Zehn Jahre Mehrwertsteuer in der Schweiz - Stellungnahme des Kompetenzzentrums MWST der Treuhand-Kammer zum Postulat Raggenbass

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AKTUELLES ZUR MWST
                                          Diego Clavadetscher, Philip Robinson

             Zehn Jahre Mehrwertsteuer in der Schweiz
                 Stellungnahme des Kompetenzzentrums MWST der Treuhand-Kammer
                                     zum Postulat Raggenbass
Im Juni 2003 wurde das «Postulat Rag-     phase und hat sich als entscheidender       plexität ist auch heute unverändert zu
genbass» überwiesen, das vom Bun-         Schritt zur Verbesserung der Rahmen-        hoch, die Verwaltungsanweisungen zu
desrat bis Ende 2004 – also zehn Jahre    bedingungen für den Wirtschaftstand-        komplex und die Gesetzesauslegung zu
nach deren Einführung – einen Bericht     ort Schweiz erwiesen. Auch für die          formalistisch. Der Wille des Gesetzge-
zum Stand der Schweizer Mehrwert-         Konsumenten kam der Systemwechsel           bers, die MWST sei als einfache Netto-
steuer (MWST) verlangte. Wesentliche      zum richtigen Zeitpunkt: Der hohe           Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug
Grundlagen dieses Berichtes [1] bilden    Wettbewerbsdruck hat die Voraussa-          auszugestalten, widerspiegelt sich in
die Ergebnisse einer im Frühjahr 2004     gen für einen entsprechend hohen An-        der Praxis nicht.
durchgeführten Vernehmlassung zum         stieg der Konsumentenpreise in der
Thema. Am 1. Juni 2004 reichte die        Grössenordnung von 1,7% nicht be-           (…) In vielen Bereichen lebt das Wa-
Treuhand-Kammer, vertreten durch          stätigt; kaum die Hälfte des ‹Teue-         renumsatzsteuer-(WUST-)System auch
das Kompetenzzentrum MWST, eine           rungspotenzials› dürfte tatsächlich ein-    heute noch weiter. Folgende Beispiele
umfassende Stellungnahme bei der Eid-     getreten sein; die Jahresteuerung hat       mögen dies illustrieren, wobei die Auf-
genössischen Steuerverwaltung (ESTV)      sich mit 1,8% im Rahmen gehalten.           zählung nicht vollständig ist:
ein, die nachfolgend auszugsweise wie-
dergegeben wird. Es zeichnet sich ab,     Demgegenüber ist wesentlich: Durch          – Die Systematik des Gesetzes richtet
dass die Ergebnisse der Vernehmlas-       die hohe (und zunehmende) Zahl der            sich in grossen Teilen nach dem Vor-
sung von der ESTV zum Anlass ge-          Ausnahmebestimmungen ist die For-             bild des alten Bundesratsbeschlusses
nommen werden, verschiedene Praxis-       derung nach einer für die steuerpflich-       über die WUST; dies führt dazu,
änderungen zu implementieren sowie        tige Person steuerneutralen Steuer            dass beispielsweise Ausnahmen vom
Anpassungen des Mehrwertsteuergeset-      nicht erfüllt worden. Ebenso konnte           Steuerobjekt (bspw. im Bereich der
zes (MWSTG) zu beantragen. Der ak-        die geforderte einfache Umsetzung             Umsätze der Urproduktion) im Ge-
tuelle Stand dieser Änderungen wird am    durch die Steuerpflichtigen nicht ver-        setz als Ausnahmen vom Steuersub-
Schluss dieses Beitrages zusammenge-      wirklicht werden.                             jekt dargestellt werden.
fasst und kommentiert.                                                                – Die Begrifflichkeit des WUST-Rechts
                                          (…) [Es] ist festzustellen, dass der Auf-     wurde in vielen Bereichen auf das
                                          wand für die Steuerpflichtigen wäh-           MWST-Recht übertragen; dies gilt
Auszüge aus der                           rend der Einführungsphase aber auch           bspw. für den Lieferungsbegriff,
Stellungnahme                             während der Dauer der Steuerpflicht           welcher nicht kompatibel mit den
der Treuhand-Kammer                       unangemessen hoch ausfiel und die             ausländischen MWST-Ordnungen
                                          Thematik qualifizierte externe Unter-         ist (…) oder den Begriff des Eigen-
Die in den Hauptüberschriften formu-      stützung/Beratung erforderte. Die Kom-        verbrauchs.
lierten Fragen wurden von der ESTV                                                    – Das Verfahrensrecht, namentlich das
im Rahmen der Vernehmlassung ge-                                                        sog. Selbstveranlagungsprinzip, wur-
stellt. Die vorliegenden Auszüge kon-                                                   de unbesehen übernommen, obwohl
zentrieren sich auf die ersten drei von                                                 durch die Einführung des Vorsteuer-
insgesamt acht Fragen, die in der Ver-                                                  abzugs und die damit verbundenen
nehmlassung gestellt wurden. Der voll-                                                  Implikationen Änderungen ange-
ständige Bericht der Treuhand-Kam-                                                      zeigt gewesen wären.
mer nimmt Stellung zu allen diesen
Fragen.                                                                               Die alte WUST-Praxis wird auch immer
                                                                                      wieder von den Steuerjustizinstanzen
                                                                                      zur Auslegung herangezogen, obwohl
 Frage 1:                                                                             dies nicht in allen Fällen sachgerecht
 Wie hat sich der Übergang                                                            ist. Bei der Auslegung wird zu wenig
 von der Warenumsatzsteuer                                                            beachtet, dass die WUST eine Einpha-
 zur MWST bewährt?                                                                    sensteuer war; durch eine formalisti-
                                                                                      sche Strenge stellte der Staat sicher,
«(…) Wirtschaftspolitisch kam [der]           Diego Clavadetscher, Fürsprecher,       dass die Steuer in jeder Umsatzkette
Übergang zur MWST zu einem günsti-            dipl. Steuerexperte, Clavadetscher +    einmal erhoben wurde.
gen Zeitpunkt: Die Entlastung der In-         Partner, Steuer-Advokatur, Mitglied
                                              des Kompetenzzentrums MWST der
vestitionen von der ‹taxe occulte› er-        Treuhand-Kammer, Bern                   Die Anwendung der gleichen formalen
folgte in einer schwierigen Konjunktur-                                               Strenge führt bei einer Allphasen-
Der Schweizer Treuhänder 12/04                                                                                          1145
AKTUELLES ZUR MWST
                           Diego Clavadetscher, Philip Robinson, Zehn Jahre Mehrwertsteuer in der Schweiz

steuer dazu, dass der Fiskus in der glei-     gern ausgedehnt würden; oder aber               Lösungsansätze: Optionsmöglichkeit
chen Umsatzkette mehrmals ein de-             dass dem Anliegen einer steuer-                 oder Umstellung von unechter Be-
finitives Steueraufkommen generieren          lichen Entlastung bestimmter Lei-               freiung auf Besteuerung zu einem re-
kann, welches ihm nicht zusteht.»             stungen dadurch Rechnung getragen               duzierten Satz (s. oben).
                                              würde, dass die in Art. 18 MWSTG              – Besteuerung von Dienstleistungen
                                              aufgelisteten Leistungen statt unecht           mit Leistungsort im Ausland, wenn die
 Frage 2:                                     befreit neu zu einem reduzierten                ‹Nutzung oder Auswertung› im In-
 Inwieweit haben sich die                     Satz (evtl. von 0%) besteuert wür-              land erfolgt (Art. 10 lit. b MWSTG).
 konkreten Regelungen der                     den.                                          – Nicht im Gesetz, aber in der Praxis
 MWST als allgemeine                        – Einschränkung des Rechtes auf Vor-              stark verankert: Die Auffassung, wo-
 Konsumsteuer bewährt?                        steuerabzug bei (geschäftsmässig be-            nach die Zollgrenze die Einheit des
                                              gründeten) Auslagen für Verpfle-                Unternehmens zwischen Hauptsitz
«Unsere Antwort auf diese Frage lässt         gung und Getränke (Art. 38 Abs. 5               und Betriebsstätte unterbricht, kann
sich in vier Kernaussagen zusammen-           MWSTG).                                         im internationalen Verhältnis zu
fassen, die nachfolgend kommentiert         – Grundsätzlich alle Umsatzgrenzen                Doppelbesteuerungen führen [2].
werden:                                       für die subjektive Steuerpflicht              – Aufgrund der rigiden Praxis der
                                              (Art. 21 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1 lit. a          ESTV im Bereich des Nachweises
Das im MWSTG und in der MWSTGV                und d, Art. 27 Abs. 1 (hier: 40 000er-          bestehen ganz generell grosse Unsi-
zugrunde gelegte materielle System der        Grenze der Verwaltungspraxis) und               cherheiten in bezug auf die Abwick-
schweizerischen MWST ist grundsätz-           2 MWSTG) sowie die zeitliche Be-                lung von Auslandgeschäften, dies be-
lich als gut zu bezeichnen, obwohl ge-        grenzung in Art. 27 Abs. 2 MWSTG.               hindert die Exportwirtschaft und
wisse systematische Mängel vorhanden                                                          verursacht ihr unnötige Kosten [3]
sind.                                                                                         (…).
                                            Mängel hinsichtlich Bestimmungsland-
                                            prinzip (Potential für Doppel- oder
In seiner Systematik ist das MWSTG
                                            Nullbesteuerungen)                              Weitere systematische Mängel
(und davon abgeleitet die MWSTGV)
auf Steuerneutralität innerhalb der         – Im internationalen Vergleich unüb-            – Mit dem im internationalen Vergleich
‹unternehmerischen› Sphäre sowie auf          liche Erweiterung des Lieferungsbe-             unüblichen Konzept des baugewerb-
das Bestimmungslandprinzip bei grenz-         griffes (Art. 6 Abs. 2 MWSTG), welche           lichen Eigenverbrauches (Art. 9
überschreitenden Transaktionen aus-           u.a. auch im Bereich des grenz-                 Abs. 2 lit. a und b MWSTG) wird
gerichtet. Aus systematischer Sicht be-       überschreitenden Personentransports             ohne Vorliegen eines Leistungsaus-
stehen aber bereits auf der Ebene des         zu Doppelbesteuerungen führt.                   tausches zusätzliches Steuersubstrat
MWSTG gewisse Mängel, von denen                                                               geschaffen, indem dem ‹Bauherrn›
nachfolgend einige wichtige Beispiele       – Fehlende Möglichkeit des Vorsteuer-             bei Arbeiten an eigenen Bauwerken
aufgeführt seien:                             abzuges (d.h. der Entlastung von in-            eine – steuerbare – Wertschöpfung
                                              ländischer Steuer) bei im Ausland er-           zugeschrieben wird. Diese system-
                                              brachten Dienstleistungen nach Art.             fremde Regelung wird vom Bundes-
Mängel hinsichtlich Steuerneutralität in
                                              18 MWSTG (insbesondere Bank-                    gericht sogar noch weiter ausgelegt,
der «unternehmerischen» Sphäre
                                              und Versicherungsdienstleistungen).             indem Golfplätze auf Betreiben der
– Die unechten Steuerbefreiungen be-                                                          ESTV als ‹Bauwerke› qualifiziert
  stimmter Leistungen (Art. 17 und 18                                                         werden [4].
  MWSTG) führen zu einer definiti-                                                          – Anwendung des aktuellen, im Zeit-
  ven Vorsteuerbelastung bei den Er-                                                          punkt des Eigenverbrauches (Art. 43
  bringern solcher Leistungen. Wer-                                                           Abs. 2 MWSTG) geltenden Steuer-
  den die entsprechenden Leistungen                                                           satzes macht den ‹normalen› Eigen-
  an steuerpflichtige und zum Vorsteu-                                                        verbrauch (Art. 9 Abs. 1 MWSTG) –
  erabzug berechtigte Leistungsemp-                                                           trotz fehlendem Leistungsaustausch
  fänger erbracht, entsteht dadurch                                                           – zu einem ‹neuen› Steuertatbe-
  eine ‹taxe occulte›, da die ‹hängen-                                                        stand, was im Widerspruch steht zu
  gebliebene› MWST letztlich in die                                                           der Vorstellung, wonach die Eigen-
  Kalkulationsgrundlage des steuer-                                                           verbrauchsbesteuerung dazu diene,
  pflichtigen Leistungsempfängers ein-                                                        den Vorsteuerabzug nachträglich zu
  fliessen und im Rahmen von dessen                                                           korrigieren; bei einer Überarbeitung
  Umsätzen wiederum der Steuer un-                                                            des Gesetzes wäre ohnehin zu prü-
  terworfen wird. Aus systematischer                                                          fen, ob der normale Eigenverbrauch
  Sicht liesse sich dieser Mangel ent-         Philip Robinson, Dr. phil. I et lic. oec.      als objektiver Steuertatbestand wei-
  weder dadurch beheben, dass die Op-          HSG, dipl. Steuerexperte, Partner, Ernst &     tergeführt wird; sachgerechter wäre,
  tionsmöglichkeiten gemäss Art. 26            Young AG, Mitglied der Fachgruppe              die entsprechenden Bestimmungen
                                               Steuern und des Kompetenzzentrums
  MWSTG auf sämtliche Umsätze mit              MWST der Treuhand-Kammer, Zürich               als reine Vorsteuerkorrekturregeln
  steuerpflichtigen Leistungsempfän-                                                          weiterzuführen.
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AKTUELLES ZUR MWST
                                 Diego Clavadetscher, Philip Robinson, Zehn Jahre Mehrwertsteuer in der Schweiz

– Keine klare Trennung bezüglich der              – Extensive Ausdehnung des Anwen-              trug zeichnet sich dadurch aus, dass ein
  Rechtsfolgen zwischen unecht von                  dungsbereichs des Meldeverfahrens            Vorsteuerabzug vom Leistungsemp-
  der Steuer befreiten Umsätzen (Art.               (Art. 47 Abs. 3 MWSTG) [5];                  fänger in Anspruch genommen wird,
  18 MWSTG) und Nicht-Umsätzen,                   – Anforderungen an Ausfuhrnach-                obwohl der Leistungserbringer die
  namentlich in bezug auf die Korrek-               weise und Nachweise, dass Leistung           Steuer nie abgeführt hat. Impliziert
  tur des Vorsteuerabzugs. (…)                      im Ausland erbracht wurden (Art. 20          wird selbstverständlich ein Zusammen-
                                                    MWSTG, WL Rz. 388, 528 ff.).                 wirken von Leistungserbringer und
                                                                                                 Leistungsempfänger. Mit den strengen
Das Selbstveranlagungsprinzip und an-
                                                  Diese Regeln sind komplex und wer-             formellen Anforderungen an die Ein-
dere Verfahrensprinzipien führen in ihrer
                                                  den von vielen betroffenen Steuer-             gangsrechnungen kann jedoch nicht
Ausgestaltung und praktischen Umset-
                                                  pflichtigen entweder infolge Nichtwis-         verhindert werden, dass die Umsatz-
zung zu hohem Aufwand und zu Rechts-
                                                  sens oder aufgrund praktischer Schwie-         steuer vom Leistungserbringer nicht
unsicherheit auf seiten der MWST-
                                                  rigkeiten nicht oder nur teilweise             abgeführt wird. Eine «Bestrafung» des
Pflichtigen.
                                                  umgesetzt. Die Absicht, den Fiskus zu          Leistungsempfängers wäre nur in je-
Wie bereits dargestellt, wurde das sog.           hintergehen, dürfte aber nur in den al-        nen Ausnahmefällen angemessen, in
Selbstveranlagungsprinzip unbesehen               lerwenigsten Fällen bestehen. Anläss-          denen ein Zusammenwirken zwischen
aus dem WUST-Recht übernommen.                    lich der Kontrollen der ESTV werden            Leistungserbringer (der die ausgewie-
Dabei wurde nicht beachtet, dass ei-              Fehler in der Abwicklung und Doku-             sene Steuer nicht abführt) und Lei-
nerseits in einer Allphasensteuer die             mentation in der Regel kompromisslos           stungsempfänger (der aufgrund des –
Möglichkeit von Fehlern in einer Um-              geahndet, was oft zu erheblichen Steu-         in betrügerischer Absicht erstellten –
satzkette massiv erhöht wird und dass             eraufrechnungen führt. Stossend er-            Rechnungsbeleges den Vorsteuerab-
andererseits durch die Einführung des             scheint dies insbesondere dann, wenn           zug wissentlich geltend macht) ver-
Vorsteuerabzugs die Komplexität der               dadurch Steuerbelastungen entstehen,           mutet werden kann. In all jenen Fällen
Ermittlung der Steuerschuld massiv                die bei ‹richtiger› formeller Abwicklung       aber, in denen der Leistungsempfänger
angestiegen ist.                                  nicht entstanden wären. Der Fiskus be-         gutgläubig einen Vorsteuerabzug gel-
                                                  reichert sich also gewissermassen an           tend macht, darf es nicht sein, dass er –
Die Tatsache, dass der Steuerpflichtige           den Fehlern der Steuerpflichtigen.             durch Aberkennung des Rechtes auf
die Steuerschuld selbst, d.h. ohne Un-                                                           Vorsteuerabzug – bestraft wird für die
terstützung der Verwaltung, zu bestim-            Die falsche Gleichsetzung der Rechnung         Nicht-Entrichtung der Steuer seitens
men hat und während einer fünfjähri-              mit einem ‹Check› im Zusammenhang              des Leistungserbringers.
gen Verjährungsfrist jederzeit damit              mit dem Recht auf Vorsteuerabzug
rechnen muss, dass die Verwaltung im              führt zu überspitztem Formalismus be-          Es ist davon auszugehen, dass sich Fälle
Rahmen einer Kontrolle bei ihm Auf-               züglich der Eingangsrechnungen. Die            von Betrug im oben dargelegten Sinne
rechnungen vornimmt, die er kaum                  Rechnung für sich allein reicht aber in        in der Schweiz bisher kaum ereignet
mehr an seine Abnehmer überwälzen                 keiner Weise aus, um einen Vorsteuer-          haben und zugleich zu bezweifeln, dass
kann, führt zu einem wirtschaftlich               anspruch «einzulösen». Es bedarf zu-           Betrüger in einer solchen Situation den
nicht vertretbaren Unternehmerri-                 nächst einer Verbuchung der Rech-              offensichtlichen Fehler begehen wür-
siko. (…)                                         nung in der Bilanz (bei Investitionen)         den, eine formell unkorrekte Rech-
                                                  oder Erfolgsrechnung (bei Aufwen-              nung auszustellen. Als Radikallösung
                                                  dungen), damit ein Vorsteuerabzug              für die Vermeidung solcher Missbräu-
Die Verwaltungs- und Kontrollpraxen
                                                  überhaupt in Frage kommt. Deshalb ist          che bietet sich ein System an, das bei
sind oft auf Missbrauchsverhinderung
                                                  es – wenn auch vom Bundesgericht               Geschäftsvorfällen zwischen zum vollen
ausgerichtet, verhindern den Betrug
                                                  teilweise gestützt – nicht angemessen,         Vorsteuerabzug berechtigten MWST-
aber nicht, sondern schaffen für redliche
                                                  wenn der Form von Eingangsrechnun-             Pflichtigen eine Form von Meldever-
Steuerpflichtige erhebliche Probleme bei
                                                  gen in der Verwaltungspraxis gewisser-         fahren vorsieht (vergleichbar mit dem
der Umsetzung mehrwertsteuerlicher
                                                  massen eine absolute Bedeutung bei-            Konzept innergemeinschaftliche Liefe-
Regelungen.
                                                  gemessen wird. Wir postulieren, dass           rung/innergemeinschaftlicher Erwerb
In vielen Bereichen hat die Verwal-               bei der Entscheidung, ob ein Vorsteu-          in der EU oder mit dem Meldeverfah-
tungspraxis sehr strenge formelle Re-             erabzug zu gewähren sei oder nicht, die        ren nach Art. 47 Abs. 3 MWSTG). (…)
gelungen festgelegt, deren unvollstän-            gesamten Umstände zu berücksichti-
dige Einhaltung automatisch zu einer              gen seien, insbesondere die Verbu-
                                                                                                 Einige Gesetzesbestimmungen, aber ins-
mehrwertsteuerlichen Umqualifizie-                chung der betreffenden Position beim
                                                                                                 besondere die Auslegung des Gesetzes
rung führt, so zum Beispiel bei:                  Leistungsempfänger sowie die Verwen-
                                                                                                 durch die ESTV haben zur Folge, dass
                                                  dung dieses Vorumsatzes für einen
                                                                                                 die schweizerische MWST in manchen
– Margenbesteuerung (Art. 10 ff.                  steuerbaren Zweck.
                                                                                                 Bereichen keine allgemeine Konsum-
  MWSTGV; BB 05, S. 15 ff.);
                                                                                                 steuer ist, sondern die Unternehmen
– Vermittlungsgeschäften                          Das Argument, der strenge Formalis-
                                                                                                 steuerlich belastet.
  (WL Rz. 190 ff.);                               mus im Bereich der Rechnungen diene
– Personalverleih im karitativen                  der Vermeidung von Betrug, greift un-          Die oben zur Begründung von Aus-
  Bereich (WL Rz. 607 ff.);                       seres Erachtens zu kurz: Vorsteuerbe-          sage 1 (‹Das im MWSTG und in der
Der Schweizer Treuhänder 12/04                                                                                                       1147
AKTUELLES ZUR MWST
                           Diego Clavadetscher, Philip Robinson, Zehn Jahre Mehrwertsteuer in der Schweiz

MWSTGV zugrunde gelegte materiel-           samen Umsetzung einer allgemeinen                  richtigter Beleg (bzw. ein vollständi-
le System der schweizerischen MWST          Konsumsteuer anstelle einer Unter-                 ges Berichtigungsformular) vorliegt.
ist grundsätzlich als gut zu bezeichnen,    nehmenssteuer – unbedingt korrigiert               Diese Praxis ist abzulehnen [8].
obwohl gewisse systematische Mängel         werden müssten (der Umstand, dass              –   Generell werden sehr strenge (über-
vorhanden sind›) zitierten Bestim-          einige dieser systemwidrigen Praxen                spitzte) formelle Anforderungen an
mungen führen zum Ergebnis, dass die        vom Bundesgericht geschützt werden,                Rechnungen gestellt, die mitunter zu
schweizerische MWST bereits auf der         macht sie nicht weniger problematisch).            systematischen Vorsteuerbelastun-
Gesetzesebene (also als Ausdruck des        Nachfolgend seien die Wichtigsten                  gen bei einer grossen Zahl von Steu-
politischen Willens) Elemente aufweist,     dieser Verwaltungspraxen aufgelistet:              erpflichtigen führen können. Als
die sie zu einer Art Unternehmenssteuer                                                        Beispiel sei die Tatsache angeführt,
machen, d.h. die zu einer Steuerbela-       – Vorsteuern, die in direktem Zusam-               dass Fahrscheine der SBB, weil sie –
stung bei den Unternehmen führen              menhang mit der Einbringung von                  offenbar aus Praktikabilitätsgrün-
und nicht, wie dies von einer allgemei-       Kapital in ein Unternehmen stehen,               den – nicht vollumfänglich den An-
nen Konsumsteuer aus systematischer           können gemäss Praxis der ESTV                    forderungen von Art. 37 MWSTG
Sicht zu erwarten wäre, ausschliesslich       nicht geltend gemacht werden, unge-              genügen, konsequent nicht als Vor-
den Konsum belasten.                          achtet der Tätigkeit des Unterneh-               steuerbelege anerkannt werden, ob-
                                              mens. Dies hat zur Folge, dass kein              wohl über den Leistungserbringer
Zu den genannten Bestimmungen                 einziges MWST-pflichtiges Unter-                 und die Art der Leistung kein Zwei-
kommt, dass das Gesetz eine Diskre-           nehmen seine Tätigkeit ohne jegliche             fel bestehen kann. (Zur Kritik der
panz vorsieht zwischen der Verzinsung         Vorsteuerbelastung ausüben kann,                 Analogie zwischen Rechnung und
der Umsatzsteuer beim Leistungser-            weil mindestens bei der Gründung                 ‹Check› vgl. oben.)
bringer (Art. 47 Abs. 2 MWSTG) und            definitive Vorsteuerbelastungen ent-         –   Bei Kontrollen durch die ESTV wer-
der Verzinsung des Vorsteuerabzuges           stehen. Mit anderen Worten ist letzt-            den als Folge der überstrengen for-
beim Leistungsempfänger (Art. 48              lich in jedem steuerbaren Umsatz                 mellen Anforderungen bei Fehlern
Abs. 4 MWSTG). Diese Diskrepanz               eine (wenn auch i.d.R. geringe)                  der Steuerpflichtigen in manchen
hat zur Folge, dass im Zusammenhang           ‹taxe occulte› enthalten. Sowohl die             Fällen definitive Steuerbelastungen
mit nachträglich beim Leistungserbrin-        Auffassung der ESTV, wonach die                  geschaffen bei Sachverhalten, die –
ger aufgerechneten Steuern auch dann          Ausgabe von Beteiligungsrechten                  bei ‹richtiger› Abwicklung – voll-
eine Restbelastung bleibt, wenn die           einen steuerausgenommenen Um-                    umfänglich steuerneutral gewesen
Steuerbeträge nachträglich auf den            satz darstellt (SB Nr. 06, Ziff. 1.2.2.2)        wären (z.B. Gegengeschäfte in der
Leistungsempfänger überwälzt und von          als auch die dem ganzen MB 23 zu-                Medienbranche).
diesem als Vorsteuer in Abzug ge-             grunde liegende Vorstellung, der             –   Das an sich schon problematische
bracht werden können: Der Verzugs-            Vorgang der Zufuhr von Kapital                   Konzept des baugewerblichen Ei-
zins auf der nachträglich entrichteten        führe auf jeden Fall zu einer Vor-               genverbrauches wird durch die Ver-
Umsatzsteuer ist vom Leistungserbrin-         steuerkürzung (nämlich im Minimum                waltungspraxis sehr extensiv ange-
ger geschuldet, obwohl der Fiskus,            zu einer Verweigerung des Vorsteu-               wendet. Zu denken ist hier insbe-
wäre die Transaktion korrekt abge-            erabzuges auf den transaktionsbezo-              sondere an die Bestimmungen im
wickelt worden, per Saldo nicht oder          genen Kosten), ist unseres Erachtens             Zusammenhang mit der Anwendung
nur während kurzer Zeit (Zeitraum             falsch; beides verletzt den Grundsatz            von Art. 9 Abs. 2 lit. a MWSTG, die
zwischen Steuerentrichtung des Lei-           der Steuerneutralität im unterneh-               dazu führen, dass diese Form des Ei-
stungserbringers und Vorsteuerabzug           merischen Kontext. Weil Personen-                genverbrauches in manchen Fällen
des Leistungsempfängers – was aber            gesellschaften dieser Bestimmung                 auch dann angenommen wird, wenn
systembedingt ist) über die Mittel hätte      nicht unterliegen, führt die Praxis              ein Bauwerk vollumfänglich durch
verfügen können. Faktisch weist der           auch zu einer rechtsungleichen Be-               Dritte erstellt wird, d.h., wenn fak-
Zins in diesen Fällen den Charakter           handlung der Gründungskosten bei                 tisch keine Wertschöpfung durch den
einer Busse auf, deren Rechtsgrund            den verschiedenen Rechtsformen [7].              Bauherrn erfolgt (vgl. die Kriterien
und Angemessenheit nach den Krite-          – Die ESTV vertritt den Standpunkt,                in SB 04, Ziff. 7.3.1). In diesen Fällen
rien von Art. 85 ff. MWSTG geprüft            dass das Recht zur Geltendmachung                wird eine fiktive Wertschöpfung be-
werden müsste [6].                            des Vorsteuerabzuges erst in dem                 steuert, auf der Basis der ‹Finanzie-
                                              Zeitpunkt entstehe, in dem ein for-              rungskosten› [9].
Während die im Gesetz enthaltenen             mell korrekter Beleg (Eingangsrech-          –   Die Anforderung an den buch- und
systemwidrigen Bestimmungen als               nung) vorliege (vgl. z.B. die Erläute-           belegmässigen Nachweis bei ‹Dienst-
Ergebnisse des politischen Prozesses          rungen zum Berichtigungsformular                 leistungsexporten› werden von der
gesehen werden müssen, die vermu-             1550). Als Folge dieser Auffassung               ESTV sehr rigide gehandhabt und in
tungsweise nach dem Willen des Ge-            wird dem Steuerpflichtigen, der auf-             einigen Fällen – trotz eindeutiger
setzgebers formuliert worden sind,            grund eines unvollständigen Beleges              Sachverhaltsermittlung aufgrund an-
führt die Auslegung des Gesetzes im           den Vorsteuerabzug geltend gemacht               derer Nachweise – verabsolutiert.
Rahmen der Verwaltungspraxis zu zu-           hat, diese Steuer zunächst – unter               Dies zeigt sich insbesondere bei einer
sätzlichen Systemwidrigkeiten, die un-        Zinsfolgen – belastet und erst dann              Reihe von Entscheiden im Zusam-
seres Erachtens – im Sinne der wirk-          wieder gutgeschrieben, wenn ein be-              menhang mit Management Fees. Ob-
1148                                                                                                        Der Schweizer Treuhänder 12/04
AKTUELLES ZUR MWST
                                 Diego Clavadetscher, Philip Robinson, Zehn Jahre Mehrwertsteuer in der Schweiz

  wohl sich abzeichnet, dass das Bun-               lung des Holdingzweckes gar nicht              renrechnung die Zugehörigkeit zum
  desgericht die Praxis der ESTV in                 erforderlich ist) [11].                        betroffenen Steuerzahler durch ihn
  diesen Fällen schützt [10], sollte diese        – Im Bereich der Verrechnungspreise              selber anerkannt wird. In EU-Län-
  Verabsolutierung der Formvorschrif-               (Anwendung des Drittvergleichs-                dern orientieren sich die diesbezüg-
  ten zugunsten einer Anerkennung                   grundsatzes von Art. 33 Abs. 2                 lichen Bestimmungen primär daran,
  anderer angemessener Nachweise                    MWSTG) plädieren wir für eine                  ob eine Verwechselbarkeit mit einem
  aufgegeben werden.                                übereinstimmende Betrachtungsweise             andern Empfänger ausgeschlossen
– Die – ebenfalls durch die Steuerjustiz            aller betroffenen Steuerbehörden.              werden kann.
  geschützte – Weigerung der ESTV,                  Insbesondere fordern wir, dass Ver-          – Die zwingend vorgeschriebene An-
  bei Ermessenseinschätzungen auch                  rechnungspreise, die von anderen               wendung der Devisenkurse der
  die Vorsteuern zu schätzen, stellt un-            Steuerbehörden (insbesondere kan-              ESTV für Belege in Fremdwährun-
  seres Erachtens eine Benachteiligung              tonale Steuerverwaltungen sowie                gen führt bei Konzerngesellschaften
  des Steuerpflichtigen dar und verletzt            Verrechnungssteuerbehörde) expli-              zu einem erheblichen administrati-
  den Grundsatz, wonach die ermes-                  zit anerkannt worden sind, grund-              ven Aufwand. Für Buchführungs-
  sensweise Schätzung einer Steuer-                 sätzlich auch für Zwecke der Mehr-             zwecke muss ein vorgeschriebener
  forderung – gesamthaft gesehen – zu               wertsteuer anerkannt werden [12].»             Konzernkurs verwendet werden,
  einem angemessenen Ergebnis füh-                                                                 während die ESTV für den Steuer-
  ren muss.                                                                                        betrag andere Kurse verlangt. Es
– Die Praxis im Zusammenhang mit                   Frage 3:                                        muss dringend eine Lösung gefun-
  ausländischen ‹passiven Investment-                                                              den werden, welche unter annehm-
                                                   Inwieweit werden die Unterneh-
  gesellschaften› sollte überdacht wer-                                                            baren Bedingungen (evtl. Bandbrei-
  den, da sie sowohl systematisch als              mungen durch die Umsetzung                      te des Kurses, Berücksichtigung der
  auch hinsichtlich der konkreten Sub-             belastet und inwieweit kann                     vorsteuerabzugsberechtigten Abneh-
  stanzkriterien nicht konsistent ist mit          hier künftig eine Entlastung                    mer usw.) die Anwendung von Kon-
  der Praxis im Bereich der direkten               geschaffen werden?                              zernkursen für MWST-Zwecke zu-
  Steuern. Wenn überhaupt eine Pra-                                                                lässt [14].
  xis entwickelt werden soll, die den             «(…) Nachfolgend einige exemplari-             – Es ist zu hoffen, dass der elektroni-
  ‹Missbrauch› von Offshore-Gesell-               sche Beispiele, die den administrativen          sche Austausch von Informationen
  schaften verhindert, müsste dies un-            Aufwand und damit verbunden gleich-              und Daten zwischen ESTV und Steu-
  seres Erachtens nicht über den sog.             zeitig auch ein finanzielles Risiko (im          erpflichtigen demnächst ausgeweitet
  ‹Durchgriff› (d.h., die Gesellschaft            Falle von Fehlbehandlungen) aufzei-              wird. Es geht hier u. a. um die Über-
  wird als inexistent betrachtet, und es          gen und verdeutlichen:                           mittlung der Daten der Abrechnung,
  werden alle Leistungsbeziehungen                                                                 die Abfrage von MWST-Nr. und
  dem Gesellschafter zugerechnet) ge-             – Steuersatzerhöhungen führen zu                 Steuerpflichtigen, den Einblick in
  schehen, sondern wie bei den direk-               einem erheblichen administrativen              das eigene Kontokorrent usw. Die
  ten Steuern über die Frage nach der               Aufwand bei den Steuerpflichtigen,             diesbezüglichen Lösungen sind zwar
  Ansässigkeit (d.h., es müsste geprüft             aber auch bei der Verwaltung. Da-              von der ESTV eigenständig für die
  werden, wo die Gesellschaft faktisch,             her sollten kleine Anpassungen (z.B.           Schweiz zu definieren, doch wäre es
  z.B. aufgrund der tatsächlichen Ver-              0,1% in 1999) nicht vorgenommen                äusserst sinnvoll, von den Erfahrun-
  waltung, ansässig ist, und die Gesell-            werden.                                        gen (und Fehlern) von EU-Staaten
  schaft müsste mehrwertsteuerlich                – Die strengen formellen Kriterien bei           zu profitieren. Insbesondere Öster-
  vollumfänglich wie ein – im Inland                der Rechnungsstellung führen zu                reich scheint die Vorteile der elek-
  oder im Ausland – ansässiges Sub-                 häufigen Rücksendungen von Rech-               tronischen Kommunikation effizient
  jekt behandelt werden). Zudem müss-               nungen (oder eben zu Aufrechnungs-             zu nutzen.
  te die Betrachtungsweise konsequent               risiken). In der Regel kann der Emp-
  angewandt werden, d. h., nicht nur                fänger der Rechnung eindeutig                (…) Obwohl es sich bei der MWST um
  dort, wo ausländische Gesellschaften              identifiziert werden, auch wenn die          eine Konsumsteuer handelt, erfolgt die
  ins Inland ‹gezogen› werden, son-                 Adressierung nicht bis ins Letzte mit        Erhebung beim Unternehmen. Dieses
  dern auch umgekehrt, wo inländi-                  dem Eintrag in das Register der              führt den Steuereinzug nicht nur un-
  sche Gesellschaften faktisch im Aus-              Steuerpflichtigen bzw. in das Han-           entgeltlich zugunsten der Steuerbe-
  land ansässig sind. Hinsichtlich der              delsregister übereinstimmt. Darüber          hörde aus, sondern übernimmt zudem
  Substanzkriterien plädieren wir für               hinaus sollten Rechnungen an nicht           das volle Risiko für allfällige ‹Fehler› in
  eine differenzierte Betrachtungswei-              in das Handelsregister eingetragene          der Beurteilung und Abwicklung.
  se, die auf den Gesellschaftszweck                Betriebsstätten trotzdem zum Vor-
  und andere spezifische Elemente                   steuerabzug berechtigen, sofern die          Kontrollen durch die Inspektoren der
  eines Sachverhaltes Rücksicht nimmt               Zuordnung zum Steuerpflichtigen              Hauptabteilung MWST führen in pra-
  (wir erachten es z.B. als unangemes-              gewährleistet ist [13]. Völlig unbe-         ktisch allen Fällen zu erheblichen Nach-
  sen, wenn von einer Holdinggesell-                achtet bleibt in der Praxis das Ar-          belastungen in Form von Ergänzungs-
  schaft verlangt wird, dass sie eigenes            gument, dass durch die Verbuchung            abrechnungen; dies im Gegensatz zu
  Personal hat, da dies für die Erfül-              und Zahlung einer visierten Kredito-         Kontrollen bei den direkten Steuern,
Der Schweizer Treuhänder 12/04                                                                                                         1149
AKTUELLES ZUR MWST
                            Diego Clavadetscher, Philip Robinson, Zehn Jahre Mehrwertsteuer in der Schweiz

 Abbildung
 Vorgeschlagene Änderungen per 1. Juli 2005

 Praxisänderung gemäss Vorschlag ESTV                    Kommentar
 Vorsteuerkürzung bei gemischter Verwendung:             Massnahmen / Vereinfachungen in diesem Bereich sind unerlässlich.
 Um komplizierte Berechnungen zu vermeiden,              Der vorgeschlagene mögliche Lösungsansatz ist interessant, führt
 können die von der Steuer ausgenommenen                 aber in aller Regel zu einer zu hohen Belastung beim Steuerpflichtigen.
 Umsätze freiwillig ohne Ausweis der Steuer ver-         Es dürfte sachgerechter sein, die Belastung maximal auf die Höhe des
 steuert werden. Dadurch würde die Vorsteuer-            entsprechenden Branchensaldosteuersatzes zu limitieren. Von ent-
 kürzung abgegolten.                                     scheidender Bedeutung ist es, dass diese – zu einer hohen Belastung
                                                         führende – Variante nur mit Zustimmung des Steuerpflichtigen ange-
                                                         wendet werden darf.

 Kombination von Leistungen mit unterschiedlichen        Dieser Vorschlag geht in die richtige Richtung. Zu prüfen wäre, ob die
 Steuersätzen: Bei Fakturierung zu einem Gesamt-         neue Lösung neben quantitativen Aspekten auch qualitative Momente
 preis wird zur Bestimmung des anwendbaren               berücksichtigen sollte.
 Steuersatzes neu auf ein anderes Verhältnis als
 die 90/10%-Regel, z. B. 80/20%, abgestellt.

 Vereinfachungen bei Nutzungsänderungen.                 Aus der Beschreibung dieser Praxisänderung in der von der ESTV pub-
                                                         lizierten Liste gehen keine Einzelheiten hervor, wie diese Vereinfachungen
                                                         aussehen sollen. Vereinfachungen in diesem Bereich sind aber auf jeden
                                                         Fall zu begrüssen, sofern dem Steuerpflichtigen stets auch die freie Wahl
                                                         gelassen wird, auf die Anwendung der Vereinfachungslösungen zu ver-
                                                         zichten.

 Einheitliche Behandlung der Durchführung von            Keine Bemerkungen.
 Rauchgaskontrollen als steuerbare Tätigkeit.

 Bewilligungsgebühren, die ein Sportverband von          Diese Regelung ist für internationale Verbände zu begrüssen. Im inlän-
 einem Organisator einer Sportveranstaltung ver-         dischen Verhältnis könnte sie zu steuerlichen Mehrbelastungen bei den
 langt, sind neu steuerbar.                              durchführenden Organisationen führen. Die Konsequenzen der Praxis-
                                                         änderung sind – alleine schon aus politischen Gründen – transparent
                                                         zu machen.

 Ausländische Domizilgesellschaften (Offshore-           Für den Wirtschaftsstandort Schweiz ist eine Neuregelung der Thematik
 Gesellschaften): Es ist bei diesen Gesellschaften       der Offshore-Gesellschaften von grosser Bedeutung.
 zu prüfen, ob es – wie bei den direkten Steuern –       Die mit der vorgeschlagenen Praxisänderung adressierten Probleme
 auch für die MWST genügt, dass bei einem                machen aber höchstens die Spitze des Eisberges aus. Die Thematik
 Konzern mit mehreren Offshore-Gesellschaften            muss umfassender angegangen werden. Insbesondere muss noch
 in verschiedenen Ländern das Personal der Off-          vermehrt eine Harmonisierung mit den direkten Steuern erreicht werden.
 shore-Gesellschaft A im Land X gleichzeitig auch        Die im Rahmen eines IFF-Seminars im Februar 2004 dargestellte
 tätig sein kann für die Offshore-Gesellschaften B       «Durchgriffslösung», welche im Widerspruch zu den direkten Steuern
 bzw. C in den Ländern Y bzw. Z.                         steht, muss im Rahmen der Praxisänderung überprüft und zumindest
                                                         thematisiert werden.

 Verrechnungspreise im Konzern: In Anwendung             In diesem Bereich besteht grosser Handlungsbedarf. Wir plädieren
 von Art. 33 Abs. 2 MWSTG verlangt die ESTV bei          dafür, dass im Bereich der Verrechnungspreise für eine übereinstimmende
 Umsätzen, die zwischen Konzerngesellschaften            Betrachtungsweise aller betroffenen Steuerbehörden gesorgt wird.
 erbracht werden, zur Zeit einen Kostenaufschlag         Insbesondere fordern wir, dass die Verrechnungspreise, die von andern
 von 5 %. Es ist zu prüfen, ob – wie bei den direkten    Steuerbehörden (insbesondere kantonalen Steuerverwaltungen sowie
 Steuern – in Zukunft auch tiefere Kostenaufschläge      Verrechnungssteuerbehörden) explizit anerkannt worden sind, grund-
 akzeptiert werden können.                               sätzlich auch für Zwecke der MWST anerkannt werden.

wo eine Aufrechnung nur ausnahms-            vorweg bei privaten Konsumenten zu.            mehr im Geschäft sind (z. B. Konkurs),
weise erforderlich ist. Dazu kommt           Aber auch bei gewerbsmässigen Ab-              dass die Qualität der Geschäftsbezie-
noch ein Verzugszins von (hohen) 5%.         nehmern ist die nachträgliche Über-            hung eine zivilrechtliche Überwälzung
                                             wälzung häufig nicht möglich, sei es,          nicht zulässt, dass eine derart grosse
In vielen Fällen ist die Überwälzung         dass diese nicht über den vollen Vor-          Zahl von Kunden besteht, deren Be-
nachträglich nicht möglich. Dies trifft      steuerabzug verfügen, dass sie nicht           züge so klein waren, dass der admini-
1150                                                                                                         Der Schweizer Treuhänder 12/04
AKTUELLES ZUR MWST
                                 Diego Clavadetscher, Philip Robinson, Zehn Jahre Mehrwertsteuer in der Schweiz

strative Nachbearbeitungsaufwand un-              Busse, also einer Strafe (…). Dies ins-        aber für die Unternehmen dazu, dass
verhältnismässig wäre usw.                        besondere deshalb, weil es sich bei der        sie – zum Teil trotz «durchstandener»
                                                  Mehrzahl der Nachbelastungen um                Kontrolle – über (max. 15) Jahre hin-
Um formelle Fehler in der Rechnungs-              Nachbelastungen für Leistungen an              weg mit einem latenten Aufrechnungs-
stellung nachträglich korrigieren zu              Steuerpflichtige handelt, welche ge-           risiko konfrontiert sind. Unseres Erach-
können, hat die ESTV das Formular                 mäss dem System steuerneutral erfol-           tens gebührt auch dieser Thematik re-
1550 geschaffen. Damit lassen sich ei-            gen sollten. Bei Nachbelastungen aus           formerische Aufmerksamkeit.
nerseits lediglich gewisse Fehler korri-          rein formellen Fehlern ist die Ergän-
gieren, und andererseits führt die An-            zungsabrechnung schon «Strafe» ge-
wendung dieses Formulars mit der                  nug; sie sollte nicht noch durch einen
Pflicht, eine Kopie an die ESTV zu sen-           bussenartigen Verzugszins erhöht wer-
den, zu einem Verzugszins von 5%.                 den. Die Verzugszinsproblematik ist                           Anmerkungen
Dieser finanzielle Nachteil ist der eine          auch unter dem Gesichtspunkt der sehr
                                                                                                  1 Bei Redaktionsschluss dieses Beitrages war
Grund dafür, dass das Formular in der             langen Verfahrensdauer zu evaluie-                der Bericht noch nicht veröffentlicht.
Praxis kaum angewendet wird [15].                 ren.» (…)                                       2 Selbstverständlich sind auch Nullbesteuerun-
Der andere liegt darin, dass die Unter-                                                             gen denkbar.
nehmungen fürchten, bei Verwendung                                                                3 So besteht zum Beispiel bei manchen export-
dieses Formulars, insbesondere bei der                                                              orientierten Unternehmen noch grosse Un-
mehrfachen Verwendung, eine MWST-                                                                   sicherheit bezüglich der Umsetzung des Bun-
                                                  Geplante Praxisänderungen                         desgerichtsentscheides vom 6. März 2001 i. S.
Revision zu provozieren, was wohl                                                                   Über- und/oder Unterfakturierung.
auch zutrifft. Letztlich wirkt sich dieses        Bis zum Zeitpunkt des Redaktions-               4 Diesbezüglich ist eine Praxisänderung vorge-
Formular – obwohl es in guter Absicht             schlusses für diesen Artikel war der              sehen.
geschaffen worden ist – möglicherwei-             aufgrund des Postulates Raggenbass              5 Mit der Neufassung des MB 11 (Übertragung
se sogar verschärfend aus, denn die               verfasste Bericht des Bundesrates noch            im Meldeverfahren), gültig ab 1. Juli 2004,
Tatsache, dass das Formular existiert,            nicht veröffentlicht. Vorab wurden je-            wurde immerhin die rückwirkende Anwen-
                                                                                                    dung des Meldeverfahrens – mit einer Nach-
schränkt den Ermessensspielraum der               doch auf der Website der ESTV Vor-                belastung der Vorsteuern beim Überneh-
Inspektoren ein und lässt andere For-             schläge für Praxisänderungen per 1. Ja-           menden – für bestimmte Konstellationen auf-
men der nachträglichen Beschaffung                nuar 2005 bzw. 1. Juli 2005 publiziert.           gegeben (vgl. MB 11, Ziff. 3.2.6).
von Nachweisen – z.B. das Einholen                Die definitiven Änderungen per 1. Ja-           6 Vgl. Marco Greter, Daniel Schär, Formular
                                                                                                    1310 und Verzugszins: Strafen ohne Gesetz
einer ‹formlosen› Erklärung des Lie-              nuar 2005 sind auf der Website der                bei der Mehrwertsteuer, SteuerRevue 3/2003,
feranten – nicht mehr zu (nur mittels             ESTV einsehbar und werden den Steu-               S. 199 ff.
des Formulars korrigierte Rechnungen              erpflichtigen mit dem Versand der               7 Diesbezüglich ist eine Praxisänderung vor-
können akzeptiert werden).                        MWST-Abrechnung für das 4. Quartal                gesehen.
                                                  2004 zugestellt [16]. In der Abbildung          8 Diesbezüglich ist eine Praxisänderung vor-
Die ganze Verzugszinsthematik muss –              werden die Vorschläge der ESTV, wel-              gesehen.
auch in bezug auf die übrigen Steuern             che für den 1. Juli 2005 vorgesehen sind,       9 Diesbezüglich sind zwei Praxisänderungen
des Bundes – neu überdacht werden.                erörtert und – auf der Basis des Wis-             vorgesehen.
Dabei ist dem unterschiedlichen Cha-              sensstandes bei Redaktionsschluss –            10 Entscheid des Bundesgerichtes vom 31. März
                                                                                                    2004 (2A.507/2002).
rakter der unterschiedlichen Steuern              kurz kommentiert [17].
Rechnung zu tragen.                                                                              11 Diesbezüglich ist eine Praxisänderung vor-
                                                                                                    gesehen, mit der die Problematik teilweise
                                                                                                    gemildert werden sollte (vgl. Abb.).
Der seit 1995 geltende Satz von 5% hat                                                           12 Diesbezüglich ist eine Praxisänderung vorge-
nichts mit einem Marktzins zu tun. Im-            Fazit                                             sehen, mit der die Problematik teilweise ge-
merhin beträgt der Vergütungszinssatz                                                               mildert werden sollte (vgl. Abb.).
ebenfalls 5%. Dies ist allerdings nicht           Die per 1. Januar 2005 in Kraft treten-        13 Diesbezüglich ist eine Praxisänderung vorge-
sehr bedeutend, da die tatsächlich aus-           den und die per 1. Juli 2005 in Aussicht          sehen.
bezahlten Vergütungszinsen gegen-                 gestellten Praxisänderungen sind ein           14 Diesbezüglich ist eine Praxisänderung vorge-
                                                                                                    sehen.
über den tatsächlich erhobenen Ver-               deutlicher Hinweis dafür, dass die Ver-
zugszinsen vernachlässigbar sind. Dass            nehmlassungsantworten von der ESTV             15 Diesbezüglich ist eine Praxisänderung vorge-
                                                                                                    sehen.
für Steuersubstrat, welches ein Steuer-           ernst genommen werden und zu Ver-
                                                                                                 16 610.526-01/d/f/i
pflichtiger vom Konsumenten einfor-               besserungen führen werden. Dies ist
dert, der ESTV aber nicht rechtzeitig             sehr zu begrüssen.                             17 Die für den 1. Januar 2005 und 1. Juli 2005
                                                                                                    vorgesehenen Vorschläge wurden erstmals
abliefert, ein «marktkonformer» Ver-                                                                am 20. Oktober 2004 auf der Website der
zugszins verlangt werden soll (der                Sämtliche Anpassungen betreffen Be-               ESTV publiziert: www.estv.admin.ch/data/
sogar einen gewissen «Motivationsan-              reiche des materiellen Steuerrechts. Es           mwst/d/mwstkg/pdf/massnahmen.pdf. In der
                                                                                                    obenstehenden Tabelle sind die für den 1. Juli
reiz» enthalten kann) geht in Ordnung.            darf nicht vergessen werden, dass eine            2005 vorgesehenen Vorschläge der ESTV
Dass hingegen bei Ergänzungsabrech-               grosse Belastung der Steuerpflichtigen            teilweise wörtlich zitiert. Die Kommentierun-
nungen ein Verzugszins von 5% erho-               vor allem auch aus dem Verfahrensrecht            gen beruhen auf einer schriftlichen Stellung-
                                                                                                    nahme, die das Kompetenzzentrum MWST
ben wird, ist inakzeptabel. Dieser Pro-           resultiert. Die «Selbstveranlagung» ist           über ihre beiden Vertreter zuhanden des Kon-
zentsatz hat klar den Charakter einer             zwar für den Staat kostengünstig, führt           sultativgremiums eingereicht hat.

Der Schweizer Treuhänder 12/04                                                                                                              1151
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