Aus der arbeIt der Kammer - Psychotherapeutenkammer des Saarlandes
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der Psychother apeutenk ammer des Sa arl andes November 2017 67 Aus der arbeit der Kammer Podiumsdiskussion vor der Bundestagswahl________________________________________________ 3 Fachtagung „Trauma und Identität“_________________________________________________________ 5 Expertenhearing Prävention________________________________________________________________ 9 Soldatinnen und Soldaten in der psychotherapeutischen Praxis______________________________ 11 Interview „Die Männer belügen nicht die anderen, sondern sich selbst“______________________ 13 Broschüre Schülerinnen und Schüler mit Fluchterfahrung ___________________________________ 14 Interview Telefonseelsorge „Wir sind kein Callcenter“________________________________________ 15 Frauen in die Berufspolitik ________________________________________________________________ 18 Mitteilungen der Kammer Weiterbildung in Systemischer Therapie und Gesprächspsychotherapie_______________________ 21 Preisanpassung für Beilagen im Forum____________________________________________________ 22 An- und Abmeldungen zu Veranstaltungen der PKS_________________________________________ 23 Aktuelle Broschüren zur Befugniserweiterung der Psychotherapierichtlinien__________________ 23 Veranstaltungsankündigung: Soziotherapie_________________________________________________ 24 Informationen Für Mitglieder Telematik________________________________________________________________________________ 24 Psychotherapiehonorare – Enttäuschendes Urteil des Bundessozialgerichts___________________ 25 Möglichkeiten und Grenzen der Verbesserung der (ambulanten) neuropsychologischen Versorgung_________________________________________________________ 26 „Drachenlord“ und „Drachengame“_______________________________________________________ 31 Was ist mit den „neuen Befugnissen“?_____________________________________________________ 34 Terminservicestelle TSS___________________________________________________________________ 35 Mitglieder Wir gratulieren unseren Mitgliedern_______________________________________________________ 36 Kleinanzeigen____________________________________________________________________________ 37 Rechtliches Fortbildung zur Berufsordnung____________________________________________________________ 37 Pia 12. PiA-Politik-Treffen und 17. Bundeskonferenz PiA in Berlin_________________________________ 38 Bptk Demografiefaktor ohne Überprüfung unbefristet weiter gültig_______________________________ 39 Kinderschutzhotline von Fachleuten für Fachleute: 0800 19 210 00____________________________ 40 Veranstaltungskalender________________________________________________________________________ 41
2 Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 Editorial Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Drucklegung der 67. Ausgabe Wir berichten über die Einladung der Rubrik „Fachthemen“ zusammenge- des FORUM war noch nicht klar, ob Kammer zum Expertenhearing zum führt in eine neue Rubrik „Information die Koalitionäre es schaffen, eine Re- Thema Prävention, in welchem mit für Mitglieder“. Dort finden Sie nun gierungsbildung hinzubekommen. saarländischen Akteurinnen und Ak- Beiträge, die in der Regel für mehrere Ebenso wenig war es abzusehen, teuren aus unterschiedlichen Institu- Mitgliedergruppen von Interesse sind: wenn es denn dazu käme, ob die tionen diskutiert wurde, wie sich die So sind etwa die Beiträge zu den neu- Parteien in ihrem Koalitionspapier Situation nach Abschluss der Landes- en Befugnissen oder zur Terminser- die Reform des Psychotherapeuten- rahmenvereinbarung Prävention im vicestelle für niedergelassene und an- gesetzes wieder aufnehmen. Bis zu- Februar diesen Jahres im Saarland gestellte PP und KJP von Bedeutung. letzt haben die Landeskammern und darstellt und welchen konkreten Bei- Auch der Artikel zur neuropsychologi- die BPtK darum gerungen, dies zu er- trag unsere Profession hier leisten schen Versorgung betrifft Mitglieder, reichen. Wir haben Landes- und Bun- kann. In einem ersten Zwischenbe- die selbstständig und nichtselbstän- despolitiker mehrfach kontaktiert, richt informiert sie Vizepräsidentin dig tätig sind, ob als KJP oder PP. Gespräche und Diskussionen geführt Inge Neiser als Frauenbeauftragte im und damit alles in der Macht der Pro- Vorstand über den Stand der strate- Ich wünsche Ihnen in dieser letzten fession stehende getan, die Notwen- gischen Überlegungen der Bund-Län- Ausgabe des FORUM 2017 angeneh- digkeit zur „Reform jetzt“ deutlich zu der-Arbeitsgemeinschaft “Frauen in me Festtage, einen guten Jahres- machen. Gleichwohl werden wir ab- der Berufspolitik“, wie eine Erhöhung wechsel und ein gesundes und er- warten müssen, ob sich unsere Be- des Frauenanteils in den Gremien der folgreiches Jahr 2018 für Sie alle und mühungen gelohnt haben. Kammern erreicht werden könnte. unseren ganzen Berufsstand. Der Kammervorstand hatte bereits im Zwei Interviews zu sehr unterschied- August eine Podiumsdiskussion mit lichen Themen haben wir aufge- den saarländischen Spitzenkandida- nommen: Einmal das Interview von tinnen und -kandidaten der Parteien Susanne Münnich-Hessel mit Herrn zur Bundestagswahl 2017 veranstal- Markus Müller, Leiter der Selbsthilfe- tet. Unter dem Titel „Wie gelingt eine gruppe „Schwule Väter und Ehemän- Ihr bessere Versorgung psychisch kran- ner im Saarland“, welches unter der Bernhard Morsch ker Menschen und eine angemesse- Überschrift steht „Die Männer belü- Präsident ne Gestaltung des psychotherapeu- gen nicht die anderen, sondern sich tischen Berufes“ wurden neben den selbst“. Zum anderen das Interview wichtigen Versorgungsfragen und den mit Kammermitglied Heidrun Moh- Fragen einer angemessenen Hono- ren-Dörrenbächer, langjährige Mit- rierung psychotherapeutischer Leis- arbeiterin bei der TelefonSeelsorge im tungen auch die Reform der Psycho- Saarland, welches Vorstandsmitglied therapeuten Aus- und Weiterbildung Irmgard Jochum geführt hat. diskutiert. Lesen Sie dazu den Bericht gleich am Anfang des FORUM. Das Thema Cybermobbing erfasst im- mer mehr Kinder und Jugendliche. Es folgen Tagungsberichte zu Koope- Lesen Sie im Beitrag „Drachenlord rationsveranstaltungen: Die Fortbil- und Drachengame“ über den Tatort dung mit der Kinder- und Jugendpsy- Internet und die Zunahme und den chiatrie der Saarlandheilstätten GmbH Umgang mit Cybermobbingopfern in (SHG) zu Trauma und Identität sowie der psychotherapeutischen Sprech- die gemeinsame Fortbildung der PKS stunde. mit den Landespsychotherapeuten- kammern Nordrhein-Westfalen und Zuletzt noch ein Hinweis des Redak- Rheinland-Pfalz mit der Bundeswehr tionsteams: Da viele Themen Ange- in Köln zum Thema der speziellen An- stellte, Niedergelassene, PP und KJP forderungen bei der psychotherapeu- gemeinsam betreffen, haben wir die tischen Behandlung von Soldatinnen ursprünglich unter diesen Bezeich- und Soldaten. nungen getrennten Rubriken und die
Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 3 Aus der arbeit der Kammer Podiumsdiskussion vor der Bundestagswahl Unter dem Motto „Themen zur Bun- destagswahl 2017“ hatte die Psycho- therapeutenkammer des Saarlandes am Mittwoch dem 30.08.2017 die saarländischen Spitzenkandidatin- nen und -kandidaten der Parteien zur Bundestagswahl 2017 ins „kino- achteinhalb“ im Nauwieserviertel zu einer Podiumsdiskussion eingela- den. Nadine Schön (CDU), Esra Lim- bacher (SPD), Thomas Lutze (DIE LIN- KE), Kirsten Cortez (FDP) und Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diskutierten mit den zahlreichen Gästen, wie eine bessere Versor- gung psychisch kranker Menschen in (v.l.n.r.) Irmgard Jochum, Bernhard Morsch, Kirsten Cortez, Esra Limbacher, Nadine Schön, Thomas Lutze, Deutschland gelingen kann, und wie Markus Tressel dabei die berufliche Situation der Psychotherapeutinnen und Psycho- peuten entsprechend ihres Kompe- Politik für psychisch kranke Men- therapeuten und deren Einbindung tenzprofils als eigenständige Heil- schen – Positionspapier der PKS in die Versorgung angemessen ge- berufe Behandlungsverantwortung staltet werden kann. und selbstverständlich auch Lei- Die geladenen Spitzenkandidatinnen tungsfunktionen besetzen können. und -kandidaten der Parteien hatten Bereits in seiner Begrüßung mach- Wertschätzung drücke sich auch in mit der Einladung das Papier der te Bernhard Morsch deutlich, dass der Höhe der Vergütung bzw. Hono- Psychotherapeutenkammer „Poli- die gesundheitliche Versorgung rierung der Behandlungsleistungen tik für psychisch kranke Menschen von Menschen, die psychisch er- aus, beides sei dringend reform- 2017– 2021“ erhalten. In dem Grund- krankt sind, in Deutschland weiterhin bedürftig: So würden angestellte satzpapier macht die Kammer ins- schlechter ist, als die Versorgung so- Psychotherapeutinnen und -thera- besondere Vorschläge für die kom- matischer Erkrankungen. Besonders peuten trotz ihrer hohen fachlichen mende Wahlperiode des Deutschen prekär sei die Versorgungslage für Qualifikation (Facharztstandard) im Bundestages im Hinblick auf die spezielle Patientengruppen wie z.B. Vergleich zu anderen akademischen Weiterentwicklung der ambulanten psychisch erkrankte Menschen mit Heilberufen tariflich benachteiligt. und stationären Behandlung, der geistiger Behinderung oder für er- Ihre Vergütung liege sogar unter der Prävention und Gesundheitsförde- krankte Flüchtlinge. Die noch immer eines Assistenzarztes, der im Kran- rung sowie der Rehabilitation und unbefriedigende Versorgungslage kenhaus erst seine fachärztliche Wei- Inklusion. Das Positionspapier zeigt drücke sich sowohl in gesellschaft- terbildung beginnt. Auch niederge- auf der anderen Seite auf, dass ein lich fortbestehender Stigmatisierung lassene Psychotherapeutinnen und gewachsenes Aufgaben- und Anfor- psychischer Krankheit und der un- -therapeuten (ärztliche gleicherma- derungsprofil an Psychotherapeu- zureichenden Behandlungsangebo- ßen wie PP und KJP) erzielten nicht tinnen und -therapeuten von einer te, als auch in der eingeschränkten einmal die Hälfte des durchschnittli- reformierten Aus- und Weiterbildung Wertschätzung des psychotherapeu- chen Fachgruppeneinkommens der flankiert werden und die Reform des tischen Berufs aus. somatisch tätigen KollegInnen. Psychotherapeutengesetzes in der kommenden Legislatur abgeschlos- Gerade in der stationären psycho- sen werden muss. Das gesamte therapeutischen Versorgung beste- Papier steht für Sie auf unserer Web- he erheblicher Nachholbedarf, dass site zum Download bereit. Psychotherapeutinnen und -thera-
4 Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 Grundsatzfragen zur Versorgung überlassen dürfe. Damit begründe- te er auch die Forderung von Bünd- Mit der Einladung zur Podiumsdis- nis90/Die Grünen, nach der Einrich- kussion hatten die Politikerinnen und tung einer Expertenkommission zur Politiker auch einige Fragen erhalten, Bedarfsplanung. zu denen Statements abgegeben werden konnten: Auch Nadine Schön von der CDU sah – Wie sehen Sie die Versorgungs- im Saarland keine Überversorgung situation für psychisch Kranke im nach der heutigen Bedarfsplanung, Saarland und in Deutschland? im Gegenteil fülle die Kostenerstat- – Wie schätzen Sie den Stand der tung hier eine bestehende Unter- psychotherapeutischen Versor- versorgungs-Lücke. Sie nehme je- gung der vielen nach Deutschland doch den G-BA eher als Treiber und vor Gewalt und Folter Geflüchteten Innovator wahr, der seine Aufgaben Statements, dass eine Entscheidung ein? durchaus erfüllen könne. privat versus staatlich keine gute Lö- – Wie bewerten Sie die Rolle der sung sei, es müsse gute Vorgaben beiden Heilberufe Psychologische Kirsten Cortez von den Freien Demo- seitens des Staates geben, dann sei Psychotherapeutinnen und -thera- kraten, studierte Sozialwissenschaft- eine Zusammenarbeit mit privaten peuten und Kinder- und Jugend- lerin und Ernährungspsychologin, Trägern durchaus sinnvoll. Auf der lichenpsychotherapeutinnen und die seit vielen Jahren im Saarland anderen Seite des Spektrums stan- -therapeuten fast 20 Jahre nach als selbständiger Ernährungscoach den Aussagen, dass die Politik natür- Verabschiedung des Psychothera- tätig ist, hatte von den Podiums- lich gegensteuern und der sog. „Ge- peutengesetzes? teilnehmerinnen und -teilnehmern sundheitswirtschaft“ grenzen setzen – Wie bewerten Sie die gesellschaft- noch den engsten beruflichen Be- müsse. liche Entwicklung im Hinblick auf zug zum Thema Gesundheit. Sie die Akzeptanz psychischer Erkran- wünschte sich eine Veränderung Aus dem Publikum wurde die Diskri- kungen? in der Versorgungssituation und in minierung von Menschen mit psychi- Da keine der Spitzenkandidatinnen der Ausbildung. Sie wolle sich ak- schen Erkrankungen im Bereich der und -kandidaten sich als ausgewie- tiv dafür einsetzen, dass die Reform Privaten Versicherungen heftig kriti- sene Gesundheitsexpertinnen und in der nächsten Legislaturperiode siert: Es sei nicht hinnehmbar, dass -experten outeten, stand die Diskus- schnellstmöglich angepackt werde, psychische Erkrankungen weiterhin sion eher im Zeichen „Wir Politiker das gelte auch für die Problematik bei den meisten Versicherern Aus- informieren uns bei Euch Experten“. bei der psychotherapeutischen Be- schlussgründe für den Abschluss von Über alle Parteien hinweg schlossen handlung von Flüchtlingen, die sie z.B. Berufsunfähigkeitsversicherun- sich die Teilnehmerinnen und Teil- insbesondere wegen der fehlenden gen seien; auch hier müsse die Politik nehmer des Podiums der Einschät- Sprachmittlung als völlig unzurei- endlich etwas tun, das Problem sei zung an, dass die Versorgung unzu- chend bezeichnete. seit Jahren benannt und bekannt. reichend sei. Auch die Forderung der Kammer, nach einer wirklich bedarfs- Weiteres Diskussionsthema war das gerechten Planung der Anzahl der Diskussionsverlauf Bundesteilhabegesetz, dessen Um- Behandlungsplätze wurde geteilt. setzung in der Praxis sehr problema- Thomas Lutze, Die Linke, ließ keinen Von Gästen der Veranstaltung wur- tisch gesehen wurde. Zweifel daran aufkommen, dass es de unter anderem das Thema Öko- eine gesellschaftliche Grundsatzent- nomisierung im Gesundheitswesen Ein Vertreter der Psychiatrie-Erfah- scheidung sei: Das Problem lasse problematisiert: Es wurde die Frage renen bemängelte, dass die gute sich nicht mit Kennziffern lösen, es gestellt, weshalb die Politik die Ver- Reform der Psychiatrie im Saarland gehe nichts daran vorbei, hier mehr antwortung an den Markt abgebe: beim Thema Inklusion von psychisch Geld in die Hand zu nehmen. Sie lasse es zu, dass Großkonzerne, Kranken in den Arbeitsmarkt geschei- denen es weniger um eine qualitativ tert sei: Psychisch Kranke würden Markus Tressel, Bündnis90/Die Grü- gute Versorgung als mehr um quanti- zunehmend, statt sie auf dem ersten nen, kritisierte, dass Bedarfsplanung tative hohe Gewinn gehe, in erhebli- Arbeitsmarkt an vernünftige Arbeits- über Kosten geregelt werde und chem Umfang vor allem die Gesund- plätze zu vermitteln, in Behinder- nicht über den tatsächlichen Bedarf. heitsversorgung in der Akut- und tenwerkstätten untergebracht. Hier Er forderte, dass die Politik das Heft Reha-Behandlung übernehmen. Eine müsse man doch mehr Anreize für selbst in die Hand nehmen müsse klare Antwort gab es zu dieser Frage Betriebe schaffen, psychisch Kranke und nicht allein dem Gemeinsamen seitens des Podiums nicht, eher all- zu integrieren und sowohl Attraktivi- Bundesausschuss (G-BA) die Ver- gemeine Aussagen, die sich in der tät als auch eine auskömmliche Fi- antwortung für die Bedarfsplanung Spannbreite bewegten zwischen nanzierung sicherstellen, statt neue
Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 5 Ghettos zu schaffen. Seitens einiger auf die veränderten Herausforderun- Grünen, vom Juni 2017, in der 3.500 Podiumsteilnehmerinnen und -teil- gen in Form einer neu gestalteten PiA befragt wurden, hat diese Not- nehmer wurde diese Sicht sehr unter- Aus- und Weiterbildung vorbereitet situation der PiA erneut eindrücklich stützt: Inklusion gehe nicht über Inte- werden. Es sei nicht weiter hinnehm- bestätigt. In einem Positionspapier gration in Behindertenwerkstätten. bar, dass Psychologische Psychothe- werden Forderungen an die Bundes- rapeutinnen und -therapeuten und regierung gemacht, die Ausbildungs- Kinder- und Jugendlichenpsychothe- reform nicht weiter zu verschleppen Ausblick zum Ende der Diskus- rapeutinnen und -therapeuten anders und die Missstände und gleichzeitige sion als z.B. Ärzte, ihre Aus- und Weiter- Ungleichbehandlung zur Aus- und Alle anwesenden Politikerinnen und bildung komplett selbst finanzieren Weiterbildung in anderen Heilberu- Politiker bekräftigten die Notwendig- müssten und insbesondere im Rah- fen endlich zu beseitigen. Die Unter- keit der Reform der Aus- und Weiter- men der achtzehn Monate dauernden suchungsergebnisse und das Posi- bildung von Psychotherapeutinnen praktischen Tätigkeit in der Klinik mit tionspapier sind auf unserer Website und -therapeuten und sicherten ihre einer durchschnittlichen Vergütung unter Aktuelles eingestellt (http:// Unterstützung der Reform zu, die in von fünfhundert Euro im Monat in fi- www.bptk.de/aktuell/einzelseite/arti- der auslaufenden Legislatur noch nanzielle Notlagen gerieten. kel/befragung-be.html) nicht umgesetzt wurde. In Anbetracht der Versorgungslücken müsse der Die jüngste Umfrage der Abgeordne- Der Vorstand psychotherapeutische Nachwuchs ten Klein-Schmeink, Bündnis90/Die Trauma und Identität – Suizidalität, Amok und Social Exclusion – Dazugehören als Basisbedürfnis Eine gemeinsame Fachtagung der PKS und der SHG-Kliniken Die PKS und die Kliniken für Kin- der- und Jugendpsychiatrie, Psy- chotherapie und Psychosomatik der Saarland-Heilstätten GmbH (SHG) luden gemeinsam zu der Fachtagung „Trauma und Identität“ ins Saarbrü- cker Schloss ein. Rund 250 Mitarbei- terInnen vorwiegend aus ärztlichen, psychologischen oder sozialpäda- gogischen Berufsgruppen waren aus dem Saarland und umliegen- den Bundesländern der Einladung zu dieser Tagung am 04.10.2017 mit den Themen „Suizidalität, Amok und Social Exclusion – Dazugehören als Basisbedürfnis“ gefolgt. Anlass für die Tagung ist die zuneh- v.l.n.r.: Dr. Martin Huppert, Andrea Dixius, Alfons Vogtel, Eva Möhler, Bernhard Morsch, Susanne Münnich- mend brisante emotionale Situation Hessel, Klaus Schmeck, Susanne Schlüter-Müller, Alexander Jatzko (Foto: Harald Kiefer, SHG) vieler Jugendlicher mit und ohne Mi- grationshintergrund. Dabei lag der emotionalen Belastungen ausge- Schmeck, Dr. med. Alexander Jatzko, Fokus auf dem Einfluss von Identität setzt sind. Namhafte ReferentInnen Dr. med. Susanne Schlüter-Müller und und Trauma auf extreme Verhaltens- aus Deutschland und der Schweiz Dr. med. Friederike Vogel stellten ihre weisen bei Jugendlichen, die großen wie Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Klaus Untersuchungen und klinischen An-
6 Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 sätze hinsichtlich Identität undTrauma Den spannenden Einführungsvor- vor und wurden ergänzt durch praxis- trag zu Wirkungsweisen von Trauma- nahe Anwendungsbeispiele von Prof. ta auf die Entwicklung des Gehirns Dr. med. Eva Möhler aus der Arbeit hielt Dr. Alexander Jatzko, Chefarzt mit unbegleiteten minderjährigen der Klinik für Psychosomatik am Flüchtlingen (UMF). In deren Rahmen Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern. wurde das mittlerweile europaweit Einleitend schilderte er mit anschau- im Einsatz befindliche Programm lichen Beispielen wie die mensch- „Stress-Traumsymptoms-Arousal- liche Wahrnehmung und das Erin- Regulation-Treatment“ (START) von nerungsvermögen funktioniert. Er Dipl. Psych. Andrea Dixius entwickelt, erläuterte welche hirnphysiologi- worauf diese Tagung ebenfalls ein schen Auswirkungen eine Trauma- Schlaglicht warf. Moderiert wurde die tisierung hat, insbesondere welche Veranstaltung von Vorstandsmitglied Netzwerkstörungen im Gehirn durch Prof. Dr. Klaus Schmeck Dipl. Psych. Susanne Münnich-Hes- traumatische Erlebnisse ausgelöst sel, die gemeinsam mit Prof. Dr. Eva werden. Besonders Traumatisierun- Ordinarius für Kinder- und Jugend- Möhler und Dipl. Psych. Andrea Dixi- gen in der frühen Kindheit behindern psychiatrie an den Universitären Psy- us (beide SHG) die Tagung vorbereitet das Wachstum des sogenannten Hip- chiatrischen Kliniken (UPK) zu Basel. hatte. pocampus, einem Teil des Gehirns, Seine Arbeitsschwerpunkte liegen dem bei der Einspeicherung neuer im Bereich Persönlichkeitsentwick- Gedächtnisinhalte eine besondere lung. Er schilderte den Teilnehme- Bedeutung zukommt. Außerdem rInnen anschaulich die Entwicklung zeigte er anhand von Bildern Hirn- der Identität neben der Autonomie- volumenveränderungen bei Kindern entwicklung als die zentrale Aufgabe mit Traumatisierungen sowie mit der Adoleszenz. Die therapeutische funktionellen Störungen oder mit Arbeit müsse der Tatsache gerecht multiplen Persönlichkeiten. Begleitet werden, dass sich in den vergange- wurden die interessanten Ausfüh- nen Jahren die Zahl der jugendlichen rungen zur Hirnpyhsiologie durch Migranten aus kollektiven Gesell- zahlreiche Beispiele aus seiner prak- schaftsformen, die andere Identitäts- tischen Arbeit mit traumatisierten formen und -normen mitbringen, Menschen. So wurde deutlich, was vergrößert hat. Diese Jugendlichen Traumatherapie hirnphysiologisch zeigten insbesondere im Bereich des Alfons Vogtel bedeutet. Dr. Jatzko vermittelte den Kontinuitätsaspekts Auffälligkeiten Alfons Vogtel, Geschäftsführer der Tagungsteilnehmern eindrücklich in Form einer angstvollen Antizipa- SHG-Kliniken, und Kammerpräsi- die Wirkungsweise von traumathe- tion der Zukunft (self across time). dent Dipl. Psych. Bernhard Morsch rapeutischen Verfahren wie EMDR Die therapeutische Arbeit speziell mit begrüßten die TeilnehmerInnen. Bei- und der kognitiven Traumakonfron- den Flüchtlingen/Migranten aus die- de brachten in ihren Grußworten die tationstherapie. sen kollektiven Kulturen (wie z.B. Af- Freude über die gelungene Koopera- ghanistan, Afrika) müsse seiner Auf- tion zum Ausdruck und wünschten fassung nach auf die Schwierigkeit eine interessante Fachtagung. der Betroffenen abzielen, eine eth- nische Identität in einer Gesellschaft zu entwickeln, die unterschiedlich zu ihrer Herkunftskultur ist. Für die be- handelnden PsychotherapeutInnen sind kultursensible Hilfen und kul- turelles Verständnis entscheidend, um insbesondere mit der Gefahr von Falschdiagnosen, Schwierigkeiten des Perspektivenwechsels und spe- zieller Gegenübertragung angemes- sen umgehen zu können. Dr. Alexander Jatzko (Foto: Harald Kiefer, SHG) Danach folgte der Vortrag “Identi- Prof. Dr. Eva Möhler, Chefärztin der tätsentwicklung bei minderjährigen Klinik für Kinder- und Jugendpsych- Flüchtlingen“‘ durch Prof. Dr. Klaus iatrie, Psychotherapie und Psycho- Dipl. Psych. Bernhard Morsch Schmeck, Arzt und Psychologe und somatik der SHG Idar-Oberstein und
Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 7 Modellprojekt der SHG ein, welches der SHG Kliniken Idar-Oberstein, gemeinsam mit der Landesregie- Kleinblittersdorf und Schönbach die rung umgesetzt als deutschlandweit besondere Situation psychisch stark einmaliges Projekt bewertet werden belasteter Kinder und Jugendlicher könne. In diesem Clearing-Modell, und besonders auch Jugendlicher das mittlerweile europaweites Inter- mit Migrationshintergrund dar, mit esse gefunden habe, gehe man nicht den Erfordernissen von adaptierten nur auf die äußeren Bedürfnisse wie und neuen Wegen in der psychothe- Kleidung, Nahrung usw. sondern rapeutischen Versorgung. Dabei be- auch auf die inneren Bedürfnisse schrieb sie den Teilnehmerinnen das dieser vulnerablen Jugendlichen wie Kurzzeitbehandlungskonzept START Schutz, Akzeptanz und Gemeinschaft (Stress-Traumsymptoms-Arousal- ein. Regulation-Treatment), welches von Prof. Dr. Eva Möhler ihr in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Möhler auf dem Hintergrund der Kleinblittersdorf, schloss in ihrem Mit Ihrem Vortrag schloss der Vor- praktischen Arbeit mit minderjähri- Vortrag “Partizipative Erstaufnahme- mittag. Das leibliche Wohl kam bei gen Flüchtlingen und akut belasteten kontexte zum Schutz der Identität“ der Fachtagung in der Mittagspause Jugendlichen in klinischen und Clea- an die Ausführungen Prof. Schmecks nicht zu kurz. ringkontexten entwickelt wurde. In an und brachte den TeilnehmerInnen diesem Programm werden Interven- die Situation der geflüchteten Ju- tionen aus der Dialektisch-Behavio- gendlichen in den Aufnahmeeinrich- ralen Therapie und Traumatherapie tungen nahe. kombiniert und adaptiert. Die Identität eines jungen Menschen könne durch Fluchtkontexte ent- START ziele primär auf die rasche scheidend beeinflusst werden. Als psychische Stabilisierung durch unbegleiteter minderjähriger Flücht- Stress- und Emotionsregulation. ling fehle die Geborgenheit des Ge- Aber auch die Stärkung von Resi- wohnten. Ein Entwurzelungsgefühl lienzfaktoren, Selbstwirksamkeit ebenso wie die Ungewissheit des und die Prävention spielen in der Schicksals und Ohnmachtsempfin- kulturintegrativen Intervention eine den durch wenig Partizipation könne zentrale Rolle, auch im Hinblick auf unter Umständen ungünstigen Ein- die Identitätsentwicklung in der fluss auf das Selbstkonzept nehmen Adoleszenz. Dabei stellte sie thera- wenn der Jugendliche sich als je- peutische Interventionen und erste mand erlebe, der nirgendwo hinge- Studienergebnisse vor. START wird hört, sich auf nichts verlassen kann auf nationalen und internationalen und auch eventuell nichts zu verlie- Kongressen vorgestellt und erhielt ren hat. Radikalisierung oder andere auf dem Netzwerktreffen des Dach- Formen der Selbstschädigung könn- verbandes DBT e.V. 2017 den Innova- ten die Folge sein. Deshalb beton- tionspreis. Nähere Informationen zu te Prof. Dr. Möhler, dass es bei der START www.startyourway.de Ankunft unbegleiteter minderjähri- ger Flüchtlinge in Deutschland von großer Bedeutung sei, bereits in den ersten Clearing-Prozessen präventiv die kindlichen Basisbedürfnisse ins- besondere nach Zugehörigkeit, Par- tizipation, Sicherheit und Bildung zu fokussieren. Zur Sicherheit gehörten nicht nur äußere sondern auch inne- re Sicherheit, die nach traumatischen Erfahrungen massiv gestört sein könne. Dies könne sich in emotiona- ler Labilität, Alpträumen und ande- Der Nachmittag der Tagung stand ren PTSD-Symptomen manifestie- unter dem Zeichen der Hilfsange- ren, die einer raschen Stabilisierung bote. Zunächst stellte Dipl. Psych. bedürften. Danach ging sie auf das Andrea Dixius, leitende Psychologin Dipl. Psych. Andrea Dixius
8 Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 Dr. Friederike Vogel Dr. Friederike Vogel, Fachärztin für Zusammenarbeit mit qualifizierter den Vorträgen ihre individuellen Fra- Psychiatrie und Psychotherapie, vertrauensvoller Sprach- und Kultur- gen und Anliegen vorzubringen. Das Oberärztin an den Psychiatrischen mittlung unabdingbar. Interesse an der Tagung war sehr Kliniken Eltville und niedergelassen groß und zeigt, wie groß der Bedarf als ärztliche Psychotherapeutin in In sehr umfangreichem Maße wür- an spezifischen und kultursensiblen Privatpraxis, stellte aus ihrer Arbeit den in ihrer Einrichtung unbegleitete Hilfen ist. Die Bewältigung einfacher mit aggressiven Jugendlichen sche- minderjährige Flüchtlinge betreut. Identitätskrisen gehört in der Adoles- matherapeutische Behandlungs- Darüber hinaus supervidiere sie re- zenz zwar zu den normalen Entwick- möglichkeiten vor. Als zertifizierte gelmäßig alle Jugendhilfeeinrichtun- lungsaufgaben. Labilisierende und Schematherapeutin der Internationa- gen in Frankfurt, die UMF betreuen, einschneidende Lebenserfahrungen len Schematherapie Gesellschaft und um die pädagogische Arbeit mit kul- wie Beziehungsabbrüche, Migra- Co-Leiterin des Instituts für Psycho- tursensiblem Wissen und transkultu- tionserfahrungen, Entwurzelung, therapie im Mainz (ipsti-mainz) gab rellen psychiatrischen Aspekten zu Vernachlässigung im Kindesalter, sie zunächst eine Einführung in die unterstützen. Diese kultursensiblen Misshandlung und andere Traumata Schematherapie und das sogenann- Hilfen, die seit 2001 von der WHO können aber zur Identitätsdiffusion te Modusmodell. Aufgrund von Lern- gefordert, nur sehr schleppend um- führen. Identitätsdiffusion gilt als und Interaktionserfahrungen bilde- gesetzt würden, erforderten eine Prädiktor für gravierende Störungen ten sich entsprechende Schemata, die vertiefte Auseinandersetzung mit in der Persönlichkeitsentwicklung, in verschiedenen Modi zusammen- fremdem Krankheitserleben und die mit dysfunktionalen bis hin zu ex- gefasst würden. Dr. Vogel beschrieb fremden Krankheitsmodellen. Über tremen Verhaltensweisen einherge- dabei die verschiedenen Formen diese unterschiedlichen Krankheits- hen kann. Auch Zuschreibungen und von Ärger und Wut im schemathe- modelle (z.B. „Der böse Blick“, „Der Projektionen wie Tätereigenschaften rapeutischen Persönlichkeitsmodell Neid der Nachbarn“, „Der verrutschte prägen die Identität und somit auch und wie durch angemessenen Um- Bauchnabel“ etc.) konnte sie den Teil- das Verhalten von Jugendlichen gang mit den unterschiedlichen Wut nehmerInnen anschaulich berichten. unter Umständen langfristig. Für und Ärgermodi Jugendliche befähigt diese zentralen Aspekte ein erhöh- werden könnten, ihre dysfunktiona- Die TeilnehmerInnen erhielten am tes Bewusstsein zu schaffen, war ein len Bewältigungsmodi zu verändern, Ende noch einmal Gelegenheit zu wichtiges gemeinsames Anliegen ihre Bedürfnisse zu akzeptieren, an- von PKS und SHG für diese Tagung. gemessen zu versorgen und ihre ab- wertenden und emotional überfor- Leider konnten nicht mehr alle An- dernden Schemata zu verändern. meldungen berücksichtigt werden, ein Workshop in Form einer Konden- Dr. Susanne Schlüter-Müller, nie- sation der beschriebenen Themen dergelassene Kinder- und Jugend- soll Ende des Jahres in der KJPP für lichenpsychiaterin und -Psychothe- diejenigen angeboten werden, deren rapeutin in Frankfurt, schilderte in Anmeldung nicht mehr berücksich- ihrem Vortrag ihre kulturspezifische tigt wurde. Arbeit mit Flüchtlingskindern in ihrer sozialpsychiatrischen Ambulanz. Prof. Dr. Eva Möhler Schwerpunkt dieser Arbeit seien vor- Dipl. Psych. Andrea Dixius wiegend geflüchtete minderjährige Dipl. Psych. Susanne aus Afghanistan. Dabei sei eine gute Dr. Susanne Schlüter-Müller Münnich-Hessel
Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 9 Expertenhearing Prävention in der PKS „Koordinieren Sie noch oder helfen Sie schon?“ Nicht immer vergehen drei Stunden so schnell und nicht immer sind sie so gehaltvoll, wenn ExpertInnen zu einem Thema wie z.B. Prävention an einem Tisch sitzen. Am 16. Oktober allerdings war beides der Fall, als Kammervorstand und der saarländi- sche Ausschuss „Psychotherapie in Institutionen“ VertreterInnen unter- schiedlicher Institutionen und mög- liche Kooperationspartner in Sachen Prävention zum Expertenhearing eingeladen hatten. therapeutischen Sprechstunde, wie le könnten dabei eine wegweisende Neben VertreterInnen von Vorstand sie mit dem GKV-Versorgungsstär- Rolle spielen, wie das Health-Belief- und PTI-Ausschuss waren Ärztekam- kungsgesetz eingeführt wird.“ Modell (Becker & Rosenstock, 1987), mer, Selbsthilfe, Gesundheitsämter, Der Ausschuss PTI Saar hatte die- die Selbstwirksamkeits-Theorie von Krankenkassen, Agentur für Arbeit ses Defizit und seine mögliche Fort- Bandura (1997) oder das Verhaltens- und das zuständige Ministerium schreibung in der Saarländischen änderungsmodell von Prochaska & sowie PUGIS e.V., der Nachfolgeor- Präventionslandschaft – nicht zuletzt Di Clemente (1983), das die Rückfall- gansiation der LAGS (Landesarbeits- auch in der Landesrahmenvereinba- und Rezidivprophylaxe in den Mittel- gemeinschaft für Gesundheitsförde- rung zum Präventionsgesetz – zum punkt stellt und damit die Nachhal- rung im Saarland) mit am Tisch. Anlass genommen, das Thema auf tigkeit und langfristige Wirksamkeit Bernhard Morsch erläuterte einlei- die Agenda zu setzen. Saarländische von Präventionsmaßnahmen för- tend den langwierigen Prozess, der AkteurInnen wurden kontaktiert und dern könnte. Gut etablierte psycholo- schließlich 2015 zur Verabschiedung eingeladen sich auszutauschen, zu gische Ansätze der Ressourcen- und des Präventionsgesetzes auf Bun- vernetzen, vor allem aber mit uns zu Schutzfaktorenstärkung sind darüber desebene geführt hat. Seit Februar hören und zu diskutieren, welchen hinaus nahezu unverzichtbar. Dies 2017 liegt nun auch die Landesrah- konkreten Beitrag unsere Profession gilt sowohl in der Verhaltenspräven- menvereinbarung des Saarlandes hier leisten kann. tion wie z.B. bei Lebenskompetenz- dazu vor. programmen, die die Steigerung Erstaunlicherweise wird die klinische von Selbstwertgefühl und Problem- und empirische Expertise der Psy- Einführungsvortrag von Dr. phil. lösekompetenzen zum Ziel haben als chologie und Psychotherapie im Prä- Petra Schuhler zur psychologi- auch, wenn es um gesundheitsför- ventionsgesetz nicht berücksichtigt, schen Prävention derliche Organisationsentwickung in ebenso wie PsychotherapeutInnen Betrieben und Schulen geht. nicht als Akteure in der Prävention Der einleitende Vortrag von Dr. Pe- Psychotherapie und Prävention ha- genannt werden. „Obwohl psychi- tra Schuhler orientierte über die ben vor diesem Hintergund große sche Erkrankungen zu den Volks- neue Ausrichtung des Präventions- historische, theoretische und me- krankheiten des 21. Jahrhunderts gesetzes, über psychologische Prä- thodische Gemeinsamkeiten, zum gehören, sollen Psychotherapeuten ventionsmodelle und die besonde- Beispiel ist das grundlegende psy- weder Gesundheitsuntersuchungen re psychotherapeutische Expertise, chotherapeutische bio-psycho-so- durchführen noch Präventionsemp- wenn es um Prävention geht: Im ziale Arbeitsmodell auch in den fehlungen ausstellen“, kritisiert Diet- Mittelpunkt präventiver Maßnahmen modernen präventiven Ansätzen ge- rich Munz, Präsident der Bundespsy- sollte eine dichtere Vernetzung der fordert und die psychologische Psy- chotherapeutenkammer bereits im Versorgungssegmente Prävention, chotherapie als Fach darf durchaus Juni 2015 anlässlich der Verabschie- Therapie, Rehabilitation und Pflege als Expertin für Einstellungs- und dung des Präventionsgesetzes durch stehen, wobei Gesundheitsförde- Verhaltensänderung, sowie Ressour- den Deutschen Bundestag. „Hier rung und Prävention (Becker, 1997) cenaktivierung gelten. wird ein großes Potenzial verschenkt, als integraler Bestandteil der Ge- Als entscheidend hemmender Faktor denn Prävention gehört zu den es- samtversorgung aufzunehmen wäre. präventiver Maßnahmen wirkt sich senziellen Leistungen einer psycho- Psychologische Präventionsmodel- allgemein ein niedriger sozio-öko-
10 Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 Gesundheit, Frauen und Familie kriti- sierte die fehlende Struktur zur Um- setzung im Präventionsgesetz. So er- mögliche das Gesetz, dass allein der Steuerungskreis aus GKV-Vertreter- Innen über den Präventionsetat von immerhin ca. 1,2 Mio. € jährlich im Saarland verfügen könne. Dass es viele erfolgversprechende Ideen aus dem Bereich der Präven- tion gibt, deren Realisierung aller- dings außerhalb des Wettbewerbs- feldes der Einzelkassen anzusiedeln wäre, wurde an mehreren Stellen nomischer Status aus: Arme Men- an mit der Fragestellung „Frühe deutlich. Ein Beispiel dafür ist die schen mit wenig Bildung werden Hilfen und was dann?“ und entwi- zahnärztliche Prophylaxe, die bun- durch Präventionsprogramme nur ckelte eine kommunale Gesamtprä- desweit in Schulen seit über 30 Jah- unzulänglich erreicht. Deshalb ist ventionsstrategie. Sie setzt in den ren fest etabliert ist. die Stoßrichtung des neuen Präven- Lebenswelten Kita und Schule an tionsgesetzes genau richtig, nämlich mit dem Schwerpunkt gesundheit- Im Februar 2018 soll eine Landes- Prävention in den Lebenswelten zu liche Chancengleichheit und berück- präventionskonferenz stattfinden, betreiben, dort, wo Menschen leben sichtigt explizit sozial benachteiligte so Dr. Lamberty. PUGIS e.V. plant und arbeiten. Auf dieser Basis wurde Stadtteile. Auf die Nachhaltigkeit der ein Projekt für Arbeitslose in Koope- die Perspektive einer suchtpräventi- einzelnen Angebote wird dabei be- ration mit dem Jobcenter St. Wen- ven Vorgehensweise in der Arbeits- sonderen Wert gelegt. So entwickelte del zur Verzahnung von Arbeits- und welt beschrieben, in der die Grenzen sich aus einer Maßnahme zur Schul- Gesundheitsförderung. Beides sind zwischen Prävention, Psychothera- entwicklung die Einführung einer gute Gelegenheiten vom Koordi- pie, Arbeitsschutz und Rehabilitation regelmäßigen Unterrichtsstunde zur nieren zum Helfen überzugehen. überwunden werden. Resilienz im Rahmen der Leitbildent- Die Psychotherapeutenkammer des wicklung „Gestärkt durchs Leben ge- Saarlandes wird nun allerdings auch hen“ mit den drei Säulen Bewegung, zu der Landespräventionskonferenz Vortrag von Dipl. Psych. Ullrich Ernährung, Resilienz. eingeladen, wie am Ende des Exper- Böttinger, Präventionsnetzwerk Nähere Informationen zu diesem tenhearings zu vernehmen war. Ortenaukreis Projekt findet man unter http://www. pno-ortenau.de Literatur: Becker, P. (1997) Präventions- und Gesundheitsförde- Der anschließende Vortrag von Dipl. rung. In: R. Schwarzer (Hrsg.) Gesundheitspsycho- Psych. Ullrich Böttinger, PP und logie. Göttingen: Hogrefe, S, 517-534 Leiter des Amtes für Soziale und Und im Saarland? Becker, M. & Rosenstock, I. (1987) Comparing social learning theory and the health belief model. In: Psycholigische Dienste sowie Vor- Ward, W.B. (Ed.) Advances in Health Education and standsbeauftragter für Frühe Hilfen Zu Recht wurde an dieser Stelle kriti- Promotion. Vol.2 Greenwich, CT: JAI, pp. 245-249 und Prävention der LPK Baden-Wür- siert, dass im Saarland selbst die Ein- Bandura, A. (1997) Self-efficacy: The exercise of control. New York. Freeman temberg, stellte ein von der BzgA fi- führung einer 3. Sportstunde in der Prochaska, J. & DiClemente, C. (1998) The transtheo- nanziertes Best-Practice-Modell des Schule ein unüberwindbares Hinder- retical model of behaviour change. In: Shumaker, S. & Schron, E. (Eds.) The handbook of health behaviour Präventionsnetzwerkes Ortenaukreis nis zu sein scheint. change. New York: Springer, pp. 59-84 vor. Darin geht es um die Förderung Die Gründung des Präventionsnetz- der körperlichen und seelischen Ge- werkes „Das Saarland lebt gesund“, sundheit und der sozialen Teilhabe dem auch die PKS vor gut zwei Jah- für Kinder und ihre Familien im Alter ren beigetreten ist, blieb bisher wei- von 3 bis 10 Jahren. Das Interesse testgehend folgenlos. Vergleichbare daran war sehr groß, denn Vergleich- Aktivitäten auf Landes- oder Land- bares gibt es bislang nirgendwo. kreisebene sind kaum erkennbar. „Ko- Frühe Hilfen, die ein umfangreiches ordinieren Sie noch oder helfen Sie Angebot während der Schwanger- schon?“ so der ironische Kommentar schaft und bis zur Vollendung des eines Teilnehmers zu diesem Beispiel 3. Lebensjahres anbieten, sind auch eines Netzwerks ohne Inhalte. Irmgard Dr. Petra im Saarland bereits seit 2007 gut Dr. Lamberty, zuständiger Abtei- Jochum Schuhler etabliert in allen Landkreisen. Daran lungsleiter für Gesundheit im Saar- knüpfte man 2009 im Ortenaukreis ländischen Ministerium für Soziales,
Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 11 Soldatinnen und Soldaten in der psychotherapeutischen Praxis Informationen über die Vereinba- rung der Vergütung psychothera- peutischer Leistungen zwischen der Bundespsychotherapeutenkammer und dem Bundesministerium für Ver- teidigung sowie ein Überblick über die Fortbildungsveranstaltung am 11. Oktober 2017 in Köln Ebenso wie gesetzlich Krankenver- sicherte finden Soldatinnen und Sol- daten häufig keine Psychotherapeu- tinnen und Psychotherapeuten mit Kassenzulassung oder müssen un- zumutbare Wartezeiten in Kauf neh- men, bis sie in Behandlung kommen. Um ihre psychotherapeutische Ver- sorgung zu verbessern, vereinbarten die Bundespsychotherapeutenkam- mer und das Bundesverteidigungs- ministerium im September 2013, der GÖÄ vergütet. Bislang galt der dass Soldatinnen und Soldaten sich 2,0-fache Satz. Diese Anpassung der Mit der Veranstaltung „Soldatinnen auch in psychotherapeutischen Pri- Vergütung konnte in Verhandlungen und Soldaten in der Bundeswehr – vatpraxen behandeln lassen können. zwischen der BPtK und dem BMVg Dienst, Einsatz und Belastungen“ Bestandteil dieser Vereinbarung ist für die Behandlung von Soldatinnen der Landespsychotherapeutenkam- auch, dass Bundeswehr und Psycho- und Soldaten durch Psychotherapeu- mern von Rheinland-Pfalz, Saarland therapeutenkammern gemeinsame tinnen und Psychotherapeuten ohne und Nordrhein-Westfalen in Koope- Fortbildungen durchführen. Kassenzulassung erreicht werden. ration mit der Bundeswehr am 11. Oktober 2017 in Köln-Wahn, hat sich Demnach können sich Soldatinnen Download Vereinbarung: die PKS zum zweiten Mal an einer und Soldaten neben Vertragspsycho- http://www.bptk.de/uploads/me- solchen Fortbildungsveranstaltung therapeuten, für die ausschließlich dia/2013-09-16_Hintergrundinforma- beteiligt. Über 250 Psychotherapeu- die Vereinbarung mit der KBV maß- tion_Vertrag_Soldaten_aktualisiert. tinnen und Psychotherapeuten nah- geblich ist, mit einer entsprechenden pdf men an der Fortbildung in der Luft- Überweisung auch unmittelbar an waffenkaserne in Köln-Wahn teil. Sie einen Psychotherapeuten ohne Kas- erhielten einen Einblick in den sol- senzulassung wenden. Gemeinsame Fortbildungsver- datischen Alltag, therapierelevante Die Vereinbarung trägt zu einer bes- anstaltungen von Bundeswehr bundeswehrspezifische Themen und seren Versorgung von Soldatinnen und Landespsychotherapeuten- spezielle Symptom- und Belastungs- und Soldaten bei und eröffnet gleich- kammern lagen von Soldaten-Patienten. Auch zeitig Psychotherapeutinnen und die Schnittstellen zur ambulanten Psychotherapeuten ohne Kassenzu- Die Vereinbarung sieht weiterhin psychotherapeutischen Versorgung lassung ein Betätigungsfeld. Mit der gemeinsame Fortbildungsveranstal- wurden deutlich. Anpassung des Gebührensatzes ist tungen von Bundeswehr und Lan- sichergestellt, dass Psychotherapeu- despsychotherapeutenkammern, die Besonderheiten des Soldaten- tinnen und Psychotherapeuten ohne sich dazu bereit erklärt haben, vor. Kassenzulassung zumindest eine mit Diese sollen dazu dienen, die Sen- berufs der gesetzlichen Krankenversiche- sibilisierung niedergelassener Psy- In seinem Referat erläuterte Oberst- rung vergleichbare Vergütung erhal- chotherapeutinnen und Psychothe- arzt Dr. Michael Alvarez-Brückmann, ten. Seit dem 1. März werden diese rapeuten für Besonderheiten bei der Leiter des Sanitätsversorgungszen- Leistungen im Rahmen der Verein- Behandlung von Soldatinnen und trums Köln-Wahn die Organisation barung mit dem 2,2-fachen Satz Soldaten zu verstärken. der Bundeswehr und informier-
12 Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 te über Besonderheiten des Sol- Einsätzen Ängste, Depressionen und Humanmedizin, Individualmedizin datenberufes. Er skizzierte das Auf- Posttraumatische Belastungsstörun- im Kommando Sanitätsdienst der trags- und Aufgabenspektrum der gen die häufigsten psychischen Pro- Bundeswehr informierte über die Bundeswehr und die Erwartungen bleme bei Soldatinnen und Soldaten. steigende Inanspruchnahme des an Soldatinnen und Soldaten, die Es suchen jedoch nur 55 Prozent der psychosozialen Versorgungssystems Herausforderungen, denen sich Sol- Betroffenen psychosoziale Hilfe und der Bundeswehr, dass von Soldatin- datinnen und Soldaten in einer mo- wiederum nur 10-12 Prozent von ih- nen und Soldaten aber auch ihren dernen Bundeswehr stellen müssen, nen erhalten eine fachgerechte Be- Angehörigen und Hinterbliebenen beispielsweise bei Auslandseinsät- handlung. genutzt werde. Er begrüßte daher zen, der Wiedereingliederung in den Am praktischen Beispiel einer PTBS die Intention solcher Fortbildungs- Alltag oder hinsichtlich der geforder- eines jungen Soldaten nach einem veranstaltungen zur Verbesserung ten räumlichen und zeitlichen Flexi- Auslandseinsatz erläutere die Re- der Informationen über die Beson- bilität im Dienst. ferentin die therapeutischen Inter- derheiten der Bundeswehr und die ventionen im stationären Bereich für Soldatinnen und Soldaten spezi- des Bundeswehrkrankenhauses und fischen Belastungsfaktoren. Psychosoziale Angebote der erfolgversprechende Weiterbehand- Bei anstehenden Themen wie Wie- Bundeswehr lungsmöglichkeiten im ambulanten dereingliederung, Teilhabe, die Ein- Therapiesetting. bindung von Familienangehörigen Um diesen Anforderungen gerecht zu in den Therapieprozess sowie bei der werden, hält die Bundeswehr ein brei- gesamten psychosozialen Versor- tes Spektrum psychosozialer Angebo- Spezifische Belastungsfaktoren gung sei ein Zusammenwirken von te vor zur Betreuung von Soldatinnen bei Auslandseinsätzen wehrdienstlichen und zivilen Einrich- und Soldaten, ihren Angehörigen, tungen unabdingbar. zivilen Mitarbeitern, Hinterbliebenen Oberregierungsrat Alexander Varn, von Gefallenen und ehemaligen Bun- Truppenpsychologe im Kommando Weitere Informationen erhalten Sie deswehrangehörigen. Sanitätseinsatzunterstützung in Wei- unter folgenden Downloads: Das „psychosoziale Netzwerk und ßenfels, berichtete über aktuelle Ein- – Dr. Michael Alvarez-Brückmann: das Interdisziplinäre Patientenzent- satzgebiete, Belastungen während Organisation der Bundeswehr / rierte Rehabilitationsteam der Bun- eines Einsatzes und das Aufgaben- Besonderheiten des Soldatenbe- deswehr“ erläuterte Regierungsdi- profil der Truppenpsychologen. rufes [PDF-Dokument, 1.6 MB] rektorin Christiane Reitz, Leitende Hierbei nannte er als kritische Fakto- – Christiane Reitz: Psychosoziale Truppenpsychologin des Luftwaffen- ren vor Ort insbesondere physische Unterstützung in der Bundeswehr truppenkommandos Köln-Wahn. Sie Belastungen durch extreme Tem- [PDF-Dokument, 1.1 MB] betonte den Stellenwert niedrig- peraturen, Lärm oder ungewohnte – Heilbehandlung für die Bundes- schwelliger Ansätze und präventiver Nahrung sowie psychische Belas- wehr / Beantragung, Verlänge- Maßnahmen sowie die Zusammen- tungen beispielsweise durch das rung, Abrechnung [PDF-Doku- arbeit mit fachärztlichen KollegInnen Erleben von Angst, Gewalt und Tod, ment, 3.1 MB] und PsychotherapeutInnen. Hierzu die Trennung von Vertrautem, einge- – Behandlung von Soldaten in bestehen im psychosozialen Netz- schränkte Kommunikationsmöglich- Privatpraxen - Informationen für werk Hilfestrukturen und Angebote, keiten und mangelnde Privatsphäre. Psychotherapeuten [PDF-Doku- an die Psychotherapeutinnen und Sein Aufgabenfeld in den einsatzvor- ment, 1.6 MB] Psychotherapeuten andocken kön- bereitenden Maßnahmen bestehe vor Quelle: Psychotherapeutenkammer NRW nen. allem in der Vermittlung von Stress- managementtechniken und der Vor- bereitung auf zu erwartende Stresso- Inge Neiser Therapieansätze und Behand- ren vor Ort. Als eine weitere zentrale lungskonzepte Aufgabe der Truppenpsychologen er- läuterte er die Führungsberatung für Einen praktischen Einblick in die Vorgesetzte, die Einzelfallberatungen Symptom- und Belastungslagen für Soldatinnen und Soldaten sowie von Soldaten-Patienten und mögli- die psychologische Kriseninterven- chen Schnittstellen zur ambulanten tion nach einem Einsatz. psychotherapeutischen Versorgung vermittelte Regierungsdirektorin Dr. Christina Alliger-Horn, Leitende Psy- Steigende Inanspruchnahme chologin im Bundeswehrkranken- haus Berlin. Ihren Angaben zufolge Oberstarzt Dr. Matthias Baßler, Lei- sind unabhängig von geleisteten ter der Unterabteilung Wehrmedizin,
Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 13 „Die Männer belügen nicht die anderen, sondern sich selbst“ Ein Interview mit Markus Müller, Leiter der Selbsthilfegruppe „Schwule Väter und Ehemänner im Saarland“ S. Münnich-Hessel: Herr Müller, wie kamen sie auf die Idee, eine Grup- pe für schwule/bisexuelle Väter und Ehemänner zu gründen? M. Müller: Vor über 23 Jahren habe ich mich von meiner damaligen Frau getrennt. Mein Sohn war gerade erst ein Jahr alt. Die Situation hat mich in der Folgezeit oft überfordert und vor sehr große Herausforderungen ge- stellt. Ich hatte das starke Gefühl, mit der Situation besser fertig zu werden, wenn ich mich mit anderen schwulen Vätern oder Ehemännern austausche. Ich habe mich dann 6 Jahre später an den LSVD (Lesben- und Schwulen- verband Deutschland) im Saarland gewendet und so kam es, dass ich Manche sind immer noch verheira- figsten um die Themen Schuldgefüh- mit einem Vater gemeinsam im Mai tet, wenn sie zu uns kommen und le, Trennung und Neuanfang und na- 2001 die Gruppe gegründet habe. Mit leben ihre Sexualität nur heimlich. türlich Coming-out. Viele Väter haben anderen Betroffenen zu reden, war Andere gehen damit sehr offen um. ein schlechtes Gewissen und starke eine große Befreiung für mich! Umso Und es gibt auch Väter und Ehemän- Schuldgefühle gegenüber ihren An- wichtiger ist es mir heute, meine Er- ner, die trotz Outing weiter in ihrer gehörigen. Es ist ja oft nicht so, dass fahrung an andere weiterzugeben. Familie bleiben. man die Frau, mit der man Kinder großgezogen hat, nicht mehr mag. Worum geht es in ihrer Gruppe? Wie ist die Gruppe zusammenge- Häufig entsteht zusätzlich eine große Viele Männer entdecken erst als Ehe- setzt? Belastung, je nachdem wie die jewei- männer oder Familienväter, dass sie Wir haben etwa 15 Mitglieder, die ligen Ehefrauen mit der Tatsache des schwul oder bisexuell sind. Diese alle eine Beziehung zu einer Frau Schwul Seins des Ehemannes um- neue Situation bringt oft Ängste und hatten oder Co-Väter sind. Wir tref- gehen. Es ist oft ein großer Schock viele Fragen mit sich, mit denen man fen uns in der Regel jeden 2. Diens- für sie. Verständlicherweise ist auch sich oft allein gelassen fühlt. Das Ge- tag im Monat um 19.30 Uhr im LSVD- die Frau mit der Situation überfor- fühl des „Nicht allein seins“ ist für Check point in der Mainzer Straße dert, ebenso wie später die Kinder, viele in unserer Gruppe das Wich- 44 in Saarbrücken. Aktuell nehmen vor allem wenn sie schon älter sind. tigste! Wir pflegen einen offenen etwa acht bis zehn Teilnehmer regel- Es gibt leider immer wieder Fälle, in Erfahrungsaustausch. Die schwulen mäßig an unserem Erfahrungsaus- denen die Frauen starken Druck aus- oder bisexuellen Männer in unserer tausch teil. Das Alter reicht von 34 üben, auch auf die Kinder. Gruppe haben auf ganz unterschied- bis 65 Jahren. Einige kommen aus liche Weise ihr persönliches Coming- einem zusätzlich religiösen und/oder Wodurch ist Ihrer Meinung nach eine out erlebt oder befinden sich noch konservativen Kontext, was es Ihnen Selbsthilfegruppe hilfreich? mitten im Prozess. Prinzipiell ist zu noch schwerer macht zuzulassen, Ein sehr wichtiger Aspekt ist, dass unterscheiden zwischen einem in- dass sie homosexuell sind. Die Kon- wir uns auf Augenhöhe begegnen. neren Coming-out, das heißt es sich taktaufnahme erfolgt meistens über Hier in der Selbsthilfegruppe können selbst gegenüber einzugestehen, das Internet. die Männer Halt und Unterstützung homosexuell zu sein und einem äu- bekommen. Auf Wunsch bieten wir ßeren Coming-out, nämlich dies Welche Probleme werden in der neben der Gruppe auch Einzeltermi- auch öffentlich zu machen und zu le- Gruppe thematisiert? ne an. ben. Oft ist das ein längerer Prozess. Zusammengefasst geht es am häu- Wir begleiten die Männer u. a. bei
14 Forum der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 67, November 2017 ihrem Coming-out, ihrer Trennung Das ist sicher nicht einfach. und dem Neuanfang. Da immer Es tauchen viele Fragen auf. Wie er- schon erfahrenere Teilnehmer in der klärt ein Vater seinen Kindern oder Gruppe sind, können diese durch der Frau dass er homosexuell ist? das Reflektieren der eigenen Situa- Verheimlichen oder nicht? Häufig tion den Neulingen ihre Ängste neh- werfen auch die Ehefrauen vor, dass men. Der Aspekt der Prophylaxe vor sie sich belogen fühlen und betro- psychischen Erkrankungen, ist auch gen. Jedoch wollen die Männer sie und Ehemänner Saarland nicht zu unterschätzen. Viele Betrof- nicht belügen. Männer belügen nicht Viele Männer entdecken erst als Ehemann oder Familienvater, dass sie fene leiden unter psychischen Prob- die anderen, sondern vorrangig sich schwul oder bisexuell sind. Diese neue Situation bringt oft Ängste und vielen Fragen mit sich, da sich vertraute Lebenszusammenhänge lemen und brauchen zusätzlich (pha- selbst. plötzlich verändern können. Wir sind eine Gruppe schwuler bzw. bisexueller Väter und Ehemänner, senweise) therapeutische Hilfe. die auf ganz unterschiedliche Weise ihr persönliches Coming out erlebt haben oder sich noch mitten in diesem Prozess befinden. Gibt es noch weitere Angebote? Du bist bei uns herzlich willkommen! In angenehmer und offener Atmosphäre kannst du hier Der Neuanfang ist wohl nicht immer In der Akademie Waldschlösschen in deine Themen besprechen und anderen zuhören. Auf Wunsch sind natürlich auch Einzelkontakte möglich. nur positiv. Da tauchen sicher Hin- Rheinhausen bei Göttingen (www. Jeden 2. Dienstag im Monat, 19.30 Uhr dernisse auf. Es sind ja dann nicht waldschloesschen.org) werden zwei in ungeraden Monaten im LSVD Checkpoint, in geraden Monaten finden Aktivitäten auch außerhalb statt. alle Probleme plötzlich gelöst. Mal im Jahr Treffen angeboten unter LSVD Checkpoint, Mainzer Str. 44, 66121 Saarbrücken Tel.: 06 81 - 39 88 33 Ganz im Gegenteil! Der Anfang dem passenden Titel „Zwischen den Landesverband Saar Kontakt SVS: SVSaar@gmx.de • svsaar.wordpress.com in einer „neuen Welt“ ist sehr oft Welten“. Diese Treffen werden immer schwierig. Es ist schon eine sehr gro- von einer anderen der deutschland- ße Herausforderung, den Umgang weiten Regionalgruppen ausgerich- geheiratet hat. Das Interview führte mit Frau und Kind(ern) hinzubekom- tet. Der Austausch dort ist sehr in- Susanne Münnich-Hessel men, gleichzeitig eine Beziehung tensiv und auch für mich heute noch zu einem Mann zu leben oder auf sehr bereichernd. Kontakt: Partnersuche zu gehen. Zumal das Schwule Väter und Ehemänner im erwähnte schlechte Gewissen sehr Herr Müller, vielen Dank für das Saarland oft im Weg steht. Gerade am Anfang Interview! LSVD Checkpoint stellt sich die Frage, wie die Verbin- Mainzer Str.44 dung zum „alten Leben“ überhaupt Herr Müller ist Gründer und Leiter 66121 Saarbrücken noch gelebt werden kann und wie der Selbsthilfegruppe, 45 Jahre alt, Tel:0681/39 88 33 man mit dessen Verlust umgeht. lebt seit 18 Jahren mit seinem Mann Mail: SVSaar(at)gmx.de zusammen, den er vor über 4 Jahren svsaar.wordpress.com Broschüre „Schülerinnen und Schüler mit Fluchterfahrung“ unter Mitarbeit der PKS erschienen Geflüchtete Kinder, die im Saarland Pädagoginnen und Pädagogen sind ren die didaktische Planung. Noch ankommen, sind von ihrem ersten damit vertraut, genau hinzusehen gravierender ist für Lehrkräfte die Ankunftstag an schulpflichtig. Dies und Schülerinnen und Schüler in Vorstellung bzw. das Wissen, dass bedeutet für die Integration und die ihrer Persönlichkeit ganzheitlich zu einige der Kinder und Jugendlichen Bildungsteilhabe der Kinder eine erfassen. möglicherweise traumatisiert sind. große Chance. Schule als „sicherer Ort“ ist für sie ein wichtiger stabili- Aber Lehrerinnen und Lehrer stehen Erstellt durch die Schulpsychologi- sierender Faktor und gleichzeitig ein angesichts der geflüchteten Kinder schen Dienste der Landkreise des Ort, an dem es Personen gibt, denen im Unterricht auch vor Herausforde- Saarlandes, der Landeshauptstadt sie vertrauen können, die ihnen zu- rungen. Fehlende Sprachkenntnisse, Saarbrücken und des Regionalver- hören und die bei Schwierigkeiten unbekannte Vorbildung und unkla- bandes Saarbrücken in Kooperation Lösungen finden. re Lernvoraussetzungen erschwe- mit der Psychotherapeutenkammer
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