Wohnen im Kontext In der Gemeinschaft, im Quartier, in der Stadt - Bund Deutscher Architekten im Lande Hessen
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Wohnen im Kontext In der Gemeinschaft, im Quartier, in der Stadt Bund Deutscher Architekten im Lande Hessen 1
Inhalt Langfristig denken 4 Wohnungsbau wird immer ein Thema sein und bleiben Joachim Klie Vorsitzender des BDA Hessen Strukturen und Diskurse Modelle, Organisationsformen, politische Dimensionen Das Leben fordert neue Räume Gute Gründe für ein Umdenken 8 Birgit Kasper Eine Rechtsform für die Gemeinschaft Innenansicht: Anders Wohnen in der Genossenschaft? 14 Birgit Diesing Weiter wohnen wie gewohnt? Partizipative Bau- und Wohnformen Hilde Strobl 20 Das Wohnen und die ganze Stadt Steuern. Entschlacken. Beschleunigen. Stefan Rettich 26 Warum Baukosten senken? Wohnungsbau, Architektur, Baukosten 34 Thomas Jocher 2
Projekte und Experimente Architektonische Konzepte Wer teilt, bekommt mehr 44 Die Wohngruppe ‘Gemeinsam Suffizient Leben’ in Frankfurt am Main Hans Drexler Making Neighbourhood 48 Das „Kasseler Modell“ – ein Weg zu kostengünstiger, flexibler und guter Architektur Matthias Foitzik Einheit von Wohn- und Energiekonzept 52 Das Forschungsprojekt „Plus Energy and Modular Future Student Living – CUBITY“ Matthias Schönau Chancen nutzen, weiterdenken 56 Möglichkeiten und Perspektiven des Bauens mit Raummodulen aus Holz Nicole Berganski Treppen und Aufzüge müssen draußen bleiben 60 Ein Typus für den kostengünstigen Wohnungsbau Michael Schumacher Autoren, Literaturempfehlungen 64 Bildnachweis, Impressum 65 3
Langfristig denken Wohnungsbau wird immer ein Thema sein und bleiben Als sich im Herbst 2015 die Situation in Deutschland werden kann. Es geht darum, jetzt Verfahren, die aufgrund der hohen Zahl Geflüchteter zugespitzt sich bewähren, zu verstetigen, damit sie zukünftig hatte, wurde auch der Blick auf den Wohnungsmarkt als verlässliche Instrumente zur Verfügung stehen. geschärft. Doch die Lage auf dem Wohnungsmarkt Und es gilt, trotz aller gebotenen Eile, nicht in der war auch vorher schon aus der Balance geraten, es Vergangenheit mühsam errungene Qualitäten über wurde also nur intensiver wahrgenommen, was als Bord zu werfen, Standards, von denen gerade die Entwicklung schon lange vorher absehbar gewesen Benachteiligten der Gesellschaft profitieren, wieder war. So finden wir uns im Sommer 2017, nachdem aufzugeben. sich die Zahl der Geflüchteten, die bei uns aufge- Vielleicht besteht jetzt auch die Chance, die unbe- nommen werden, wieder stark reduziert hat, nach quemen Fragen zu stellen, die in Zeiten der entspann- wie vor auch deswegen mit einer angespannten teren Marktlage keiner zu stellen wagt: die nach ei- Lage auf dem Wohnungsmarkt konfrontiert, weil die ner fairen Besteuerung von Bodennutzung. Die da- Versäumnisse auf diesem Gebiet sich auf mehr als nach, wie die Orientierung am Allgemeinwohl, zu zwanzig Jahre erstrecken. Sie betreffen die Art und dem das Grundgesetz Eigentümer verpflichtet, tat- den Umfang der Förderung, sie betreffen die feh- sächlich eingelöst wird. lende vorausschauende Bodenbevorratung der Ge- Und schließlich geht es darum, was uns als Gesell- meinden, sie betreffen vielleicht auch die Illusion, die schaft eine Architektur wert ist, die nachhaltig und man sich gemacht haben mag, dass die Bevölkerung dauerhaft genutzt werden kann, auch dann, wenn Deutschlands abnehmen werde. Der Frage, wie ein sich die gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbe- Markt strukturiert sein müsse, der auch auf die ver- dingungen geändert haben werden. Die Diskussion änderte Zusammensetzung der Gesellschaft, auf das um den Wohnungsmarkt ist deswegen auf der Ebe- steigende Durchschnittsalter, die vielfältigen Bio- ne des Städtebaus und der Architektur zu führen grafien und Lebensformen reagieren kann, wurde und nicht auf der des Stils. Sie umfasst die ganze eventuell eine zu geringe Bedeutung zugemessen. Bandbreite des architektonischen Schaffens, von der Nun sind wir schlauer. Im Rückblick ist es immer städtebaulichen Einbindung über die Konstruktions- einfacher, die Ursachen für eine aktuelle Misere methoden bis zur Grundrissgestaltung. Der Zugang auszumachen. Das Wissen um die Fehler, die ge- zum Wohnungsmarkt ist eine der grundlegenden macht wurden, ist deswegen aber vor allem eine Säulen eines fairen Zusammenlebens. Viele Landes- Verpflichtung. Denn gerade mit diesem Wissen gilt verfassungen haben deswegen den Anspruch auf es heute darauf zu dringen, dass die Wohnungspo- angemessenen Wohnraum als Staatsziel aufgenom- litik nicht nur auf kurzfristige Effekte zielt, sondern men. auf mittel- und langfristige Wirkungen achtet. Gera- de die schnell wirksamen Maßnahmen könnten die Probleme von morgen erzeugen. Es geht im Gegen- teil darum, wie eine stabile Struktur in Bewohner- schaft und in der Mischung von Nutzungen erreicht 4
Als sich der BDA Hessen Anfang 2016 entschlossen chitekten bestehen kann. Hier haben gerade die hatte, eine Veranstaltungsreihe mit dem Schwer- Kolleginnen und Kollegen aus Hessen anschaulich punkt auf den Wohnungsbau in allen fünf regio- machen können, dass auf der Ebene der Architektur nalen Gruppen des BDA Hessen durchzuführen, sorgfältiges Planen und intelligentes Entwerfen ei- sollte deswegen auch der Wohnungsbau allgemein nen wichtigen Beitrag leisten können, ein den Men- Thema werden. schen gemäßes und würdiges Wohnraumangebot Die Suche nach würdigen Unterkünften für Ge- zu machen. Wir wissen sehr wohl, dass auch noch flüchtete war einer unter vielen Teilaspekten, die so gute Architektur alleine das Problem nicht löst. dabei zur Sprache kommen sollten. Ziel war es, ein Wir wissen aber auch, dass sie einen Unterschied Bewusstsein für einen breit angelegten Ansatz zu ausmacht, dass zu einem anderen Wohnungsmarkt schaffen, der viele Ebenen berücksichtigt: der den auch die gute Architektur gehört. Bestand und Neubau einschließt, der verschiedene Dafür zu werben, dass die Voraussetzungen geschaf- Wohnformen und Wohnmodelle neben Standard- fen werden, dass Architektur ihr Potenzial entfalten lösungen etabliert, der die Möglichkeiten zur För- kann, ist dem BDA eine dauerhafte Verpflichtung. derung und Aktivierung des zivilgesellschaftlichen Mit dieser Veröffentlichung der Konferenz vom No- Potenzials nutzt, der Städte jeder Größenordnung vember 2016 kommen wir ihr nach und hoffen, dass ebenso wie den ländlichen Kontext berücksichtigt diese Publikation viele interessierte Leser findet und und der Land, Kommunen und private Investoren inspiriert. gleichermaßen in die Pflicht nimmt. Denn eine ein- fache Antwort auf die Herausforderung des Woh- Joachim Klie nungsmarkts wird es nicht geben können. Vorsitzender des BDA Hessen Eine Konferenz am 30. November 2016 im Deut- schen Architekturmuseum schließlich bündelte die Themen der Veranstaltungen, die in den Gruppen des BDA Hessen landesweit 2016 in Form von Vor- trägen, Ausstellungen, Diskussionen, Exkursio-nen stattgefunden hatten. Sie griff exemplarisch die Themen auf, die sich als die für den Umgang mit der Problematik wichtigen herauskristallisiert hatten. Die Konferenzbeiträge schlossen den Blick von außen ein und haben die Bandbreite der Wohn- und Orga- nisationsformen präsentiert. Die kritische Perspekti- ve auf die Forderung nach billigerem Bauen wurde ebenso berücksichtigt wie die nach dem großen politischen Rahmen. Und schließlich ging es darum, zu klären, worin denn letztlich der Beitrag der Ar- 5
Birgit Kasper Das Leben fordert neue Räume Gute Gründe für ein Umdenken Warum gibt es die innovativen, gemeinschaftlichen der Wohnbiografien, der Differenzierung von Milieus und genossenschaftlichen Wohnformen nicht schon und neuen Kohorteneffekten ausgehen kann, wird viel häufiger? Wenn man die Gründe betrachtet, andererseits die industrielle Herstellung von Wohn- warum sich Haushalte mit Kindern, Empty Nesters raum weiter optimiert, weil bei der gewerblichen oder ältere Singles mit gemeinschaftlichen Wohn- Wohnungswirtschaft die betrieblichen Sachzwänge projekten oder Baugruppen befassen, so stellt man und die Logik der Renditeerwartung im Vordergrund fest, dass die aktuellen Produktionsbedingungen stehen. Und die öffentliche Hand? Kommunen und von Stadt nicht – oder nicht mehr – ihren Wohnbe- Bundesländer sind ihrerseits eine Bündelung teilwei- dürfnissen entsprechen. Denn während man auf der se gegensätzlicher Interessen und Ziele. Daher ist es einen Seite inzwischen gesichert von einer weiter nicht verwunderlich, dass innovative Wohnformen wachsenden Vielfalt der Lebensstile, dem Wandel in manchen Bundesländern am Wohnungsmarkt Traditionelle Wohnbiografie Zunahme der Variationen Kindheit im Haushalt der Eltern Umzug wegen Scheidung oder beruflichen Veränderungen der Eltern, Migrationshintergrund Ausbildung/Studium am gleichen Ort Bundesweit ist zumutbar, Auslandssemester, Praktika Familiengründung im suburbanen Einfamilienhaus mit ortsbezogenem Lebensstil Anstellung am gleichen Ort Bundesweit ist zumutbar Singles, unkonventionelle Partnerschaften, kinderlose Paare (jede dritte Akademikerin bleibt kinderlos), Alleinerziehende oder Patchworkfamilien werden häufiger Wegfall der Subventionen für die Suburbanisierung (Eigen- heimzulage), steigende Mobilitätskosten Berufliche Veränderungen mit Ortswechseln, Trennungen, Scheidungen Zweitwohnung, Wochenendbeziehungen Eltern bleiben im Haus in der ge- Haus wird zu groß, zu teuer und zu aufwändig, keine gewach- wohnten Nachbarschaft sene Bindung zur Nachbarschaft, Wahlverwandtschaft gesucht, Überblick über städtischer Lebensstil den Wandel der (Schwieger-)Tochter übernimmt Pflege Nutzung von Ambulanten Diensten, Betreutes Wohnen, Wohn- Wohnbiografien Pflege-Gemeinschaften, Pflegeheim als letzte Perspektive 8
bereits solide etabliert und als wichtige Akteure der Quartiersentwicklung anerkannt sind, während man anderswo noch am Anfang steht und viel Überzeu- gungsarbeit geleistet werden muss. Beteiligung macht den Unterschied Gemeinschaftliche Wohnformen unterscheiden sich vom üblichen Wohnungsbau darin, dass die späteren Nutzer an der Planung beteiligt sind und sich bereits vor dem Bau oder Einzug zu Gruppen zusammenschließen. Sie denken über ihre künftige Nachbarschaft nach, darüber, wie ihre Aktivitäten durch Gebäude und Freiräume ermöglicht werden können und wie der Alltag später sein soll. Sie pla- nen die Intensität ihres nachbarschaftlichen Lebens und finden beispielsweise bei der Umnutzung von Bestandsimmobilien Raumprogramme, die nach be- triebswirtschaftlichen Kriterien zunächst unplausibel erscheinen. Kleinere, rein private Rückzugsräume mit Balkon und Kochnische, dafür breitere Flure, Aufenthaltsräume mit Küche im Erd- oder Dachge- schoss, gern auch nach der Maxime: „Im schönsten chen.1 Zudem formieren sich Allianzen zwischen Blick in den Eingangsbe- Raum im Haus wohnt die Gemeinschaft.“ Manche klassischen gemeinschaftlichen Wohnprojekten und reich des Projekts Kalkbreite in Zürich, eines der interna- Wohnprojekte entdecken die Waschküche wieder, neuen Wohn-Pflege-Formen. Dezentral und selbst- tionalen Vorbildprojekte für mitunter ersetzen ein paar Carsharing-Parkplätze organsiert sind Demenz-WGs oder ambulant be- gemeinschaftliches Wohnen teure Tiefgaragen-Stellplätze. Toberäume für Kinder, treute Wohn-Pflege-Gemeinschaften eine Alternati- Bibliotheken, gemeinsame Gärten, Gästezimmer – ve zum Pflegeheim oder zur Pflege von Angehörigen je größer die Projekte, desto mehr unterschiedliche rund um die Uhr im privaten häuslichen Bereich. Für Gemeinschaftsräume kann man sich leisten, gern all diese, auf mehr nachbarschaftliches Miteinander nach der zweiten Maxime: „Der Luxus liegt im Tei- setzenden Wohnformen sind Raumprogramme er- len.“ Insgesamt entsteht dadurch eine feinere Ab- forderlich, die für klassische Projektentwickler oder stufung zwischen privater und öffentlicher Sphäre. Vermieter derzeit noch völlig unattraktiv erscheinen Die eindrucksvollsten Beispiele findet man derzeit – allenfalls findet man derartige Ansätze rudimen- 1. vgl. Beitrag Hilde Strobl dazu in Zürich bei der Genossenschaft „mehr als tär als gewerbliche Service-Angebote in luxuriösen „Weiter wohnen wie wohnen“, der Kraftwerk1 Bau- und Wohngenos- Condominiums oder in den neuen Mikro-Aparte- gewohnt“ in diesem Band, senschaft oder der Kalkbreite eG sowie in Mün- ment-Gebäuden. S. 20 ff. 9
oder privaten Vermietern arrangieren. Zudem gibt es bundesweit die Projekte des Mietshäusersyndi- kats, das Wohnen als bodenpolitische Frage thema- tisiert und eine entsprechende Haltung entwickelt hat. Die beste Übersicht über die Vor- und Nachteile verschiedener Rechtsformen bietet die Stiftung trias mit diversen Broschüren, vom eingetragenen Verein bis hin zur noch recht jungen Rechtsform der GmbH & Co KG.2 Worin sich die gemeinschaftlichen Wohnformen also in ihrer Vielfalt vom üblichen, klassischen Woh- In Frankfurt wirbt das nungsbau unterscheiden, sind Selbstorganisation, Netzwerk für gemeinschaft- die Entscheidung für die geeignete Rechtsform, die liches Wohnen dafür, dass alternative Modelle eine selbst gewählte Zusammensetzung der Bewohner- Chance bekommen. schaft, ein gewisses Maß an gegenseitiger Unter- stützung und die Schaffung von langfristig preissta- bilem Wohnraum. Bandbreite der Organisationsformen In fast allen größeren Städten haben sich inzwischen Ganz konkret beeindrucken die selbstorganisier- zivilgesellschaftliche Akteure etabliert, die die Grün- ten Wohnprojekte durch eine große Bandbreite: dung von gemeinschaftlichen und genossenschaft- Die meisten haben eigene Leitbilder oder Ziele, lichen Wohnformen umsetzen: Stattbau Hamburg, unterschiedliche Abstufungen von Privatheit und Stattbau Berlin mit der Netzwerkagentur Generati- Gemeinschaft, sind unterschiedlich groß und variie- onenWohnen, Wohnprojekt-Mentoren Hannover, ren in der Haushalts- und Altersstruktur. Dement- Wohnbundberatung NRW, Mitbauzentrale Mün- sprechend suchen sie sich den jeweils passenden chen, Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches rechtlichen Rahmen. Baugruppen in der Form von Wohnen. Viele dieser Institutionen können durch Eigentümergemeinschaften findet man traditionell kommunale Zuschüsse ihr Beratungsangebot er- häufiger in Berlin und in Süddeutschland, während möglichen. Auch manche Bundesländer haben die junge Genossenschaften sehr zahlreich in Hamburg Bedeutung der neuen Wohnformen erkannt. So vorkommen. Gemeinschaftliche Wohnprojekte sind bieten Landesberatungsstellen in Niedersachsen aber auch jenseits von Einzel- oder Gemeinschafts- oder Bayern Informationen und Veranstaltungen eigentum möglich. Für Gruppen mit wenig Eigen- an, damit am Wohnbedarf orientierte Projekte reali- kapital und weniger ausgeprägtem Gründungswil- siert werden können. Noch weiter geht die Agentur len eignen sich Mietergemeinschaften, die sich, als für Baugemeinschaften in Hamburg, die durch ihre 2 vgl. www.stiftung-trias.de Verein organisiert, mit Wohnungsbaugesellschaften Aktivitäten systematisch und umfassend den ge- 10
Konzepte statt Höchstpreis Vom bundesweiten Erfahrungsaustausch der Fach- Mit der Konzeptvergabe leute profitieren junge Projektgruppen ebenso wie können Städte gezielt ge- meinschaftliche Wohnpro- Städte und Gemeinden, die bessere wohnungspo- jekte fördern. litische Strategien suchen. Aktuelles Beispiel ist die Diskussion zum Konzeptverfahren. In Städten wie Hamburg, Berlin, Tübingen und München sammelt man mit der Vergabe von Liegenschaften an gemein- schaftliche Wohnprojekte nach Konzeptqualität seit Jahren gute Erfahrungen. Inzwischen interessieren sich weitere Städte für das Konzeptverfahren und eine Broschüre des FORUMs bietet dafür einen guten Einstieg.4 Hintergrund ist die Erkenntnis, dass man samten Prozess der Entwicklung unterstützt. In den mit den üblichen Bieterverfahren und der Höchst- meisten Bundesländern findet man inzwischen auch preisvergabe lediglich höchste Miet- und Kaufpreise Förderprogramme, die gezielt diese innovativen fördert. Auch die gelegentlich beobachtbaren Wind- Wohnformen voranbringen, wie die Moderations- hundverfahren oder Vergaben nach Gutsherrenart förderung in Nordrhein-Westfalen, das Landesför- sind keine besseren Alternativen. Demgegenüber ist derprogramm zum Wohnen im Alter in Niedersach- es viel vorausschauender, wenn sich eine Kommune sen oder die Unterstützung der Gründung von nicht für den höchsten Preis, sondern für das beste jungen Genossenschaften in Rheinland-Pfalz usw. Konzept für einen Standort entscheidet. Wie viele gemeinschaftliche Wohnprojekte es inzwi- In Frankfurt am Main starteten auf diese Weise schen gibt, lässt sich kaum eindeutig erheben. Über 2015 die ersten Ausschreibungen. Das Amt für tausend realisierte Projekte sind es gewiss, und um Wohnungswesen leitet das Verfahren federfüh- ein Vielfaches höher ist die Zahl der Initiativen, die rend, in Kooperation mit dem Netzwerk Frankfurt 3 vgl. www.wohnbund. ihre Projekte gerade planen oder deren Vorhaben im für gemeinschaftliches Wohnen e.V. und der Kon- de, www.fgw-ev.de, www. Bau befindlich sind. Einen Überblick über die bun- versionsgrundstücksentwicklungsgesellschaft (KEG). kompetenznetzwerk- desweiten Aktivitäten und den soliden Sachverstand Zwei stark sanierungsbedürftige Bürogebäude im wohnen.de findet man im Fachleutenetzwerk des wohnbund Bahnhofsviertel, eine bis dahin nicht marktgängige, 4 vgl. http://verein.fgw-ev. de/files/forum_vergabe- e.V. sowie im bundesweiten FORUM Gemeinschaft- kleine Brachfläche an der Friedberger Landstraße vefahren_a4_web_8_4_ liches Wohnen e.V. mit seinen Regionalstellen.3 und ein abrissreifes Gebäude im Stadtteil Höchst mb.pdf 11
Pilotprojekt in Frankfurt: Das Projekt der Wohn- gruppe NiKa e.V. im Bahnhofsviertel ist eines der ersten, auf das die Stadt die Konzeptvergabe angewen- det hat. wurden seither zum Verkehrswert ausgeschrieben. bungen sollen folgen. Künftig wird in Frankfurt Das Konzeptverfahren ist mit seinem Zeitplan, den das Konzeptverfahren auch in Neubaugebieten zur inhaltlichen Kriterien und dem Ablauf auf selbstor- Quartiersentwicklung beitragen, indem 15 Prozent ganisierte Wohninitiativen zugeschnitten: der städtischen Flächen für gemeinschaftliche und genossenschaftliche Projekte vorgehalten werden. • Langfristig angelegte gemeinschaftliche Organisa- tion und Schaffung von preisstabilem Wohnraum Nicht immer billiger, aber wirtschaftlicher • Beteiligung der künftigen Nutzer/innen an der Pla- Will man also systematisch die selbstorganisierten, nung des Projekts und Kooperation mit Fachleuten bürgerschaftlichen und bedarfsorientierten Pro- • Flächensparsame Raumprogramme ergänzt durch jekte fördern, ist das Konzeptverfahren der richtige gemeinschaftlich nutzbare Frei-/ Räume und gege- Weg. Wohnideen, die von den künftigen Nutzern benenfalls öffentlichkeitswirksame Nutzungen für den Standort passend entwickelt werden – das ist der Grundgedanke, der am Ende für Städte und Die Initiativen sind aufgefordert, sich und ihre Be- Gemeinden solche Projekte auch wirtschaftlich trag- werbung dem Beirat – bestehend aus Vertretern und fähig macht. Das gilt insbesondere dann, wenn die Vertreterinnen aus Politik und Verwaltung – vorzu- Wohninitiativen als Selbstnutzer ihre Projekte ent- stellen. Auf diese Weise wird nicht nur das beste wickeln und sich beispielsweise durch sparsame Flä- und innovativste Konzept ausgewählt, sondern der chenzuschnitte und gemeinschaftliche Nutzungen Beirat kann Bedingungen formulieren, die in der auch Haushalte mit unterdurchschnittlichen Ein- Anhandgabephase im Rahmen der Qualitätssiche- kommen das Wohnen in teuren Städten noch leisten rung umgesetzt werden. Die bisher ausgewählten können. Projekte befinden sich derzeit in dieser Phase und Neben den Bewohnerinnen und Bewohnern, die von bereiten die Umbauarbeiten vor. Weitere Ausschrei- qualitätvollen und lebenswerten Quartieren profitie- 12
In Zürich findet man reich- ren, schaffen diese Projekte auch für Städte und Ge- lich Anschauungsmaterial für das, was gemeinschaftli- meinden einen Mehrwert. Am Beispiel von gemein- ches Wohnen bieten kann: schaftlichen Wohnprojekten für ältere Menschen oben und unten Bilder der hat das „Netzwerk: Soziales neu gestalten (SONG)“ Bauten Kraftwerk 1, in diesen Mehrwert wissenschaftlich nachgewiesen. der Mitte ein Blick in den Innenhof der Gebäude, die Mit einer sozioökonomischen Mehrwertanalyse ge- von der Genossenschaft meinschaftlicher Wohnprojekte wurde die soziale Dreieck verwaltet werden. Wirkung nach dem Social Return on Investment Konzept (SROI) evaluiert. Monetär bewertende und qualitative Analysen zeigten beispielsweise, dass die Bewohnerinnen und Bewohner ebenso wie das Quartier von diesen Projekten profitieren, weil sie aufgrund von nachbarschaftlicher Selbsthilfe und geringerem Unterstützungsbedarf sparen und damit über anderweitig verwendbares Einkommen verfü- gen.5 Das Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V. wird auch deshalb in Frankfurt am Main sein Engagement zur Entwicklung weiterer ge- meinschaftlicher Wohnformen fortsetzen. Die wach- sende Zahl der Initiativen bestätigt die Einschätzung, dass in immer teurer werdenden städtischen Räu- men neue Formen des Miteinanders gebraucht wer- den, um zunehmende Vertreibung zu verhindern. Das Konzeptverfahren ist derzeit noch neuartig und ungewohnt. Und mit Blick auf die Folgekosten sind Konzeptverfahren, kleinteiligere Parzellierung und neue Raumprogramme zunächst nicht grundsätzlich billiger, aber allemal wirtschaftlicher. Viele realisier- 5 vgl. Netzwerk: Soziales te gemeinschaftliche Wohnprojekte zeigen, welche neu gestalten (Hg.) 2010: räumliche Vielfalt möglich ist, welche Vorteile diese Zukunft Quartier – Lebens- Wohnformen haben und welche Qualitäten die Be- räume zum Älterwerden. wohnerinnen und Bewohner für die Städte schaffen Band 3: Soziale Wirkung und „Social Return“, Verlag können. Es sind am Ende Qualitäten, die man nicht Bertelsmann Stiftung. kaufen kann. 13
Birgit Diesing Eine Rechtsform für die Gemeinschaft Innenansicht: Anders Wohnen in der Genossenschaft? Die Rechtsform der Genossenschaft ist besonders in- unter einen Hut bringen wollen. Zudem ist sie eine teressant für Menschen, die gemeinschaftlich woh- urdemokratische Rechts- und Unternehmensform: nen wollen, also in guter Nachbarschaft selbstbe- Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der stimmt und selbstverwaltet leben möchten. Warum Höhe der Kapitalbeteiligung. dies so ist, wird im Folgenden ausgeführt und am Eine Genossenschaft besteht aus mindestens drei Beispiel der Genossenschaft WohnSinn eG (Darm- Mitgliedern. Ihre Gremien sind Vorstand, Aufsichts- stadt) erläutert. rat und Generalversammlung, wobei der Aufsichts- rat erst bei einer Größe ab 20 Mitgliedern erforder- Was ist eine Genossenschaft? lich ist. Ansonsten wird die Kontrolle des Vorstands Eine Genossenschaft dient der Förderung der ge- durch die Generalversammlung übernommen. meinsamen wirtschaftlichen, aber auch der sozialen In der Satzung der Genossenschaft wird der Zweck und kulturellen Belange ihrer Mitglieder. Damit kann des Unternehmens geregelt. Neben dem Mindest- sie eine Doppelfunktion als Wirtschaftsunternehmen inhalt wie Ein- und Austrittsmodalitäten, Entschei- und als Selbsthilfeorganisation übernehmen und ist dungsstrukturen, Höhe des Genossenschaftsanteils, in besonderem Maß geeignet für Projekte, die Ge- können auch die sozialen und kulturellen Ziele der schäftsbetrieb und bürgerschaftliches Engagement Genossenschaft verbindlich festgelegt werden. Um Genossenschaft zu werden, muss die Gruppe einem Prüfungsverband beitreten. Dieser erstellt auf Basis der Satzung und prüffähiger Unterlagen zu den wirtschaftlichen Absichten der Genossenschaft ein Gründungsgutachten. Wenn diese Prüfung er- folgreich verläuft, erfolgt der Eintrag in ein Genos- senschaftsregister. In der Folge muss die Genos- senschaft sich alle ein bis zwei Jahre einer solchen (kostenpflichtigen) Prüfung unterwerfen, so dass auf diese Weise die sorgfältige Geschäftsführung durch Vorstand und ggf. Aufsichtsrat gesichert ist. Genossenschaft als Rechtsform für ge- meinschaftliche Wohnprojekte Eine Reihe von Gründen sprechen dafür, für ge- meinschaftliche Wohnprojekte die Genossenschaft als Rechtsform zu wählen. 1. Der Hauptzweck einer Genossenschaft ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern die gegenseitige Unterstützung und Förderung der Mitglieder. 14
Die Genossenschaft kann nicht-spekulativ und soli- darisch handeln. Die Mitglieder sind sowohl Eigen- tümer als auch Kunden der Genossenschaft (Iden- titätsprinzip). Damit ist sichergestellt, dass sich die kostengünstige Erstellung von Wohnraum und der ggf. durch Selbsthilfe kostensparende Betrieb un- mittelbar zugunsten der Wohnkosten für die Mit- glieder auswirken, ohne dass eine zusätzliche Rendi- te für eine externe Eigentümerschaft erwirtschaftet werden muss. Die Genossenschaft ermöglicht mit dem gemeinschaftlichen Eigentum lebenslang ge- sichertes (und bezahlbares) Wohnen und verbindet die Flexibilität der Miete mit der Sicherheit des Ei- gentums. 2. Die Genossenschaft ist als Bauträgerin in der Lage, unterschiedliche ökonomische Vorraussetzungen ih- rer Mitglieder zu vereinen. Es können unterschied- 4. Die demokratische Mitgestaltung und Mitsprache Links: Die Gemeinschaft zu liche Finanzierungsarten innerhalb einer Hausge- ist in der Satzung an prominenter Stelle abgesichert. Beginn des Bauprojekts. Oben: Die Wohnanlage meinschaft realisiert werden, beispielsweise mit Auch bei möglichen Unterschieden in der kapital- Wohnsinn 1. geförderten und nicht-geförderten Mietwohnungen bezogenen Beteiligung ihrer Mitglieder ist sie strikt Die Flügel der u-förmigen ebenso wie mit eigentumsähnlichen Dauerwohn- basisdemokratisch strukturiert, es gilt: eine Stimme Anlage wurden später rechten. Dabei bleibt durch das Genossenschafts- pro Person, unabhängig vom jeweiligen finanziellen Richtung Osten verlängert und gehören zur Hausge- prinzip die Gleichberechtigung zwischen Mietern Engagement. meinschaft Wohnsinn 2 und „Eigentümern“ gewahrt: Auch bei den eigen- 5. Die Genossenschaft kann durch ihre Satzung dau- (unteres Bild). tumsähnlichen Dauerwohnrechten bleibt die Ge- erhaft Vermögen und Mitglieder an soziale, kultu- nossenschaft juristisch Eigentümerin der gesamten relle und gemeinschaftliche Ziele binden. Liegenschaft. Eine weitgehende soziale Mischung wird damit ermöglicht. Das Beispiel WohnSinn eG 3. Die Genossenschaft ist aufgrund der Prüfungs- Die Bau- und Wohngenossenschaft WohnSinn eG pflicht (bei entsprechendem Eigenkapital) gegenüber ist eine kleine Genossenschaft in Darmstadt mit Banken kreditwürdig, bietet aber auch gegenüber derzeit 175 Mitgliedern. Sie hat bislang zwei Häu- ihren Mitgliedern ein hohes Maß an wirtschaftlicher ser mit insgesamt 73 Wohnungen errichtet. Neben Sicherheit. Die Genossenschaft ist die mit Abstand unten ausgeführten Satzungszielen ermöglicht die insolvenzsicherste Rechtsform in Deutschland. Zu- Genossenschaft für ihre Mitglieder kostengünstiges dem kann die persönliche Haftung der Mitglieder und umweltverträgliches Wohnen in weitgehend auf den Geschäftsanteil begrenzt werden. unabhängigen Hausgemeinschaften. Für die ersten 15
Lage sind, Menschen unterschiedlichster Gruppie- rungen aufzunehmen und auch mögliche persön- liche Differenzen durch ein gewisses Maß an Ano- nymität zu überstehen: Man kennt sich, aber man muss (und kann) nicht mit allen befreundet sein. Gemeinsame Arbeit: Die Mischung wurde durch ein Angebot von ver- Pflastern der Hofanlage. schiedenen Wohnungsgrößen und Finanzierungs- arten gesichert. Weiterhin gibt es bestimmte Quoten beiden Projekte wurden Grundstücke in Darmstadt- zum Zusammenleben von Alt und Jung, Behinderten Kranichstein gewählt, die über den ÖPNV, ein gutes und Nichtbehinderten, Familien und Alleinstehen- Rad- und Fußwegenetz sowie die vorhandene Infra- den, Menschen mit und ohne Migrationshinter- struktur gut in die städtische Struktur eingebunden grund, Menschen mit und (fast) ohne Geld. sind. Um unterschiedlichen wirtschaftlichen Vorausset- Das Quartier „K6“, in dem WohnSinn 1 und 2 lie- zungen gerecht werden zu können, wurden die gen, wurde in den 1990er Jahren geplant und ab Wohnungen als geförderte oder frei finanzierte 2003 errichtet. Ziel der Stadt war es, u.a. nach dem Mietwohnungen erstellt oder als eigentumsähn- Vorbild der Stadtquartiere in der Tübinger Südstadt liches Dauerwohnrecht nach WEG verkauft. oder Freiburg-Vauban möglichst viele Baugemein- Eine wissenschaftliche Untersuchung von WohnSinn schaften und -genossenschaften zum Zuge kommen 1 und 2 durch das Institut für Wohnen und Umwelt, zu lassen und damit von Anfang an für gute und Darmstadt, ergab im Jahr 2008, dass die beabsichti- stabile Nachbarschaften zu sorgen. Weiterhin war es gte Mischung von Menschen mit unterschiedlichen hier für die Bauenden möglich auf Stellplätze zu ver- ökonomischen Voraussetzungen in weiten Teilen er- zichten, wenn diese wegen der intensiven Mobilität reicht wurde: der Erwerbsstatus (arbeitslos/erwerbs- der Bewohnerschaft im Umweltverbund nicht erfor- tätig/in Rente) entspricht dem Landesdurchschnitt. derlich waren. Dies beförderte eine kostengünstige Untere und mittlere Einkommen überwiegen, dem- Bauweise mit geringerem Flächenverbrauch. gegenüber besteht im Hessenvergleich ein Überge- wicht an hohen Bildungsabschlüssen. Satzungsziel: Soziale Mischung Das Konzept von WohnSinn verfolgt das Prinzip Satzungsziel: Partizipation und Selbstverwaltung der sozialen Mischung. Es soll ein größtmögliches Die Rechtsform der Genossenschaft wurde gewählt Spektrum der Bevölkerung angesprochen werden. um sicherzustellen, dass alle Bewohnerinnen und Die Bewohner und Bewohnerinnen sollen von ihrer Bewohner, soweit sie Genossenschaftsmitglied sind, Unterschiedlichkeit profitieren und sich mit ihren bei grundlegenden Entscheidungen gleichberechtigt Fähigkeiten ergänzen können. Dafür sollen robuste mitwirken können. Per Satzung wurde bestimmt, Hausgemeinschaften von mindestens 50 Personen dass in jeder Wohnung mindestens ein Genossen- gebildet werden, die aufgrund ihrer Größe in der schaftsmitglied leben muss. 16
Die durch die Rechtsform der Genossenschaft an- gelegte Struktur der Eigenverantwortung (Identität von Nutzern und Eigentümern) wird durch konse- quente Selbstverwaltung umgesetzt: Es finden re- gelmäßige Treffen der Bewohnerschaft im Plenum der jeweiligen Hausgemeinschaft statt, in dem die Themen des Zusammenlebens besprochen und die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Um anfallende Arbeiten, Organisation, gemeinschaft- liche Veranstaltungen und Konfliktvermittlung küm- Satzungsziel und Selbstläufer: Nachbarschaftshilfe Blick auf WohnSinn 1. Im mern sich Arbeitsgruppen: Hausverwaltung, Haus- Nachbarschaftshilfe findet auf drei Ebenen statt, Hintergrund die Wohnsied- lung Kranichstein aus den erhaltung, Außenanlagen, Gemeinschaftsräume, zwei davon sind in der Satzung verankert. Zunächst 1960er Jahren. Die Aktivi- Carsharing, Gemeinsinn ... hat sich jedes Genossenschaftsmitglied über die täten der Genossenschaft Die Bewohnerinnen und Bewohner haben mit der Satzung zur Nachbarschaftshilfe im Rahmen der kommen dem Stadtteil Selbstverwaltung die Wirtschaftlichkeit ihres Ge- persönlichen Möglichkeiten verpflichtet. Weiterhin zugute. Unten: Blick in den Innen- bäudes selbst in der Hand: Je nachdem, wieviel Ei- verpflichtet sich die Genossenschaft als Ganzes ge- hof. genleistung für den Hausbetrieb aufgebracht wird, genüber ihren Mitgliedern zur organisatorischen hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Betriebskosten. Eine Gegenüberstellung der Betriebskosten gemäß Betriebskostenspiegel 2013 ergab, dass infolge des Passivhausbetriebs und der Selbstverwaltung die Betriebskosten bei WohnSinn 1 lediglich 42 Prozent des hessischen Durchschnitts betragen, pro Quadratmeter Wohnfläche und Mo- nat werden damit 1,87 Euro eingespart. Selbstverwaltung hat aber nicht nur ökonomische Vorteile, sondern bringt einen erheblichen sozialen Mehrwert. Gruppenidentität und Kommunikation im Haus wird durch das gemeinsame Bewältigen der Arbeiten gefördert: Man begegnet sich nicht nur zu- fällig oder bei geselligen Ereignissen, sondern auch in Arbeitszusammenhängen. Dabei zeigt sich: Je mehr und je unterschiedlicher die Kontaktmöglichkeiten innerhalb der Hausge- meinschaft sind, um so dichter und tragfähiger wird das soziale Netz. 17
WohnSinn 1 und 2 Unterstützung bei persönlichen Krisensituationen. kompliziert Gruppentreffen und kleinere öffentliche Unabhängig von diesen satzungsgemäßen Ver- Veranstaltungen stattfinden. Durch die Öffnung ins pflichtungen entwickelt sich – wie oben beschrieben Quartier können die Räume zudem auch von exter- – durch das gemeinschaftliche Leben im Haus und nen Engagierten genutzt werden. Auf diese Weise eigenes Engagement automatisch ein mehr oder hat sich WohnSinn zu einem sozialen und kultu- minder enges persönliches Hilfenetz. rellem Ankerpunkt im Quartier entwickelt, der mit seinen Initiativen bis in den Stadtteil Kranichstein Selbstläufer: Bürgerschaftliches Engagement ausstrahlt und (in gewissem Umfang) auch Bedeu- Nutzen für Quartier und Stadt tung für die Gesamtstadt hat. Gemeinschaftliche und besonders genossenschaft- liche Wohnformen neigen dazu, ein Sammelbecken Die Akteure für Menschen mit Gemeinsinn und bürgerschaft- Das Wohnen in einem selbstverwalteten Haus wie in lichem Engagement zu sein. Ohne dass dies expli- diesem Fall setzt voraus, dass man in einem gewis- zit in der Satzung verankert ist, bilden die großen sen Umfang kompromissfähig ist, Verbindlichkeiten Hausgemeinschaften eine gute kritische Masse für eingehen kann, Spaß an Organisation und Beteili- die unterschiedlichsten Initiativen, die ins Quartier gung hat, Konflikte aushalten und eine Balance zwi- und die Gesamtstadt ausstrahlen. schen Nähe und Distanz finden kann. Neben dem bürgerschaftlichen Engagement der Be- Verabschieden sollte man sich von der Vorstellung, wohnerinnen und Bewohner spielt aber auch die eine solche Genossenschaft sei die Insel der Glück- bereits vorhandene Infrastruktur eine Rolle: In den seligen. Die Konflikte, die hier auftauchen, sind die Gemeinschaftsräumen von WohnSinn können un- gleichen wie in anderen Häusern: die Kinder zu laut, 18
die Treppe zu dreckig, die Nachbarn zu spießig. Auch klingelt nicht jeden Tag jemand an der Tür und lädt zum Kaffeetrinken ein. Dennoch überwiegen die Vorteile: Man lebt in ei- ner lebendigen und durchaus unterschiedlichen und anregenden Nachbarschaft, kommt mit anderen Le- benslagen und Ansichten in Berührung. Man kann sich durch die vielfältigen Aufgaben, die es im Rah- men der Selbstverwaltung zu erfüllen gibt, persön- lich weiterentwickeln. Auch die Verbindlichkeiten (und erforderlichen Abgrenzungen) einer größeren sozialen Gemeinschaft sind für manchen eine neue Erfahrung. Dank der vielfältigen Begegnungsmög- lichkeiten lassen sich nachbarschaftstypische Kon- flikte leichter lösen. WohnSinn 1 (2003) Nicht scheuen darf man sich vor dem bürokratischen Kompaktes u-förmiges Passivhaus mit 3 bis 3,5 Geschossen, 3.700 qm Nutzfläche, Aufwand, den eine Genossenschaft erfordert. Allein verteilt auf 39 Wohnungen und ca. 300 qm Gemeinschaftsfläche. die Gründung der Genossenschaft ist aufgrund der Wohnungsgrößen zwischen 45 und 160 qm, individuell geplant. 13 Wohnungen im geför- vielen rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte, die dertem Mietwohnungsbau, 3 frei finanzierte Mietwohnungen, 23 Wohnungen im eigentum- sähnlichen Dauerwohnrecht nach WEG verkauft. es zu beachten gilt, ein „dickes Brett“, das gebohrt Alle Wohnungen und Gemeinschaftsräume sind mit dem Rollstuhl erreichbar werden muss und auch Geld kostet. Eine Woh- (Laubengänge, Aufzug). nungsbaugenossenschaft ist ein regelrechtes Woh- Gemeinschaftsräume und -angebote: großer Gruppenraum (teilbar) mit Wintergarten, nungsbauunternehmen, mit einem entsprechenden Küche, Toiletten und Terrasse, Gemeinschaftsdachterrasse, Fahrradwerkstatt, Jugendraum, Holzwerkstatt, Gästezimmer, Gästeapartment, Genossenschaftsbüro, Besprechungsraum, Bedarf an juristischem und kaufmännischem Know- Sauna / Pflegebad, Wasch- und Trockenräume mit Waschmaschinen-Sharing, Erdkeller, How. Auch der weitere Betrieb der Genossenschaft Carsharing. bleibt komplex und kostenintensiv. Für ein Hauspro- jekt in Gründung sei deshalb empfohlen, sich zu- WohnSinn 2 (gebaut: 2008) Verlängerung der beiden U-Schenkel von WohnSinn 1 mit 34 individuell geplanten nächst einmal bei schon bestehenden Genossen- Wohnungen im Passivhaus-Standard. schaften umzuschauen, ob eine davon unter ihrem Wohnungsgrößen zwischen 40 und 150 qm, 11 Wohnungen im geförderten Mietwoh- Dach eine (weitere) Hausgemeinschaft realisieren nungsbau, 10 frei finanzierte Mietwohnungen und 13 Wohnungen im eigentumsähnlichen möchte, so dass von der Erfahrung und der Sicher- Dauerwohnrecht belegt. Barrierearme Erschließung wie WohnSinn 1. heit vorhandener Strukturen profitiert werden kann. Gemeinschaftsräume: großer Gruppenraum (teilbar) mit Küche, Toiletten, Terrassen, zwei Dafür muss allerdings unter Umständen ein Teil der Gästezimmer, Gästeapartment, großer begrünter Innenhof, Werkstatt, zwei Wasch- Gruppen-Autonomie aufgegeben werden. maschinenräume und – zusätzlich zu den Privatkellern – ein Gemeinschaftskeller. 19
Hilde Strobl Weiter wohnen wie gewohnt? Partizipative Bau- und Wohnformen Wohnen als soziologische Fragestellung leinstehende und Familien mit Kindern sowie den Die Städte wachsen, mehr als die Hälfte der Weltbe- generellen Wunsch mit ein, das Leben nicht isoliert völkerung lebt in Städten, die Stadtränder werden von einer Gemeinschaft zu verbringen.3 urbanisiert und das Wohnungsbaugeschäft boomt. Darüber hinaus trägt zur Förderung der Wohnpro- Doch wie reagieren die Städte, die Stadtplaner, die jekte und für deren politische Akzeptanz die Sorge Politik und die Investoren auf die großen Heraus- der Kommunen darüber bei, wie Kinderversorgung forderungen? Worin liegt die Rolle und Verantwor- und Altenpflege, die Schaffung von Sozialwoh- tung der Privatanleger und Bürger, da generell das nungen und die Integration einer zunehmend sich Interesse an Wohneigentum wächst, zugleich aber internationalisierenden Gesellschaft bewältigt wer- auch die Differenzierung von Wohnbedürfnissen den können. Denn es ist absehbar, dass dies alles aufgrund der demografischen Entwicklungen zu- ohne bürgerliche und private Initiativen nicht gehen nimmt? Als Reaktion und Alternative auf die gestei- wird.4 Begreift man umgekehrt – nach Walter Siebel gerten Bedürfnisse, sich nicht mehr mit Standard- – Wohnen als soziologische Fragestellung und die wohnungen und Standardgrundrissen zufrieden zu Entstehung von Wohnformen und -typen als Ergeb- geben, die der hauptsächlich von wirtschaftlichen nis eines historischen Prozesses,5 sind die gemein- Faktoren bestimmte Wohnungsmarkt hervorbringt,1 schaftlich orientierten Bauinitiativen der aktuellste entstehen in den letzten zwanzig Jahren vermehrt Ausweis einer sich verändernden Gesellschaft und neue Bauinitiativen: Wohnprojekte als gemein- eine Reaktion auf deren Bedürfnisse. Wenn Marga- schaftliche Wohnformen sind „salonfähig“ gewor- rete Rudorff in den 1950er Jahren die „Schrump- den.2 Mehrgenerationenwohnen, einer der Haupt- fung des Begriffes Wohnung“ beklagt, da Arbeit, aspekte der meisten solcher Wohnprojekte, wird Erholung, Spiel der Kinder, Pflege, Geburt und Tod aber nicht nur durch eine alternde Gesellschaft als aus der Wohnung verschwunden sind,6 erscheint die Notwendigkeit erkannt, sondern schließt auch Al- programmatische Ausrichtung der Raumkonzepte der gegenwärtigen Wohnprojekte genau diesem Das Projekt wagnisArt ent- Verlust entgegenzuwirken: zwar nicht innerhalb stand in einem vielschich- tigen Beteiligungsprozess. der Wohnungen, sondern durch ein projektinter- Das Ergebnis ist nicht nur nes zusätzliches Angebot sozialer Infrastrukturen architektonisch eine Berei- mit gemeinschaftlichen Nutzflächen für Werkstät- cherung. Auch in der Bele- bung des Diskurses trägt es ten, Veranstaltungen, Bibliotheken, Kindergrippen, zu einer gesellschaftlichen Pflegeeinrichtungen, Coworking-Spaces, Fitness- Entwicklung bei. räumen, Gemeinschaftsküchen und -waschräumen, Gleiches gilt für das genos- Gemeinschaftsgärten und privat sowie öffentliche senschaftliche Wohnprojekt Kalkbreite aus Zürich. (Bild Freiflächen. Es zeichnet sich ab, dass hinsichtlich der auf der rechten Seite, jungen Wohnprojekte, sobald sie durch die genos- Müller Sigrist Architekten, senschaftliche Rechtsform dem Kapitalmarkt ent- Zürich) zogen sind, nicht der Kapitalertrag im Vordergrund 20
steht, sondern die Vorstellung von „mehr als woh- nen“ – und darin liegt ihre Aktualität. Methode und Aufgabe der Partizipation Die gemeinsame Methode im Planungs- und Wohn- prozess der gemeinschaftlichen Wohnprojekte ist Partizipation. Die Entstehungsprozesse werden durch zahlreiche Workshops und Arbeitskreise be- gleitet, in denen die Teilnehmer gemeinsam ihre Vorstellungen des Wohnens und Zusammenlebens konkretisierten und die inhaltliche Konzeption fest- legen. Die Entscheidung für partizipative Methoden bedeutet, so Michael Andritzky, „für die meisten Menschen nicht nur, sich in eine ganz neue Mate- rie einzuarbeiten, sondern sich auch auf schwierige sozialkommunikative Prozesse mit ungewissem Aus- gang einzulassen. Mit anderen Worten: Partizipati- 1 Michael Andritzky, Balance zwischen Heim und Welt. Wohnweisen und Lebensstile von 1945 bis heute, in: Inge- on heißt Arbeit.“7 Dabei stehen eben gerade nicht borg Flagge (Hg.), Geschichte des Wohnens, Bd. 5, Stuttgart individuelle Einzelinteressen im Vordergrund, son- 1999, S. 615–686, S. 670f. dern die Interessen der Gruppe sowie die Gestaltung 2 Angelika Simbriger, Von der Nische zur Serie. Zur Bedeu- von Lebensräumen.8 Um an partizipativen Prozessen tung von gemeinschaftlichen Wohnprojekten in Bestands- entwicklungen, in: Gisela Schmitt, Klaus Selle (Hg.): Be- teilzunehmen, muss man die Vorstellung abstreifen, stand? Perspektiven für das Wohnen in der Stadt, Dortmund dass Teilhabe an Prozessen bei allen Vorteilen des 2008, S. 351–380, S. 351. eigenen Mitbestimmens auch eine Behinderung der 3 Zum Thema Wohnen und alternde Gesellschaft siehe Christiane Feuerstein, Franziska Leeb, GenerationenWoh- Privatheit oder Ausgangspunkt für lange und nicht nen. Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion, zielführende Diskussionen sei. Der Begriff „Partizipa- München 2015, S. 8–22. tion“ steht allgemein für Beteiligung, Teilhabe, Mit- 4 Simbriger, S. 352. wirkung, Mitbestimmung und Mitsprache – jedoch 5 Hartmut Häußermann und Walter Siebel, Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzie- nicht in willkürlicher Form. Er bezeichnet die Teilhabe rung des Wohnens, Weinheim und München 1996. einer Person oder Gruppe an Entscheidungsprozes- 6 Margarete Rudorff, Die Schrumpfung des Begriffes „Woh- sen oder an Handlungsabläufen, die in übergeord- nung“ und ihre Folgerungen, in: Soziale Welt 6/1955, S. neten Strukturen oder Organisationen stattfinden. 45-51, S. 7. Siehe auch Häußermann/Siebel, S. 332 7 Andritzky, S. 671. Die Regelprozesse bauen auf Erfahrungswerten auf 8 Interview mit Elisabeth Hollerbach, wagnis München, im und sind von spezifischen Begrifflichkeiten geprägt, Februar 2016 für die Ausstellung „Keine Angst vor Parti- die die Planungsprozesse von Wohnprojekten be- zipation! Wohnen heute“ am Architekturmuseum der TU gleiten und ihre innere Struktur abbilden – sie sind München. 21
Lösungen würden lediglich für Einzelne entwickelt und auf partikuläre Denk- und Handlungsansätze fokussiert.9 Die Vorwürfe verweisen zurück auf die 1970er und 1980er Jahre, als Akteure wie der Öko- nom Klaus Novy in der Reform der Genossenschaf- ten eine alternative Bewegung mit gesellschafts- politischer Motivation vertraten. Novy forderte mit der Aktualisierung des herkömmlichen Genossen- schaftsgedankens eine wohnungspolitische Offensi- ve, eine Wohnreform, die nicht dem Ruf nach einem In einem intensiven Prozess fast wie ein Subtext der Prozesse zu lesen und finden größeren Markt, sondern einem größeren, einem entstand das Genossen- sich in verschiedener Form in allen Planungsabläufen stadtkonzeptionellen Maßstab folgt.10 Die ambitio- schaftsprojekt Spreefeld in von Wohnprojekten wieder. Die Entwicklung eines niert angelegten Wohnprojekte konzentrieren sich Berlin. Fertigstellung: 2014. (Programm/Prozess/Projekt: Wohnprojektes lässt sich in Phasen von der Idee auf die Realisierung ihrer Konzept- und Bauvorha- Die Zusammenarbeiter bis zum Wohnen in der Gemeinschaft gliedern, die ben, die wiederum regional mit völlig unterschied- Gesellschaft von Architek- sich darin unterscheiden, welche Entscheidungen lichen Bedingungen seitens der Bevölkerungsstruk- ten mbH. getroffen und wann welche Beteiligten hinzugezo- tur, der Grundstückssituation und der Fördermittel Architektur: carpaneto architekten, fatkoehl archi- gen werden. Faktoren wie Leitziele, die vereinbarte konfrontiert sind, so dass auch diesbezüglich von tekten, BARarchitekten) verbindliche Rechtsform und Organisationsstruktur, einem generellen Lösungsansatz der Wohnungsfra- die partizipativen Mittel, die Finanzierungs- und För- ge schwer auszugehen ist. Die Wohnprojekte stel- dermittel, die Grundstücksfindung, die Festlegung len, so Joachim Brech, „keine soziale Utopie dar. Sie eines Raumprogramms, die Zusammenarbeit in Ar- betreiben nicht die Veränderung der gesellschaft- beitskreisen mit den Architekten bis zur architekto- lichen Verhältnisse, nicht zuletzt, weil diese ihr Fun- nischen Umsetzung bilden dabei eine wichtige Rolle, dament darstellen.“11 Erfolgreiche Einzellösungen damit aus der Idee Realität wird. zu schaffen, die als Vorbilder für Wohnungsbau, Quartiersentwicklung und für die Entwicklung in- 9 Andritzky S. 671. Wohnprojekte: Partizipation am Protest tegrativer, sozialer Lebensräume dienen, lassen 10 Klaus Novy, Genossen- Die Teilhabe der späteren Bewohner an der Konzept- sich auch als „Partizipation am Protest“ verstehen, schafts-Bewegung. Zur entwicklung, am baulichen Entwurf sowie an den als Insellösung mit Vorbildcharakter für den einzel- Geschichte und Zukunft Entscheidungen für die Bau- und Wohnqualität führt nen Bürger. Vittorio Magnagno Lampugnani geht der Wohnreform.:TRANSIT, Berlin 1984, S. 7f. zu einer starken Identifikation mit dem Objekt, zielt von einer Förderung des Architekturdiskurses aus: 11 Joachim Brech, Ein Wan- damit auf langfristige Perspektiven für die Bewohner „Speziell in der Architektur dient Partizipation nicht del im Wohnen in der Zeit und ist zugleich Ausgangspunkt für die Vielfalt der nur der politischen Entwicklung der Betroffenen, des Umbruchs, in: Hartmut Häußermann (Hg.), Neue Modelle. Die Kritik an genossenschaftlichen Wohn- sondern fördert auch ihr Umweltbewusstsein, ihre Wohnformen, Stuttgart projekten richtet sich immer wieder auf die feh- Verantwortlichkeit, ihre Kompetenz und ihr Wissen 1999, S. 81–160, S. 135 lende gesellschaftliche Gesamtlösung. Nachhaltige in architektonischen und städtebaulichen Fragen: 22
Blick auf den gemeinschaft- lichen Dachgarten der Sargfabrik in Wien (1996, (Architekten: BKK-2, Wien); sie wurde 2000 durch das Projekt „Miss Sargfabrik“ ergänzt. (Architekten: BKK- 3, Wien) Indem sie sich mit der Problematik konkret befas- toren, Architekten und Bauträger und greifen bereits sen, gewinnen die Benutzer mehr und bessere In- umgesetzte Konzepte auf: sogenannte Flex- oder formation über sie. Spiegelbildlich dazu kommt der Optionsräume, die nutzungungebunden angelegt Dialog mit den Betroffenen prinzipiell auch den Ar- werden, oder sogenannte Clusterwohnungen mit chitekten zugute, die ebenfalls neue Aspekte über einem Gemeinschaftsraum als Erschließungsbereich das eigene Sachgebiet erfahren.“12 Der Architekt für mehrere Wohnungen werden geschaffen – auch Franz Sumnitsch berichtet über seine Erfahrung in München wurden im Projekt wagnisArt erstmals beim Bau der Sargfabrik Wien: „Ein einzelner Bau- Clusterwohnungen geschaffen in Anlehnung an herr verwirft die vorgeschlagene Lösung aus dem Vorbilder wie Kalkbreite Zürich oder Spreefeld Ber- einfachen Grund, dass sie ihm nicht gefällt, die Dis- lin. Auch städtebauliche Lösungskonzepte sind auf 12 Vittorio Magnagno kussion ist in wenigen Minuten beendet, und die den allgemeinen Wohnungsbau übertragbar. Von Lampugnani, Partizipation Ebene der inhaltlichen Auseinandersetzung fehlt. Futurafrosch, einem der Architekturbüros, die am am Protest. Architektur In einer Gruppe geht es nun richtig los, 30 Prozent Wohnprojekt MehralsWohnen in Zürich beteiligt zwischen Konsumgut und sind dafür, 30 dagegen und 40 unentschieden; die waren, wurde „Kodex. Ein Handbuch zur Quali- Kulturgut in: Architektur Avantgarde oder Massen- daraus entstehende Diskussion beleuchtet das Pro- tätssicherung im zukünftigen Wohnungsbau“ he- geschmack, Berlin 1982, S. jekt von allen Seiten.“13 rausgegeben. In der Einführung wird auf die direkte 52–71, S. 57. Darüber hinaus teilen die Akteure der Wohnprojekte Beziehung von gutem Wohnungsbau und gutem 13 Franz Sumnitsch, Parti- zipation als Chance für die vielfach ihre Erfahrungen, reichen ihre Maßnahmen- Städtebau hingewiesen: „Zur Vertiefung der Quali- Architektur, in: Housing is kataloge, Finanzierungskonzepte und Satzungen tätsfrage lohnt es sich, über beides nachzudenken. back, 01/2006, S. 44–49, weiter, um voneinander zu lernen. So lernen Initia- Nachdenken über Wohnqualität in der Stadt bedeu- S. 46. 23
Die gemeinschaftliche Wohnanlage wagnisArt im DomagkPark München erhielt 2016 den Deutschen Städtebaupreis. Rechte Seite: Luftbild. Planer: Arge bogevischs buero architekten & stadt- planer GmbH und SHAG Schindler Hable Architekten GbR, in Zusammenar- beit mit Arge bauchplan auböck/kárász tet Nachdenken über Lebensräume.“ Dazu zählen her durch Maßnahmen der Stadtpolitik unterstützt. die Herausgeber neben den Wohnräumen auch Bal- Diese Entwicklung baut auf verschiedenen Erkennt- kone und halböffentliche Orte wie Hinterhöfe, Stra- nissen auf. Zu diesen zählt neben dem allgemei- ßen und Plätze. Wie sehr Wohnprojekte durch die nen Wohnungsdruck und Grundstückspreisen auf stadträumlichen Anlagen, aber auch durch die Er- Rekordkurs der aus der gesellschaftlichen Entwick- weiterung des infrastrukturellen Angebots ins Quar- lung der Stadt resultierende Faktor des steigenden tier ausstrahlen oder diese erst als solche attraktiv Bedarfs an Einzelpersonenhaushalten (heute 55 werden lassen, zeigen Beispiele wie die Sargfabrik Prozent des Wohnungsbedarfs, Prognosen bis 2030 Wien, die Kalkbreite Zürich oder wagnisArt in Mün- verzeichnen einen Zuwachs auf 75 Prozent), auf die chen. Durch die Schwerpunktsetzung auf soziale die Bauwirtschaft unzureichend reagiert. Durchmischungen und Integrationsmodelle wirken Während dem stetigen Bevölkerungswachstum die Partizipationsprojekte sozialer Segregation oder Münchens geringe Flächenressourcen gegenüber- Bildung von Exklusionsgesellschaften in Wohnvier- stehen, geht man von einem jährlichen Zuwachs von teln entgegen. Sie unterstützen damit die gesell- 22.000 Einwohnern aus – und weiter steigenden schaftliche Entwicklung einer Stadt. Preisen für Eigentums- und Mietwohnungen. Vor allem die städtischen Siedlungsflächen beschränken Der Fall München sich im Wesentlichen auf Stadtentwicklungsgebiete, Situation und städtische Förderung des auf Konversionsflächen wie die Anlage der ehema- Genossenschaftsbaus liger Bayern-Kaserne in Freimann, der Kronprinz- Die Situation für gemeinschaftliche Wohnprojekte Rupprecht-Kaserne in Freiham, der Prinz-Eugen-Pio- in München wird unterschiedlich bewertet. Den- nierkaserne in Bogenhausen und das Kreativquartier, noch werden sie in den letzten Jahren zunehmend ehemals Luitpoldkaserne in Schwabing-West – Flä- als Alternative zur Situation auf dem drastisch an- chenpotenziale für rund 46.000 Wohnungen. gespannten Wohnungsmarkt verstanden und da- Anfang der 1990er Jahre formierten sich in Mün- 24
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