tum zu glauben, dass künstlicher Wettbewerb hält Cavalli daher theoretisch für erstrebens- dort für Effizienz sorgt, wo gar kein Markt be- wert – aber natürlich nicht so, wie sich das Verzögert, aber akribisch steht. Der Gedanke, dass sich qualitative Leis- die Krankenkassenlobby vorstellt, «sondern «Dinge, die sich im Ausland nicht bewährt tung mit zwei, drei Kennzahlen messen lässt, nur dann, wenn Macht und Daten in den haben, werden in der Schweiz mit Verzöge- ist b) ebenfalls falsch. Und eine Fehlannah- Händen des Volkes liegen». Es gälte also, eine rung eingeführt, dafür mit besonderer Ak- me liegt c) auch der Vorstellung zugrunde, Art Einheitskasse nach Art der Suva oder der ribie . . .» Das Zitat von Mathias Binswanger, nur mit Zuckerbrot und Peitsche lasse sich AHV zu errichten – auch wenn dieses Vorha- dem zweiten Hauptredner der Konferenz, Höchstleistung aus ansonsten trägen Men- Freiburg: So geht Streik Die Freiburger Kolleginnen und Kollegen haben Der Schlüssel zum Erfolg: Die einzelnen Abtei- beit zu melden. Stockholm-Syndrom? Der SBK, die Expertise: Sie haben letztes Jahr im Mai vor- lungen entwickelten kreativ ihre eigenen Ideen. der sich vom Streik distanzierte, weil man damit gemacht, wie sich im Gesundheitswesen strei- Man vernetzte sich per Whatsapp und Facebook «Patienten als Geiseln» nehme, würde es wohl ken lässt. Wolfgang Müller, Präsident der VPOD- und schaute, was die anderen vorhaben. Eini- so erklären . . . Jedenfalls waren auch die Medien Verbandskommission Gesundheit, schilderte ge Ideen wurden breit aufgenommen, etwa zur Stelle, auch jene des bewegten Bildes. den Hintergrund der Mobilisierung: Das Spital- die schwarzen T-Shirts mit den Aufklebern «Im «Es ist nicht das VPOD-Sekretariat, das den personal sollte aus dem kantonalen Personal- Streik, aber da für Sie». Für manche war ein Streik macht – es sind die Mitarbeitenden», recht ausgestossen werden – Verschlechterung Bleistiftstreik die adäquate Form. Beim Röntgen unterstreicht VPOD-Regionalsekretärin Cathe- der Arbeitsbedingungen aus Spargründen. Es und im OP wurde alles vertagt, was aufschieb- rine Friedli. Sie sieht den enormen Erfolg vor war nur wenig Zeit, also berief man sofort eine bar war. Die Maternité hüllte sich in Rosa. Aus allem auch der guten Vorbereitung geschul- Versammlung ein, zu der 140 Leute erschienen. der Küche kam für einmal lediglich ein Einheits- det, der Tatsache, dass im Vorfeld viel Zeit Streik? Oder eher Aktionstag? Bewusst liess man menü. Im Vollstreik waren vielleicht zwei Dut- darauf verwendet worden war, mit den Leu- diese Frage in der Schwebe. Bei manch einer zend Beschäftigte. Viele verlängerten die Pause ten vor Ort zu diskutieren. Ihre Forderungen Pflegekraft stösst ja das Wort «Streik» erst ein- zugunsten von Aktionen. – und auch ihre Bedenken hinsichtlich eines mal auf Widerstand. «Wir werden doch nicht Die Bewegung hatte offensichtlich die Sympa- Streiks – wurden gehört; gleichzeitig wurde unsere Patientinnen und Patienten im Stich las- thie der Öffentlichkeit und wurde auch aus den auch erläutert, was die Personalreform ihnen sen», lautet oft die erste Reaktion. Das verlangt Krankenbetten heraus mit grösstem Wohlwollen zumuten will. Die elektronischen Plattformen auch gar niemand. bedacht. Frisch Operierte mussten im Aufwach- vermögen die konkrete Begegnung in keiner Um 6 Uhr morgens am fraglichen Tag wurden saal daran gehindert werden, aus ihren Betten Weise zu ersetzen. Aber sie verstärken sie. an allen 6 Standorten des Spitals Freiburg ein- zu klettern und sich am Streikposten zur Mitar- | slt (Foto: Pierre-Yves Massot) schliesslich Psychiatrie je zentrale Streikposten eingerichtet, die als Café, als Biwak, als Dreh- scheibe funktionierten; den ganzen Tag über ver- sammelten sich dort Leute. Um 11.30 Uhr gab’s Versammlungen mit Reden vor Ort, am Abend war eine Gesamtdemo in der Innenstadt, auf die allerdings der heftigste Gewitterregen nie- derprasselte, den Freiburg seit Langem gesehen hatte (siehe Foto). Der Wirkung tat das keinen Abbruch. Die Motion, die dem Gesundheitsper- sonal an den Kragen wollte, wurde im Parlament vertagt. Als sie im November erneut angesetzt war, drohte das Personal mit einem weiteren Streiktag. Es folgte die Beerdigung der Idee. Und fast gleichzeitig ein Bundesgerichtsurteil, das ein von rechter Seite angestrebtes generel- les Streikverbot für das Gesundheitspersonal als unzulässig erklärt. April 2019 9
VPOD | Verbandskonferenzen rung die Kosten je Fall drücken. Knie- und Hüftgelenkoperationen oder Herzkatheter beispielsweise sind einträglich. Die Vorhal- tung ausreichender Bestände von Pflegeper- sonal ist es nicht. Kämpfe intensivieren Der Abbau von Pflegepersonal in Deutsch- land, wo man die Pauschalen seit 2003 kennt, war dramatisch. Selbst die (unver- dächtige) NZZ geht von Hunderten vermeid- barer Todesfälle infolge fehlender Pflege aus. Gleichzeitig ist, zulasten von ärztlichen und pflegerischen Kernaufgaben, eine Con- Zeigt die Fehlfunktionen: Mathias Binswanger. Nennt die Schuldigen: Franco Cavalli. trollingbürokratie errichtet worden. Dorthin führen Massnahmen, die zu «mehr Markt» führen sollen, in einem unechten Markt fast zwingend. Beispiel USA: Die Gesundheits- schen herauskitzeln oder -prügeln. – Ein sehr ter auf; britische Hausärztinnen und Haus- ausgaben liegen bei 17 Prozent des Bruttoin- schönes Beispiel für verfehlten künstlichen ärzte werden inzwischen nach 149 Kriterien landprodukts (Schweiz: 11 Prozent). Die Leute Wettbewerb: Als die Behörden der Rattenpla- beurteilt . . . sind aber nicht gesünder und werden nicht ge zu Hanoi durch Prämien für die Abgabe Schliesslich lässt sich durch «methodisier- älter, im Gegenteil. toter Tiere Herr zu werden trachteten, fing tes Misstrauen» – die Unterstellung, ohne Trotz Niederlagen in der Vergangenheit führt die Bevölkerung mit der Rattenzucht an. Es engmaschige Überprüfung werde gefaulenzt auch nach Meinung der Verbandskonferenz wäre die Steuerung via Nachfrage, die einen oder geschludert – die ursprünglich vorhan- kein Weg daran vorbei, die bisherigen Kämp- funktionierenden Markt kennzeichnet. Im dene Motivation problemlos unterminieren. fe fortzusetzen – und sie zu intensivieren. Ein Gesundheitswesen existiert das nicht: Zu Und gerade Pflegende sind ja von hohem En- gutes Beispiel, wie das gemacht wird, lieferte gross ist die Informationsasymmetrie zwi- gagement getragen, mindestens am Anfang am Freitag die VPOD-Region Freiburg (sie- schen Anbietern und Nachfragenden. Rät mir ihrer Laufbahn. Auch hierzu servierte Bins- he vorherige Seite). Weil das Gesundheits- der Arzt zur OP, werde ich sie machen lassen. wanger ein Beispiel: Die Qualität des gespen- wesen eine sehr weibliche Branche ist, ver- Rät die Ärztin ab, schlucke ich halt Pillen. deten Blutes sinkt, wo Blutspenden bezahlt linkt sich das gut mit dem Frauenstreik. Der Die Nachfrage wird so letztlich über das An- werden. (Dann spenden nämlich diejenigen, Forderungskatalog listet auf: höhere Löhne, gebot gelenkt. «Und dies geht mit einer per- die Geld dringend nötig haben, im Zweifels- Arbeitszeitverkürzung, frühzeitig kommu- manenten Mengenausweitung einher», so fall nicht so gesunde Randgruppen also.) nizierte Dienstzeiten (namentlich fixe freie Binswanger, der dabei dieses hübsche kleine Die aktuellen Fehlentwicklungen im Ge- Wochentage), Frühpensionierungsmöglich- Eugen-Roth-Poem zitierte: «Was bringt den sundheitswesen haben mit den genannten keiten, berufslebenslanger Zugang zu Wei- Doktor um sein Brot? / a) die Gesundheit Illusionen zu tun. Insbesondere Spitäler, die terbildung. Eine kleine Debatte entstand über b) der Tod. / Drum hält der Arzt, auf dass er bei möglichst geringen Behandlungskosten die Frage, ob Zeit für die Betreuung kranker lebe / Uns zwischen beiden in der Schwebe.» möglichst viel Geld aus den Fallpauschalen Kinder eine spezifische Frauen(streik)forde- herausmelken wollen: «Patienten sind zu rung sei. Fazit: Eigentlich zwar nicht (weil Ein Mannschaftssport einer Art Portfolio geworden, das man opti- schliesslich auch der Papa sich mal kümmern Zudem werden Leistungen abseits des miert, um ein möglichst gutes Ergebnis zu könnte), aber faktisch dann doch (weil es die Fliessbands weitgehend im Team erbracht. erzielen.» Also mit Diagnosen, die möglichst Frauen sind, die die dummen Sprüche und Wie misst man wessen Anteil? Was misst lohnend sind, mit Operationen, die sich ter- die Missbilligung abkriegen – und auch und man überhaupt? Ad-absurdum-Führung minieren lassen und die dank Standardisie- nur schon wegen der Alleinerziehenden). durch Binswanger in wenigen Schritten am Beispiel des Fussballs, wo gute Arbeit immer die Arbeit von mehreren ist. Die Die neu gewählte VPOD-Verbandskommission Gesundheit: Seddik Benlahcene (Genf, Leistung des Stürmers nach erzielten Toren neu), Deborah Bouyol (Genf), Gloria Castro (Genf, neu), Ghislaine Clément (Freiburg, beurteilen? Dann werden keine Querpässe neu), Nadine Constantin (Zürich, neu), Barbara Dörig (Bern, neu), Herbert Eggs (Ba- mehr gespielt, alle suchen den Abschluss. sel), Bernd Eiben (Basel), Jantine Engel (Zürich), Anna Gunkel (Ostschweiz), Dorina Und wie werden Mittelfeldspieler und Ver- Hassler (Zürich), Thierry Humbert-Droz (Freiburg), Tabea Käser (AG/SO, neu), Sabrina teidiger in einem solchen System honoriert? Khaled (Genf, neu), Heinz Lanz (Ostschweiz), Fabienne Lussmann (Basel), Chantal Im Zweifel misst man eben, was sich mes- Mazzolini (Neuenburg), Wolfgang Müller (Präsident, Freiburg), Urs Pfister (Bern), sen lässt – und das ist meist nicht das, was Patrick Portmann (Schaffhausen), Chusa Puras (Genf), Bernd Rosenkranz (AG/SO), aussagekräftig wäre. Die Ausschaltung von Franziska Tschannen (AG/SO), Laurentina Vais (Genf), Irene Wittwer (Bern), Samuel Fehlanreizen bläht Indikatorensysteme wei- Woodtli (Bern). 10 April 2019
Dossier: Nein zur AHV-Steuervorlage STAF Interview mit Regula Rytz, Nationalrätin, Parteipräsidentin Grüne «Der Deal ist ein Weg in die Sackgasse» Der VPOD und die Grünen haben das Referendum gegen die Steuer-AHV-Vorlage STAF gestemmt und kämpfen fast allein gegen den Rest der Welt. Regula Rytz, Nationalrätin und Präsidentin der Grünen und VPOD-Mitglied, leistet Überzeugungsarbeit. | Interview: Christoph Schlatter (Foto: Béatrice Devènes [Porträt] und Søren/photocase.de) VPOD-Magazin: Regula Rytz, ich weiss, dass es trotz der Parole auch in unserem Verband mancherorts Zweifel am Nein zu STAF gibt. Stell dir also vor, ich wäre ein VPOD-Mitglied aus dem Ja-Lager, das es umzustimmen gilt. Dieses Mitglied sagt zum Beispiel: Bei einem Nein kommen wir nicht voran mit der Ächtung der verpönten Steuerprivilegien. Die bleiben dann ja bestehen – und die Schweiz landet auf der schwarzen Liste der Steuersünder. Regula Rytz: Wir haben bis 2021 Zeit und bleiben bis dahin, wo wir heute sind: auf der grauen Liste. Denn die Schweiz ist – aus OECD-Sicht – «too big to be listed», zu wichtig, als dass man die Verbindungen zum Finanzplatz so einfach kappen könnte. Aber selbstverständlich müssen wir diese unge- rechten Steuerprivilegien so rasch als mög- lich entsorgen. Ein Nein zu STAF macht den Weg frei für eine Vorlage, die endlich um- setzt, was die Bevölkerung schon lange will: Regula Rytz, Nationalrätin und eine Korrektur der Steuerdumping-Politik, Präsidentin Grüne, VPOD-Mitglied. aber ohne Steuerausfälle. Das deutliche Nein zur Unternehmenssteuerreform III (USR III) wird ja mit der jetzigen Vorlage schlicht sunden Steuerwettbewerb weiter an, sowohl die Feststellung, dass die Staatsausgaben nicht respektiert. Niemand kann mir sagen, innerhalb der Schweiz als auch international. nicht mehr finanzierbar sind. Man verordnet wie Kantone und Gemeinden ein Loch von Die Senkung der Unternehmensgewinn- Zwangsferien an den Schulen . . . 2,1 Milliarden Franken stopfen wollen. steuern geschieht auf der kantonalen ... und man baut im Sozialbereich Aber STAF ist doch besser als die Ebene und muss auch dort bekämpft dramatisch ab. USR III. Die Dividendenbesteuerung auf werden, tönt es aus dem linken Ja-Lager. Ebenso dramatisch ist, dass man die Steuern Bundesebene wird erhöht, zum Beispiel. Genau. Doch nur im Kanton Bern haben kaum mehr hochkriegt, wenn sie einmal im Es gab einige Verbesserungen, richtig. Aber es Grüne, SP und Gewerkschaften letzten Keller sind. Aus Konkurrenzgründen gelte sogar Bürgerliche sprechen von «altem Wein Herbst gemeinsam geschafft, eine schädli- es, jetzt noch diese und jene und dann noch- in neuen Schläuchen». Auch der SGB hat die che Unternehmenssteuersenkung zu Fall zu mals eine Durststrecke zu überwinden, flö- neuen Vorschläge von bringen. Jetzt bleibt Bern ten die Bürgerlichen. Dabei verfolgen sie eine Ueli Maurer vor einem bei seinen vergleichs- knallharte Agenda: Rückbau der staatlichen Jahr noch in die Pfanne «Das deutliche Nein weise hohen Unterneh- Leistungen, Rückbau der Sozialausgaben, gehauen. Jetzt, wo man zur USR III wird mit menssteuern – und gerät Rückbau des Service public. Damit waren sie die Vorlage mit einer der STAF-Vorlage nicht zunehmend unter den lange sehr erfolgreich – bis zur USR III. Die- AHV-Finanzspritze an- Druck der Nachbarkan- se Abstimmung markiert eine Trendwende. respektiert.» Und darum ist es umso schlimmer, dass jetzt gereichert hat – im Wis- tone. Solothurn will den sen, dass sie sonst an der Gewinnsteuersatz für das gleiche Konzept nochmals in Geschenk- Urne chancenlos ist –, soll das alles vergeben Unternehmen auf 13 Prozent senken – und verpackung vorgelegt wird. und vergessen sein? Es geht erneut um Steu- wird also in die gleiche Falle laufen, in die Aber der Druck auf die kantonalen erausfälle von über 2,1 Milliarden Franken. schon Obwalden oder Luzern getreten sind. Unternehmenssteuern bleibt ja auch Und auch diese neue Vorlage heizt den unge- Am Ende der Tiefsteuer-Fahnenstange steht bei einem Nein zur STAF bestehen. April 2019 11
Dossier: Nein zur AHV-Steuervorlage STAF Bern hat gezeigt: Wir können das aufhalten, Kanton Zug, wo man es mit der Ansiedelung Immerhin ergäbe sich bei der AHV auf wenn wir zusammenstehen. Bedenklich aber von Statusgesellschaften besonders bunt ge- diese Weise eine Verschnaufpause. ist die neue Logik, wie sie vom Kanton Waadt trieben hat. Nochmals: Ich kritisiere die Logik Der enorme Druck von roten Zahlen vorgelebt wurde: die Koppelung von hohen – oder besser Unlogik – hinter dieser Reform. wird mindestens verzögert. Steuersenkungen mit sozialen «Akzeptanzför- Wenn die Unternehmensgewinne zunächst Stimmt. Ich habe deshalb im Parlament ver- derungsmassnahmen». Dabei kann man den mit Sonderinstrumenten kleingerechnet und sucht, die Vorlagen aufzutrennen, sogar mit gleichen Franken nur einmal ausgeben. dann auch noch niedriger besteuert werden, einem Vorschlag, der den Deal-Befürwor- Das geht jetzt an die Adresse des neuen SGB- dann führt das langfristig zu einer Erosion terinnen und -Befürwortern weit entgegen- Präsidenten, der diese Politik als Regierungsrat der Steuererträge. Und das können wir uns kam: getrennt abstimmen, aber die Vorlagen verantwortet. einfach nicht leisten. verknüpft lassen. Dann wäre in der Abstim- Die dahinterstehende Nochmals Solothurn als mung wenigstens klar geworden, wo die Be- Philosophie funktioniert «Sozialstaat auf Pump? Beispiel: Dort werden völkerung steht. Aber eigentlich wissen wir es nicht. Die Gemeinden Das kann auf heute 96 Prozent der ja auch so: Wir stimmen im Mai über ein lin- im Kanton Waadt muss- längere Sicht einfach Unternehmen normal kes Referendum gegen die Steuerreform ab; ten für 2019 die Budgets besteuert. Und genau für wir haben 55 000, die AHV-feindlichen Jung- kürzen und planen Steu- nicht aufgehen.» sie will der Kanton jetzt bürgerlichen nur lächerliche 5000 Unter- ererhöhungen für die den Steuersatz von 21 schriften eingereicht. Hat das Parlament auch ganz normalen Leute. Das ist doch absurd! auf 13 Prozent senken. Dadurch entfallen 87 nur ein Minimum an Anstand, dann wird es Das ist ja genau die Politik der Millionen Franken an Steuereinnahmen – je- nach einem Scheitern der STAF umgehend aktuellen Regierung Salvini/Di Maio des Jahr. Nur um gegenüber dem Pharmasitz den AHV-Teil der Vorlage beschliessen. Das in Italien. Sozialstaat auf Pump ... Basel konkurrenzfähig zu sein? braucht nicht länger als ein paar Monate Zeit. . . ., was auf Dauer einfach nicht aufgehen Kein Zweifel: Der Steuerwettbewerb ist Du sprichst von diesem Parlament? kann. Auch im Tessin wurde eine Steuerent- schlimm und treibt üble Blüten. Aber jetzt geht You dream, du ... lastung für Unternehmen und Reiche mit es bei STAF ja auch um eine Finanzspritze Die AHV-Finanzspritze wird heute von CVP mehr Geld für Kitas und Kinderzulagen ver- an die AHV. Da gibt es zwei Haltungen. bis FDP über den grünen Klee gelobt. Das ist süsst. Am Schluss stimmten nur 50,1 Prozent Man kann a) sagen: Das ist halt Politik – ein schöner Nebeneffekt unserer Kampagne. dem Deal zu. Opposition gegen solche Päckli ein Geben und ein Nehmen. Und diese Das Parlament steht beim wichtigsten Sozial- ist ungeheuer schwer. Dabei ist die Steuerbe- 2 Milliarden für die AHV, die da auf dem werk der Schweiz klar in der Verantwortung. lastung als solche ja gar nicht das Problem. Tisch sind, lassen wir gewiss nicht liegen. Den Verfassungsauftrag der Existenzsiche- Wenn jetzt beispielsweise Ypsomed, eine Oder man markiert b) die heilige Jungfrau rung erfüllt die AHV schon lang nicht mehr. Medizintechnikfirma in Burgdorf, mit dem von Orléans, besteht auf der reinen Lehre Wenn sie in einer Krise steckt, braucht es Umzug nach Solothurn droht, dann begrün- und geht lieber in den Feuertod, als mal Notmassnahmen. Dazu muss auch eine CVP det sie das nicht damit, dass sie die Berner eine etwas gruusige Kröte zu schlucken. bereit sein. Und wenn die sozialen Kräfte bei Steuern nicht zahlen könnte. Sondern damit, Das hat mit Jeanne d’Arc nun wirklich gar den Wahlen im Herbst zulegen, können wir dass es in Solothurn mit der geplanten Tief- nichts zu tun! Denn endlich wieder in die steuerstrategie einfach billiger wird. Dabei erstens zeigt die Ver- Offensive gehen. Wir ist doch genug Geld vorhanden – genug für knüpfung mit der AHV- «Zwei Geschäfte ohne müssen die Wahlen ge- die Finanzierung eines Sozialstaats, der die- Finanzspritze ja deut- inhaltlichen Zusammenhang winnen, nicht Milliar- sen Namen verdient, für die AHV, für eine lich, dass eine «nackte» zu verknüpfen, den an Steuergeschen- gute Bildung, für Kultur, für öffentliche Inf- Steuerreform wegen der ken verteilen! rastruktur. Allein in diesem Frühling werden Ausfälle bei Bund und halte ich für falsch.» Du hast im Nationalrat in der Schweiz 100 Milliarden Franken an Kantonen chancenlos grundlegende Kritik Dividenden ausgeschüttet. 100 Milliarden! wäre. Und zweitens ist und bleibt der Deal an solchen Multipack-Vorlagen geübt: 40 davon von SMI-Firmen. Von diesem Geld ein Weg in die Sackgasse. Jetzt wird dekoriert «Wenn es wirklich die neue Philosophie fliesst ein grosser Teil ab an Aktionärinnen und verziert und mit Schlagrahm garniert. dieses Parlamentes ist, dass man alles und Aktionäre im Ausland. Statt den Ertrag Aber dass die AHV immer mehr in Schieflage irgendwie miteinander verknüpfen kann, der Arbeit gerechter zu verteilen, verschärft gerät, hat den genau gleichen Grund wie der dann haben wir ein grosses Problem, dann die STAF die Ungleichheit. zunehmende Finanzbedarf der öffentlichen wird unsere Arbeit vollends unplanbar und Es gibt immerhin eine Bundesmilliarde, Hand in den Bereichen Gesundheit und Sozia- chaotisch.» Wo verläuft denn die Grenze die den Kantonen bzw. den Kommunen les – nämlich die demografische Entwicklung. zwischen einem «anständigen» und zur Kompensation der Verluste Wenn die Babyboomer-Generation in Rente einem «unhygienischen» Kompromiss? zur Verfügung gestellt wird. geht, dann belastet das die AHV – und gleich- Zwei Geschäfte zu verknüpfen, die inhaltlich Hier muss man zuerst festhalten, wie un- zeitig brauchen wir mehr Heimplätze, mehr keinen Zusammenhang haben, ist falsch. gleich dieses Geld verteilt wird. Jene Kantone, Spitex, mehr Pflege, mehr Betreuung, mehr Kompromisse geht man innerhalb eines die beim Steuerdumping an vorderster Front EL. Da kann man unmöglich gleichzeitig in Gesetzes ein oder mindestens innerhalb des mitmachen, werden belohnt. Das einwohner- vielen Kantonen und Gemeinden die Steuern gleichen Themas. Die Verheiratung von sach- starke Bern bekommt gerade so viel wie der senken. Genau das ist aber die Folge der STAF. fremden Geschäften ist eine Unsitte, die aus 12 April 2019
Dossier: Nein zur AHV-Steuervorlage STAF In die Sackgasse steuern? Regula Rytz zeigt Wege aus der verhängnisvollen Spirale. der Logik der Macht geboren ist: Wer kann, Weil: Wenn ich dem Volk die Sachen einzeln fast nicht mehr zu stemmen – auch finanzi- darf alles. Eine Demokratie aber braucht ver- gebe, sagt es Ja zu allem Schönen und Nein ell, wenn wir uns dann im Abstimmungs- bindliche Regeln. Schliesslich wird auch von zu den damit verbundenen Zumutungen. Es kampf den Millionen von Economiesuisse ge- Volksinitiativen verlangt, dass sie die Einheit zeigt sich doch, dass so etwas Komplexes wie genübersehen. Nur wenn wir das Parlament der Materie respektieren. die Altersvorsorge in unserem Politsystem im Herbst wieder nach links verschieben, Wer viele Dinge in eine Vorlage verwurstet, fast nicht zu reformieren ist. Auch bei wird es auch unter der Bundeskuppel wie- schafft auch grössere Angriffsflächen und der Umweltpolitik ist man gern bei einer der konstruktivere Arbeit geben, vernünftige die Möglichkeit, dass sich Nein-Stimmen 2000-Watt-Gesellschaft und einer Senkung Kompromisse, die im Volk auch ohne Deals kumulieren. So wie bei der Altersreform 2020. der Erderwärmung dabei, lehnt dann aber mehrheitsfähig sind. Genau. Nicht nur die Willensäusserung der die schmerzhaften Massnahmen ab. Unser VPOD-Mitglied kommt Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wird Ich sehe das vor allem als Ausdruck der ver- zurück zur Anfangsfrage: Wie weiter erschwert. Sondern auch die Interpretation härteten Situation, wie sie hier im Parlament bei einem Nein zu STAF? des Ergebnisses. Klar, es gibt in den meisten seit den letzten Wahlen besteht. Es gelingen Die AHV-Finanzspritze kann rasch eingeführt Vorlagen Dinge, die einem gefallen, und an- keine guten Kompromisse mehr. Es werden werden, denn von den Grünen bis zur FDP deres, das man eher ablehnt. Doch gerade in Vorlagen produziert, unterstützen alle die- der Steuerpolitik war der Auftrag der Bevöl- die überfrachtet sind. se Sofortmassnahme. kerung eindeutig: Eine soziale Gegenfinan- Andere sind haar- und «Nur wenn das Parlament Und dann müssen die zierung muss über diejenigen laufen, die von zahnlos, wenn sie aus im Herbst deutlich nach heutigen Steuerprivile- den Tiefsteuern profitieren. Also über Aktio- dem Parlament kom- links rückt, wird konstruktive gien ersatzlos entsorgt näre und Unternehmen, die ja auch unsere men. Solche gerupften werden. Die Unterneh- Infrastruktur benützen und es schön finden, Hühner überzeugen Politik wieder möglich.» men brauchen Zeit für dass sie trotz der vielen Millionen, die sie be- dann niemanden mehr die Umstellung, und sitzen, am Zürichsee ohne Leibwächter einen – und fallen durch. Wir brauchen also in die- natürlich kann der Bund den Kantonen und Kaffee trinken können. Wir dürfen diese Er- sem Wahlherbst dringend eine Korrektur. Gemeinden auch unter die Arme greifen. rungenschaften doch nicht zu einem Spott- Das sehe ich genau so. Dieses Parlament Aber neue Bundesmittel müssen mit einer preis verkaufen. Sie werden von Bauarbeitern macht uns ja ungeheuer viel Arbeit, auch wenn Untergrenze für den kantonalen Unterneh- und vom Pflegepersonal, von den ganz nor- wir nur die gröbsten Fehlentscheidungen menssteuersatz verbunden sein – 16 oder malen Steuerzahlenden finanziert. per Referendum korrigieren. noch besser 18 Prozent, sonst dreht die Steu- Aber liegt in diesem Trend zur Verknüpfung Und die nächsten Angriffe sind schon in der ersenkungsspirale einfach weiter. Ich bin nicht auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit? Pipeline. Nach jeder Session eines oder zwei zuversichtlich, dass ein neues Parlament mit Sogar eine Krise der direkten Demokratie? Referenden? Das ist für unsere Bewegungen anderen Mehrheiten diese Kurve kriegt. April 2019 13
Dossier: Nein zur AHV-Steuervorlage STAF Ein Nein zu STAF macht den Weg frei für eine gerechtere Vorlage Aufgewärmter Steuerbschiss Steuergeschenke an internationale Grosskonzerne – beziehungsweise deren Aktionärinnen und Aktionäre im Ausland – sind unverantwortlich, ob als Unternehmenssteuerreform III oder als STAF. Jemand muss ja den Service public finanzieren. | Text: Katharina Prelicz-Huber, VPOD-Präsidentin (Foto: Mischa Scherrer [Porträt] und margouillatphotos/iStock) Die Schweiz und viele ihrer Städte wie etwa Service public die Steuern für Reiche und Zürich sind im weltweiten Ranking top und Grossunternehmen gesenkt werden. Der damit ideale Orte für internationale Unter- internationale Druck zwingt den Bund zu nehmen, weil wir (noch) einen hochstehen- Recht, Steuerprivilegien für global tätige Fir- den Service public anbieten können. Die men mit Sitz in der Schweiz abzuschaffen. Steuerbelastung ist längst nicht der wichtigs- Dann müssten höhere Steuern fliessen, was te Standortfaktor; viel zentraler sind qualita- im EU-Vergleich gerechtfertigt wäre. Nicht so tiv gute Bildung, Forschung, Gesundheits- bei STAF: Zwar werden die Privilegien auf wesen, eine funktionierende Verwaltung, der Bundesebene abgeschafft, was zu einer Rechtssicherheit, öffentlicher Verkehr, Kin- Erhöhung der Unternehmensbesteuerung derkrippen, Kulturangebote. Solche Dinge führt. Aber damit die privilegiert Besteuerten überzeugen Firmen wie Google, ihren Sitz in doch nicht mehr zahlen müssen, schafft man die Hochpreis- und Hochsteuer-Stadt Zürich ihnen neue Steuerschlupflöcher und fordert zu verlegen. Diese Wettbewerbsfähigkeit ist die Kantone auf, die Gewinnsteuern für alle einzigartig und bildet die Grundlage für un- Unternehmen drastisch zu kürzen – auch für ser hohes Wohlstandsniveau. Die STAF greift die heute ordentlich besteuerten. dieses Erfolgsmodell an. Es wird argumentiert, sonst drohe ein Aus- zug der internationalen Konzerne. Aber wo- Privilegien müssen ganz weg hin sollen die Unternehmen denn ziehen? Katharina Prelicz-Huber. Was das Parlament mit STAF in rekordver- Welches Land bietet eine so hohe Lebensqua- dächtiger Schnelle produziert hat, ist unge- lität und Infrastruktur zu so tiefen Steuern? heuerlich. Die Vorlage foutiert sich um die Trotzdem haben die Kantonsregierungen Kantonen und die internationale Steuerflucht Gründe, die zum Nein zur Unternehmens- sich sofort an die Arbeit gemacht, obwohl auf Kosten der Entwicklungsländer werden steuerreform III (USR III) geführt haben: nur wenige Kantone von Statusgesellschaften somit geradezu angeheizt. Die Schweiz ge- Das Volk wollte nicht, dass auf Kosten des profitieren. Der Steuerwettbewerb unter den hört schon heute international zu den Län- dern mit den tiefsten Unternehmensgewinn- steuern. Nach der Annahme von STAF wäre sie weltweit die Nummer 1. Und sie käme An der Nase herumgeführt in 3 Akten bald erneut auf die schwarze Liste im Rah- Die Praxis, internationale Firmen mit Steuerrabat- keit, mittels Ausschüttung von Kapitalreserven men der internationalen Bemühungen gegen ten anzulocken, begann in den Kantonen. 1998, anstatt Dividenden die Steuerpflicht zu umgehen. Steuervermeidung der Grosskonzerne. mit der USR I, stieg auch der Bund in dieses «Ge- Allein diese Umetikettierung führt zu Ausfällen schäftsmodell» ein: Speziell die Abschaffung der von 0,9 bis 1,2 Milliarden Franken pro Jahr. Pro- Wer soll das bezahlen? Kapitalsteuer auf Bundesebene sollte die Schweiz phezeit waren bei dieser Position «ungefähr 56 Das Resultat von STAF ist ein massiver Steu- als Steuerdomizil für Grosskonzerne attraktiv ma- Millionen Franken». Merci, Merz! erausfall. In jedem Kanton muss nun das chen. Bei der USR III war der Widerstand erstmals er- Referendum gegen die fatalen Gewinnsteuer- Als grösster Bschiss der jüngeren Schweizer Ge- folgreich. Perfid war 2017 in erster Linie, dass Senkungen ergriffen werden mit sehr unter- schichte ist die von Bundesrat Rudolf Merz ver- der Druck zur Abschaffung verpönter Steuerpri- schiedlichen Erfolgsaussichten. Und sind die antwortete USR II in die Annalen eingegangen. vilegien als Vorwand für eine noch allgemeinere Steuern einmal gesenkt, wird das Lobbying 2008 stimmten gerade einmal 50,5 Prozent die- Tiefsteuerpolitik missbraucht worden war. Patent- gegen eine spätere Erhöhung riesig sein. Das ser Reform zu. Es hätte keine Mehrheit gegeben box, zinsbereinigte Gewinnsteuer, Überabzug auf alles ohne Not – die Reichen darben nicht: ohne dreistes Verschweigen zentraler Elemente Forschung und Entwicklung? Die grossen Kantone Allein die 300 Reichsten in der Schweiz ha- und gigantische Fehlprognosen durch den Bund. rechneten mit Ausfällen im mittleren dreistelligen ben in einer Zeit der Negativzinsen seit der Auch das Bundesgericht stellte später fest, dass Millionenbereich. Mit 59,1 Prozent war die Ableh- USR-III-Abstimmung (Februar 2017) bis das Stimmvolk nicht informiert entscheiden nung wuchtig – gegen alle bürgerlichen Parteien Ende des vergangenen Jahres 62 Milliarden konnte. Die Tücke lag vor allem in der Möglich- und die Wirtschaftsverbände. | slt Franken mit Nichtstun dazugewonnen und 14 April 2019
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