50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
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Mehrwertsteuer 217.090 Spielkartensteuer 2 Essigsäuresteuer 2 Notopfer Berlin 2 Zündwarensteuer 6 184.826 Zündwarenmonopol 8 Teesteuer 18 Salzsteuer 21 Lohnsteuer Leuchtmittelsteuer 36 Feuerschutzsteuer 39 Beförderungsteuer 44 Vergnügungssteuer 45 Getränkesteuer 48 Kreditgewinnabgabe 51 Sonstige Gemeindesteuern 53 2016 Veranl. Einkommensteuer 53.833 Zuckersteuer 66 Wechselsteuer 93 Schaumweinsteuer 102 Hypothekengewinnabgabe 103 Kapitalverkehrsteuer 152 Gewerbesteuer 50.097 Erbschaftsteuer 176 Grunderwerbsteuer 191 Umsatzausgleichsteuer 209 Zuschl. z. Grunderwerbsteuer 231 705.791 Energiesteuer 40.091 Versicherungsteuer Rennwett- u. Lotteriesteuer 256 258 Mio. Euro Körperschaftsteuer 27.442 Ergänzungsabgabe Kaffeesteuer Lohnsummensteuer 535 320 534 Steuereinnahmen Biersteuer 563 insgesamt Nicht veranl. Vermögensabgabe 654 Steuern v. Ertrag 19.452 Nicht veranl. 787 Steuern vom Ertrag Solidaritätszuschlag 16.855 Branntweinmonopol 1.017 Vermögensteuer 1.156 Tabaksteuer 14.186 Zölle 1.227 Grundsteuer (A+ B) 13.654 Grundsteuer (A+ B) 1.264 Versicherungsteuer 12.763 Kraftfahrzeugsteuer 1.658 Grunderwerbsteuer 12.408 Tabaksteuer 3.064 1968 Kraftfahrzeugsteuer 8.952 Einfuhrumsatzsteuer 3.310 Erbschaftsteuer 7.006 Stromsteuer 6.569 Körperschaftsteuer 4.373 Abgeltungsteuer 5.940 Zölle 5.113 62.280 Branntweinsteuer 2.070 Mineralölsteuer 5.049 Rennwett- u. Lotteriesteuer 1.809 Luftverkehrsteuer 1.074 Kaffeesteuer 1.040 Gewerbesteuer (E u. K) 5.387 Mio. Euro Biersteuer 678 Steuereinnahmen Feuerschutzsteuer 442 insgesamt Veranl. Kernbrennstoffsteuer 422 Einkommensteuer 8.320 Schaumweinsteuer 401 Zwischenerzeugnissteuer 15 pausch. Einfuhrabgaben 2 Mehrwertsteuer 9.561 Alkopopsteuer 1 Lohnsteuer 11.289
Special Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, die Mehrwertsteuer feiert Geburtstag. Seit dem 1. Januar 1968 gibt es in der Bundesrepublik das System der Netto allphasenumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug. Für die deutsche Wirtschaft war die Umstellung von der bisherigen Allphasen-Bruttoumsatzsteuer, die übrigens vor n ahezu 100 Jahren im damaligen Deutschen Reich eingeführt worden war, ein einschneidendes Ereignis. Seither hat die Mehrwertsteuer eine beeindruckende Entwicklung erlebt und zahlreiche Herausforde- rungen gemeistert. Auch heute, im Zeitalter der Digitalisierung, stellen sich wieder völlig neue Fragen – nach der Betriebsstätte, nach elektronischen Dienstleistungen oder dem Wert s cheinbar kostenloser Daten. Die Europäische Kommission ist dabei, das Mehrwertsteuersystem fortzuentwickeln, was Unternehmen und ihre Steuerfunktionen ihrerseits vor neue Herausforderungen stellt. In diesem Tax & Law Special beschäftigen wir uns intensiv mit diesen Zukunftsfragen und den Implikationen für eine immer arbeitsteiligere Wirtschaft in einer g lobalisierten Welt. Die Umsatzsteuer ist längst eine der spannendsten Steuerarten geworden, für die sich Regierungen und Finanzverwaltungen in aller Welt interessieren. Nicht fehlen darf dabei ein Rückblick, wie alles anfing und wie es mit der Mehrwert steuer weitergeht – alles angereichert durch interessante Fakten, die manchmal auch zum Schmunzeln einladen sollen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre Ihr Peter Schilling Head of Indirect Tax Germany, Switzerland, Austria EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 3
4 10 Special EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 6 12 24 Illustration: Claudia Kaschmieder; Foto: iStock / mikkelwilliam
Special Inhalt 6 Die bunte Welt der Mehrwertsteuer 8 Spots: Schlaglichter 10 Skurrile Steuerregeln 12 Moderne Zeiten für eine Steuer in den besten Jahren 18 EY Global Director of Indirect Tax Gijsbert Bulk im Gespräch über internationale Entwicklungen der Umsatzsteuer 22 Brüssel plant den großen Wurf 24 Jens Keese und Jan Körner über die Zukunft der Mehrwertsteuer 30 Risiken bei Transaktionen 32 Das letzte Wort hat Luxemburg 36 Haken und Ösen 42 Schutz vor Strafe 46 Revolution oder Evolution 50 MwSt – kleines Kürzel, großer Erfolg 46 Foto: iStock / jess311 18 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 5
Special USA Die Vereinigten Staaten haben kein mit Deutschland und der EU vergleichbares Umsatzsteuersystem, da auf Bundesebene keine Umsatzsteuer erhoben wird. Dies findet allein auf der Ebene der Bundesstaaten statt. Fast alle erheben die als „Sales Tax“ bezeichnete Umsatz steuer, mit Ausnahme von Alaska, Delaware, M ontana, New Hampshire und Oregon. Dort gibt es überhaupt keine Sales Tax. Ansonsten reichen die Steuersätze von 2,9 Prozent (Colorado) bis 7,5 Prozent ( Kalifornien). Einige Bundesstaaten erheben niedrigere Sätze auf bestimmte Produkte wie Nahrungsmittel, Kleidung, ein- zelne Dienstleistungen und Medikamente. Der Umstand, dass die Bundesstaaten und teilweise auch die Städte und Gemeinden ihre e igene Steuer erheben sowie ihre eigenen Bemessungsgrundlagen und Steuertarife haben, erschwert die Steuerhebung deutlich. Die bunte Welt der Mehrwertsteuer In über 120 Ländern dieser Welt füllt die Konsumbesteuerung die Anzahl der Steuersätze Staatskassen. Vielerorts werden Dinge des täglichen Grundbedarfs 17 4 mit einem reduzierten Steuersatz oder einem Null-Satz begünstigt. 7 3 Doch es geht noch mehr. So werden in Pakistan Teppichhändler 6 2 5 keine Umsatzsteuer mit erweiterten Sondersätzen ausgestattet. Und in China gelten für „moderne“ Dienstleistungen moderne Sätze. Die Länder Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi- Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate führen eine Mehrwertsteuer in 2018 ein und sind bereits in der Weltkarte eingefärbt. Quelle: EY 2017 Worldwide VAT, GST and Sales Tax Guide 6 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special Europäische Union Global Tax 1968 wurde die Umsatzbesteuerung innerhalb der (damals noch) Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vereinheitlicht. Mittlerweile wird die Mehrwertsteuer in den 28 EU-Staaten unter Beachtung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie erho- ben. Die Steuersätze legen die einzelnen Mitgliedsländer jedoch selbst fest. Der Normalsatz darf dabei 15 Prozent nicht unterschreiten. Für bestimmte Arten von Umsätzen dürfen maximal zwei ermäßigte Steuersätze festgelegt werden. Diese dürfen grundsätzlich die Fünfprozentgrenze nicht unter- schreiten. Darüber hinaus sind einige Mitgliedstaaten befugt, bestimmte Umsätze mit Sondersteuersätzen zu belegen, auch mit null Prozent. Deutschland Seit 1968 gilt das System der Allphasen-Nettoumsatz steuer. Damit hat die Anzahl der Produktionsschritte bei ver- schiedenen Unternehmen keinen Einfluss mehr auf die Höhe der Umsatzsteuer. Grundsätzlich steigt der absolute Betrag der Umsatzsteuer über die verschiedenen Produktionsstufen an und wird schließlich bei der Leistungserbringung gegen- über dem Endkunden oder dem Konsumenten auf das Netto- entgelt aufgeschlagen. Indien Am 1. Juli 2017 führte Indien eine landesweite Umsatzsteuer auf Waren und Dienstleistungen ein, die s ogenannte „Goods and Services Tax“ (GST). Sie ersetzt die bislang unüber- schaubare Vielfalt von zentralstaatlichen und lokalen Anga- ben der 29 Bundesstaaten. Im Detail ist die GST technisch in drei Komponenten unterteilt: eine Steuer der Zentral regierung („Central GST“), eine Steuer der Bundesstaaten („State GST“) und eine sogenannte übergreifende Steuer („Integrated GST“). Der Standardsteuersatz der GST beträgt 28 Prozent. Für die meisten Anlagen/ Maschinen und Dienst- leistungen liegt er jedoch bei 18 Prozent und v iele Güter des täglichen Bedarfs werden nur mit fünf Prozent besteuert. Pakistan – vielfältig und vielschichtig China – Extrasatz für moderne Dienstleistungen Angaben in Prozent Angaben in Prozent 17 1, 2, 3, 4, 5, 18, 18,5, 19,5 0 6 13 Standardsatz für Waren 6, 8 und 10 und 24 z. B. Arzneimittel moderne Dienst- z. B. Lebensmittel, reduzierte Sätze, z. B.: andere Sätze, z. B. leistungen, wie z. B. auch essbares 14, 15, 16 für Telekommunikations- 3 Telekommunikations Pflanzenöl, Bücher regional unterschied 2–5 dienste z. B. für Waren und dienstleistungen und Zeitschriften liche Standardtarife für lokal produzierte Dienstleistungen von Dienstleistungen Teppiche, Textilien 0 Kleinunternehmen 11 17 Nullrate für landwirt- z. B. Transport gilt, sofern nicht 6–10 schaftliche Produkte, leistungen gesetzlich ein anderer weißer kristalliner einschließlich Milch, Satz festgelegt wurde Zucker, Anlagen und Eier, Fisch, Fleisch Maschinen und frisches Gemüse, Arzneimittel EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 7
Special So entwickelten sich die Sätze in Deutschland Begonnen hatte 1968 alles mit einem vollen Mehrwertsteuersatz In den folgenden zehn Jahren gelang es, diese Sätze stabil zu von zehn Prozent und einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von halten. Z wischen 1978 und 1998 mussten die Menschen immer- fünf Prozent, doch schon ein halbes Jahr nach der Einführung folg- hin fünf Erhöhungen hinnehmen. Während der ermäßigte Satz te die erste Erhöhung, die sich beim vollen Satz mit einem Prozent seit 1983 konstant ist, stieg der reguläre Satz mit drei Prozent im und beim ermäßigten Satz mit einem halben Prozent auswirkte. Januar 2007 am stärksten in seiner Geschichte. Entwicklung der Steuersätze in Deutschland Bundesminister der Finanzen zum Zeitpunkt der Satzänderung Peer Steinbrück (SPD) 2005 – 2009 Theo Waigel (CSU) 1989 – 1998 19 % Gerhard Stoltenberg (CDU) 1982 – 1989 Hans Matthöfer (SPD) 1978 – 1982 16 Franz Josef Strauß (CSU) 15 1966 – 1969 14 13 12 11 10 5,5 6 6,5 7% 5 01/1968 07/1968 — 01/1978 — 07/1979 — 07/1983 — 01/1993 — 04/1998 — 01/2007 12/1977 06/1979 06/1983 12/1992 03/1998 12/2006 Regulärer USt-Satz Ermäßigter USt-Satz picture alliance / Ulrich Baumgarten (Gerhard Stoltenberg), picture-alliance / dpa (Theo Waigel), picture-alliance / ZB (Peer Steinbrück) Fotos: picture alliance / Werner Schulze / dpa-Zentralbild / ZB (Franz Josef Strauß), picture alliance / Klaus Rose (Hans Matthöfer), Der Boom in den Sechzigern Ihren Durchbruch feierte die Mehrwertsteuer in den sechziger In manchen Regionen der Welt ist die Mehrwertsteuer noch etwas ahren, als die damaligen sechs EWG-Länder (Belgien, Frankreich, J Neues: Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Italien, Luxemburg, die Niederlande und die Bundesrepublik Vereinigten Arabischen Emiraten führen zum 1. Januar 2018 eine Deutschland) sich zur Einführung verpflichteten. Vorreiter war Verbrauchsteuer ein. Das Mehrwertsteuersystem der Golfstaaten damals Frankreich, das sie bereits 1954 eingeführt hatte. wird auf dem der Europäischen Union und von Singapur basieren. 63 FRA 54 BRA 50 DNK 50 DEU 49 NLD 49 SWE Schnittblume 7 Prozent Stoffblume 19 Prozent 48 47 45 Quelle: EY VAT and Sales LUX BEL ITA Tax Guide 2017 8 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special Die alte Allphasen- Bruttoumsatzsteuer Im Ersten Weltkrieg führte das Deutsche Reich 1916 einen Waren- umsatzstempel als Steuer auf Warenlieferungen ein. 1918 löste die sogenannte Allphasen-Bruttoumsatzsteuer dann die Stempel steuer ab. Mit ihr wurden auch sonstige Leistungen der Steuer unterworfen. Die Umsatzbesteuerung fand grundsätzlich auf jeder Wirtschaftsstufe statt, weshalb sich die steuerliche Gesamtbelas- tung kumulierte. Produkte, die eine Vielzahl unterschiedlicher Pro- duktionsphasen durchliefen, waren im Ergebnis mit einer höheren Umsatzsteuer belastet als solche, die von einem Unternehmen über alle Produktionsstufen erzeugt und dann direkt dem Konsumenten angeboten wurden. Der ursprüngliche Steuersatz von 0,5 Prozent stieg nach wiederholten Änderungen 1935 auf zwei, 1946 auf drei und 1951 auf vier Prozent an. Das wettbewerbsverzerrende System der Allphasen-Bruttoumsatzsteuer lief 1967 in der Bundesrepublik aus und wurde in der DDR bis 1970 genutzt. Obst Obstsaft 7 Prozent 19 Prozent Ertragreiche Sonderprüfung Allein die Umsatzsteuer-Sonderprüfungen haben 2016 zu Mehr- einnahmen von 1,7 Milliarden Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind darin noch nicht enthalten. Umsatzsteuer-Sonderprüfungen wer- Scan Warenumsatzstempel: Wolfgang Morscheck / Bad Säckingen; Foto: picture alliance / Eventpress den unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Abgabe in der DDR Jahr 2016 wurden 85.681 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durch- geführt. Jeder der 1.873 Prüfer erzielte im Schnitt ein Mehrergeb- Zusammen mit der Wirtschafts- und Währungsunion wurde in nis von rund 920.000 Euro. Ostdeutschland am 1. Juli 1990 die Mehrwertsteuer eingeführt. Vorher gab es in der DDR kein vergleichbares System. Die produkt gebundene Abgabe (PA) kam dem noch am nächsten, die auf eine Einnahmen aus Umsatzsteuer-Sonderprüfungen Anzahl von Waren erhoben wurde. Dabei handelte es sich über- Angaben in Milliarden Euro wiegend um Konsumgüter wie Spirituosen, Tabakwaren, Farbfern seher, Kühlschränke 2,3 2,27 oder Waschautomaten, 2 1,97 aber auch um Heizöle 1,72 1,68 und Vergaser- und Hundekekse Dieselkraftstoffe. Die PA 7 Prozent betrug zwischen 10 und Kinderkekse 75 Prozent des Herstel- 19 Prozent lungspreises. 2011 2012 2013 2014 2015 2016 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 9
Special Skurrile Steuerregeln Die Milch macht’s Kaffee zum Mitnehmen ist praktisch, steuerlich g esehen Nur wenn das Kaffeegetränk zu mindestens 75 Prozent jedoch kompliziert. Wer einen Kaffee mit Milch mag, s ollte aus Milch besteht und diese tierischen Ursprungs ist, sind mal genauer auf den Kassenbon schauen, ob er nun 19 sieben Prozent der richtige Mehrwertsteuersatz. Bei oder nur 7 Prozent Mehrwertsteuer bezahlt hat. Maß- aufgeschäumter Milch zählt das Gewichts- und nicht das geblich sind neben der Milch-Art (tierisch oder pflanzlich) Volumenverhältnis. So entschieden jedenfalls mehrere auch der Milchanteil selbst und die Art der Zubereitung. Finanzdirektionen in den vergangenen zwei Jahren. „to go“ – Wann gilt der ermäßigte Steuersatz? Espresso Americano Macchiato Con Panna Mocha 19 % 19 % 19 % 19 % 19 % Flat White Latte Cappuccino Espresso Schokolade Wasser Milchschaum Milch Schlagsahne ≥75 %
Special Oh Tannenbaum! Korrekterweise wäre noch zu prüfen, ob das Sägen beim Baumeinschlag nicht eine Neben-, sondern eine Hauptleistung darstellt. Dann wären 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig. 29 Millionen Weihnachtsbäume wurden im vorigen Jahr verkauft, 72 Prozent beim Steuersatz Gewerbetreibenden, 28 Prozent vom Forst- 7% amt oder Landwirt. Aus Plastik waren knapp drei Millionen. Der Fiskus verdiente daran schätzungsweise 92 Millionen Euro Mehrwert- steuer. Allerdings ist die Wahl des korrekten Steuersatzes alles andere als einfach: nein, wirksame Steuersatz Optionserklärung gem. § 24 5,5 % Abs. 4 UStG Verkauf durch … aus dem Gewerbe- Wald treibende Steuersatz natürlicher Weihnachts- 10,7 % baum … aus einer Verkauf durch Sonderkultur Landwirt/ ja, Forstwirt pauscha- lierender Weihnachts- künstlicher Landwirt? baum ist … Weihnachts- Steuersatz baum 19 % Der Verzehr einer Brezn ist kein Event „Für hier oder zum Mitnehmen?“ Diese vornehmlich in Fast-Food- Ketten gestellte Frage ist umsatzsteuerlich begründet. Bei Mit nahme liefert der Gastronom nur ein Nahrungsmittel – sieben Pro- zent MwSt. Ansonsten erbringt der Wirt eine Serviceleistung zu „Nacht der Nächte“ 19 Prozent. Der Bundesfinanzhof hatte nun zu klären, ob beim ist kein Zweckbetrieb Verkauf von „Wiesnbrezn“ durch einen „Brezenläufer“ 7 oder 19 Prozent fällig sind. Der Brezenläufer ist ein eigenständiger Unter- Nein, der Fall spielt nicht im Rotlichtmilieu. Der Bundesfinanzhof nehmer, der mit einem Bauchladen durch die Bierzelte streift. Das hatte vielmehr zu beurteilen, ob die Veranstaltung eines Karnevals Finanzamt ging von einer Servierleistung aus. Das verneinte der vereins, die den Titel „Nacht der Nächte“ trug, einen steuerlichen BFH: Die Tisch- und Toiletten-Infrastruktur des einen Unternehmers Zweckbetrieb darstellt. Wäre dem so, wären die Eintrittskarten (Zeltbetreiber) könne nicht dem anderen Unternehmer (Brezen mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 statt 19 Prozent zu läufer) zugerechnet werden. Auch die Beschallung mit Blasmusik versteuern. Der BFH verneinte das aber. Nicht jede gesellige Ver- während des Brezenverzehrs mache diesen nicht zu einem Event, anstaltung, in der sich kostümiert und unter Darbietung von Stim- also einer Serviceleistung. Denn nicht der Brezenläufer stoße ins mungsmusik ausgelassen gefeiert werde, diene dem steuerlich Horn, sondern wiederum ein anderer Unternehmer. geförderten Brauchtum des Karnevals. Das erstinstanzliche Gericht hatte das noch anders gesehen … es war das Finanzgericht Köln. EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 11
Special Moderne Zeiten für eine Steuer in den besten Jahren Im Zeitalter des Internets stellen sich völlig neue Fragen – nach der Betriebsstätte, nach digitalen Dienstleistungen oder scheinbar kostenlosen Daten. EY gibt einen Überblick und Antworten. Foto: iStock / mikkelwilliam 12 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special A ls das Mehrwertsteuersystem in Europa einge- das interessierte Publikum, als der EuGH in der Rechts- führt wurde, waren Computer große unhandliche sache „Faaborg-Gelting“ im Jahr 1995 entschied, dass Geräte, die meistens mit Lochstreifen gefüttert ein Restaurant auf einem Fährschiff – trotz Personen als und nur in einigen wenigen Unternehmen oder Behörden auch Sachmitteln – nicht als Betriebsstätte zu bewerten genutzt wurden. Kaum jemand konnte sich eine digitale sei. Im fraglichen Urteil bleibt es bei kurzen Hinweisen auf Welt vorstellen, in der fast jeder Bürger ein Gerät in der eine „steuerlich sinnvolle Lösung“ – gemeint war wohl, Tasche hat, das erheblich mehr Rechenleistung aufweist eine Nichtbesteuerung zu verhindern. Frischen Wind in als der Computer der Mondlandefähre von Apollo 11 und die Betriebsstättendiskussion könnten im Übrigen zwei mit dem man auf der ganzen Welt in Echtzeit einkaufen Urteile der Finanzgerichte Münster und Köln bringen, kann. Das Internet stellt nicht nur bisherige Geschäfts- nach denen auch eine Windkraftanlage für sich eine modelle auf den Kopf, es rüttelt auch an den Grundfes- umsatzsteuerliche Betriebsstätte darstellen kann. Alles ten, auf denen unsere Mehrwertsteuer seit 50 Jahren in allem lassen diese Fälle aus dem analogen Zeitalter aufbaut. Dies führt zu der Frage, wie gut die Jubilarin für erahnen, welche Komplikationen das digitale Zeitalter die modernen Zeiten gerüstet ist, welchen Herausforde mit Blick auf den Betriebsstättenbegriff bereithält. rungen sich Finanzminister und Finanzbehörden s tellen müssen und womit insbesondere Unternehmen der Dilemma der Server Digitalwirtschaft und der Industrie-4.0-Generation rech- nen müssen. Im Digitalzeitalter stellt sich sofort die Frage, welche olle Server für die Besteuerung spielen. Das traditio- R nelle Konzept der Mehrwertsteuer knüpft regelmäßig Das Problem der Betriebsstätte … daran an, wo ein Unternehmer seine Geschäfte betreibt, Die umsatzsteuerliche Betriebsstätte, rechtstechnisch wo sich die Arbeitnehmer, die Maschinen, das Handels „feste Niederlassung“ genannt, ist seit ihrer Einführung geschäft usw. befinden. Alternativ kommt die Betriebs- durch die Sechste Richtlinie aus dem Jahr 1977 ein stätte ins Spiel, wenn ein Unternehmen nicht nur an schwer greifbares Konzept, an dem die indirekte Besteu- seinem Hauptsitz entsprechende Präsenzen unterhält. erung ansetzt. Ursprünglich fand sich der Begriff ledig- Bei Internetunternehmen ist es aber so, dass diese häu- lich in den Mehrwertsteuerrichtlinien der Europäischen fig gar nichts körperlich Greifbares mehr haben, abgese- Wirtschaftsgemeinschaft, ohne dass man an eine Defi- hen von den Servern, auf denen die relevanten Websites nition gedacht hätte. Diese Definition holte dann der und Programme laufen. Und diese sind, um das ganze Gerichtshof der Europäischen Union seit den achtziger Dilemma auf die Spitze zu treiben, oft gar nicht im Eigen- Jahren nach. Erstmals konnte er im Verfahren „Berkholz“ tum des Digitalunternehmens, sondern gemietet oder eine Entscheidung fällen. Seinerzeit ging es um einen werden von einem Anbieter verschiedenen Unternehmen Geldspielautomaten auf einem Schiff und die Frage, wo im Wege eines Servicevertrages zur Verfügung gestellt. die Mehrwertsteuer auf entsprechende Glücksspiel umsätze entsteht. Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass EU-Paket eine Betriebsstätte stets die Präsenz von Personen und Sachmitteln erfordert, und verneinte somit die Betriebs- Die Europäische Union hat im Jahr 2015 mit dem stätte für den fraglichen Geldspielautomaten. Statt sogenannten Mehrwertsteuerpaket viele p otenzielle dessen entschied er sich für die Besteuerung am Sitz der Probleme aus dem Weg geräumt, indem sie für d igital Betreiberfirma. erbrachte Dienstleistungen eine Besteuerung am Wohnsitz des nichtunternehmerischen Leistungsempfän- gers einführte. Auf den Serverstandort kommt es folg- … beschäftigt die Gerichte lich bei digitalen Leistungen gar nicht mehr an. Damit Gut 20 Jahre später bewertete der EuGH überraschend ist es auch nicht mehr möglich, durch einen S erver einen Geldspielautomaten ganz anders, nämlich als in einem steuerlich attraktiven Land legal Mehrwert unterhaltende Leistung (Rechtssache „RAL“), was dazu steuer auf e ntsprechende Leistungen zu sparen. Es sei führte, dass die Mehrwertsteuer an dem Ort entstand, wo ergänzt, dass Unternehmen aus Staaten außerhalb der der Automat aufgestellt war. Noch mehr wunderte sich EU eigentlich mit derartigen Leistungen bereits seit EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 13
Special Die Crux der Einfuhrabgabenbefreiung für geringwertige Güter Juli 2003 mehrwertsteuerpflichtig sind. In vielen Fällen wurde aber die entsprechende Steuer nie gezahlt, auch Im traditionellen Mehrwertsteuer Der Siegeszug des Online-Versand- system findet sich eine Regelung, der handels ändert jedoch die Lage. Eine weil es keine funktionierenden Kontrollen gab – und gibt. zufolge die Einfuhr geringwertiger von der Europäischen Kommission Für den Online-Handel in der EU ist der Serverstandort im Warensendungen aus Drittländern in Auftrag gegebene Studie aus dem Übrigen nie bedeutend gewesen, denn hier gelten ohne- zoll- und mehrwertsteuerfrei sein Jahr 2015 zeigt, dass das Einfuhr hin die traditionellen Lieferortregeln für Warenhandel. kann. In Deutschland beträgt die ent- volumen dieser geringwertigen Güter sprechende Grenze 22 Euro. Als die zwischen 1999 und 2013 um fast 300 Regelung eingeführt wurde, spielten Prozent gestiegen ist. Man schätzt die Was sind digitale Dienstleistungen? solche Warensendungen aus Dritt hier entstandene Mehrwertsteuer ländern eine untergeordnete R olle. lücke auf über 500 Millionen Euro im Aktuell lautet die Hauptfrage, was eine digital erbrachte Wer bestellte schon in den siebziger Jahr 2013. Leistung ist, die unter das Empfängerortsprinzip fällt. Jahren per Katalog bei einem Ver- sender mit Sitz in der Schweiz oder Die offizielle Definition erfasst sonstige Leistungen, die Einzelne Mitgliedstaaten n utzen gar in den Vereinigten Staaten von bereits in begrenztem Umfang das über das Internet oder ein ähnliches elektronisches Netz Amerika? Auch wäre der Erhebungs- Recht, die Ausnahmeregeln zu erbracht werden, deren Erbringung aufgrund ihrer Art aufwand für die Zollverwaltung im beschränken – zum Beispiel Groß im Wesentlichen automatisiert ist und nur mit minimaler Verhältnis zur Steuerschuld unverhält- britannien im Verhältnis zu den nismäßig hoch gewesen. menschlicher Beteiligung erfolgt und ohne Informations- Kanalinseln. Inzwischen hat die EU- technologie nicht möglich wäre. Damit fallen insbesonde- Kommission sich vorgenommen, die Einfuhrabgabenbefreiung mittel re E-Mail-Provider, Cloud-Computing, Software-, E-Book-, fristig ganz abzuschaffen. Damit soll Musik- und App-Downloads, Online-Versteigerungen und Wettbewerbsgleichheit im Versand- Webhosting unter die Definition. Der Bundesfinanzhof hat handel hergestellt werden, zwischen überdies entschieden, dass ein digitales Partnervermitt- EU-Händlern und Lieferanten aus Drittländern. lungs- bzw. Flirtportal die Definition erfüllt. Reisebuchun- gen (einschließlich online vermittelter Personenbeförde rung – Stichwort „Uber“) sind dagegen keine digitalen Leistungen. Fraglich ist zudem, ob die Definition der digi- Foto: iStock / Fitzer talen Dienstleistung auf online erbrachte Schulungen und Trainings zutrifft, die nicht eine Software automatisiert ausführt, sondern ein menschlicher Ausbilder. 14 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special Europas Handel wächst Online Angaben in Mrd. Euro 602,8 Briten Spitzenreiter im Online-Einkauf 530,6 459,7 403,2 11 Türkei 10 Belgien 352,5 13 Norwegen 298,5 14 Schweden 254 16 Dänemark 214 197 Großbritannien 22 Italien 24 Niederlande 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 (Prognose) 28 Spanien 28 Russland 82 Frankreich Quelle: Ecommerce Foundation, 2017 86 Deutschland Glücksspiel Bei Online-Glücksspielen wird es richtig kompliziert. ktuell bewegt sich die Meinung auf EU-Ebene in die Rich- A tung, dass rein digitale Glücksspiele (z. B. Online-Poker, Online-Casinos) unter das Empfängerortsprinzip f allen, nicht dagegen physisch stattfindende Ereignisse, auf die lediglich online gewettet werden kann (z. B. Fußball spiele oder Pferderennen), oder die reine Vermittlung von Wetten, die ein anderer anbietet. Hier könnte das Thema „Server-Betriebsstätte“ relevant werden. Befindet sich der Server zum Beispiel in Deutschland, könnte die Leistung der hiesigen Mehrwertsteuer unterliegen. Ebenso k önnte ein Server als Betriebsstätte bedeutsam sein, wenn es um die Frage geht, wo Dienstleistungen an den Unterneh- mer (einschließlich des Servers) eigentlich der Mehrwert steuer unterliegen. Bei Leistungen an Unternehmer gilt normalerweise der Reverse Charge, also der Ausländer rechnet ohne Steuer ab und der Inlandskunde meldet die- se an. Das gilt nicht mehr, wenn eine Betriebsstätte an einer Leistung mitwirkt. Kostenlose Portale … Foto: iStock / davincidig Wer sich bei Facebook, Instagram, web.de oder ähnlichen Anbietern registriert, zahlt meistens keine Nutzungs- gebühren an das entsprechende Unternehmen. Damit liegt keine direkt mehrwertsteuerpflichtige Dienst EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 15
Special … Wert der Gegenleistung Die gute Nachricht für den Nutzer ist, dass dieser, jeden- falls solange er nicht als Unternehmer a nzusehen ist, selbst keine Mehrwertsteuer schuldet. Für den Internet anbieter ist es nicht ganz so einfach. Dieser bewirkt nämlich, wenn man der entsprechenden Logik folgt, eine am Wohnsitz des Nutzers steuerbare und steuer pflichtige Leistung. Das löst eine entsprechende EU- Mehrwertsteuer aus. Die spannende Frage, die sich dann anschließt, ist die nach der Bemessungsgrundlage. D iese müsste sachgerecht geschätzt werden, wobei die Recht- sprechung zu Tauschvorgängen in ähnlichen Fällen stets auf den Wert der erhaltenen Gegenleistung abstellt. Es ist abzuwarten, wie sich hier Finanzverwaltung und Finanzgerichte positionieren werden. 3-D-Drucker … Eine wesentliche Frage bei der Mehrwertsteuer ist die Unterscheidung zwischen Lieferung und Dienstleistung. Steuerfolgen wie der Ort, an dem ein Umsatz mehr- wertsteuerlich relevant ist, wie auch der anzuwendende Steuersatz leiten sich maßgeblich aus dieser Frage ab. Viele Unternehmen sind zum Beispiel in anderen EU- leistung des Anbieters an den Endbenutzer vor. Heißt Staaten registrierungspflichtig geworden, weil sie Kon- das aber, dass Mehrwertsteuer hier überhaupt keine signationslager bei ihren Kunden eingerichtet haben. In Rolle spielt? Nein, so einfach ist es nicht. Die Mehrwert- Zukunft dürfte der Fokus auf 3-D-Drucker fallen, wenn steuer kennt nämlich nicht nur das Konzept des Entgelts Werkstücke nicht mehr kreuz und quer durch die Welt in Form einer Zahlung, sondern auch den Tausch oder versendet, sondern beim Abnehmer „ausgedruckt“ wer- tauschähnlichen Umsatz. Man kann also die Mehrwert- den. Der 3-D-Drucker wird dann so (fern-)programmiert, steuer nicht umgehen, indem man anstelle einer Geld- dass er aus Grundstoffen die erforderlichen Werkstücke zahlung eine Sachleistung vereinbart. direkt vor Ort herstellt. Die Grundstoffe werden gar nicht mehr vom Lieferanten zur Verfügung gestellt, sondern der Kunde beschafft sie sich selbst. … Tauschgeschäfte Bei den genannten Anbietern verpflichtet sich der Nutzer … Anklang ans analoge Zeitalter in der Regel, einer umfangreichen Auswertung und Verwendung der von ihm gelieferten Daten und Inhalte Mehrwertsteuerlich führt so eine Konstellation auch durch den Anbieter zuzustimmen. Andernfalls kann er wieder zu interessanten Fragestellungen. Ist das wirk- das Angebot nicht nutzen. Dass diese Daten einen Wert lich noch eine Lieferung, oder liegen hier nicht vielmehr haben, steht außer Frage. Betrachtet man nur einmal den Dienstleistungen vor? Die Antwort auf diese F rage ist Börsenwert von Facebook, der mit rund 440 Milliarden weniger einfach, als man vielleicht glauben mag. Sowohl US-Dollar (Stand Mai 2017) fast das 20-fache des Umsat- der EuGH als auch der BFH haben sich in der Vergangen zes und das 40-fache des Gewinns beträgt, so kommt heit, sozusagen vor dem großen Digitalzeitalter, mit man schnell zu dem Schluss, dass die Daten der User der Frage befasst, ob Leistungen auf dem Gebiet des einen ganz wesentlichen Wert haben. Tatsächlich gibt es Druckens oder der Vervielfältigung von Dokumenten Marktpreise für entsprechende Datensätze und deren nun Dienstleistungen (drucken und vervielfältigen) oder Foto: iStock / dreamnikon Verwendung. Das führt mehrwertsteuerlich zu der Frage, Lieferungen (nämlich von Druckerzeugnissen) sind. ob nicht in Wirklichkeit ein Tausch vorliegt, d. h., der User Recht überraschend ist einigen dieser Urteile zu entneh- gibt dem Anbieter als Gegenleistung für die Nutzung men, dass es gar nicht so sehr auf die Frage ankommt, der App oder der sonstigen Dienste zwar kein Geld, aber wer das bedruckte Papier beschafft hat, sondern auf etwas, das auch Geldeswert hat, nämlich seine Daten. eine Gesamtbewertung der erbrachten Leistungen. 16 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special … Werkzeugerlass ren Lieferung der produzierten Teile verbundenen Vor- gang – und damit als steuerfreie grenzüberschreitende Ebenso gibt es in Deutschland aus den siebziger J ahren Lieferung. Es stellt sich heute durchaus die Frage, ob einen sogenannten „Werkzeugerlass“. Dieser regelt man entsprechende Grundsätze nicht auch in der Welt einen in der traditionellen Industrie, vor allem bei Zulie- der 3-D-Drucker anwenden könnte. ferbetrieben, recht häufig vorkommenden Fall: Ein Abnehmer verpflichtet sich, dem Lieferanten eine Zah- lung für Werkzeuge, Formen oder ähnliches zu leisten. Schlussbemerkung Die Werkzeuge oder Formen stehen natürlich beim Liefe- ranten. Mehrwertsteuerlich stellt sich nun die Frage, ob Im Internetzeitalter steht das Mehrwertsteuersystem es sich um die Lieferung eines Werkzeugs handelt oder vor gravierenden Herausforderungen. Teilweise funk- nicht. Besonders wichtig ist das im grenzüberschreiten tionieren die traditionellen Regeln, teilweise wurde Fragen an den Geschäft, weil eine Lieferung mit lokaler Mehr- bereits reformiert – aber vieles muss noch getan w erden, wertsteuer zu belasten wäre, die der Kunde dann nur damit dieses insgesamt erfolgreiche Modell auch in den Robert Prätzler umständlich im berühmt-berüchtigten Vergütungsver- kommenden Jahrzehnten bestehen kann. Dies gilt nicht robert.praetzler@de.ey.com fahren zurückerhalten könnte. Die deutsche Finanzver- nur für Deutschland und die EU, sondern es betrifft alle René Gütschow waltung hat eine recht großzügige Lösung gefunden und Staaten, die indirekte Steuern erheben. Daher ist nur rene.guetschow@de.ey.com beurteilt viele dieser Fälle nicht als eigenständige Liefe- folgerichtig, dass die Implikationen der digitalen Leistun- rung eines Werkzeugs, sondern als einen mit der späte- gen auch auf OECD-Ebene intensiv erörtert werden. Der schwierige Umgang mit digitalen Büchern In vielen europäischen Staaten wie auch in dagegen ausdrücklich ausgenommen. Dies hat Deutschland gilt für die Lieferung von Büchern, der Gerichtshof der Europäischen Union sogar Zeitungen und vergleichbaren Produkten ein in drei Verfahren in den letzten Jahren bestä- ermäßigter Mehrwertsteuersatz. In manchen tigt, wobei er keinen Verstoß gegen den Grund- Staaten gilt sogar ein Null-Satz. Grund der satz der Gleichheit nach der Begünstigung ist, dass man Information und Grundrechte-Charta sieht. Bildung der Bevölkerung fördern möchte. Nicht Im Jahr 2017 scheiterte ein bedacht wurde hier allerdings der technische Versuch der Europäischen Fortschritt. Sowohl Zeitungen und Zeitschrif- Kommission, die Steuer ten als auch Bücher werden heutzutage nicht ermäßigung für digitale mehr allein auf gedrucktem Papier geliefert, Bücher zuzulassen und damit sondern viele Bürger laden sich ihre Lektüre auf das System zu modernisieren, ein passendes Gerät herunter, auf einen E-Book- am Widerstand genau eines Reader, ein Smartphone oder einen konven Mitgliedstaates. Die Brüsseler tionellen Computer. Kommission will sich damit aber nicht geschlagen geben. Leider spielt die Mehrwertsteuer nicht mit: Die Vorerst bleiben elektronische Steuerermäßigungen sind auf die Lieferung, Bücher jedoch mehrwert also auf physisch überlassene Druckerzeugnisse steuerlich benachteiligt. beschränkt. Lediglich Hörbücher können begüns- tigt werden. Digital überlassene Bücher sind Foto: iStock / Jacob Ammentorp Lund EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 17
Special „Nie war es so wichtig, weltweit über korrekte Daten zu verfügen“ EY Global Indirect Tax Leader Gijsbert Bulk im Gespräch mit Klaus Trejo über internationale Entwicklungen der Umsatzsteuer. 18 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special „ Die Globalisierung und die Digitali- sierung bewirken einen rasanten Wandel in der Wirtschaft. Dies führt Gijsbert, vor 50 Jahren wurde in Deutsch In den letzten zwanzig, fünf zu einem exponentiellen Anstieg land die Mehrwertsteuer eingeführt und undzwanzig Jahren sehen viele andere Länder sind seitdem gefolgt. wir auch eine steigende Zahl der elektronischen Dienstleistungen Woher kommt es, dass der Stellenwert der von umsatzsteuerlichen sowie des Handels von Waren über indirekten Steuern immer mehr zunimmt? Verfahren, die nicht selten Online-Plattformen.“ bis zum EuGH führen. Wenn Gijsbert: Regierungen auf der ganzen Welt Unternehmen sich vor dem greifen zunehmend auf indirekte Steuern Gijsbert: Das stimmt. Es gibt nur noch sehr Risiko einer strafrechtlichen Untersuchung zurück, um ihre Staatsausgaben zu decken – wenige Länder ohne Mehrwertsteuer. Die schützen wollen, müssen sie die Erfüllung auf die Umsatzsteuer, die Steuer auf Waren Bahamas, China, Ägypten, Malaysia und Tan- ihrer steuerlichen Pflichten aktiv gestalten und Dienstleistungen wie Goods and Services sania sind die jüngsten Mitglieder im Club. Die und steuern. Prozesse und Dokumentation Tax, GST, Verkaufs- und Verbrauchsteuern oder sechs Mitgliedstaaten des Golf-Kooperations- sind in der Umsatzsteuer wichtiger denn je. Zölle. Dagegen werden die direkten Steuern rats haben ebenfalls beschlossen, ein Mehr- Siehst Du das auch so? in vielen Ländern gesenkt. wertsteuersystem zu implementieren. Den Gijsbert: Es war tatsächlich noch nie so Anfang machen die Vereinigten Arabischen Und gleichzeitig achten Steuerverwaltungen ichtig, weltweit über korrekte Daten für die w Emirate und das Königreich Saudi-Arabien, und Betriebsprüfer stärker als bisher auf die indirekten Steuern zu verfügen und diese sorg- die die Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2018 Umsatzsteuer. Das ergab eine von EY vor kur- fältig zu überprüfen. Die Finanzbehörden ver- einführen. Nach mehrjährigen Verhandlungen zem durchgeführte Umfrage. Die Befragten wenden mittlerweile zunehmend Technologie, hat Indien zum 1. Juli 2017 eine Goods and aus 48 Ländern gaben an, dass die Zahl der um die Daten der Unternehmen zu analysie- Services Tax eingeführt, die mehr als 20 indi- Betriebsprüfungen in den letzten drei J ahren ren und ihre Ressourcen gezielt zur Bekämp- rekte Steuern ersetzt. zugenommen hat. Hinzu kommt: Vor zehn fung von Steuerumgehung und -vermeidung Jahren wurden die Betriebsprüfungen von einzusetzen. Sie tauschen sich verstärkt unter- Und zur gleichen Zeit müssen die gesetz Finanzbeamten durchgeführt, die sich tradi einander aus und vergleichen Daten aus ver- lichen Regelungen ständig an eine sich tionell auf direkte Steuern konzentrierten. schiedenen Unternehmen. In einigen Ländern verändernde Welt angepasst werden. Bestes Heute wirken speziell ausgebildete Umsatz- – wie auch in Deutschland – gibt es bereits kon- Beispiel ist die Besteuerung von elektroni steuer-Prüfer unter Einsatz neuer Technolo- krete Erwartungen der Finanzbehörden an die schen Leistungen und Online-Handel … gien und Datenanalyse-Tools an der Betriebs- Qualität der Daten und den Umfang der inter- Gijsbert: Das ist richtig. Die Globalisierung prüfung mit. nen Kontrollen in den Unternehmen. und die Digitalisierung bewirken einen rasan- ten Wandel in der Wirtschaft. Dies führt zu Gleichzeitig ändern sich die einem exponentiellen Anstieg der elektroni- Geschäftsmodelle und Prozes- „ Steuerverwaltungen und se werden weltweit vereinheit- schen Dienstleistungen sowie des Handels Betriebsprüfer achten stärker licht. Mittlerweile ist es üblich, von Waren über Online-Plattformen. Wenn der Online-Handel unversteuert bleibt, kommt als bisher auf die Umsatzsteuer.“ dass Steuererklärungen für es zu Wettbewerbsverzerrungen und zu einer mehrere Länder zentral in Gefährdung des Steueraufkommens. Immer einem Shared Service Center mehr Länder außerhalb Europas führen Um Nachforderungen und Strafen zu vermei- erstellt und abgeben werden. Die Anforderun- deshalb spezielle Vorschriften für die Besteu- den, ist es für Unternehmen auch auf g lobaler gen an das steuerliche Reporting sind jedoch erung elektronischer Dienstleistungen oder Ebene unerlässlich, die umsatzsteuerlichen immer noch von Land zu Land sehr unter- Warenlieferungen über Online-Plattformen ein. Regelungen zu kennen und korrekt anzuwen schiedlich. Das macht es nicht leichter, und den. Die Mehrwertsteuer, die ja für die meisten gute Daten sind dafür heutzutage unerlässlich. Was sind dabei die größten Herausforderun Unternehmen eigentlich kein Kostenfaktor gen in Bezug auf die Mehrwertsteuer? sein sollte, kann heutzutage in Betriebsprüfun- Bei der Mehrwertsteuer denkt man gen richtig teuer werden. Das erhöht natürlich unwillkürlich an die EU, dabei geht ihre Gijsbert: Infolge der Digitalisierung w erden auch ihren Stellenwert. Verbreitung weit darüber hinaus … Dinge, die bisher als Waren g eliefert EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 19
Special „ Selbst traditionelle Warengeschäfte werden durch Dienstleistungen ergänzt. verlangen die Einrei- wird es interessant sein, ob die Steuerbehör- Dieser Wandel hat wesentliche Aus chung digitaler Buch- den die Blockchain-Technologie einsetzen, um wirkungen auf die Wertschöpfungskette haltungs- und Finanz- Umsatzsteuer-Veranlagungen zu beschleu und die Erhebung indirekter Steuern.“ daten im SAF-T-Format. nigen und Umsatzsteuer-Betrug effektiver zu In Großbritannien läuft bekämpfen. derzeit ein umfangrei- wurden, zunehmend als Dienstleistungen ches Projekt zur Digitalisierung der Finanz Die EU-Kommission plant die Einführung erbracht. Schau Dir nur mal das Auto der verwaltung bis zum Jahr 2020, was Steuer eines neu gestalteten, einheitlichen europä Zukunft an. Es ermöglicht die Erbringung einer erklärungen überflüssig machen könnte. China ischen Mehrwertsteuersystems. Was haben Vielzahl elektronischer Dienstleistungen. Und rief einen Plan für 1.000 Unternehmen ins die Unternehmen da zu erwarten? selbst traditionelle Warengeschäfte werden Leben, um die Digitalisierung seines Steuer- durch Dienstleistungen ergänzt oder ersetzt. Gijsbert: Das derzeitige Mehrwertsteuer- systems mithilfe großer Unternehmen schnel- Nimm zum Beispiel den 3-D-Druck. Grenz- System für den EU-Binnenhandel, das seit ler voranzutreiben. Russland ist seit 2010 überschreitende Warenlieferungen werden 1993 in Kraft ist und als Übergangslösung dabei, seine Steuerverwaltung zu modernisie dadurch zum Teil überflüssig. Dieser Wandel gedacht war, teilt jedes grenzüberschreitende ren und zu digitalisieren. Hier müssen aus- hat wesentliche Auswirkungen auf die Wert- Geschäft in eine steuerfreie grenzüberschrei- führliche Daten zur Umsatzsteuer und zu Ver schöpfungskette und die Erhebung indirekter tende Lieferung und einen steuerpflichtigen rechnungspreisen übermittelt werden. Steuern. grenzüberschreitenden Erwerb. Es funktioniert wie ein Zollsystem, verfügt jedoch nicht über Einige EU-Länder wie zum Beispiel Rumänien Sind die Steuerbehörden schon im digitalen entsprechende Kontrollen, so dass es grenz- ergreifen weitere Maßnahmen zur Bekämp- Zeitalter angekommen? überschreitenden Steuerbetrug erleichtert. fung von USt-Betrug und führen ein sogenann- Gijsbert: Mehr, als man meinen würde. Auf tes Split-Payment-System ein. Split Payment Die EU-Kommission schlägt nun vor, dass die der ganzen Welt nutzen Steuerbehörden bedeutet, dass die Kunden den Rechnungs Regelung, der zufolge der Lieferant die Mehr- moderne Technologien für die e lektronische betrag aufteilen müssen. Der Nettorechnungs- wertsteuer von seinem Kunden einzieht, auf Abgabe von Steuererklärungen und den betrag und der ausgewiesene USt-Betrag Abgleich von Steuerdaten. Spanien hat als sind auf separate Konten zu erstes europäisches Land die Erhebung und überweisen. Verarbeitung von Steuerdaten in Echtzeit „ Für die Zukunft wird es interessant eingeführt. Ungarn hat das elektronische Kon- Und das sind nur einige Bei- sein, ob die Steuerbehörden die trollsystem EKAER zur Vereinfachung der spiele für die derzeitige Meldepflicht umgesetzt. Mehrere EU-Länder Entwicklung. Für die Zukunft Blockchain-Technologie einsetzen, um Umsatzsteuer-Veranlagungen zu beschleunigen und Umsatzsteuer- Betrug effektiver zu bekämpfen.“ 20 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special „ Ich glaube auch für die kommenden 50 Jahre fest an ein gut funktionierendes Mehrwertsteuer-System in der EU und darüber hinaus!“ grenzüberschreitende Geschäfte ausgeweitet Was die Gesetzgebung betrifft, rechne ich hin rasante Änderungen durch Technologien wird. Dies wird eine einheitliche Behandlung aber nicht damit, dass das britische Mehrwert und die Globalisierung geben wird. Solange von inländischen und grenzüberschreitenden steuer-Recht kurzfristig erheblich vom EU- dies der Fall ist, glaube ich auch für die kom- Lieferungen entlang der gesamten Wertschöp- Recht abweichen wird. Ich glaube, dass es für menden 50 Jahre fest an ein gut funktionie- fungskette gewährleisten. Die Reform wird Großbritannien ratsam wäre, sich bei diesem rendes Mehrwertsteuer-System in der EU und zu tiefgreifenden Änderungen für die Steuer- Thema weiterhin an der EU-Gesetzgebung zu darüber hinaus! pflichtigen in der EU führen, sowohl was die orientieren, um die Unterschiede zwischen Erklärungspflichten, als auch die Anpassung den beiden Mehrwertsteuer-Systemen mini- Die kommenden Jahre lassen also weitere der IT-Systeme angeht. mal zu halten und das Risiko einer Doppel- Veränderungen erwarten. Die Mehrwert oder Nichtbesteuerung zu vermeiden. Wir steuer bleibt spannend und in Bewegung. Nur für die Briten möglicherweise nicht. müssen die Entwicklung des Rechts in Groß- Vielen Dank, Gijsbert, für das Gespräch. Durch den Brexit verlässt Großbritannien britannien beobachten. Eine Rückkehr zum nicht nur die Europäische Union, sondern britischen Value Added Tax Act vor dem EU- auch das europäische Mehrwertsteuer Beitritt ist genauso im Gespräch wie ein Wech- system. Welche Folgen hat das für Unter sel vom aktuellen Mehrwertsteuer-System zu nehmen dort und hierzulande? einer anderen Form von indirekten Steuern. Wir werden sehen! Gijsbert: Unternehmen mit Niederlassungen in Großbritannien müssen auf jeden Fall die Lass uns noch einmal in die Glaskugel Folgen für Mehrwertsteuer und Zölle unter schauen. Die Mehrwertsteuer wird 50. suchen und bei Bedarf schnell auf neue Rege- H albzeit? lungen reagieren können. Zurzeit unterliegt das britische Mehrwertsteuer-Recht den EU- Gijsbert: Ich bin kein Hellseher! Aber bleiben Richtlinien, Verordnungen und EuGH-Entschei- wir mal bei den unverrückbaren Tatsachen: Ich dungen. Nach dem Brexit wird Großbritannien denke, die EU wird fortbestehen und wieder re rliche nicht mehr an das Mehrwertsteuer-Recht einen Aufschwung erleben. Zweitens sind Ver- usfüh ws Die a t ie erv der EU gebunden sein. So wird Großbritanni- kehrssteuern wie die Mehrwertsteuer Einnah- n d es In a he c Versio scher Spr en zum Beispiel mehr Spielraum bei der Fest mequellen, auf die jede Regierung angewiesen gli rer in en unse legung der Mehrwertsteuer-Sätze und der ist. Und drittens wird die Wirtschaft wachsen c h e int in u e 20 er s s Is s ig h t Steuerbefreiungen haben. und ihre Komplexität zunehmen, da es weiter- ns y.com Tax I hts.e .ta xinsig www Als Global Director of Indirect Tax von EY ist Gijsbert Bulk verantwortlich für Strategie, Operations, Kundenbeziehungen, Qualität, Risikomanagement und Wissensaustausch im Bereich der indirekten Steuern weltweit. Von seiner langjährigen Erfahrung in diesem Bereich profitieren nicht nur unsere g rößten Mandanten. Seine Expertise brachte er auch als Mitglied der Mehrwertsteuer-Expertengruppe bei der Europäischen Kommis sion von 2012 bis 2015 ein. EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 21
Special Brüssel plant den großen Wurf Im Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug bereitet die EU-Kommission eine Bestimmungsland-Reform vor. S eit Jahren brütet die Europäische Kommission an einer umfassenden Mehrwertsteuerreform. Ziel ist es, rund 25 Jahre nach der Schaffung des Binnenmarktes das als Übergangsregelung eingeführte Besteuerungssystem des innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehrs vollständig neu zu struktu rieren und endgültig zu regeln. Bisher werden inner gemeinschaftliche Lieferungen im Abgangsland steuerfrei gestellt und der Kunde muss im Zielland einen inner gemeinschaftlichen Erwerb erklären. Dieses System gilt gemeinhin als betrugsanfällig und verursacht nach Mei- nung der Kommission bis zu 50 Milliarden Euro pro Jahr an Steuerausfällen. Die Brüsseler Verwaltungsbehörde will 2018 detaillierte Papiere zum neuen Modell veröffent- lichen, die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten soll bis spätestens zum Jahr 2022 erfolgen. Im endgültigen System sollen innergemeinschaftliche Warenlieferungen stets im Bestimmungsland umsatz- steuerpflichtig sein. Steuerschuldner bleibt der Lieferant. Bei der Vorstellung der Mehrwertsteuerreform im Oktober 2017 sagte Ohne weitere Änderungen hätte dies erhebliche Nachteile der zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici: „25 Jahre nach der zur Folge: Unternehmen müssten sich in allen EU-Staaten, Schaffung des Binnenmarkts sehen sich Unternehmen und Bürger, die in die sie Waren liefern, umsatzsteuerlich registrieren grenzüberschreitenden Geschäften nachgehen möchten, noch immer lassen. Die EU-Kommission schlägt daher einen „One 28 unterschiedlichen Mehrwertsteuersystemen gegenüber“. Foto: picture alliance / REUTERS Stop Shop“ vor, dass also der Unternehmer alle Auslands umsätze in seiner heimatlichen Umsatzsteuererklärung angibt und die Mitgliedstaaten das Geld dann untereinan der ausgleichen. Ein entsprechendes System gibt es – wenn auch in kleinem Maßstab – als „Mini One Stop Shop“ bereits seit dem 1. Januar 2015 für die Digitalwirtschaft. 22 EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special Zwischenlösung Die EU-Kommission hat Vorschläge veröffentlicht, die zum 1. Januar 2019 umgesetzt werden sollen. Ziel ist eine schnelle Verbesserung des derzeitigen Mehrwert- steuersystems, bevor der große Wurf kommt. Dieses wird nach einem Beschluss des ECOFIN im Dezem- 1. Es wird ein sogenannter zertifizierter Steuerpflichtiger eingeführt, der an ber 2017 auch für Warenverkäufe an Nichtsteuerpflich den Zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (ZWB) aus dem Zollrecht erinnert. tige ab 2021 gelten. Unternehmen, die diesen Status erhalten, können verschiedene mehrwert- steuerliche Vorteile nutzen bzw. Vereinfachungen anwenden. Für innergemeinschaftliche Dienstleistungen zwischen 2. Die Regeln für sogenannte Konsignationslager sind in der Europäischen Unternehmen greift seit 2010 bereits das Empfänger- Union sehr unstrukturiert. Manche Staaten verlangen stets die Registrie- ortsprinzip, also auch eine Besteuerung im Bestimmungs- rung, manche manchmal, und manche gar nicht. Die Kommission schlägt land. Allerdings gilt weiterhin die Steuerschuldnerschaft eine einheitliche Regelung vor, nach der Unternehmen, die solche Lager des Leistungsempfängers, d. h. der Abnehmer meldet die in anderen Staaten einrichten, sich dort nicht steuerlich erfassen lassen müssen. Allerdings soll dies nur dann gelten, wenn sowohl der Lieferant als Umsatzsteuer an. Die Kommission plant in der letzten auch der Kunde ein zertifizierter Steuerpflichtiger sind. Umsetzungsstufe der Reform die gleiche Regelung wie für die innergemeinschaftlichen Lieferungen, also Meldung 3. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Umsatzsteuer-Identifikations durch den leistenden Unternehmer mit Steuersatz des nummer nur ein formelles Nachweismerkmal. Innergemeinschaftliche Lieferungen können auch dann steuerfrei sein, wenn der Abnehmer k eine Ziellandes im One Stop Shop. entsprechende gültige Nummer vorweist. Angesichts des erheblichen Steuerbetrugs bei grenzüberschreitenden Geschäften schlägt die Kommis sion vor, die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer als eines der zwingen- Problem der Einstimmigkeit den Nachweismerkmale für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen vorzusehen, verbunden mit einer entsprechenden Meldepflicht in der Bei Steuern gilt in der EU das Einstimmigkeitsprinzip Zusammenfassenden Meldung. Hintergrund ist, die Umsatzsteuer-Identifika- unter den Mitgliedstaaten. Das erschwert Reformen. So tionsnummern zentral in einer Datenbank zu speichern und relativ einfach scheiterte kürzlich der Versuch, digitale Bücher dem überprüfen zu können. ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen, am Nein eines 4. Die Nachweisführung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen ist für einzigen Mitgliedstaates. Das von der Kommission nun Unternehmen häufig ein Albtraum, denn die entsprechenden Regeln legt vorgeschlagene System führt zu fundamentalen Änderun- jeder Mitgliedstaat selbst fest. Die Kommission will das Ganze v ereinfachen gen bei der Besteuerung grenzüberschreitender Trans- und vereinheitlichen. Sie schlägt daher zusätzlich zur Umsatzsteuer- aktionen. In der Vergangenheit waren einzelne Mitglied Identifikationsnummer eine Reihe von Standardnachweisen vor. Liegen zwei solche Nachweise vor, sind die Beteiligten zertifizierte Steuerpflichtige und staaten, wie Deutschland, mit dem Konzept des One Stop hat der Erwerber eine schriftliche Erklärung abgegeben, wohin die Gegen- Shop nicht besonders glücklich. Eine entsprechende Idee stände versandt wurden, so soll der Lieferer auf die Steuerfreiheit vertrauen war bereits Teil des „Mehrwertsteuerpakets 2010“; sie können. scheiterte und heraus kam nur der „Mini One Stop Shop“. 5. Zu den Albträumen gehören auch Reihengeschäfte, also Warenlieferungen Ebenso stellt sich die F rage, ob alle Mitgliedstaaten tat- mit mehr als zwei Beteiligten und unmittelbarem Warentransport vom sächlich bereit sein werden, die Zertifizierung von Steuer- ersten Lieferer zum letzten Abnehmer. Trotz zahlreicher EuGH-Urteile gibt pflichtigen durch jeden anderen Mitgliedstaat als rechts- es keine klaren und eindeutigen Regelungen, wann ein grenzüberschreiten- verbindlich anzuerkennen. des Reihengeschäft eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung sein kann, wer sich wann wo registrieren lassen muss und wann die Dreiecks regelung zur Vereinfachung greift. Die Kommission hat das Problem erkannt und schlägt daher einheitliche Regelungen für die Zuordnung der steuer Was heißt das für Unternehmen? freien Lieferung vor – aber nur für zertifizierte Steuerpflichtige. Trotzdem gilt das aktuelle Mehrwertsteuersystem als reformbedürftig. Daher sollten Unternehmen davon aus- gehen, dass die Kernelemente der Reform früher oder später kommen werden. Sie sollten sich insbesondere mit den Anforderungen an den zertifizierten Steuerpflichti- gen auseinandersetzen, um gegebenenfalls rechtzeitig Maßnahmen zu implementieren. Dazu gehört unter ande- rem ein internes Kontrollsystem für die entsprechenden Prozesse und die allgemeine steuerliche Zuverlässigkeit. Fragen an Unternehmen, für die zollrechtliche Prozesse wichtig sind, Robert Prätzler dürften es etwas einfacher haben. Denn wer bereits den robert.praetzler@de.ey.com ZWB-Status hat, sollte relativ einfach auch zertifizierter Steuerpflichtiger werden können. EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer 23
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