EC HT JETZT?! Wie fantastische Ideen die Wirklichkeit von morgen vorbereiten - NR. 2/2019 - ETH Zürich
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NR. 2/2019 ECHT JETZT?! Wie fantastische Ideen die Wirklichkeit von morgen vorbereiten SEITE 12 Das MINT-Lernzentrum Städtebau in Äthiopien Der ETH-Alumnus, der feiert Geburtstag kann herausfordernd sein als Selbstversorger lebt SEITE 32 SEITE 36 SEITE 46
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EDITORIAL GLOBE NR. 2/2019 In die ferne Zukunft denken Science-Fiction an, durch die sich Auto- rinnen und Autoren des Genres gerne inspirieren lassen. Umgekehrt können auch Forschende aus Science-Fiction-Werken Anregungen beziehen. Was sie aber produzieren und woran sie sich messen lassen müssen, sind Fakten, die klar definierte Prozesse durchlaufen und mit wissenschaftlichen Methoden entstehen. Diese Ausgabe des ETH-Magazins Globe geht den Wechselwirkungen zwischen Joël Mesot, Präsident der ETH Zürich Science-Fiction und Science Facts nach. Was Sie in Beiträgen über Hirnschritt macher, Leben auf fernen Planeten oder Johannes Kepler gehört zu den Wegberei- Zeitreisen lesen, tönt heute noch wie tern der modernen Naturwissenschaften. Science-Fiction, ist morgen aber vielleicht Berühmt ist er für seine Keplerschen schon Realität. Gesetze, in denen er unter anderem ent- deckte, dass sich die Planeten auf ellip- PS: Besuchen Sie uns am Wochenende tischen Bahnen um die Sonne bewegen. vom 30. August bis 1. September an Weniger bekannt ist, dass Kepler 1608 der nächsten Scientifica von ETH und eine fantastische Geschichte ersann, in der Universität Zürich zum Thema «Science er träumt, dass Menschen mit Hilfe von Fiction – Science Facts». Dämonen auf den Mond transportiert werden. Die Geschichte gilt als einer der Ich wünsche Ihnen eine ersten Science-Fiction-Romane und hat anregende Lektüre! 2019 einen besonderen Reiz, da wir das 50-Jahr-Jubiläum der ersten Mondlandung begehen. In Kepler treffen sich gleichzeitig wissenschaftliche Strenge und Imagination. In die ferne Zukunft zu denken, verbindet Forschende mit Science-Fiction-Autoren. So muten gewisse Forschungsfragen wie Globe, das Magazin der ETH Zürich und der ETH Alumni Titel Illustration: Cornelia Gann; Collage: NASA / JPL-Caltech; Unsplash Bilder Editorial: Markus Bertschi
INHALT GLOBE NR. 2/2019 NEW AND NOTED COMMUNITY 5 News aus der ETH Zürich 31 Verbunden mit der ETH 6 Treibstoff aus Sonne 32 Den Aha-Effekt kultivieren und Luft Das MINT-Lernzentrum arbeitet seit zehn Jahren daran, die 8 Sauberer Strom direkt Lernwirksamkeit zu steigern. vom Nachbarn Den Strommarkt der Zukunft erproben – Seite 8 35 Kolumne FOKUS REPORTAGE 14 «Kann man den Computer 36 Architektur gegen die Landflucht noch abstellen?» Ein Augenschein in Äthiopien Ein KI-Forscher und zeigt, wie herausfordernd Städte- ein Computerhistoriker bau sein kann. geben Antwort. 18 Der Traum vom Leben CONNECTED in anderen Welten 42 Begegnungen an der ETH Warum nicht Mond oder Eines der ersten Gebäude der Mars besiedeln? geplanten Modellstadt – Seite 36 44 Agenda 22 In den Tiefen des Gehirns Können wir bald Hirn- PROFIL erkrankungen ohne 46 Der Selbstversorger vom Medikamente zu schlucken Balmeggberg im Schlaf heilen? Anton Küchler lebt nach den Prinzipien der Permakultur. 25 Und immer wieder spukt die Zeit Die Zeit ist mess-, doch fast nicht fassbar. Gibt es 5 FRAGEN sie überhaupt? 50 Andrea Burden «Oberstes Ziel ist es, das Leben 28 Abtauchen, um abzuheben der Patienten zu verbessern.» Eine Drohne, die auch unter Wasser fliegen kann? IMPRESSUM — Herausgeber: ETH Alumni / ETH Zürich, ISSN 2235-7289 Redaktion: Martina Märki (Leitung), Roland Baumann, Corinne Johannssen, Nicol Klenk, Karin Köchle, Florian Meyer, Corina Oertli, Peter Rüegg, Norbert Staub Mitarbeit: Andres Eberhard, Claudia Hoffmann, Samuel Schlaefli, Andrea Schmits Inserateverwaltung: ETH Alumni Communications, globe@alumni.ethz.ch, +41 44 632 51 24 Inseratemanagement: Fachmedien, Zürichsee Werbe AG, Stäfa, info@fachmedien.ch, +41 44 928 56 53 Gestaltung: Crafft Kommunikation AG, Zürich Druck, Korrektorat: Neidhart + Schön AG, Zürich Übersetzung: Burton, Van Iersel & Whitney GmbH, München; Clare Bourne, Anna Focà, ETH Zürich Auflage: 38 900 deutsch, 31 600 englisch, viermal jährlich Abonnement: CHF 20.– im Jahr (vier Ausgaben); in der Vollmitgliedschaft bei ETH Alumni enthalten Bestellungen und Adressänderungen: globe@hk.ethz.ch bzw. für Alumni www.alumni.ethz.ch/myalumni Kontakt: www.ethz.ch/globe, globe@hk.ethz.ch, +41 44 632 42 52 Kostenlose Tablet-Version. Bilder: Quartierstrom; Samuel Schlaefli; Giulia Marthaler
NEW AND NOTED Netzwerkforschung VIREN EFFIZIENT EINDÄMMEN Viren, Kriminalität und andere Prob- leme können sich über Netzwerke ausbreiten. Forschende der ETH- Professur für Computational Social Science und des Informatikdepart- ments haben einen Ansatz entwickelt, wie man Netze kostengünstig schüt- zen kann. So sollen im Beispiel der Virenverbreitung nicht die weltgröss- ten Flughafen-Hubs mit den meisten Flugverbindungen geschlossen wer- den – was naheliegend schiene –, son- dern die mittelgrossen Flughäfen. Dies wäre genauso wirksam, aber vier- Flughäfen bilden ein weltweites Netzwerk. ETH-Forscher haben gezeigt, mal günstiger. wie man Viren kostengünstig daran hindern kann, sich darin zu verbreiten. 5 Materialwissenschaften Das Spezielle an der neuen Oberfläche: Lebensmittelwissenschaften Normalerweise sind es dunkle Flächen, FORSCHEN FÜR die Licht absorbieren und in Wärme WASSER, DAS MEHR DURCHSICHT umwandeln. Die Forschenden haben nun aber eine durchsichtige Fläche ge- NICHT GEFRIERT schaffen, die dies ebenfalls kann. Der Kommt man aus der Kälte an einen Vorteil gegenüber handelsüblichen An- Forschenden der ETH und der Uni- Ort, an dem es wärmer und feuchter tifog-Sprays für Brillen ist ausserdem, versität Zürich ist es gelungen, zu ver- ist, kann die Brille, das Foto-Objektiv dass die Beschichtung die Scheibe vier- hindern, dass Wasser selbst bei minus oder die Windschutzscheibe beschla- mal schneller vom Beschlag befreit als 263 Grad Celsius gefriert. Dies ge- gen. Materialwissenschaftler der ETH der Spray. lingt, wenn das Wasser in wenigen, Zürich haben nun eine neue, durch- Die Wissenschaftler aus der Grup- Nanometer dünnen Kanälen aus Lipi- sichtige Beschichtung entwickelt, die pe von ETH-Professor Dimos Poulika- den, sogenannten Lipid-Mesophasen, das Beschlagen stark reduziert. Es kos möchten nun die neue Methode gefangen ist. Dort gibt es schlicht kei- handelt sich um eine nur wenige Nano- zusammen mit einem Industriepart- nen Platz für die Eiskristallbildung. meter dünne, dauerhafte Beschich- ner zur Marktreife bringen. Die Band- tung aus Goldnanopartikeln, die in breite an möglichen Anwendungen ist Titanoxid eingebettet sind. denn auch gross: Neben Autoscheiben Die Beschichtung absorbiert Son- und Rückspiegeln eignet sich die Be- nenlicht und wandelt es in Wärme um. schichtung dank der Unabhängigkeit Dadurch heizt sich die Oberfläche um von Strom auch für Korrektur-, Ski- bis zu vier Grad Celsius auf. Dieser und Taucherbrillen. Temperaturunterschied vermindert das Beschlagen. Modell der neuartigen Lipid-Mesophase Bilder: Colourbox; Peter Rüegg ETH GLOBE 2/2019
NEW AND NOTED Erneuerbare Energieträger TREIBSTOFF AUS SONNE UND LUFT Zum ersten Mal weltweit kann flüssi- ger Treibstoff in einem thermochemi- schen Prozess ausschliesslich aus konzentriertem Sonnenlicht und Um- gebungsluft produziert werden. Aldo Steinfeld, Professor für Erneuerbare Energieträger, und seine Forschungs- gruppe haben die Technologien ent- wickelt und demonstrieren die ge- samte Prozesskette jetzt unter realen Bedingungen – eine komplette Mini- Raffinerie für solare Treibstoffe auf dem Dach des ETH-Maschinenlabo- ratoriums. Aus der Umgebungsluft werden CO2 und Wasser gefiltert, woraus zwei Hochtemperatur-Solarreaktoren ein Synthesegas erzeugen. Die für die Re- 7 aktion benötigte Energie liefert ein Parabolspiegel, der das Sonnenlicht 3000-mal konzentriert. Das Synthe- segas wird anschliessend zu flüssigen Treibstoffen wie Methanol oder Kero- sin verarbeitet, die bei der Verbren- nung nur so viel CO2 freigeben, wie der Luft entnommen wurde. Die am 19. Juni 2019 eingeweihte Anlage markiert einen Meilenstein in der Herstellung CO2-neutraler syn- thetischer Treibstoffe, die bedeutend sind für eine nachhaltige Luft- und Schifffahrt. Die beiden ETH-Spin-offs Climeworks und Synhelion entwickeln die Technologien weiter und machen sie marktfähig. → www.prec.ethz.ch Bild: Alessandro Della Bella ETH GLOBE 2/2019
NEW AND NOTED Projekt Quartierstrom Sauberer Strom direkt vom Nachbarn Lässt sich der Absatz von lokal produziertem Solarstrom steigern, wenn Haushalte ihn untereinander handeln dürfen? Das Forschungsprojekt «Quartierstrom» erprobt in Walenstadt ein Jahr lang den Strommarkt der Zukunft. er uarti d e l im Q em han zt zu ein ad. trom t gr Der S bereits je orgungs h r t e r s fü igenv ren E höhe Im Dezember 2018 fiel der Startschuss zu einem schweizweit einzigartigen Experiment: Im Quartier Schwemmi- weg in Walenstadt haben sich 37 Haus- halte zu einem lokalen Strommarkt zusammengeschlossen. Besitzerinnen 8 und Besitzer von Photovoltaikanlagen können ihren selbst erzeugten Strom an die eigenen Nachbarn verkaufen, ohne Umweg über den Energieversor- ger. Haushalte ohne Solaranlage kön- nen sauberen Strom aus nächster Nähe beziehen. Den Preis bestimmen die Teilnehmenden selbst, über Angebot und Nachfrage. Wenn Strom innerhalb des Quar- tiers erzeugt und verteilt wird, muss weniger von aussen bezogen werden. «Quartierstrom» im Rahmen eines ger verkaufen, der Strom fliesst ins öf- Und der Stromhandel zwischen Haus- Pilot-, Demonstrations- und Leucht- fentliche Netz. Das Paradoxe: Physi- halten bietet weitere Vorteile: «Zum turmprogramms. kalisch gesehen landet dieser Strom Beispiel können Produzenten Preise bereits heute beim Nachbarn, da die erzielen, die klar über dem Netzein- Anreiz für private Erzeuger Elektronen sich immer den kürzesten speisetarif liegen, und so ihre Anlagen Im Projekt wird erprobt, wie der Weg suchen. «Der Markt bildet das schneller amortisieren», sagt Sandro Strommarkt der Zukunft aussehen aber nicht ab», sagt Schopfer. Eine Be- Schopfer vom Bits to Energy Lab der könnte. Denn die Energiewende bringt teiligung privater Produzenten am ETH. Er leitet das Projekt «Quartier- eine zunehmende Dezentralisierung Handel könnte finanzielle Anreize set- strom», an dem neben der Universität der Stromproduktion mit sich – weg zen und den Absatz von lokal erzeug- St. Gallen und weiteren Partnern auch von zentralen Grosskraftwerken, hin ter, sauberer Energie fördern. der lokale Energieversorger, das Was- zu vielen kleinen, oftmals privaten Ob das tatsächlich der Fall ist, soll ser- und Elektrizitätswerk Walenstadt Erzeugern. «Diese haben heute kaum das Quartierstrom-Projekt zeigen. Von beteiligt ist, das sein Verteilnetz für Möglichkeiten, ihren Strom frei zu den Teilnehmenden haben 28 eine ei- den lokalen Handel während des Pilot- vermarkten», sagt Schopfer. Über- gene Solarstromanlage, neun sind rei- versuchs zur Verfügung stellt. Das schüsse müssen sie in der Regel zum ne Konsumenten, darunter ein Alters- Bundesamt für Energie unterstützt Einspeisetarif an den Energieversor- heim. Die Anlagen liefern jährlich rund ETH GLOBE 2/2019 Bild: Quartierstrom
NEW AND NOTED l im Aktuel odcast ETH-P 300 000 kWh Strom, der tatsächliche 2019 über 80 Prozent des produzier- Mission für den Mars Bedarf der Gemeinschaft liegt bei etwa ten Solarstroms im Quartier selbst Die ETH-Forscherin Grace Crain denkt 250 000 kWh. Mehrere Batteriespei- verbraucht. Zum Vergleich: Ohne Zu- in galaktischen Dimensionen. Sie cher dienen als Puffer. Speziell verbau- sammenschluss kann ein einzelner möchte ein Ökosystem entwickeln, te Smartmeter – eine Variante des Haushalt nur etwa 30 Prozent seines das Astronauten in einer Raumstation Low-Budget-Computers Raspberry Pi erzeugten Stroms selbst nutzen. oder Bewohner einer Mond- oder – messen kontinuierlich Produktion Mars-Basis mit Essen, Trinkwasser und Verbrauch der einzelnen Haushal- Energieversorger als Versicherer und sauberer Luft versorgen kann. te. Eine eigens entwickelte Software, Doch trotz höherem Eigenversor- Weshalb sie ihre Pflanzen ausgerech- die auf den Geräten installiert ist, gungsgrad ist das Quartier nach wie net mit menschlichem Urin und Kot wickelt den Handel direkt vor Ort ab. vor auf den Energieversorger vor Ort düngt, erklärt sie im ETH-Podcast. Dieser basiert auf der Blockchain- angewiesen. Dieser nimmt nicht nur Technologie, die für fälschungssichere überschüssigen Strom ab, er liefert Transaktionen innerhalb von Netz- auch welchen, wenn die Sonne nicht werken genutzt wird. scheint und der Bedarf hoch ist. «In diesem Szenario wird der Energiever- Lukrativ für beide Seiten sorger zukünftig die Rolle eines Versi- In einer App legen die Teilnehmenden cherers übernehmen», sagt Ableitner. Preislimits fest: Produzenten ihren An- Sie ist davon überzeugt, dass der Wan- gebotspreis, Konsumenten ihren Kauf- del im Strommarkt nicht aufzuhalten preis. Ein Algorithmus ermittelt alle ist. Ebenso sehen es die Verantwort Faire Algorithmen 9 15 Minuten, wer von wem kaufen darf. lichen des Wasser- und Elektrizitäts- Die ETH-Forscherin Hoda Heidari Dabei paart er jeweils den günstigsten werks Walenstadt, die für das Projekt und der ETH-Assistenzprofessor Anbieter mit dem meistbietenden Käu- gewonnen werden konnten. Sie hoffen, Elliott Ash erzählen im Podcast von fer. Wer keinen Handelspartner findet, Einblicke in neue Geschäftsmodelle zu den gigantischen Mengen an digitalen kauft Strom vom Energieversorger erhalten und von Anfang an bei deren Spuren, die wir täglich hinterlassen. zum ortsüblichen Tarif. Entwicklung mit dabei zu sein. Ausserdem sprechen sie darüber, wie Die Preise des Quartierstrom- In einem nächsten Schritt werden Big Data die Welt und Wahrnehmung Markts fluktuieren mit Angebot und die Forschenden untersuchen, wie Bat- verändert, weshalb die Politik diesem Nachfrage. Die bisherigen Erfahrun- teriespeicher und flexibel einsetzbare Wandel noch hinterherhinkt und gen zeigen, dass sie sich zwischen dem Lasten wie Wärmepumpen oder Elek- wie Algorithmen lernen können und Einspeisetarif von 4 Rappen und dem troautos dazu genutzt werden können, dadurch fairer werden. Strompreis des Energieversorgers von Produktionsschwankungen auszuglei- 20,75 Rappen pro kWh einpendeln. chen. «Das ist innerhalb einer Gemein- Kleine Schritte zum Frieden «Das ist lukrativ, sowohl für Produ- schaft viel besser möglich als im einzel- Die Kenianerin Dekha Ibrahim Abdi zenten als auch Konsumenten», sagt nen Haushalt», sagt Schopfer. Indem (†2011) bemühte sich mit Ausdauer ETH-Doktorandin Liliane Ableitner, man überschüssigen Strom vor Ort und Herzblut um mehr Frieden in die im Projekt Nutzerverhalten und speichert und später wieder nutzt, lässt Kriegsregionen. Ihr Prinzip: Kleine Akzeptanz untersucht. Sie ist mit der sich zudem der Eigenversorgungsgrad Schritte auf lokaler Ebene, um Kon- Beteiligung der Nutzer am Handel weiter steigern. «Unser Ziel ist, dass so flikte zu beseitigen. Im Podcast erzäh- sehr zufrieden. «Viele loggen sich öfter wenig Strom wie möglich aus dem len der ETH-Friedensforscher Simon als erwartet in die App ein.» Quartier fliesst.» — Claudia Hoffmann Mason und die Tochter von Dekha Auch wenn detaillierte Ergebnisse Ibrahim Abdi von ihren Erfahrungen erst nach Abschluss des Projekts im Zum Projekt: und weshalb sie sich für den Frieden Januar 2020 vorliegen werden, zeigt → quartier-strom.ch einsetzen. sich bereits: Durch den Handel steigt der Eigenverbrauch innerhalb der Ge- meinschaft. So wurden beispielsweise Mehr Informationen: in den ersten beiden Februarwochen → www.ethz.ch/podcast Bild: Jennifer Khakshouri ETH GLOBE 2/2019
NEW AND NOTED Synthetische Biologie AM COMPUTER ERZEUGTES GENOM Beat Christen, ETH-Professor für experimentelle Systembiologie, und Matthias Christen, Chemiker an der ETH, entwickelten eine neue Metho- de, welche die Herstellung von gros- sen DNA-Molekülen mit vielen hun- dert Genen enorm vereinfacht. Sie erstellten damit weltweit das erste komplett am Computer erzeugte Ge- nom eines Lebewesens: Caulobacter ethensis-2.0. Allerdings existiert bis- her nur das Genom, einen dazugehö- C. ethensis-2.0 fusst auf dem Genom von Caulobacter crescentus, einem Bakterium, rigen Organismus gibt es noch nicht. das weltweit in Gewässern vorkommt, unter anderem im Zürichsee. 10 Anzeige Inspired by the best: Weiterbildung für akademisch gebildete Fach- und Führungskräfte MAS, DAS, CAS und Fortbildungskurse auf www.sce.ethz.ch ETH GLOBE 2/2019 Bild: Science Photo Library / Martin Oeggerli
NEW AND NOTED Klimaforschung es nun gelungen, die Senkenleistung des Ozeans in einem Zeitraum von CO2-SPEICHER 13 Jahren zu bestimmen. So nahmen IM OZEAN die Weltmeere zwischen 1994 und 2007 insgesamt rund 34 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus der Atmo- Nicht alles Kohlendioxid (CO2), das sphäre auf. Dies entspricht rund einem beim Verbrennen von fossilen Energie- Drittel der gesamten menschgemach- trägern in die Luft gelangt, verbleibt in ten CO2-Emissionen in diesem Zeit- In Mikro-Gelkügelchen werden Stoffe der Atmosphäre und trägt zur Erd raum. auf ihre antibiotische Wirkung getestet. erwärmung bei. Die Weltmeere neh- Die Forschungsarbeit beinhaltete men beachtliche Mengen der mensch- aufwändige Messungen der CO2-Kon- gemachten CO2-Emissionen aus der zentration und anderer chemischer Mikrobiologie Atmosphäre auf. Die Fragestellung, und physikalischer Grössen in den ver- welche Menge an CO2 der Ozean genau schiedenen Meeren von der Oberflä- NEUE KANDIDATEN FÜR ANTIBIOTIKA aufnimmt, ist für die Klimaforschung che bis zum Meeresboden in teils bis zu zentral. Denn ohne diese marine Koh- sechs Kilometern Tiefe. Diese tiefen lenstoffsenke wäre die CO2-Konzent- Messungen waren nötig, weil das CO2, ration in der Atmosphäre deutlich nachdem es sich im Oberflächenwasser Forschende aus der Gruppe von höher und der menschgemachte Klima- löst, mit marinen Umwälzpumpen ver- ETH-Professor Sven Panke am De- wandel entsprechend stärker. teilt wird: Meeresströmungen und Mi- partement für Biosysteme der ETH 11 Einem internationalen Team von schungsprozesse verfrachten das ge- Zürich in Basel haben eine Methode Wissenschaftlern aus sieben Nationen löste CO2 von der Oberfläche bis tief in entwickelt, mit der sie schnell eine unter der Leitung des ETH-Professors die Ozeanbecken, wo es sich über die grosse Anzahl an Molekülen auf ihre für Umweltphysik Nicolas Gruber ist Zeit anreichert. antibiotische Wirkung testen kön- nen. Während es heute bis zu einem Jahr dauert, um 10 000 Wirkstoffpro- duzenten zu testen, können mit der neuen Methode innerhalb von weni- gen Tagen Millionen von Varianten untersucht werden. Die potenziell antibiotisch wir- kenden Stoffe werden dazu zusam- men mit Sensorbakterien in Mikro- Gelkügelchen eingebettet und so auf ihre Wirkung getestet. Mit dieser neuen Technologie ist es den ETH- Wissenschaftlern gemeinsam mit nie- derländischen und deutschen Kolle- gen gelungen, eine Reihe neuer Anti- biotika-Kandidaten zu identifizieren. Die CO2-Konzentration im Ozean wird anhand von Probenflaschen Mehr Informationen zu diesen und in einer Messrosette bestimmt. weiteren Forschungsnachrichten aus der ETH Zürich finden Sie unter: → www.ethz.ch/news Bilder: Nicolas Gruber; Steven Schmitt und Helena Shomar ETH GLOBE 2/2019
FOKUS SCIENCE FIC TION – SCIENCE FA C T S Die Lust, Neues zu denken, eint Forschende und Science- 12 Fiction-Autoren. Doch während Science-Fiction- Autoren Fantasiewelten bauen, prüfen Forschende ihre Ideen streng an den Gesetzen der Wissenschaft. Die Fokusartikel geben Einblick in Forschungsgebiete, die wie Science-Fiction klingen, aber auf dem Weg zur Realität sind. In der Bildserie verraten Forscherinnen und Forscher, welche Science-Fiction-Geschichten sie faszinieren und woran sie selbst gerade arbeiten. Dabei verschmelzen beide Welten in den Illustrationen von Cornelia Gann. ETH GLOBE 2/2019
FOKUS Laura Corman – Physikerin an der Professur für Quantenoptik Mein Untersuchungsobjekt ist eine winzige Atomwolke. Sie ist einen Drittel Millimeter lang und nahe am absoluten Temperaturnullpunkt. Ich spalte sie in zwei Teile auf, die durch eine winzige Verbindung, durch die die Atome fließen können, in Kontakt bleiben. Indem wir mit wechselnden Interaktionen, Ver- bindungsformen usw. untersuchen, wie sich dieser Fluss verändert, verbessern wir unser Verständnis von Vielteilchen- problemen. 13 ARRIVAL Als Experimentatorin stelle ich mir oft vor, was passieren könnte, wenn ich einige Parameter in meinem Setup änderte. In seinen Science- Fiction-Erzählungen «Stories of Your Life and Others» geht Ted Chiang erzäh- lerisch ähnlich vor. Die Titel geschichte wurde Grund- lage für den Film Arrival. Collage: Quantum Optics Group; Annick Ramp ETH GLOBE 2/2019
FOKUS «DIE FRAGE IST KANN MAN DEN COMPUTER NOCH ABSTELLEN?» Computer werden immer intelligenter und lernen immer öfter von echten Menschen im Internet statt mit aufbereiteten Datensätzen. Können Computer den Menschen bald übertrumpfen oder ist das Science-Fiction? Ein KI-Forscher und ein Computerhistoriker geben Antwort. INTERVIEW Roland Baumann und Florian Meyer 14 L esen Sie Science-Fiction? DAVID GUGERLI – Science-Fic tion-Bücher im herkömmlichen Sinn lese ich fast nie. Allerdings hat das Meiste, was ich als Technikhistoriker Selbstfahrende Autos sah man in Fil- men schon lange bevor man die Tech- nologie hatte, um solche Autos wirk- lich zu bauen. Auch automatische Spracherkennung und -übersetzung nen, also komplexe Zusammenhänge automatisch aus Daten zu erkennen. GUGERLI – In der Computergeschich- te wurde schon früh und viel von künstlicher Intelligenz gesprochen, in Archiven lese, durchaus Science-Fic- kommen in Science-Fiction-Filmen nicht selten mit grosser Aufregung. tion-Qualität. Denn was Ingenieure schon lange vor. Heute sind sie dank Das Scheitern der künstlichen Intelli- und Computerwissenschaftler über die KI-Technologien eine Realität. genz liegt sicher auch daran, dass sich Zukunft schreiben, hat dort, wo es die Vorstellungen davon, was genuin nicht trivial ist, ziemlich fiktiven Cha- Was verstehen Sie unter menschliche Intelligenz ist, verän- rakter. künstlicher Intelligenz? dern. Seit Computer besser Schach KRAUSE – KI umfasst verschiedene spielen können als Menschen, ist Weshalb? Ansätze zur Lösung komplexer Auf Schachspiel nicht mehr fraglos eine GUGERLI – Weil sich Randbedingun- gaben, die man typischerweise mit Frage der Intelligenz. Genauso wenig gen der Gedankenexperimente zur Zu- menschlicher Intelligenz verbindet, wie schnelles Rechnen. Wer Quadrat- kunft verändern. Auch solche, die für wie etwa Sprache verstehen oder wurzeln grosser Zahlen im Kopf be- extrem stabil gehalten werden. Schach spielen. Es geht darum, dass rechnen kann, steht nicht unter Intelli- Computer schwierige – meist mit Un- genzverdacht, sondern tritt in TV- Der Autor Isaac Asimov schrieb bereits sicherheit behaftete – Aufgaben lösen Shows als kuriose Erscheinung auf. in den 1940er Jahren über Maschinen können. Seit dem Computerpionier mit künstlichen Gehirnen, also Roboter. Alan Turing, der künstliche Intelligenz Und an welchem Punkt der Heute dringt «Künstliche Intelligenz» 1950 als Erster in seinem Artikel Entwicklung steht die KI heute? (KI) mehr und mehr in die Realität vor. «Computing Machinery and Intelli- KRAUSE – Mit der Digitalisierung un- Ist Science-Fiction eine Inspiration für gence» beschrieb, hat es verschiedene serer Gesellschaft werden die virtuelle die KI? Interpretationen des Begriffs gegeben. und auch die physische Welt immer ANDREAS KRAUSE – Die Inspiration Heute verbindet man damit ganz zent- besser beobachtbar. Rechenkapazität kann aus der Science-Fiction kommen. ral die Fähigkeit von Maschinen zu ler- und Datenmengen sind exponentiell ETH GLOBE 2/2019
FOKUS führender Forscher für maschinelles Lernen und adaptive Systeme. und Co-Direktor des Swiss Data Science Center. Er ist ein weltweit Andreas Krause – ist Professor für Informatik an der ETH Zürich gewachsen. Diese Entwick- gen des Systems. Das ist eine wechsel- lung hat das Potenzial der seitige Anpassung. datengetriebenen Lernver- fahren enorm vergrössert Herr Krause, Sie untersuchen auch, und zu grossen Fortschritten wie Maschinen und Menschen zusam- geführt. «Digitale Transfor- men an Aufgaben arbeiten, die beide mation» oder «Industrie allein nicht lösen könnten. Wie funktio- 4.0» – es gibt kaum eine niert das Zusammenspiel von Mensch Branche, die davon nicht be- und Maschine, wenn beide intelligent troffen ist, und in vielen Be- Technologien nur implementieren las- und lernfähig sind? reichen werden KI-Techno- sen, wenn sie anschlussfähig sind. Wo KRAUSE – Eine Kernfrage der KI ist es, logien heute schon indust sie keinen Anschluss finden an wissen- wie Maschinen den Menschen optimal riell eingesetzt. schaftliche Forschung, an industrielle unterstützen können. Da stellen sich Verfahren, an Unterhaltungssysteme sehr spannende Fragen zum Beispiel Wo ist die Technologie beson- oder an administrative Bedürfnisse, darüber, was die beste Kombination ders verbreitet? sind sie wirkungslos. Dass es in der menschlicher und maschineller Intelli- KRAUSE – KI-Technologien werden im Computergeschichte grosse qualitati- genz ist. Maschinen können vom Men- Online-Marketing, im Internethandel ve Veränderungen gibt, will ich damit schen lernen, komplexe Muster zu er- und für Empfehlungssysteme, wie zum nicht bestreiten. kennen. Sie können aber auch die Beispiel von Büchern und Filmen, ein- Menschen beim Lernen und Entde- gesetzt. Alltagsprodukte wie Smart- An welche Veränderungen denken Sie? cken unterstützen. Was können, um 15 phones oder Kameras verwenden die- GUGERLI – Die Komplexität von Soft- das Beispiel des Brettspiels Go zu er- se Techniken. Aber auch in anderen ware-Umgebungen hat sich mit der wähnen, Menschen lernen, wenn eine Schlüsselindustrien der Schweiz wie Zeit so stark erhöht, dass nur Maschi- zum Beispiel dem Maschinenbau, nen in der Lage sind, die systemweiten Pharma und Chemie, Medizintechnik Auswirkungen eines Updates oder ei- «In vielen Bereichen oder dem Finanzwesen haben die nes neu installierten Moduls abzu- wird KI schon heute KI-Techniken ein riesiges Potenzial. schätzen und adäquate Veränderungen Etwa um neuartige Arzneien zu entwi- an anderen Programmteilen vorzu- industriell eingesetzt.» ckeln oder um industrielle Abläufe und nehmen. Dass Maschinen den Nutzer Andreas Krause Prozesse zu verbessern. als Komponente des Systems behan- deln oder dass Maschinen von Men- Herr Gugerli, wie sehen Sie als schen unterstützt werden – und nicht künstliche Intelligenz neue Spielzüge Technik- und Computerhistoriker umgekehrt –, sind weitere Beispiele entwickelt, die zuvor kein Mensch je diese Entwicklung? Erleben wir eine für qualitative Veränderungen aus der gespielt hat? Wie kann eine Maschine disruptive Entwicklung? Computergeschichte, die bis in die Ge- erklären, wie sie zu einer bestimmten GUGERLI – Disruptiv ist ein ziemlich genwart hineinwirken. Entscheidung gekommen ist? Das sind neuer Begriff und heisst vermutlich interessante Grundlagenfragen. einfach «innovativer als innovativ», Zum Beispiel die Spracherkennung präzedenzlos, noch nie dagewesen. der Smartphones? Sie sprechen das Computerprogramm Schon Joseph Schumpeter, der Inno- GUGERLI – Genau. Jeder spricht die AlphaGo Zero an, das Furore machte, vationstheoretiker der ersten Stunde, Wörter etwas anders aus, und die als es im Go professionelle Spitzen- hat von der «kreativen Zerstörung» Spracherkennung kapiert das. Natür- spieler schlug. der Innovation gesprochen. Das ist lich kann man da sagen, dass der KRAUSE – Ja. Das Spiel gilt als beson- nicht unproblematisch. Bei Schumpe- Mensch das System trainiere, bis es die ders komplex, da es – etwa im Gegen- ter braucht es dafür einen Unterneh- individuellen Eigenheiten der Aus- satz zu Schach – viel mehr verschiede- mer, der aufgrund seiner Grösse und sprache des Nutzers aushalte. Aber ne Spielstellungen gibt und es schwie- Macht alles verändern kann. Leicht man kann auch sagen, die User werden rig ist, Stellungen zu bewerten. Man geht dabei vergessen, dass sich neue tolerant gegenüber den Anforderun- hat AlphaGo Zero trainiert, indem Bild: Giulia Marthaler ETH GLOBE 2/2019
FOKUS Barbara Solenthaler – Senior Researcher am Computer Graphics Lab Heute leite ich am Computer Graphics Lab der ETH Zürich die Forschung im Bereich Simulation und Animation. Wir arbeiten an neuen, robusten Simulationsmethoden (zum Beispiel dieses Schiff im Wasser, in Zusammenarbeit mit der Universität Frei- burg) und verbinden Physikmodelle mit Methoden der künstlichen Intelligenz. THE MATRIX Der Film «The Matrix» er- schien, als ich gerade mit meinem Informatikstudium an der ETH begonnen 16 hatte. Die visuellen Effekte waren zu jener Zeit revolutionär und weckten mein Interesse an der Computer- grafik. ETH GLOBE 2/2019
FOKUS ETH Zürich. 2018 erschien von ihm die Monografie «Wie die Welt in den Computer kam. Zur Entstehung digitaler Wirklichkeit». David Gugerli – ist Professor für Technikgeschichte an der man das Programm gegen sich selbst Computer im Voraus ein be- spielen liess. Es hat im Voraus keinerlei stimmtes Ziel setzt. Ein Bei- Kenntnis von menschlichen Spielzü- spiel wäre die automatisierte gen erhalten, sondern nur die Spielre- Suche nach unterschiedli- geln. Das System testet, wie ein simu- chen, noch nicht bekannten lierter Gegner auf die eigenen Züge Subtypen von Krankheiten, reagiert, und kann so lernen, welches die möglicherweise eine per- Spielverhalten gut ist und welches sonalisierte Behandlung er- nicht. lauben. Beide Lernarten sind GUGERLI – Die Entwicklungen rund in gewissem Sinn «passiv», Die Besatzung der Raumfähre Gemini um AlphaGo Zero sind computerhisto- da menschliche Experten die IV hatte damit grosse Schwierigkeiten. risch aufregend, weil hier eine Maschi- Daten vorgeben, aus denen Und erfahrenen Windows-Usern war ne aus ihrem eigenen Verhalten, ihren die Maschine lernt. zwar immer klar, wo der Startknopf eigenen Prozessen lernen kann. Wenn war, weil der in älteren Windows-Ver- die Maschine damit dem Menschen als Gibt es auch aktive Lern sionen deutlich angeschrieben war. Go-Spielerin überlegen wird, ist das verfahren? Beim Ausschalten des Laptops half kaum ein Problem. Schliesslich fährt KRAUSE – AlphaGo Zero ist ein Bei- dagegen oft nur das Entfernen der Bat- jedes Auto schneller, als ich gehen spiel für das «Reinforcement Lear- terie. kann. Der Mensch-Maschine-Vergleich ning», eine Art «aktives» Lernen, bei als Teil der anthropologischen und ge- dem das Lernverfahren aus den Konse- Gibt es auch übertriebene Erwartungen sellschaftlichen Selbstvergewisserung quenzen selbst getroffener Entschei- an die künstliche Intelligenz? 17 ist nur so lange interessant, bis die dungen lernt. Bekannte Beispiele für KRAUSE – KI-Technologien werden im- Maschine gewinnt. Dann werden die solche aktiven Lernverfahren sind mer besser darin, komplexe, aber spe- Spielregeln anders formuliert. auch die Empfehlungssysteme für Bü- zialisierte Aufgaben zu lösen. Vo cher und andere Produkte, die heute raussetzung ist, dass hinreichend viele ein Rückgrat vieler Internetanwen- Daten von guter Qualität zur Verfü- «Die Maschine, die dungen bilden. Diese Verfahren lernen gung stehen. Die Reinforcement-Lear- Menschen beim Go daraus, wie die Benutzer auf die Emp- fehlungen reagieren, ob sie zum Bei- ning-Technologien funktionieren bis- her vor allem da gut, wo man ein ge- überlegen sein wird, spiel den Link anklicken und das Pro- naues Modell der Wirklichkeit hat. ist kaum ein Problem.» dukt kaufen: also nicht anhand von im Vorhinein ausgewählten Trainings Beim Go-Spiel etwa weiss man, wie das Spielbrett aussieht. Die Welt ist aber David Gugerli daten, sondern durch Interaktion mit viel komplexer und lässt sich nur in be- ihren Nutzern. grenztem Umfang simulieren. Hier bestehen grosse Herausforderungen Wie unterscheidet sich das Lernen eines Können Computer auch lernen, wie sie darin, mit Unsicherheit umzugehen Computers von dem des Menschen? Menschen überlisten oder anlügen, wie und zuverlässige Entscheidungen zu KRAUSE – Maschinelles Lernen hat Supercomputer HAL im Science-Fiction- treffen – Fragen, mit denen wir uns in verschiedene Varianten. Am weitesten Film «2001 – A Space Odyssey»? unserer Forschungsgruppe auseinan- verbreitet ist das überwachte Lernen, KRAUSE – Natürlich kann man im Sinn dersetzen. Absolut unklar ist auch, wie das man als eine Imitation der mensch- der Science-Fiction über derlei Szena- wir Allgemeinwissen automatisieren lichen Fähigkeit, Muster zu erkennen, rien nachdenken. Wenn man die ak und im Computer nachbilden können. verstehen kann. Anhand eines Daten- tuellen Möglichkeiten der KI jedoch Bisher gibt es keine KI-Verfahren, die satzes und klarer Ziele wird ein künst- realistisch betrachtet, sind wir in den im Stande sind, eine breite Palette von liches neuronales Netz darin trainiert, nächsten Jahren weit davon entfernt, verschiedensten Aufgaben zu lösen, so Tumore in Pathologie-Scans zu erken- dass diese Gefahr konkret besteht. wie wir Menschen das eben sehr gut nen. Auch das unüberwachte Lernen GUGERLI – Vielleicht ist die entschei- können. sucht nach Regelmässigkeiten in den dende Frage, ob man einen Computer, Daten, jedoch ohne dass man dem wenn er emotional wird, abstellen kann. Bild: zVg Collage: iStock; Computer Graphics Lab; Giulia Marthaler ETH GLOBE 2/2019
FOKUS DER TRAUM ran ein Seismometer, das die Bewe- gungen der Erdoberfläche aufzeichnet. Die ETH Zürich hat die Elektronik für das Gerät entwickelt und wertet nun VOM LEBEN im Auftrag der Nasa die Daten aus. Die Aktivitäten der ETH mit «In- Sight Mars» leitet Domenico Giardini, Professor für Seismologie und Geody- IN ANDEREN namik an der ETH Zürich. «Es ist das erste Mal, dass wir eine hochpräzise Wetterstation für eine so lange Zeit auf WELTEN dem Mars haben», freut er sich. Nach einem halben Jahr zieht er eine positive Zwischenbilanz. «Das Seismometer funktioniert einwandfrei, wir lernen viel.» Bis dato habe das Gerät vier Er- Fremde Planeten beflügeln unsere eignisse aufgezeichnet, die man noch nicht verstehe. Ein registriertes Signal Vorstellungskraft: Warum nicht Mond sei in einer Entfernung von wenigen oder Mars besiedeln? Wo Fakten fehlen, hundert Kilometern zu lokalisieren, die anderen kämen von weiter weg. blüht die Fiktion. Nicht selten wird aus Weswegen das Seismometer aus- Science-Fiction aber irgendwann Realität. geschlagen hat – etwa wegen eines Erd- bebens, eines Meteoriteneinschlags, TEXT Andres Eberhard eines Vulkanausbruchs oder aufgrund starker Windstösse –, wissen die ETH-Forscher noch nicht sicher. «Wir 18 forschen auf völlig neuem Terrain», sagt Giardini. Er vergleicht die Situati- on mit jener von Wissenschaftlern I Mitte des 19. Jahrhunderts, als man m Jahr 1608 schrieb der Astronom ten die ersten Menschen tatsächlich begann, die Vibrationen der Erdober- und Mathematiker Johannes Kep- zum Mond – wenn auch in gasdichten fläche aufzuzeichnen. «Ereignete sich ler einen Roman. Das Buch mit dem Schutzanzügen und ohne die Hilfe von in Japan ein Erdbeben, registrierten Titel «Somnium» handelt von einem Dämonen. Was früher der Mond war europäische Forscher zwar die Vibrati- Traum einer Reise zum Mond. Darin – eine neue, völlig unbekannte Welt onen, hatten aber keine Ahnung, wo- schildern Dämonen detailgenau, wie und damit hervorragend geeignet für her sie kamen.» sie Menschen innerhalb von vier Stun- Zukunftsträume aller Art –, ist heute Genauso schwierig ist es für die den zum Mond bringen können. Die der Mars. Noch wird es einige Jahr- Wissenschaftler heute, herauszufin- fiktive, fast märchenhafte Geschichte, zehnte dauern, bis die ersten Men- den, was die Signale auf dem Mars aus- in der auch Hexen und Mondmen- schen den Mars betreten. Seit einiger gelöst hat. Denn seismische Wellen schen vorkommen, gilt als einer der Zeit schon werten Forscher aber Daten breiten sich auf dem Roten Planeten ersten Zukunftsromane überhaupt. von Raumsonden aus, um den Roten anders aus als auf der Erde. Erst muss Kepler ist demnach nicht nur einer der Planeten besser zu verstehen. also geklärt sein, wie stark sich die Begründer der modernen Naturwis- Wellen auf dem Weg von der Quelle senschaften, sondern eben auch des Messungen auf dem Mars zum Messgerät verändern, bevor Be- Genres der Science-Fiction. Am 26. November des letzten Jahres ben als solche erkannt werden können. Zufall ist das nicht. Auch heute landete die Sonde von «InSight Mars», Derzeit gehen die ETH-Forscher da- noch denken Wissenschaftlerinnen der Mission der amerikanischen Welt- von aus, dass es sich bei einem der vier und Wissenschaftler über das, was raumagentur Nasa, erfolgreich auf registrierten Ereignisse um ein Mars möglich ist, hinaus. Wahrscheinlich dem Mars. Ziel ist es, mehr über die beben gehandelt hat. «Überraschend wird vieles von dem, was heute nach innere Struktur des Planeten und da- ist, dass das Signal eher einem Mond- Science-Fiction klingt, in einigen Jah- mit über dessen Entstehung herauszu- als einem Erdbeben ähnelte», sagt ren ganz normal sein. Dreieinhalb finden. Deshalb hat die Sonde mehrere Giardini. Dies könnte ein Indiz für eine Jahrhunderte nach Keplers Traum reis- technische Geräte an Bord – allen vo Ähnlichkeit von Mars- und Mond- Collage: Moviestore collection Ltd / Alamy Stock Photo; ETH GLOBE 2/2019 Alexander Wollert, Daniela Domeisen; Giulia Marthaler
Daniela Domeisen – Assistenzprofessorin am Institut für Atmosphäre und Klima Abrupte Klimaereignisse können durchaus unser Wetter bestimmen. Der im Bild der Erdkugeln dargestellte Zusam- menbruch des Polarwirbels in der Stratosphäre kann unser Winterwetter innerhalb weniger Tage und für mehrere Wochen lang unter den Gefrierpunkt schicken, wie im Februar / März 2018. Wir erforschen gerade, wie und ob sich die Häufigkeit solcher Ereignisse mit dem Klimawandel ändern könnte. THE DAY AFTER TOMORROW 19 Der Film hat mitgeholfen, den Klima wandel zu einem öffentlichen Thema zu machen, trotz einiger wissenschaftlich fragwürdiger Elemente. Dass der Klimawandel nicht nur weit weg und in ferner Zukunft stattfindet, ist eine wichtige Aussage. ETH GLOBE 2/2019
FOKUS SEIS (Seismic Experiment for Interior Structure) ist vorne links unter dem Schutzschild Künstlerische Darstellung des InSight-Landers – Die Sensorik des Seismometers abgebildet, die ETH-Elektronik liegt gut geschützt im Inneren des Landers. kruste sein. Jedoch sind die Forschen- ihren Unterarm tätowiert hat. Der An- den auf stärkere Beben angewiesen, satz des Films sei also sehr realistisch. um diese These zu erhärten. «Schliesslich wäre es sehr ineffizient, ständig Essen und Trinken auf den Pflanzen für ferne Planeten Mars zu transportieren.» Trotzdem Spricht man mit Giardini, wird eines seien Matt Damons Hollywood-Kar- besonders deutlich: wie wenig gesi- toffeln leider ungeniessbar. «Mars- chertes Wissen es über den Mars heute sand ist für Menschen giftig.» gibt und wie enorm Aufwand und Kos- Noch ist die perfekte Formel nicht ten sind, um mehr über die Beschaffen- gefunden, wie Urin und Kot für den heit des Planeten zu erfahren. Dassel- Anbau von Pflanzen verwendet wer- be gilt für die Gretchenfrage, ob es auf den können, die Nahrungsmittel pro- dem Mars wirklich Spuren von Leben duzieren. Doch Crain und eine Reihe gibt. Giardini geht davon aus, dass die- anderer Forscher sind der Lösung auf se in spätestens zwei bis drei Jahrzehn- der Spur. «Wir müssen allerdings noch ten geklärt sein wird. eine mentale Blockade überwinden, Wo Fakten fehlen, blüht die Fik denn im Mittelalter starben viele Men- tion. Längst spekulieren wir über die schen durch menschliche Fäkalien im Reise zum Mars und darüber, wie wir Trinkwasser.» Durch die heutigen den Planeten besiedeln könnten. Dazu technologischen Möglichkeiten müsse trägt auch die Unterhaltungsindustrie sich jedoch niemand mehr um dieses 20 bei. Ein aktuelles Beispiel ist der Kino- Horrorszenario Sorgen machen. film «Der Marsianer» (2015). Der Film In einem Gewächshaus am For- handelt von einem auf dem Mars zu- schungszentrum Strickhof in Lindau rückgebliebenen Astronauten, der sich prüft die Amerikanerin Tag für Tag, dort durchschlagen muss, bis Hilfe welche Urin-Zusammensetzung die kommt. Seine knappen Essensvorräte Pflanzen am besten gedeihen lässt. Der Ziel des interdisziplinären Studieren- stockt der von Matt Damon gespielte Urin stammt von den Toiletten des denprojekts «Igluna» des Swiss Space Astronaut auf, indem er Menschenkot ETH-Wasserforschungsinstituts Ea- Centers. Konkret soll ein Mondhabitat mit Marserde mischt und so Kartoffeln wag. Das Eawag-Spinoff Vuna verar- simuliert werden. Studierende aus anpflanzt. Wie realistisch ist dieses beitet ihn daraufhin zum Flüssigdün- ganz Europa erforschen, wie eine dau- Hollywood-Szenario wirklich? ger Aurin. erhafte Unterkunft auf dem Mond aus- Grace Crain ist ETH-Doktorandin Eine der grössten Schwierigkeiten sehen könnte und welche Technolo im Rahmen des Projekts «Melissa» der sei, dass Urin viel Salz enthalte, was gien das Leben auf dem Mond ermög- Europäischen Weltraumorganisation viele Pflanzen nicht mögen, erklärt lichen würden. Nun werden erste ESA, das zum Ziel hat, Mond oder Crain. Der verwendeten Pflanze darf Komponenten, die Teil eines solchen Mars – zumindest für Astronauten ei- nicht nur Salz nichts ausmachen, sie Habitats sein könnten, präsentiert. In ner stationären Basis – bewohnbar zu muss auch effizient sein und das von einer Gletscherhöhle auf dem Klein machen. Crains Kerngebiet ist «Space den Astronauten ausgeatmete CO2 in Matterhorn sowie im Dorfzentrum Farming», also die Pflanzenzucht im Sauerstoff umwandeln können. Denn von Zermatt werden Projekte von ins- Weltall. Sie untersucht, wie menschli- das Leben auf dem Mars kommt auf- gesamt 20 Teams aus neun europäi- che Exkremente für unsere Ernährung grund der extremen Bedingungen nur schen Ländern zusammengeführt. wiederverwertet werden können. in geschlossenen Räumen infrage. Die Einzelprojekte decken viele «Länger auf einem fremden Planeten Derzeit experimentiert Crain mit der Bereiche ab, die es für das Leben auf zu leben, wird uns nur durch Recycling Sojabohne. dem Mond braucht: so etwa die Gewin- gelingen», sagt die Amerikanerin, die nung von sauberer Luft, Trinkwasser, Tochter eines Astrophysikers ist, frü- Mondhabitat am Matterhorn Nahrung und Energie. Auch Technolo- her selber gerne Science-Fiction-Bü- Eine stationäre Basis auf einem frem- gien, welche die Navigation erleichtern cher las und sich das Sonnensystem auf den Planeten zu errichten, ist auch das oder das menschliche Wohlbefinden ETH GLOBE 2/2019
FOKUS Weitere Informationen Marsmission InSight: → www.insight.ethz.ch Zur Forschung von Grace Crain: → www.plantnutrition.ethz.ch/ research/nutrients-processes Erste Komponenten des Mond habitats Igluna können derzeit in Zermatt besichtigt werden. Inte ressierte können das Habitat vom 17. Juni bis zum 3. Juli besuchen. → www.spacecenter.ch/igluna Foto vom ETH-Seismometer – Das Gerät 21 registriert Signale auf dem Mars. stärken, sind dabei. «Das Weltall ist für den Welten also vor allem die Studierenden eine grosse Motivati- dabei, um auf unserem eige- on und Inspira tion», sagt Tatiana nen Planeten zu überleben. Benavides, Hub Managerin des Swiss Doch wer weiss schon, ob Space Centers an der ETH, die das nicht doch irgendwann Men- Projekt koordiniert. schen den Mars besiedeln – Wann die ersten Menschen dauer- für kurze oder längere Zeit. haft auf einer Station auf Mond oder Denn manchmal geht es schnell, Mars leben werden, steht definitiv bis aus Science-Fiction Realität wird noch in den Sternen. Doch dürften vie- und sie festgefahrene Denkmuster um- le Technologien, die mit dem Ziel der stösst. Als Johannes Kepler Anfang des Entdeckung fremder Planeten er- 17. Jahrhunderts im Buch «Somnium» forscht werden, auch auf der Erde eine Reise zum Mond erträumte, ging nützlich sein. So könnte beispielsweise es ihm vor allem darum, seine Leser ein Dünger aus Urin, den ETH-Dokto- davon zu überzeugen, dass die Erde randin Grace Crain für einen Einsatz nicht das Zentrum alles Menschlichen im Weltall prüft, auch auf der Erde ver- und Göttlichen sei. Nur ein Jahr später wendet werden. Wenn damit dereinst veröffentlichte er das Werk «Astrono- chemische Dünger ersetzt werden mia Nova», das heute als einer der ers- können, käme dies einer landwirt- ten wissenschaftlichen Beweise dafür schaftlichen Revolution gleich. gilt, dass sich die Erde um die Sonne Vielleicht hilft uns die romanti- dreht und nicht umgekehrt. sche Vorstellung vom Leben in frem- Bilder: Nasa / JPL-Caltech (2) ETH GLOBE 2/2019
FOKUS Noch Zukunftsvision – Mikrochips auf der Grosshirnrinde messen Hirnaktivitäten und aktivieren gezielt notwendige Medikamente. A uf dem Netz finden sich Videos, deren Inhalte sich im Gedächtnis festsetzen. Ein Mann sitzt mit einer Fernsteuerung in der Hand auf dem Sofa. Offensichtlich ist er an Parkinson erkrankt: Seine Hände und Arme zit- tern und beben. Dann hebt er die Fern- steuerung an seine Brust, drückt einen grauen Knopf – und das Zittern lässt fast augenblicklich nach. Was man auf dem Video nicht sieht: Im Hirn des Betroffenen stecken zwei Elektroden, die mit einem auf IN DEN TIEFEN Brusthöhe implantierten Schrittma- cher verbunden sind. Auf Knopfdruck sendet der Schrittmacher elektrische Impulse in die Basalganglien, eine DES GEHIRNS Gruppe von Zellkernen, welche die Be- wegungsplanung steuern. Die Stimu- lation dieses bei Parkinson stark ge- störten Hirnareals stoppt die starken 22 motorischen Störungen fast schlagar- tig. Es ist geradezu gespenstisch. ETH-Forscher nutzen Stimulationen des «Tiefe Hirnstimulation bei Par- kinson ist wohl einer der grössten Er- Hirns, um die Folgen von Stress zu erforschen, folge der Neurowissenschaften», sagt aber auch, um neue Therapien dagegen zu Johannes Bohacek, Assistenzprofessor am Institut für Neurowissenschaften entwickeln. Vielleicht wird es dereinst sogar der ETH Zürich. Auch bei Depressio- möglich, Hirnerkrankungen ohne Pillen nen setzen Wissenschaftler Hirnsti- mulation experimentell ein, doch ein buchstäblich im Schlaf zu heilen. Grossteil dieser Forschung steckt noch TEXT Peter Rüegg in den Kinderschuhen. Einiges mutet mitunter wie Science-Fiction an. Mit Viren ins Hirn Johannes Bohacek selbst nutzt Hirn- Bohacek vereinfacht daher, indem er den, zu klein und zu schwer erreich- stimulationen zur Erforschung von sich auf Einzelteile konzentriert; zur- bar», sagt Bohacek. Ein überaktiver Stress und dessen Folgen für den Orga- zeit auf das noradrenerge System, das Locus caeruleus liegt gewissen Angst- nismus. «Akuter und chronischer bei Stress eine zentrale Rolle spielt. In und Panikstörungen zugrunde. Darum Stress sind Risikofaktoren für psychi- akuten Stresssituationen, zum Beispiel sind viele Forscher und die Pharma sche Erkrankungen», sagt der Neuro- dann, wenn plötzlich ein Feueralarm branche stark daran interessiert, seine wissenschftler. Doch Stressreaktionen losgeht, wird das Gehirn mit Norad- Funktionen besser zu verstehen. zu ergründen, sei sehr kompliziert, renalin überflutet. Dafür zuständig ist Um gezielt untersuchen zu kön- weil sich Stress auf den gesamten Kör- ein einziges, winziges Hirnareal, der nen, was sich in diesem Hirnareal bei per auswirke und viele Organe und Bo- Locus caeruleus. Er liegt wie eine Nadel Stress abspielt, verändert der ETH- tenstoffe involviere. «Das erschwert im Heuhaufen tief im Hirnstamm ver- Professor mit Hilfe von Viren gezielt es, das Phänomen Stress gezielt zu un- borgen. «Er ist für Sonden, wie sie zur Nervenzellen des Locus caeruleus. tersuchen.» tiefen Hirnstimulation genutzt wer- Dazu arbeitet er mit einer speziellen ETH GLOBE 2/2019 Illustration: Jemère Ruby nach dem Konzept von Mehmet Fatih Yanik
FOKUS Mauslinie, die das Virus in den Locus Das ist allerdings wenig spezifisch, Dort ballen sich die Partikel für einen caeruleus zwingt. Das Virus sorgt da- denn die Zielmoleküle kommen oft im kurzen Moment zusammen und setzen für, dass sich auf der Oberfläche der gesamten Gehirn oder sogar im übri- die Wirkstoffe frei. Auf diese Weise re- Nervenzellen ein künstlicher Rezeptor gen Körper vor, nicht nur in den Hirn gulieren sie hochkonzentriert und äus- (Empfängermolekül) ausbildet. arealen, die man mit dem Medikament serst gezielt die aus dem Lot geratenen Die Forscher verabreichen dann beeinflussen möchte. Hirnschaltkreise. den Mäusen eine Substanz, die sich mit Yanik hat deshalb eine andere Vor- Von der Realisation eines solchen diesen Rezeptoren verbindet, damit stellung davon, wie die Therapie von Systems ist er zwar noch Jahrzehnte die betreffenden Neuronen erregt wer- Hirnerkrankungen in Zukunft ausse- entfernt, doch einzelne Puzzleteile den und die Ausschüttung von Nordad- hen könnte. «Das ist im Moment eine werden derzeit intensiv erforscht und renalin bewirkt wird, ohne dass vor- reine Vision», schmunzelt er. Aber ei- an Tieren erprobt. Beispielsweise die gängig das gesamte Stresssystem akti- mit fokussiertem Ultraschall freige- viert werden musste. So können setzten Wirkstoffe. Yanik und seine Bohacek und sein Team klären, was «Tiefe Hirnstimulation Mitarbeitenden haben es vor Kurzem daraufhin im gesamten Gehirn abläuft. Von solchen Versuchen erhofft bei Parkinson ist geschafft, mit schwachen Ultraschall- wellen Mikropartikel in definierten sich der Neurowissenschaftler, die Ur- wohl einer der grössten Hirnarealen der Ratte zu konzentrie- sachen von Stresserkrankungen besser zu verstehen. «Um griffigere Thera Erfolge der Neuro ren, zu öffnen und deren Ladung – be- reits für klinische Anwendungen zuge- pien entwickeln zu können, müssen wissenschaften.» lassene Wirkstoffe – freizusetzen. Ya- wir erst die molekularen Stressmecha- niks Team hat zudem einen neuartigen 23 nismen besser kennenlernen. Ein Johannes Bohacek Algorithmus entwickelt, um im Tier- spannender Ansatz wäre es, die Erreg- modell krankhafte Hirnaktivitätsmus- barkeit des Locus caeruleus mit ähnli- ter zu identifizieren und die entspre- chen Methoden wie der Hirnstimula gentlich ist es ihm ernst damit. Jüngst chende Erkrankung zu behandeln. tion zu drosseln», erklärt Bohacek. bewarb er sich mit diesem Projekt er- Bleibt die Frage: Braucht die «Ob und wann diese Techniken Einzug folgreich für Forschungsgelder von Menschheit wirklich ein derartiges in die klinische Realität finden werden, der EU. Science-Fiction-Szenario zur Heilung muss sich weisen.» Seine Idee: Eine Person liegt im von Gehirnerkrankungen? Yanik ist Bett, den Kopf auf das Kissen gelegt, davon überzeugt: «Existierende The- Hirn-Maschinen-Schnittstelle das drahtlos mit Mikrochips kommu- rapien genügen nicht. Vierzig der Neue Therapien für Hirnerkrankun- niziert, die auf der Grosshirnrinde schwersten Hirnerkrankungen sind gen stehen auch bei Mehmet Fatih Ya- platziert sind. Während der Mensch nach wie vor nicht therapierbar. Heute nik zuoberst auf der Traktandenliste. schläft, übermitteln tausende von win- schlucken wir Pillen gegen psychische «Wir arbeiten an neuen Technologien, zigen Elektroden hochaufgelöste In- Erkrankungen oder es kommen bes- um Netzwerk-Fehlfunktionen bei Hirn- formationen über die Aktivität einzel- tenfalls elektromagnetische Strahlung erkrankungen zu korrigieren. Solche ner Nervenzellen an die Chips. Diese oder Ultraschall zum Einsatz. Das ist Fehlfunktionen liegen Erkrankungen berechnen, ob die Hirnschaltkreise ungefähr so wirksam, wie wenn man wie Depression, Schizophrenie oder normal funktionieren oder ob sie pa- einen Supercomputer mit einem Ham- Autismus zugrunde», sagt der Profes- thologische Muster aufweisen und eine mer reparieren wollte.» sor für Neurotechnologie am Institut therapeutische Intervention notwen- für Neuroinformatik der ETH und der dig wird. Universität Zürich. Ein an den Blutkreislauf ange- Zur Stressforschung von Johannes Bohacek: Gehirnerkrankungen werden nach schlossenes Implantat gibt dann mit → www.bohaceklab.ethz.ch wie vor meistens mit Pillen behandelt. Wirkstoffen beladene Mikropartikel Dabei bindet sich ein Wirkstoff an das ab. Die Mikrochips aktivieren darauf- Zur Forschung von Mehmet Fatih Yanik: passende Zielmolekül in der Nerven- hin weitere Module, die Ultraschall- → www.neurotechnology.ethz.ch zelle und löst dadurch eine biochemi- wellen erzeugen und sich auf eine be- sche Signalkaskade in der Zelle aus. stimmte Stelle des Gehirns richten. ETH GLOBE 2/2019
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