Wir Schwerpunkt : Verkehrswende - Arbeit und Leben Bremen
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Wir Nr. 42 | 2021 Älteren in den Gewerkschaften in Bremen und Bremerhaven Schwerpunkt : Verkehrswende Nur selten im Fokus: Seenotrettung ist kein Klare Kante gegen Corona im Betrieb > 10 Verbrechen > 18 Unternehmerwillkür > 26 Wir 42 - 2021 | 1
Liebe Leserin, lieber Leser, Editorial seit über einem Jahr bestimmt die Auseinandersetzung mit dem Coronavirus unser Leben. Wir hoffen aufeine Entwicklung, die keine weiteren Lockdowns notwendig macht, und aufErfolge der Impfkampagne. Wir denken an die Völker, die noch keinen Impfstofferhalten haben, weil die Pharmakonzerne ihre Patente nicht freigeben. Und die Politik sie nicht dazu zwingt. „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“ – Schreibt die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli. „Solidarität ist Zukunft“ – so das diesjährige Motto des DGB zum 1. Mai. Mit welchen Aktionen wir es aufdie Straße bringen, ist noch offen. * Wir vergessen aber nicht die anderen Probleme. So hat Deutschland die Klimaziele 2020 aufgrund der Corona-bedingten Einschränkungen in der Summe erreicht – beim Verkehr aber verfehlt. Hier sind Veränderungen notwendig, ist die Politik gefragt. Interessant wird sein, wie sich die Parteien vor der Bundestagswahl im Herbst positionieren und was sie an konkreten Maßnahmen vorschlagen. Aber auch wir leisten unseren Beitrag – siehe die Artikel in diesem Heft. Wir wünschen euch Freude beim Lesen dieser Ausgabe und uns allen Gesundheit. Eure Redaktion * Aktuelles findet ihr aufder Homepage des DGB Bremen unter https://bremen. dgb. de/. Inhalt 3 Einfach einsteigen Weil Nahverkehr für alle ist 1 6 Handeln wir fair? Warum ein Lieferkettengesetz überfällig ist Bernd Krause Marlene Henrici 5 Mein Traumauto 1 7 Leserbriefe Udo Hannemann 1 8 „Seenotrettung ist kein Verbrechen“ 6 Impressum Holger Zantopp 8 Die Geschichte meiner Tante Uschi 20 Nich een Nazi dröff mit en Marita Froese-Sarimun Stratennaam uttekent warrn 1 0 Corona hinterm Werkstor Holger Zantopp Traudel Kassel 22 Atomwaffen abschaffen – sofort! 1 2 Was tut sich auf dem Neuen Hulsberg? Volkert Ohm, Gastautor Margot Müller 25 Wie ich beinahe in Deutschlands 1 2 GLOSSE: Großes Verantwortungsgefühl ... Führungsschicht gekommen wäre Marlene Henrici Wolfgang Schröder 1 4 Aquakultur: 26 Raus bist du – noch lange nicht Öko? Logisch! Union Busting Jürgen Ohlzen (NGG), Reiner Meissner Gastautor 28 Solidarität ist Zukunft DGB-Plakat zum 1 . Mai 2 | Wir 42 - 2021
Einfach einsteigen ... weil Nahverkehr für alle ist Am 12. November 2020 fand eine ver.di- Eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmit- Senior*innen- Sitzung statt. Dort präsen- teln spart gegenüber einer PKW-Fahrt Bernd Krause tierte Wolfgang Geißler von der Initiative rund 50 Prozent an Emissionen. Die Ziele „Einfach Einsteigen“ einen sehr inter- des Pariser Klimaabkommens können nur essanten Vortrag mit dem Ziel einer so- erreicht werden, wenn die Emissionen im zialen Verkehrswende. Die Initiative gibt Sektor Verkehr drastisch sinken. Aber es in Bremen seit dem Jahr 2017, die momentan nutzen nur 16 Prozent der Grundidee ist die alte Vorstellung des Bremer*innen den ÖPNV. Nulltarifs aus den 1970er Jahren neu zu durchdenken und darauf basierende Kon- Und wie wird das finanziert? zepte zu entwickeln, die nachhaltig sind, eine breite gesellschaftliche Akzeptanz Angedacht ist eine paritätische Umlage. finden und umsetzbar sind. Die Hälfte der Umlage zahlen alle volljäh- rigen Bremer*innen, Pendler*innen, Stu- Bremen ist eine Stadt am Fluss und hat dierende (weiterhin als Semesterticket) somit wenige Überquerungen der Weser, und Tourist*innen. Die andere Hälfte wodurch in Zeiten des Berufsverkehrs wird über eine Gewinnumlage erhoben, sehr viele Staus entstehen. Die Belastun- die an die Gewerbesteuer geknüpft ist. Die gen von Menschen und Natur durch Un- Zuschüsse an die Verkehrsunternehmen fälle, dreckige Luft und Lärm durch den durch Stadt und Land fallen für Bremen- Kfz-Verkehr sowie Flächenfraß für neue Stadt mit Ausnahme der bisherigen Mittel Straßen und Parkplätze müssen dringend für das Stadtticket, für die Schülerbeför- verringert werden. Dies könnte ein gut derung und die Schwerbehindertenbeför- funktionierender und bezahlbarer ÖPNV derung vollständig weg. Innerhalb verrichten. Bremens werden keine Tickets mehr be- Wir 42 - 2021 | 3
Ein starker ÖPNV und eine Verkehrswen- de können maßgeblich dazu beitragen, Arbeitsplätze zu erhalten, zu schaffen sowie die Wirtschaft zu stabilisieren. Wenn die öffentliche Hand jetzt großzü- gig in den Nahverkehr investiert, dann kann dies in der Nach-Corona-Zeit zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplät- zen beitragen. Bestehende Straßenbahn- und Bahnstrecken müssen saniert und ausgebaut werden. Moderne Fahrzeuge (Busse, Straßenbahnen) müssen ange- schafft werden, dann können wir eine umfassende Verkehrswende weg vom Auto hin zum Umweltverbund aus Rad-, Fuß- und Nahverkehr vorantreiben. An einem Strang ziehen Im Herbst letzten Jahres haben sich die Hier noch mit herkömmlichem Antrieb. Ab 2022 will die BSAG die Gewerkschaft ver.di, Fridays For Future ersten E-Busse im Linienverkehr einsetzen.. (FFF), der BUND und der Verkehrsclub nötigt. Schwarzfahren gibt es dann nicht Deutschland (VCD) zu einem breiten mehr: „Einfach Einsteigen“ in Bus und Bündnis für die Verkehrswende zu einer Bahn. engen Zusammenarbeit verabredet. In 29 Städten gab es bereits gemeinsame Aktio- Getragen werden muss dies von einem nen. Das Motto lautet: „Mehr Klima- breiten Kreis aus Politik,Verwaltung, zi- schutz braucht mehr ÖPNV“. Antje von vilgesellschaftlichen Akteuren und natür- Brook vom BUND sagte auf einer Presse- lich den Bürger*innen. Die Stadt Bremen konferenz: „Es ist absurd, den Klimawan- strebt mit den Plänen „Zukunft Bremen del stoppen zu wollen, aber in Straßen zu 2035“ und dem Masterplan „Green City“ investieren.“ bereits einen Ausbau des öffentlichen Ende Februar diesen Jahres stellten ge- Nahverkehrs an. Bürgermeister Boven- meinsam der BUND und „Einfach Ein- schulte sagte 2018, als er noch Bürger- steigen“ ein Ausbaukonzept für das Netz meister in Weyhe war, in einem Interview mit neuen Strecken ins Umland vor. Wie zu „Einfach Einsteigen“: „Es wäre zweifel- der WESER-KURIER berichtete, wurde los ein effektives Instrument. Viele Auto- das mehrseitige Papier Verkehrspoliti- fahrer würden motiviert, auf Bus und ker*innen und Verkehrssenatorin Maike Bahn umzusteigen. Dies entschärfe Schaefer (Grüne) überreicht. Das Konzept schnell und ohne Verbote das Chaos auf sieht vor, das vorhandene Netz mit seiner unseren Straßen. Der ticketlose Verkehr aktuellen Länge von 85 Kilometern auf wäre darüber hinaus ein echtes Pfund für insgesamt 226 Kilometer Länge auszu- den gesellschaftlichen Zusammenhalt. bauen. Der BUND-Vorsitzende Dieter Dann könnten sich endlich alle Menschen Mazur sagte: „Andere Städte würden Bre- Busse und Bahnen leisten, unabhängig men um das funktionierende Netz, das von der Größe ihres Geldbeutel.“ seit 2010 auch mit Ökostrom betrieben Steuer- und umlagenfinanzierter Nahver- werde, beneiden“. kehr ist schon länger international auf Eine Straßenbahn – die Linie 11 – soll dem Vormarsch. In London fahren die demnächst an den Sonnabenden zwischen dort wohnenden Rentner*innen kosten- Innenstadt und Bürgerweide kostenlos los. Am bekanntesten ist in dieser Hin- fahren. Das hat der Senat in das Aktions- sicht die estnische Hauptstadt Tallinn, in programm Innenstadt aufgenommen. Be- der die Einwohner*innen der Stadt seit schlossen ist dies noch nicht. Die 2013 nichts für den Nahverkehr bezahlen. Verkehrssenatorin sagte: „Durch die neue Und in Luxemburg wird seit 2019 der Linie kommen mehr Besucher*innen und Nahverkehr komplett aus dem Steuertopf bleiben länger in der Innenstadt. Durch finanziert. Für Deutschland bräuchte es die Reduzierung des Autoverkehrs werde einige Modellstädte, deren Erfahrungen die Aufenthaltsqualität gesteigert und der untersucht werden können. Bremen hat Umweltverbund gestärkt“. hier als Stadtstaat die besten Vorausset- zungen, um zu zeigen dass und wie Ein- fach Einsteigen funktioniert. Freuen wir uns auf die Verkehrswende. 4 | Wir 42 - 2021
Porsche frühes Porsches frühes Elektromobil von 1900 (links) wurde Elektromobil ausgebremst.von 1900 (links) Stattdessen wurde setzte sich das ausgebremst. Stattdessen setzte sich das Verbrenner-Prinzip von Daimler-Motorkutsche durch. Verbrenner-Prinzip der Daimler-Motorkutsche durch. Mein Traumauto Persönlich komme ich aus der Luftfahrt- Die Umweltbelastung, die durch das heu- Udo Hannemann industrie, die einmal sehr eng mit „Mer- tige „System Auto“ verursacht wird, trifft cedes / Daimler-Benz“ verbunden war. Ab alle Menschen weltweit. Der tägliche Flä- 1994 führten wir nämlich den Firmenna- chenverbrauch, durch Versiegelung für men „Daimler-Benz Aerospace Airbus neue Straßen und Zuparken der Ver- GmbH“, ab 1998 (bis 2000) den Namen kehrsflächen in den Städten, ist in der bis- „Daimler Chrysler Aerospace Airbus herigen Art und Weise nicht reformierbar. GmbH“. Seit Jahrzehnten werden vorhandene Al- Seitdem beobachte ich die Entwicklung ternativen in Richtung nachhaltiger Ener- im Automobilbau und bewundere ihre gie und umweltschonender Nutzung Innovationen, die in der Welt einen Spit- ignoriert. Dies zeigt, dass man Mobilität zenplatz einnehmen. Besonders innovativ für alle nicht denen überlassen darf, die waren dabei die Zulieferer, z.B. Bosch mit diese Probleme verursacht haben. Ge- der gesamten Elektrik und Elektronik winnmaximierung und kostenlose Um- rund ums Auto, aber auch Lear mit seiner weltnutzung im Rahmen bestehender umfangreichen Palette edler Sitze. Leider Gesetze, die durch Lobbyarbeit beein- kommen davon nur wenige aus der Serie flussbar sind, bringen uns nicht weiter. beim Normalverbraucher an. Da freut Die Grenzen des „Weiter so“ sind erreicht. sich dann die Konkurrenz – soweit es diese gibt. Wachstum muss genutzt werden, um unser aller Leben weiter zu verbessern! Die Automobilindustrie feiert ein über Rohstoffe müssen besser und Produkte 100 Jahre altes Geschäftsmodell. Es gab länger genutzt werden! Zukunft ist kein für sie bisher keinen Grund, hieran etwas Technik- oder Ressourcenproblem: zu ändern. Die in den letzten 100 Jahren erreichten Produktionsfortschritte sind Es entsteht in den Köpfen der Menschen! gewaltig. Die Kassen randvoll gefüllt. Ein Bekannter von mir hat das mal ausge- Fortschrittsbedingt und durch immer rechnet: Danach stecken in jedem Auto, mehr Umweltauflagen wird die Anzahl das vom Band läuft – betrachtet man der nachgefragten Automobile und die dabei einmal die gesamte Wertschöp- Anzahl der Arbeitsplätze im „System fungskette – nur noch wenige Stunden Auto“ rückläufig sein. Zum „System Auto“ menschlicher Arbeitskraft! gehören nicht nur die Autoindustrie sowie Wir 42 - 2021 | 5
Zukunftsweisend? - Konzeptfahrzeuge von General Motors 1996 (links) und Nissan 2007. die Autowerkstätten und Tankstellen. Es aber auch für unsere Jugend. Dies müssen sind auch z.B. Stahlwerke, Maschinenfa- sie von der Politik einfordern. briken, Tankschiffe, Raffinerien, Straßen-, Garagen- und Brückenbauer. Ebenso alle Anforderungen an Geschäfte, die die im „System Auto“ heut- mein Traumauto zutage Beschäftigten versorgen. ▶ Mobilität bedeutet, ein Fahrzeug zu Die Zukunft liegt in immer mehr und nutzen, aber ich muss es nicht besitzen. besser gestaltetem Öffentlichen Nah- und ▶ Ein Auto sollte von mehreren Menschen Fernverkehr. Hier entstehen mit Sicher- gemeinsam, möglichst an vielen Stun- heit die neuen Arbeitsplätze. Um diesen den am Tag genutzt werden. Systemwandel zu gestalten sind die heuti- ▶ Das Auto der Zukunft sollte langlebig gen Arbeitnehmer*innen aufgerufen, sich und leicht reparierbar sein sowie pro- verstärkt zu organisieren. Sie müssen ge- fessionell gewartet und gepflegt wer- meinsam mit ihren Gewerkschaften die- den. sen unvermeidbaren Prozess durch ▶ Material und Energie für Herstellung drastische Arbeitszeitverkürzungen bei und Nutzung müssen nachhaltig und vollem Lohnausgleich begleiten. umweltschonend sein. ▶ Die Anzahl der Verschleißteile im Auto Arbeitnehmer*innen müssen sich für neu muss drastisch reduziert werden. zu schaffende, gesellschaftlich nützliche ▶ Das Fahrzeug muss sich mit dem öf- Arbeitsplätze einsetzen. Für sich selbst, fentlichen Verkehrssystem, das die IMPRESSUM Die Zeitung wird gefördert durch EVG Bremen, GEW REDAKTION Bremen, IG Metall Bremen, NGG Bremen und ver.di Wolfgang Bielenberg (GEW), Gerd Bohling, Bremen. Über weitere Mitarbeiter*innen würden wir Udo Hannemann, Hugo Köser, Hermann Wilkening uns freuen. Kritik und Anregungen sind uns immer (IGM), Cornelia Förster-Bonomo, Wolfgang Schröder willkommen. (NGG), Willi Derbogen, Marita Froese-Sarimun, Marlene Henrici, Traudel Kassel, Bernd Krause, HERAUSGEBER & KONTAKT Reiner Meissner, Margot Müller, Günther Wesemann, Arbeitskreis DGB-Senior*innen Bremen Manfred Weule, Brigitte Wilkening, Holger Zantopp c/o Gerd Bohling, DGB-Haus Bremen (ver.di) Bahnhofsplatz 22–28, 281 95 Bremen E-Mail wir@aulbremen.de V.i.S.d.P. Jens Tanneberg DRUCK Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Wir machen Druck Tel. 0421 / 960890 Frühere WIR-Ausgaben unter >>> https://www.aulbremen.de/projekt/senior-innenzeitung-wir 6 | Wir 42 - 2021
Masse der Wege abdecken und Vorrang winzig und verfügt über eine Rechenleis- haben sollte, abstimmen. tung, die einem Mehrfachen heutiger Su- ▶ Es soll über feste und variable percompter entspricht. Diese Computer Stellplätze am Wohn- und am Arbeits- sind extrem billig und leicht austauschbar. ort verfügen. Die gegenüber heutigen Modellen riesige Technik muss zukunftsfähig sein Rechenleistung wird dazu genutzt, die zahlreichen Assistenzsysteme zu steuern. Natürlich muss ein Auto eine dauerhafte, Sie kommunizieren mit anderen Fahrzeu- leicht zu reparierende Karosserie haben. gen, Satelliten, dem Serviceteam und ihrer Sie sollte nicht mehr aus Stahl oder Alu- Umgebung. So erkennen diese Sensoren minium bestehen. Denkbar ist ein Mate- z. B., welche Höchstgeschwindigkeit je- rial, das bessere Eigenschaften besitzt und weils vorgeschrieben ist, sorgen dafür, dazu auch billiger und umweltschonend dass diese Höchstgeschwindigkeit nicht ist. Es soll korrosionsbeständig und leich- überschritten wird und stoppen das Fahr- ter als das heute im Motorsport verbaute zeug vor roten Ampeln. Kohlenfasergewebe sein. Dieses Material heißt Graphen. Es besteht – wie Diamant Der Bordcomputer übernimmt in Gefah- – aus reinem Kohlenstoff. renmomenten die Steuerung und sorgt für den Schutz der Insassen. Dabei können Die bisherige Lenkung und der gesamte variable Elemente aktiviert werden, die heutige Antriebsstrang mit Motor, Getrie- zur Verstärkung der Karosserie beitragen. be und Steckachsen etc. entfallen ersatzlos Mehrfache Airbags, innen und außen, er- bzw. werden durch elektrische Systeme er- höhen die Sicherheit der Insassen und an- setzt. So verbleibt in diesen neu konstru- derer Verkehrsteilnehmer. ierten Karossen viel Platz für Insassen und Gepäck. Türen, Klappen und Anbau- Wichtig ist, dass die elektrische Energie teile werden aus Metall und Kunststoff in- für das Fahrzeug regenerativ erzeugt wird. dividuell nach Kundenwunsch im An allen Stellplätzen, wo das Fahrzeug zur 3-D-Druck hergestellt. Ruhe kommt, wird der Bordcomputer – ohne Zutun der Insassen – seine Energie- An das Chassis werden vier Modulele- quelle aufladen. mente für Reifen mit integrierten Radna- benmotoren angebaut. Diese Module Dies natürlich ebenfalls in einen aus Gra- ermöglichen den Rädern, sich in alle phen hergestellten Speicher. Mit unter- Richtungen zu drehen und lassen das schiedlicher Speichertechnologie für Fahrzeug auch seitlich einparken. Fede- kurzfristige hohe Entladung beim Be- rung, Bremsen und weitere Sensoren sind schleunigen und langsamerer Entladung ebenfalls fest in diese Module integriert. für die normale Fahrt. Reifenabrieb muss biologisch abbaubar und gesundheitlich unbedenklich sein. Das gesamte Auto soll am Ende seiner Nutzungszeit vollautomatisch und sorten- Die wichtigste Baugruppe in diesem Fahr- rein zerlegt werden können. Dies muss zeug wird der mehrfach vorhandene zukünftig bereits bei der Konstruktion ein Bordcomputer sein. Dank seiner auf der nachzuweisender Punkt für die Straßen- Nanoebene erstellten Architektur ist er zulassung sein. Alles drin! Das Rad wird neu erfunden ... und intelligent mit den übrigen Systemen verbunden. Wir 42 - 2021 | 7
Corona und die Geschichte meiner Tante Uschi Mein Cousin rief mich im November an und er sie in die Klinik brachte. Dort Holger MaritaZantopp und teilte mir mit, dass es seiner Mutter nahm man bei Aufnahme einen Abstrich Froese-Sarimun Uschi, 90 Jahre alt und seit sehr langer vor – der war positiv. Sie wurde gleich auf Zeit an einem Karzinom erkrankt, nicht die Isolierstation verlegt. Besuche sind gut gehe und sie zur Magen- und Darm- dort untersagt. spiegelung gewesen sei und man nun Me- tastasen gefunden habe. Alle von uns wissen inzwischen, was diese Diagnose bedeutet. Das Geringste für uns Ich habe meine Tante dann daheim be- Angehörige ist die Quarantäne und ein sucht. Sie sah sehr blass und mitgenom- Abstrich. Aber ich muss zugeben, dass ich men aus und fühlte sich elend. Sie bot mir wegen meiner Bronchitis große Existenz- einen Kaffee an, doch ich wollte nicht, sorgen hatte und auf die nächsten übli- dass sie aufsteht, wichtiger war mir unser chen Covid-19 Symptome wartete, bis Gespräch. So verplauderten wir 3 Stunden endlich mein – negatives – Testergebnis über uns, das Leben und die Verwandt- vorlag. schaft. Beim Abschied brachte sie mich zur Tür und wegen unserer Kontaktbe- Mit meiner Tante konnte ich in den Fol- schränkungen nahm ich sie nicht in den getagen telefonieren. Sie erholte sich, Arm. Wir verabredeten uns für die kom- freute sich auf ihr Milchsüppchen und mende Woche. An der Gartenpforte dreh- konnte etwas herumlaufen. Ende Novem- te ich mich noch einmal winkend um und ber klagte sie über einen zunehmenden Husten, ihr wurde Sauerstoff zugeführt. Kontinuierlich verschlechterte sich ihr Zustand und Telefonate wurden ihr zu anstrengend. Sie wurde depressiv, verwei- gerte die Nahrung, bekam Infusionen und stand nicht mehr auf. Wie es ihr ging, konnte mein Cousin dann nur über die behandelnde Ärztin erfahren. Anfang Dezember wurde ihr das erste Mal Morphin verabreicht, mein Cousin sagte nach dem Telefonat mit der Ärztin, seine Mutter solle damit keine Schmerzen haben. Mich erschreckte die Nachricht, da Morphin atemvermindernd wirkt und sie hatte sich nicht über Schmerzen oder pa- nikartige Beschwerden durch Luftnot ge- äußert. Sie klagte mehr über ihre kalten Füße und bat darum, ihr Kuschelsocken in die Klinik zu bringen. Am Telefon konnten wir hören, dass ihre Atmung schwerer wurde. Die letzte Fahrt ... Wo hatte sie sich infiziert? sah, wie sie die Tür abschloss und den Flur entlang ging. Wir suchten nach einer Erklärung, wo sie sich mit dem Corona Virus infiziert Es war das letzte Mal, dass ich Tante Uschi haben könnte. Recherchen ergaben, dass sah. es in der Klinik, in der sie zur Darmspie- gelung aufgenommen wurde, mehrere Am Wochenende bekam ich eine Bron- Corona Infektionen beim Personal und chitis und sagte den nächsten Besuch bei auch bei Patienten gegeben hatte. der Tante ab, um sie nicht mit meiner Er- kältung anzustecken. Mein Cousin rief Entlassung in die häusliche Pflege? mich einige Tage darauf erneut an, um mitzuteilen, dass sich der Zustand seiner Dann informierte die Ärztin meinen Mutter dramatisch verschlechtert habe Cousin, dass die Klinik sie am nächsten 8 | Wir 42 - 2021
Wochenende entlassen wolle, therapeu- waren. Drei Tage nach der ersten Gabe tisch sei nichts mehr zu unternehmen. rief man meinen Cousin an, seine Mutter sei verstorben. Das versetzte ihn in Panik, da er noch nicht wusste, wie er seine Mutter in ihrem Die Gedanken rotierten. War jemand bei Haus versorgen könnte. Seine Sorge kom- ihr, hat ihr die Hand gehalten oder hat die pensierte er dann mit großen Aktivitäten. Nachtwache sie tot bei ihrem Durchgang vorgefunden? Die Ungewissheit über die Der Pflegedienst eines Hospizes wurde letzten Stunden ihres Lebens sind nur engagiert, ein Krankenbett, Sauerstoffge- schwer für uns auszuhalten. Auch das Ab- rät, Pflegematerialen bestellt, Präparate schiednehmen nach dem Tod ist bei Infi- zur Ernährung angeschafft, ein Toiletten- zierten nicht so möglich wie sonst. Ihr stuhl und einen Krankenrollstuhl standen Sohn sagte, diesen Tod hat sie nicht ver- bereit. Selbst das Wohnzimmer wurde dient. umgestellt, dass seine Mutter vom Bett aus noch ein wenig fernsehen kann. Ich habe mich als Krankenschwester angeboten, die nächtliche Pflege zu übernehmen und bei ihr zu schlafen. Er stellte bereits einen Plan zusammen, wann wer welche Schicht übernimmt. Einige Tage später wuchsen bei mir Zwei- fel, ob die ganze Organisation um die häusliche Pflege noch zum Tragen kommt. Telefonate mit meiner Tante waren nicht mehr möglich, die Luft reich- te nicht mehr zum Sprechen. Doch mein Cousin klammerte sich daran, seine Mut- ter soll in ihre vertraute Umgebung kom- men und dort betreut werden. Ich habe seine Hoffnung miterlebt, den Wunsch noch Zeit mit ihr zu haben. Ihr in die Augen zu sehen, die Hände zu halten und ihr auch danken zu können. Die Vor- bereitung zur Entlassung war mit so vie- len Telefonaten und Wegen verbunden, ... ein letzter Blick dass er mehr als beschäftigt war, doch er Ich sehe sie noch vor mir bei dem Ab- hatte das Gefühl, etwas für seine Mutter schied an ihrer Haustür. Warum habe ich tun zu können. Doch es kam noch schwe- sie nicht wie sonst auch in den Arm ge- rer für ihn nommen? Kurz vor der geplanten Entlassung wurde Meine Erzählung ist in dieser Zeit nichts bei meiner Tante ein zweiter Abstrich ent- Ungewöhnliches. Weltweit sind über 2,5 nommen und auch dieser war positiv. Millionen Menschen einen ähnlichen Tod Damit war die Pflege daheim kontraindi- gestorben. Allein und nach Luft ringend ziert und mein Cousin gab das Kranken- oder auf Krankenstationen mit moderns- bett, Sauerstoffgerät und alle anderen ter Intensivtechnik, bis jede Behandlungs- Dinge wieder zurück. Es war das erste möglichkeit ausgeschöpft war. Mal, dass ich ihn weinen sah. Das tat mir sehr weh und ich fühlte mich hilflos. Wir als Angehörige fragten uns, wie die anderen Familien diese Trauer und Unge- In den Unterlagen meiner Tante fand er wissheit überwinden. Wir haben uns dann ihre Patientenverfügung. Die hatte sie vor an den Abenden alte Fotoalben und Filme vielen Jahren unterschrieben, als ihr Ma- angesehen. Gerade in den uralten genkrebs diagnostiziert wurde. Er brachte Stummfilmen lebten viele unsere Famili- das Dokument in die Klinik, die Ärztin enmitglieder wieder auf und wir be- nahm es sofort entgegen. schlossen, dass die Tante Uschi nicht vergessen werden darf. Wir haben ihr Die Dosis des Morphins wurde erhöht. Leben in einem Gedenken beschrieben, Die Ärztin versicherte ihm, dass seine mein Cousin hat es drucken und binden Mutter ruhig schlafen und keine Schmer- lassen und am Tage der Seebestattung hat zen haben würde. Wir wissen nicht, wie er es der Familie und Freunden über- hoch die verabreichten Morphingaben reicht. Wir 42 - 2021 | 9
Corona hinterm Werkstor Seit einer gefühlten Ewigkeit schränken Fleischindustrie, bei Amazon und Saison- Traudel Kassel wir uns alle im privaten Bereich stark ein. arbeitern. Sie lenkten den Blick auf die In Schulen, Kitas, Reisen, Einkäufen, Kul- dort herrschenden Zustände mit Subun- tur – über den lebensnotwendigen Bereich ternehmen und skandalösen Arbeitsbe- hinaus – überall Notbetreuung und dingungen und Unterbringung der Verzicht. Die seelischen Folgen werden Menschen. Obwohl – die waren lange inzwischen breit thematisiert. Mit Statis- vorher bekannt. Nun reagierte die Politik tiken und Studien zu allen möglichen mit der lange überfälligen Eindämmung Aspekten der Pandemie werden wir täg- von Werkverträgen. lich überhäuft. Sind Schulen oder doch die Feiernden Infektionstreiber? Schuldige Seitdem wurde – bis vor kurzem – seltsam werden gesucht: Reisende, Feiernde, Sin- wenig über Ansteckungsgefahren in „ganz gende oder die, deren Masken nicht normalen“ Betrieben, Großraumbüros, richtig sitzen. Zuletzt sind es die „auslän- Baustellen und dem Arbeitsweg dorthin dischen“ Mutanten, die unseren fast ge- berichtet. So als ob nicht sein kann, was zähmten „einheimischen“ den Rang nicht sein darf. Der Arbeitsplatz – die hei- ablaufen. Zwischen Lockdown-Gegnern lige Kuh – durfte nicht als Infektionstrei- und denjenigen, für die jede Kritik an ber identifiziert, der „Laden“, die Maßnahmen schon Corona-Leugnen be- (Export-)Industrie sollte „am Laufen ge- deutet, entstehen immer häufiger Kon- halten“ werden. Allein massenhafte Kurz- flikte, auch im Familien- oder arbeit half und hilft zeitweise zu Freundeskreis. reduzierten Kontakten und Wegen. Und im Betrieb? Die Demokratie hört am Werkstor auf Die in Pflegeheimen und Kliniken häufi- Wo in Betrieben Sicherheits- und Ge- gen Ausbrüche mit oft tödlichen Folgen sundheitsmanagement betrieben wird ließen sich nicht ignorieren. In diesen Be- und Betriebsräte sich um die Einhaltung reichen wurden zeitweise einschneidende, von Infektionsschutz-Maßnahmen küm- wohl unvermeidbare Maßnahmen ergrif- mern, wurden Arbeitsabläufe umgestaltet, fen. Die besondere Gefährdung von Be- Homeoffice eingerichtet, der Schicht- schäftigten in Kitas und Schulen führten wechsel entzerrt, um Kontakte und Infek- schließlich zu mehr Tests und Änderun- tionen zu vermeiden. Häufig sind solche gen in der Impfreihenfolge. Bedingungen aber nicht gegeben. In die Öffentlichkeit gelangten notge- Eine wachsende Zahl an vor allem kleine- drungen die extremen Ausbrüche in der ren Betrieben hat aber weder Betriebsrat noch Tarifvertrag. 1) Dort gilt, was der Boss sagt. Und wenn der sagt: so geht das, und das geht gar nicht, dann ist das so. Ohne Unterstützung durch Betriebsrat und Gewerkschaft sind Handlungsmög- lichkeiten der Beschäftigten gering. In ihrer Abhängigkeit identifizieren sie sich mit dem, dem sie ausgeliefert sind. Wer sich beschwert oder als Whistleblower Missstände nach außen meldet, geht ein hohes Risiko ein, gemobbt oder gar ent- lassen zu werden. Stattdessen wären durch 1 0 | Wir 42 - 2021
die zuständigen Behörden Gefährdungs- beurteilungen und die Einhaltung der Ar- beitsschutzverordnung einzufordern, zu kontrollieren und Verstöße zu sanktionie- ren. Diese Ämter wurden jedoch so sehr ausgedünnt, dass sie diese Aufgaben kaum noch erfüllen können. Was treibt Beschäftigte in der Pandemie und auch sonst dazu, ihre eigene Gesund- heit hinter betrieblichen Interessen zu- rückzustellen? Viele sorgen sich in der Krise um ihren Arbeitsplatz oder um den Bestand des Betriebes mehr als um die ei- gene Gesundheit. Auch fehlendes Ge- Das wird von Unternehmen oft ausge- sundheitsbewusstsein vieler Kolleg*innen nutzt, indem Personalabbau angekündigt sorgt für eine erhöhte Infektionsgefahr amoder durchgeführt wird, auch wenn der Arbeitsplatz. Da herrscht oft noch immer Betrieb nicht gefährdet ist oder gar zu den das Bild des „starken unverwundbaren Gewinnern der Corona-Krise gehört. Helden der Arbeit“ vor. Die eigene Ver- Nicht wenigen Branchen geht es zu Pan- letzlichkeit wird verdrängt, weil sie das demie-Zeiten ökonomisch gut oder gar Ansehen beim Chef oder in der Gruppe hervorragend. Auch nutzen Betriebe die gefährden könnte. Kurzarbeit, um mit staatlichen Geldern ihre finanzielle Lage aufzubessern – zu Prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben Lasten der Sozialkassen und der betroffe- in den letzten Jahren stark zugenommen. nen Kolleg*innen. Da trifft der Ausspruch Allein 3 Millionen Menschen sind befris- von Warren Buffet zu: Wenn es gerade tet beschäftigt. Diese Menschen können es Gold regnet, stelle einen Eimer vor die sich nicht leisten, ihren Arbeitsplatz zu Tür – nicht einen Fingerhut. verlieren. 2) 1) Nur noch 41 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 36 Prozent in Ost- deutschland arbeiten in Betrieben mit einem Betriebsrat. 2) Minijobber*innen, befristet Beschäftigte oder Leiharbeiter*innen sind am meisten von Arbeitsplatzverlust betroffen, im Pandemiejahr 2020 waren es z. B. 920.000 Minijobber*innen. Ein Whistleblower berichtet über die Corona-Maßnahmen in einer ganz normalen Fabrik in Deutschland (Dezember 2020)* Die erste Maßnahme des Unterneh- kleide umgezogen – ohne Fenster, Arbeitsabläufen wurde nichts ver- mens: Es wurden Passierscheine nur eine Tür. Die Lüftung funktio- ändert, auch keine Umbauten vor- ausgestellt für den Weg zur Arbeit. niert nur sporadisch. Das ist seit genommen. Die Firma überträgt die Wochen später gab es Desinfekti- Jahren so. Auf den Wegen wird die Verantwortung auf die einzelnen onsspender an Ein- und Ausgängen. Maske aufgesetzt, im Pausenraum Kollegen. Dann wurden „Masken“ gestellt: von und an den Maschinen nicht. Der einem Automobilzulieferer herge- Schichtwechsel ist eine Katastrophe: Überall hängen Plakate, wie man stellt und die Maschen des Stoffes so Die unterschiedlichen Schichten sich privat zu verhalten hat. groß und durchsichtig, „dass der treffen aufeinander und stehen zu- Stoff noch nicht mal fürs Fliegengit- sammen. Kein zeitversetzter Wenn im Betrieb Infektionen auf- ter reichen würde“. Ganze 5 wasch- Schichtbeginn. treten, rät die Geschäftsleitung dazu, bare Stoffe in 9 Monaten. Der gegenüber dem Gesundheitsamt nur Kollege XY hat sich eigene von zu Am Arbeitsplatz ist lüften verboten. einen Kontakt zu nennen … Hause mitgebracht. Es könnte Laub auf die Kartonagen fallen und sie beschädigen. Es gibt Davon abgesehen ist eigentlich alles auch keine Klimaanlagen oder * Kurze anonymisierte Zusammen- wie immer: Es wird sich in der Um- Luftumwälzungsanlagen. An den fassung aus einem längeren Bericht Wir 42 - 2021 | 1 1
Was tut sich auf dem Neuen Hulsberg? Seit 2011 sind die Planungen, Bürgerbe- Und wo stehen alle Beteiligten real im Margot Müller teiligungen, Änderungen, Verspätungen, Jahr 2021? Auf einem zentralen, urbanen gefühlte tausend Sitzungen, eine Bürger- und einem der teuersten Grundstücke initiative, ein Bebauungsplan, ein Städte- überhaupt, die zurzeit in der Freien Han- baulicher Vertrag, der tatsächliche sestadt Bremen für Wohnungsbau ver- Klinikneubau usw. auf dem vom Klini- kauft werden. Immerhin sollen 30% kum Bremen Mitte genutzten Neuen Sozialwohnungen entstehen – dafür hat Hulsberg Grundstück in Gange. sich auch der Beirat Östliche Vorstadt wa- cker eingesetzt. Baugemeinschaften sollen Das Ziel in aller Offenheit erklärt. auf bestimmten Grundstücken berück- sichtigt werden, jedoch wird als „Neben- effekt“ durch die Bieterbedingungen ihre Solidarität untereinander faktisch gebro- chen. Und das Kettensägenmassaker im alten Baumbestand geht weiter. Sicher ist ein Teil der schmerzlichen Fällungen notwen- dig, damit dort überhaupt Wohnungsbau in größerem Umfang entstehen kann. Aber die Ignoranz, mit der Behörden und Politik über alle Vorschläge aus der Bevöl- kerung für auch nur kleinste Planände- rungen zur Rettung mächtiger Bäume „hinwegtrampeln“, versetzt jede*n Natur- freund*in in Wut. Schon im März 2016 wurde die Stadtteil- Genossenschaft Hulsberg (SGH) gegrün- det. Sie strebt gemeinschaftliches Wohnen GLOSSE Marlene Henrici Großes Verantwortungsgefühl … … oder wie Politiker und Klinikleitungen dafür sorgen, dass kein Impfstoffungenutzt bleibt. Nach langer Diskussion im Ethikrat werden konnten, da es vor Ort keine hier in Bremen. Mit dieser heroi- wurde eine Prioritätenliste fürs Impflinge mehr gab. Es ließen sich schen Tat wollten die Betroffenen Impfen fertiggestellt. Es sollten zu- so schnell auch keine Interessenten natürlich nicht in der Öffentlichkeit erst die Menschen über 80 Jahre und finden. Das ist verständlich, da zur prahlen. Allerdings ließ sich ein Be- das Pflegepersonal und andere Risi- Zeit ja so viele Menschen in Urlaub kanntwerden nicht verhindern. So kogruppen geimpft werden. Es war sind. Man sieht ja, dass die Städte kam es, dass sich merkwürdigerwei- für viele sehr schwierig, an einen der wie leergefegt sind. se die Leitung der Bremer Klinik bei begehrten Impftermine zu kommen. den Beschäftigten für ihr Handeln Wegen des knappen Impfstoffes Was nun??? entschuldigte. Ja, man munkelt wurden sie auf die nächsten Wochen sogar, dass einige Heroen bereit vertröstet. Glücklicherweise stellten sich meh- sind, bis zu 25.000 Euro in rere Kommunalpolitiker und selbst die Staatskasse zu zahlen. Nun stellte sich offensichtlich her- Klinikleitungen für die Impfung zur aus, dass am Ende eines Impftages Verfügung, unter anderem auch die Also, Daumen hoch vor so viel fertiggestellte Dosen nicht verimpft Geschäftsführung des St.-Josef-Stifts Aufopferung für die Allgemeinheit. 1 2 | Wir 42 - 2021
Die Kettensäge schafft Fakten. Die StadtteilGenossenschaft hält unterdessen an ihren Plänen fest. in einem sozial und ökologisch ausgerich- konzentrieren, möglichst zügig ein teten Wohnprojekt in einem attraktiven Wohnbauprojekt auf einem anderen Bau- citynahen Wohnquartier zu bezahlbaren feld im Hulsberg Quartier zu realisieren. Mieten an. Nach über vier Jahren Ver- In die nähere Auswahl wurde das Baufeld handlungen mit der Stadt, einer Bürger- neben dem ehemaligen Scharlach-Qua- schaftswahl und dem Bekenntnis der rantänehaus einbezogen. Es wird zurzeit neuen Koalitionsregierung (so „neu“ ist vorübergehend (wie lange?) ausgerechnet sie gar nicht mehr) zur Realisierung des als Parkplatz genutzt. Projektes Bettenhaus hat sich, auch durch die Corona Krise, jetzt die Ansage der se- Dabei sind die Voraussetzungen für die natorischen Behörde für Gesundheit Realisierung des sozial gemischten Wohn- deutlich geändert. Es wird nun die Not- projekts mit dauerhaft bezahlbaren wendigkeit zum Erhalt des Bettenhauses Mieten durch das neue Genossenschafts- und dessen Nutzung für klinische Zwecke förderprogramm und die Aufstockung der und Einrichtungen, für die im Klinik- Mittel für den sozialen Wohnungsbau ins- Neubau kein Platz vorhanden ist (!), gese- gesamt erheblich verbessert worden. Die- hen. ses Förderprogramm erlaubt es der SGH und weiteren kleinen neugegründeten Die SGH hat damit eines ihrer Ziele, den Genossenschaften Sozialwohnungen zu Abbruch des Gebäudes – die Vernichtung bauen und zu bewirtschaften, ohne diese der darin gebundenen „grauen Energie“ – quersubventionieren zu müssen. zu verhindern, erreicht. Tragischerweise kann sie selbst davon nicht profitieren, Die SGH ist auch auf Grund von Zusagen denn der Erhalt des Bettenhauses kommt des Bausenators (schon vor der Wahl) in nun nicht ihr, sondern dem Krankenhaus Kosten-vorleistung für Architektenleis- Mitte, der GeNo und der Allgemeinheit tungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen, zugute. Außerdem ist es ihr gelungen, den Schadstoffgutachten usw. gegangen, und Begriff „Erbbaurecht“ wieder in die Dis- hofft jetzt mindestens auf einen Ausgleich kussion zu bringen. durch Einberechnung des sozialen und ökologischen Mehrwerts des Projektes in Ihr Ziel, ein „Leuchtturm-Wohnprojekt“, den Kaufpreis. ein vertikales Dorf auf dem Hulsberg im Bettenhaus zu bauen und zu bewohnen, Die StadtteilGenossenschaft Hulsberg will kann die SGH in dieser Situation nicht immer noch auf dem Hulsberg-Gelände verwirklichen. Sie muss sich jetzt darauf bauen und wird nicht aufgeben. Wir 42 - 2021 | 1 3
Gastbeitrag von Jürgen Ohlzen Seniorengruppe NGG Bremen Aquakultur: Öko? Logisch! Ein Drittel der Fischbestände in unseren Fünftel Anlandung erfolgte durch eigene Ozeanen sind laut der Welternährungsor- Fischereifahrzeuge! Die Ausfuhr insge- ganisation FAO überfischt. Wir konsu- samt betrug über 500 000 t. mieren seit langem mehr Fisch als unsere Meere hergeben. Stattdessen holen wir Durch den Brexit wird in Deutschland den Fisch aus allen Meeren der Welt nach zukünftig der Hering sicherlich weniger Deutschland, um ihn hier zu verarbeiten werden und damit auch teurer. 2019 war und zu verkaufen. Ein Großteil wird wie- die Einfuhr schon um mehr als ein Drittel derum nach der Verarbeitung aber wieder zurückgegangen. Verbraucher müssen exportiert. daher mit einer Verteuerung zahlreicher Fischerzeugnisse rechnen. 2019 betrug die Anlandung deutscher Fi- schereifahrzeuge knapp 200.000 t, wäh- Auch die absichtliche oder die unbedachte rend die Gesamtanlandungen insgesamt Freisetzung von Kunststoffprodukten ist über 900.000 t betrugen. Also nur ein ein globales Umweltproblem geworden. Der Anteil der Aquakultur am heimischen Fischmarkt hat stark zugenommen. 1 4 | Wir 42 - 2021
5.000 Tonnen Karpfen und mehr als 1.500 Oben links: Dabei steht die Verschmutzung der Meere Tonnen Lachsforellen. Austernkultur am im Vordergrund. Durch den Einfluss von UV-Strahlung und Reibung zersetzen sich Inzwischen gibt es aber immer mehr Be- Bélon, Frankreich freigesetzte Kunststoffprodukte in Frag- triebe in Deutschland, die Aquakultur in Foto: Peter Gugerell mente und in Kleinst- bis Mikropartikel ökologischer Bewirtschaftung betreiben. („Mikroplastik“). Aufgrund ihrer Größe Wesentliche Kriterien für eine nachhaltige Oben Mitte: können Mikropartikel weite Bereiche der Aquakultur sind die Nutzung von Kreis- Umwelt durchdringen und überall vor- laufanlagen. Das sind weitgehend ge- Karpfen kommen. schlossene Systeme, sodass alle Foto: Piet Spaans Verbindungen zur Umwelt kontrolliert Der Selbstversorgungsgrad muss erheb- werden können. Das ermöglicht zum Bei- Oben rechts: lich gesteigert werden, das Umweltbe- spiel die Ausscheidungen der Fische als wusstsein und das nachhaltige Denken Dünger zu recyceln. Zudem können nega- Aufzuchtbecken für gefördert und gefordert werden. Hierbei tive Umwelteinflüsse vermieden und die Fischeier ist gerade die Aquakultur zu erwähnen, Mortalitätsraten durch Krankheiten oder Foto: Carl Steinbeisser denn die Aquakultur kann sehr viel leis- Fischräuber wie Kormorane im Vergleich (alle aus Wikipedia) ten. zu anderen Systemen deutlich gesenkt werden. So spricht viel für diese Anlagen. Vorteile der Aquakultur - vor allem der ökologischen Die produzierte Menge der ökologisch be- triebenen Aquakulturen ist in Deutsch- Aquakultur ist die kontrollierte Erzeu- land in den Jahren 2013 bis 2018 ständig gung von Wasserorganismen. Hierzu ge- gestiegen. Im Jahr 2018 wurden in Aqua- hören nicht nur die Fische, sondern auch kulturen mit ökologischer Bewirtschaf- alle anderen im Wasser lebenden Tiere tung in Deutschland insgesamt rund und Pflanzen wie Krebse, Muscheln, 6.600 Tonnen Fischerzeugnisse produ- Algen usw. Die Aquakultur findet sowohl ziert. im Süßwasser als auch im Salzwasser (Marikultur) statt. Hier ist sicherlich noch Luft nach oben, wenn Verbraucher auch bereit sind, den Einige bekannte Beispiele für Aquakultur höheren Preis dafür zu bezahlen. mit unterschiedlichen Methoden: Informationen über die Aquakultur unter • Traditionelle Karpfenteichwirtschaft info@bundesverband-aquakultur.de / • Forellenzucht in Naturteichen und www.bundesverband-aquakultur.de Fließgerinnen https://www.fischmagazin.de/volltextsu- • Lachszucht in Netzgehegen che.php?begriff=garnele&x=0&y=0 • Aalaufzucht in Kreislaufanlagen • Miesmuschel- und Austernkultur im Küstengebiet • Garnelenzucht • Algen 2017 gab es in Deutschland 2.706 Betriebe der Aquakultur. Sie erzeugten knapp 7.000 Tonnen Regenbogenforellen, knapp Wir 42 - 2021 | 1 5
Handeln wir fair? Warum das neue Lieferkettengesetz überfällig ist Es wird schon lange diskutiert, welche plan Wirtschaft und Menschenrechte Marlene Henrici Verantwortung wir haben, wenn es um (NAP). Damit sollten gemäß des Koali- die Produktions- und Lebensbedingungen tionsvertrages die diesbezüglichen UN- in Erzeugerländern geht. So wurde bereits Leitlinien umgesetzt werden. Das Ziel 1946 die erste Fair Trade (gerechter Han- sollte sein, dass 50 % der Firmen mit über del) Organisation in Nordamerika ge- 500 Beschäftigten bis 2020 menschen- gründet. Ziel sollte es sein, dass die rechtliche Sorgfalt in ihre Unternehmens- Erzeuger einen gerechten Preis für ihre prozesse integriert haben. Bis Ende Okto- hergestellten Waren erhalten. ber 2019 konnten nur 17 bis 19% der beteiligten Firmen In Europa wurde in den 1960er Jahren die darlegen, dass sie erste Bewegung gegründet. Seit 1992 gibt diese Sorgfalt ange- es das Fair Trade Siegel. Diese Waren wer- messen umsetzen. Im den inzwischen auch in Supermärkten an- Jahr 2020 wurden geboten. Kriterien, um das Siegel für die ähnliche Ergebnisse Produkte verwenden zu dürfen, sind: erzielt. Im Koalitions- vertrag ist geregelt, ▶ Garantie eines Mindestpreises für die dass bei einer Nicht- Kleinbauern und Bäuerinnen erfüllung von min- ▶ Möglichkeit der Vorfinanzierung von destens 50 % der Firmen eine gesetzliche Projekten nationale Regelung geprüft wird. Die ▶ Förderung gewerkschaftlicher Organi- Bundesregierung soll sich für eine EU- sationen auf den Plantagen weite Regelung einsetzen. ▶ Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit Der Brand in der Textilfabrik in Pakistan ▶ Zugang zu Trinkwasser und medizini- 2012 ist noch in schrecklicher Erinne- scher Versorgung rung. Es starben 258 Menschen und es ▶ umweltschonender Anbau gab dutzende Schwerverletzte. Die Textil- ▶ Verbot von Waldrodungen zum Ge- kette KIK ließ dort Textilien fertigen, die winn von neuen Ackerflächen dann hier in Deutschland zu Schleuder- ▶ Verbot bestimmter Pestizide preisen verkauft wurden. Untersuchungen zeigten, dass durch einfache Änderungen Dieses Siegel ist sicher insgesamt sehr po- der Brandschutz hätte erhöht werden sitiv zu bewerten, da es die Perspektiven können und damit viele Leben zu retten der Erzeuger*innen erweitert. Allerdings gewesen wären. gibt es auch Kritik am sogenannten Mengen- Im März 2017 reichten vier Betroffene ausgleich. Wenn es sich beim Landgericht Dortmund Zivilklage um Mischprodukte han- gegen die Firma KIK ein und forderten delt, können die Zutaten 30.000 Euro Schmerzensgeld. Die Klage bis zu 80 Prozent aus wurde mit Hinweis auf die Verjährung unfairem Handel kom- nach pakistanischem Recht abgewiesen. men. Das konterkariert Die Klage wurde also aus formalen Grün- aus meiner Sicht die den abgewiesen. In der Sache wurde nicht gute Idee. Bis 2011 verhandelt. Gäbe es ein Lieferkettenge- mussten noch mindes- setz, könnten Betroffene nach deutschem tens 50 % Anteil aus fai- Recht klagen. Die Chancen, dass Firmen rem Handel kommen. Es zur Verantwortung gezogen werden, wäre gibt mittlerweile auch sehr viel größer. andere Siegel, wie zum Beispiel „der grüne Ein weiteres Beispiel ist die Erzeugung Knopf“ für Textilien. Es von Palmöl in Guatemala. EDEKA ver- wurden bis Mitte 2020 treibt palmölhaltige Produkte des Lebens- nur 1,5 bis 3 % des mittelherstellers Vandemoortele Marktanteils mit dem Siegel verkauft. Deutschland GmbH. Für die Arbei- ter*innen auf den Plantagen gibt es keinen Im Dezember 2016 unterzeichnete die Mindestlohn, keine schriftlichen Arbeits- Bundesregierung den nationalen Aktions- verträge. Es kommt zu willkürlichen Kün- 1 6 | Wir 42 - 2021
digungen. Arbeitsunfälle häufen sich. ferkette orientieren, fordern wegen eines Durch den Einsatz von Pestiziden und Wettbewerbsnachteils ebenfalls schon Chemikalien werden sowohl die Beschäf- lange eine gesetzliche Regelung. tigten wie auch die Umwelt vergiftet. Für Eine Umfrage ergab, dass 75% der Befrag- die Plantagen werden große Gebiete ent- ten für eine gesetzliche Regelung sind. waldet, Flüsse umgeleitet. Dadurch ver- Selbst die Mehrheit der CDU trocknen die Brunnen in den Dörfern. Wähler befürwortet ein Ge- setz. Es ist nicht verständlich, Durch die Corona Pandemie hat sich die dass Herr Altmaier bisher Lage in den Erzeugerländern weiter ver- gegen den Willen der eigenen schlechtert. Durch den Lockdown wurden Wählerschaft handelte. Bestellungen storniert, was für die Arbei- Nun ist es aber so weit. Noch ter*innen zu einem sofortigen Lohnausfall in dieser Legislaturperiode führte. Als die Produktion wieder anlief, soll ein Lieferkettengesetz gab es keinerlei Hygienemaßnahmen. verabschiedet werden. Auch wenn nicht alle wünschens- Bundesarbeitsminister Hubertus Heil werten Forderungen erfüllt (SPD), Bundesentwicklungsminister Gerd sind, ist das doch sehr er- Müller (CSU) und eine Initiative „Liefer- freulich. kettengesetz“ fordern seit Jahren eine ge- Aufgegebene Textilfabrik, setzliche Regelung. Die Vergangenheit hat So soll das Gesetz erst ab 2023 für Unter- Kehrseite unserer deutlich gezeigt, dass Appelle alleine nicht nehmen ab 3000 und ab 2024 für Firmen glitzernden ausreichend sind. In der Initiative sind ab 1000 Beschäftigte gelten. Für Betroffe- „Einkaufsparadiese“ zahlreiche Organisationen vertreten, so ne ist eine Klage vor deutschen Gerichten der DGB, ver.di, kirchliche Vertretungen über Nichtregierungsorganisationen und und Umweltverbände. Gewerkschaften möglich. Der Rechtsaus- schuss des europäischen Parlamentes hat Arbeitgeberverbände und Lobbyisten ver- sich für ein europäisches Lieferkettenge- suchten mit allen Mitteln, eine wirksame setz ausgesprochen. gesetzliche Regelung zu verhindern, und Der Anfang ist gemacht. hatten leider Bundeswirtschaftsminister Altmaier an ihrer Seite. Firmen, die sich Weitere Informationen finden sich unter an Menschenrechten innerhalb der Lie- „Lieferkettengesetz.de“ LESERBRIEFE Liebe KollegInnen, zunächst ein herzlicher Gruß aus Hannover. Vielen Dank darauf muss ich nicht in jeder z.B. Radio- und Fernsehsen- für die regelmäßige Zusendung der „WIR“, die ich versuche, dung besonders hingewiesen werden. Man kann sich sein regelmäßig in der ver.di-Geschäftsstelle zu verteilen, soweit Leid auch einreden oder einreden lassen. Ich denke, es wird dies in Corona-Zeiten möglich ist. Damit sind wir auch auch einmal bessere Zeiten geben. beim Thema. Was eure Zeitschrift betrifft, macht weiter so. WIR erlaubt Mich ärgert bei Corona, dass es so viele Menschen gibt, die mir, meine Affinität zu Bremen weiterhin zu erhalten. sich durch das Einreden von besonderen Lasten das Leben unnötig schwer machen. Lasten haben wir alle zu tragen, Mit freundlichen Grüßen, Uwe Dreier Liebe Kollegen, jetzt nach Jahrzehnten tickt in der Ostsee eine Zeitbombe. ich habe das Glück die WIR zu lesen. Die Artikel mit der 80 Jahre später sind wir wieder so arrogant und suchen ganzen Spannbreite sind sehr interessant, auch dass ihr nach Lösungen den ungeliebten Atommüll für unvorstell- einen Artikel auf Platt habt möchte ich hervorheben. Es ist bare Zeit zu verbuddeln. Müll muss jetzt nach Stand der dieser Beitrag mit diesem sensiblen Thema, der mich ver- Technik unschädlich gemacht werden. Die Technik gibt es anlasst einen Leserbrief zu schreiben. Unser geliebter schon her. Atommüll wird dadurch entsorgt, dass man Atommüll. Ich finde es immer schade, wie einseitig darüber damit noch mal Energie erzeugt. Man kann es überall geschrieben wird. Ausstieg muss sein, das ist richtig. Es nachlesen. Jedenfalls haben die, die jetzt aufschreien, auch wird bewusst oder politisch gewollt nicht zu Ende gedacht. keine Lösung parat, die eins beinhaltet: das Problem in Wir Älteren müssten es doch besser wissen, was wir unserer einem überschaubaren Zeitfenster zu lösen, dass niemand Umwelt nach dem 2. Weltkrieg und den Kindern und Kin- Schaden nimmt und es nicht immer auf andere Generatio- deskindern angetan haben. Da wurden Munition, Waffen nen abwälzt. usw. einfach in die Ostsee gekippt oder verbuddelt. Blind- gänger werden unter immensen Aufwand vernichtet und Wolfgang Buth Wir 42 - 2021 | 1 7
„Seenotrettung ist Rettungsaktion von Sea-Watch im Mittelmeer kein Verbrechen” Die Corona-Pandemie verdrängt jede Der heftigste Vorwurf lautet dabei, die Holger Zantopp neue Diskussion um die Aufnahme von „selbsternannten Retter" würden mit Geflüchteten. Die EU schottet sich weiter Schleppern Hand in Hand arbeiten. „Die gegen Menschen ab, die außerhalb ihres Alan Kurdi spielt Wassertaxi und erpresst eigenen Landes Schutz suchen. Dabei damit die EU", meint Weidel. Das Schiff wären Hilfen dringend notwendig, unter der deutschen Hilfsorganisation Sea-Eye anderem auf den griechischen Inseln. ist nach dem zweijährigen syrischen Jun- Stattdessen werden Seenotretter*innen gen benannt, dessen Leiche 2015 an der mit Hass überzogen und kriminalisiert. türkischen Mittelmeerküste entdeckt Gleichzeitig hat sich weltweit die Zahl der wurde. Das Bild des ertrunkenen Kindes Geflüchteten nochmals erhöht. Mehr als ging um die Welt. Auch sein vier Jahre 80 Millionen Menschen sind derzeit nach alter Bruder kam ums Leben, ebenso die UN-Angaben auf der Flucht. Sie fliehen Mutter der beiden. Nur der Vater überleb- nicht nur vor Kriegen und Gewalt, son- te. Die syrische Familie befand sich an dern auch wegen der Folgen des Klima- Bord eines Bootes, das in Seenot geriet. wandels. Diskriminierungen aufgrund der Von der Türkei aus wollten sie die griechi- ethnischen Herkunft oder des Glaubens sche Insel Kos erreichen. gehören ebenfalls zu Gründen, die Heimat zu verlassen. Abwertende Äußerungen gegen die See- notrettung sind dagegen bei der AfD an Wer denkt schon daran, dass das unver- der Tagesordnung. So laufen gegen den fängliche Wort „Wassertaxi" zu einem Thüringer AfD-Chef Höcke Ermittlungen Kampfbegriff werden kann, um Seenot- wegen Volksverhetzung. Anlass sind dif- retter*innen zu diffamieren. Eine solche famierende Aussagen über Carola Racke- Bedeutung bekommt das Wort durch Äu- te, der Kapitänin der „Sea-Watch 3”. ßerungen von Alice Weidel. Die AfD-Po- Höcke hatte mit einem Foto von Rackete litikerin ist wiederholt durch hasserfüllte in sozialen Netzwerken gepostet: „Ich Rhetorik aufgefallen. Sie attackiert alle, habe Folter, sexuelle Gewalt, Menschen- die sich im Mittelmeer mit Schiffen von handel und Mord importiert”. Rackete saß Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Hausarrest, nachdem sie im Juni 2019 auf den Weg machen, um Menschen in das Flüchtlingsschiff in den Hafen der Seenot zu retten. Insel Lampedusa gelenkt hatte - gegen den 1 8 | Wir 42 - 2021
Willen des damaligen italienischen In- Geflüchtete aufden spanischen nenministers Salvini. Kanaren werden abgeschoben Shitstorm gegen Seenotretter*innen In den letzten Monaten haben etwa 20.000 Geflüchtete aus Afrika die Kanarischen Die Liste von Hasskommentaren im Netz Inseln erreicht – derzeit ist von etwa ist lang. So heißt es unter anderem: „Ich 11.000 Asylsuchenden die Rede. Die hoffe, Ihr findet den Tod im Meer". Kriti- kürzeste Entfernung zwischen der ker werfen den NGOs vor, sie würden mit marokkanischen Hafenstadt Tarfaya ihren Schiffen einen „Pull-Effekt" auslö- und Puerto del Rosario auf Fuerte- sen. Die These geht von der Annahme ventura beträgt rund 110 Kilometer. aus, dass sich Menschen nur deswegen auf Da aber Marokko mit Hilfe der EU den Weg übers Meer machen, weil sie seine Gewässer scharf kontrolliert, wüssten, dass sie von privaten Seenothel- wagen viele Menschen die lange fer*innen in Sicherheit gebracht werden. Überfahrt über den Atlantik direkt Europäische Migrationsforscher sehen vom Senegal oder Gambia aus in dafür aber keinen Beleg. Matteo Villa, Richtung Kanaren. Nach Schätzung Wissenschaftler aus Italien, sagt: „Der der Vereinten Nationen kamen Geflüchtete aus Syrien und Pull-Faktor existiert nicht." dabei im vergangenen Jahr etwa dem Irak erreichen Lesbos 600 Geflüchtete ums Leben. Durch die Seenotretter*innen wurden im vergangenen Jahr Tausende Menschen im Inhumane Bedingungen Mittelmeer gerettet. Die traurige Nach- in Lagern für Geflüchtete richt: Im Jahr 2020 sind nach Schätzungen der UN-Flüchtlingshilfe mehr als 1.000 Nach dem Brand im Lager Moria auf der Geflüchtete ertrunken - seit 2014 sollen es griechischen Insel Lesbos im September mehr als 20.000 Todesopfer sein. Der Hass 2020 wurde ein neues Lager in Kara auf die Seenotretter*innen richtet sich Tepe errichtet. Die Zelte für Tau- auch gegen die Kirchen, insbesondere sende Menschen standen nach hef- gegen den Ratsvorsitzenden der Evangeli- tigem Regen unter Wasser, aber schen Kirche in Deutschland, Bedford- warmes Wasser gab es nicht, eben- Strohm. Er hat wiederholt die Aktion der so keine Heizung und keinen EKD verteidigt, ein eigenes Rettungs- Strom. Wegen Corona wurden schiff, die Sea-Watch 4, ins Mittelmeer zu Ausgangssperren verhängt. Sta- schicken. Die Unterstützer wenden sich cheldraht sorgte für die Einhaltung mit deutlichen Worten dagegen, die See- der Maßnahmen. Geflüchtete er- notrettung zu kriminalisieren. Ähnlich klärten, in Kara Tepe hätten selbst äußerte sich der Kolumnist Heribert Tiere mehr Rechte als die derzeiti- Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Er gen Bewohner*innen. Protest gegen den beklagte das weiterhin fehlende Mandat der EU zur Seenotrettung von Geflüchte- Bremen engagiert sich Bundesinnenminister ten im Mittelmeer. Dass die EU-Staaten die Rettungsmaßnahmen im Mittelmeer Im Juli 2019 hatte sich der SPD-Politiker eingestellt haben, ist für Prantl ein Lock- Andreas Bovenschulte bereits vor seiner down, der den Verlust von Menschlichkeit Wahl zum Bürgermeister Bremens klar bedeutet. Allerdings gibt es in der Kirche positioniert. In einem Spiegel-Interview auch erheblichen Widerstand gegen die machte er seine Haltung zur Frage von Initiative des EKD-Chefs. Rettungsaktionen deutlich: „Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Menschen „Pushbacks“ vor den jämmerlich im Mittelmeer ertrin- europäischen Küsten ken. Und für mich steht fest: See- notrettung ist kein Verbrechen! Das Statt dem „Pull-Effekt“ gibt es sogenannte darf aber keinesfalls allein eine pri- Pushbacks, unter anderem in der Ägäis. vate, sondern muss eine staatliche So wurden Boote mit Geflüchteten seit Aufgabe sein. Die Seenotrettung April letzten Jahres von der griechischen muss öffentlich organisiert sein”. Küstenwache in Richtung Türkei getrie- Bremen hatte sich schon vor länge- ben. Auch die Europäische Grenzschutz- rer Zeit der Intiative “Sichere agentur Frontex ist in diese Fälle Häfen” angeschlossen. Mehr als 200 Städte Demonstration in Berlin verwickelt. Beamte dieser Agentur befan- und Kommunen erklärten darin ihre Be- für die Rettung von den sich mit ihren Schiffen in der Nähe reitschaft, mehr Menschen als bisher ge- Geflüchteten von mehreren rechtswidrigen Pushbacks - plant aufzunehmen. Allerdings ist auch ohne einzugreifen. Frontex hatte zugesagt, hier die Einwilligung der Bundesregie- die Vorwürfe zu prüfen. rung erforderlich. Wir 42 - 2021 | 1 9
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