2014 100 JAHRE ERSTER WELTKRIEG 2018 GEGEN DAS VERGESSEN - 2014 April Zeitschrift des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.

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2014 100 JAHRE ERSTER WELTKRIEG 2018 GEGEN DAS VERGESSEN - 2014 April Zeitschrift des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Zeitschrift des Volksbundes            April
Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.   2014

      2014 100 JAHRE ERSTER WELTKRIEG
      2018 GEGEN DAS VERGESSEN
2014 100 JAHRE ERSTER WELTKRIEG 2018 GEGEN DAS VERGESSEN - 2014 April Zeitschrift des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Schwerpunkt
Brite bekommt Urlaub vom Kaiser    4
Wahre und zugleich überraschende
Geschichte der Menschlichkeit zu
Zeiten des Ersten Weltkrieges

10                          Grenzenlos
             Leben und Tod in Nazareth
         Arzt betreut bemerkenswerte
        deutsche Kriegsgräberstätte im
                israelischen Nazareth.

                                          Workcamps
                                          Heiß auf den Sommer!              16
                                          In Lommel/Belgien bereiten sich
                                          ehrenamtlichen Workcamp-Leiter
                                          auf die kommende Saison vor.

                                                           50 Jahre Musikschau
                                          21              Musik macht Freu(n)de
                                            Landesverband Bremen bietet buntes
                                              Blasmusik-Spektakel anlässlich der
                                                   50. Musikschau der Nationen.

                                Reisen
24                      Reisen mit uns
 Die Reisen des Volksbundes führen zu
   sehenswerten touristischen Zielen –
     aber auch auf Kriegsgräberstätten.
2014 100 JAHRE ERSTER WELTKRIEG 2018 GEGEN DAS VERGESSEN - 2014 April Zeitschrift des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Inhalt/Vorwort

      Schwerpunkt
    4 Brite bekommt Urlaub vom Kaiser Wahre Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg
    8 Für ein vertieftes Verständnis Aufruf: Gemeinsame Erinnerung

   Grenzenlos
10 Leben und Tod in Nazareth Arzt betreut deutsche Kriegsgräberstätte in Israel
14 Die Erinnerung lebt Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages
                                                                                                       Maurice Bonkat
   Workcamps                                                                                           Redakteur
16 Heiß auf den Sommer! Treffen der Workcamp-Leiter/innen in Lommel

   Arbeitsbilanz 2013                                                             Liebe Leserinnen,
AB Zahlen und Fakten Danke für Ihre Hilfe!
                                                                                  liebe Leser,
   Lichter der Ewigkeit                                                               die erste Ausgabe der Volksbund-
19 Lang, lang ist’s her Erna Marwede spendet virtuellen Stern                     Zeitschrift frieden im Jahr 2014 befas-
                                                                                  st sich im Schwerpunkt mit verschiede-
   Internet                                                                       nen Aspekten des Ersten Weltkrieges.
20 100-Jahre-Erster-Weltkrieg.de Volksbund startet neue Internet-Seite            100 Jahre nach dessen Beginn soll es
                                                                                  aber nicht darum gehen, die Chronolo-
   50 Jahre Musikschau                                                            gie der Schlachten nachzuvollziehen.
21 Musik macht Freu(n)de 50. Musikschau der Nationen in Bremen                    Vielmehr geht es uns in dieser Ausgabe
                                                                                  darum, welche Folgen dieser so genann-
   Reisen                                                                         ten Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
24 Reisen mit uns Programm 2014                                                   bis heute spürbar sind: Gibt es noch
                                                                                  Angehörige, die trauern? Gab es selbst
   Leserbriefe                                                                    im Umfeld dieses ersten industriell ge-
28 Leserbriefe unserer Mitglieder Ein hervorragender Reiseleiter                  führten Krieges noch Hoffnungsschim-
                                                                                  mer echter Menschlichkeit? Wer küm-
   Erzählen ist Erinnern                                                          mert sich heute eigentlich um die Grä-
30 Buchreihe Erzählen ist Erinnern Band 114 – 116                                 ber des Ersten Weltkrieges – und um
                                                                                  die Vermittlung der Lehren, die aus die-
   Nachrufe                                                                       sem Weltkrieg zu ziehen sind?
31 Unersetzbare Förderer verloren Gottfried Memmel und Hubertus Rogge
                                                                                     Neben diesem wichtigen Thema für
                                                                                  die Volksbundarbeit insgesamt erhal-
   Namen & Nachrichten
                                                                                  ten Sie in der ersten Ausgabe des Jah-
32 Termine & Meldungen Namen, Nachrichten, Meldungen und Fotos
                                                                                  res wie gewohnt auch die aktuelle
                                                                                  Arbeitsbilanz des Volksbundes. Hier
34 Impressum                                                                      gibt es ebenso Bemerkenswertes zu be-
                                                                                  richten, beispielsweise die Zahl der Um-
35 Coupon                                                                         bettungen, die auch 2013 wieder über
                                                                                  36 000 lag.

                                                                                     Den ehren- und hauptamtlichen Mit-
                                                                                  arbeitern des Volksbundes ist dabei be-
                                                                                  wusst, dass all seine Leistungen nur
                                                                                  aufgrund der Unterstützung seiner För-
                                                                                  derer möglich sind.

                                                                                    Vielen Dank für Ihr
     Spendenkonto: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
¸
                                                                                    großzügiges Engagement!
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2014 100 JAHRE ERSTER WELTKRIEG 2018 GEGEN DAS VERGESSEN - 2014 April Zeitschrift des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Schwerpunkt

    Brite bekommt Urlaub vom Kaiser
    Wahre Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg

    G
             roßes Herz für einen kleinen Sol-   chen. Einzige Bedingung – er müsse frei-    die Hochphase des Ersten Weltkriegs, der
             daten: Ein britischer Historiker    willig zurückkehren.                        britische Offizier Campbell war zu diesem
             hat eine berührende Geschichte                                                  Zeitpunkt bereits zwei Jahre als Kriegsge-
    aus dem Ersten Weltkrieg aufgedeckt. Of-        Der Brief, den Robert Campbell im Som-   fangener in Magdeburg interniert. Die
    fenbar erlaubte Kaiser Wilhelm II. einem     mer 1916 von seiner Schwester Gladys        Deutschen hatten ihn in das Offiziersla-
    britischen Kriegsgefangenen, seine ster-     bekam, dürfte ihm in seiner Lage wohl so    ger gesteckt, nachdem Campbell im wallo-
    benskranke Mutter in England zu besu-        ziemlich den Rest gegeben haben: Es war     nischen Mons gekämpft hatte und schließ-

4                 1/2014
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Schwerpunkt

lich schwer verletzt in ein Krankenhaus     schrieb dem Deutschen Kaiser einen Brief.    Am Bett der kranken Mutter
nach Köln gebracht worden war. Nach         Er wolle das Lager kurz verlassen, um sei-
mehreren schmerzhaften Operationen          ne Mutter in England noch ein letztes Mal       Kurz darauf machte sich der Soldat
war Campbell – trotz Kriegsgefangen-        sehen zu können, so die Bitte.               Robert Campbell auf den Weg gen Eng-
schaft – in diesem Sommer nunmehr auf                                                    land – über den Westen des Deutschen
dem Weg der Besserung. Bis dieser Brief     Antwort vom Kaiser                           Kaiserreichs und die Niederlande, per
aus der Heimat kam.                                                                      Bahn und Schiff, vorbei an Grenzposten,
                                               Obwohl Campbell selbst kaum daran         denen er Bericht über seine Aufenthalts-
   Das Schreiben der Schwester war ei-      glaubte, erhielt er binnen weniger Tage      orte und Route erstattete. Am 7. Dezem-
nigermaßen deutlich: Robert Campbells       Antwort von höchster Stelle. Ja, er könne    ber 1916 schließlich soll Campbell in sei-
Mutter Louisa lag zu Hause im Sterben,      gehen, ließ der Kaiser überraschender-       nem Heimathaus in Gravesend in der
Krebs, ein paar Wochen, vielleicht ein      weise ausrichten. Vierzehn Tage lang ge-     Grafschaft Kent angekommen sein, wo er
paar Monate hatte sie noch zu leben. Nie-   währte ihm Wilhelm II. Sonderurlaub –        eine Woche am Bett seiner kranken Mut-
dergeschmettert von den Wirren des Krie-    danach müsse er jedoch zurückkommen.         ter verbrachte – nur um anschließend
ges und der Nachricht, wagte Campbell       Als Sicherheit reichte dem Deutschen Kai-    wieder brav nach Magdeburg in seine
in seiner Not eine Verzweiflungstat: Er     ser Campbells Ehrenwort.                     Zelle zurückzukehren.

                                                                                          Gefangen und glücklich? Die britischen Welt-
                                                                                          kriegssoldaten, die auf diesem Foto von Deut-
                                                                                          schen bewacht werden und bei Villers Ou-
                                                                                          treux auf ihren Abtransport warten, sind ge-
                                                                                          wiseermaßen der Hölle entronnen. Nach der
                                                                                          schweren Frühjahrsoffensive 1918 an der Som-
                                                                                          me sind sie froh, das schreckliche Trommelfeu-
                                                                                          er der deutschen Attilerie noch überlebt zu
                                                                                          haben.                  Fotos: Volksbund-Archiv

                                                                                                                 1/2014                     5
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Schwerpunkt

                                                             Diese kleine, bislang unbekannte Welt-              Zumindest seinem Kriegsgegner scheint
                                                          kriegsrandnotiz, die nun der britische His-         Campbell mit der Aktion jedoch nicht un-
                                                          toriker Richard van Emden erstmals in               bedingt geholfen zu haben: Aus der Akte
                                                          seinem Werk „Meeting the Enemy: The                 mit dem Zeichen FO 383/203, in der van
                                                          Human Face of the Great War“ aufschrieb,            Emden auch Campbells Geschichte auf-
                                                          zeichnet ein überraschendes Bild der                spürte, wird deutlich, dass praktisch zeit-
                                                          deutsch-britischen Beziehungen zur Zeit             gleich ein weiterer Militär einen ähnli-
                                                          des Ersten Weltkriegs. Wie konnte es sein,          chen Wunsch wie Campbell hegte – ein
                                                          dass Wilhelm II. sich auf den Deal mit              deutscher Soldat namens Peter Gastreich,
                                                          dem Soldaten tatsächlich einließ? Und vor           25 Jahre, Kriegsgefangener in England,
                                                          allem: Warum ließ Campbell die offen-               dessen Mutter ebenfalls im Sterben lag.
                                                          sichtliche Chance zur Flucht ungenutzt?
                                                                                                              Andere Soldaten hatten weniger Glück
                                                             „Als echter britischer Offizier hat ihm
                                                          sein Ehrenwort wohl ziemlich viel bedeu-               Doch während Campbells Wunsch vom
                                                          tet“, erklärt van Emden. Außerdem habe              Kaiser höchstpersönlich abgesegnet wur-
                                                          Campbell womöglich auch an andere Ge-               de, zeigten sich die britischen Behörden
                                                          fangene in einer ähnlichen Situation ge-            bei Gastreichs Anfrage deutlich schroffer:
                                                          dacht und sich deshalb an die Vereinba-             „Wir sehen uns außerstande, P. Gastreichs
                                                          rung gehalten, so der Autor. Mit einer              Entlassung zuzustimmen. Captain Camp-
                                                          Flucht hätte Campbell wohl definitiv je-            bells Fall darf nicht als Präzedenzfall an-
    Orden verteilte Kaiser Wilhelm II. häufig – Urlaub    dem seiner eingesperrten Kameraden die              gesehen werden.“ Gastreichs Mutter starb
    für den Feind gab es hingegen nur ein einziges Mal.   Chance auf Freigang verbaut.                        nur eine Woche, nachdem die Familie den

    Neben Millionen von Kriegstoten brachte der Erste Weltkrieg auch Millionen von Verwundeten hervor. Für die Feldlazarette hinter der Front stellte dies allein
    aufgrund der Masse sowie der Schwere der Verletzungen eine große Herausforderung dar.

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Antrag gestellt hatte. Aus Angst davor,              „Campbell hat wirklich enormes Glück
Campbells Beispiel könne weiter Schule            gehabt“, sagt van Emden. „Wahrschein-
machen, kanzelten die britischen Behör-           lich hat er den Kaiser zufällig in guter Lau-
den auch die Freiheitsgesuche eigener             ne erwischt und Wilhelm II. dachte sich,
Landsmänner ab. So erzählt van Emden              als er den Brief las: ,Warum eigentlich
in seinem Buch von einem britischen Offi-         nicht?‘ Es war ein kompletter Einzelfall.“
zier, der im Oktober 1917 nach Hause
wollte, um seine kranke Mutter zu sehen              Den lange ersehnten Fluchtversuch un-
– und dessen Familie dafür das Foreign            ternahm der Soldat nach seiner Rückkehr
Office in London kontaktierte.                    ins Magdeburger Lager schließlich aber
                                                  doch noch – nachdem er sein Ehrenwort
   Die zuständige Behörde antwortete              gehalten hatte. Genützt hat es nichts: Deut-
britisch höflich, aber dennoch bestimmt:          sche Soldaten spürten Campbell an der
„Es gab einmal einen Fall, in dem die             niederländischen Grenze auf und brach-
Deutschen einem britischen Offizier Haft-         ten ihn zurück ins Lager, wo er den Rest
urlaub gewährt haben – allerdings ohne            des Ersten Weltkriegs verbrachte. Camp-
uns vorher zu konsultieren.“ Seitdem hät-         bells Mutter Louisa sollte übrigens noch
ten deutsche Offiziere diesen wohl einzig-        zwei Monate nach dem Überraschungs-
artigen Fall immer wieder zu nutzen ver-          besuch ihres Sohnes weiterleben. Dann
sucht, um in ihre Heimat zu gelangen, so          starb sie.
die Behörde. Auf ähnliche Deals wolle man
sich in Großbritannien nicht einlassen, so                                 Lazar Backovic           Schlamm und triste Eintönigkeit – allein das Leben
die klare Ansage.                                         (EINESTAGES, SPIEGEL ONLINE)              in den Schützengräben war schwer zu ertragen.

Schwer verletzt, aber am Leben: Das Ausmaß des maschinellen Tötens der Schlachten an der Somme war bezeichnend für den Ersten Weltkrieg. Wer diesem
Inferno noch halbwegs lebend entronnen war, konnte von großem Glück reden.

                                                                                                                             1/2014                      7
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    Für ein vertieftes Verständnis
    Aufruf: Gemeinsame Erinnerung an den Ersten Weltkrieg

    V
             olksbund-                           ihrer Vorfahren nahezubringen versuchen.      re alles andere so übertönen, bis sich Jude
            präsident                            Manche werden das Ende des alten Eu-          gegen Jude, Katholik gegen Katholik, So-
          Markus Me-                             ropa bedenken, andere sich am Sieg der        zialist gegen Sozialist aufhetzten? (Nicht
    ckel zählt zu den                            modernen Demokratien und an der Neu-          zu sprechen vom physischen Zwang, un-
    ersten Unterzeich-                           beziehungsweise Auferstehung ihrer Na-        ter dem unter anderen die Polen zum Bei-
    nern des hier ab-                            tion als Ergebnis des Krieges erfreuen ...    spiel, gegeneinander kämpfen mussten).
    gedruckten Aufru-
    fes, der sich für ei-                          Wir erkennen ein paar gut lesbare Zei-        Welche Kraft setzt Du heute den Mani-
    ne gemeinsame eu-                            chen der Generation von damals an uns         pulationen jeder Sorte entgegen? Was tust
    ropäische Erinne-      Markus Meckel         heutige Europäer.                             Du für den europäischen Gemeinsinn?
    rung an den Ersten
    Weltkrieg ausspricht. Seine Verfasser           Zunächst sind da alle, die ihr Leben          Drittens, die leuchtenden Augen der
    und Unterzeichner „verbindet die Über-       verloren. Aus der ganzen Welt zusammen-       damals so Opferbereiten für das Vater-
    zeugung, dass die vor uns liegenden Jah-     gezogen, um zu kämpfen, gaben sie – oft       land. Über sich hinauswachsen, in „einer
    re Chancen für ein vertieftes Verständ-      genug dem fernen „Mutterland“ – ihr Bes-      Sache“ aufgehen, Kamerad sein und
    nis unter europäischen Bürgern bergen“,      tes; Zivile, gingen sie in der Zerstörungs-   Kameraden haben: Das Drängen nach
    heißt es in einem Begleitschreiben. Des-     wut des Krieges unter. So gibt es eine ele-   einem Ideal bleibt aktuell, auch wenn es
    halb suchen sie Wege, um ihre Überle-        mentare Pflicht zur gemeinsamen Ehrer-        vielfältig missbraucht wurde und wird.
    gungen und Vorschläge zu Beginn der          bietung an die Millionen, deren Leben sich    Jugend hat ein Recht auf Sinnsuche und
    bevorstehenden Gedenkjahre insbeson-         nicht entfalten durften, und zum Geden-       Vorbild. Resignation und Zynismus zer-
    dere der deutschen und französischen         ken an die Trauer auf allen Kontinenten.      stören sie. Die jungen Menschen auf
    Öffentlichkeit nahezubringen.                                                              dem Kontinent heute fühlen sich als
                                                    Dann die Weitsichtigen von damals.         Europäer – welche Herausforderungen
    Ein anderer Blick auf 1914 – 1918:           Sie waren Künstler, Politiker, engagierte     für eine bessere Zukunft stellen wir
    Für eine gemeinsame Erinnerungskultur        Bürgerinnen: Sie verweigerten sich der        ihnen vor?
                                                 öffentlichen Kriegsbegeisterung. Schon
       Bei allen Unterschieden zeigt der Blick   vorher eine Minderheit, wurden sie lä-           Und wir erkennen noch ein Zeichen,
    auf den Ausbruch des Ersten Weltkrieges      cherlich gemacht, beschimpft, ermordet.       nämlich im Schlamm der Gräben und
    den Betrachtern in Europa ganz ähnliche      Sie hatten recht, wie zum Beispiel in der     zwischen den Drahtverhauen, von
    Bilder: einen Kontinent im Strudel, der      letzten Rede von Jean Jaurès am 25. Juli      dort, wo sich die geschundenen Infan-
    Unzählige in der Welt mitreißt.              1914 zu lesen. Georg Trakl „erlag im Krieg    teristen der sich gegenüberliegenden
                                                 von eigener Hand gefällt. So einsam war       Linien manchmal näherkamen, an den
      Die Erinnerungen in unseren Ländern        es in der Welt“, schreibt Else Lasker-        Fronten in Italien, in Russland ebenso
    werden ganz verschieden ausfallen. Eini-     Schüler über den Freund.                      wie in Belgien oder Frankreich. Die-
    ge werden der nationalen Anstrengung                                                       se hilflosen – man lieh sich manch-
    gedenken, andere der Zerstörung, des            Warum waren die anderen so geblen-         mal Werkzeug, um die gegen-
    Leidens und der Opfer. Hier wird man die     det? Auf welche Weise konnte Patriotis-       einander aufgestellten Stachel-
    Verantwortlichkeiten, auch die eigenen,      mus sich so auf das jeweilige gemeinsame      drahtverhaue zu reparieren! –
    prüfen, dort der Jugend die Geschichte       Feindbild verengen und im Laufe der Jah-      und bescheidenen Gesten des

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„Ur-Anstandes“, der Brüderlichkeit, durf-    aus den Lagern, aus unseren eigenen Ab-               und nicht erst nach den sozialen, wirt-
ten später politisch „nicht gewesen“ sein.   gründen, und zeigt den Weg zum Frie-                  schaftlichen und politischen Katastro-
Aber es gab sie!                             den. Sie hat das Europa, das wir                      phen Wege bahnen.
                                             heute kennen, aufgebaut. Und so
   Es gilt auch heute: Menschlichkeit ist    könnten die „Infanteristen des Le-
unausrottbar, Menschlichkeit braucht Un-     bens“, nähme man sie ernst, man-
terstützung. Sie hat nicht die Macht des     chen Konflikt in der Welt verhin-
Stärkeren, aber sie steigt aus den Gräben,   dern. Versöhnung könnte sich vor

                                              Wünsche für den August 2014:                         – langfristige europäische Projekte, die
                                                                                                     Menschen aus dem Westen, Osten und
                                              – ein offizielles europäisches                         Südosten des Kontinents zusammen-
                                                Gedenken;                                            bringen nicht nur zwischen 2014/2018;

                                              – viele gemeinsame europäische                       – eine europäische Initiative zur Ver-
                                                Bürgerinitiativen. Stellen wir                       tiefung und Verbreiterung der Euro-
                                                uns vor: Am „Tag der Mobil-                          päischen Austauschprogramme und
                                                machung“ stehen auf den                              insbesondere des Europäischen Frei-
                                                Rheinbrücken lange gast-                             willigendienstes als Europäischer Zi-
                                                liche Tafeln ... auf beiden                          vildienst für alle jungen Menschen.
                                                Ufern sind alle, auch alle
                                                ausländischen Gäste und                              Zu den Erstunterzeichnern dieses Aufrufes
                                                Mitbürger zum gemein-                                zur gemeinsamen Erinnerung an den Ers-
                                                samen Mahl geladen ...                               ten Weltkrieg zählt auch Markus Meckel.

                                              Erstunterzeichner: Geneviève Ancel, Dialogues en Humanité, Lyon; Minister a.D. Louis Besson, Cham-
                                              béry; Claude Bouveresse, Vorstand Chor Vocalam, Chambéry; Anne-Marie Chapsal, Vorstand Chor
                                              Ensemble2021, St.-Alban-Leysse; Cyrille Colombier, Chorleiter, Novalaise; Etienne François, Historiker,
                                              und Beate François, Berlin; Louis Join-Lambert und Mascha Join-Lambert, Initiatorin VoCE 2014-2018;
                                              Markus Meckel, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Berlin; Richard Pétris,
                                              Ecole de la Paix, Grenoble; Patrick Viveret, Philosoph, Paris.

                                                                                                                             1/2014                     9
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Grenzenlos

     Leben und Tod in Nazareth
     Arzt betreut deutsche Kriegsgräberstätte in Israel                                                                                    Dr. Norbert Schwake

     N
               azareth. Dieser Name besitzt ei-           Völkerverständigung: Der heute 74-jäh-               www.volksbund.de unter der Rubrik
               ne große Bedeutung weit über               rige Theologe und Mediziner wurde 1939               Kriegsgräberstätten Auskunft: Bereits
               die Grenzen Israels hinaus. Hier           in Emmerich am Rhein geboren. Seit Jahr-             während des Ersten Weltkrieges waren
     wuchs Jesus auf. Hier begann sein Le-                zehnten lebt er in Israel. Er ist mit einer          neben dem Hospital „Zur Heiligen Fami-
     bens- und Leidensweg – Ausgangspunkt                 Araberin verheiratet, seinen Kindern gab             lie“ (Holy Family Hospital) der österrei-
     einer neuen Weltreligion. Dass in Naza-              er hebräische Vornamen. Als Militärarzt              chischen Barmherzigen Brüder, das da-
     reth aber auch deutsche Kriegstote des               leistete Schwake seinen Dienst in der isra-          mals als „Kaiserlich Deutsches Feldlaza-
     Ersten Weltkrieges begraben wurden, ist              elischen Armee ab. Weltoffenheit und ein             rett 213“ diente, ursprünglich 51 deutsche
     dagegen weitgehend unbekannt. Wer wa-                großes Verantwortungsbewusstsein ge-                 Soldaten bestattet worden. Weitere deut-
     ren diese Soldaten – und wer kümmert                 genüber den Mitmenschen zeichnen ihn                 sche Gefallene lagen über das ganze Land
     sich heute um ihre Gräber an diesem hei-             aus. So ist es auch bei seinem Engagement            verstreut in kleinen Friedhöfen oder Ein-
     ligen Ort? Antworten auf diese Fragen                für die deutsche Kriegsgräberstätte von              zelgräbern. Die britische Mandatsregie-
     gibt der pensionierte Arzt und ehemalige             Nazareth. Die betreut er im Auftrag des              rung einigte sich schließlich mit dem
     katholische Priester Dr. Norbert Schwake.            Volksbundes schon seit dem Jahr 2002.                deutschen Generalkonsul, in Nazareth
                                                                                                               einen zentralen deutschen Soldatenfried-
        Eigentlich ist Norbert Schwake an sich              Über ihre Entstehungsgeschichte gibt               hof zu errichten. Der Volksbund über-
     schon ein interessantes Beispiel für gelebte         auch die Internetseite des Volksbundes               nahm die Kosten – und am 30. Juni 1935

     Die deutsche Kriegsgräberstätte in Nazareth/Israel ist nicht nur des Namens wegen bemerkenswert. Hier gibt es etwa 250 deutsche Gräber sowie Namentafeln
     mit 250 weiteren Namen. Viele Schicksale sind durch die Arbeit von Dr. Norbert Schwake bekannt.          Fotos: Volksbund-Archiv (2), Dr. Norbert Schwake (4)

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Grenzenlos

wurde der Friedhof für die insgesamt et-
wa 250 deutschen Kriegstoten unweit des
Holy Family Hospitals in Nazareth offi-
ziell als Kriegsgräberstätte eingeweiht.

Das verschlossene Tor

   Seither ist viel Zeit vergangen. Das
Hospital der Barmherzigen Brüder und
die angrenzende Kriegsgräberstätte gibt
es aber noch heute. Dr. Norbert Schwake
entdeckte diesen Ort bereits 1961 für sich,
kam dann aber erst ein Vierteljahrhundert
später wieder zurück – diesmal als Chef-
arzt der geriatrischen Station. Die für die
meisten Menschen unbekannte deutsche
Kriegsgräberstätte von Nazareth lag di-
rekt vor dem Fenster seines damaligen Ar-
beitszimmers.

   Mit dem alltäglichen Blick auf die un-
gewöhnliche Kulisse wuchs auch sein In-
teresse. Daraus ist inzwischen sogar ein
ganzes Buch entstanden. Unter dem Titel
„Deutsche Soldatengräber in Israel“ be-
schreibt Schwake auch, warum dieser Ort
sogar bei den Einwohnern von Nazareth
so wenig im Blickpunkt steht: „Durch ein
stets verschlossenes Tor gelangt man erst
auf den Friedhof der Hospital-Brüder,
von dort zu einer von einem Baum ver-
steckten, engen Treppe, die zur Terrasse
des Soldatenfriedhofs führt. Wer von hier
aus nicht weiter sucht, findet den eigent-
lichen Friedhof nicht, denn man muss erst
noch die Terrasse durchschreiten und dann
hinter einer offenen Halle eine weitere
Treppe hochsteigen, um ihn zu finden.“

Aus der Anonymität holen
                                              Etwas verwunschen sieht sie schon aus, die Eingangspforte zum ehemaligen Lazarettfriedhof. Dahinter
   Neben den Schwierigkeiten der örtli-       finden sich eine Terrasse sowie die Kriegsgräberstätte aus dem Ersten Weltkrieg.
chen Begehung ergaben sich bei der histo-
rischen Beschäftigung mit dem Bauwerk
und seiner historischen Bedeutung weite-      München. Heute kann er wohl am besten              Der Koffer auf dem Dachboden
re Hindernisse. Die in Spandau gelager-       über das Schicksal der Soldaten Auskunft
ten Unterlagen zu den hier Bestatteten        geben, von denen womöglich nicht ein-                 Ein Beispiel für die erfolgreiche Spu-
wurden bei einem Bombenangriff im             mal die noch heute lebenden Nachkom-               rensuche ist die Schicksalsklärung des
Frühjahr 1945 fast völlig vernichtet. „Ich    men etwas Genaues wissen. Unter ihnen              Gefreiten Karl Feldbrügge vom Kraftwa-
musste also indirekte Unterlagen suchen       fanden sich übrigens, wie auch sonst in            gen-Park 505 und des Leutnants Friedrich
und sammeln“, sagt Norbert Schwake.           der kaiserlichen Armee üblich, viele Ka-           Schütze, Führer des Kraftwagen-Parks
                                              meraden jüdischen Glaubens. „Die Neu-              504. Auch deren Unterlagen waren bei der
   Diese fand er im israelischen Staatsar-    gier war jetzt nicht mehr aufzuhalten.             Bombardierung Berlins vernichtet wor-
chiv Ginzach Hamedinah in Jerusalem, in       Mein Ziel war es, jeden Einzelnen der in           den. In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli
seltenen Sachbüchern zum Thema, im Ar-        Israel begrabenen Soldaten aus seiner              um 23.30 Uhr verunglückten die beiden
chiv des Auswärtigen Amtes sowie im           Anonymität zu holen“, heißt es dazu in             mit ihrem Auto tödlich, als sie an der Nord-
Kriegsarchiv der Bayerischen Armee in         seinem Buch.                                       ostecke der Stadtmauer von Jerusalem

                                                                                                                         1/2014                     11
Grenzenlos

                                                                                                              In Vergessenheit geraten

                                                                                                                 Etwa 250 dieser deutschen Toten des
                                                                                                              Ersten Weltkrieges sind heute in Nazareth
                                                                                                              begraben. Dort wird zudem auf Gedenk-
                                                                                                              tafeln an weitere 250 deutsche und öster-
                                                                                                              reichische Kriegsopfer erinnert, deren
                                                                                                              Gräber sich beispielsweise auf britischen
                                                                                                              Kriegsgräberstätten befinden oder bis
                                                                                                              heute unbekannt sind. Dennoch weist die
                                                                                                              relativ geringe Sterblichkeitsrate darauf
                                                                                                              hin, dass die Palästina-Front nicht annä-
                                                                                                              hernd im gleichen Maße vom industriel-
                                                                                                              len Töten wie auf den Schlachtfeldern Eu-
                                                                                                              ropas betroffen war.

                                                                                                                 Umso mehr drohten die vergleichswei-
                                                                                                              se wenigen Gräber der deutschen Kriegs-
                                                                                                              toten im heutigen Israel in der öffentli-
                                                                                                              chen Wahrnehmung in Vergessenheit zu
                                                                                                              geraten. Dagegen arbeitet Norbert Schwa-
                                                                                                              ke. Jahrelang recherchiert er, reist durchs
                                                                                                              Land, um Grablagen und genaue Todes-
                                                                                                              umstände zu ermitteln. Sein Ziel ist es,
                                                                                                              auch die deutschen Kriegstoten des Ers-
                                                                                                              ten Weltkrieges im heutigen Israel wieder
                                                                                                              ins Bewusstsein der allgemeinen Gedenk-
                                                                                                              und Erinnerungskultur zu rücken. Es ist
     Dr. Norbert Schwake beim Volkstrauertag auf der Kriegsgräberstätte Nazareth: Das Foto zeigt ihn zusam-   ihm gelungen. Es ist ihm auch gelungen,
     men mit dem türkischen Militärattaché und seiner Tochter.
                                                                                                              das israelische Publikum für diesen Fried-
                                                                                                              hof zu gewinnen. Er ist eine nostalgische
     aus der Kurve flogen. Es gibt sogar ein             graf und nahm ein komplettes Fotolabor               Erinnerung an jene Zeit, in der sich die
     Foto von der Unglücksstelle und dem Au-             mit an die Front. Seine Bilder zeigen das            deutschen Juden voll und ganz mit ihrer
     towrack. Oberleutnant Bindernagel über-             alltägliche Leben der Soldaten, Sehens-              deutschen Heimat identifizierten. Heute
     lebte mit einem Schädelbruch. Er stammte            würdigkeiten, Einheimische – und auch                nimmt auch ein israelischer Feldrabbiner
     aus Alexandrien, wo sein Vater mit Baum-            Bilder von militärischen Bestattungen.               am Volkstrauertag auf dem Friedhof teil.
     wollhandel ein reicher Mann geworden
     war. Die Villa Bindernagel kann dort noch           Vorstoß zum Suez-Kanal                               Entschuldigung bei den Kameraden
     heute bewundert werden.
                                                            Doch wie kamen des Kaisers Soldaten                  Doch warum macht Norbert Schwake
        In den Kirchenbüchern der Franziska-             überhaupt ins Gelobte Land? Und allein               das? Was treibt ihn an? Vielleicht ist es
     ner von Jerusalem, im „Todtenregister“              die Formulierung dieser Frage klingt be-             gerade die sehr persönliche Erfahrung im
     der evangelischen Erlöserkirche (heute im           reits ungewöhnlich genug. Die Antwort                Umgang mit den Besuchern und Ange-
     Evangelischen Zentralarchiv in Berlin) so-          darauf ist dennoch relativ einfach: Deut-            hörigen auf der wohl bemerkenswerten
     wie später in den Krankenbüchern der                sche Soldaten kämpften im Ersten Welt-               Kriegsgräberstätte des Ersten Weltkrie-
     Lazarette an der Palästinafront fand Dr.            krieg nicht nur in Europa, sondern auch              ges, die ihn zu diesem Engagement be-
     Schwake dann weitere Informationen, die             auf nahezu allen anderen Kontinenten –               wegt. Vielleicht spielt auch das familiäre
     ihn auch zu den noch lebenden Angehöri-             so auch im Nahen Osten. Dort trafen sie              Unfeld eine gewichtige Rolle: „Als ich die-
     gen des Gefreiten Feldbrügge in Havix-              ab Januar 1915 an der Seite verbündeter              sen Friedhof einmal zusammen mit mei-
     beck bei Münster führten.                           osmanischer Truppen auf britische Ver-               nem damals 94-jährigen Vater besuchte
                                                         bände. Nach dem gescheiterten Vorstoß                und das Gesicht meines Vaters sah, ent-
        Auf dem Dachboden in Havixbeck lag               auf den Suez-Kanal traten die deutsch-               stand meine Sympathie für den Friedhof.
     ein Koffer mit interessanten Fotos aus je-          türkischen Truppen in der Folge einen                Vater hatte sich im Ersten Weltkrieg noch
     ner Zeit in Palästina. Karl Feldbrügge,             kontinuierlichen Rückzug an. Bis 1918                freiwillig gemeldet, um für Kaiser und
     Sohn eines einfachen westfälischen Hand-            gab es insgesamt 16 000 deutsche Solda-              Reich zu kämpfen. Jetzt begrüßte er seine
     werkers, hatte seinen Führerschein in Lon-          ten in Palästina, von denen weit über                alten Kameraden wie einer, der sich ent-
     don gemacht. Er war auch Amateur-Foto-              1 000 nicht in ihre Heimat zurückkehrten.            schuldigte, dass er lebte.“

12                   1/2014
Grenzenlos

   Solche Worte lassen einen fast verstum-
men: „Entschuldigung, dass ich noch le-
be.“ Dieser Gedanke ist irrational und
unerträglich. Wer sich aber jemals mit den
wenigen Zeitzeugen des Zweiten Welt-
krieges auf einer deutschen oder anderen
Kriegsgräberstätten unterhält, begegnet
diesem Phänomen nicht selten. Es ist die
wohl unbewusste Scham der Überleben-
den gegenüber ihren verstorbenen und
unvergessenen Kameraden. Ähnlich ist es
mit der folgenden wahren Geschichte aus
dem engsten Umfeld von Norbert Schwa-
ke: „Mein Vater hatte eine Schwester, die
das Gelübde abgelegt hatte, ins Kloster zu
gehen, wenn ihre beiden Brüder lebendig
aus dem Krieg zurückkämen. Sie hat ihr
Gelübde gehalten.“

  Dr. Norbert Schwake versteht Gelübde
etwas anders als seine Tante. Aber als
überzeugter Christ weiß er, dass sich die
Achtung vor dem Leben in der Achtung
vor den Toten zeigt.

                               Maurice Bonkat

Arbeit und Informationsbesuche: Neben der Betreuung von Besuchergruppen wie dem Club der israelischen Zivil-Piloten arbeitet Dr. Norbert Schwake (Foto
unten, Mitte mit Wimpel) auch mit freiwilligen Helfern des deutschen Militärattaché-Stabes in Tel Aviv auf der Kriegsgräberstätte (oben).

                                                                                                                              1/2014                     13
Grenzenlos

     Die Erinnerung lebt
     Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages

     D
              ie Freude war riesig – und kam                                                            eine sehr bunte und internationale Ju-
              überraschend. Ohne große Vor-                                                             gendgruppe – und genau das machte den
             warnung teilte mir mein Chef mit,                                                          Reiz dieser Begegnung aus. Viele ver-
     dass ich an der 18. Internationalen Ju-                                                            schiedene Perspektiven und Blickwinkel
     gendbegegnung des Deutschen Bundes-                                                                auf die Geschichte der Blockade kamen so
     tages in Berlin und St. Petersburg teilneh-                                                        zusammen.
     men solle. Dort würde ich, Leo Hinz, als
     Vertreter des Volksbundes mit 80 Jugend-                                                              Besonders die Podiumsdiskussionen
     lichen aus vielen Ländern Europas zu-                                                              mit anerkannten russischen Historikern,
     sammentreffen. Mein Chef ist übrigens                                                              Museumsdirektoren und Überlebenden
     Dr. Nils Köhler von der Jugendbegeg-                                                               der Blockade waren sehr beeindruckend.
     nungs- und Bildungsstätte (JBS) am Golm.                                                           Durch Zeitzeugen, Dokumentationen und
     Dort leiste ich derzeit mein Freiwilliges                                                          Vorträge wurde das unsagbare Leid der
     Soziales Jahr ab. Wir organisieren deutsch-                                                        Leningrader Zivilbevölkerung im Winter
     polnische Jugendbegegnungen, betreiben                                                             1941/42 deutlich. Die Menschen versuch-
     Erwachsenenbildung und bieten friedens-                                                            ten damals, bei Temperaturen von bis zu
     pädagogische Themenmodule an. Was ich           Laura-Sophie Neubauer und Leo Hinz nehmen an       Minus 40 Grad ohne Heizung und ausrei-
     aber in Berlin und St. Petersburg gemein-       der Begegnung des Bundestages teil. Foto: privat   chende Verpflegung zu überleben.
     sam mit Laura-Sophie Neubauer erlebte,
     war mindestens genauso spannend:                                                                   Kinderschlitten mit Leichen
                                                     len Stadt mit den vielen Palästen, Kathe-
        Anlass der internationalen Jugendbe-         dralen und Brücken. St. Petersburg nann-              Es war das Resultat einer geplanten
     gegnung vom 21. bis 27. Januar in St. Pe-       ten sie das „Venedig des Nordens“. Doch            Hungerpolitik, die einer Million Leningra-
     tersburg und Berlin war das Ende der Le-        die Stadt schaut auch auf eine schwere             der das Leben kostete: Zuletzt gab es nur
     ningrader Blockade vor 70 Jahren. Zu-           Vergangenheit zurück. Die grausame Blo-            noch 125 Gramm Brot als Tagesration für
     gleich ist der 27. Januar auch der offizielle   ckade von Leningrad im Zweiten Welt-               die Zivilbevölkerung im eingeschlossenen
     Gedenktag an alle Opfer des Nationalso-         krieg war daher auch das Thema der in-             Leningrad. Der Tod wurde in der Stadt
     zialismus. An beides erinnerte eine Ge-         haltlichen Einführung durch Dr. Jochen             zum Alltag. Besonders getroffen hat mich
     denkstunde im Deutschen Bundestag, an           Guckes im Berliner Paul-Löbe-Haus.                 der Umstand, dass die Kinderschlitten im
     der auch ich teilgenommen habe.                                                                    Winter statt zum Spielen zum Abtrans-
                                                        Für die Jugendbegegnung 2014 hatte              port der Leichen benutzt wurden, da es
        Am 21. Januar war es so weit: Ich fuhr       der Deutsche Bundestag eine besondere              sonst keine anderen Transportmittel gab.
     mit dem Zug von Ahlbeck nach Berlin, um         Auswahl von jungen Erwachsenen getrof-             Diese oftmals sehr emotionalen Vorträge,
     mich dort mit den anderen 80 Jugendlichen       fen. Es handelte sich um Jugendliche, die          Schilderungen und Bilder machten uns
     zu treffen. Während der Zugfahrt ging mir       sich als Multiplikatoren in Organisatio-           allen sehr zu schaffen. Mitleid mit den
     bereits einiges durch den Kopf: Was für         nen, in Projekten und Gedenkstätten zur            eingeschlossenen Leningradern, Unver-
     Jugendliche werde ich dort kennen lernen?       Geschichte des Nationalsozialismus so-             ständnis, Fassungslosigkeit und – ja auch
     Aus welchen Ländern werden sie wohl             wie gegen Rassismus engagieren. Es war             Wut machte sich nicht nur bei mir breit.
     kommen? Wie ist St. Petersburg – und wie        eine harmonische, wissbegierige und vor            Umso stärker wuchs der Zusammenhalt
     die aktuelle Situation in Russland?             allem freundschaftliche Gruppe. Die ins-           innerhalb der Jugendgruppe. Ich spürte,
                                                     gesamt 80 jungen Teilnehmer kamen aus              wie gut mir die Gespräche mit den ande-
     Jugendarbeit am Golm                            Deutschland, Polen, Russland, den USA,             ren Jugendlichen taten.
                                                     Weißrussland, der Ukraine, Frankreich,
        Doch dann war alles völlig unkompli-         Israel und der Tschechischen Republik.             Gemeinsam erinnern
     ziert und sehr herzlich. Schnell kam ich        Wir flogen dann gemeinsam mit unter-
     ins Gespräch mit zwei netten St. Peters-        schiedlichsten Erwartungen und Vorstel-              Weitere Themen der Begegnung waren
     burgerinnen. Dabei gaben sie mir einen          lungen am 22. Januar 2014 nach St. Peters-         der Judenmord im Umland Leningrads,
     ersten Vorgeschmack von der prunkvol-           burg, dem früheren Leningrad. Es war               das Schicksal sowjetischer Kriegsgefange-

14                  1/2014
Grenzenlos

ner und Zwangsarbeiter, der Stalinismus             dem gewaltigen Ausmaß der Massengrä-                Polen über die Stadt Krakau, mit einer
im belagerten Leningrad, die deutsch-rus-           ber ergriffen. Dort sind 520 000 Opfer der          Weißrussin über die Uni in Minsk und mit
sischen Beziehungen sowie unterschiedli-            Blockade beerdigt. Unfassbar! Die Stille            einem Israeli über jüdische Traditionen
che Gedenk- und Erinnerungskulturen in              und Kälte an diesem Tag, begleitet von              und Lebensweisen. All diese Gespräche
Russland und Deutschland. In den Podi-              dem knirschenden Schnee unter den                   waren hochinteressant und halfen dabei,
umsdiskussionen wurde dabei deutlich,               Schuhen, ließen die Erinnerungen an das             sich einander besser kennen zu lernen und
dass die russischen Gesprächspartner den            Schicksal, der an durch Kälte und Hunger            zu verstehen. Ich erhielt sogar eine Einla-
Austausch mit Jugendlichen sehr begrüß-             Ermordeten lebendig werden. Es lässt                dung für einen Besuch im Sommer nach
ten: Gemeinsam zurückerinnern, gemein-              sich schwer beschreiben, aber an diesem             St. Petersburg.
sam die Erinnerung lebendig halten, da-             leidvollen Ort, voller Schmerz und Trau-
mit sich so etwas nie mehr wiederholt –             er, bekommt das Wort „Frieden“ eine gan-            Zu Gast im Bundestag
so hätte man diese Veranstaltung auch               ze andere Dimension. Ich spürte den
überschreiben können                                Wunsch, dass zukünftig aus Feinden                     Dann nahmen wir Abschied von der
                                                    Freunde werden, die sich die Hand rei-              schönen Stadt mit der dunklen Geschich-
   Besichtigt haben wir zudem Orte der              chen für ein friedlicheres und freund-              te. Nach Deutschland zurückgekehrt, be-
Erinnerung und des Gedenkens, wie                   schaftlicheres Miteinander der Menschen             grüßte Bundestagspräsident Norbert Lam-
Friedhöfe und Gedenkstätten, so zum Bei-            und Nationen, wo Hass und Rassismus                 mert den Gedenkredner und Blockade-
spiel den „Moskauer Siegespark“ und das             keinen Platz mehr haben, damit solch eine           Überlebenden Daniil Granin sowie uns
„Denkmal der heldenhaften Verteidiger               Tragödie nicht mehr stattfindet. Den Pis-           Jugendliche zur Gedenkstunde des Deut-
Leningrads“ in St. Petersburg. Es war da-           karjowskoje-Gedenkfriedhof zu begehen               schen Bundestages am 27. Januar anläss-
bei besonders interessant, dass in Russ-            und eine Rose niederzulegen – das war               lich des 70. Jahrestags der Befreiung Le-
land eine vollkommen andere Gedenk-                 mit Abstand mein emotionalstes Erlebnis             ningrads. Zugleich dient dieser Tag dem
und Erinnerungskultur vorherrscht. Denn             der ganzen Reise.                                   Gedenken an die Opfer des Nationalsozia-
in Russland wird überwiegend der Hel-                                                                   lismus insgesamt. Dabei saßen wir Ju-
den der Verteidigung des Vaterlandes und               Ohnehin war die Begegnung geprägt                gendlichen direkt neben den Abgeordne-
weniger der Opfer gedacht, was sich un-             durch ihre herzliche und offene Atmos-              ten im Plenarsaal. Im Anschluss an die
ter anderem an den russischen Denkmä-               phäre. Nichts war zu spüren von Abnei-              Diskussion mit dem Gedenkredner wurde
lern festmachen ließ.                               gungen und Vorurteilen, im Gegenteil:               ich vom ZDF interviewt. Zu meiner gro-
                                                    die Internationalität dieser Jugendbegeg-           ßen Überraschung wurde mein kurzes
Stille und Kälte                                    nung ließ die Neugier sogar noch wach-              Statement dann auch tatsächlich in den
                                                    sen. So unterhielt ich mich mit einer Ukra-         Nachrichten gesendet!
  Beim Besuch des Piskarjowskoje-Ge-                inerin und einer Russin frei über deren
denkfriedhofes war ich besonders von                aktuelle politische Situation, mit einem            Schuld und Verantwortung

                                                                                                           Besonders gut in Erinnerung sind mir
Berlin und der Deutsche Bundestag (hier die Kuppel des Reichstagsgebäudes) sowie St. Petersburg waren   die Gedenkstätten, die imposante Stadt,
Schauplätze der internationalen Jugendbegegnung anlässlich des 27. Januars.      Foto: Maurice Bonkat
                                                                                                        die interessanten Menschen und Gesprä-
                                                                                                        che sowie die Worte des Bundestagsprä-
                                                                                                        sidenten geblieben: „Aus Schuld ist heute
                                                                                                        Verantwortung geworden. Deutschland
                                                                                                        kann aus seiner Geschichte nicht ausstei-
                                                                                                        gen. Dennoch müssen die Erinnerungen
                                                                                                        an die Blockade und den Krieg lebendig
                                                                                                        gehalten werden“.

                                                                                                           Natürlich hatte ich mich vorbereitet
                                                                                                        auf dieses besondere Erlebnis. Dennoch
                                                                                                        bin ich noch immer tief bewegt von den
                                                                                                        Eindrücken des Besuches in St. Peters-
                                                                                                        burg und Berlin. So möchte ich mich bei
                                                                                                        allen Beteiligten ganz herzlich für dieses
                                                                                                        einmalige Erlebnis bedanken! Inzwischen
                                                                                                        habe ich mich auch entschlossen, meine
                                                                                                        Freiwilligenzeit beim Volksbund um wei-
                                                                                                        tere zwei weitere Monate zu verlängern.

                                                                                                                                          Leo Hinz

                                                                                                                             1/2014                   15
Workcamps

     Heiß auf den Sommer!
     Treffen der Workcamp-Leiter/innen in Lommel

     D
              er Volksbund hat großes Glück –          Sommer und in Lommel bereiten sich ihre            gemütlicher Runde werden Erinnerungen
              besonders mit den Menschen, die          Workcampleiter darauf vor, mit ihnen in            an vergangene und Erwartungen an kom-
             sich ehrenamtlich in seiner Frie-         die Welt hinauszuziehen.                           mende Workcamps ausgetauscht.
     densarbeit engagieren. Ein gutes Beispiel
     hierfür sind die Workcamp-Leiter. Sie tref-       Ein echter Schatz                                  Auf zu neuen Freunden
     fen sich Anfang März in der volksbund-
     eigenen Jugendbegegnungs- und Bil-                   Das Engagement der Workcamp-Leiter                  „Was ich beim Volksbund erlebt habe,
     dungsstätte im belgischen Lommel. Es ist          im Alter zwischen 20 und 60 Jahren ist             ist wirklich etwas ganz Besonderes – ganz
     Frühling und sie planen den Sommer.               ehrenamtlich – und zugleich unbezahlbar.           klar“, sagt etwa Thies Mielke aus Schles-
     Denn Jahr für Jahr sorgen sie gemeinsam           Sie sind ein echter Schatz für die interna-        wig. Auf den ersten Blick ist der 23-Jähri-
     mit den Jugendreferenten aus ihren Lan-           tionale Friedensarbeit des Volksbundes.            ge eher ein ruhiger und zurückhaltender
     desverbänden dafür, dass etwa 60 Work-            Wer sich abends nach zahlreichen Ge-               Typ. Doch angesprochen auf seine per-
     camps in vielen Ländern Europas stattfin-         sprächsrunden, Vorträgen und Seminaren             sönlichen Workcamp-Erfahrungen wird
     den können. Viele Jugendliche sind schon          zu ihnen setzt, merkt schnell, wie wichtig         sein großer Enthusiasmus sofort spürbar.
     jetzt „ganz heiß“ auf diesen Workcamp-            ihnen dieses Ehrenamt tatsächlich ist. In          So erzählt er voller Begeisterung, was so

     Sie sind Herz und Seele der Volksbund-Workcamps: Wie jeden Sommer reisen die Workcamp-Leiter mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in ferne Länder,
     pflegen Kriegsgräber, lernen Land und Leute kennen und beschäftigen sich zudem mit politisch-historischen Themen.              Fotos: Maurice Bonkat

16                   1/2014
Workcamps

                                                                                                      mäßig bundesweit stattfindende – Treffen
                                                                                                      zu weit mehr als dem bloßen Erfahrungs-
                                                                                                      austausch. Das Programm, das Jugend-
                                                                                                      und Bildungsreferent Jörg Schgalin vom
                                                                                                      Landesverband Niedersachen und sein
                                                                                                      Kollege Gunnar Zamzow vom Referat Ju-
                                                                                                      gendarbeit in der Bundesgeschäftsstelle
                                                                                                      zusammengestellt haben, ist immens: Ne-
                                                                                                      ben dem Austausch über allgemeine Or-
                                                                                                      ganisation und konkrete Probleme beim
                                                                                                      Ablauf der Workcamps, werden gleich
                                                                                                      drei verschiedene Arbeitsgruppen zu den
                                                                                                      Themen Pressearbeit, Team-Buildung so-
Wichtige Eindrücke sammeln Workcamp-Leiter ebenso wie ihre Teilnehmer häufig in stillen Momenten
                                                                                                      wie zur Erstellung und pädagogischen
auf der Kriegsgräberstätte. Wer sich Zeit nimmt, wird hier vieles zum Nachdenken entdecken.
                                                                                                      Einbindung von Einzelbiografien angebo-
                                                                                                      ten. Im Zentrum des Seminars steht damit
viele Jugendliche berichten, wenn sie aus        des Volksbundes schon seit ihrer Grün-               also auch eine kritische Reflexion der pä-
den Workcamps des Volksbundes wieder             dung. Bis heute wären viele Workcamps                dagogischen Möglichkeiten für historisch-
in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren:            in der Praxis kaum möglich, wenn nicht               politische Bildungsarbeit auf Kriegsgrä-
„Es war wirklich toll, sich mit Jugendli-        Personal der Bundeswehr in der Küche                 berstätten insgesamt.
chen aus anderen Ländern zu treffen. Ich         stünde oder den Bus mit den Jugendli-
hätte nie gedacht, wie viel wir in unserem       chen durch eines der 45 Länder mit deut-                Zusätzlich werden auch aktuelle und
alltäglichen Leben gemeinsam haben und           schen Kriegsgräberstätten führen.                    ganz konkrete Probleme diskutiert. So
wie schnell sich in so einem Workcamp                                                                 musste Henrik Hug vom Landesverband
echte Freundschaften entwickeln kön-             Da steckt viel Arbeit drin                           Thüringen aufgrund der aktuellen politi-
nen.“ Thies weiß, wovon er spricht. Seit                                                              schen Entwicklung das lange geplante
er als Jugendlicher zum ersten Mal mit             Allerdings ist dies nicht die einzige              und von den internationalen Teilnehmern
dem Volksbund ins Workcamp nach Toila            Voraussetzung für ein funktionierendes               heiß ersehnte Workcamp auf der Krim ab-
in Estland fuhr, lassen ihn Land und Leu-        Workcamp. Da steckt neben all der Freu-              sagen. In diesem Zusammenhang stellte
te gedanklich nicht mehr los. So hat er          de auch viel Arbeit drin. Die Jugendrefe-            sich auch die schwierige Frage, wie genau
seither kein Workcamp des Volksbundes            renten, die ehrenamtlichen Workcamp-                 dieses Thema in den mit Jugendlichen aus
in Toila versäumt. Und als das Camp in           Leiter und ihre jungen Teamer wissen                 diesen Ländern besetzten Workcamps be-
einem Jahr ausfallen musste, machte er           das. Und so dient das – seit 2003 regel-             sprochen werden kann.
sich kurzerhand mit dem eigenem Auto
auf, um die neuen Freunde im fernen Est-
                                                 Volles Programm: Organisatorisches, Pressearbeit, Team-Buildung, Einzelbiografien ... in den verschiede-
land zu besuchen. Inzwischen ist er selbst
                                                 nen Arbeitsgruppen und Seminaren gibt es viel zu besprechen.
der Leiter dieses Workcamps. Die guten,
die herzlichen Erfahrungen, die er dort
gesammelt hat, gibt er nun an andere Ju-
gendliche und junge Erwachsene weiter.

    Eine ähnliche Vita haben auch die mei-
sten anderen Mitstreiter des Workcamp-
Leiter-Treffens in Lommel: Vom Teilneh-
mer zum Teamer zum Leiter – diesen Weg
gingen viele der heutigen Verantwortli-
chen. Doch es gibt auch Ausnahmen. So
ist Bodo Henze aus Tangermünde mit sei-
nen 60 Lenzen der Erfahrenste und ganz
nebenbei auch noch fast so alt wie die Ju-
gendarbeit des Volksbundes selbst, die
1953 hier in Lommel ihren Anfang nahm.
Doch Bodo Henze kam auf anderem We-
ge zur Jugendarbeit des Volksbundes –
nämlich über die Bundeswehr, für die er
jahrzehntelang gearbeitet hatte. Die Bun-
deswehr unterstützt die Friedensarbeit

                                                                                                                               1/2014                       17
Workcamps

        Doch zunächst beginnt das Seminar-               nen gesellschaftlichen Entwicklungen,
     wochenende für die Workcamp-Leiter mit              wie etwa der Verkürzung der Schulzeit
     einem geführten Rundgang über die be-               und gleichzeitiger Einführung von zeit-
     nachbarte Kriegsgräberstätte. „Dies ist             lich gestrafften Bachelor/Master-Studi-
     das Konzept der Jugendbegegnungs- und               engängen. Dies verknappe die verfügba-
     Bildungsstätten des Volksbundes“, sagt              re Zeit junger Menschen zusehends. Häu-
     JBS-Leiterin Myriam Koonings: „Die Aus-             fig würde dann notgedrungen auf Freizeit-
     einandersetzung mit dem Thema Krieg                 aktivitäten oder eben das Ehrenamt ver-
     soll direkt am authentischen Ort der Ge-            zichtet. Zudem habe die Attraktivität ost-
     schichte, also auf der Kriegsgräberstätte           europäischer Reiseziele nach dem Boom
     stattfinden. Dort werden die Besucher mit           in den 1990er-Jahren wieder stark abge-
     konkreten Einzelbiografien der dort be-             nommen. Gerade hier habe der Volks-
     statteten Kriegstoten konfrontiert.“                bund aber einen inhaltlich begründeten
                                                         regionalen Schwerpunkt seiner Work-
     Herausforderungen                                   camps und Jugendbegegnungen.

        Neben der Finanzierung ist die Gewin-               Es gibt aber auch noch ganz andere
     nung von Teilnehmenden eine der an-                 Gründe für diese Entwicklung. So nimmt       mend wichtiger. So sieht es auch der neue
     spruchsvollsten Aufgaben in der Jugend-             die Zahl der Teilnehmenden an Work-          Volksbundpräsident Markus Meckel.
     arbeit. Dies gilt nicht nur für den Volks-          camps und Jugendbegegnungen auch             Einige der jungen Workcamp-Leiter hatte
     bund, sondern ganz allgemein. „Es gibt              deswegen ab, weil sich die Erwartungen       er zuvor schon beim Jahrestreffen der
     eine Tendenz, dass die Teilnehmenden-               an die Programme der einzelnen Jugend-       hauptamtlichen Jugend-, Bildungs- und
     zahlen in der Jugendarbeit insgesamt et-            begegnungen deutlich verändert haben.        Schulreferent/innen im niederländischen
     was rückläufig sind – und dies hat viele            Die Vorbereitung der Camps im Sinne          Ysselsteyn und während eines Arbeitsge-
     Ursachen“, sagt Gunnar Zamzow. Grün-                einer modernen historisch-politischen Bil-   spräches mit dem Bundesjugendarbeits-
     de hierfür lägen zum Beispiel in allgemei-          dungsarbeit wird immer anspruchsvoller       kreis getroffen und ihnen seine volle Un-
                                                         und zeitintensiver. Außerdem machen die      terstützung zugesagt. Schließlich komme
                                                         verbindlichen Vorgaben öffentlicher Mit-     der Jugendarbeit im Konzept des gemein-
     Die Arbeit mit Einzelbiografien ist ein wichtiger   telgeber eine regelmäßige Überarbeitung      samen europäischen Gedenkens eine tra-
     pädagogischer Ansatz der JBS Lommel.
                                                         der Programmprofile nötig und geben          gende Rolle zu.
                                                         verbindliche Teilnehmendenzahlen und
                                                         Betreuungsschlüssel vor. All diese Um-       Große Neugierde geweckt
                                                         stände sorgen für eine nachhaltige Ver-
                                                         besserung der Workcamps und machen              Diese Unterstützung ist wichtig und
                                                         die Angebote der Jugendarbeit attrakti-      tut gut. Zu der abendlichen und vom La-
                                                         ver, erhöhen aber auch die Kosten und        gerfeuerschein erhellten Runde im Hof
                                                         führen – als Konsequenz aus den pädago-      der JBS Lommel gesellt sich nun auch Ro-
                                                         gischen Vorgaben – letztlich zu weniger      bin Schlesselmann. Er ist der Freund des
                                                         Teilnehmenden.                               eingangs erwähnten jungen Workcamp-
                                                                                                      Leiters Thies Mielke. Die Begeisterung für
                                                         Kritische Fragen                             die Jugendarbeit des Volksbundes, die
                                                                                                      spürbare Freude über das Zusammenle-
                                                            Dies sind allgemeine gesellschaftliche    ben im Camp und die Geschichten über
                                                         Trends. Zugleich versucht der Volksbund      die neuen internationalen Freundschaften
                                                         aber auch, sich mit den eigenen Proble-      haben auch bei ihm für große Neugier
                                                         men der Jugendarbeit zu beschäftigen:        gesorgt. So kam er zum Volksbund. Und
                                                         Wie hoch ist unser Bekanntheitsgrad? Wie     nachdem er in der Vergangenheit zu-
                                                         kommt unser pädagogisches Programm           nächst nur als Teilnehmer bei einem die-
                                                         bei den Jugendlichen an – und ist unsere     ser Workcamps teilgenommen hatte, wird
                                                         Friedensarbeit in dieser Form überhaupt      er in diesem Sommer als Teamer in die
                                                         noch zeitgemäß? Es sind kritische, aber      Ferne reisen. Die Verantwortung wächst
                                                         eben auch entscheidende Fragen für die       also – und mit ihr vielleicht auch ein künf-
                                                         Zukunft der Jugendarbeit im Volksbund,       tiger Workcamp-Leiter? Wer weiß – Feuer
                                                         die in Lommel gestellt werden. Denn das      und Flamme für die Jugendarbeit ist er
                                                         Thema Jugendarbeit wird für den Volks-       jedenfalls schon heute.
                                                         bund mit dem immer größer werdenden
                                                         Zeitabstand zu den Weltkriegen zuneh-                                    Maurice Bonkat

18                   1/2014
Arbeitsbilanz

                                               Arbeitsbilanz 2013

  Bundeswehr pflegt Gräber in Ungarn            Einweihung Kriegsgräberstätte Duchowschtschina            Volksbund wählt neuen Präsidenten

                                                                       Danke für Ihre Hilfe!
Inhalt

Bau und Pflege                                                                                                                           2-3

Einweihungen und Gedenkveranstaltungen                                                                                                         4

Umbettungen                                                                                                                                    4

Gräbernachweis und Angehörigenbetreuung                                                                                                  5-6

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit                                                                                                        6-7

Volksbund, Bundeswehr und Reservisten                                                                                                          7

Reisen „mit uns“                                                                                                                               8

Jugendarbeit                                                                                                                             8-9

Mitglieder und Spender                                                                                                                        10

Erbschaftsinformation, Stiftung Gedenken und Frieden                                                                                          11

Zahlen und Leistungen 2013                                                                                                                    11

Volksbund im Überblick                                                                                                                        12

               Verantwortlich für den Inhalt: Rainer Ruff, Generalsekretär • Redaktion: Maurice Bonkat • Gestaltung: René Strack
                                              Fotos oben: Maurice Bonkat (2), Uwe Zucchi (Mitte)

                                                                    Arbeitsbilanz 2013 & Ausblick 2014
Arbeitsbilanz

  Bau und P f lege

   Der Volksbund pflegt 832 Kriegsgräber-
stätten des Ersten und Zweiten Weltkrieges
in 45 Staaten sowie mehr als 800 Grabstät-
ten und Denkmale des Deutsch-Französi-
schen Krieges 1870/71. Die Flächen der
deutschen Friedhofsanlagen im Ausland
betragen etwa 770 Hektar. Das entspricht
der Größe von über 1 000 Fußballfeldern.
Für ihre Pflege und Unterhaltung werden
jährlich mehr als zehn Millionen Euro auf-
gewendet.

   Die Mitarbeiter des Gräberdienstes in
Kassel sorgen für den guten Zustand der
Friedhofsanlagen. Neben der Steuerung der
gärtnerischen Pflegearbeiten gehört der
Neubau, die Reparatur und Ergänzung der
vorhandenen Friedhofsgebäude, Wege und
Plätze zu ihren Aufgaben. Die mittlerweile                                                                              (Foto: Maurice Bonkat)

veraltete Gebäudetechnik muss erneuert        So wie bei der internationalen Jugendbegegnung in Kassel erhält der Volksbund bei seinen
und den neuen gesetzlichen Standards          umfangreichen Pflegearbeiten auch Unterstützung durch freiwillige Helfer.
angepasst werden.

   Hierzu wurden im vergangenen Jahr cir-     gen werden überwiegend für den Volks-          Fotowünsche der Angehörigen. Auch der
ca 400 neue Aufträge nach Ausschreibun-       bund kostenpflichtig durch Firmen, kom-        Internet-Ausbau unter www.volksbund.de/
gen an Firmen vergeben und 2 000 Rech-        munale Betriebe, Kirchengemeinden, Ver-        kriegsgräberstätten wurde weiter ausgebaut
nungen geprüft und bezahlt. Die techni-       eine und Privatpersonen erbracht. Unsere       und bietet unseren Förderern zahlreiche
schen Zeichner fertigten etwa 200 Zeich-      Mitarbeiter vor Ort bieten zudem Führun-       und vor allem aktuelle Informationen zu
nungen für die Planung und Durchführung       gen an und erfüllen Grabschmuck- sowie         den Kriegsgräberstätten in 45 Ländern.
der Bauprojekte an.

   Der Neubau der Kriegsgräberstätten in      In 2013 machten sich die Teilnehmer des 9. Förderer-Workcamps vor allem um die Berieselungs-
Osteuropa konnte letztes Jahr mit der Ein-    anlage im italienischen Monte Cassino verdient.
weihung von Duchowschtschina abge-
schlossen werden. Seit 1996 hat der Volks-
bund mehr als 52 Millionen Euro für die In-
standsetzung und den Neubau von Kriegs-
gräberstätten in den ehemaligen Ostblock-
staaten aufgewandt. In den nächsten Jahren
werden wir noch einige neue Friedhöfe in
den neuen Staaten des Balkans errichten.

   140 Volksbundmitarbeiter pflegen vor
Ort 232 Friedhofsanlagen in Eigenpflege
unter ökologischen Gesichtspunkten. Bei
der Pflege der Friedhofsanlagen wird der
Volksbund durch freiwillige Helfer der
Bundeswehr, Reservisten, dem THW und
die jugendlichen Teilnehmer der Work-
camps unterstützt.

   Der Gräberdienst steuert zudem die
Arbeiten auf den 600 durch Firmen ge-
pflegten Kriegsgräberstätten. Die Leistun-                                                                                       (Foto: privat)

                                        Arbeitsbilanz 2013 & Ausblick 2014                                                               AB 2
Arbeitsbilanz

  BAUPROJEKTE 2013                            Mazedonien                                        Mlawka: Nachbeschriftung auf zwei
                                              Prilep: Sanierungsarbeiten an Mauern              Namenstelen mit 510 Namen
  Belarus                                     durch die Bundeswehr                              Joachimow: Ersatz von 19 gestohlenen
  Schatkowo: Beschriftung von Namen-                                                            Namentafeln
  stelen mit 2 330 Namen                      Polen
                                              Bartossen (Bartosze): Neu- und Nach-              Rumänien
  Deutschland                                 beschriftung von 3 640 Namen                      Braila, Brasov, Iasi, Soveja: Bauin-
  Möltenort (bei Kiel): Sanierung und         Neumark (Stare Czarnowo): Neube-                  standsetzung, vor allem Richten von
  Wiederaufstellung der Adler-Skulptur        schriftung auf Stelen in Stare Czarno-            Grabzeichen sowie Gehölzpflege durch
                                              wo mit 845 Namen                                  die freiwilligen Helfer der Bundeswehr
  Frankreich                                  Laurahütte (Siemianowice): Neube-
  Berru: Herstellen eines Pultsteines mit     schriftung auf Stelen in Laurahütte mit           Russische Föderation
  Namenbuch für das Gemeinschaftsgrab         815 Namen                                         Duchowschtschina: Abschluss der
  Champigny-sur-Marne: Beginn der             Danzig (Gdansk): Namenkennzeich-                  Bauarbeiten, Beschriftung von 68 Na-
  Instandsetzungsarbeiten                     nung auf Pultsteinen mit 300 Namen                menstelen mit 16 300 Namen
  Niederbronn: Ersatz von insgesamt                                                             Königsberg (Kaliningrad): Nachbe-
  1 040 Grabzeichen                                                                             schriftung mit 2 900 Namen
  Mont-de-Huisnes: Neue Grabzeichen                                                             Smolensk Nishnaja-Dubrowenka:
  der „Unter den Unbekannten Ruhenden“                                                          Nachbeschriftung mit 110 Namen
  Romagne-sous-Montfaucon: Beginn                                                               Kursk-Besedino: Nachbeschriftung
  der Sanierung nach Sturmschäden                                                               mit 2 700 Namen
  Wicres Route: Neuverlegen Grabplat-                                                           Rossoschka: Ergänzung von 19 Na-
  ten und Erneuerung Gräberfelder                                                               mentafeln mit 1 200 Namen

  Italien                                                                                       Slowakische Republik
  Pordoi: Sanierungsarbeiten Dach, ers-                                                         Čabiny, Huncovce, Prešov, Važec: Bau-
  ter Bauabschnitt erfolgt                                                                      instandsetzung, vor allem Streichen von
                                                                                                Bauteilen und Setzen von Wegeinfas-
  Lettland                                                                                      sungen durch die Bundeswehr
  Riga-Beberbeki: Beschriftung von
  154 Kreuzen                                                                                   Tschechische Republik
  Saldus: Beschriftung von Pultsteinen                                                          Cheb (Eger): Beschriftungen mit 450
  mit insgesamt 1 270 Namen sowie von                                                           Namen sowie Bauinstandsetzung
  63 Kreuzen                                                                                    Brno (Brünn): 1 600 neue Namen

  AUSBLICK 2014                                                                                 gräberstätte in Warschau-Nord soll
                                                                                                umgestaltet werden.
  Frankreich
  Die Arbeiten auf dem Gemeinschafts-                                                           Russische Föderation
  grab der Kriegsgräberstätte Berru sol-                                                        Zentrale Gedenklösungen für Kriegs-
  len mit Hilfe von Bundeswehrangehö-                                                           gefangene sind in Ljublino (Moskau)
  rigen fertig gestellt werden. Auf der                                                         sowie Sebesh vorgesehen. Der Fried-
                                                                       (Foto: Maurice Bonkat)
  Kriegsgräberstätte in Romagne-sous-                                                           hof Rudnitschny wird instand gesetzt.
  Montfaucon wird die grundhafte In-        Im ungarischen Budaörs bohren deutsche und
  standsetzung abgeschlossen. Der Grab-     ungarische Soldaten gemeinsam die Löcher            Namenskennzeichnung
  zeichenersatz auf der Kriegsgräberstät-   für den neuen Wildschutzzaun in den Boden.          Auf folgenden Friedhöfen gibt es Er-
  te in Niederbronn wird ebenfalls fort-                                                        gänzungen der Grabzeichen/Stelen:
  gesetzt. In der zweiten Bauphase sollen     Italien                                           Apscheronsk, Kursk, Rshew, Sebesh,
  hier weitere 1 000 Grabzeichen eben-        Das Dach des Gedenkraumes auf der                 Sologubowka, Klaipeda (Memel),
  falls mit Unterstützung der Bundes-         Kriegsgräberstätte Cassino ist stark re-          Duchowschtschina, Neumark (Stare
  wehr ausgetauscht werden. Zudem wer-        novierungsbedürftig und wird saniert.             Czarnowo), Siemianowice, Poznan,
  den im Jahr 2014 zahlreiche Denkmä-                                                           Jelgava, Daugavpils, Valašské Me-
  ler des Deutsch-Französischen Krieges       Polen                                             ziříčí, Marienbad, Karlsbad, Narva,
  1870/71 instand gesetzt.                    Der Gedenkplatz der deutschen Kriegs-             Potelitsch, Iasi und Chisinau

AB 3                                                           Arbeitsbilanz 2013 & Ausblick 2014
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