Paraplegie - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
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Februar 2013 | Nr. 145 paraplegie Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung Einmal Artistin, immer Künstlerin Silke Pan bleibt ihrer Lebensart auch im Rollstuhl treu 35 Jahre GöV | Männer in die Pflege | Ein Tag mit Peter Hochreutener
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Editorial Liebe Leserinnen und Leser I n der Auseinandersetzung um das zweite Massnahmenpaket der 6. IV-Revision haben die Behindertenorganisationen jüngst eine wichtige Etappe gewonnen. Der Nationalrat stimmte sowohl einem Teilungsantrag als auch einem Vorschlag zum neuen stufenlosen Rentensystem zu. Das bedeutet: die Kürzung der Kinderrenten, die Streichung von Reise- kosten-, Verpflegungskosten- und der Übernachtungskosten-Entschädigungen sowie die Neuregelung des Rentenzugangs werden in eine dritte Vorlage eingebracht. Zudem wird das neue stufenlose Rentensystem haushaltsneutral ausgestaltet. Vor allem gibt es eine ganze Rente weiterhin ab einem Invaliditätsgrad von 70%, und nicht erst ab 80%. Abgelehnt hat der Nationalrat hingegen die von Bundes- und Ständerat beschlossene Schuldenbremse. Man erkannte den «Konstruktionsfehler»: Einmal drin, kommt man nicht mehr raus. Dies hätte zu einem Auseinanderdriften der AHV- und IV-Renten und zur unsinnigen Situation geführt, dass ein IV-Rentenbezüger bei Erreichen des AHV-Alters mehr bekäme als vorher. Die erwähnten Verbesserungen verdanken die Menschen mit einer Behinderung einem erfolgreichen Lobbying ihrer Interessen-Vertreter sowie der Unterstützung von Sozialmi- nister Alain Berset. Er hatte die Splittung der Vorlage im Bundesrat durchgebracht. Hilfreich in der gesamten Debatte waren auch positive Finanzperspektiven. Die IV wird demgemäss auch nach dem Wegfall der Zusatzfinanzierung nie mehr unter Null fallen. Ebenso können die Schulden beim AHV-Fonds bis 2027 vollständig getilgt werden. Die nächste Runde eines langen Kampfes findet im Ständerat statt. Deren Ausgang ist ungewiss. Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung wird sich jedoch weiterhin mit ganzer Kraft für eine vernünftige Lösung einsetzen. Andernfalls bliebe uns nur der Umweg über ein Referendum! Daniel Joggi Präsident Schweizer Paraplegiker-Stiftung IMPRESSUM: Paraplegie. Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, www.paraplegie.ch 37. Jahrgang | Ausgabe: Februar 2013 / Nr. 145 | Erscheinungsweise: vierteljährlich in Deutsch, Französisch und Italie- nisch | Gesamtauflage: 1’042’000 Exemplare | Auflage Deutsch: 926‘000 Exemplare | Copyright: Abdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin und der Redaktion. Herausgeberin: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil, sps@paraplegie.ch | Verant- wortlich: Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Unternehmenskommunikation, 6207 Nottwil | Redaktion: Roland Spengler (Leitung), Christine Zwygart | Bild: Walter Eggenberger, Beatrice Felder, Astrid Zimmermann-Boog, redaktion@ paraplegie.ch | Layout /Vorstufe: Regina Lips, Karin Distel, Michael Kling | Anzeigen: Fachmedien Axel Springer Schweiz AG, 8021 Zürich, info@fachmedien.ch | Vorstufe/Druck: Swissprinters AG, 4800 Zofingen Paraplegie, Februar 2013 |3
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Inhalt Bild Swiss Paralympic 7 News Verdienter Lohn: Edith Wolf-Hunkeler und Tobias Fankhauser (Bild links mit Bundesrat Ueli Maurer) wurden für ihre Erfolge bei den Paralympics 2012 speziell ausgezeichnet. 10 porträt Silke Pan bezauberte einst in ganz Europa als Akrobatin – bis sie vom Trapez stürzte und querschnittgelähmt liegen blieb. Ihre Kreativität lebt die zierliche Frau aus der Westschweiz nun als Ballonkünstlerin und Komödiantin aus. 14 Reportage – Handeln statt abwarten I m Schweizer Gesundheitswesen zeichnen sich Engpässe beim Pflege- personal ab. Was tun? Abwarten, im Ausland rekrutieren oder selber die Initiative ergreifen? Das SPZ Nottwil handelt, mit dem Plan, mehr Männer einzubinden. Die Vorzüge liegen auf der Hand. Stellen in der Pflege sind krisensicher, Karrierechancen gut und die Arbeitsbedin gungen können familienfreundlich gestaltet werden. 22 Zur Sache or 35 Jahren wurde die Gönner-Vereinigung V der Schweizer Paraplegiker-Stiftung gegründet. 80.999.999 Mitgliederausweis Heute ist sie wichtigster Pfeiler des Leistungs- Herr Max Mustermann 2013 netzes für die ganzheitliche Rehabilitation querschnittgelähmter Menschen. 28 Praxis Von kleinsten Erregern können in Spitälern grösste Gefahren ausgehen. Im SPZ Nottwil gibt es daher konsequente Hygiene-Massnahmen, die Patienten und Mitarbeitende vor Infektionen schützen. 32 Mein Tag im Rollstuhl Peter Hochreutener ist passionierter Musiker. Der 64-Jährige aus Goldach SG sieht darin eine Therapie für sich, aber auch für seine Schüler. 34 Finale Ansichten zum Thema «Zusammenarbeit unter Medizinern» von Martin Senn. Paraplegie, Februar 2013 |5
Vorbeugen ist besser. Druckstellen (Dekubitus) treten bei Menschen mit Querschnitt lähmung häufig auf. Umso wichtiger ist ihre Verhinderung oder frühzeitige Behandlung. Fortschritte im Kampf gegen Dekubitus Die Empa – Swiss Federal Laboratories for Materials Positive Effekte verspricht nun auch – vergleichsweise Science and Technology (Dübendorf ZH), die Firma günstige – Bettwäsche. Sie besteht aus Hightech- Schöller Medical AG (Sevelen SG) und das Schweizer Kunstfasern mit einer neuartigen Punktrasteroberflä- Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil haben gemein- che. Deren Vorteil liegt in geringerer Kontaktfläche, sam ein neues Bettlaken zur Bekämpfung von Druck- d.h. weniger Berührungspunkten mit der Haut sowie geschwüren (Dekubitus) entwickelt. Von dieser Krank mehr Leerräumen für die Aufnahme von Feuchtigkeit. heit häufig betroffen sind ältere, immobile Menschen Nach ausgiebigen Labortests folgte die klinische Er- sowie auch Querschnittgelähmte. Ihr Hautgewebe ist probung, für die sich 20 Patienten im SPZ Nottwil zur wegen fehlender Bewegung nicht ausreichend durch- Verfügung stellten. Während rund 18 Monaten wur- blutet. Dadurch erhöht sich das Risiko der Bildung von den bei ihnen regelmässig Durchblutung, Rötungen, Geschwüren, die im schlimmsten Falle zu lebensbe- Elastizität und Feuchtigkeit betroffener Hautpartien drohlichen Situationen führen können. Mediziner kontrolliert. Die Ergebnisse fielen erfreulich aus: Die und einschlägige Industrie beschäftigen sich schon Testpersonen schwitzten weniger, die Durchblutung länger mit Fragen der Verhinderung von Dekubitus ihrer Haut verbesserte sich und sie fühlten sich zudem bzw. dessen Linderung. Nebst spezialisierter Pflege wohler als auf herkömmlichen Laken. und plastischer Chirurgie helfen dabei auch Matratzen mit wechselnden Druckverhältnissen. Antreibende Ideen Das iHomeLab der Hochschule Luzern (Technik und Architektur) ist an einem internationalen Forschungspro jekt mit dem Titel «iWalkActive» beteiligt. Mit einem Aufwand von drei Millionen Euro sowie in Zusammen Tauchen im Rollstuhl arbeit mit Partnern in der Schweiz, Österreich und Experten hielten Tauchen im Rollstuhl bis dato für unmöglich. Nun sind Schweden soll der «Rollator der Zukunft» entwickelt sie von der britischen Künstlerin Susan Austin des Gegenteils belehrt werden. Basis bilden ein Elektroantrieb sowie moderne worden. Nach langem Tüfteln mit Hilfe von Ingenieuren und Tauchkol- Kommunikations-Technologien. Das Gefährt soll so legen ist ein geeigneter Unterwasser-Rollstuhl entstanden. Angetrieben geländegängig sein und – via integrierten Tabletcomputer von zwei Propellern verfügt dieser auch über eine Flosse, die Stabilität – leichten Zugriff auf Navigationshilfen, Informationen verleiht und unkontrollierte Drehungen verhindert. unterwegs, Notfallsysteme und Ähnliches gestatten. 6 | Paraplegie, Februar 2013
News Blick in die Zukunft Die Fondation Suisse des Téléthèses (FST) begab sich anlässlich ihres 30-jährigen Bestehens auf eine kleine Tournee. Letzte Station war das SPZ Nottwil, wo über 150 Teilnehmer auch einen Blick in die Zukunft der Kommunikationstechnologie für Menschen mit Behinderungen werfen konnten. Prof. Roger Gassert (ETH Zürich) präsentierte dabei wahrhaft fantastische Möglichkeiten in der Anwendung von Brain Computer Interfaces. Gemeint sind damit Schnitt- und Schaltstellen zwischen Hirn und Computer. Den abschliessenden Höhepunkt bildete der Auftritt der AphaSingers (Basel). In dem kleinen Chor singen Menschen, die an Aphasie – cere bral bedingten Sprachstörungen – leiden. Die in Neuenburg ansässige FST wird seit Gründung von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) unterstützt und verfügt landesweit über mehrere Beratungsstellen; eine davon in Nottwil. Splitter Die Mitglieder des Swiss Paralympic Ski-Teams unter Chefcoach Björn Bruhin stecken der- zeit in den letzten Vorbereitungen für die in La Molina (Spanien) stattfindenden Alpin-Welt Krönung eines Erfolgsjahres meisterschaften. Im Vorfeld des wichtigsten Wettkampfes der Saison 2012/2013 schürten ihre Leistungen im Weltcup teils berechtigte Bei der Verleihung der Credit Suisse Sports Hoffnungen auf den Gewinn von Medaillen. Als Bild Photopress/Alexandra Wey Awards 2012 stand neben vielen anderen auch einer der derzeit stärksten Fahrer in der Klasse Edith Wolf-Hunkeler (Dagmersellen LU) im Sitting bewies sich Christoph Kunz (Reichen Rampenlicht. Die 40-jährige Rollstuhl-Leicht- bach BE). Der Paralympics-Sieger 2010 in der athletin wurde für ihre herausragenden Abfahrt glänzte in Sestriere (Italien) mit zwei Leistungen bei den Sommer-Paralympics in Erfolgen im Riesenslalom und feierte danach – London – Gewinn von vier Medaillen, davon bei den ersten Weltcup-Rennen für Behinderte eine goldene, zwei silberne und eine bronzene in St. Moritz – einen weiteren Sieg sowie einen – mit der Auszeichnung «Schweizer Behinder- zweiten Platz in der gleichen Disziplin. Der tensportlerin des Jahres» belohnt. Die Ehren- 30-Jährige gehört damit auch zu den Anwär- plätze belegten Heinz Frei (Etziken SO) und tern auf einen Spitzenrang im Gesamtweltcup. Marcel Hug (Nottwil LU), wogegen Sandra Graf (Gais AR), obschon Paralympics-Siegerin Rollstuhlsport Schweiz (RSS) hat einen neuen im Handbike-Zeitfahren, zum Erstaunen vie- Nationaltrainer für Rollstuhl-Leichtathletik. Er ler nicht einmal nominiert worden war. heisst Beat Fäh, ist Theaterregisseur wie auch Für Edith Wolf-Hunkeler (Bild), die vorher diplomierter Spitzensport-Trainer. Vorgänger schon, während der Swiss Tennis Indoors in Basel, eine Trophäe als «Behin- Roland Giger hatte nach vier Jahren demissio dertensportlerin des Jahrhunderts» bekommen hatte, war es der siebte Titel niert, arbeitet aber, in anderer Funktion, dieser Art seit 2001. Dass 2012 das bisher beste Jahr in ihrer Laufbahn werden weiterhin für RSS. könnte, hatte sich so allerdings nicht abgezeichnet. Denn die Luzernerin, inzwischen auch Ehefrau und Mutter, musste auf dem Weg zurück an die Welt- Zum dritten Mal in Serie gewann Marcel Hug spitze in verschiedene Rollen schlüpfen und litt zudem an lästigen Verletzungen. den Rollstuhl-Marathon in Oita (Japan). Der Schweizer distanzierte die Einheimischen Tobias Fankhauser prämiert Yamamoto und Hokinoue um fünf Minuten und Die zu den Schweizer Teams an den Olympischen Spielen und an den Paralym- mehr. Vierter wurde Heinz Frei. Dieselbe Platzie- pics gehörenden Athleten wurden bei einer Abschlussfeier im Beisein von rung erreichte Patricia Keller (Waltenschwil AG) Sportminister Ueli Maurer geehrt. Dabei wurde dem jungen Handbikefahrer im Rennen der Frauen, das Wakako Tsuchida Tobias Fankhauser (Hölstein BL) der Swiss Paralympic Newcomer Award über- (Japan) für sich entschied. reicht. Die Anerkennung galt dem 2. Platz des Tetraplegikers im Strassenrennen der Klasse H1 in London und seinem nie nachlassenden Trainingseifer. Paraplegie, Februar 2013 |7
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News Aussergewöhnliches geleistet Zum 20. Mal bereits ehrte die Schweizer Paraplegi ker-Stiftung (SPS) Ende des vergangenen Jahres zwei Menschen im Rollstuhl für besondere Lebensleistun gen. Eine fünfköpfige Jury vergab die Auszeichnung für 2012 an Jean-Marc Berset (Bulle FR) und Walter Mehr (Schenkon LU). Gemeinsamkeiten trotz Unterschieden Die beiden Preisträger sind Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlicher Biografie, gemeinsam sind ihnen aber Lebensfreude, Zuversicht und der starke Wille, aus einer schwierigen Situation das Beste zu machen. «Er ist eifrig und ein richtiger Kämpfer. Wenn er et was im Kopf hat, dann hält ihn nichts davon ab.» Mit diesen Worten charakterisierte Stiftungsratspräsident Daniel Joggi den 52-jährigen Paraplegiker Jean-Marc Berset. Wie wahr. Der Freiburger, seit 1983 nach einem Autounfall im Rollstuhl, Vorbilder im Rollstuhl. Walter Mehr (links) ist Inhaber einer Bäckerei-Konditorei, in der er und seine Frau tagtäglich selber und Jean-Marc Berset (rechts) wurden als «Querschnittgelähmte des Jahres» 2012 anpacken, er ist Ehemann, Vater zweier Söhne und seit je ein leidenschaftlicher ausgezeichnet. In der Mitte: Daniel Joggi, Sportler, der ganz nebenbei immer wieder Zeit gefunden hat, Weltmeister und Präsident der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Paralympics-Medaillengewinner, zuletzt in der Disziplin Handbike, zu werden. Jean-Marc Berset freute sich sichtlich über die Würdigung: «Dieser Augenblick bedeutet mir viel und ist sehr bewegend.» Walter Mehr war ob der unverhofften Ehre genauso gerührt: «Ich bin fast sprach los und freue mich sehr!», sagte der 58-jährige Tetraplegiker, bevor er sich bei vielen und ganz besonders seiner Frau Rita bedankte. Sie hatte schon zwei Söhne geboren und war erneut schwanger, als ihr Mann 1983 auf einer Baustelle schwer verunglückte. Das Leben des gelernten Zimmermannes und seiner Familie änderte sich danach komplett. Der stille, geduldige, bescheidene Luzerner liess sich von Agenda 2013 vielen Hindernissen im Alltag jedoch nie entmutigen. Mit Schreibarbeiten stieg er wieder ins Erwerbsleben ein. Heute ist Walter Mehr in der Abteilung Kultur und 16. – 23. Februar Freizeit der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) tätig und gilt als Experte für WM Rollstuhl-Curling, Sotschi (Russland) Tetra-Entlastungswochen, die er mehrmals pro Jahr begleitet. 18. – 28. Februar WM Ski Alpin, La Molina (Spanien) 5. – 12. März Neuer Erlebnis-Park Weltcup-Final Ski Alpin, Sotschi (Russland) In Luzern sollen bald die Arbeiten zum Bau eines hindernisfreien 24. Mai Natur- und Abenteuer-Parks für Menschen im Rollstuhl beginnen. 8. Nottwiler Wundforum SKINTACT Auf rund 2500 Quadratmetern sind eine Hängebrücke, ein Karussell, SPZ Nottwil eine Baumkronenplattform usw. geplant, um Kindern und Jugendli- chen mit Behinderung, auf spielerische Art, belebende Erfahrungen 2. Juni zu ermöglichen und unverkrampfte Begegnungen unter allen zu Rollstuhl-Marathon und Handbike-Rennen fördern. Initiantin des Projekts ist die Stiftung Rodtegg. Die Kosten Oensingen werden auf rund eine Million Franken veranschlagt, je zur Hälfte von der Stiftung und privaten Geldgebern getragen. Die Eröffnung der 5. – 7. Juni neuartigen Freizeiteinrichtung ist für 2014 vorgesehen. ESCIF-Kongress , GZI Nottwil 15./16. Juni Kids Camp, SPZ Nottwil
PortrÄt Kunst aus Luft, Latex und viel Liebe Silke Pan fesselte ihr Publikum einst als Akrobatin, Schlangenfrau und Luftkünstlerin. Doch dann stürzte das zierliche Kraftpaket aus der Romandie bei einer Trapeznummer ab – seither sitzt sie im Rollstuhl. Heute lebt die Künstlerin ihre Kreativität und Fantasie in Dekorationen aus Ballons aus. Text: Christine Zwygart | Bilder: Beatrice Felder 10 | Paraplegie, Februar 2013
I hre Hände gleiten dem schlangenförmigen Ballon entlang, an der richtigen Stelle klemmt sie ihn ab und dreht den Latex- grund pulsiert ein Raumschiff und ein Alien mit langen Tentakeln schlängelt sich um die Verkaufsstände. Latexschläuche, aus denen die zehn Ballon- künstler dann die vorgegebenen Figuren for- men. Zeichnungen helfen, damit die Kons schlauch dann so lange um die eigene Achse, 45’000 Ballons verarbeitet die 40-Jährige mit truktionen am Schluss so aussehen, wie sie bis der Sektor dicht ist. Silke Pan formt aus ihrem Team zu einem begehbaren Weltraum. das Chef-Duo gerne hätte. Silke und Didier dem apfelgrünen Schlauch in Windeseile eine Die Ideen zu den Figuren hat sie gemeinsam sind ein starkes Gespann. Gemeinsam sind Hand für die ausserirdische Dame, die da vor mit ihrem Lebens- und Geschäftspartner Di- sie früher als Artisten durch die Welt gereist, ihr auf dem Tisch liegt. «Ein gutes Augenmass dier Dvorak, 50, entworfen. Wie immer, wenn haben Trapez- und Akrobatiknummern in hilft, die richtigen Proportionen zu finden. eine so grosse Dekoration im Entstehen ist, Freizeitparks und Zirkussen vorgeführt. Bis Der Rest ist Fantasie», sagt die Künstlerin. geht’s hektisch zu und her. «Gewisse Ballons zu jenem Tag im Herbst 2007. Das Geschäftshaus Littoral Centre in Allaman kamen zu spät, andere in schlechter Qua VD verwandelt sich nach und nach in ein Uni- lität», erzählt Didier. Egal – das Kunstwerk Hoffnungsvolle Karriere versum: von der Decke hängen Astronauten, muss termingerecht fertig sein. Die Kompres- Schon als Mädchen liebte Silke das Turnen, ein Geschwader Ufos greift an, im Hinter- ser laufen auf Hochtouren, pressen Luft in die Tanzen und Trampolinspringen. «Alles was mit Körperbeherrschung zu tun hatte, fiel mir leicht.» So absolvierte sie bereits früh Lehr- gänge an Zirkusschulen. Aufgewachsen ist die gebürtige Deutsche in der Westschweiz, mit 18 Jahren zog sie dann nach Berlin, wo sie die staatliche Ballettschule und Schule für Artis- tik besuchte. «Ein Lebenstraum ging für mich in Erfüllung.» Mit dem Diplom im Sack reiste Silke Pan samt Wohnwagen durch ganz Europa, arbei- tete im Zirkus, Freizeitpark, bei Modeshows, Openair-Festivals oder im Variété-Theater. «Ich war auf dem aufsteigenden Ast», erin- nert sie sich. Das Glück schien perfekt, als sie während eines Engagements auf den Artisten Didier Dvorak traf. Die beiden passten gut Bunte Welt. Silke Pan arrangiert das zusammen; beruflich wie privat. Viele neue Jupe einer ausserirdischen Dame im Duo-Nummern entstanden, das Paar genoss Einkaufszentrum Littoral. Immer an ihrer hohes Ansehen. In der Saison 2007 arbeiteten Seite: Chizu-Hündchen Wendy (Bild links). Zeichnungen helfen beim Formen die beiden in einem Freizeitpark in Rimini, der gewünschten Figuren (Bild oben). Italien, und zeigten dort ihre Luftnummer. «Wir fühlten uns in Hochform und unsere Zukunft war mit interessanten Angeboten ge- sichert», erzählt Silke. Nach dem Ende der Saison passten die beiden ihre Darbietung auf die Wünsche des nächs- ten Auftraggebers an. Die Kostüme waren fertig, die Proben fast beendet. Dann passierte der fatale Unfall: «Beim Üben einer Trapez Paraplegie, Februar 2013 | 11
Porträt Andere Kunstform. Silke Pan und ihr Partner leben noch heute in einem Wohnwagen – wie früher, als sie noch als Akrobaten in ganz Europa unterwegs waren (Bilder oben). Gemeinsam mit Didier Dvorak formt sie heute Figuren und Gebilde aus Ballonen, wie beispielsweise eine Bar samt ausserirdischer Bedienung (Bilder unten). 12 | Paraplegie, Februar 2013
«Ich fühlte mich nackt und verloren» figur rutschten wir, Didier konnte mich nicht es nur eine Devise für die Akrobatin: Weiter- mehr auffangen und ich stürzte auf den Stein- machen! Lächeln, auch wenn es innerlich boden.» Silke Pan brach sich dabei Rücken schmerzt. Nicht loslassen, auch wenn die und Schädel. Nach einer ersten Operation in Kräfte schwinden. Kopf hoch, stolz bleiben. Italien wurde sie ins Schweizer Paraplegiker- «Dies war das Einzige, was ich aus meinem Zentrum (SPZ) nach Nottwil gebracht. «Als vorigen Leben mitnehmen konnte.» ich nach Tagen wieder zu Bewusstsein kam, überfiel mich die grausame Wahrheit.» Die Neue Perspektiven Jahre harter Arbeit, die Träume – alles war Nach dem Klinik-Austritt war das Paar ratlos. weg. «Ich konnte nicht mehr gehen, fühlte «Wir mussten ein neues Leben aufbauen, ei- mich nackt und verloren.» nen Beruf finden, uns irgendwo niederlas- sen», erzählt Silke. Doch darauf waren die Zerplatzte Träume beiden nicht vorbereitet. Und so taten sie, «Akrobatik war unsere Leidenschaft», sagt was sie am besten konnten: eine neue Num- Silke Pan noch heute und montiert der aus- mer entwickeln. Didier, der Artist und Ballon- serirdischen Dame einen Jupe aus Ballons. künstler, entwarf einen Rollstuhl mit Flügeln, Damit sie besser arbeiten kann, lässt sich ihr verzierte die Show mit Ballons. Die Saison Rollstuhl in eine stehende Position aufrich- 2009 arbeitete das Duo in einem Freizeitpark ten. Gute drei Monate vor der Ausstellung in Italien. «Die Vorstellung war erfolgreich, haben Didier und sie begonnen, Ideen für aber für mich war es nicht mehr dasselbe», Figuren und Skulpturen zu sammeln. Sind umschreibt Silke diese Auftritte. Diese Künst- diese Pläne umsetzbar? Wenn ja: Wie viele lerin im Rollstuhl hatte nichts mehr mit der Starkes Duo. Silke und Didier haben ihrem Leben Ballons von welcher Farbe und Grösse müs- strahlenden Artistin von einst zu tun. «So neuen Sinn und Inhalt gegeben. sen bestellt werden? Rund 600 Stunden Ar- wollte ich mich nicht verwirklichen.» beit sind nötig, bis die Fantasiewelt steht. Deshalb entschloss sich Silke, eine Ausbil- Zerplatzt sind manche ihrer Träume – doch dung als Ballonkünstlerin zu absolvieren. In- kleinen Auto sitze, sieht niemand, dass ich etwas aus dem Artistenleben hat sich das Duo zwischen hat sich das Duo in der Szene einen querschnittgelähmt bin.» Und Silke macht Pan-Dvorak bewahrt: die beiden leben noch Namen gemacht. «Als Artisten haben wir das auch wieder Sport, fährt erfolgreich Hand- heute in einem Wohnwagen. «Wir kennen Kreative in uns. Das passt», meint sie. In Aigle bike. In der letzten Saison nahm sie an zwölf nichts anderes», sagt Silke. Der neue Caravan VD hat das Paar eine Halle gekauft, die als nationalen und internationalen Rennen teil ist etwas grösser, damit sie sich mit dem Roll- Werkstätte dient. Und Silke kann sich sogar und erreichte jedes Mal einen Platz auf dem stuhl darin bewegen kann. An ihren «neuen vorstellen, in der Nähe eine Wohnung zu su- Podest, neun Mal sogar Gold. «Irgendwie Körper» hat sich Silke aber bis heute nicht chen. «Das wäre das erste Mal seit 17 Jahren, kann ich so mit dem Rollstuhl sogar Frieden gewöhnt. «Er vollbrachte einst wundervolle dass ich einen festen Wohnsitz hätte.» Das schliessen.» Kunststücke, war mein Freund. Heute ist er Duo tritt auch wieder auf – in einer humoris- Die Arbeiten am Ballon-Weltall sind im End- mir fremd.» Über sechs Monate verbrachte tischen Nummer als Mini-Tell spurt. Noch ist das Raumschiff nicht fertig sie in der Rehabilitation in Nottwil, haderte und seine Frau Taglia und dem Oktopus-ähnlichen Wesen fehlt das mit ihrem Schicksal, fragte sich das Unver- Tell, samt Elektromo- zweite Auge. «Das wird schon», meint Didier meidliche: Wieso war das passiert? Was bil und Plüsch-Bern- gelassen. Silke nickt und weiss, am Schluss ist habe ich falsch gemacht? Die Antworten hardiner. Die zwei kön- alles so, wie es sein muss. Wenn die Schein- fand sie nicht, aber jahrelanges, har- nen für Anlässe engagiert werfer angehen und sich alle Augen auf das tes Training hat seine Spuren hin- werden. «Diese Auftritte mag Duo richten, sind die zwei parat. Wie früher terlassen. So gab ich sehr. Wenn ich in diesem im Rampenlicht. Gelernt ist eben gelernt. Paraplegie, Februar 2013 | 13
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Reportage Für Männer auch geeignet Die Pflege ist eine weibliche Domäne. Doch der sich verschärfende Personal- mangel im Gesundheitswesen verlangt nach mehr Förderung von Männern in diesen Berufen. Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil setzt sich intensiv mit dieser Thematik auseinander und ergreift konkrete Massnahmen. Zwei Männer – ein erfahrener Pflegefachmann und ein Lernender – erzählen aus dem Klinikalltag. Und wie es ist, in einem Frauenberuf Fuss zu fassen. Paraplegie, Februar 2013 | 15
Reportage Text: Christine Zwygart | Bilder: Walter Eggenberger D ie Pflege ist fest in Frauenhand. Rund 85 Prozent der Angestellten in diesen Berufen sind weiblich; das ist im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil nicht anders. In der Pflege-Strategie steht, dass das SPZ für genug Berufsnachwuchs sorgen will. Dazu gehört, Lernende auszubilden, aber auch neue Segmente zu bearbeiten, wie bei- spielsweise vermehrt Männer für diesen Job zu gewinnen. Für viele Patienten ist es eine neue Erfahrung, wenn ein Pflegefachmann die Betreuung übernimmt – aber keine unan- genehme. Fast nur gute Erfahrungen hat An- dré Harre gesammelt, der seit knapp drei Jah- ren im SPZ arbeitet: «Nach der ersten Begeg- nung ist mein Mannsein kein Thema mehr. Da zählt vielmehr das Vertrauen zwischen den Patienten und mir.» Ähnlich tönt es in den Stationszimmern. Männer sind gut für den Teamgeist. Die Zusammenarbeit gestaltet sich konstruktiv. Oder wie der 26-jährige Deutsche es ausdrückt: «Wir Männer bilden einen ruhenden Pol unter den vielen Frauen.» Mangel an Pflegenden zeichnet sich ab In den nächsten Jahren kommt ein massiver Engpass beim Fachpersonal auf Spitäler und Heime zu. Die Menschen werden immer Abwechslungsreicher Job. Pflegefachmann André Harre (l.) nimmt Tetraplegiker Mathias Studer Blut ab. älter, im Gegenzug ist die Anzahl Geburten Mit seinen Arbeitskolleginnen bespricht er den Einsatzplan und die anstehenden Arbeiten (Bilder rechts). stagnierend. Dies hat zur Folge, dass immer weniger junge Menschen in der Pflege auf Gerade da liegt die Chance, auch Männern in züge aufzeigen. Schliesslich sind Jobs in der immer mehr pflegebedürftige Patienten tref- der Pflege eine sinnstiftende Arbeit zu bieten. Pflege krisensicher, die Karrierechancen ste- fen. Gemäss Schätzungen von Experten benö- «Wir wünschen uns in den Teams einen gu- hen gut, die Arbeitsbedingungen können fa- tigt die Schweiz im Jahr 2020 rund 13 Prozent ten Mix aus Frauen und Männern», um- milienfreundlich gestaltet werden. Männer, mehr Pflegende als heute. Deshalb befasst schreibt Reto Schmitz, Leiter Berufsbildung die schon länger in diesem Beruf arbeiten, sich die Pflegeleitung im SPZ intensiv mit der Pflege, das Konzept. Vermehrt sollen Jugend- schätzen genau diese Vorzüge. Frage, wie sie dem sich abzeichnenden Man- liche angesprochen werden, um ihnen eine gel entgegentreten kann. Eine Idee ist beste- Ausbildung im SPZ vorzustellen. «Rekruten Ein Wunsch an die Männer chend einfach: mehr Männer für diesen Beruf sind dazu in einem idealen Alter. Nach dem Für André Harre war schon immer klar, dass begeistern. Militärdienst überlegen sich viele, was sie er dereinst mit Menschen arbeiten möchte. Anders als in vielen Spitälern sind die Patien- nun Sinnvolles mit ihrem Leben anfangen Drei seiner Jugendfreunde absolvierten die ten in Nottwil grösstenteils Männer – näm- sollen.» Genau da möchte die Pflegeleitung Ausbildung zum Gesundheits- und Kranken- lich 75 Prozent, davon viele junge Sportler. einhaken, Hemmschwellen abbauen, die Vor- pfleger vor ihm. «Durch sie hatte ich Einblick 16 | Paraplegie, Februar 2013
in den Berufsalltag. Und in Deutschland ist es mernachbarn, prüft anschliessend dessen fast schaft würden sie kaum existieren, und auch nichts Besonderes, wenn Männer in der leere Infusionsflasche und schaut beim Ver- nicht öffentlich auftreten. Woran das liegt? Pflege arbeiten.» An seinem Job gefällt ihm lassen des Zimmers, ob beim Lavabo Ordnung «Vielleicht haben wir noch immer zu grosse der Kompromiss, den er ständig suchen muss: herrscht. «Dieses vernetzte Denken kommt Hemmungen, da die Pflege im Allgemeinen Dem Patienten gegenüber Einfühlungsver- mit der Zeit ganz automatisch.» Eine gute Or- als Frauenberuf wahrgenommen wird.» mögen zeigen, ihn aber auch fordern und ganisation sei wichtig, sonst laufe er der Ar- dazu anleiten, den aufgezeigten Weg zur Ge- beit den ganzen Tag hinterher. Im Kopf legt Breite Ausbildungspalette im SPZ nesung anzupacken. «Anfangs war ich oft sich der Pflegefachmann einen Plan zurecht, SPZ-Ausbildungsleiter Reto Schmitz kennt nervös, da man an viele Sachen gleichzeitig nach dem er dann vorgeht. diese Problematik und den Zwiespalt, der da- denken muss.» Heute geht André Harre alles Einen Wunsch hätte André Harre an die Män- mit verbunden ist. «Mit 16 Jahren ist es span- viel leichter von der Hand. Er nimmt bei Tet- ner in der Pflege: Sie sollten sich nicht verste- nender zu erzählen, wie man ein Auto auf- raplegiker Mathias Studer ein Röhrchen Blut cken. Tun sie das? «Ja, irgendwie schon.» In motzt, statt aus dem Alltag auf einer Pflege ab, wirft gleichzeitig einen Blick auf den Zim- der allgemeinen Wahrnehmung der Gesell- station zu plaudern.» Die Gründe, wieso sich Paraplegie, Februar 2013 | 17
Reportage Transfer. Pascal Moser (l.) hilft Christian Zurbuchen aus dem Bett. Pflegefachmann Stefan Britschgi (r.) unterstützt den Lernenden dabei. Männer dennoch für diesen Beruf entschei- den, sind vielfältig. So erzählt Adrian Wyss, Leiter Pflegeentwicklung und Bildung im SPZ: Pfarrer, Lehrer oder Arzt sollte er mit der Ma- tura im Sack gemäss seiner Verwandtschaft werden. «Doch ich entschied mich für alle drei auf ein Mal – und lernte Pflegefachmann.» Das SPZ offeriert jedes Jahr verschiedene Aus- bildungsplätze in der Pflege. Acht Jugendliche ab 16 Jahren können hier den Beruf als Fach- frau oder Fachmann Gesundheit (FaGe) erler- nen. 18 Stellen sind reserviert für Personen, die ein Pflegediplom HF oder FH (Höhere Fachschule oder Fachhochschule) absolvieren möchten. Dazu kommen diverse Plätze für Nachholbildung, Schnuppern und Praktika. Insgesamt sind in der Pflege 75 Lernende und Studierende. Wer nochmals umsatteln möchte, bekommt im SPZ ebenfalls eine Chance. Das gilt auch für Solidarität der Generationen jene, die schon im reiferen Alter sind. Voraus- setzung sind Interesse an Menschen, arbeiten Neue Arbeitskräfte gewinnen und bestehendes Personal behalten – nur so lässt im Team sowie Belastbarkeit. sich der drohende Mangel an Pflegefachleuten verhindern. Basierend auf den Zielen einer entsprechenden Strategie, hat sich im Schweizer Paraplegiker-Zen- Ein Job mit Zukunft trum (SPZ) eine Arbeitsgruppe intensiv mit der Frage befasst, wie die Mitarbei- Einer dieser «Umsattler», allerdings ein jun- tenden in der Pflege und in den Therapiebereichen gesund und motiviert bis ins Pensionsalter in ihrem Job verbleiben können. Denn der Alltag in der Betreuung ger, ist Pascal Moser. Der 19-Jährige hat seine von Querschnittgelähmten bedeutet Schwerstarbeit. Um für die Zukunft ge- Schreinerlehre abgebrochen und im Sommer wappnet zu sein, ist im SPZ ein «Generationenmanagement mit Fokus 50Plus» 2012 die Ausbildung zum Fachmann Gesund- erarbeitet worden. heit im SPZ begonnen. Er ist begeistert: «Hier In diesem Konzept sind Ideen enthalten, die es ermöglichen, im Pflegeberuf alt habe ich mit Menschen zu tun, nicht nur mit zu werden. So ist beispielsweise denkbar, dass eine Person statt Früh-, Spät- und Maschinen.» Der Umgang mit Rollstuhlfah- Nachtschicht nur noch zwei dieser Dienste leistet. «Dadurch verbessert sich die rern ist dem jungen Mann nicht fremd. Sein Erholung zwischen den Schichtwechseln», erklärt Christine Schneider Käslin, Lei- terin der Arbeitsgruppe. Zudem kann die effektive Pflegearbeit am Bett redu- Grossvater erlitt eine Tetraplegie. Und die ziert, und stattdessen das Weitergeben von Wissen gefördert werden. Die Arbeit Familie bemerkte bald Pascals Talent für die in solchen Generationen-Teams ist ein Gewinn für alle: Die unterschiedlichen Betreuung. Sein Entscheid, in die Pflege zu Kompetenzen von Alt und Jung können so optimal genutzt werden. gehen, überraschte daher niemanden im Ein Drittel der Pflegenden im SPZ sind 45 Jahre und älter. Ihnen soll auf Wunsch Umfeld. Für ihn selber ist wichtig, einen Job die Möglichkeit eingeräumt werden, neue Aufgaben zu übernehmen; beispiels- mit Zukunft zu erlernen. «Als Mann bin ich weise Gotte oder Götti für neue Mitarbeitende zu sein, sie zu begleiten, ihnen in der Klinik, aber auch in der Berufsschule, Wissen weiterzugeben und Erfahrung zu teilen. Mit all diesen Massnahmen bestens integriert. Ausserdem profitiere ich hofft die Klinikleitung, die älteren Mitarbeitenden aus Therapie und Pflege bis zur Pensionierung, motiviert und gesund, im Job behalten zu können. von der Erfahrung meines Berufsbildners.» Ein langjähriger Pflegefachmann, der ihm mit 18 | Paraplegie, Februar 2013
REPORTAGE Michael Steeg ist Dipl. Pflegepädagoge FH und Berufsschullehrer. Im Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen des Kantons Zürich (ZAG) arbeitet er als Ressortleiter Pflege HF. Wissen und Können zur Seite steht und ihn durch die Ausbildung begleitet. «Wie viel ist die Arbeit wert?» Fast jeden Tag lernt Pascal etwas Neues dazu. Was überzeugt Männer, in den Pflegeberuf einzusteigen? Er wird immer selbstständiger, und die Ab- Als Pflegefachmann betreut man Menschen, von Kleinkindern bis zu wechslung beflügelt ihn. Heute hilft er beim Hochbetagten; zu Hause, in Psychiatrien, Spitälern oder Langzeiteinrich- Verteilen des Morgenessens, macht Kaffee, tungen. Der Beruf ist verantwortungsvoll und man steht eng in Kontakt gibt einem Patienten Essen ein. «Manchmal zu hilfsbedürftigen Menschen. Diese Nähe schafft Beziehung und ermög- gehen mir die Schicksals-Geschichten schon licht es tagtäglich, sinn- und wertvolle Arbeit zu leisten. nahe. Schliesslich verbringen wir viele Stun- den mit den Querschnittgelähmten, sprechen Wie erleben Sie die Integration der Männer in Ihren Klassen? auch über ihre Sorgen und Ängste.» Der junge Ich würde sagen, dass es sich hier um eine «Vollintegration» handelt. Die Mann geht einfühlsam ans Werk, betreut Männer bleiben in den Lern- und Arbeitsgruppen nicht unter sich, son- Patienten von A bis Z – an der Seite einer aus- dern arbeiten sehr gerne mit ihren Kolleginnen zusammen. Zum Teil gelernten Pflegefachperson. haben sich daraus auch schon gute Beziehungen entwickelt, die über die Ausbildungszeit hinaus halten. Gesunder Personalmix statt Quote Das Pflege-Management ist überzeugt: Wenn Was muss sich ändern, damit mehr Männer in einem Pflegeberuf es gelingt, vermehrt auch Männer für den arbeiten? Pflegeberuf zu gewinnen, kann dem Personal- Das Bild des Berufes in der Gesellschaft.Die demografische Entwicklung mangel entgegengewirkt werden. Die Einfüh- wird einen Mehrbedarf an Pflegenden nach sich ziehen. Diese Arbeit rung einer Männer-Quote ist im SPZ nicht muss mehr Ansehen erhalten und höher gewichtet werden. Wichtig ist vorgesehen, gefragt ist ein gut durchmischtes zudem, Frauen für Kaderpositionen auszubilden und zu gewinnen. Miteinander. Denn wo Frauen und Männer, Jung und Alt gemeinsam am Werk sind, ent- Wird der Pflegeberuf in der Gesellchaft generell zu wenig stehen die besten Lösungen für Probleme. geschätzt und zu schlecht bezahlt? Und das kommt den Patienten zugute. Jeder Beruf wird durch seine Vergütung, aber mehr noch durch sein An- sehen und seine ihm entgegengebrachte Wertschätzung in seiner Attrak- tivität gesteigert. Grundsätzliche Werte wie die Gesundheit müssen in der Gesellschaft wieder mehr diskutiert werden. Wir alle können davon ausgehen, dass wir nicht nur einmal in unserem Leben auf die professi- onelle Betreuung durch diplomierte Pflegefachpersonen angewiesen sein werden. Wie viel ist uns diese Arbeit dann wert? Was geben Sie jungen Männern mit auf den Weg, die sich eine Ausbildung oder einen Wechsel in die Pflege vorstellen könnten? Ein Beruf mit Zukunft! Seien Sie mutig und denken Sie daran, dass Sie sehr gefragt sind. In den Pflegeberufen wird es anspruchsvolle und at- traktive Arbeitsplätze für Sie geben. Ich persönlich mache rückblickend den Schritt in den Pflegeberuf als entscheidenden Moment in meiner Biographie aus. Ausgehend von dieser Ausbildung habe ich mich persön- lich wie beruflich konstant weiterentwickelt. Das ist ein sehr befreiendes und befriedigendes Gefühl. Theorie. Pflegefachfrau Margrit Jurt erklärt Mehr Infos: w ww.paraplegie.ch, «Aus- und Weiterbildungen». Reto Schmitz, Pascal Moser den Reanimationskoffer. Leiter Berufsbildung Pflege, Telefon 041 939 53 48 Paraplegie, Februar 2013 | 19
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Einladung zur 20. Mitglieder-Versammlung Mittwoch, 17. April 2013, 19.00 Uhr Auditorium GZI Seminar- und Kongresshotel, 6207 Nottwil Traktanden 1. Begrüssung Heinz Frei, Präsident Gönner-Vereinigung 2. Jahresbericht des Präsidenten 3. Informationen der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) Daniel Joggi, Präsident SPS 4. Abnahme der Jahresrechnung 2012 1) 5. Festlegung der Jahresbeiträge 6. Anträge von Vereinsmitgliedern 2) 7. Wahlen in den Vorstand 8. Wahl der Kontrollstelle 9. Informationen 10. Varia 1) ie Jahresrechnung 2012 kann ab 30. März 2013 auf www.paraplegie ch/Gönner-Vereinigung/ D Publikationen/Downloads eingesehen oder schriftlich angefordert werden bei: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil 2) nträge an die Mitgliederversammlung sind bis 17. März 2013 (Poststempel) einzusenden an: A Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil ✂ Anmeldung Mitglieder-Versammlung 2013 Name Vorname Strasse PLZ/Ort Gönnernummer Ich nehme an der Mitgliederversammlung teil. Bitte senden Sie den Anmeldetalon bis 28. März 2013 an: Gönner-Vereinigung Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil. Anmeldung online: www.paraplegie.ch/Gönner-Vereinigung/Mitgliederversammlung.
ZUR SACHE «Solidarität unterliegt keinen Modeströmungen» Vor 35 Jahren entstand eine einzigartige Solidargemeinschaft zur Verbesserung der Rehabilitation und Wiedereingliederung von Menschen mit Querschnittlähmung: Die Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Heute weist sie rund 1,7 Millionen Mitglieder auf und hat an Sinn sowie Anziehungskraft nichts eingebüsst. Text: Roland Spengler | Bilder: Walter Eggenberger/Archiv SPS S oviel steht fest: Ohne die Gönner-Verei- nigung (GöV) der Schweizer Paraplegi- ker-Stiftung (SPS) bzw. ohne die Beiträge Mitglieder sollten nach Zächs Vorstellung aber nicht nur Beiträge entrichten und so anderen helfen, sondern – wenn selber von Speziell auf Jugendliche und junge Erwach- sene zugeschnitten sind denn auch ver- schiedene Aktivitäten, die von der SPS und ihrer Mitglieder hätten Fortschritte in der einem schweren Schicksalsschlag getroffen anderen Organisationen der Schweizer Para- Rehabilitation und bei der Wiedereingliede- – eine Gegenleistung erhalten. So wurde der plegiker-Gruppe (SPG) durchgeführt wer- rung von querschnittgelähmten Menschen Unterstützungsbeitrag geboren, der sich von den. Kurse, Vorträge, Führungen usw. dienen in unserem Lande wohl länger auf sich war- Anfang an als starker Magnet erwies. der Sensibilisierung für die Bedürfnisse ten lassen. Das weiss kaum einer besser als von Menschen im Rollstuhl, der Prävention Heinz Frei, der seit 1978 selber im Rollstuhl Viele junge Menschen betroffen sowie der persönlichen Vorsorge für den sitzt und 2006 zum Präsidenten der Gönner- Gesamthaft wurden bisher rund 63 Mio. schlimmsten Fall. «Unser Ziel ist es, den jet- Vereinigung gewählt wurde. «Es ist beein- Franken an Unterstützungsbeiträgen an fast zigen Mitgliederbestand zu halten und die- druckend, was innert relativ kurzer Zeit ge- 500 Gönner ausbezahlt, die unfallbedingt sen mittelfristig zu erhöhen.» Um dies zu schehen ist. Die medizinisch-therapeutische eine Querschnittlähmung erlitten. Die jähr- erreichen, werden zwei Stossrichtungen ver- Behandlung hat sich enorm verbessert, lichen Ausgaben hierfür unterliegen Schwan- folgt. Einerseits betrifft es die aufmerksame ebenso die Akzeptanz der Betroffenen in der kungen; belegt ist jedoch, dass sich die Zahl Pflege der bisherigen Mitglieder mitsamt Gesellschaft und damit auch deren Wieder- aller Patienten mit unfallbedingter Quer- einem prompten Service, wenn es um deren eingliederung. Das verdanken wir einerseits schnittlähmung im Schweizer Paraplegiker- Anliegen geht. Anderseits ist es ausserordent- der Wissenschaft und der Forschung. Vor al- Zentrum (SPZ) Nottwil im Durchschnitt der lich wichtig, die nachfolgende Generation lem aber haben Solidarität und dauerhafte letzten Jahre nicht verringert hat. Und dass von Sinn und Zweck einer gemeinnützigen Unterstützung durch die Bevölkerung den sich in diesem Segment sehr viele junge Institution für querschnittgelähmte Men- Weg dahin geebnet.» Menschen finden, bei denen zudem häufig schen zu überzeugen. Hierbei setzt man, Tetraplegie diagnostiziert wird. «Gerade für nebst klassischer Werbung etwa mit Plaka- Anderen helfen – selber vorsorgen jemanden der, sozusagen noch am Anfang ten und Anzeigen, vorrangig auf moderne Am Anfang einer Erfolgsgeschichte standen des Lebens, eine schwere Wirbelsäulen- oder Kommunikations-Plattformen und -Kanäle. ein entschlossener Arzt und eine zündende Rückenmark-Verletzung mit irreversiblen Einige Online-Aktivitäten, die spezifischen Idee. 1978, drei Jahre nach Gründung der SPS, Folgen erleidet, bricht eine Welt zusammen. Wünschen junger Leute entgegenkommen, rief Guido A. Zäch die Gönner-Vereinigung In einer derart schwierigen, hoffnungslos er- gibt es bereits, andere sind in Entstehung. ins Leben. Die Absicht dahinter war, die scheinenden Situation ist die Soforthilfe von Tätigkeit der SPS möglichst breit abzustüt- 200’000 Franken, die bei unfallbedingter Gesamte Schweiz erschliessen zen und ein finanziell solides Fundament für Querschnittlähmung mit permanenter Roll- Der immer härter werdende Wettbewerb die ganzheitliche Rehabilitation von quer- stuhlabhängigkeit jedem Mitglied zusteht, um Spenden erfordert zudem Massnahmen schnittgelähmten Menschen zu schaffen. sehr viel wert», betont Heinz Frei. zur Erschliessung von Potenzial, das generell Sensibilisierung. Auf Führungen, in Kursen und bei Tagen der offenen Türen erfahren Gönner, 22 | Paraplegie, Februar 2013 wofür ihre Mitgliederbeiträge und Spenden eingesetzt werden.
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