MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di

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MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
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                                                                            E 2814
                                                                       Jahrgang 68

                      MENSCHEN
                      MACHEN                       Madsack Mediengruppe
                      MEDIEN                       Auflagenherr im Osten

                                                   Berliner Verlag
Medienpolitisches ver.di-Magazin Juni 2019 Nr. 2   Wie haste dir verändert?

                                                      Medienwende
                                         Wege in die Marktwirtschaft
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
INHALT

IM FOKUS
MEDIENWENDE                                                            VERDI UNTERWEGS               INTERNATIONAL

6    ZWISCHEN STAATLICHER      16    BERLINER, WIE HASTE               22 VONEINANDER LERNEN         28 24 JAHRE
     ZENSUR UND ENTFESSEL-           DIR VERÄNDERT                        UND GEMEINSAM STÄRKE          LEBENSERFAHRUNG
     TER MARKTWIRTSCHAFT             Zusammengespart, aber                ERFAHREN                      Ausbildung beim SRF in
     Von Günter Herkel               immer noch eine wichtige             Gespräch mit Christoph        der Schweiz – die meisten
                                     Stimme in der Hauptstadt             Schmitz, designierter         werden übernommen
10   DESILLUSION                                                          Leiter des künftigen
     DER WENDEZEIT             19    NACHWENDEWELLEN                      Fachbereichs A in ver.di   29 FOTOS FÜR DIE
                                     Der steinige Weg vom                                               PRESSEFREIHEIT
12   LINKE BLÄTTER                   Deutschen Fernsehfunk zu          25 PRESSE-VERSORGUNG
     IN DER NISCHE                   RBB und MDR                          ZUKUNFTSFEST               29 AKTION FÜR
     Immer wieder im Krisen-                                              AUFGESTELLT                   CASIMIR KPEDJO, BENIN
     modus und der Blick auf
     junge Leser*innen                                                 26 WER STEUERT WEN?
                               PORTRÄT                                    Digitalisierungskongress
14   WIE MADSACK DEN OSTEN                                                zu Chancen und Risiken     TARIFE UND HONORARE
     EROBERTE                                                             von KI im ver.di-Haus
     Zukäufe brachten die      4     BERUF
     Hannoveraner auf                SCHALTMEISTERIN:                  27 SCHON ENTDECKT?            30 CROSSMEDIALER
     Rang fünf der größten           MONIKA BRUMMUND                      PRENZLAUER BERG               TISCHREPORTER
     Zeitungshäuser                                                       NACHRICHTEN
                                                                                                     31   Kino
                                                                                                          ANNÄHERUNG UND
                               MEINUNG                                                                    ABBRUCH

                                                                                                     31   Öffentlich-rechtlicher
                               5     KEIN WIDERSPRUCH ZUR                                                 Rundfunk
                                     FLEXIBILITÄT                                                         TARIFVERHANDLUNGEN
                                                                                                          BEGONNEN

                                                                                                     31   IMPRESSUM

Titelbild
Foto: robertharding/
Eric Nathan
                                     M              ONLINE
                                           Immer aktuell informiert.
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                                    >> mmm.verdi.de

2 M 2.2019
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
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                                                                                                                                  XXXXXXXXXXXXXXX

                Ohne Protest
           geht es auch unter
 DuMont 2019 nicht. Mit dem
 Umzug der Berliner Zeitung
ins neue Haus in die Berliner
    Alte Jacobstraße verloren
  weitere Beschäftigte ihren
      Arbeitsplatz (S. 16 – 18).

                                               Wechselbad der Gefühle
                                                    Mauerfall vor 30 Jahren: Nichts im Osten ist mehr wie zuvor. Euphorie, Hoffnungen, Ängste, Unge-
                                                    wissheit, nicht selten ein Wechselbad der Gefühle, bestimmen in den folgenden Jahren den Alltag
                                    lentz

                                                    der Menschen, der viel zu schnell alt-bundesdeutsch geprägt wird. Die Medien im Osten machen da
                                    ristian v. Po

                                                     keine Ausnahme. M Menschen Machen Medien 2/2019 blickt im aktuellen Schwerpunkt auf 30 Jahre
                                                     Medienentwicklung „zwischen staatlicher Zensur und entfesselter Marktwirtschaft“ (S. 6 bis 21).
                                       Fotos (2): Ch

                                          „Wirkliche Freiheit“ gebe es „nur in der kurzen Phase zwischen dem Abbruch des Alten und dem
                                          Aufbau des Neuen“, wird Gerd Kurze, neugewählter Vorsitzender des „Verbandes der Journalisten“
                                       der DDR in der März-Ausgabe von Publizistik und Kunst 1990 (M-Vorgängerzeitschrift) zitiert. Wie
                                   kurz diese Phase wirklich sein werde, konnte man auf dem ersten Kongress der Berufsvereinigung nach
                                   der Wende Ende Januar nur ahnen. Die Zeit der Mediengründungen, der Träume von einer vielfältigen
                                   freien, sich von unten entwickelnden neuen Presse und einem eigenständigen öffentlich-rechtlichen
                                   Rundfunk im Osten währte nur wenige Monate. Bereits Anfang Juli 1990 hatten Springer, Bauer, FAZ, WAZ
                                   … das Zeitungs- und Zeitschriften-Territorium der DDR über sogenannte „Kooperationsbeziehungen“
                                   unter sich aufgeteilt. Der Berliner Verlag, das größte Filetstück unter den DDR-Verlagen, wurde von Gru-
                                   ner+Jahr und Robert Maxwell übernommen (S. 16–18). Die Bundesregierung unterlag dem Lobbyismus
                                   der Großverlage und ließ sie ohne jegliche Regulierung gewähren. Und die Treuhandanstalt musste die
                                   Presse-Kooperationen 1991 nur noch bestätigen, mehr Befugnisse hatte sie nicht. (S. 10/11).

                                   Und auch der VdJ der DDR erlebte das Jahresende 1990 nicht. Er wurde im September aufgelöst. Ein
                                   großer Teil seiner Mitglieder fand sich in der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union der
                                   IG Medien (heute dju in ver.di) wieder. Die Abwicklung des Deutschen Fernsehfunks (ehemals Fernsehen
                                   der DDR) fand bis Ende 1991 statt (S. 8, 19–21).

                                   M kann in dieser Ausgabe nur einen Bruchteil dieser spannenden und auch für viele Medienschaffende
                                   sehr dramatischen Zeit abbilden. Deshalb wird M Online (mmm.verdi.de) in den nächsten Wochen und
                                   Monaten weitere Beiträge veröffentlichen. Im August wird beispielsweise ein Dossier über die Frauenzeit-
                                   schriften in der DDR erscheinen und auch die wenig erfolgreichen Sanierungskonzepte der Treuhand für
                                   die DEFA und schließlich der Verkauf der traditionsreichen Filmgesellschaft 1992 werden ein Thema sein.
                                   Zudem geht der aktuelle M-Podcast im Interview mit Focus-Chefredakteur Robert Schneider der Frage
                                   nach „Kommt der Osten in den Medien zu kurz?“

                                   Es gibt also eine Menge Gründe, den Sommer über M Online zu lesen – täglich aktualisiert! Die nächste
                                   Print-Ausgabe kommt erst im Oktober heraus. Dann mit einem Bericht über den ver.di-Gewerkschafts-
                                   kongress Ende September in Leipzig!

                                   Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin

                                                                                                                                         2.2019 M 3
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
PORTRÄT

Beruf Schaltmeisterin:
Monika Brummund

Den Überblick
                                                                                                  n v. Polentz
                                                                                    oto / Christia

behalten                                                              Foto: transitf

    O
                hne das tragbare Telefon geht      Die gebürtige Berlinerin hat ihren Beruf beim                 dafür, dass die Übertragung auch dann funk-
                es nicht: Zur Begrüßung im         DDR-Rundfunk gelernt. Facharbeiterin für                      tioniert, wenn im Internet viel los ist und die
                 Flur des Deutschlandradio-        Nachrichtentechnik hieß das damals, mit                       Datenrate nach unten geht.
                 Funkhauses am Berliner            einer Spezialisierung auf tontechnische An­
                  Hans-Rosenthal-Platz bringt      lagen. Diese Ausbildung – der Name verrät es                  Der Schaltraum ist rund um die Uhr besetzt.
Monika Brummund es mit. „Ich muss immer            – hatte eine klare technische Ausrichtung auf                 Für die Schaltmeister*innen bedeutet das:
erreichbar sein“, sagt die 55-Jährige. Das Tele­   den Bereich Ton. Heute sei das anders, sagt                   Schichtdienst. Als sie im Schaltraum anfing,
fon wird dann auch öfter klingeln an diesem        Monika Brummund: Wer beim Deutschland-                        habe sie ihrem Mann und ihren zwei Kindern
Morgen. Während die meisten Kolleg*innen           radio die Ausbildung als Mediengestalter*in                   den Dienstplan gezeigt und gefragt: „Ist das
so langsam eintrudeln, hält Monika Brum-           Bild und Ton durchläuft, muss sich in vielen                  in Ordnung für euch?“ Die Kinder waren da
mund bereits seit sechs Uhr morgens die Stel-      Bereichen auskennen, sollte idealerweise No-                  schon groß, alle waren einverstanden. Mo-
lung im Schaltraum. Es ist der technische          ten lesen und ein Instrument spielen können.                  nika Brummund mag den Schichtdienst. An-
Knotenpunkt des Funkhauses, alle Schaltun-                                                                       ders als andere Schicht­arbeiter*innen leidet
gen und Leitungen laufen über diesen Raum.         Monika Brummunds Schwerpunkt war seit                         sie nicht unter Schlafproblemen.
                                                   der Ausbildung die Hörspielproduktion. Dann
Da gilt es, den Überblick zu behalten: Die         kam die Wende, viele Mitarbeiter*innen ver-                   Das Telefon klingelt: In einem Landesstudio
Schaltmeisterin wacht über eine beeindru-          loren ihren Job. Brummund bewarb sich er-                     funktioniert die Übertragung eines Gesprächs
ckende Anzahl an Bildschirmen, Telefonen,          folgreich für eine Stelle beim neu gegründe-                  nicht. Brummund schaltet sich ein, man hört
Reglern und Knöpfen. Von hier aus stellt sie       ten Deutschlandradio. An ihrem neuen Ar-                      den Studiogast, der noch nichts bemerkt hat
Verbindungen zu den Korrespondenten in al-         beitsplatz im Berliner Westen war sie zunächst                und weiterredet, den Moderator, der fragt:
ler Welt her, baut Konferenzschaltungen für        im Bereich Produktion tätig, dann zuständig                   „Was machen wir jetzt?“ „Gib mir einen Mo-
die Kolleg*innen auf, kümmert sich um Lei-         für die Übertragung der Sendungen. 2005                       ment“, sagt die Schaltmeisterin und stellt die
tungen für die Ü- Wagen und spricht sich mit       wurde eine Stelle im Schaltraum frei. Bis zu                  Verbindung erneut her. Nach wenigen Augen-
Techniker*innen in den Studios ab – um nur         diesem Zeitpunkt habe sie „alles durchlaufen,                 blicken können sich der Moderator und sein
ein paar ihrer Aufgaben zu nennen.                 was der Rundfunk hergibt, nur der Schalt-                     Studiogast weiter unterhalten. „Zum Glück
                                                   raum hat mir noch gefehlt“, sagt sie.                         nur eine Aufzeichnung“, sagt Brummund.
Sie ist Ansprechpartnerin für alle mögliche
Fragen. „Hat hier jemand ein Problem, heißt        Ihr Beruf hat sich durch die Digitalisierung                  Auch in stressigen Situationen ruhig zu blei-
es: ‚Ruf den Schaltraum an‘“, sagt Monika          stark verändert. Früher zum Beispiel, wenn                    ben – diese Fähigkeit ist wichtig im Schalt-
Brummund. Sie ist auch zur Stelle, wenn mal        mal etwas nicht geklappt hat mit der Übertra-                 raum. Außerdem müsse man klare und kurze
gar kein Ton mehr zu hören ist. Gibt es im         gung bestimmter Sendungen, konnte es vor-                     Ansagen machen können, sagt Brummund.
Programm mehr als 30 Sekunden Stille, mel-         kommen, dass Brummund Kolleg*innen ver-                       Manchmal sage sie zu ihren Kolleg*innen: „So
det sich das Warnsystem. Dann begibt sie sich      ständigen musste, die dann zum Langwel-                       lange ich mit euch spreche, kann ich mich
auf die Suche nach der Ursache für den Sen-        len-Sendemast fuhren und überprüften, ob                      nicht um das Problem kümmern.“ Eigentlich
deausfall und behebt das Problem so schnell        dort ein Fehler vorliegt. Heute läuft natürlich               sei sie gar nicht der Typ dafür. Aber im Laufe
wie möglich. „Havarie-Situation“ nennen sie        alles digital. Monika Brummund hat ein Auge                   ihres Berufslebens habe sie sich diese Eigen-
das beim Radio.                                    auf Online-Streams und Podcasts und sorgt                     schaft antrainiert.       Sarah Schaefer ‹‹

4 M 2.2019
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
MEINUNG

        Kein Widerspruch zur Flexibilität
              D
                        as Urteil des Europäischen        gebern zu einem Ergebnis zum Wohle der            tionsteams, wenn überhaupt, in oberflächli-
                        Gerichtshofs (EUGH) zur ver-      Mitarbeiter*innen gebracht, vor allem was         chen Schulungsprogrammen nur dürftig auf
                         pflichtenden Arbeitszeiter-      ihre Gesundheit betrifft.                         die Neuzeit vorbereitet hat.
                         fassung ist wegweisend für
                         unseren Berufsstand – in po-     Seit mehr als fünf Jahren bewährt sich die Ar-    Die verpflichtende Arbeitszeiterfassung steht
        sitiver Beziehung für die Redakteur*innen,        beitszeiterfassung in Bremen und Braun-           auch nicht im Widerspruch zum „mobilen Ar-
        aber auch für die Verlage. Dafür gibt es be-      schweig in der Praxis auf der Grundlage des       beiten“ oder zum „Homeoffice“, es müssen ja
        weiskräftige Belege. Die Entwicklung in den       Arbeitszeitgesetzes und der jeweiligen Arbeits-   nur die Arbeitsstunden aufgeschrieben wer-
        wenigen Redaktionen, die in Deutschland die       zeit – ob bei tarifgebundenen oder tariflos an-   den. Mit den heutigen technischen Systemen
        zwingende Arbeitszeiterfassung eingeführt         gestellten Arbeitnehmer*innen. Die Akzep-         kann die reine Arbeitszeit erfasst werden, das
        haben, zeigt ein außergewöhnliches Phäno-         tanz der Belegschaft liegt bei nahezu 100 Pro-    hat mit Stechuhr nichts zu tun, aber mit Ge-
        men, welches, wenn man sich eingehend und         zent, zumal Planungssicherheit steigt, man        sundheitsschutz. Die Argumentation der Ver-
        wertfrei mit der Materie beschäftigt, eine lo-    dabei mit der Vertrauensarbeitszeit von           legerverbände für Zeitungen und Zeitschrif-
        gische Folge von deren konsequenter Umset-        „Stechuhrjournalismus“ so weit entfernt ist       ten, dass der „kreative Freiraum“ für Journa-
        zung ist.                                         wie von „Arbeit 1.0“.                             list*innen verloren geht, ist so alt wie falsch.
                                                                                                            Schlicht: Humbug!
        Vorreiter der verpflichtenden Arbeitszeiterfas-   Ganz im Gegenteil. Arbeitszeiterfassung und
        sung war der Betriebsrat eines Tageszeitungs-     flexibles Arbeiten sind kein Widerspruch.         Betriebsräte müssen mit Unterstützung der
        verlags in Ostwestfalen, der einen in diesem      Laut der Umfrage einer Krankenkasse hat je-       Gewerkschaften den sich abzeichnenden
        Bereich nicht unüblichen Berg von Überstun-       de*r Zweite in Deutschland das Gefühl, am         „Liebesentzug“ durch ihre Arbeitgeber, wie es
        den in der Redaktion vor sich her schob. Die      Rande des Burn-outs zu balancieren. Redak-        Arbeitsrechtsprofessor Dr. Wolfgang Däubler
        mutige Betriebsratsvorsitzende, dju-Mitglied      teur*innen bilden da keine Ausnahme. Es gilt      treffend formulierte, einfach in Kauf nehmen.
        und Mutter zweier Kinder, einigte sich nach       Stress einzudämmen und ausreichend Ruhe-          Die moralischen und rechtlichen Vorausset-
        zähen Verhandlungen in einer Einigungs-           zeiten zu gewährleisten.                          zungen sind besser denn je. Die mutige Be-
        stelle mit ihrem Arbeitgeber, die elektronische                                                     triebsratsvorsitzende aus Ostwestfalen ist üb-
        Erfassung der Arbeitszeit für Redakteur*innen     Mit einer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung wer-   rigens mittlerweile Redaktionsleiterin – ohne
        einzuführen. Mit Erfolg und ohne den Unter-       den für Journalist*innen akzeptable Berufs-       eine verpflichtende Arbeitserfassung
        gang des Verlages herbeizuführen.                 voraussetzungen in der Arbeitswelt 4.0 erst       so gut wie unmög-
                                                          geschaffen. Die strukturierte und zwingende       lich.
        Arbeitnehmervertretungen in Bremen und            Planung von wertvoller Arbeitszeit wird in        Jörg Brokmann ‹‹
        Braunschweig folgten ihrem Beispiel. Mit er-      Zeiten der „digitalen Transformation“ immer
        heblichem Widerstand durch die Arbeitgeber,       wichtiger für unsere Branche. – Eine Branche,     Der Autor ist Redak-

                                                                                                                                                                Foto: privat
        erkämpft durch sämtliche gerichtlichen Ins-       die in großen Teilen über viele Jahre aufgrund    teur und Betriebsrats-
        tanzen, aber schließlich in Betriebsverein­       blendender Gewinnmargen technische Neu-           vorsitzender der Braun-
        barungen mit den zähneknirschenden Arbeit-        erungen vielfach ignoriert hat; ihre Redak­       schweiger Zeitung

                                                                                                                                                      Anzeige

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MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
IM FOKUS

                 30 Jahre nach der Wende bietet die Medienlandschaft im Osten Deutschlands ein
                 zwiespältiges Bild. Nach wie vor verlieren die von westdeutschen Großverlagen
                 kontrollierten ehemaligen DDR-Traditionstitel überdurchschnittlich an Auflage.
                 Der aufgelöste staatliche DDR-Rundfunk ist erfolgreich in ARD und ZDF integriert.
                 Gescheitert war indes früh der Traum von einem „Dritten“ Medienweg.

Zwischen staatlicher
Zensur und entfesselter
Marktwirtschaft
			              Von Günter Herkel

             S
                 taatsunabhängige Medien, eine von der Lizenzierungs-                            Zeitschriften und Zeitungen der DDR, fotografiert
                 pflicht befreite Presse, ein öffentlich-rechtliches Rund-                       im Museum „Zeitreise“ in Radebeul, dass 2016 verkauft
                  funksystem – solche in den meisten demokratischen                              und als Museum „Die Welt der DDR“ am 29. Januar 2017
                  Gesellschaften selbstverständlichen Einrichtungen –                            in Dresden neueröffnet wurde.
                   sollte es nach dem Fall der Mauer auch im Osten
                   Deutschlands geben. Tatsächlich schickte sich noch
                    die alte DDR-Volkskammer bereits Anfang 1990 an,
                    auf den Trümmern der SED-Diktatur die Medien zu
                    demokratisieren. Grundlage war der „Beschluss über
                 die Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und
                 Medienfreiheit“. Der Kernsatz dieses Dekrets: „Jegli-
                 che Zensur der Medien ist untersagt.“

                 Formal war auch in der DDR-Verfassung die Freiheit
                 von Presse und Rundfunk gewährleistet. Mit dem
                 westlichen Demokratiebegriff hatte dies freilich wenig
                 zu tun. Die sozialistische Definition forderte Freiheit
                 nicht als Individualrecht, sondern als „Recht einer
                 Klasse“, im Zweifel selbstredend der Partei der Arbei-
                 terklasse. Wie dies gehandhabt wurde, zeigte sich ge-
                 rade in der Agoniephase des SED-Regimes besonders
                 drastisch. Der damalige ZK-Sekretär für Agitation und
                 Propaganda Joachim Herrmann, verantwortlich für
                 die penible Überwachung der Medieninhalte, drang-
                 salierte die Beschäftigten nahezu täglich mit absurden
                                                                             Foto: Stefan Kühn

                 Direktiven. Etwa vom Schlage „Tiefflüge sind kein
                 Thema für uns“ oder „Wir beschäftigen uns nicht mit
                 der Ausreiseproblematik“. Auch Eingriffe in laufende

6 M 2.2019
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
Foto: Toni Nemes
Plakatreklame für die DDR-Illustrierte „F.F. dabei“ am 20. Februar 1996 in Berlin.
Die einzige Programmzeitschrift für das Fernsehen der DDR wurde noch im Jahr 1996 eingestellt (s. S. 16).

Sendungen der „Aktuellen Kamera“ waren keine Sel-           bruchsstimmung“, erinnerte sich später Buchverleger
tenheit. Damit sollte nun Schluss sein. Eine wichtige       und Publizist Christoph Links, der am 1. Dezember
Rolle spielte seinerzeit der rund 40köpfige Medienkon-      1989, den Ch. Links Verlag gründete. Es war das „wun-
trollrat, ein vom Runden Tisch vorgeschlagenes und          derbare Jahr der Anarchie“, eine kurze historische
von der Volkskammer eingesetztes Gremium staats-            Phase, in der alles möglich schien. Sogar Westjourna-
unabhängiger, gesellschaftlich relevanter Gruppen. In       listen seien in den Osten gekommen, „um sowas mal
diesem Rat tummelten sich unter anderem Bürger-             zu erleben, weil sie das aus ihren verfestigten Anstal-
rechtler vom Neuen Forum, dem Unabhängigen Frau-            ten nicht kannten“. In neuen Formaten wie dem Ju-
enverband und der Initiative für eine Vereinigte Linke.     gendmagazin „Elf 99“ und Live-Sendungen erprobten
Der bunte Haufen sollte die Medien­entwicklung kri-         die Mitarbeiter*innen des DDR-Rundfunks nun erst-
tisch begleiten und bei der Umsetzung des Medienbe-         mals einen freien und kontroversen Journalismus. Bär-
schlusses der Volkskammer helfen. Eines Beschlusses,        bel Romanowski, damals Redakteurin beim DDR-Fern-
der manch brisanten Programmpunkt enthielt. „Zur            sehen, heute PR-Beraterin und Mitglied im Medienrat
Sicherung der Eigenständigkeit der Medien unseres           Berlin-Brandenburg, bekam seinerzeit im „Deutschen
Landes“, hieß es da beispielsweise, „bedarf jede Eigen-     Fernsehfunk“ (DFF) eine eigene Frauensendung: „Un-
tumsbeteiligung an Medien der DDR durch Ausländer           geschminkt“. Anfangs konnte sie es kaum fassen, un-
der Genehmigung des Medienkon­trollrates“. Ein kla-         kontrolliert, ohne Interventionen von Funktionären
rer Schuss vor den Bug von Springer, Burda, Bertel-         der Staatspartei arbeiten zu können. „Keiner sagte, was
mann & Co. Die scharrten schon vernehmlich mit den          willst du den Minister fragen, keiner wollte wissen,
Hufen, um ihre Claims bei der ­anstehenden Erobe-           wie strukturierst du die Sendung. So haben wir zwei
rung des ostdeutschen Zeitungsmarktes abzustecken.          Jahre lang Fernsehen gemacht, völlig frei.“

Idee: Rundfunk in Volkseigentum                             Doch für die Anhänger eines „dritten“ Medienwegs
                                                            zwischen staatlicher Zensur und entfesselter Markt-
Der DDR-Rundfunk, da bestand durchaus Konsens,              wirtschaft dauerte dieser Zauber nur kurz. Für die
sollte zwar in ein öffentlich-rechtliches System über-      Printmedien der DDR schlug schon am 1. April 1990
führt werden. Abweichend von den Verhältnissen bei          die Stunde der Wahrheit. Damals wurden die Zeitun-
ARD und ZDF sollten die elektronischen Medien nach          gen und Zeitschriften recht abrupt in die raue Welt
den Vorstellungen der Bürgerrechtler jedoch „Volks-         der freien Marktwirtschaft entlassen. Der Wegfall staat-
eigentum“ sein und von allerdings nicht näher definier­     licher Subventionen löste sofort eine rasante Presse-
ten „gesellschaftlichen Räten“ kontrolliert werden. Je-     konzentration aus. Die ersten Opfer waren vor allem
dem Anfang, so heißt es bei Hermann Hesse, wohnt            die überregionalen Zentralblätter und der größte Teil
ein Zauber inne. Es herrschte „eine unheimliche Auf-        der Neugründungen aus der Nachwendezeit.            »

                                                                                                            2.2019 M 7
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
IM FOKUS

Besonders schlecht erging es den ehemaligen natio-                          suchen muss“, klagte im Mai 1990 DDR-Medienmi-
nalen Sprachrohren der SED, der Blockparteien und                           nister Gottfried Müller – ja, sowas gab es wirklich,
der Massenorganisationen. Bis 1992 eingestellt wur-                         wenn auch nur ein halbes Jahr lang. Müller: „Es ist
den das Deutsche Sportecho, Der Morgen (zwischenzeit-                       nicht selten so, dass an Kiosken die Pakete mit den
lich im Besitz von Springer), die Berliner Allgemeine                       grauen DDR-Produkten gar nicht mehr ausgepackt
(früher: Nationalzeitung), das Deutsche Landblatt (frü-                     werden, weil man ja allen Platz zur Präsentation der
her: Bauern-Echo) sowie das einstige FDGB-Organ Tri-                        bunten West-Titel braucht.“
büne. Zwei Jahre später erwischte es auch das frühere
CDU-Blatt Neue Zeit (zwischenzeitlich unter Kontrolle                       Von den in der DDR lizenzierten 543 Zeitschriften
der FAZ). Nur das ehemalige SED-Zentralorgan Neues                          überlebte nur eine Handvoll. Zu den bekannteren zäh-
Deutschland (ND) und das einstige zentrale Blatt der                        len das Verbrauchermagazin Guter Rat, die Satirezeit-
Freien Deutschen Jugend (FDJ) Junge Welt (JW) über-                         schrift Eulenspiegel sowie das einst wegen freizügiger
lebten bis heute. Beide erreichen allerdings mit Auf­                       Erotikaufnahmen populäre und als „Bückware“ gehan-
lagen von etwa 24.000 (ND) bzw. geschätzten 15.000                          delte Magazin. Einzige erfolgreiche Zeitschriftenneu-
Exemplaren (JW) nur noch einen Bruchteil ihrer frü-                         gründung ist das Wochenblatt Super Illu, ein bunter
heren Massenauflage von insgesamt 2,6 Millionen.                            Digest mit hohem Nostalgiekonzentrat – laut Bran-
                                                                            chenspott das „Blatt für die geschundene Ost-Seele“.
Günstige Politik für Westverlage
                                                                            Bereits kurz darauf war der „Zeitungsfrühling“ been-
Auch die im Gefolge der Wende gegründeten unab-                             det, die zeitweilig beachtliche Vielfalt drastisch redu-      Nachrichtenraum der
hängigen Zeitungen der Bürgerrechtsbewegung ver-                            ziert. Ironie der Geschichte: Der Marktanteil der ver-        „Aktuellen Kamera“ 1990 in
schwanden vom Markt. Übrig blieben vor allem die                            hökerten Bezirkszeitungen an der Auflage aller regio-         Berlin-Adlershof
ehemaligen SED-Bezirkszeitungen. Diese auflagenstar-                        nalen Aboblätter liegt heute höher als zur Zeit der
ken Blätter verfügten schon zu DDR-Zeiten über ein                          SED-Diktatur. Allerdings verzeichnen alle Blätter ei-
fast vollständiges Monopol orts- und kreisbezogener                         nen dramatischen Auflagenschwund. So hat sich ihre
Berichterstattung. Dass dieser Zustand schon wenige                         Gesamtauflage innerhalb der vergangenen 30 Jahre
Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch wieder-                           im Schnitt etwa um mehr als zwei Drittel reduziert.
hergestellt war, ist vor allem dem erfolgreichen Lob-                       (vgl. Grafik)
byismus westdeutscher Großverlage, dem Stillhalten
der Bundesregierung und der kurzsichtigen Politik der                       Deutscher Fernsehfunk aufgelöst
Treuhandanstalt zu verdanken. Letztere hatte im Ap-
ril 1991 die begehrten Bezirkszeitungen an Konzerne                         Auch im Rundfunk gelang es den Befürwortern des
verkauft. Eine – vorsichtig ausgedrückt – den Interes-                      Dritten Weges nicht, eigene Akzente zu setzen. An der
sen der Westverlage sehr entgegenkommende Politik                           Eingliederung in öffentlich-rechtliche Strukturen nach
und die Untätigkeit der Kartellämter beförderten eine                       dem Vorbild von ARD und ZDF führte kein Weg vor-
Art „urspüngliche Akkumulation“ des Verlagskapitals                         bei. Als Rundfunkbeauftragter für die neuen Bundes-
im Osten der Republik.                                                      länder agierte bis Ende 1991 Rudolf Mühlfenzl, der
                                                                            ehemalige Chefredakteur des damals noch erzkonser-
Gegen die Wucht, mit der die Westverlage ihren eige-                        vativen Bayerischen Rundfunks. Ihm eilte seinerzeit
nen Zeitungs- und Zeitschriftenvertrieb etablierten,                        der Ruf eines gnadenlosen Abwicklers, eines Wessi mit
war das veraltete, bürokratische Vertriebssystem der                        Konquistadorenmentalität voraus. Der Deutsche Fern-
DDR-Post hoffnungslos unterlegen. „Die Flut der Pres-                       sehfunk wurde aufgelöst. Von den zentralen DDR-Hör-
setitel von drüben … verstopft Weg und Kanäle, durch                        funkstationen überlebte nur „Deutschlandsender DS
die sich die landeseigene Presse ihren Weg zum Leser                        Kultur“ im Schoße des neu gegründeten Deutschland-

Auflagenentwicklung der früheren SED-Bezirkszeitungen
Verkaufte Auflage in Tsd. Exemplaren
(Gerundet auf volle Tausend). Quellen: Media Perspektiven, Meedia, IVW I/2019

1989 1999 2019          1989 1999 2019          1989 1999 2019           1989 1999 2019      1989 1999 2019     1989 1999 2019         1989 1999 2019   1989 1999 2019
439 209 65               351 208 97              293 168 61               212 134 62          295 199 112       203 129 67             204 129 63       664 419 213

    Berliner               Märkische                Lausitzer              Märkische            Ostsee-          Schweriner             Nordkurier       Freie Presse
    Zeitung                Allgemeine              Rundschau              Oderzeitung           Zeitung         Volkszeitung                              Chemnitz

8 M 2.2019
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
MEDIENWENDE

                                                                              denburg (RBB) korrigiert wurde. Dagegen gründeten
                                                                              Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits 1991
                                                                              den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Der Dreilän-
                                                                              derverbund ist heute die fünftgrößte ARD-Anstalt. Ein
                                                                              Konstrukt, das Chefabwickler Mühlfenzl später als
                                                                              größten Erfolg seiner Tätigkeit ansah. Vom ehemali-
                                                                              gen DDR-Rundfunk blieb nicht viel mehr als „Unser
                                                                              Sandmännchen“.

                                                                              Kein Gehör fand auch eine andere zentrale Forderung
                                                                              der Medienopposition: die Rundfunkaufsicht durch
                                                                              staatsferne, gesellschaftliche Räte. In Abgrenzung zur
                                                                              damals schon umstrittenen Zusammensetzung eini-
                                                                              ger Rundfunkräte in der ARD und des ZDF-Fernsehra-
                                                         Foto: Paul Glaser    tes forderte etwa die Medienwissenschaftlerin Edith
                                                                              Spielhagen als Mitglied des Medienkontrollrats die
                                                                              Präsenz von „mehr Medienexperten“ und „weniger
                                                                              Vertretern aus Staat, Regierung und Parteien“. Eine
                                                                              nach wie vor aktuelle Problematik, wie der folgende
                                                                              jahrelange und bis in die Gegenwart reichende Streit
                                                                              um eine allzu große Staatsnähe vor allem der ZDF-Gre-
radios. DS Kultur, 1994 mit dem Westberliner RIAS                             mien zeigt.
zum Deutschlandradio Berlin (heute: DLF Kultur) fu-
sioniert, profitierte von der politischen Entscheidung                        Viele Chancen verspielt
der Ministerpräsidenten der Länder, neben dem
Deutschlandfunk einen weiteren werbefreien natio-                             Die „Medienwende“ von 1989/90 war, so lässt sich im
nalen Hörfunkkanal zu betreiben.                                              Rückblick resümieren, keine Wende ausschließlich
                                                                              zum Guten. Das gilt vor allem für die Printmedien.
Besonders kontrovers verlief die Neugestaltung beim                           Verspielt wurde „die große Chance auf eine dicht ge-
Aufbau öffentlich-rechtlicher Strukturen in den ein-                          webte, feingliedrige, von unten gewachsene Presse-
zelnen Ländern. Die Idee einiger Ostpolitiker, in den                         landschaft“, urteilt der Leipziger Kommunikationswis-
fünf neuen Ländern eine gemeinsame dritte öffent-                             senschaftler Uwe Krüger. Eine Landschaft, die die spe-
lich-rechtliche TV-Anstalt neben ARD und ZDF zu bil-                          zifischen lokalen und regionalen Wahrnehmungen,
den, stieß auf wenig Gegenliebe. Dieser auch von der                          Bedürfnisse und Interessen mit viel Bürgerbeteiligung
Medienlinken favorisierte Ansatz wurde durch egois-                           hätte ausdrücken, verhandeln und in den gesamtdeut-
tisches Gezerre innerhalb der ARD und der Länder ver-                         schen politischen Diskurs einspeisen können“. Was
tan. Am Ende schloss sich Mecklenburg-Vorpommern                              wäre, fragt Krüger, wenn die Keime einer solchen
dem NDR an. Das 2,5-Millionen-Land Brandenburg                                Printmedien-Flora nicht „von den mächtigsten Akteu-
                                                                                                                                        Grafik für M: Petra Dreßler

leistete sich zunächst aus der nicht ganz unbegründe-                         ren in einem unregulierten Markt zerstört worden wä-
ten Furcht vor einer Dominanz des Hauptstadt-Sen-                             ren?“ Und er gibt selbst die Antwort: „Vielleicht wäre
ders Freies Berlin (SFB) mit dem Ostdeutschen Rund-                           der Osten heute weniger rechts, weniger anfällig für
funk Brandenburg (ORB) einen eigenen Sender. Eine                             Demagogen, fühlte sich weniger abgehängt und be-
umstrittene Entscheidung, die mit der 2003 erfolgten                          droht, vielleicht wäre er stärker, selbstbewusster, de-
Fusion von ORB und SFB zum Rundfunk Berlin-Bran-                              mokratischer.“                                      ‹‹

                                                                                                                      Früher:
                                                                                                                    Freies Wort
                                                                                                                       (Suhl)

1989 1999 2019    1989 1999 2019     1989 1999 2019                     1989 1999 2019         1989 1999 2019     1989 1999 2019                                      1989 1999 2019
569 373 191       484 260 148        590 263 157                        454 209 150            643 431 220         179 95    57                                       5.579 3.398 1.662

 Sächsische          Leipziger      Mitteldeutsche                           Volksstimme      MGT Thüringen       Südthüringer                                            Gesamt-
  Zeitung          Volkszeitung         Zeitung                               Magdeburg          Gesamt              Presse                                               auflage

                                                                                                                                                                                 2.2019 M 9
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Medienwende Wege in die Marktwirtschaft - Ver.di
IM FOKUS

Desillusion
der Wendezeit
               nterview mit Mandy Tröger, Wissen-

       I
               schaftliche Mitarbeiterin am Institut
                für Kommunikationswissenschaft und
                Medienforschung der Ludwig-Maxi-
                 milian-Universität München

M | Noch Anfang 1990 war in der untergehenden
DDR von einem „Zeitungsfrühling“ die Rede.
Mehr als 100 neugegründete Blätter sorgten für
eine nie gekannte Pressevielfalt. Kurz darauf war
davon nichts mehr übrig. Was ist da passiert?
Mandy Tröger | Schon im März 1990 wurden von
den Großverlagen der BRD massiv westdeutsche Pres-
seprodukte auf den DDR-Markt gedrückt. Das gelang
mit Hilfe von Preisdumping. Eigentlich war der Um-
tauschkurs 1 DM zu 3 Mark. Im Bestreben, möglichst
früh neue Leser zu gewinnen, wanderten die Presseer-
zeugnisse zum 1:1-Kurs über die Theke. Das war fak-
tisch ein Minusgeschäft. Es ging aber zunächst vor       2018 promovierte Mandy
allem zu Lasten kleinerer westdeutscher Verlage und      Tröger mit der Arbeit
der DDR-Verlage. Letztere arbeiteten noch unter den      „On Unregulated Markets
Bedingungen der Planwirtschaft. Das heißt, sie waren     and the Freedom of Media.
immer noch auf Subventionen angewiesen. Springer,        The Transition of the East
Burda, Bauer und G+J dagegen teilten das Verbrei-        German Press after 1989” an     Großverlage die Klinke in die Hand. Besonders scharf
tungsgebiet DDR unter sich auf und errichteten einen     der University of Illinois.     waren die finanzstarken Großverlage, vor allem Bauer
verlagseigenen Pressevertrieb. Am 1. April fielen dann                                   und später Springer, auf die vierzehn SED-Bezirkszei-
die Subventionen für die DDR-Presse weg. Die DDR-­       Eine bearbeitete Fassung wird   tungen sowie den Berliner Verlag samt Berliner Zeitung.
Verlage verfügten über keine Infrastruktur, keine Wer-   in Kürze unter dem Titel        Im Gegensatz zum Neuen Deutschland und der Jungen
bung, kein Marketing. Das knappe Papier mussten sie      „Pressefrühling und Profit:     Welt, denen die institutionellen Großabnehmer weg-
weiter im Preisverhältnis 1:3 kaufen. Was Vertriebs-     Wie westdeutsche Verlage        brachen, konnten diese Blätter ihre Auflagen stabil be-
strukturen und Qualität anging, waren die DDR-           1989/1990 den Osten erober-     haupten. Mit Auflagen zwischen 200.000 und 600.000
Blätter mit den Produkten der Westverlage nicht kon-     ten“ in Buchform erscheinen.    Exemplaren hatten sie quasi eine Monopolstellung in
kurrenzfähig. Auch die Neugründungen konnten in                                          den jeweiligen Bezirken.
diesem Umfeld nicht lange mithalten. Obwohl die
DDR zu diesem Zeitpunkt formal noch ein souverä-
ner Staat war, hatte sich faktisch bereits ein gesamt-       … Aber während des ganzen Prozesses hat die Politik
deutscher Printmarkt etabliert.
                                                         mehr oder weniger tatenlos zugesehen.
Gleichzeitig liefen schon seit Ende 1989 intensive
Kooperationsgespräche von westdeutschen und
DDR-Verlagen. War das nicht illegal?                                                     Auch die Treuhand spielte in dieser historischen
Die Aufteilung der DDR-Medien unter den westdeut-                                        Situation eine höchst unrühmliche Rolle. Nach
schen Großverlagen war im Prinzip spätestens im Mai                                      dem Verkauf der SED-Bezirkszeitungen an die
1990 schon durch. Es zirkulierten Listen ostdeutscher                                    westdeutschen Großverlage war die Presse­vielfalt
Zeitungen mit potentiellen Käufern oder mit klaren                                       geringer als noch zu Zeiten der DDR-Diktatur.
Kooperationsvereinbarungen. Die reichten von Büro-                                       Ist das nicht ein Treppenwitz der Medienge-
ausstattungen über Druckaufträge bis zur Inhaltepro-                                     schichte?
duktion im Westen. Allein die Ostsee-Zeitung bekam                                       Was die Presse angeht, da ist die Treuhand eigentlich
schon im Dezember 1989 fünf Anfragen innerhalb ei-                                       nur der Sündenbock. Das eigentliche Problem lag bei
ner Woche. Hoch im Kurs stand auch der Berliner Ver-                                     der Bundesregierung. Der größte Teil der bestehenden
lag (siehe auch S.  16 – 18), da gaben sich sämtliche                                    Kooperationen wurde faktisch 1991 von der Treuhand

10 M 2.2019
MEDIENWENDE

          nachträglich nur offiziell geneh-      bild der Bundesrepublik vor. Die Pressever-       ren. So war es ja nicht. Es gab basisdemokra-
          migt. Natürlich hätte es die Mög-      triebsverordnung von Mai 1990 richtete sich       tische Reformbestrebungen, es war nicht von
          lichkeit gegeben, das zu unterbin-     entsprechend gegen den verlagsabhängigen          vornherein klar, dass es zur Vereinigung kom-
           den. Am Ende bestand aber kein        Vertrieb der großen Vier. Darin hieß es ganz      men würde. Das wurde erst durch die Parteien
           Interesse daran, die Monopolisie-     klar: Verlage dürfen nicht selbst in den Ver-     und Wirtschaftsinteressen aus der alten Bun-
            rung zu verhindern. Birgit Breuel,   trieb von Presseprodukten involviert sein.        desrepublik kanalisiert. Der Medienkontroll-
            seit 1991 Präsidentin der Treu-      Aber zu dem Zeitpunkt gab es schon eine           rat wurde mit der deutschen Einheit begra-
             hand, sagte später: Die Großver-    komplette Infrastruktur mit 3.000 Verkaufs-       ben. Daher konnte die Noch-DDR in den Ver-
             lage wussten um ihre Macht.         stellen, die konnten nicht mehr durch politi-     handlungen zur „Medieneinheit“ kaum ei-
             Die Treuhand hatte kaum Alter-      sches Handeln abgebaut werden. Der Staat          genständige Vorstellungen beitragen.
              nativen und keinen politischen     war schwach. Das Vakuum wurde durch die
              Auftrag, für Pressevielfalt zu     Verlage genutzt, um Tatsachen zu schaffen         Wie beurteilen Sie den aktuellen Zustand
               sorgen. Man brauchte finanz-      und ihren Exklusivvertrieb aufzubauen.            der ostdeutschen Medienlandschaft?
               starke Verlage. Daher war im                                                        Der ist traurig. Derzeit stecken wir allerdings
                Prinzip die Übernahme der        Warum schritten die Kartellämter seiner-          ganz allgemein in einer „Medienkrise“, die ist
                Zeitungen im Mai/Juni 1990       zeit nicht ein?                                   nicht nur digitaler, sondern struktureller Na-
                 bereits abgeschlossen. Es kam   Das Amt für Wettbewerbsschutz wurde schon         tur. Auf den Osten bezogen heißt das, es gibt
                 nur noch zu einigen Ver-        zu Zeiten der Modrow-Regierung nach dem           beispielweise keine oder kaum ostdeutsche
                  schiebungen.                   Vorbild des Bundeskartellamtes am 20. März        Stimmen in den Medien. Über Ostdeutsche
                                                 1990 gegründet. Es fing aber erst Monate spä-     wird gesprochen, sie sprechen selten selbst,
                  Die Kohl-Regierung ließ        ter mit der Arbeit an. Zu spät, um noch ein-      es sei denn sie bedienen bereits bekannte Ste-
                  die Westverlage also           zugreifen. Das in der Noch-DDR eingeführte        reotypen. In einer Studie im Auftrag des Mit-
                  offenbar gewähren?             Kartellrecht war außerdem wesentlich markt-       teldeutschen Rundfunks (MDR) aus dem Jahr
                   Die Rolle der Bundesregie-    freundlicher als das Recht in der alten Bun-      2017 wird die Frage nach der Qualität der Be-
              Metzenrath

                   rung und speziell des Bun-    desrepublik. In der Vertriebsfrage war das        richterstattung über Ostdeutschland gestellt.
                   desinnenministeriums ist      Bundeskartellamt zuständig, es schritt nach       Ergebnis: Es überwiegt Negativberichterstat-
                Foto: Christl

                    in der historischen Be-      der Einheit ein und löste das Verlagskartell im   tung. Das hat lange Tradition. Es gibt meh-
                    trachtung einigermaßen       Pressevertrieb auf. Ziel war, bestehende Struk-   rere Studien, die belegen, dass in der BRD über
                     unterbelichtet.             turen in der BRD nicht zu gefährden. Am           die DDR vor allem negativ berichtet wurde.
                         Ja, das Bundesinnen­    Ende hat die Bundesregierung im Osten aber        Politische Unterdrückung und Mangelgesell-
         ministerium ließ westdeutsche Ver-      auf den freien Markt gesetzt.                     schaft standen im Vordergrund, nicht die
lage Anfang 1990 gewähren. Ziel war, Infor-                                                        Menschen. Das wirkt sich bis heute aus mit
mationen für die März-Wahlen in die DDR zu       Waren die DDR-Bürger vom Hochglanz                schwerwiegenden Folgen. Wie soll jemand in
bekommen. Was kaum bekannt ist: Schon            westdeutscher Verlagsprodukte geblen-             Bayern ein Gefühl dafür bekommen, wie viel-
Ende 1990 gab das BMI eine Studie in Auftrag     det oder hat die Gier nach der D-Mark am          schichtig die Menschen im Osten ticken?
mit dem Ziel, die Pressekonzentration in der     Ende alle basisdemokratischen Bedürf-
DDR und später in den Neuen Ländern zu do-       nisse plattgemacht?                               „Lügenpresse in die Fresse!“ Solche Rufe
kumentieren. Als die Ergebnisse Ende 1991/92     Es gab politischen Druck, den DDR-Bürgern         ertönen vor allem bei Demonstrationen
publiziert wurden, gab es einen Aufschrei.       den Zugang zur Westpresse zu geben. Trotz-        im Osten Deutschlands. Könnte es sein,
Weil man da das ganze Ausmaß der Monopo-         dem hielten die DDR-Bürger an ihren ehema-        dass diese medienfeindliche Haltung
lisierung allmählich überblickte. Aber wäh-      ligen Bezirksblättern fest. Viele wollten         auch eine Spätfolge der in der Wendezeit
rend des ganzen Prozesses hat die Politik        schließlich die D-Mark, klar. Aber die ersten     erlebten Desillusionierung ist?
mehr oder weniger tatenlos zugesehen.            Wahlen wurden ja ganz krass von der Kohl-Re-      Wenn jetzt diese Parolen von der „Lügen-
                                                 gierung beeinflusst. Allein das Ministerium       presse“ ertönen, heißt es oft, sie seien Folge
Und die Ostpolitiker? Immerhin hatte die         für innerdeutsche Beziehungen hat 7,5 Mil­        der DDR-Erfahrung. Menschen im Osten hät-
DDR für kurze Zeit sogar einen eigenen           lionen Mark in den Wahlkampf gesteckt. Das        ten kein Demokratieverständnis. Ich denke,
Medienminister. Und dann gab es noch             Bundesinnenministerium hatte noch im              es ist tatsächlich eher eine Folge der Desillu-
den Medienkontrollrat …                          Februar 1990 die Westverlage gewarnt, sie         sion der Wendezeit. Man erlebte eine struktu-
Der Medienkontrollrat wurde am 5. Februar        agierten in einer rechtlichen Grauzone. Aber      relle Ausgrenzung, in der die eigene Stimme
1990 auf Grundlage des Medienbeschlusses         im anlaufenden Wahlkampf hat es dann die          nicht zählte. Die Bürgerzeitungen, die sich da-
basisdemokratisch geschaffen, hatte aber         Verlage geradezu ermutigt, diese Grauzone zu      mals formiert hatten, gingen den Bach run-
keine exekutive Gewalt. Er formulierte Plädo-    nutzen und nach Osten zu expandieren.             ter. Die diskutierten Ideen über alternative
yers, Beschwerden, mischte sich ein, ver-                                                          Finanzierungskonzepte, von einer auch auf
suchte, die Expansion der Westverlage zu         Bürgerrechtler und der Medienkontroll-            innerer Pressefreiheit beruhenden unabhän-
stoppen, wurde aber letztlich immer wieder       rat träumten eine Weile den Traum vom             gigen Presse. All die zahlreichen Initiativen
übergangen. Der CDU-Mann und Theologe            „dritten“ Weg, einem Weg zwischen                 für demokratische Reformen wurden abge-
Gottfried Müller, Medienminister im Kabinett     kapitalistischem Markt und staatlicher            würgt. Und zugunsten politischer Interessen
von Lothar de Maizière, wollte die Monopol-      Zensur. War dieser Traum von vornher-             der alten Bundesregierung und Wirtschafts-
strukturen der DDR-Presse zerschlagen. Ihm       ein illusionär?                                   interessen der Großverlage beerdigt. Das wirkt
schwebten zum Beispiel mittelständische, ver-    Viele denken heute, nach dem Fall der Mauer       bis heute nach.                    Es fragte:
lagsunabhängige Grossisten nach dem Vor-         sei der Zug direkt in Richtung Einheit gefah-                               Günter Herkel ‹‹

                                                                                                                                      2.2019 M 11
IM FOKUS

Linke Blätter in der Nische
Immer wieder im Krisenmodus und der Blick auf junge Leser*innen

    Z
               eitungen mit ostdeutscher          ter*innen der Zeitung ist, sprang ein. Inwie-                                    erst gab es eine große Redaktionskonferenz,
               Geschichte sind den Krisen-        fern die Partei weiterhin bereit ist, die kri-                                   bei der es um die Zukunft der Zeitung und
                modus gewohnt. In der DDR         selnde Zeitung zu unterstützen, ist unklar.                                      eine künftige Online-Strategie ging. Klar sei:
                millionenfach gedruckt, ver-      Zweiter Gesellschafter neben der Linken ist                                      Man müsse „massiv sparen“, so Hübner. Da
                loren das Neue Deutschland        zu 50 Prozent die Communio Beteiligungsge-                                       scheint es reizvoll, ganz auf digitale Inhalte
und die Junge Welt nach der Wende massiv an       nossenschaft eG mit Vorstand Matthias                                            umzusatteln – ohne Kosten für Vertrieb und
Auflage und kämpfen bis heute ums Überle-         Schindler, gleichzeitig ND-Geschäftsführer.                                      Druckerei.
ben. Wie ernst ist die Lage? Und kann man         Immer wieder wird darüber berichtet, dass die
mit linker Ideologie überhaupt noch neue          Gesellschafter dem ND das wertvolle Grund-                                       Die taz macht es vor: Dort wird man voraus-
Leser*innen gewinnen?                             stück am Ber­liner Ostbahnhof, auf dem das                                       sichtlich ab 2022 den Druck der Tageszeitung
                                                  Verlagsgebäude steht, entziehen wollen. Eine                                     einstellen und wochentags nur noch digital
Der Chefredakteur des Neuen Deutschland ist       Drohung, die ein Redakteur gegenüber dem                                         erscheinen – so zumindest sieht es das „Sze-
nicht bekannt dafür, die Situation seiner Zei-    NDR einmal als „Vertrauensentzug“ bewer-                                         nario 2022“ des früheren taz-Geschäftsführers
tung zu beschönigen. „Schon existenziell“,        tete und die das Verhältnis zwischen Verlag                                      Karl-Heinz Ruch vor. Doch diesen Schritt wird
antwortet Wolfgang Hübner auf die Frage, wie      und Gesellschaftern belaste.                                                     das ND aus Rücksicht auf seine Leserschaft,
schlimm die Lage denn nun sei. Die verkaufte                                                                                       die im Schnitt über 60 Jahre alt ist, wohl nicht
Auflage der „sozialistischen Tageszeitung“        Über Genossenschaft diskutiert                                                   so schnell gehen. Immerhin als Arbeitgeber
liegt aktuell bei unter 24.000 Exemplaren.                                                                                         ist das ND bei jungen Leuten beliebt, obwohl
                                                  Man blicke schon etwas neidisch auf taz und                                      auch hier Gehälter und Honorare wie bei taz
Anfang 1990 hatte das frühere SED-Zentral-        Junge Welt, räumt Hübner ein. Beide Zeitun-                                      und Junge Welt weit unter Tarif liegen. Der Al-
organ noch über eine Million Leser*innen.         gen haben eine Genossenschaft im Rücken.                                         tersdurchschnitt der Redaktion liegt laut Hüb-
Deren Zahl sank bis zum Ende des Jahres auf       Auch beim ND wird dieses Modell rege disku-                                      ner bei unter 40 Jahren. Er sieht es als seine
etwa 100.000. In der Nachwendezeit stand die      tiert. „Das wird unsere finanziellen Probleme                                    Aufgabe an, zu vermitteln: zwischen der jun-
Zeitung kurzzeitig unter Verwaltung der Treu-     aber kurzfristig nicht lösen“, sagt Hübner. Er                                   gen Redaktion und jenen Leser*innen, die
hand. Ende 1991 sorgte eine große Spenden-        ist seit Ende 2017 ND-Chefredakteur. Nur                                         dem Blatt seit DDR-Zeiten die Treue halten –
aktion für finanzielle Erleichterung, Leser*in-   kommissarisch, wie er betont. Er wünscht sich                                    und entsprechende Inhalte erwarten.
nen gaben etwa eine Million D-Mark. Schlag-       für die Position jemanden, der jünger ist und
zeilen machte die Zeitung zuletzt, als sie Ende   Erfahrung damit hat, Online-Inhalte zu ver-                                      Im vergangenen Jahr gingen zwei Formate an
2017 kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand.      markten. Online – das ist in diesen Tagen ein                                    den Start, mit denen der Verlag neue, jüngere
Die Linkspartei, die eine der Gesellschaf-        wichtiges Stichwort auch beim ND. Gerade                                         Lesergruppen ansprechen möchte: die Wo-
                                                                                                                                   chenendausgabe nd.DieWoche, bei der das
                                                                                                                                   Wort „sozialistisch“ nicht mehr im Untertitel
Berlin Alexanderplatz 1973: Jahrzehntelang stand „Neues Deutschland“ an der S-Bahn-Brücke                                          auftaucht. Und das Online-Magazin Super-
                                                                                                                                   nova, dessen Autor*innen über Clubkultur
                                                                                                                                   und offene Beziehungen schreiben und dar-
                                                                                                                                   über, dass auch überzeugte Linke Lippenstift
                                                                                                                                   tragen können.

                                                                                                                                   Mehr Augenmerk auf Qualität
                                                                                                                                   „Supernova ist eines der interessantesten lin-
                                                                                                                                   ken Medienprojekte“, sagt Jörg Staude, Jour-
                                                                                                                                   nalist und Vorstand der Linken Medienaka-
                                                                                                                                   demie, im Gespräch mit M. Das Magazin
                                                                                                                                   richte sich an eine junge Zielgruppe, „die sich
                                                                                                                                   von Ideologie eher abgestoßen fühlt“. Geht
                                                                                                                                   es nach Staude, sollte es im linken Journalis-
                                                                                                                                   mus generell „weniger Ideologie“, dafür mehr
                                                                                                   Foto: SZ Photo / Peter Probst

                                                                                                                                   „journalistische Tugenden“ geben – das for-
                                                                                                                                   derte er in einem Kommentar, der im ND er-
                                                                                                                                   schienen ist. Für ihn liegt die Krise des ND
                                                                                                                                   auch darin begründet, dass die Redaktion
                                                                                                                                   mehr Wert auf die „richtige Position“ einer

12 M 2.2019
MEDIENWENDE

Autorin oder eines Autors lege als auf die Qua-
lität des Artikels. Ein Problem sei zudem, dass
das ND als „Nischenprodukt“ keine bundes-
weite Aufmerksamkeit bekomme, sagt Staude.
Anders als etwa die taz, die im Mediensystem
akzeptiert sei, gelte das ND nicht als seriöse
Quelle. Die linke Bewegung habe ihren Anteil
an diesem Nischendasein, denn selbst die
wolle ihre Themen lieber in den bürgerlichen
Medien platzieren. „Ich habe noch keine
wirklich große Exklusiv-Geschichte von den
Linken im Neuen Deutschland gelesen“, so
Staude.

In ihrer ganz eigenen Nische scheint die Junge
Welt sich wohl zu fühlen. Spricht man mit
Dietmar Koschmieder, seit 1995 Geschäfts-
                                                  Foto: Toni Nemes

führer der „linken, marxistisch orientierten“
Tageszeitung, scheint zunächst alles in bester
Ordnung: Der Altersdurchschnitt der Le-
ser*innen sei vergleichsweise niedrig, die ver-
                                                                     In der Grafik-Abteilung der Jungen Welt, im Mai 1994, noch in Berlin-Treptow
kaufte Auflage einigermaßen stabil. Einen
wichtigen Teil der Einnahmen bestreite die
Zeitung mit Online-Abos. Statt Personal ab-
zubauen, habe man neue Mitarbeiter*innen                             ders: Man habe eine „marxistischen Grund-          tur“ war man bemüht, bisherige Leser*innen
eingestellt.                                                         position, die von der Existenz von Klassen         in Ost und West gleichermaßen zu erreichen,
                                                                     ausgeht“ und davon, „dass alles, was ge-           was nicht immer gelang: Bis November 1991
Doch auch Koschmieders Blatt kämpft ums                              schieht, irgendjemandem nützt und irgend-          hatte rund die Hälfte der früheren Sonntag-Le-
Überleben. „Die Junge Welt in Gefahr!“ schrieb                       jemandem schadet“. – Marxismus, Klassenge-         ser*innen den Freitag abbestellt. Die verkaufte
die Zeitung – mal wieder – im vergangenen                            sellschaft: Was wohl insbesondere für jüngere      Auflage lag in diesem Jahr noch bei 25.000.
November. Im Schnitt komme man auf knapp                             Ohren nach längst vergangenen Zeiten klingt,
unter 19.000 verkaufte Exemplare. Mindes-                            ist für Koschmieder ein Alleinstellungsmerk-       Das „Meinungsmedium“ Freitag
tens 20.000 müssten es sein, um kostende-                            mal auf dem deutschen Zeitungsmarkt, mit
ckend arbeiten zu können, sagt Koschmieder.                          dem man neue Leser*innen jeden Alters ge-          Die wirtschaftliche Lage des Blattes blieb un-
Das Blatt hat mit einer saftigen Erhöhung der                        winnen kann. „Wir müssen Leute finden, die         sicher. 1996 ging der Freitag an eine Eigentü-
Zustellpreise durch die Deutsche Post zu                             das Produkt lesen, und dann überzeugt das          mergruppe, der es gelang, von Unterstützern
kämpfen. Auf der Junge-Welt-Website wird das                         Produkt selber.“ Jörg Staude von der Linken        Gelder aufzutreiben, kostendeckend zu arbei-
Unternehmen scharf dafür kritisiert.                                 Medienakademie sagt: „Für mich ist die Junge       ten und den Freitag als „Nischenprodukt“ zu
                                                                     Welt keine Zeitung mehr, das ist ein politi-       etablieren, wie sich Wilhelm Brüggen, Spre-
Die Junge Welt, 1947 gegründet, war als Zen-                         sches Kampfblatt.“                                 cher der damaligen Eigentümergruppe, in ei-
tralorgan der FDJ zeitweise die auflagen-                                                                               nem Artikel erinnert.
stärkste Zeitung der DDR. Wie das Neue                               Politische Kämpfe erlebte die Junge Welt auch
Deutschland verlor sie nach der Wende Milli-                         intern: 1997 kommt es zum Streit, nachdem          2008 übernahm Jakob Augstein den Freitag.
onen Leser*innen. Das Blatt erlebte mehrere                          Koschmieder den Chefredakteur Klaus Behn-          Die Zeitung bekam eine neue Redaktions-
Führungs- und Eigentümerwechsel. 1995                                ken abgesetzt hatte. Mitarbeiter*innen besetz-     struktur und ein neues Layout, der bisherige
hatte es noch etwa 17.500 Abonnent*innen.                            ten die Redaktionsräume und gründeten kurz         Untertitel wurde durch „Das Meinungsme-
Die damaligen Eigentümer stellten im Früh-                           darauf eine neue Zeitung: Die jungle world ver-    dium“ ersetzt. Eine Besonderheit des Freitag
jahr 1995 den Betrieb der Zeitung ein. Dar-                          steht sich als undogmatisch links und betont       ist die Online-Community, die ein eigenes
aufhin gründeten Mitarbeiter*innen den Ver-                          ihre Ablehnung von Antisemitismus, Antizi-         Ressort auf der Website bildet. Die Zeitung be-
lag 8. Mai GmbH und die Genossenschaft LPG                           onismus und Antiamerikanismus.                     schreibt sich als „linksliberal“. Auch unter
Junge Welt – nach dem Vorbild der taz. 2016                                                                             Augstein, der Verleger und Chefredakteur ist,
startete die LPG ein Sanierungsprogramm,                             Der Begriff „Nische“ fällt ebenfalls, wenn es      gab es jahrelang wirtschaftliche Schwierigkei-
nachdem sich Schulden von fast einer Mil-                            um die Geschichte einer anderen linken Zei-        ten. Vor zwei Jahren sagte er in einem Inter-
lion Euro angesammelt hatten. Sie verzeich-                          tung mit ostdeutschem Hintergrund geht:            view, dass das Blatt mittlerweile keine Verluste
net derzeit rund 2.200 Genoss*innen.                                 den Freitag. Nach der Wende ging das Blatt         mehr mache. Die verkaufte Auflage liegt ak-
                                                                     aus einer Fusion der westdeutschen Volkszei-       tuell bei knapp 24.000 Exemplaren – eine Stei-
Den Grund für den Niedergang der Jungen                              tung und dem Ost-Berliner Sonntag hervor. Die      gerung von über 90 Prozent im Vergleich zu
Welt in den 90er Jahren sieht Koschmieder                            „Ost-West-Wochenzeitung“ erschien zum ers-         2008. Es kann also auch bergauf gehen. Auf
auch darin, dass die Zeitung keine klare Kante                       ten Mal am 9. November 1990 mit einer Start-       dem Zeitungsmarkt ist das eine außerordent-
mehr gezeigt habe. „Sehr sozialdemokratisch,                         auflage von 55.000 Exemplaren. Angekündigt         lich gute Nachricht.      Sarah Schaefer ‹‹
sehr brav“ sei sie gewesen. Das sei heute an-                        als „linke Wochenzeitung für Politik und Kul-

                                                                                                                                                           2.2019 M 13
IM FOKUS

Wie Madsack
den Osten eroberte
Zukäufe brachten die Hannoveraner auf Rang fünf der größten Zeitungshäuser

   K
               aum ein anderes Medienhaus hat von         Übernahme wenig überraschend war. Überhaupt ging
               den neuen Zeitungsmärkten in der           es bei der Verteilung der großen Ost-Regionalzeitun-
                ehemaligen DDR langfristig so stark       gen nur wenig überraschend zu. „Im Osten nichts
                profitiert wie die in Hannover an­        Neues“ titelte die M-Vorgänger-Publikation „Kunst
                sässige Verlagsgesellschaft Madsack.      und Publizistik“ damals zu den Zeitungsverkäufen an
Im Jahr 2018 belegte die Mediengruppe mit ihren 15        die bekannten Großverleger aus dem Westen. Für                                1990 Halle an der Saale.
regionalen Tageszeitungen laut Horst Röpers Unter­        Madsack war die Aufteilung des ostdeutschen Zei-                              West-Medien-Konzerne drän-
suchung zur Pressekonzentration in Deutschland den        tungsmarkts dagegen der Beginn des Aufstiegs zu ei-                           gen in den Ost-deutschen

                                                                                                                    Foto: Paul Glaser
fünften Rang unter den zehn auflagenstärksten Ver-        nem der führenden deutschen Medienkonzerne. Zu-                               Markt, hier der Express aus
lagsgruppen. Und das vor allem dank des hohen Ab-         nächst blieb der Griff des Hannoveraner Verlags nach                          Köln. Verkauft wird aus dem
satzes von Leipziger Volkszeitung, Ostsee-Zeitung und     Osten aber auf Sachsen beschränkt, wo man sich nach                           Motorrad-Beiwagen.
Märkische Allgemeine, alle drei ehemalige SED-Partei-     der LVZ-Übernahme mit dem Erwerb der „Dresdner
zeitungen.                                                Neuesten Nachrichten“ – vormals „Sächsische Neueste
                                                          Nachrichten“ – 1992 (ebenfalls gemeinschaftlich mit
Wie für alle anderen Zeitungsverlage in der Bundesre-     Springer) sowie dem Bau eines Druckhauses am Leip-
publik war der Mauerfall auch für Madsack vor allem       ziger Stadtrand 1993 jedoch eine mehr als solide
ein Glücksfall. Der westdeutsche Zeitungsmarkt war        Startposition verschafft hatte. Zumal der Verlag
weitestgehend konsolidiert, im südlichen Niedersach-      bereits frühzeitig auch in Anzeigenblätter und
sen, dem Stammgebiet des 1892 als „Hannoverscher          Rundfunksender investierte.
Anzeiger A. Madsack & Co.“ gegründeten Verlags, war
Wachstum kaum noch möglich. Recht schnell steckte         Nachdem Madsack den Sprung in die
das Zeitungshaus deshalb seine Fühler gen Osten aus       Riege der zehn größten deutschen Ver-
und betätigte sich damit erstmals außerhalb der nie-      lagsgruppen vollzogen hatte, konzent-
dersächsischen Landesgrenzen. Gemeinsam mit Du-           rierte man sich in den 90ern durch
Mont/Schauberg betrieb Madsack in Erfurt, Gera, Leip-     mehrere Zukäufe vor allem auf die Ge-
zig und Magdeburg das Boulevard-Blatt Neue Presse         bietsarrondierung im Stammland Nie-
Express, eine Neugründung, zusammengeführt aus            dersachsen, wo die Marktposition
Ablegern der Hannoveraner Neuen Presse und des            deutlich verbessert werden konnte.
Kölner Express. 1992 zog sich Madsack jedoch aus der      Erhebliche Auflagenverluste erlitt das
Unternehmung zurück und auch die deutlich abge-           Medienhaus dafür bei den Ost-Zeitun-
speckte Express-Folgeversion, die dann unter dem          gen, die Auflage der LVZ betrug im Jahr
Titel Mitteldeutscher Express firmierte, machte 1995      2.000 nur noch 323.000 Exemplare. Die
dicht. Ebenfalls 1992 schlossen die Niedersachsen die     große Zeitungskrise aufgrund einbre-
nach dem Mauerfall neu gegründete Magdeburger All-        chender Werbeeinnahmen ab 2001 dann
gemeine Zeitung.                                          hat Madsack ohne größere Probleme über-
                                                          standen und im Gegenteil dank weiterhin ho-
Das Tor nach Osten öffnet sich                            her Gewinne für die Expansion in den benach-
                                                          barten hessischen Zeitungsmarkt genutzt.
Wesentlich erfolgreicher als mit Neugründungen
konnte sich Madsack dagegen auf dem ostdeutschen          Schleichende Osterweiterung
Zeitungsmarkt mit Zukäufen bereits bestehender Titel
etablieren. Als die Treuhandanstalt im Frühjahr 1991      Den Blick erneut nach Osten richtete die Medien-
die DDR-Regionalzeitungen – die ehemaligen SED-Be-        gruppe erst im Jahr 2009, fast 20 Jahre nach dem erst-
zirkszeitungen – zum Verkauf anbot, sicherte man sich     maligen Markteintritt. Mal wieder spielten Madsack
einen 50 Prozent-Anteil an der „Leipziger Volkszeitung“   die äußeren Umstände in die Hände: Um sich auf Bild
(LVZ), die mit einer Auflage von 379.000 zu den zehn      und das Digitale zu konzentrieren, beschloss die Sprin-
auflagenstärksten Tageszeitungen im wiedervereinig-       ger AG, sich aus dem Regionalzeitungsmarkt zurück-
ten Deutschland gehörte. Miteigner wurde der Sprin-       zuziehen und verkaufte ihre Beteiligungen an die
ger-Konzern. Zuvor hatte sich Madsack bei der LVZ         Hannoversche Verlagsgruppe. Neben den zweiten 50
bereits als Kooperationspartner engagiert, sodass die     Prozent an der LVZ, dessen alleinige Eigentümerin

14 M 2.2019
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