MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
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mmm.verdi.de E 2814 Jahrgang 68 MENSCHEN MACHEN Madsack Mediengruppe MEDIEN Auflagenherr im Osten Berliner Verlag Medienpolitisches ver.di-Magazin Juni 2019 Nr. 2 Wie haste dir verändert? Medienwende Wege in die Marktwirtschaft
INHALT IM FOKUS MEDIENWENDE VERDI UNTERWEGS INTERNATIONAL 6 ZWISCHEN STAATLICHER 16 BERLINER, WIE HASTE 22 VONEINANDER LERNEN 28 24 JAHRE ZENSUR UND ENTFESSEL- DIR VERÄNDERT UND GEMEINSAM STÄRKE LEBENSERFAHRUNG TER MARKTWIRTSCHAFT Zusammengespart, aber ERFAHREN Ausbildung beim SRF in Von Günter Herkel immer noch eine wichtige Gespräch mit Christoph der Schweiz – die meisten Stimme in der Hauptstadt Schmitz, designierter werden übernommen 10 DESILLUSION Leiter des künftigen DER WENDEZEIT 19 NACHWENDEWELLEN Fachbereichs A in ver.di 29 FOTOS FÜR DIE Der steinige Weg vom PRESSEFREIHEIT 12 LINKE BLÄTTER Deutschen Fernsehfunk zu 25 PRESSE-VERSORGUNG IN DER NISCHE RBB und MDR ZUKUNFTSFEST 29 AKTION FÜR Immer wieder im Krisen- AUFGESTELLT CASIMIR KPEDJO, BENIN modus und der Blick auf junge Leser*innen 26 WER STEUERT WEN? PORTRÄT Digitalisierungskongress 14 WIE MADSACK DEN OSTEN zu Chancen und Risiken TARIFE UND HONORARE EROBERTE von KI im ver.di-Haus Zukäufe brachten die 4 BERUF Hannoveraner auf SCHALTMEISTERIN: 27 SCHON ENTDECKT? 30 CROSSMEDIALER Rang fünf der größten MONIKA BRUMMUND PRENZLAUER BERG TISCHREPORTER Zeitungshäuser NACHRICHTEN 31 Kino ANNÄHERUNG UND MEINUNG ABBRUCH 31 Öffentlich-rechtlicher 5 KEIN WIDERSPRUCH ZUR Rundfunk FLEXIBILITÄT TARIFVERHANDLUNGEN BEGONNEN 31 IMPRESSUM Titelbild Foto: robertharding/ Eric Nathan M ONLINE Immer aktuell informiert. Alle 14 Tage per Newsletter die neuesten Beiträge im Überblick. >> mmm.verdi.de 2 M 2.2019
XXXXXXXXXXXXXXX XXXXXXXXXXXXXXX Ohne Protest geht es auch unter DuMont 2019 nicht. Mit dem Umzug der Berliner Zeitung ins neue Haus in die Berliner Alte Jacobstraße verloren weitere Beschäftigte ihren Arbeitsplatz (S. 16 – 18). Wechselbad der Gefühle Mauerfall vor 30 Jahren: Nichts im Osten ist mehr wie zuvor. Euphorie, Hoffnungen, Ängste, Unge- wissheit, nicht selten ein Wechselbad der Gefühle, bestimmen in den folgenden Jahren den Alltag lentz der Menschen, der viel zu schnell alt-bundesdeutsch geprägt wird. Die Medien im Osten machen da ristian v. Po keine Ausnahme. M Menschen Machen Medien 2/2019 blickt im aktuellen Schwerpunkt auf 30 Jahre Medienentwicklung „zwischen staatlicher Zensur und entfesselter Marktwirtschaft“ (S. 6 bis 21). Fotos (2): Ch „Wirkliche Freiheit“ gebe es „nur in der kurzen Phase zwischen dem Abbruch des Alten und dem Aufbau des Neuen“, wird Gerd Kurze, neugewählter Vorsitzender des „Verbandes der Journalisten“ der DDR in der März-Ausgabe von Publizistik und Kunst 1990 (M-Vorgängerzeitschrift) zitiert. Wie kurz diese Phase wirklich sein werde, konnte man auf dem ersten Kongress der Berufsvereinigung nach der Wende Ende Januar nur ahnen. Die Zeit der Mediengründungen, der Träume von einer vielfältigen freien, sich von unten entwickelnden neuen Presse und einem eigenständigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Osten währte nur wenige Monate. Bereits Anfang Juli 1990 hatten Springer, Bauer, FAZ, WAZ … das Zeitungs- und Zeitschriften-Territorium der DDR über sogenannte „Kooperationsbeziehungen“ unter sich aufgeteilt. Der Berliner Verlag, das größte Filetstück unter den DDR-Verlagen, wurde von Gru- ner+Jahr und Robert Maxwell übernommen (S. 16–18). Die Bundesregierung unterlag dem Lobbyismus der Großverlage und ließ sie ohne jegliche Regulierung gewähren. Und die Treuhandanstalt musste die Presse-Kooperationen 1991 nur noch bestätigen, mehr Befugnisse hatte sie nicht. (S. 10/11). Und auch der VdJ der DDR erlebte das Jahresende 1990 nicht. Er wurde im September aufgelöst. Ein großer Teil seiner Mitglieder fand sich in der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union der IG Medien (heute dju in ver.di) wieder. Die Abwicklung des Deutschen Fernsehfunks (ehemals Fernsehen der DDR) fand bis Ende 1991 statt (S. 8, 19–21). M kann in dieser Ausgabe nur einen Bruchteil dieser spannenden und auch für viele Medienschaffende sehr dramatischen Zeit abbilden. Deshalb wird M Online (mmm.verdi.de) in den nächsten Wochen und Monaten weitere Beiträge veröffentlichen. Im August wird beispielsweise ein Dossier über die Frauenzeit- schriften in der DDR erscheinen und auch die wenig erfolgreichen Sanierungskonzepte der Treuhand für die DEFA und schließlich der Verkauf der traditionsreichen Filmgesellschaft 1992 werden ein Thema sein. Zudem geht der aktuelle M-Podcast im Interview mit Focus-Chefredakteur Robert Schneider der Frage nach „Kommt der Osten in den Medien zu kurz?“ Es gibt also eine Menge Gründe, den Sommer über M Online zu lesen – täglich aktualisiert! Die nächste Print-Ausgabe kommt erst im Oktober heraus. Dann mit einem Bericht über den ver.di-Gewerkschafts- kongress Ende September in Leipzig! Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin 2.2019 M 3
PORTRÄT Beruf Schaltmeisterin: Monika Brummund Den Überblick n v. Polentz oto / Christia behalten Foto: transitf O hne das tragbare Telefon geht Die gebürtige Berlinerin hat ihren Beruf beim dafür, dass die Übertragung auch dann funk- es nicht: Zur Begrüßung im DDR-Rundfunk gelernt. Facharbeiterin für tioniert, wenn im Internet viel los ist und die Flur des Deutschlandradio- Nachrichtentechnik hieß das damals, mit Datenrate nach unten geht. Funkhauses am Berliner einer Spezialisierung auf tontechnische An Hans-Rosenthal-Platz bringt lagen. Diese Ausbildung – der Name verrät es Der Schaltraum ist rund um die Uhr besetzt. Monika Brummund es mit. „Ich muss immer – hatte eine klare technische Ausrichtung auf Für die Schaltmeister*innen bedeutet das: erreichbar sein“, sagt die 55-Jährige. Das Tele den Bereich Ton. Heute sei das anders, sagt Schichtdienst. Als sie im Schaltraum anfing, fon wird dann auch öfter klingeln an diesem Monika Brummund: Wer beim Deutschland- habe sie ihrem Mann und ihren zwei Kindern Morgen. Während die meisten Kolleg*innen radio die Ausbildung als Mediengestalter*in den Dienstplan gezeigt und gefragt: „Ist das so langsam eintrudeln, hält Monika Brum- Bild und Ton durchläuft, muss sich in vielen in Ordnung für euch?“ Die Kinder waren da mund bereits seit sechs Uhr morgens die Stel- Bereichen auskennen, sollte idealerweise No- schon groß, alle waren einverstanden. Mo- lung im Schaltraum. Es ist der technische ten lesen und ein Instrument spielen können. nika Brummund mag den Schichtdienst. An- Knotenpunkt des Funkhauses, alle Schaltun- ders als andere Schichtarbeiter*innen leidet gen und Leitungen laufen über diesen Raum. Monika Brummunds Schwerpunkt war seit sie nicht unter Schlafproblemen. der Ausbildung die Hörspielproduktion. Dann Da gilt es, den Überblick zu behalten: Die kam die Wende, viele Mitarbeiter*innen ver- Das Telefon klingelt: In einem Landesstudio Schaltmeisterin wacht über eine beeindru- loren ihren Job. Brummund bewarb sich er- funktioniert die Übertragung eines Gesprächs ckende Anzahl an Bildschirmen, Telefonen, folgreich für eine Stelle beim neu gegründe- nicht. Brummund schaltet sich ein, man hört Reglern und Knöpfen. Von hier aus stellt sie ten Deutschlandradio. An ihrem neuen Ar- den Studiogast, der noch nichts bemerkt hat Verbindungen zu den Korrespondenten in al- beitsplatz im Berliner Westen war sie zunächst und weiterredet, den Moderator, der fragt: ler Welt her, baut Konferenzschaltungen für im Bereich Produktion tätig, dann zuständig „Was machen wir jetzt?“ „Gib mir einen Mo- die Kolleg*innen auf, kümmert sich um Lei- für die Übertragung der Sendungen. 2005 ment“, sagt die Schaltmeisterin und stellt die tungen für die Ü- Wagen und spricht sich mit wurde eine Stelle im Schaltraum frei. Bis zu Verbindung erneut her. Nach wenigen Augen- Techniker*innen in den Studios ab – um nur diesem Zeitpunkt habe sie „alles durchlaufen, blicken können sich der Moderator und sein ein paar ihrer Aufgaben zu nennen. was der Rundfunk hergibt, nur der Schalt- Studiogast weiter unterhalten. „Zum Glück raum hat mir noch gefehlt“, sagt sie. nur eine Aufzeichnung“, sagt Brummund. Sie ist Ansprechpartnerin für alle mögliche Fragen. „Hat hier jemand ein Problem, heißt Ihr Beruf hat sich durch die Digitalisierung Auch in stressigen Situationen ruhig zu blei- es: ‚Ruf den Schaltraum an‘“, sagt Monika stark verändert. Früher zum Beispiel, wenn ben – diese Fähigkeit ist wichtig im Schalt- Brummund. Sie ist auch zur Stelle, wenn mal mal etwas nicht geklappt hat mit der Übertra- raum. Außerdem müsse man klare und kurze gar kein Ton mehr zu hören ist. Gibt es im gung bestimmter Sendungen, konnte es vor- Ansagen machen können, sagt Brummund. Programm mehr als 30 Sekunden Stille, mel- kommen, dass Brummund Kolleg*innen ver- Manchmal sage sie zu ihren Kolleg*innen: „So det sich das Warnsystem. Dann begibt sie sich ständigen musste, die dann zum Langwel- lange ich mit euch spreche, kann ich mich auf die Suche nach der Ursache für den Sen- len-Sendemast fuhren und überprüften, ob nicht um das Problem kümmern.“ Eigentlich deausfall und behebt das Problem so schnell dort ein Fehler vorliegt. Heute läuft natürlich sei sie gar nicht der Typ dafür. Aber im Laufe wie möglich. „Havarie-Situation“ nennen sie alles digital. Monika Brummund hat ein Auge ihres Berufslebens habe sie sich diese Eigen- das beim Radio. auf Online-Streams und Podcasts und sorgt schaft antrainiert. Sarah Schaefer ‹‹ 4 M 2.2019
MEINUNG Kein Widerspruch zur Flexibilität D as Urteil des Europäischen gebern zu einem Ergebnis zum Wohle der tionsteams, wenn überhaupt, in oberflächli- Gerichtshofs (EUGH) zur ver- Mitarbeiter*innen gebracht, vor allem was chen Schulungsprogrammen nur dürftig auf pflichtenden Arbeitszeiter- ihre Gesundheit betrifft. die Neuzeit vorbereitet hat. fassung ist wegweisend für unseren Berufsstand – in po- Seit mehr als fünf Jahren bewährt sich die Ar- Die verpflichtende Arbeitszeiterfassung steht sitiver Beziehung für die Redakteur*innen, beitszeiterfassung in Bremen und Braun- auch nicht im Widerspruch zum „mobilen Ar- aber auch für die Verlage. Dafür gibt es be- schweig in der Praxis auf der Grundlage des beiten“ oder zum „Homeoffice“, es müssen ja weiskräftige Belege. Die Entwicklung in den Arbeitszeitgesetzes und der jeweiligen Arbeits- nur die Arbeitsstunden aufgeschrieben wer- wenigen Redaktionen, die in Deutschland die zeit – ob bei tarifgebundenen oder tariflos an- den. Mit den heutigen technischen Systemen zwingende Arbeitszeiterfassung eingeführt gestellten Arbeitnehmer*innen. Die Akzep- kann die reine Arbeitszeit erfasst werden, das haben, zeigt ein außergewöhnliches Phäno- tanz der Belegschaft liegt bei nahezu 100 Pro- hat mit Stechuhr nichts zu tun, aber mit Ge- men, welches, wenn man sich eingehend und zent, zumal Planungssicherheit steigt, man sundheitsschutz. Die Argumentation der Ver- wertfrei mit der Materie beschäftigt, eine lo- dabei mit der Vertrauensarbeitszeit von legerverbände für Zeitungen und Zeitschrif- gische Folge von deren konsequenter Umset- „Stechuhrjournalismus“ so weit entfernt ist ten, dass der „kreative Freiraum“ für Journa- zung ist. wie von „Arbeit 1.0“. list*innen verloren geht, ist so alt wie falsch. Schlicht: Humbug! Vorreiter der verpflichtenden Arbeitszeiterfas- Ganz im Gegenteil. Arbeitszeiterfassung und sung war der Betriebsrat eines Tageszeitungs- flexibles Arbeiten sind kein Widerspruch. Betriebsräte müssen mit Unterstützung der verlags in Ostwestfalen, der einen in diesem Laut der Umfrage einer Krankenkasse hat je- Gewerkschaften den sich abzeichnenden Bereich nicht unüblichen Berg von Überstun- de*r Zweite in Deutschland das Gefühl, am „Liebesentzug“ durch ihre Arbeitgeber, wie es den in der Redaktion vor sich her schob. Die Rande des Burn-outs zu balancieren. Redak- Arbeitsrechtsprofessor Dr. Wolfgang Däubler mutige Betriebsratsvorsitzende, dju-Mitglied teur*innen bilden da keine Ausnahme. Es gilt treffend formulierte, einfach in Kauf nehmen. und Mutter zweier Kinder, einigte sich nach Stress einzudämmen und ausreichend Ruhe- Die moralischen und rechtlichen Vorausset- zähen Verhandlungen in einer Einigungs- zeiten zu gewährleisten. zungen sind besser denn je. Die mutige Be- stelle mit ihrem Arbeitgeber, die elektronische triebsratsvorsitzende aus Ostwestfalen ist üb- Erfassung der Arbeitszeit für Redakteur*innen Mit einer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung wer- rigens mittlerweile Redaktionsleiterin – ohne einzuführen. Mit Erfolg und ohne den Unter- den für Journalist*innen akzeptable Berufs- eine verpflichtende Arbeitserfassung gang des Verlages herbeizuführen. voraussetzungen in der Arbeitswelt 4.0 erst so gut wie unmög- geschaffen. Die strukturierte und zwingende lich. Arbeitnehmervertretungen in Bremen und Planung von wertvoller Arbeitszeit wird in Jörg Brokmann ‹‹ Braunschweig folgten ihrem Beispiel. Mit er- Zeiten der „digitalen Transformation“ immer heblichem Widerstand durch die Arbeitgeber, wichtiger für unsere Branche. – Eine Branche, Der Autor ist Redak- Foto: privat erkämpft durch sämtliche gerichtlichen Ins- die in großen Teilen über viele Jahre aufgrund teur und Betriebsrats- tanzen, aber schließlich in Betriebsverein blendender Gewinnmargen technische Neu- vorsitzender der Braun- barungen mit den zähneknirschenden Arbeit- erungen vielfach ignoriert hat; ihre Redak schweiger Zeitung Anzeige Jubiläumsaktion Erwachsene Kinder von Presse- Versicherten können sich, unabhängig von Alter und Beruf, im Rahmen der Jubiläumsaktion bei uns versichern. fotolia/contrastwerkstatt fotolia/ivanko80 Mehr Rente für Journalisten 0711 2056 244 www.presse-versorgung.de info@presse-versorgung.de
IM FOKUS 30 Jahre nach der Wende bietet die Medienlandschaft im Osten Deutschlands ein zwiespältiges Bild. Nach wie vor verlieren die von westdeutschen Großverlagen kontrollierten ehemaligen DDR-Traditionstitel überdurchschnittlich an Auflage. Der aufgelöste staatliche DDR-Rundfunk ist erfolgreich in ARD und ZDF integriert. Gescheitert war indes früh der Traum von einem „Dritten“ Medienweg. Zwischen staatlicher Zensur und entfesselter Marktwirtschaft Von Günter Herkel S taatsunabhängige Medien, eine von der Lizenzierungs- Zeitschriften und Zeitungen der DDR, fotografiert pflicht befreite Presse, ein öffentlich-rechtliches Rund- im Museum „Zeitreise“ in Radebeul, dass 2016 verkauft funksystem – solche in den meisten demokratischen und als Museum „Die Welt der DDR“ am 29. Januar 2017 Gesellschaften selbstverständlichen Einrichtungen – in Dresden neueröffnet wurde. sollte es nach dem Fall der Mauer auch im Osten Deutschlands geben. Tatsächlich schickte sich noch die alte DDR-Volkskammer bereits Anfang 1990 an, auf den Trümmern der SED-Diktatur die Medien zu demokratisieren. Grundlage war der „Beschluss über die Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit“. Der Kernsatz dieses Dekrets: „Jegli- che Zensur der Medien ist untersagt.“ Formal war auch in der DDR-Verfassung die Freiheit von Presse und Rundfunk gewährleistet. Mit dem westlichen Demokratiebegriff hatte dies freilich wenig zu tun. Die sozialistische Definition forderte Freiheit nicht als Individualrecht, sondern als „Recht einer Klasse“, im Zweifel selbstredend der Partei der Arbei- terklasse. Wie dies gehandhabt wurde, zeigte sich ge- rade in der Agoniephase des SED-Regimes besonders drastisch. Der damalige ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda Joachim Herrmann, verantwortlich für die penible Überwachung der Medieninhalte, drang- salierte die Beschäftigten nahezu täglich mit absurden Foto: Stefan Kühn Direktiven. Etwa vom Schlage „Tiefflüge sind kein Thema für uns“ oder „Wir beschäftigen uns nicht mit der Ausreiseproblematik“. Auch Eingriffe in laufende 6 M 2.2019
Foto: Toni Nemes Plakatreklame für die DDR-Illustrierte „F.F. dabei“ am 20. Februar 1996 in Berlin. Die einzige Programmzeitschrift für das Fernsehen der DDR wurde noch im Jahr 1996 eingestellt (s. S. 16). Sendungen der „Aktuellen Kamera“ waren keine Sel- bruchsstimmung“, erinnerte sich später Buchverleger tenheit. Damit sollte nun Schluss sein. Eine wichtige und Publizist Christoph Links, der am 1. Dezember Rolle spielte seinerzeit der rund 40köpfige Medienkon- 1989, den Ch. Links Verlag gründete. Es war das „wun- trollrat, ein vom Runden Tisch vorgeschlagenes und derbare Jahr der Anarchie“, eine kurze historische von der Volkskammer eingesetztes Gremium staats- Phase, in der alles möglich schien. Sogar Westjourna- unabhängiger, gesellschaftlich relevanter Gruppen. In listen seien in den Osten gekommen, „um sowas mal diesem Rat tummelten sich unter anderem Bürger- zu erleben, weil sie das aus ihren verfestigten Anstal- rechtler vom Neuen Forum, dem Unabhängigen Frau- ten nicht kannten“. In neuen Formaten wie dem Ju- enverband und der Initiative für eine Vereinigte Linke. gendmagazin „Elf 99“ und Live-Sendungen erprobten Der bunte Haufen sollte die Medienentwicklung kri- die Mitarbeiter*innen des DDR-Rundfunks nun erst- tisch begleiten und bei der Umsetzung des Medienbe- mals einen freien und kontroversen Journalismus. Bär- schlusses der Volkskammer helfen. Eines Beschlusses, bel Romanowski, damals Redakteurin beim DDR-Fern- der manch brisanten Programmpunkt enthielt. „Zur sehen, heute PR-Beraterin und Mitglied im Medienrat Sicherung der Eigenständigkeit der Medien unseres Berlin-Brandenburg, bekam seinerzeit im „Deutschen Landes“, hieß es da beispielsweise, „bedarf jede Eigen- Fernsehfunk“ (DFF) eine eigene Frauensendung: „Un- tumsbeteiligung an Medien der DDR durch Ausländer geschminkt“. Anfangs konnte sie es kaum fassen, un- der Genehmigung des Medienkontrollrates“. Ein kla- kontrolliert, ohne Interventionen von Funktionären rer Schuss vor den Bug von Springer, Burda, Bertel- der Staatspartei arbeiten zu können. „Keiner sagte, was mann & Co. Die scharrten schon vernehmlich mit den willst du den Minister fragen, keiner wollte wissen, Hufen, um ihre Claims bei der anstehenden Erobe- wie strukturierst du die Sendung. So haben wir zwei rung des ostdeutschen Zeitungsmarktes abzustecken. Jahre lang Fernsehen gemacht, völlig frei.“ Idee: Rundfunk in Volkseigentum Doch für die Anhänger eines „dritten“ Medienwegs zwischen staatlicher Zensur und entfesselter Markt- Der DDR-Rundfunk, da bestand durchaus Konsens, wirtschaft dauerte dieser Zauber nur kurz. Für die sollte zwar in ein öffentlich-rechtliches System über- Printmedien der DDR schlug schon am 1. April 1990 führt werden. Abweichend von den Verhältnissen bei die Stunde der Wahrheit. Damals wurden die Zeitun- ARD und ZDF sollten die elektronischen Medien nach gen und Zeitschriften recht abrupt in die raue Welt den Vorstellungen der Bürgerrechtler jedoch „Volks- der freien Marktwirtschaft entlassen. Der Wegfall staat- eigentum“ sein und von allerdings nicht näher definier licher Subventionen löste sofort eine rasante Presse- ten „gesellschaftlichen Räten“ kontrolliert werden. Je- konzentration aus. Die ersten Opfer waren vor allem dem Anfang, so heißt es bei Hermann Hesse, wohnt die überregionalen Zentralblätter und der größte Teil ein Zauber inne. Es herrschte „eine unheimliche Auf- der Neugründungen aus der Nachwendezeit. » 2.2019 M 7
IM FOKUS Besonders schlecht erging es den ehemaligen natio- suchen muss“, klagte im Mai 1990 DDR-Medienmi- nalen Sprachrohren der SED, der Blockparteien und nister Gottfried Müller – ja, sowas gab es wirklich, der Massenorganisationen. Bis 1992 eingestellt wur- wenn auch nur ein halbes Jahr lang. Müller: „Es ist den das Deutsche Sportecho, Der Morgen (zwischenzeit- nicht selten so, dass an Kiosken die Pakete mit den lich im Besitz von Springer), die Berliner Allgemeine grauen DDR-Produkten gar nicht mehr ausgepackt (früher: Nationalzeitung), das Deutsche Landblatt (frü- werden, weil man ja allen Platz zur Präsentation der her: Bauern-Echo) sowie das einstige FDGB-Organ Tri- bunten West-Titel braucht.“ büne. Zwei Jahre später erwischte es auch das frühere CDU-Blatt Neue Zeit (zwischenzeitlich unter Kontrolle Von den in der DDR lizenzierten 543 Zeitschriften der FAZ). Nur das ehemalige SED-Zentralorgan Neues überlebte nur eine Handvoll. Zu den bekannteren zäh- Deutschland (ND) und das einstige zentrale Blatt der len das Verbrauchermagazin Guter Rat, die Satirezeit- Freien Deutschen Jugend (FDJ) Junge Welt (JW) über- schrift Eulenspiegel sowie das einst wegen freizügiger lebten bis heute. Beide erreichen allerdings mit Auf Erotikaufnahmen populäre und als „Bückware“ gehan- lagen von etwa 24.000 (ND) bzw. geschätzten 15.000 delte Magazin. Einzige erfolgreiche Zeitschriftenneu- Exemplaren (JW) nur noch einen Bruchteil ihrer frü- gründung ist das Wochenblatt Super Illu, ein bunter heren Massenauflage von insgesamt 2,6 Millionen. Digest mit hohem Nostalgiekonzentrat – laut Bran- chenspott das „Blatt für die geschundene Ost-Seele“. Günstige Politik für Westverlage Bereits kurz darauf war der „Zeitungsfrühling“ been- Auch die im Gefolge der Wende gegründeten unab- det, die zeitweilig beachtliche Vielfalt drastisch redu- Nachrichtenraum der hängigen Zeitungen der Bürgerrechtsbewegung ver- ziert. Ironie der Geschichte: Der Marktanteil der ver- „Aktuellen Kamera“ 1990 in schwanden vom Markt. Übrig blieben vor allem die hökerten Bezirkszeitungen an der Auflage aller regio- Berlin-Adlershof ehemaligen SED-Bezirkszeitungen. Diese auflagenstar- nalen Aboblätter liegt heute höher als zur Zeit der ken Blätter verfügten schon zu DDR-Zeiten über ein SED-Diktatur. Allerdings verzeichnen alle Blätter ei- fast vollständiges Monopol orts- und kreisbezogener nen dramatischen Auflagenschwund. So hat sich ihre Berichterstattung. Dass dieser Zustand schon wenige Gesamtauflage innerhalb der vergangenen 30 Jahre Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch wieder- im Schnitt etwa um mehr als zwei Drittel reduziert. hergestellt war, ist vor allem dem erfolgreichen Lob- (vgl. Grafik) byismus westdeutscher Großverlage, dem Stillhalten der Bundesregierung und der kurzsichtigen Politik der Deutscher Fernsehfunk aufgelöst Treuhandanstalt zu verdanken. Letztere hatte im Ap- ril 1991 die begehrten Bezirkszeitungen an Konzerne Auch im Rundfunk gelang es den Befürwortern des verkauft. Eine – vorsichtig ausgedrückt – den Interes- Dritten Weges nicht, eigene Akzente zu setzen. An der sen der Westverlage sehr entgegenkommende Politik Eingliederung in öffentlich-rechtliche Strukturen nach und die Untätigkeit der Kartellämter beförderten eine dem Vorbild von ARD und ZDF führte kein Weg vor- Art „urspüngliche Akkumulation“ des Verlagskapitals bei. Als Rundfunkbeauftragter für die neuen Bundes- im Osten der Republik. länder agierte bis Ende 1991 Rudolf Mühlfenzl, der ehemalige Chefredakteur des damals noch erzkonser- Gegen die Wucht, mit der die Westverlage ihren eige- vativen Bayerischen Rundfunks. Ihm eilte seinerzeit nen Zeitungs- und Zeitschriftenvertrieb etablierten, der Ruf eines gnadenlosen Abwicklers, eines Wessi mit war das veraltete, bürokratische Vertriebssystem der Konquistadorenmentalität voraus. Der Deutsche Fern- DDR-Post hoffnungslos unterlegen. „Die Flut der Pres- sehfunk wurde aufgelöst. Von den zentralen DDR-Hör- setitel von drüben … verstopft Weg und Kanäle, durch funkstationen überlebte nur „Deutschlandsender DS die sich die landeseigene Presse ihren Weg zum Leser Kultur“ im Schoße des neu gegründeten Deutschland- Auflagenentwicklung der früheren SED-Bezirkszeitungen Verkaufte Auflage in Tsd. Exemplaren (Gerundet auf volle Tausend). Quellen: Media Perspektiven, Meedia, IVW I/2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 439 209 65 351 208 97 293 168 61 212 134 62 295 199 112 203 129 67 204 129 63 664 419 213 Berliner Märkische Lausitzer Märkische Ostsee- Schweriner Nordkurier Freie Presse Zeitung Allgemeine Rundschau Oderzeitung Zeitung Volkszeitung Chemnitz 8 M 2.2019
MEDIENWENDE denburg (RBB) korrigiert wurde. Dagegen gründeten Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits 1991 den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Der Dreilän- derverbund ist heute die fünftgrößte ARD-Anstalt. Ein Konstrukt, das Chefabwickler Mühlfenzl später als größten Erfolg seiner Tätigkeit ansah. Vom ehemali- gen DDR-Rundfunk blieb nicht viel mehr als „Unser Sandmännchen“. Kein Gehör fand auch eine andere zentrale Forderung der Medienopposition: die Rundfunkaufsicht durch staatsferne, gesellschaftliche Räte. In Abgrenzung zur damals schon umstrittenen Zusammensetzung eini- ger Rundfunkräte in der ARD und des ZDF-Fernsehra- Foto: Paul Glaser tes forderte etwa die Medienwissenschaftlerin Edith Spielhagen als Mitglied des Medienkontrollrats die Präsenz von „mehr Medienexperten“ und „weniger Vertretern aus Staat, Regierung und Parteien“. Eine nach wie vor aktuelle Problematik, wie der folgende jahrelange und bis in die Gegenwart reichende Streit um eine allzu große Staatsnähe vor allem der ZDF-Gre- radios. DS Kultur, 1994 mit dem Westberliner RIAS mien zeigt. zum Deutschlandradio Berlin (heute: DLF Kultur) fu- sioniert, profitierte von der politischen Entscheidung Viele Chancen verspielt der Ministerpräsidenten der Länder, neben dem Deutschlandfunk einen weiteren werbefreien natio- Die „Medienwende“ von 1989/90 war, so lässt sich im nalen Hörfunkkanal zu betreiben. Rückblick resümieren, keine Wende ausschließlich zum Guten. Das gilt vor allem für die Printmedien. Besonders kontrovers verlief die Neugestaltung beim Verspielt wurde „die große Chance auf eine dicht ge- Aufbau öffentlich-rechtlicher Strukturen in den ein- webte, feingliedrige, von unten gewachsene Presse- zelnen Ländern. Die Idee einiger Ostpolitiker, in den landschaft“, urteilt der Leipziger Kommunikationswis- fünf neuen Ländern eine gemeinsame dritte öffent- senschaftler Uwe Krüger. Eine Landschaft, die die spe- lich-rechtliche TV-Anstalt neben ARD und ZDF zu bil- zifischen lokalen und regionalen Wahrnehmungen, den, stieß auf wenig Gegenliebe. Dieser auch von der Bedürfnisse und Interessen mit viel Bürgerbeteiligung Medienlinken favorisierte Ansatz wurde durch egois- hätte ausdrücken, verhandeln und in den gesamtdeut- tisches Gezerre innerhalb der ARD und der Länder ver- schen politischen Diskurs einspeisen können“. Was tan. Am Ende schloss sich Mecklenburg-Vorpommern wäre, fragt Krüger, wenn die Keime einer solchen dem NDR an. Das 2,5-Millionen-Land Brandenburg Printmedien-Flora nicht „von den mächtigsten Akteu- Grafik für M: Petra Dreßler leistete sich zunächst aus der nicht ganz unbegründe- ren in einem unregulierten Markt zerstört worden wä- ten Furcht vor einer Dominanz des Hauptstadt-Sen- ren?“ Und er gibt selbst die Antwort: „Vielleicht wäre ders Freies Berlin (SFB) mit dem Ostdeutschen Rund- der Osten heute weniger rechts, weniger anfällig für funk Brandenburg (ORB) einen eigenen Sender. Eine Demagogen, fühlte sich weniger abgehängt und be- umstrittene Entscheidung, die mit der 2003 erfolgten droht, vielleicht wäre er stärker, selbstbewusster, de- Fusion von ORB und SFB zum Rundfunk Berlin-Bran- mokratischer.“ ‹‹ Früher: Freies Wort (Suhl) 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 1989 1999 2019 569 373 191 484 260 148 590 263 157 454 209 150 643 431 220 179 95 57 5.579 3.398 1.662 Sächsische Leipziger Mitteldeutsche Volksstimme MGT Thüringen Südthüringer Gesamt- Zeitung Volkszeitung Zeitung Magdeburg Gesamt Presse auflage 2.2019 M 9
IM FOKUS Desillusion der Wendezeit nterview mit Mandy Tröger, Wissen- I schaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maxi- milian-Universität München M | Noch Anfang 1990 war in der untergehenden DDR von einem „Zeitungsfrühling“ die Rede. Mehr als 100 neugegründete Blätter sorgten für eine nie gekannte Pressevielfalt. Kurz darauf war davon nichts mehr übrig. Was ist da passiert? Mandy Tröger | Schon im März 1990 wurden von den Großverlagen der BRD massiv westdeutsche Pres- seprodukte auf den DDR-Markt gedrückt. Das gelang mit Hilfe von Preisdumping. Eigentlich war der Um- tauschkurs 1 DM zu 3 Mark. Im Bestreben, möglichst früh neue Leser zu gewinnen, wanderten die Presseer- zeugnisse zum 1:1-Kurs über die Theke. Das war fak- tisch ein Minusgeschäft. Es ging aber zunächst vor 2018 promovierte Mandy allem zu Lasten kleinerer westdeutscher Verlage und Tröger mit der Arbeit der DDR-Verlage. Letztere arbeiteten noch unter den „On Unregulated Markets Bedingungen der Planwirtschaft. Das heißt, sie waren and the Freedom of Media. immer noch auf Subventionen angewiesen. Springer, The Transition of the East Burda, Bauer und G+J dagegen teilten das Verbrei- German Press after 1989” an Großverlage die Klinke in die Hand. Besonders scharf tungsgebiet DDR unter sich auf und errichteten einen der University of Illinois. waren die finanzstarken Großverlage, vor allem Bauer verlagseigenen Pressevertrieb. Am 1. April fielen dann und später Springer, auf die vierzehn SED-Bezirkszei- die Subventionen für die DDR-Presse weg. Die DDR- Eine bearbeitete Fassung wird tungen sowie den Berliner Verlag samt Berliner Zeitung. Verlage verfügten über keine Infrastruktur, keine Wer- in Kürze unter dem Titel Im Gegensatz zum Neuen Deutschland und der Jungen bung, kein Marketing. Das knappe Papier mussten sie „Pressefrühling und Profit: Welt, denen die institutionellen Großabnehmer weg- weiter im Preisverhältnis 1:3 kaufen. Was Vertriebs- Wie westdeutsche Verlage brachen, konnten diese Blätter ihre Auflagen stabil be- strukturen und Qualität anging, waren die DDR- 1989/1990 den Osten erober- haupten. Mit Auflagen zwischen 200.000 und 600.000 Blätter mit den Produkten der Westverlage nicht kon- ten“ in Buchform erscheinen. Exemplaren hatten sie quasi eine Monopolstellung in kurrenzfähig. Auch die Neugründungen konnten in den jeweiligen Bezirken. diesem Umfeld nicht lange mithalten. Obwohl die DDR zu diesem Zeitpunkt formal noch ein souverä- ner Staat war, hatte sich faktisch bereits ein gesamt- … Aber während des ganzen Prozesses hat die Politik deutscher Printmarkt etabliert. mehr oder weniger tatenlos zugesehen. Gleichzeitig liefen schon seit Ende 1989 intensive Kooperationsgespräche von westdeutschen und DDR-Verlagen. War das nicht illegal? Auch die Treuhand spielte in dieser historischen Die Aufteilung der DDR-Medien unter den westdeut- Situation eine höchst unrühmliche Rolle. Nach schen Großverlagen war im Prinzip spätestens im Mai dem Verkauf der SED-Bezirkszeitungen an die 1990 schon durch. Es zirkulierten Listen ostdeutscher westdeutschen Großverlage war die Pressevielfalt Zeitungen mit potentiellen Käufern oder mit klaren geringer als noch zu Zeiten der DDR-Diktatur. Kooperationsvereinbarungen. Die reichten von Büro- Ist das nicht ein Treppenwitz der Medienge- ausstattungen über Druckaufträge bis zur Inhaltepro- schichte? duktion im Westen. Allein die Ostsee-Zeitung bekam Was die Presse angeht, da ist die Treuhand eigentlich schon im Dezember 1989 fünf Anfragen innerhalb ei- nur der Sündenbock. Das eigentliche Problem lag bei ner Woche. Hoch im Kurs stand auch der Berliner Ver- der Bundesregierung. Der größte Teil der bestehenden lag (siehe auch S. 16 – 18), da gaben sich sämtliche Kooperationen wurde faktisch 1991 von der Treuhand 10 M 2.2019
MEDIENWENDE nachträglich nur offiziell geneh- bild der Bundesrepublik vor. Die Pressever- ren. So war es ja nicht. Es gab basisdemokra- migt. Natürlich hätte es die Mög- triebsverordnung von Mai 1990 richtete sich tische Reformbestrebungen, es war nicht von lichkeit gegeben, das zu unterbin- entsprechend gegen den verlagsabhängigen vornherein klar, dass es zur Vereinigung kom- den. Am Ende bestand aber kein Vertrieb der großen Vier. Darin hieß es ganz men würde. Das wurde erst durch die Parteien Interesse daran, die Monopolisie- klar: Verlage dürfen nicht selbst in den Ver- und Wirtschaftsinteressen aus der alten Bun- rung zu verhindern. Birgit Breuel, trieb von Presseprodukten involviert sein. desrepublik kanalisiert. Der Medienkontroll- seit 1991 Präsidentin der Treu- Aber zu dem Zeitpunkt gab es schon eine rat wurde mit der deutschen Einheit begra- hand, sagte später: Die Großver- komplette Infrastruktur mit 3.000 Verkaufs- ben. Daher konnte die Noch-DDR in den Ver- lage wussten um ihre Macht. stellen, die konnten nicht mehr durch politi- handlungen zur „Medieneinheit“ kaum ei- Die Treuhand hatte kaum Alter- sches Handeln abgebaut werden. Der Staat genständige Vorstellungen beitragen. nativen und keinen politischen war schwach. Das Vakuum wurde durch die Auftrag, für Pressevielfalt zu Verlage genutzt, um Tatsachen zu schaffen Wie beurteilen Sie den aktuellen Zustand sorgen. Man brauchte finanz- und ihren Exklusivvertrieb aufzubauen. der ostdeutschen Medienlandschaft? starke Verlage. Daher war im Der ist traurig. Derzeit stecken wir allerdings Prinzip die Übernahme der Warum schritten die Kartellämter seiner- ganz allgemein in einer „Medienkrise“, die ist Zeitungen im Mai/Juni 1990 zeit nicht ein? nicht nur digitaler, sondern struktureller Na- bereits abgeschlossen. Es kam Das Amt für Wettbewerbsschutz wurde schon tur. Auf den Osten bezogen heißt das, es gibt nur noch zu einigen Ver- zu Zeiten der Modrow-Regierung nach dem beispielweise keine oder kaum ostdeutsche schiebungen. Vorbild des Bundeskartellamtes am 20. März Stimmen in den Medien. Über Ostdeutsche 1990 gegründet. Es fing aber erst Monate spä- wird gesprochen, sie sprechen selten selbst, Die Kohl-Regierung ließ ter mit der Arbeit an. Zu spät, um noch ein- es sei denn sie bedienen bereits bekannte Ste- die Westverlage also zugreifen. Das in der Noch-DDR eingeführte reotypen. In einer Studie im Auftrag des Mit- offenbar gewähren? Kartellrecht war außerdem wesentlich markt- teldeutschen Rundfunks (MDR) aus dem Jahr Die Rolle der Bundesregie- freundlicher als das Recht in der alten Bun- 2017 wird die Frage nach der Qualität der Be- Metzenrath rung und speziell des Bun- desrepublik. In der Vertriebsfrage war das richterstattung über Ostdeutschland gestellt. desinnenministeriums ist Bundeskartellamt zuständig, es schritt nach Ergebnis: Es überwiegt Negativberichterstat- Foto: Christl in der historischen Be- der Einheit ein und löste das Verlagskartell im tung. Das hat lange Tradition. Es gibt meh- trachtung einigermaßen Pressevertrieb auf. Ziel war, bestehende Struk- rere Studien, die belegen, dass in der BRD über unterbelichtet. turen in der BRD nicht zu gefährden. Am die DDR vor allem negativ berichtet wurde. Ja, das Bundesinnen Ende hat die Bundesregierung im Osten aber Politische Unterdrückung und Mangelgesell- ministerium ließ westdeutsche Ver- auf den freien Markt gesetzt. schaft standen im Vordergrund, nicht die lage Anfang 1990 gewähren. Ziel war, Infor- Menschen. Das wirkt sich bis heute aus mit mationen für die März-Wahlen in die DDR zu Waren die DDR-Bürger vom Hochglanz schwerwiegenden Folgen. Wie soll jemand in bekommen. Was kaum bekannt ist: Schon westdeutscher Verlagsprodukte geblen- Bayern ein Gefühl dafür bekommen, wie viel- Ende 1990 gab das BMI eine Studie in Auftrag det oder hat die Gier nach der D-Mark am schichtig die Menschen im Osten ticken? mit dem Ziel, die Pressekonzentration in der Ende alle basisdemokratischen Bedürf- DDR und später in den Neuen Ländern zu do- nisse plattgemacht? „Lügenpresse in die Fresse!“ Solche Rufe kumentieren. Als die Ergebnisse Ende 1991/92 Es gab politischen Druck, den DDR-Bürgern ertönen vor allem bei Demonstrationen publiziert wurden, gab es einen Aufschrei. den Zugang zur Westpresse zu geben. Trotz- im Osten Deutschlands. Könnte es sein, Weil man da das ganze Ausmaß der Monopo- dem hielten die DDR-Bürger an ihren ehema- dass diese medienfeindliche Haltung lisierung allmählich überblickte. Aber wäh- ligen Bezirksblättern fest. Viele wollten auch eine Spätfolge der in der Wendezeit rend des ganzen Prozesses hat die Politik schließlich die D-Mark, klar. Aber die ersten erlebten Desillusionierung ist? mehr oder weniger tatenlos zugesehen. Wahlen wurden ja ganz krass von der Kohl-Re- Wenn jetzt diese Parolen von der „Lügen- gierung beeinflusst. Allein das Ministerium presse“ ertönen, heißt es oft, sie seien Folge Und die Ostpolitiker? Immerhin hatte die für innerdeutsche Beziehungen hat 7,5 Mil der DDR-Erfahrung. Menschen im Osten hät- DDR für kurze Zeit sogar einen eigenen lionen Mark in den Wahlkampf gesteckt. Das ten kein Demokratieverständnis. Ich denke, Medienminister. Und dann gab es noch Bundesinnenministerium hatte noch im es ist tatsächlich eher eine Folge der Desillu- den Medienkontrollrat … Februar 1990 die Westverlage gewarnt, sie sion der Wendezeit. Man erlebte eine struktu- Der Medienkontrollrat wurde am 5. Februar agierten in einer rechtlichen Grauzone. Aber relle Ausgrenzung, in der die eigene Stimme 1990 auf Grundlage des Medienbeschlusses im anlaufenden Wahlkampf hat es dann die nicht zählte. Die Bürgerzeitungen, die sich da- basisdemokratisch geschaffen, hatte aber Verlage geradezu ermutigt, diese Grauzone zu mals formiert hatten, gingen den Bach run- keine exekutive Gewalt. Er formulierte Plädo- nutzen und nach Osten zu expandieren. ter. Die diskutierten Ideen über alternative yers, Beschwerden, mischte sich ein, ver- Finanzierungskonzepte, von einer auch auf suchte, die Expansion der Westverlage zu Bürgerrechtler und der Medienkontroll- innerer Pressefreiheit beruhenden unabhän- stoppen, wurde aber letztlich immer wieder rat träumten eine Weile den Traum vom gigen Presse. All die zahlreichen Initiativen übergangen. Der CDU-Mann und Theologe „dritten“ Weg, einem Weg zwischen für demokratische Reformen wurden abge- Gottfried Müller, Medienminister im Kabinett kapitalistischem Markt und staatlicher würgt. Und zugunsten politischer Interessen von Lothar de Maizière, wollte die Monopol- Zensur. War dieser Traum von vornher- der alten Bundesregierung und Wirtschafts- strukturen der DDR-Presse zerschlagen. Ihm ein illusionär? interessen der Großverlage beerdigt. Das wirkt schwebten zum Beispiel mittelständische, ver- Viele denken heute, nach dem Fall der Mauer bis heute nach. Es fragte: lagsunabhängige Grossisten nach dem Vor- sei der Zug direkt in Richtung Einheit gefah- Günter Herkel ‹‹ 2.2019 M 11
IM FOKUS Linke Blätter in der Nische Immer wieder im Krisenmodus und der Blick auf junge Leser*innen Z eitungen mit ostdeutscher ter*innen der Zeitung ist, sprang ein. Inwie- erst gab es eine große Redaktionskonferenz, Geschichte sind den Krisen- fern die Partei weiterhin bereit ist, die kri- bei der es um die Zukunft der Zeitung und modus gewohnt. In der DDR selnde Zeitung zu unterstützen, ist unklar. eine künftige Online-Strategie ging. Klar sei: millionenfach gedruckt, ver- Zweiter Gesellschafter neben der Linken ist Man müsse „massiv sparen“, so Hübner. Da loren das Neue Deutschland zu 50 Prozent die Communio Beteiligungsge- scheint es reizvoll, ganz auf digitale Inhalte und die Junge Welt nach der Wende massiv an nossenschaft eG mit Vorstand Matthias umzusatteln – ohne Kosten für Vertrieb und Auflage und kämpfen bis heute ums Überle- Schindler, gleichzeitig ND-Geschäftsführer. Druckerei. ben. Wie ernst ist die Lage? Und kann man Immer wieder wird darüber berichtet, dass die mit linker Ideologie überhaupt noch neue Gesellschafter dem ND das wertvolle Grund- Die taz macht es vor: Dort wird man voraus- Leser*innen gewinnen? stück am Berliner Ostbahnhof, auf dem das sichtlich ab 2022 den Druck der Tageszeitung Verlagsgebäude steht, entziehen wollen. Eine einstellen und wochentags nur noch digital Der Chefredakteur des Neuen Deutschland ist Drohung, die ein Redakteur gegenüber dem erscheinen – so zumindest sieht es das „Sze- nicht bekannt dafür, die Situation seiner Zei- NDR einmal als „Vertrauensentzug“ bewer- nario 2022“ des früheren taz-Geschäftsführers tung zu beschönigen. „Schon existenziell“, tete und die das Verhältnis zwischen Verlag Karl-Heinz Ruch vor. Doch diesen Schritt wird antwortet Wolfgang Hübner auf die Frage, wie und Gesellschaftern belaste. das ND aus Rücksicht auf seine Leserschaft, schlimm die Lage denn nun sei. Die verkaufte die im Schnitt über 60 Jahre alt ist, wohl nicht Auflage der „sozialistischen Tageszeitung“ Über Genossenschaft diskutiert so schnell gehen. Immerhin als Arbeitgeber liegt aktuell bei unter 24.000 Exemplaren. ist das ND bei jungen Leuten beliebt, obwohl Man blicke schon etwas neidisch auf taz und auch hier Gehälter und Honorare wie bei taz Anfang 1990 hatte das frühere SED-Zentral- Junge Welt, räumt Hübner ein. Beide Zeitun- und Junge Welt weit unter Tarif liegen. Der Al- organ noch über eine Million Leser*innen. gen haben eine Genossenschaft im Rücken. tersdurchschnitt der Redaktion liegt laut Hüb- Deren Zahl sank bis zum Ende des Jahres auf Auch beim ND wird dieses Modell rege disku- ner bei unter 40 Jahren. Er sieht es als seine etwa 100.000. In der Nachwendezeit stand die tiert. „Das wird unsere finanziellen Probleme Aufgabe an, zu vermitteln: zwischen der jun- Zeitung kurzzeitig unter Verwaltung der Treu- aber kurzfristig nicht lösen“, sagt Hübner. Er gen Redaktion und jenen Leser*innen, die hand. Ende 1991 sorgte eine große Spenden- ist seit Ende 2017 ND-Chefredakteur. Nur dem Blatt seit DDR-Zeiten die Treue halten – aktion für finanzielle Erleichterung, Leser*in- kommissarisch, wie er betont. Er wünscht sich und entsprechende Inhalte erwarten. nen gaben etwa eine Million D-Mark. Schlag- für die Position jemanden, der jünger ist und zeilen machte die Zeitung zuletzt, als sie Ende Erfahrung damit hat, Online-Inhalte zu ver- Im vergangenen Jahr gingen zwei Formate an 2017 kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. markten. Online – das ist in diesen Tagen ein den Start, mit denen der Verlag neue, jüngere Die Linkspartei, die eine der Gesellschaf- wichtiges Stichwort auch beim ND. Gerade Lesergruppen ansprechen möchte: die Wo- chenendausgabe nd.DieWoche, bei der das Wort „sozialistisch“ nicht mehr im Untertitel Berlin Alexanderplatz 1973: Jahrzehntelang stand „Neues Deutschland“ an der S-Bahn-Brücke auftaucht. Und das Online-Magazin Super- nova, dessen Autor*innen über Clubkultur und offene Beziehungen schreiben und dar- über, dass auch überzeugte Linke Lippenstift tragen können. Mehr Augenmerk auf Qualität „Supernova ist eines der interessantesten lin- ken Medienprojekte“, sagt Jörg Staude, Jour- nalist und Vorstand der Linken Medienaka- demie, im Gespräch mit M. Das Magazin richte sich an eine junge Zielgruppe, „die sich von Ideologie eher abgestoßen fühlt“. Geht es nach Staude, sollte es im linken Journalis- mus generell „weniger Ideologie“, dafür mehr Foto: SZ Photo / Peter Probst „journalistische Tugenden“ geben – das for- derte er in einem Kommentar, der im ND er- schienen ist. Für ihn liegt die Krise des ND auch darin begründet, dass die Redaktion mehr Wert auf die „richtige Position“ einer 12 M 2.2019
MEDIENWENDE Autorin oder eines Autors lege als auf die Qua- lität des Artikels. Ein Problem sei zudem, dass das ND als „Nischenprodukt“ keine bundes- weite Aufmerksamkeit bekomme, sagt Staude. Anders als etwa die taz, die im Mediensystem akzeptiert sei, gelte das ND nicht als seriöse Quelle. Die linke Bewegung habe ihren Anteil an diesem Nischendasein, denn selbst die wolle ihre Themen lieber in den bürgerlichen Medien platzieren. „Ich habe noch keine wirklich große Exklusiv-Geschichte von den Linken im Neuen Deutschland gelesen“, so Staude. In ihrer ganz eigenen Nische scheint die Junge Welt sich wohl zu fühlen. Spricht man mit Dietmar Koschmieder, seit 1995 Geschäfts- Foto: Toni Nemes führer der „linken, marxistisch orientierten“ Tageszeitung, scheint zunächst alles in bester Ordnung: Der Altersdurchschnitt der Le- ser*innen sei vergleichsweise niedrig, die ver- In der Grafik-Abteilung der Jungen Welt, im Mai 1994, noch in Berlin-Treptow kaufte Auflage einigermaßen stabil. Einen wichtigen Teil der Einnahmen bestreite die Zeitung mit Online-Abos. Statt Personal ab- zubauen, habe man neue Mitarbeiter*innen ders: Man habe eine „marxistischen Grund- tur“ war man bemüht, bisherige Leser*innen eingestellt. position, die von der Existenz von Klassen in Ost und West gleichermaßen zu erreichen, ausgeht“ und davon, „dass alles, was ge- was nicht immer gelang: Bis November 1991 Doch auch Koschmieders Blatt kämpft ums schieht, irgendjemandem nützt und irgend- hatte rund die Hälfte der früheren Sonntag-Le- Überleben. „Die Junge Welt in Gefahr!“ schrieb jemandem schadet“. – Marxismus, Klassenge- ser*innen den Freitag abbestellt. Die verkaufte die Zeitung – mal wieder – im vergangenen sellschaft: Was wohl insbesondere für jüngere Auflage lag in diesem Jahr noch bei 25.000. November. Im Schnitt komme man auf knapp Ohren nach längst vergangenen Zeiten klingt, unter 19.000 verkaufte Exemplare. Mindes- ist für Koschmieder ein Alleinstellungsmerk- Das „Meinungsmedium“ Freitag tens 20.000 müssten es sein, um kostende- mal auf dem deutschen Zeitungsmarkt, mit ckend arbeiten zu können, sagt Koschmieder. dem man neue Leser*innen jeden Alters ge- Die wirtschaftliche Lage des Blattes blieb un- Das Blatt hat mit einer saftigen Erhöhung der winnen kann. „Wir müssen Leute finden, die sicher. 1996 ging der Freitag an eine Eigentü- Zustellpreise durch die Deutsche Post zu das Produkt lesen, und dann überzeugt das mergruppe, der es gelang, von Unterstützern kämpfen. Auf der Junge-Welt-Website wird das Produkt selber.“ Jörg Staude von der Linken Gelder aufzutreiben, kostendeckend zu arbei- Unternehmen scharf dafür kritisiert. Medienakademie sagt: „Für mich ist die Junge ten und den Freitag als „Nischenprodukt“ zu Welt keine Zeitung mehr, das ist ein politi- etablieren, wie sich Wilhelm Brüggen, Spre- Die Junge Welt, 1947 gegründet, war als Zen- sches Kampfblatt.“ cher der damaligen Eigentümergruppe, in ei- tralorgan der FDJ zeitweise die auflagen- nem Artikel erinnert. stärkste Zeitung der DDR. Wie das Neue Politische Kämpfe erlebte die Junge Welt auch Deutschland verlor sie nach der Wende Milli- intern: 1997 kommt es zum Streit, nachdem 2008 übernahm Jakob Augstein den Freitag. onen Leser*innen. Das Blatt erlebte mehrere Koschmieder den Chefredakteur Klaus Behn- Die Zeitung bekam eine neue Redaktions- Führungs- und Eigentümerwechsel. 1995 ken abgesetzt hatte. Mitarbeiter*innen besetz- struktur und ein neues Layout, der bisherige hatte es noch etwa 17.500 Abonnent*innen. ten die Redaktionsräume und gründeten kurz Untertitel wurde durch „Das Meinungsme- Die damaligen Eigentümer stellten im Früh- darauf eine neue Zeitung: Die jungle world ver- dium“ ersetzt. Eine Besonderheit des Freitag jahr 1995 den Betrieb der Zeitung ein. Dar- steht sich als undogmatisch links und betont ist die Online-Community, die ein eigenes aufhin gründeten Mitarbeiter*innen den Ver- ihre Ablehnung von Antisemitismus, Antizi- Ressort auf der Website bildet. Die Zeitung be- lag 8. Mai GmbH und die Genossenschaft LPG onismus und Antiamerikanismus. schreibt sich als „linksliberal“. Auch unter Junge Welt – nach dem Vorbild der taz. 2016 Augstein, der Verleger und Chefredakteur ist, startete die LPG ein Sanierungsprogramm, Der Begriff „Nische“ fällt ebenfalls, wenn es gab es jahrelang wirtschaftliche Schwierigkei- nachdem sich Schulden von fast einer Mil- um die Geschichte einer anderen linken Zei- ten. Vor zwei Jahren sagte er in einem Inter- lion Euro angesammelt hatten. Sie verzeich- tung mit ostdeutschem Hintergrund geht: view, dass das Blatt mittlerweile keine Verluste net derzeit rund 2.200 Genoss*innen. den Freitag. Nach der Wende ging das Blatt mehr mache. Die verkaufte Auflage liegt ak- aus einer Fusion der westdeutschen Volkszei- tuell bei knapp 24.000 Exemplaren – eine Stei- Den Grund für den Niedergang der Jungen tung und dem Ost-Berliner Sonntag hervor. Die gerung von über 90 Prozent im Vergleich zu Welt in den 90er Jahren sieht Koschmieder „Ost-West-Wochenzeitung“ erschien zum ers- 2008. Es kann also auch bergauf gehen. Auf auch darin, dass die Zeitung keine klare Kante ten Mal am 9. November 1990 mit einer Start- dem Zeitungsmarkt ist das eine außerordent- mehr gezeigt habe. „Sehr sozialdemokratisch, auflage von 55.000 Exemplaren. Angekündigt lich gute Nachricht. Sarah Schaefer ‹‹ sehr brav“ sei sie gewesen. Das sei heute an- als „linke Wochenzeitung für Politik und Kul- 2.2019 M 13
IM FOKUS Wie Madsack den Osten eroberte Zukäufe brachten die Hannoveraner auf Rang fünf der größten Zeitungshäuser K aum ein anderes Medienhaus hat von Übernahme wenig überraschend war. Überhaupt ging den neuen Zeitungsmärkten in der es bei der Verteilung der großen Ost-Regionalzeitun- ehemaligen DDR langfristig so stark gen nur wenig überraschend zu. „Im Osten nichts profitiert wie die in Hannover an Neues“ titelte die M-Vorgänger-Publikation „Kunst sässige Verlagsgesellschaft Madsack. und Publizistik“ damals zu den Zeitungsverkäufen an Im Jahr 2018 belegte die Mediengruppe mit ihren 15 die bekannten Großverleger aus dem Westen. Für 1990 Halle an der Saale. regionalen Tageszeitungen laut Horst Röpers Unter Madsack war die Aufteilung des ostdeutschen Zei- West-Medien-Konzerne drän- suchung zur Pressekonzentration in Deutschland den tungsmarkts dagegen der Beginn des Aufstiegs zu ei- gen in den Ost-deutschen Foto: Paul Glaser fünften Rang unter den zehn auflagenstärksten Ver- nem der führenden deutschen Medienkonzerne. Zu- Markt, hier der Express aus lagsgruppen. Und das vor allem dank des hohen Ab- nächst blieb der Griff des Hannoveraner Verlags nach Köln. Verkauft wird aus dem satzes von Leipziger Volkszeitung, Ostsee-Zeitung und Osten aber auf Sachsen beschränkt, wo man sich nach Motorrad-Beiwagen. Märkische Allgemeine, alle drei ehemalige SED-Partei- der LVZ-Übernahme mit dem Erwerb der „Dresdner zeitungen. Neuesten Nachrichten“ – vormals „Sächsische Neueste Nachrichten“ – 1992 (ebenfalls gemeinschaftlich mit Wie für alle anderen Zeitungsverlage in der Bundesre- Springer) sowie dem Bau eines Druckhauses am Leip- publik war der Mauerfall auch für Madsack vor allem ziger Stadtrand 1993 jedoch eine mehr als solide ein Glücksfall. Der westdeutsche Zeitungsmarkt war Startposition verschafft hatte. Zumal der Verlag weitestgehend konsolidiert, im südlichen Niedersach- bereits frühzeitig auch in Anzeigenblätter und sen, dem Stammgebiet des 1892 als „Hannoverscher Rundfunksender investierte. Anzeiger A. Madsack & Co.“ gegründeten Verlags, war Wachstum kaum noch möglich. Recht schnell steckte Nachdem Madsack den Sprung in die das Zeitungshaus deshalb seine Fühler gen Osten aus Riege der zehn größten deutschen Ver- und betätigte sich damit erstmals außerhalb der nie- lagsgruppen vollzogen hatte, konzent- dersächsischen Landesgrenzen. Gemeinsam mit Du- rierte man sich in den 90ern durch Mont/Schauberg betrieb Madsack in Erfurt, Gera, Leip- mehrere Zukäufe vor allem auf die Ge- zig und Magdeburg das Boulevard-Blatt Neue Presse bietsarrondierung im Stammland Nie- Express, eine Neugründung, zusammengeführt aus dersachsen, wo die Marktposition Ablegern der Hannoveraner Neuen Presse und des deutlich verbessert werden konnte. Kölner Express. 1992 zog sich Madsack jedoch aus der Erhebliche Auflagenverluste erlitt das Unternehmung zurück und auch die deutlich abge- Medienhaus dafür bei den Ost-Zeitun- speckte Express-Folgeversion, die dann unter dem gen, die Auflage der LVZ betrug im Jahr Titel Mitteldeutscher Express firmierte, machte 1995 2.000 nur noch 323.000 Exemplare. Die dicht. Ebenfalls 1992 schlossen die Niedersachsen die große Zeitungskrise aufgrund einbre- nach dem Mauerfall neu gegründete Magdeburger All- chender Werbeeinnahmen ab 2001 dann gemeine Zeitung. hat Madsack ohne größere Probleme über- standen und im Gegenteil dank weiterhin ho- Das Tor nach Osten öffnet sich her Gewinne für die Expansion in den benach- barten hessischen Zeitungsmarkt genutzt. Wesentlich erfolgreicher als mit Neugründungen konnte sich Madsack dagegen auf dem ostdeutschen Schleichende Osterweiterung Zeitungsmarkt mit Zukäufen bereits bestehender Titel etablieren. Als die Treuhandanstalt im Frühjahr 1991 Den Blick erneut nach Osten richtete die Medien- die DDR-Regionalzeitungen – die ehemaligen SED-Be- gruppe erst im Jahr 2009, fast 20 Jahre nach dem erst- zirkszeitungen – zum Verkauf anbot, sicherte man sich maligen Markteintritt. Mal wieder spielten Madsack einen 50 Prozent-Anteil an der „Leipziger Volkszeitung“ die äußeren Umstände in die Hände: Um sich auf Bild (LVZ), die mit einer Auflage von 379.000 zu den zehn und das Digitale zu konzentrieren, beschloss die Sprin- auflagenstärksten Tageszeitungen im wiedervereinig- ger AG, sich aus dem Regionalzeitungsmarkt zurück- ten Deutschland gehörte. Miteigner wurde der Sprin- zuziehen und verkaufte ihre Beteiligungen an die ger-Konzern. Zuvor hatte sich Madsack bei der LVZ Hannoversche Verlagsgruppe. Neben den zweiten 50 bereits als Kooperationspartner engagiert, sodass die Prozent an der LVZ, dessen alleinige Eigentümerin 14 M 2.2019
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