# 140 - P Stadtkultur Darmstadt

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# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
Februar 2022
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# 140
# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
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  Unsere neuen Kurse
  Unsere
  für     neuen Kurse fü
      das Frühjahr
  das Frühjahr
  sind da!                                                            Volkshochschule
                                                                      Darmstadt-Dieburg

  sind da!
 Unsere  neuen Kurse für
 das Frühjahr                                    Volkshochschule
                                                 Darmstadt-Diebur
                                                                                          Pro
 sind da!
                                                                 g

                                                                                          Frü
                                                                                          Zusam

                                                                     Programm
                                                                     Frühjahr 2022
                                                                     Zusammen in Viel
                                                                                          falt.

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# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
Hallo Darmstadt.

                                                                                                                                Foto: Cem Tevetoğlu („Klare Botschaft in Darmstadt“)
                                            Inhalt
                                    P STADTKULTURMAGAZIN | AUSGABE 140 | FEBRUAR 2022

Thema                                               Seite         Thema                                                Seite
Editorial, Inhalt                                      03         Typisch Tobi!                                       42 – 46
Favoriten des Monats                              04 – 06         Objektiv: Melodien für Millionen 2002                   48
Suche und finde, Folge 25                              08         Reden wir über Integration in Darmstadt, Folge 3:
25 Jahre Radio Darmstadt (RadaR)                   10 – 12        Die Sache mit der Aufenthaltserlaubnis              50 + 51
Ideologisierter Vandalismus an der h_da            14 + 15        Stay The Love Home, Folge 9                         52 – 55
Vergessene Darmstädterinnen, Folge 1: Milli Bau    16 – 18        Stilsicher, Folge 75: Soenou                        56 + 57
Hörspiel mit Salon Erika                          20 – 22         Kommen und Gehen                                    58 – 60
Aufgeschnappt: Stadtkultur-Neuigkeiten            24 – 26         Unter Pappeln, Folge 93                             62 + 63
Das literarische Darmstadt                             27         Wrede und Antwort                                       64
Kino-Tipps                                        28 + 29         Darmstädter Typ: Christoph Rau                          65
Theater-Tipps                                     30 + 31         Rischdisch (un)wischdisch                               66
Darmstädter Kunst-Highlights                      32 + 33         Impressum                                               66
Veranstaltungskalender                            34 – 41

                                                             P | 03
# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
Favoriten des Monats
                                                                                   „1921 Braun 2021“                                         DESIGNKLASSIKER
                                                                                 So zeitlos schön können Alltagsprodukte gestaltet sein! Mit ihren klaren,
                                                                                 innovativen und puristisch-minimalistischen Formen überzeugt die Firma
                                                                                 Braun mit funktionalem Design. Das INTeF feiert das 100-jährige Bestehen
                                                                                 des hessischen Unternehmens und stellt zahlreiche Industrieprodukte und
                                                                                 Haushaltsgeräte aus eigenem Fundus aus. Chronologisch vorgestellt werden
                                                                                 zudem stilbildende Designerpersönlichkeiten wie Erwin Braun, Fritz Eichler,
                                                                                 Dieter Rams, Peter Schneider oder Oliver Grabes. (jhi)
Abbildung: INTeF

                                                                                 Institut für Neue Technische Form (INTeF) | noch bis So, 27.03.
                                                                                 Di bis Sa: 11 bis 17 Uhr, So: 11 bis 14 Uhr | Eintritt frei

                                                     Tatort Krone                                                   KRIMIKLASSIKER
                                                    Keine Lust, alleine zu Hause auf dem Sofa zu hängen? „Tatort“ gucken,
                                                    Nüsschen futtern, Bierchen trinken – das geht auch wunderbar in geselliger
                                                    Runde an der Krone-Theke! Seit 1970 flimmert der Krimiklassiker über die
                                                    Mattscheiben der Nation. Ganze 1.186 Episoden sind mittlerweile abgedreht.

                                                                                                                                                                       Abbildung: Benjamin Bascom
                                                    Gibt ja angeblich immer weniger, das die Menschen in diesem Land eint, aber
                                                    hier schalten weiterhin jeden Sonntag Millionen ein, um den verschiedensten
                                                    Ermittlern und Kommissarinnen über die Schulter zu schauen. (mn)

                                                    Goldene Krone (Kneipe) | So, 06.02. + 13.02. + 20.02. + 27.02.
                                                    ab 19 Uhr | Eintritt frei

                                                                                   Rechtsradikalismus und Rassismus            DIE UNTERSCHÄTZTE GEFAHR
Abbildung: Sir James, CC BY-SA 2.0 de / Wikimedia

                                                                                 „Dort, wo Vielfalt gefördert und gelebt wird, ist auch der Zusammenhalt
                                                                                 stark.“ Das belegen wissenschaftliche Studien. Und das unterstreicht die
                                                                                 Volkshochschule Darmstadt-Dieburg mit ihrem üppigen Frühjahrsprogramm,
                                                                                 das unter dem Jahresthema „Vielfalt“ läuft: 660 Kurse, die Bildung, Dialog
                                                                                 und Beteiligung für alle Menschen fördern, dazu ein großes Online-Angebot
                                                                                 wie der Vortrag zum Thema „Rechtsradikalismus und Rassismus, die unter-
                                                                                 schätzte Gefahr“ am 10. Februar. Gerade in diesen gesellschaftlich unruhigen
                                                                                 Zeiten sauwichtig! (ct)

                                                                                 Online unter: vhs.ladadi.de | Do, 10.02. | 17 bis 18.30 Uhr | Teilnahme kostenfrei

                                                     „Wie wollen wir leben?“                       RINGVORLESUNG DER H_DA
                                                    Mit der Zukunft von Innenstädten beschäftigt sich die (Online-)Ringvorle-
                                                    sung der Initiative Nachhaltige Entwicklung (i:ne) dieses Semester. Am 10.
                                                    Februar geht es mit Prof. Dr. Uwe Schneidewind um das Zukunftsszenario der
                                                                                                                                                                      Abbildung: Kevin Grieve on Unsplash

                                                    Innenstadt und darum, wie wir von anderen Städten lernen können. Im Rah-
                                                    men der Abschlussveranstaltung am 17. Februar fragen sich Studierende der
                                                    h_da dann im Austausch mit Oberbürgermeister Jochen Partsch: „Wie wollen
                                                    wir in Darmstadt leben?“ Gasthörer:innen sind mehr als willkommen. (lm)

                                                    Online auf ine.h-da.de/lehre/ringvorlesung
                                                    Do, 10.02. + 17.02. | 18 Uhr | Teilnahme kostenfrei
                                                                                                           P | 04
# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
Favoriten des Monats
                                                                One Billion Rising                            GUTER INSTA-AKTIVISMUS
                                                              Der Mädchen*arbeitskreis wird sich auch in diesem Jahr an der internationa-
                                                              len Aktion „One Billion Rising“ beteiligen und seinen Instagram-Kanal dafür
                                                              nutzen, erneut auf das anhaltende Problem der Gewalt an weiblich gelesenen
                                                              Personen aufmerksam zu machen. Info-Posts, Challenges und Mitmachakti-
Abbildung: One Billion Rising

                                                              onen sollen dazu motivieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Der
                                                              Account @m.a.k.darmstadt ist aber auch abseits der Aktion eine gute Anlauf-
                                                              stelle für junge Darmstädter Feminist:innen. (lm)

                                                              Instagram @m.a.k.darmstadt | Fr, 11.02. bis Mo, 14.02. | Teilnahme kostenfrei

                                 Omer Klein Trio (Israel)                                                     JAZZ
                                Ein „Meisterpianist“ sei er, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Omer Klein hat
                                die Jazz-Welt mit seinem Debütalbum „Sleepwalkers“ im Sturm erobert. Nach
                                erstem Studium in seiner Heimat zog es ihn nach Boston, später nach New
                                York, wo er bei Fred Hersch in die Lehre ging und sich danach in Düsseldorf
                                niederließ, um auch fürs Theater zu komponieren. Ein wahrer Kosmopolit.

                                                                                                                                                   Abbildung: Omer Klein Trio
                                Dass Klein die Welt gesehen hat, hört man auch in seinen faszinierend viel-
                                schichtigen Stücken: fantastische Grooves, inspiriert von Modern Jazz, Fusion
                                und Orient-Sounds. (mn)

                                Centralstation (Saal) | Fr, 18.02. | 20 Uhr | 27,50 €

                                                                Backs and Necks (DA)                                                    ROCK
                                                              Schotten-Rock im Schottenrock. Tim Sadewasser, Volkmar Hahn und Klaus
                                                              Saiko eint ihr Faible für den nördlich-schroffen Zipfel Großbritanniens. Inspi-
                                                              riert von schottischer Kultur und Kulinarik griffen die Musiker vor drei Jahren
                                                              zu Gitarre, Violine und Bass. Das Ergebnis: „Songs wie ein kräftiger Schluck of
 Abbildung: Backs and Necks

                                                              good Single Malt“. Straight and smoky werden Rocknummern auf Schottisch
                                                              und Englisch aufgeführt. An diesem Abend in Begleitung eines Gastmusikers!
                                                              Am E-Piano: Thomas Klanitza. Sláinte! (mn)

                                                              Hoff-Art Theater | Sa, 19.02. | 20 Uhr | 10 €

                                  „Filme zum gesellschaftlichen Wandel“                          KÄFER IM KINO
                                Zum Abschluss ihrer diesjährigen Filmreihe zeigt die Initiative Transition
                                Town den dänischen Film „Bugs – ein gastronomisches Abenteuer“ (2016).
                                Der stellt sich die Frage, ob das Verzehren individuell gezüchteter Insekten
                                ein Beitrag zum Klimaschutz ist – und macht nachdenklich, ist lustig und
                                „durchaus appetitlich“. Auf jeden Fall aber zeigt „Bugs“ Alternativen zur eige-
                                                                                                                                                Abbildung: Rosforth Films

                                nen Perspektive auf und hinterfragt die subjektive Normen – was immer eine
                                gute Idee ist. Guten Appetit, äh, Film ab! (lm)

                                Programmkino Rex | So, 20.02. | 19.30 Uhr | Eintritt frei

                                                                                        P | 05
# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
Favoriten des Monats
                                                            Rymden (Schweden/Norwegen)                                   MODERN JAZZ
                                                          Raus aus der Nische. Schon in den 90ern bewiesen Dan Berglund (Bass) und
                                                          Magnus Öström (Schlagzeug) mit dem Esbjörn Svensson Trio, dass Jazz auch
                                                          Pop kann. Das Konzept spinnen die zwei mit Pianist Bugge Wesseltoft seit
                                                          2016 nun auch als Rymden weiter. Die „skandinavische Supergroup“ bedient
                                                          sich aus Einflüssen des Modern Jazz, Klassik, Filmmusik und Rock. Ein Sound,
Abbildung: Per Kristiansen

                                                          der nicht nur auf internationalen Bühnen Applaus findet, sondern in Form
                                                          der Alben „Reflections & Odysseys“ und „Space Sailors“ auch kommerzielle
                                                          Erfolge feiert. (mn)
                                                          Centralstation (Saal) | Do, 24.02. | 20 Uhr | ab 32 €
                                                           Win! Win! 2 x 2 Tickets auf p-stadtkultur.de

                              Menna Mulugeta (Bingen)                            VON BILLIE BIS BEYONCÉ
                             Thomas Waldherrs Americana-Reihe widmet sich der US-Popmusik: „Von
                             Billie bis Beyoncé. Black Women in American Music“. Zwischen Frauenfeind-
                             lichkeit, Rassismus, Gleichberechtigung und #blacklivesmatter haben Aretha
                             Franklin, Billie Holiday, Nina Simone, Beyoncé & Co. ein dichtes Netz aus

                                                                                                                                           Abbildung: Menna Mulugeta
                             mindestens so dichten, samtigen Stimmen gesponnen. Menna Mulugeta in-
                             terpretiert die starken Stücke dieser Musikerinnen gemeinsam mit ihrem mu-
                             sikalischen Partner Gernot Blume an der Harfe neu und überzeugt mit toller
                             Ausstrahlung und einer ebensolchen Stimme. (lm)

                             Bessunger Knabenschule (Halle) | Do, 24.02. | 20 Uhr | 12 €

                                                            „cresc ... Biennale“                                      AKTUELLE MUSIK
                                                          Genre-, orts- und monatsübergreifend kündigen sich diese Festspiele für ak­
                                                          tuelle Musik an. Verhandelt werden soll nicht weniger als das Verhältnis von
                                                          Individuum und Gemeinschaft entlang einer Vielzahl musikalischer Spiel­arten.
                                                          Auf fünf Bühnen der Region (Capitol Offenbach, Centralstation, Mousonturm,
                                                          Sendesaal des HR, Frankfurt LAB) treffen unter anderem zeitgenössische
Abbildung: cresc Biennale

                                                          Klänge auf Sci-Fi-Funk und Afro-Beat sowie die Szene Islands auf eine west-
                                                          afrikanisch-deutsche Band. Spannend! (mn)

                                                          Centralstation und Rhein-Main | Fr, 25.02. bis Sa, 05.03.
                                                          ab 21 €; Details und Infos: cresc-biennale.de

                              „Die Digitale Leichtigkeit des Seins“                              KABARETT
                             Gerade hilft vielleicht wirklich nur noch lachen. Prof. Dr. Elisabeth Heinemann
                             liefert humorvolle Blicke auf die mitunter skurrilen Momente unserer digitalen
                             Lebenswelt. Erfüllen Smartphones und Apps ihre versprochenen Entlassun-
                             gen und Befreiungen im Alltag oder haben wir uns schon längst etlichen Er­
                                                                                                                                          Abbildung: Prof. Dr. Heinemann

                             innerungsfunktionen unterworfen? „Charmant, intelligent und umwerfend
                             komisch“ analysiert die Wirtschaftsinformatikerin der Hochschule Worms mit
                             ihrem Wissenschaftskabarett diese Gegenwart. (mn)

                             Halb Neun Theater | Fr, 25.02. | 20.30 Uhr | 22 €

                                                                                   P | 06
# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
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    Favoriten des Monats

                                                                                                       Building Brands. Making Friends.
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                                         Darmstadt — Berlin
# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
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   Kunst im öffentlichen Raum, Folge 25: Fritz Schwarzbeck, Stiere, 1955
                                TEXT: THOMAS GEORG BLANK | FOTO: LUAN PAPAGEORGIOU

Beim Flanieren durch die Stadt kann es durch­                   Ebenen: als Individuen, Pärchen, Familien, Gesell­
aus passieren, dass man plötzlich diesen zwei                   schaften und erst Recht als Gesamtpaket Mensch-
etwas dümmlich grinsenden Gestalten über den                    heit. Wir können ohne Probleme aufrichtig und
Weg läuft. Die aus rotem Sandstein gearbeite­                   voller Ernst den Klimawandel anerkennen und
ten Steinwesen verharren regungslos am Rand                     trotzdem mit dem Auto zum Bäcker um die Ecke
eines kleinen Brunnenbeckens und fristen dort                   fahren. Um diesen Wahnsinn auszuhalten, braucht
friedlich ihr Dasein.                                           man Ambiguitätstoleranz. Mit Blick auf die vergan-
                                                                genen Jahre und mit vorsichtigem Blick in die Zu-
Der Stier in all seinen unterschiedlichen Erschei-              kunft eine Fähigkeit, deren Erwerb sich als extrem
nungsformen gehört zu jenem erlauchten Kreis von                hilfreich erweisen könnte. Kunst eignet sich dafür
Tieren, der es in fast allen Kulturen in die vorders-           übrigens hervorragend als Lernmaterial. ❉
ten Ränge der Darstellungspraktiken und sogar
bis tief in den Kosmos geschafft hat. Sternbilder
wurden nach ihm benannt; nicht nur im Westen,                     Kunst im öffentlichen Raum
auch im Osten. Nach chinesischem Mondkalender                     —­
nehmen wir in diesem Februar Abschied vom Jahr                    Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien,
des Ochsen – der ja auch ein Stier ist, lediglich kas­            sondern oft auch im Freien und für jeden sicht-
triert. Und schon stolpert man in ein etwas merkwür-              bar. Manche Werke sind schon seit Jahrhun­der­
diges Feld, wenn man sich den Moment Zeit nimmt.                  ten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es
Einerseits haben wir hier ein Tier, das offensichtlich            nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen
auf der ganzen Welt für seine Form bewundert und                  des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders
verehrt wird. Andererseits hat die Menschheit eben                viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne
jenem vierbeinigen Naturwunder so oft die Hoden                   die schützenden Laborbedingungen eines White
zerquetscht, dass sich für das reproduktionsun­                   Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei
fähige Resultat ein eigenes Wort etabliert hat.                   können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere
                                                                  Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und
Diese Art der gegenläufigen Haltungen und Hand­-                  unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine
lungen scheint etwas extrem Menschliches zu                       Einladung zum Fantasieren.
sein. Wir sind Meister des Widerspruchs auf allen
                                                       P | 08
# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
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Besondere Empfehlung im Februar
05. & 06. Februar / Kammerspiele          12. Februar / Kammerspiele Zum letzten Mal!
Prince of Denmark                         Staatstheater represent (Wo ist
Uraufführung von Tue Biering              Emilia G.?)
nach William Shakespeare                  Uraufführung von Volker Schmidt
                                          frei nach Gotthold Ephraim Lessing
„Aus dem Klassiker (wird)
 ein höchst unterhaltsamer                „Wahnsinnig authentisch und
 Kommentar zu nahezu allen                 innovativ“
 Gegenwartsthemen.“
                                               Frankfurter Allgemeine
     Frankfurter Allgemeine                    Zeitung
     Zeitung

03. & 26. Februar / Kammerspiele          ab 13. Februar / Großes Haus
Königin Lear                              Don Quichotte
von Tom Lanoye nach William Shakespeare   Comédie héroïque in fünf Akten
                                          von Jules Massenet
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 sehenswert.“                             „Dirigent Daniel Cohen hat
                                           genau das richtige Finger-
     Frankfurter Neue Presse               spitzengefühl, um Massenets
                                           Partitur berührend zu gestalten.“
                                               BR-Klassik

                                                                                                  Gestaltung: Bureau Sandra Doeller / Ausführung: Lisa-Marie Erbacher/ Foto: Neven Allgeier
                                          19. & 25. Februar / Großes Haus
                                          Ball im Savoy
                                          Operette von Paul Abraham

                                          „Chor und Tanzensemble wie
                                           der gesamte Abend: eine
                                           runde Sache.“
                                               Frankfurter Rundschau
# 140 - P Stadtkultur Darmstadt
ON AIR SINCE 1996
            25 Jahre Radio Darmstadt (RadaR): Darmstadts ältester
           nichtkommerzieller Radiosender feiert seine Silberhochzeit
                  am 01. Februar mit einem Sende-Marathon
                   T E X T: A N NA S C H Ü T Z | FOTO S: R A D I O DA RM STA DT / C H R I ST I A N GR AU + M A RT I N Z I N T

Radio verbindet. Egal, wann und wie: Ideen                                    Darmstadt – ist nicht kommerziell und nicht auf
lassen sich kaum leichter teilen als durch Wort                               beständige Höchstquoten angewiesen. Die Inhalte
und Ton. Das wussten die Macher:innen von                                     stehen im Vordergrund. Obwohl die meisten Redak-
Radio Darmstadt schon 1995, als sie eine Radio­                               teur:innen und Moderator:innen Laien sind, lässt
initiative gründeten, die über das Heinerfest                                 die Qualität der Beiträge dadurch nicht nach.
berichtete. Was als sogenanntes „Heinerfest­                                  Aurel Jahn, Vorstandsmitglied und Leiter des
radio“ mit zwei Stunden Radiowecker und fünf                                  Ressorts „Offenes Haus“, betont die journalisti-
Stunden Live-Programm am Nachmittag und                                       sche Sorgfaltspflicht, die sich in allen Sendungen
Abend startete, ist heute fester Bestandteil in                               zeigen müsse. Sichergestellt wird dieser Qualitäts-
der Vermittlung kultureller und stadtrelevanter                               standard durch verschiedene Seminare, Lern- und
Inhalte – und das immer noch auf der 103,4.                                   Weiterbildungsangebote, die teilweise freiwillig,
                                                                              teilweise aber auch verpflichtend sind. Und die
Dabei sind weder die Redakteur:innen noch das                                 Türen der Redaktion stünden stets für Interessier-
Programm eine Selbstverständlichkeit. Es mangelt                              te offen, die hier das professionelle Produzieren
keineswegs an Radiosendern und -sendungen.                                    eines Beitrags lernen.
Doch war den Gründer:innen klar: Darmstadt
braucht eine Plattform für Bürger:innen, deren                                Diese Einstellung ist ein Überbleibsel aus der
Interessen und Ideen. Von Beginn an als Ergän-                                Gründungszeit, denn die Redaktion der ersten
zung zu bestehenden Medien gedacht, gibt es hier                              Stunde bildeten ebenfalls keine ausgebildeten
nicht nur Platz für lokale Nachrichten, sondern                               Radiomacher:innen. Sie mussten sich heutige
auch persönliche Interessen und Themen. Denn                                  Medienkompetenzen selbst erarbeiten. Was sie
„RadaR“ – so die liebevolle Kurzform von Radio                                gelernt haben, geben sie nun weiter. „Es ist toll
                                                                     P | 10
zu sehen, wie viele junge Menschen hier laufen            zu erkennen – er ist nicht das Abspielen einer
lernen und richtige Profis werden“, sagt Petra            Charts- oder Best-of-Playlist, eher ein Theaterbe-
Schlesinger, Vorstandsmitglied und auch zustän-           such. Ein bisschen Zeit muss mitgebracht werden,
dig für Kommunikation und Marketing. Die Medi-            Interesse auch. Es ist unwahrscheinlich, einfach
enkompetenzen, die hier vermittelt werden, bilden         einzuschalten und sich sofort zurechtzufinden.
für viele junge Redakteur:innen den Grundstein            Dafür werden hier Themen behandelt, die auf an-
für eine erfolgreiche Karriere im Rundfunk. Denn          deren Sendern fehlen. Clemens Beier, Sprecher der
neben dem Sprechen vor Interviewpartner:innen             Musikredaktion, fasst das Anliegen des Senders
und in Mikrofone, dem Recherchieren von Inhalten          unter dem Motto „Wir normalisieren das Hören
sowie dem Produzieren eigener Sendungen legt              von Anderem und Anderen“ zusammen. Denn
RadaR Wert auf kritischen Journalismus, der auch          neben einer alteingesessenen internationalen >
aufgrund der absoluten Unabhängigkeit von Spon-
soring- und Werbepartner:innen möglich ist.
                                                              Radio Darmstadt: Von 1994 bis heute
Formate ohne Ende                                             —­
Da der Darmstädter Sender nicht auf Quoten an-                1994: Der gemeinnützige Verein RadaR e. V.
gewiesen ist, kann er sich auch die Freiheit                  wird gegründet.
herausnehmen, Beiträge zu produzieren, die nicht              1995 + 1996: Start als einwöchiges Veranstal-
auf Massentauglichkeit ausgelegt sind. Radio                  tungsradio (Heinerfest und Bundestreffen der
Darmstadt versteht sich als Einschaltradio, als               Deutschen Turnerjugend)
ein Sender, der auf einer Frequenz eine Vielzahl              01. Februar 1997: RadaR geht als erstes
unterschiedlicher Beiträge präsentiert. Während               hessisches, nichtkommerzielles Lokalradio auf
dieses Konzept zu Beginn auf Verwirrung unter                 Dauersendung. Die Zuschüsse der Hessischen
den Zuhörenden stieß, ist es heute beliebt und                Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue
etabliert. So ist es möglich, erst die Übertragung            Medien (LPR Hessen) werden für Raummiete,
eines Raves, dann Klassik und anschließend                    Technik, Verwaltung und FSJ’ler:innen verwendet.
eine fremdsprachige Themensendung zu hören                    2000: Erster Umzug – aus den zwei Studios in
(der Bildungsauftrag des Senders, Menschen und                der Bismarck- sowie der Hindenburgstraße – an
Ideen zu verbinden, kommt hier besonders zum                  den Steubenplatz 12.
Vorschein), aber auch, nur ganz bestimmte Inhalte             2006: Start des Livestreams auf liveradio-
und Interessen zu verfolgen und danach das Radio              darmstadt.de
wieder abzuschalten.                                          2010: Bezug des neuen Studios im Hinterhof
                                                              von Steubenplatz 12.
„Wir normalisieren das Hören von Anderem und                  2019: RadaR goes digital: Der Empfang ist nun
Anderen“                                                      auch über DAB+ möglich.
Diese Masse an Formaten unterschiedlichster
Art wirkt auf den ersten Blick verwirrend, denn               Wer bei RadaR mitmischen möchte, der
das Konzept ist praktisch konträr zu dem eines                melde sich telefonisch unter (06151) 87000
kommerziellen Radiosenders. RadaR ist nicht als               oder (06151) 291111 – oder per Mail an
24-stündige Hintergrundbeschallung gedacht. So                mitmachen@radiodarmstadt.de.
kann es dauern, das volle Potenzial des Senders
                                                     P | 11
Redaktion, die Inhalte unter anderem auf Dari,
Italienisch und Polnisch produziert, werden auch            Akustische Perlen
Beiträge gesendet, in denen gelebte Inklusion im            —­
Vordergrund steht. Hier kommen zum Beispiel                 Neben dem Sende-Marathon zum Jubiläum von
Menschen mit körperlicher oder geistiger Behin-             RadaR gibt es auch im Februar wieder etliche
derung zu Wort.                                             regelmäßige Sendungen. Das P empfiehlt
                                                            besonders diese akustischen Perlen:
25-Stunden-Dauer-Livesendung zur Feier des Tages
Die Diversität der aktuell 100 ehrenamtlichen               • Mi, 02.02., 19 Uhr: Popcorn Partnermenü
Redakteur:innen bedingt auch das bunte Pro-                 Die besondere Kinosendung, jugendlich fresh
gramm des Senders. Zwischen Nachrichten aus                 gemacht mit Hintergründen und Kritiken.
der Stadtverordnetenversammlung und Berichte                • So, 06.02., 21 Uhr: Kopfhörer
über Woog und Bürgerpark finden Kochsendun-                 Musik, abseits des Mainstreams. „Für das, was
gen mit Live-Verkostung oder Berichte aus einem             zwischen den Ohren ist.“
Segelflugzeug heraus Platz. Die elf Redaktionen             • Mi, 09.03., 18 Uhr: Tierische Aspekte
leben von den Ideen und der Vielfalt ihrer Sen-             Tierschutzsendung mit politischem Anspruch
der:innen – und das seit 25 Jahren mit Erfolg. Zur          und veganen Themen.
Feier dieses Jubiläums sendet RadaR einen Tag               • Fr, 11.02, 17 Uhr: Stavo
lang – vom 30.01., um 23 Uhr bis zum 01.02., um             Hintergrundbericht aus der Stadtverordneten-
24 Uhr – keine Sendungswiederholungen, sondern              versammlung mit Originaltönen.
ein durchgehendes Live-Programm, unter anderem              • Mi, 16.02., 18 Uhr: Shakespeare & Co.
mit neuen Jingles und thematischen Schwerpunk-              Berichte aus der Kulturszene Darmstadts
ten. Und auch in den folgenden Monaten wird                 (Theater, Kunst, Literatur).
dieser Jahrestag eine Rolle spielen: zum Beispiel           • Mo, 21.02., 17 Uhr: Digi.Tales by MuK
mit einem geplanten „Tag der offenen Tür“ und               Digitales, aus einer bildungstheoretischen und
in Rückblicksendungen, in denen ehemalige                   pädagogischen Perspektive.
Vereinsmitglieder und Redakteur:innen von ihrer
Zeit bei RadaR erzählen. Es wird spannend bleiben,          Das volle Programm: radiodarmstadt.de
hoffentlich auch in den nächsten 25 Jahren. ❉
                                                   P | 12
I L LUST R AT I ON: CA RO L I N E F RE T T | CA RO L I N E F RE T T.C OM   EIGENANZEIGE
Strafanzeige gegen
                   Unbekannt
   Gegen ideologisierten Vandalismus an der Hochschule Darmstadt wird
     protestiert, juristisch vorgegangen – und Aufklärung angeboten.
                               T E X T: C E L I NA B I S C HOF | FOTO: JA N E H L E RS, NOU K I.C O

Es war eine Präsenzveranstaltung am Morgen                             Sofort stellte der AStA der h_da sich klar gegen
des 24. November 2021, auf die sich Lilly schon                        Wissenschaftsfeindlichkeit und die Verbreitung
lange freute. Stattdessen muss sie eine scho­-                         von Verschwörungsideologien: „Wir wollen uns
ck­ierende Entdeckung am Campus der Hoch­                              für einen faktenbasierten, solidarischen, gesell-
schule Darmstadt (h_da) machen: Sticker                                schaftlichen Diskurs einsetzen.“ Studierende der
klebten auf Gehwegen, Graffitis mit den Slogans                        h_da riefen zu einer spontanen Protestkundge-
„Impfen nervt“ und „Impfzwang“ waren auf den                           bung auf. Neben Vertreter:innen der Studierenden
Boden gesprayt. Für Lilly waren solche Klebe- und                      nahmen zahlreiche Studierende, Passant:innen
Mal­aktionen nicht unbekannt: „In Frankfurt hatte                      und Interessierte teil. Auch „Fridays For Future
ich auch schon Schmierereien im gleichen Stil                          Darmstadt“ schloss sich der Kundgebung am 27.
gesehen.“ Lilly ist Referentin der Studierenden­                       November 2021 an und mobilisierte über Social
vertretung AStA für Antifaschismus an der h_da                         Media zur Teilnahme. „Wir haben unsere Anlage
und hat sich nach dieser Entdeckung mit anderen                        mitgebracht und in Zusammenarbeit mit den Stu-
Studierenden ausgetauscht. Dabei wurde klar,                           dierenden Reden und Musik organisiert“, teilte die
dass sich die Sticker der Darmstädter Gruppe                           Presse­stelle mit. Etwas überrascht seien sie von
„Querdenken615“ und der bundesweit aktiven                             der großen Menge an Teilnehmenden gewesen.
Gruppe „Studenten stehen auf“ zuordnen lassen.                         „Zu Höchstzeiten waren wir knapp 100 Menschen
                                                              P | 14
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auf dem Luisenplatz und damit ein Vielfaches
mehr als der Querdenken-Protest auf der anderen
Seite des Platzes“, erzählte Lilly. Für sie ist eine
kritische Auseinandersetzung über den Umgang
mit Corona wichtig. Den Frust der Studierenden
verstehe sie gut, da viele die Hochschule noch
nie von innen gesehen haben. „Doch wird eine
Grenze überschritten, die mit Vandalismus und
rechten Ideologien einhergeht, dann habe ich kein
Verständnis“, sagte die Studentin.

Zwischen Hoffen und Bangen
Die Kundgebung verlief laut Fabia, AStA-Referen­
tin für Vielfalt und Gleichstellung, friedlich. Alle
Abstands- und Hygieneregelungen seien einge-
halten worden. Trotz des kalten Novemberwetters
sei die Stimmung gut gewesen. Die Demo sollte
ein Zeichen an alle Menschen sein: „Auch für
alle außerhalb der Hochschule war das eine gute
Möglichkeit, über die Geschehnisse und den
Ursprung der Sticker aufzuklären“, erklärte Fabia.
Gemeinsam hatten sie sich für diesen Tag ein Ziel
gesetzt: „Wir sind hier und wir sind laut – Wissen-
                                                        05.02. Kunz & Brosius Comedy-Show
schaftsverleugnung und rechte Ideologien haben
                                                        10.02. Philipp Winkler
in Darmstadt keinen Platz.“ Auf gewaltbereiten
                                                        12.02. ONAIR
und rechten Protest würden sich die Studierenden
                                                        17.02. Dalibor Marković
nicht einlassen. Wegen den Schmierereien am
                                                        18.02. Omer Klein Trio
Campus sei Strafanzeige gegen Unbekannt einge-
                                                        24.02. Rymden
reicht worden.
                                                        26.02. Science Slam
                                                        05.03. Vince Ebert
Die Angst vor weiterem und zunehmend härterem
                                                        06.03. Die Magier 3.0
Vandalismus an der Hochschule ist bei vielen Stu-
                                                        07.03. Rebecca Maria Salentin
dierenden da und wächst mit der lauten Diskus-
                                                        10.03. Jazzrausch Bigband
sion um eine allgemeine Impflicht in diesem Jahr:
                                                        11.03. Double Drums
„Ich denke, dass sie das Gefühl einer Unterdrü-
                                                        16.03. Bukahara
ckung der Ungeimpften noch verstärken würde“,
                                                        17.03. Les Yeux d´la Tête
sagte Fabia. Sie könne sich vorstellen, dass es in
                                                        18.03. Boppin B
dieser Entwicklung auch häufiger zu stärkeren
                                                        19.03. Grobschnitt
Protesten kommen könne und dass auch die Rhe-
torik schärfer werden würde. Der AStA versucht
                                                        Huch, ein Buch!
dagegen für Aufklärung zu sorgen: „Studierende,
                                                        11. Jugend- und
die Ängste und Zweifel bezüglich der Impfung
                                                        Kinderliteraturfestival Darmstadt
haben, können sich in der Hochschule auch von
                                                        16. – 21. Mai 2022
uns beraten lassen.“ An der h_da hat es schon
                                                        Für Jugendliche und Kinder
mehrere Impfaktionen für Mitarbeitende und Stu-
                                                        von 18 bis 4 Jahren
dierende gegeben. Der AStA hält an der Hoffnung
                                                        www.huch-ein-buch.de
fest, dass bald etwas Normalität in die Hochschule
zurückkehren wird – wenn sich die Menschen
impfen lassen: „Uns ist klar, dass ein normaler
Hochschulbetrieb ausschließlich durch eine hohe
Impfquote möglich ist. Wir appellieren daher an
alle, denen es möglich ist, sich zu impfen.“ ❉

                                                         CENTRALSTATION / IM CARREE / DARMSTADT
asta-hochschule-darmstadt.de                                 TICKETS UND INFORMATIONEN:
                                                          WWW.CENTRALSTATION – DARMSTADT.DE
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                                                                TELEFON: 06151 7806–999
                                                       FACEBOOK.COM/CENTRALSTATION DARMSTADT
WO DIE SONNE
              RAUSKOMMT

                  Vergessene Darmstädterinnen, Folge 1: Milli Bau
                        TEXT: MAYA-KATHARINA SCHULZ | FOTOS: WELTKULTUREN MUSEUM FRANKFURT

Auf den Wikipedia-Seiten der Darmstädter Friedhöfe sind die Grabstätten bekannter Persönlichkei­
ten aufgelistet. Insgesamt sind es 160 Gräber – darunter gerade einmal sieben von Frauen. Der Anteil
der Frauen, die laut dieser Auflistung erinnerungswürdig sind, ist also etwa genauso groß wie der
Anteil der Namen „Wilhelm“ oder „Ludwig“. Hier zeigt sich ein Problem, das bereits Virginia Woolf
aufdeckte, als sie 1929 ihr berühmtes Essay „A room of one's own“ schrieb: Darin schilderte sie das
Schicksal Judith Shakespeares, der fiktiven Schwester Williams, die aufgrund ihres Frauseins trotz
großen Talents niemals so erfolgreich hätte werden können wie ihr berühmter Bruder. Frauen sind
auch in der Darmstädter Geschichtsschreibung häufig untergegangen und scheinen heute vielfach
beinahe unsichtbar. Doch es lohnt sich, auf die Suche nach Frauen zu gehen, die gegen die Grenzen
ihrer Zeit rebellierten – und vergessene Darmstädterinnen wieder ans Tageslicht zu holen.

Eine von ihnen ist die Journalistin und Fotografin              nach Hamburg-Aumühle. Ende der 1940er-Jahre,
„Milli“ Bau, die am 29. Juli 1906 als Emilia Wiß-               als Milli schon über 40 ist, kommt ihr kleiner Sohn
mann in Darmstadt geboren wird. In der Dreibrun-                Christoph zur Welt, der nur zwei Jahre alt wird.
nenstraße am Woog erinnert heute nichts mehr
daran, dass hier ein sehr besonderes Mädchen                    Wie einem Käfig entronnen
aufgewachsen ist, das schon mit fünf Jahren von                 Schon während ihrer Zeit in Hamburg sucht Milli
zu Hause weglief, um herauszufinden, „wo die                    den Kontakt zu Wissenschaftlern und Intellektuel-
Sonne rauskommt“.                                               len. 1948 erhält sie von der britischen Übergangs-
                                                                verwaltung den Auftrag, für die neu gegründete
Im Gegensatz zu ihren Brüdern erlauben ihre Eltern              Hamburger Zeitung „Die Welt“ aus fernen Ländern
Milli nicht, zu studieren – obwohl sie sich das sehr            zu berichten. Zusammen mit dem Bergsteiger und
wünscht. Doch mit knapp 20 Jahren setzt sie durch,              Kameramann Hans Ertl und einer Gruppe von
dass sie nach Bologna gehen darf, um dort an                    Wissenschaftlern begibt sie sich 1948 – als einzige
einer Sprachenschule Italienisch zu lernen. 1932                Frau – auf die erste Südamerika-Expedition nach
heiratet sie einen älteren Freund der Familie, den              dem Zweiten Weltkrieg. Darüber schreibt Milli in
Siemens-Direktor Waldemar Bau, und zieht mit ihm                ihren Aufzeichnungen: „Wir sechs Zugvögel, die
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als deutsche Gruppe an einer groß angelegten             1960 schwer verletzt, ist sie gezwungen, vorerst
Expedition nach Südamerika teilnehmen sollen,            nach Deutschland zurückzukehren.
kommen uns in diesem Augenblick wie einem Kä-
fig entronnen vor. Wir schnuppern die Freiheit und       Die Reise entlang der Seidenstraße ist nicht das
die Weite der Welt.“ Anhand ihrer Notizen lässt          letzte Abenteuer in Millis aufregendem Leben.
sich nur erahnen, was für ein hohes Maß an Mut           Auftragsreisen halten sie in den Jahren von 1960
und Neugier Milli auf ihren Reisen antreibt: „Wenn       bis 67 auf den Beinen, sie schreibt Reiseführer
mich eine Boa constrictor erwürgt oder ein Alliga-       und -berichte. Ab 1967 lebt sie sieben Jahre lang
tor frißt oder wenn ich von einem Berg hinunter-         als Auslandskorrespondentin für „Die Welt“ in
stürze – soll es mir nicht leid tun. Diese Zeit hier     Teheran. Anschließend kehrt sie nach Darmstadt
ist jeden Einsatz wert!“ Während sie in Südamerika       zurück – natürlich nur für eine Weile. Denn noch
ist, erkrankt ihr Ehemann in Hamburg schwer. Das         in den 1980er-Jahren, inzwischen über 70 Jahre alt,
Ehepaar schließt einen Kompromiss: „Ich habe mit         wirkt Milli als Kulturreferentin auf der MS Europa.
Waldemar abgemacht, dass ich von 1952 ab jedes           Und auch, als sie bereits stolze 90 Jahre alt ist, reist
Jahr acht Monate in Deutschland bin […]. Daran           sie weiter und entdeckt ihre Liebe zu Sibirien. 1996
muß Waldemar sich gewöhnen!“, schreibt Milli in          erhält sie die bronzene Verdienstplakette der Stadt
einem Brief an eine Freundin. Für die 1950er-Jahre       Darmstadt. Am 31. Oktober 2005 stirbt Milli schließ-
eine echte Sensation. Zusammen mit dem Äffchen           lich mit 99 Jahren in ihrer Geburtsstadt. Ihr Grab ist
„Fips Peter Schwanzelhuber“, das Milli nach einem        noch heute auf dem Alten Friedhof zu finden.
Unfall im Urwald adoptiert und einem Koffer voller
Erinnerungen kehrt sie drei Jahre nach Beginn der        Bücher, Dias und ethnologische Objekte
Expedition nach Hamburg zurück.                          Die Kunsthistorikerin und ebenfalls Darmstädterin
                                                         Julica Norouzi lernt Milli als Kind kennen und be-
Mit dem „Bulli“ bis nach Indien                          sucht sie gemeinsam mit ihrer Mutter über Jahre
Doch es soll nicht ihre letzte Reise gewesen sein.       hinweg regelmäßig, als Milli wieder in Darmstadt
Nach dem Tod Waldemars macht Milli sich 1956             lebt. Ihre kleine Zweizimmerwohnung in der Ohly­
auf ihr bis dato größtes Abenteuer auf. Sie verkauft     straße – „vollgestopft mit Büchern, ethnologischen
Haus und Besitz und erwirbt stattdessen einen            Objekten und Dia-Kästen“ und einem winzigen
VW-Bus T1 („Bulli“), mit dem sie allein entlang der      britischen Feldbett dazwischen – nennt Milli sel-
Route der historischen Seidenstraße bis nach Chi-        ber „Archiv mit Schlafgelegenheit für Sachbearbei-
na fahren will. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits      ter“. Gemeinsam trinken sie jede Menge Rotwein
50 Jahre alt. Ihre Reise führt sie zunächst auf ei-      mit Honig und Zimt und gehen Chinesisch oder
nem Schiff vom Hamburger Hafen bis nach Beirut,          Italienisch essen.
von wo aus Milli mit ihrem VW-Bus durch Syrien,
Irak, Iran, Pakistan, Indien und Nepal weiterfährt.      „Ich kann mich gut erinnern und habe den Wert,
Es soll vier Jahre dauern, bis Milli wieder deut-        die die Zeit mit Milli für mich hatte, besonders zu
schen Boden betritt. Während ihrer Reise schreibt        schätzen gelernt, als ich älter wurde“, erzählt Ju-
sie weiterhin für „Die Welt“, führt ein Interview        lica Norouzi. Viele Jahre lang hat sie sich mit Milli
mit dem taiwanesischen Regierungsoberhaupt               Baus Leben auseinandergesetzt, ist ihren Spuren
Chiang Kai-shek, ist manchmal stunden- oder              durch das Darmstädter Stadtarchiv und durch die
sogar tagelang allein in wüstenartigen Gebieten          Welt gefolgt. Was sie herausfindet und an was
unterwegs, ohne einem Menschen zu begegnen               sie sich erinnert, erzählt sie 2017 in dem Bildband
„oder auch nur ein Kamel oder so zu sehen“. Was          „Milli Bau – Seidenstraße / Silk Road 1956-1974“,
sie sieht und wem sie begegnet, hält sie fest. In        erschienen im Kerber Verlag. Die Suche nach
Tagebucheinträgen, Reiseberichten und Briefen,           der Frau, die für Norouzi einige Jahre lang eine
die sie an Freunde verschickt, und vor allem in un-      Großmutterrolle erfüllte, ist eine herausfordernde
zähligen Fotos, die sie mit ihrer Rolleiflex schießt.    Aufgabe. Es gelingt ihr, Milli einfühlsam nachzu-
Doch es läuft nicht immer alles glatt: Das Geld ist      spüren und behutsam auch kritische Fragen zu
oft knapp, häufig gibt es Verständigungsprobleme,        ihrem Leben zu stellen – etwa zu Millis positiver
Reisepläne klappen nicht und einmal bricht Milli         Berichterstattung rund um den letzten Schah
sich sogar „im Zimmer (!!!)“ das Bein. Kurz bevor        des Iran, für die sie besonders von iranischen
sie China erreicht, gibt ihr VW-Bus den Geist auf,       Studierenden in Deutschland kritisiert wurde. Auf
sodass sie ihn in Indien zurücklassen muss. Doch         die Frage nach einer Botschaft, die Milli gerne
auch das hält Milli nicht auf, und so reist sie im       weitergegeben hätte, antwortet Norouzi: „In erster
Reich der Mitte mit dem Zug weiter. Als sie sich         Linie, dass man unbedingt seine Träume leben >
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sollte. Dass es nie zu spät ist, dies zu tun.“ Und sie        städterin, berichtet: „Die Digitalisierung der 5.000
erinnert sich noch an einen weiteren weisen Satz              Dias hat insgesamt dreieinhalb Monate gedauert,
ihres großen Vorbildes: „Es gibt keinen schlechten            das ist also mittlerweile schon abgeschlossen. Der
Platz auf der Welt, um gute Menschen zu treffen.“             eigentliche Spaß geht jedoch jetzt erst los, denn
                                                              nun steht das Sichten des digitalisierten Bildma-
Nachlass wird digitalisiert                                   terials an. Oft gibt es keine weiteren Informati-
Zurück in Deutschland konnten Millis Dias und                 onen zu den Dias. Wir müssen also anhand der
Schriftstücke aufgrund des aufwendigen erfor-                 schriftlichen Aufzeichnungen Milli Baus nachvoll-
derlichen Konservierungsprozesses in Darmstadt                ziehen, in welchen zeitlichen und geografischen
leider nicht so archiviert und ausgestellt werden,            Kontext die Bilder einzuordnen sind und das alles
wie sie es sich wünschte. Stattdessen wird nach               von Hand eingeben. Das wird sicherlich noch mal
ihrem Tod ein Großteil ihres Nachlasses dem                   ein Jahr dauern. Insgesamt arbeiten wir daran,
Weltkulturen Museum Frankfurt übergeben. Einige               eine digitale Datenbank aufzubauen, die nicht nur
ihrer Fotografien sind noch eine Zeit lang im Be-             die Fotografien von Milli Bau, sondern auch noch
sitz des Hessischen Landesmuseums, doch vor ein               andere Sammlungen des Museums für die Allge-
paar Jahren wurden auch diese Materialien an das              meinheit zugänglich macht. Bis diese Datenbank
Museum in Frankfurt abgegeben, sodass heute das               vorliegt, wird es noch eine Weile dauern.“
gesamte Bildmaterial an einem Ort archiviert ist.
Viele von Millis schriftlichen Reisedokumentatio-             Für die digitale Aufbereitung der über 40 Jahre
nen und Tagebucheinträgen sind allerdings noch                Weltgeschichte, die Milli Bau in ihren Reisefoto-
immer im Besitz des Darmstädter Stadtarchivs. Im              grafien dokumentierte, ist also gesorgt. Doch an
November 2021 wurde durch das Frankfurter Kul-                keinem Ort in Darmstadt wird daran erinnert, dass
turdezernat eine Förderung beschlossen, dank der              hier eine Frau gelebt hat, die allen gesellschaftli-
der fotografische Nachlass Milli Baus – insgesamt             chen Erwartungen ihrer Zeit zum Trotz mit großer
5.000 Dias – nun vollständig gereinigt und digi-              Neugier in die große Welt aufbrach, ein ums andere
talisiert werden kann. Alice Pawlik, Kuratorin der            Mal Schwierigkeiten überwand und ihren Mut und
Sammlung „Visuelle Anthropologie“ im Frankfur-                Optimismus bis zum Ende nicht verlor. Wie wäre es
ter Weltkulturen Museum und ebenfalls Darm-                   mit einer Erinnerungstafel in der Ohlystraße? ❉

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»WAS
HAST DU
DENN
GEGEN
DIE MÜN-
CHENER
FREIHEIT?«
                                    Hörspiel mit Salon Erika
                                   M US I KAUSWA H L + T E X T + FOTO: M AT H I A S H I L L

Nach ersten Gehversuchen unter       der Sound weit entfernt von dem                          ich auch schnell zum Tango-Rhyth-
den Namen Dodge Durango und          der Erikas ist, gibt es doch eine                        mus. Ich hab mit all dem, was ich
„Wir sind’s“ öffnete 2006 der        Connection ...                                           von dem Depeche-Mode-Song noch
Salon Erika. Damals im P noch        Boris [pikiert]: Also, sooo Eighties                     im Ohr hatte, den Text geschrieben.
als Frankfurter Band mit Darm­       wie das hier sind wir nicht!                             [Diese Idee haben die Dirty Projec-
städter Hintergrund bezeich­         Thomas: Gegen den Beat würde                             tors aus New York übrigens 2007
net, hat es einige Erikas doch       sich unser Schlagzeuger mit Hän-                         auf die Spitze getrieben, indem sie
wieder zurück nach Darmstadt         den und Füßen wehren - das klingt                        das komplette „Rise Above“-Album
verschlagen. Da der Proberaum        doch sehr robotisch.                                     von Black Flag aus der Erinnerung
aber nach wie vor in Kelsterbach     B: Ich warte mal auf den Men-                            nachgespielt und das Ergebnis als
steht, kann man Boris Halva          schen, der da singt. Hmm ... Es                          Album veröffentlicht haben.]
(Gesang, Akkordeon), Markus          fühlt sich an wie Depeche Mode.                          Worum geht es denn bei Deinem
Hettler (Bass), Matthias Sistig      T: Ah, Depeche Mode! Dave Gahan                          Text? Jemanden, der einem eine
(Gitarre, Gesang), Rainer Stang      ist ein Riesensänger und einer der                       Geldanlage aufschwatzen will?
(Drums und Percussion) und            wenigen, die im Laufe der Zeit                          T: Es geht um einen ekligen, öligen
Thomas Wolff (Gitarre, Gesang,       immer besser werden.                                     Typen; einen Dreckskerl, der ein
Banjo) wohl mit Fug und Recht        Gut erkannt! Das ist „A Question                         Mädchen anmacht und ihr ver-
als Rhein-Main-Gebiets-Coun­         Of Time“. Eine schöne Anlehnung                          spricht, dass er sie groß rausbrin-
try-And-Polka-Tango-Band             daran findet sich in Eurem „Ge-                          gen wird. Aber erst einmal muss sie
bezeichnen. Mal schauen, was         winner-Tango“, aber mit deut-                            ihm ein bisschen Startkapital leihen
Boris und Thomas im großen           schem Text und anderem Thema.                            – eine große Seifenblase!
Hörspiel zu Artverwandtem zu         Wie kam’s?                                               B: ... und trotzdem hast Du große
sagen haben.                         T: Die paar Coverversionen, die wir                      Sympathien für ihn.
                                     machen, sind ganz freie Improvisa-                       T: Shame on me!!
 Depeche Mode „A Question Of         tionen. In diesem Fall war ich beim
 Time (New Town Mix)“                Umsteigen im Flughafen von Valen-                        Bernd Begemann „Bist Du dabei?“
86er-Hit-Single der vor allem        cia, hatte viel Zeit und viele Ideen ...                 Der frisch gebackene Bundesver-
in Deutschland heiß geliebten        Zu diesem Song hatte ich gleich ein                      dienstkreuzträger mit einer frühen
Techno-Pop-Heroen. Auch wenn         Akkordeon im Ohr, und von dort kam                       Hymne aufs Ins-Auto-steigen-
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und-einfach-mal-Abhauen.                gesungen. Seit wir Deutsch singen,      Alter geht, dann giggeln im Publi-
B: Klingt nach Blumfeld.                sind wir näher an den Leuten.           kum auch die ganz Jungen. Also:
Gleiche Stadt, anderer Künstler ...                                             Wir können alle Bands nur ermuti-
T: Das Lied ist schön frisch und geht    Element of Crime                       gen, mehr Deutsch zu singen!
geradeaus. Aufbrechen, losfahren ...     „Der Mann vom Gericht“                 B: Und es ist ein Mambo – es
Ich sehe da Parallelen zu Eurem         Ein Frühwerk der Melancholie-           macht einfach Spaß, sich da einzu-
Song „Die Nacht“ vom Album              Kapelle um Sänger und Trompeter         finden und sich reinzugrooven!
„Schöner langer Tag“: Das Auto          Sven Regener. Gesungen wird aus
ist vollgetankt, die Stooges wer-       der Perspektive eines hartherzigen       Manfred Krug
den laut im Radio aufgedreht ...        Gerichtsvollziehers: „Niemand da?        „Die fegen hier schon auf“
Aber bei diesem Song hier scheint       Da lach ich ja ...!“                    Der Sinatra der DDR siedelte
es eine der ersten Fahrten zu sein,     T: Die Trompete ist sehr schön,         1977 nach West-Berlin über. Sein
bei Euch eine der letzten.              deshalb sind wir auch alle große        erstes West-Album 1979 hieß dann
T: Interessanterweise ist das einer     Sven-Regener-Verehrer.                  sinnigerweise „Da bist du ja“ und
der wenigen Texte, die Boris und        B: Das hat was Diabolisches. Das        enthält diesen Tränenzieher voller
ich zusammen geschrieben haben.         ist schon Herbstwind.                   verrauchter Kneipenromantik.
Das ist übrigens Bernd Begemann.        T: Aber was ist es? Es ist ein Stück    B [hat eine dunkle Ahnung]: Das
B: Den kenn’ ich nur als Solo-          von uns, das jemand sehr plump          könnt’ ein sehr junger Udo Linden-
künstler, deshalb hab ich ihn in        gecovert hat ... [lacht]                berg sein ...
Bandbesetzung nicht erkannt.            Das ist „Der Mann vom Gericht“,         T: ... oder Rocker Schomani ... äh
T: Die Hamburger Jungs haben            der erste deutschsprachige Song         ... Rocko Schamoni. Auf jeden Fall
einen guten Humor, einen guten          von Element Of Crime. Das passt         eine wunderbare Säufernummer, da
Schnack und guten Drive ... Vom         ja jetzt wegen des Sprachwech-          finden wir uns gut rein.
Sprachwitz her haben wir uns da         sels von Englisch zu Deutsch auch       Ich geb Euch einen Tipp: Ähnliche
was abgeschaut ... Ich find’ ja so-     wieder sehr gut zu Euch, oder?          Zeit wie der junge Lindenberg,
gar Blumfeld gut, obwohl man das        T: Ich bin mit den ganzen englischen    aber ein anderer Staat.
ja nicht laut sagen darf.               und amerikanischen Helden aufge-        T: Hm, aus der DDR kennen wir aus
B: Wieso denn nicht?                    wachsen. Genesis und so. Englisch       der Zeit eigentlich nur Manfred Krug.
T: Na, der Jochen Distelmeyer ist       war damals Ausdruck von Interna-        Das ist er? Hups - der konnt’ ja rich-
doch ... ähm ... Münchener-Frei-        tionalität und Coolness. Und man        tig singen! Klasse, das covern wir!
heit-Fan.                               wollte sich ja von der Musik seiner     B: Das ist sehr entspannt - und
B: Was hast Du denn gegen die           Eltern abgrenzen. Deutsch war ja        sehr groovy!
Münchener Freiheit? Ich hab’            entweder Schlager oder doof oder        Wenn er Englisch singen würde,
Blumfeld zu Zeiten von „Old             beides! Bei mir kam ein Umdenken        könnte es auch von Tom Waits
Nobody“ [1999, Anm. d. Red.] im         erst mit der Beschäftigung mit          sein, oder?
Café Kesselhaus gesehen ... das         Americana-Bands wie Calexico oder       T: Ich seh’ schon, wir sollten Bill
war ähnlich wie bei uns: Live ist es    Giant Sand. Deren Einstellung ist ja:   von Blood Money, der Darmstäd-
dreckiger und lustiger ...              Auch wenn Country heute eigentlich      ter Tom-Waits-Tribute-Band,
T: Ich würd’ mal sagen, bei uns         scheiße ist ... das ist trotzdem mein   für diesen Song als Gastsänger
bestehen 70 Prozent des Auftritts       Land, meine Heimat, das lass’ ich       dazu holen. Ich hab die mal in der
aus „Dummes-Zeug-Labern“, oder          mir von den Nashville-Leuten doch       Los Santos Bar gesehen und saß
zumindest 30. In der Krone-Kneipe       nicht kaputtmachen! Und deshalb         ungefähr einen Meter neben ihm.
haben wir deshalb auch vier Zuga-       denke ich heute, dass man genauso       Seitdem weiß ich, was „singen“
ben gespielt. Wir mussten danach        gut auf Deutsch singen kann, ohne       bedeutet – da hat alles um mich
ins Sauerstoff-Zelt!                    dass es einem peinlich ist.             herum gewackelt!
B: Das ist es eigentlich: Das           B: Man baut ja, wenn man Englisch       B: Also, das sollten wir machen.
Live-Spielen macht uns so großen        singt, erst mal eine Distanz zum        Schreib’ das mal auf, wir kümmern
Spaß. Wir sind zum Glück an dem         Publikum auf, eine Coolness auf der     uns! [Wird gemacht!]
Punkt, dass die Musik für uns ein       Bühne ... und im Verlauf der Jahre      Zurück zur Kneipenromantik: Ich
Hobby ist. Und so haben wir auch        kann man die wieder abbauen.            würde gern mal aus Eurer Band­
über die Jahre alles vom Equipment      T: Die Leute gehen auch viel mehr       info zitieren: „Sie huldigen den
her ein bisschen runtergefahren ...     mit, wenn man ihnen sagt, worum         rastlosen Tagen und all den Näch-
T: ... aber nicht die Ansprüche         es geht. Wenn wir zum Beispiel          ten, die sie vorzugsweise in von
[lacht]! Ganz früher hießen wir         ansagen, dass es beim Song „Villa       Schweigen umtosten Stamm-
Dodge Durango und haben Englisch        Sonnenschein“ um Sex im hohen           kneipen verbringen.“ Da stellen >
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sich mir zwei Fragen. Erstens: Ver-       Danzer?                                  immer durcheinander geworfen
bringt Ihr Eure Nächte immer noch         Nein, es ist eine österreichische        habe. Wie kam’s denn zu Eurem
vorzugsweise in vom Schweigen             Band aus den Achtzigern.                 Bandnamen?
umtosten Stammkneipen?                    B: Dann ist es die EAV! Das kenn’        B: Matze hat den „Salon Erika“
B: Natürlich! [lacht]                     ich noch von damals. Auf der             erfunden.
Und zweitens: Wie heißen die              Platte war auch der „Sandlerkönig        T: Ja, dahinter stand der Salon-Ge-
dazugehörigen Stammkneipen?               Eberhard“! Diese Loser-Sympathie         danke: „Erzähl’s Deinem Friseur“!
B: Wir hatten sie alle! [lacht]           fand’ ich immer sehr nett. Das ist       B: Und als Du erzählt hast, dass
T: In Darmstadt gibt es ja eigent-        in dem ganzen Kostümkram immer           Deine Band Salon Erika heißt, war
lich nur eine Kneipe, die so eine         untergegangen, denn das sind             ich sofort Feuer und Flamme.
Pub-Atmosphäre hat. Das ist das           eigentlich ganz coole Typen. [Zu         Dann hab ich mein Akkordeon
Pillhuhn. Wenn ich Songs über             Tom:] „Sandlerkönig Eberhard“, das       Regina eingepackt.
Kneipen schreibe, dann denke ich          muss ich Dir mal vorspielen.             Das heißt echt Regina?
ans Pillhuhn.                             T: Aber ich glaub’, ich weiß, worauf     B: Ja! Mein Akkordeonlehrer ist total
B: Und mich, und das ist komisch,         Du anspielst.                            ausgeflippt, weil er bisher nur von
inspiriert es überhaupt nicht: Ich        Ich sehe hier einen Querverweis zu       diesem Typ gehört hatte, aber noch
geh’ da nur hin, um mein Bier zu          Eurem Song „An jedem anderen Tag“        nie eine „Regina“ gesehen hatte.
trinken und wieder unbeschadet            vom Album „Besser geht immer“.           Das Bernsteinzimmer der Akkor­
rauszukommen. Ich find’ dann eher         T: Ja, das ist ein großes Thema          deonisten ... oder die „Sticky
die Zufallsdinger gut. Solche Knei-       bei uns: Das Leben ändern wollen,        Fingers“-LP mit Original-Reißver-
pen, in denen man noch nie war, in        aber sich einzugestehen, dass man        schluss-Cover.
denen man nachts zufällig landet.         es nicht schafft.                        B: Genau. Das zweite Akkordeon
T: Wir haben in Kelsterbach, wo           Ihr habt ja sogar zwei Songs zu          heißt übrigens Lucia. Wir müssten
der Proberaum ist, eine Stamm­            dem Thema.                               mal zusammen mit den „Sophies“
kneipe: „Zum Anker“. Da bin ich als       T: Nein, mehr! [Lacht.] Es gibt          spielen: Ein Mädels-Abend ... ha, ha!
Exilfriese natürlich besonders gern       Themen, auf denen kau’ ich ein           Habt Ihr eine abschließende Bot-
„vor Anker gegangen“. Wir gehen           bisschen rum. Irgendwann war             schaft an die P-Leser:innen?
gern in die Kneipe – vor allem, um        ich mit den Menschen durch. Da           B: Mit Botschaften haben wir so
dort dummes Zeug zu labern.               hab’ ich dann angefangen, über           unsere Probleme.
B [verschwörerisch]: Das ist natür-       Tiere zu schreiben. Dann haben           T: Zumindest mit den großen.
lich nur Pose. In Wirklichkeit reden      die anderen dann auch irgendwann         Aber für ’ne kleine reicht’s doch,
wir nur über Persönliches!                gesagt: Tom, jetzt reicht’s auch!        oder?
T: Wir reden auch gern über Fußball ...   Es gibt sogar ein Stück über den         T: Ich würd sagen: Morgen ändern
B: ... denn wir haben drei Eintracht-     Schabrackentapir.                        wir die Welt – aber bis morgen ist
Dauerkarten-Besitzer in der Band.         B: Das ist okay, das ist ja wieder       noch jede Menge Zeit ... !
Seid Ihr sicher, dass Ihr das in          konstruktivistisch. Nee, die Tiere       ❉
einem Darmstädter Stadtmagazin            waren schon in Ordnung. Sie soll-
erwähnt haben wollt? [Alle lachen.]       ten nur nie zu Schaden kommen!               Win! Win!
                                                                                       —­
 Erste Allgemeine Verunsicherung           Dann wohl Sophie                            Das P verlost 3 x
 (EAV) „Morgen“                            „Einer von Euch“                            die Salon-Erika-CD
Auch die österreichische Musik-           2018er-Single der Darmstädter                „Die Letzten ihrer Art“.
kabarett- und Blödel-Truppe hat           Indie-Band.
sich mit den Folgen übermäßigen           B: So einen Song haben wir auch              Quizfrage: Wie soll Boris’
Alkoholkonsums beschäftigt,               gerade gemacht, der ist gerade im            drittes Akkordeon heißen?
zum Beispiel in diesem Song vom           Werden. Das ist sehr cool!
1985er-Album „Geld oder Leben“.           T: Das ist so Neue-Deutsche-Welle-           Schick’ Deinen Vorschlag
B: Ist bestimmt der Kreisler.             Zeit, sehr minimalistisch. [Der Noi-         bis 28. Februar 2022 an
T: Ich kenn’ nur die Ilse Werner,         se-Teil beginnt:] Jetzt nicht mehr ...       redaktion@p-verlag.de.
die so pfeifen kann [deutsche             B: Das hat ’ne schöne „Scherben-
Schauspielerin und Sängerin der           Energie“.                                    Alle anderen können das
Schwarz-Weiß-Ära, die in der              T: Es wirkt sehr persönlich, sehr            Album bei „Musik als Hilfe“
Disziplin des Kunstpfeifens sehr          ehrlich.                                     oder „CD-Bessungen“
bewandert war].                           Ich muss ja gestehen, dass ich               käuflich erwerben.
T: Wolfgang Ambros ... Georg              eine Zeit lang Sophie und Erika
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Ab Januar 2022: Wir suchen eine
pädagogische Fachkraft (w/m/d) in Voll- und/oder
Teilzeit für neue Integrationsfachkraftstunden
Als freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe und vom Land Hessen gefördertes Familienzentrum sind wir ein „Ort für
Alle“, wo „Alltag und Krise unter einem Dach“ Platz haben und willkommen sind.
In unserer Kita, als einem Baustein, mit zwei Krippen- und zwei Kindergartengruppen, bilden Naturerfahrung & Be-
wegung, Gesundheit, Miteinander & Kreativität, sowie vor allem die Erkenntnisse der Bindungstheorie, die Säulen
unseres Konzepts. Wir arbeiten gerne mit Menschen zusammen, die unser Haus mit ihren Qualitäten und ihrer Indivi-
dualität bereichern möchten: Menschen, die es erfüllt, Kinder und Familien beim Wachsen zu begleiten, die Lust ha-
ben auf Herausforderungen und auch gerne über den Tellerrand schauen, die sich einbringen und in einer Gemein-
schaft weiterentwickeln möchten. Als lebendige Organisation verstehen wir uns als (Bildungs-) Ort für alle - egal in
welcher Rolle und mit welcher Aufgabe: gemeinsam gestalten wir Lebens- und Arbeitsräume des Austausches, des
Wachstums und der Begegnung auf Augenhöhe.

Wir freuen uns auf neugierige Fragen und/oder eure Bewerbungsunterlagen an:
Menschenskinder - Werkstatt für Familienkultur e.V.
Anne Schaefer und Manuela Puskeiler • Siemensstr. 3a • 64289 Darmstadt
Telefon: 06151-780 80 46 • kita@menschenskinder-darmstadt.de
(Bei Nichteinstellung werden die Bewerbungsunterlagen sofort gelöscht.)

                                                                                                             ANZEIGEN
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                    T E X T: M AT I N NAWA B I | FOTO S: NOU K I E H L E RS, NOU K I.C O (GW E N D O LY N & TOY B OYS) +
                                    T HOM A S J O SE P H (K LUG G I B O O G I E) + H E I M SP I E L KN Y P H AUSE N

Fast genau zwei Jahre nach ihrer Debüt-EP präsen­                       Text und kühlem Gitarrenspiel an die bisherige
tiert Gwen Dolyn deren Nachfolger und stellt neue                       Diskografie an. „Girlscout“ hingegen schöpft das
Weichen: Auf „Komm schon“ (erscheint via Nekta-                         neue Band-Potenzial klanglich vollkommen aus. Der
rium Music) erklingt die Stimme der Darmstädterin                       Song gipfelt in einem lauten Rausch aus verzerr-
jetzt mehrheitlich in deutscher Sprache sowie                           ten Gitarren – die absolute Hole-Referenz und ein
kräftig verstärkt im festen Zusammenspiel mit den                       schöner Kontrast zum ersten Titel der EP. Mehr
Toyboys, die längst mehr sind, als nur eine Band                        Indie als Rock ist nämlich „Hände, getrocknet“, ein
im Hintergrund. Gwens erste EP „Things To Tell                          unbeschwertes Liebeslied, in dessen Musikvideo
A Crying Girl“ brachte 2020 frischen Wind in die                        sich eine kleine geheime Botschaft versteckt. Ab
örtliche Bandszene. Frischer Pop mit leichter Grun-                     sofort überall im Stream zu finden und zu hören!
ge-Kante. Schon kurz darauf kreuzten sich die Wege                      gwen-dolyn.com und nektarium.de
mit ihren heutigen Mitmusikern. Die verpassten
Gwen Dolyns Solo-Songs mit Schlagzeug, Bass und                         In unserer kleinen Redaktion sorgte Gwens
zusätzlicher Gitarre deutlich mehr Volumen. Das                         Labelkollegin Metty mit ihrer EP „Outdated“ für
harmonierte offenbar so gut, dass sich Sängerin und                     absolute Begeisterung. Vier Songs, fabelhafter,
ehemalige Backingband heute als kreative Einheit                        melancholischer Bedroom-Pop. Mega gut! Jetzt
präsentieren – mit facettenreichem Sound und Ex-                        knüpft das junge Talent mit Ausnahmestimme an
perimentierlust. Vier Titel sind auf EP Nummer zwei,                    ihr Werk aus dem Juni 2021 an. Kürzlich erschien
die zum Jahresanfang erschienen ist, versammelt.                        die digitale Single „Double Door“. Die Beats zu den
Darunter auch die Single „Dr. Murkes“, ein Cover der                    Piano-Melodien klingen hier weniger zurückhal-
Punk-Ikonen EA80, die bereits im Oktober 2021 ver-                      tend als bisher, was dem Song gut steht. Absolute
öffentlicht worden war und mit deutschsprachigem                        Hörempfehlung! Außerdem: Metty hat das Stipen-
Text überraschte. Der Wechsel ins Deutsche ist nun                      dium des Darmstädter Musikpreises erhalten. Das
keine Ausnahme mehr, sondern programmatisch.                            gab die Jury am 19. Januar bekannt. Gratulation!
Einzig das Stück „Why not“ knüpft mit englischem                        instagram.com/metty.xoxo
                                                                   P | 24
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