50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY

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50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
50 Jahre
Mehrwertsteuer
Vom Mauerblümchen
zum Global Player
50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
Mehrwertsteuer

                 217.090
                                                                                                                                                                                                    Spielkartensteuer                2
                                                                                                                                                                                                 Essigsäuresteuer                2
                                                                                                                                                                                                 Notopfer Berlin             2
                                                                                                                                                                                            Zündwarensteuer              6
                                                                                      184.826                                                                                      Zündwarenmonopol                  8
                                                                                                                                                                                              Teesteuer         18
                                                                                                                                                                                        Salzsteuer         21
                                                  Lohnsteuer                                                                                                               Leuchtmittelsteuer             36
                                                                                                                                                                       Feuerschutzsteuer              39
                                                                                                                                                                  Beförderungsteuer                44
                                                                                                                                                               Vergnügungssteuer                 45
                                                                                                                                                                 Getränkesteuer               48
                                                                                                                                                        Kreditgewinnabgabe                  51
                                                                                                                                                 Sonstige Gemeindesteuern               53

2016
                                                                    Veranl. Einkommensteuer         53.833                                                  Zuckersteuer               66
                                                                                                                                                        Wechselsteuer             93
                                                                                                                                                  Schaumweinsteuer               102
                                                                                                                                      Hypothekengewinnabgabe                103
                                                                                                                                         Kapitalverkehrsteuer              152
                                                                             Gewerbesteuer         50.097                                    Erbschaftsteuer          176
                                                                                                                                      Grunderwerbsteuer              191
                                                                                                                              Umsatzausgleichsteuer              209
                                                                                                                      Zuschl. z. Grunderwerbsteuer             231

              705.791                                                 Energiesteuer 40.091                                    Versicherungsteuer
                                                                                                                     Rennwett- u. Lotteriesteuer
                                                                                                                                                            256
                                                                                                                                                           258

              Mio. Euro                                         Körperschaftsteuer 27.442
                                                                                                                          Ergänzungsabgabe
                                                                                                                                  Kaffeesteuer
                                                                                                                      Lohnsummensteuer               535
                                                                                                                                                        320
                                                                                                                                                      534

                  Steuereinnahmen
                                                                                                                            Biersteuer      563
                     insgesamt                                     Nicht veranl.                                Vermögensabgabe          654
                                                                Steuern v. Ertrag 19.452
                                                                                                                      Nicht veranl.      787
                                                                                                              Steuern vom Ertrag
                                                          Solidaritätszuschlag 16.855                        Branntweinmonopol         1.017
                                                                                                               Vermögensteuer               1.156
                                                                 Tabaksteuer 14.186
                                                                                                                          Zölle          1.227
                                                     Grundsteuer (A+ B) 13.654                           Grundsteuer (A+ B)            1.264

                                                  Versicherungsteuer 12.763                           Kraftfahrzeugsteuer             1.658

                                               Grunderwerbsteuer 12.408                                    Tabaksteuer               3.064

                                                                                                                                                           1968
                                            Kraftfahrzeugsteuer 8.952
                                                                                                Einfuhrumsatzsteuer                 3.310
                                               Erbschaftsteuer 7.006
                                               Stromsteuer 6.569
                                                                                               Körperschaftsteuer                  4.373
                                       Abgeltungsteuer 5.940
                                                  Zölle 5.113

                                                                                                                                                                 62.280
                                 Branntweinsteuer 2.070                                          Mineralölsteuer                   5.049
                      Rennwett- u. Lotteriesteuer 1.809
                           Luftverkehrsteuer 1.074
                             Kaffeesteuer 1.040
                                                                                           Gewerbe­steuer (E u. K)                  5.387                        Mio. Euro
                              Biersteuer 678                                                                                                                          Steuereinnahmen
                 Feuerschutzsteuer 442                                                                                                                                   insgesamt
                                                                                                         Veranl.
           Kernbrennstoffsteuer 422                                                             Einkommensteuer
                                                                                                                                            8.320
          Schaumweinsteuer 401
  Zwischenerzeugnissteuer 15
pausch. Einfuhrabgaben 2
                                                                                                         Mehrwertsteuer             9.561
    Alkopopsteuer 1

                                                                                                                                    Lohnsteuer                                    11.289
50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
Special

Editorial

                                         Liebe Leserin,
                                         lieber Leser,

                                       die Mehrwertsteuer feiert Geburtstag. Seit dem 1. ­Januar
                                       1968 gibt es in der Bundesrepublik das System der Netto­
                                       allphasenumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug. Für die
                                       ­deutsche Wirtschaft war die Umstellung von der bisherigen
                                        ­Allphasen-Bruttoumsatzsteuer, die übrigens vor n­ ahezu
                                         100 Jahren im damaligen Deutschen Reich eingeführt
                                         ­worden war, ein einschneidendes Ereignis. Seither hat die
            Mehrwertsteuer eine beeindruckende Entwicklung erlebt und zahlreiche Herausforde-
            rungen gemeistert.

            Auch heute, im Zeitalter der Digitalisierung, stellen sich wieder völlig neue Fragen –
            nach der Betriebsstätte, nach elektronischen Dienstleistungen oder dem Wert s­ cheinbar
            kostenloser Daten. Die Europäische Kommission ist dabei, das Mehrwertsteuer­system
            fortzuentwickeln, was Unternehmen und ihre Steuerfunktionen ihrerseits vor neue
            ­Herausforderungen stellt.

            In diesem Tax & Law Special beschäftigen wir uns intensiv mit diesen Zukunftsfragen
            und den Implikationen für eine immer arbeitsteiligere Wirtschaft in einer g
                                                                                      ­ lobalisierten
            Welt. Die Umsatzsteuer ist längst eine der spannendsten Steuerarten geworden, für
            die sich Regierungen und Finanzverwaltungen in aller Welt interessieren.

            Nicht fehlen darf dabei ein Rückblick, wie alles anfing und wie es mit der Mehrwert­
            steuer weitergeht – alles angereichert durch interessante Fakten, die manchmal auch
            zum Schmunzeln einladen sollen.

            Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre

            Ihr Peter Schilling
            Head of Indirect Tax Germany, Switzerland, Austria

                                                    EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer      3
50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
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                                                                                                                             10
                                                                                                                                  Special

EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
                                                                                                                        6

                                                                                                                   12
                                                                                                                        24

                                                 Illustration: Claudia Kaschmieder; Foto: iStock / mikkelwilliam
50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
Special

                               Inhalt
                          6    Die bunte Welt der Mehrwertsteuer
                          8    Spots: Schlaglichter
                         10    Skurrile Steuerregeln
                         12    Moderne Zeiten für eine Steuer in den besten Jahren
                         18	EY Global Director of Indirect Tax
                             Gijsbert Bulk im Gespräch über internationale
                             Entwicklungen der Umsatzsteuer
                         22    Brüssel plant den großen Wurf
                         24	Jens Keese und Jan Körner
                             über die Zukunft der Mehrwertsteuer
                         30    Risiken bei Transaktionen
                         32    Das letzte Wort hat Luxemburg
                         36    Haken und Ösen
                         42    Schutz vor Strafe
                         46    Revolution oder Evolution
                         50	MwSt – kleines Kürzel, großer Erfolg

                                                           46
Foto: iStock / jess311

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50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
Special

         USA
     Die Vereinigten Staaten haben kein mit Deutschland
       und der EU vergleichbares Umsatzsteuersystem, da auf
     Bundesebene keine Umsatzsteuer erhoben wird. Dies
    ­findet allein auf der Ebene der Bundesstaaten statt. Fast
     alle erheben die als „Sales Tax“ bezeichnete Umsatz­
      steuer, mit Ausnahme von Alaska, Delaware, M  ­ ontana,
     New Hampshire und Oregon. Dort gibt es überhaupt
      ­keine Sales Tax. Ansonsten reichen die Steuersätze von
    2,9 Prozent (Colorado) bis 7,5 Prozent ( ­Kalifornien).
     ­Einige Bundesstaaten erheben niedrigere Sätze auf
       bestimmte Produkte wie Nahrungsmittel, Kleidung, ein-
    zelne Dienstleistungen und Medikamente. Der Umstand,
       dass die ­Bundesstaaten und teilweise auch die Städte
       und Gemeinden ihre e ­ igene Steuer erheben sowie ihre
       eigenen Bemessungsgrund­lagen und Steuer­tarife haben,
       erschwert die Steuer­hebung deutlich.

    Die bunte Welt
    der Mehrwertsteuer
     In über 120 Ländern dieser Welt füllt die Konsumbesteuerung die      Anzahl der Steuersätze
     Staatskassen. Vielerorts werden Dinge des täglichen Grundbedarfs        17                4
     mit einem reduzierten Steuersatz oder einem Null-Satz begünstigt.       7                 3
     Doch es geht noch mehr. So werden in Pakistan Teppichhändler            6                 2
                                                                             5                 keine Umsatzsteuer
     mit erweiterten Sondersätzen ausgestattet. Und in China gelten für
    „moderne“ Dienstleistungen moderne Sätze.                             Die Länder Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-­
                                                                          Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate
                                                                          führen eine Mehrwertsteuer in 2018 ein und sind
                                                                          bereits in der Weltkarte eingefärbt.

                                                                          Quelle:
                                                                          EY 2017 Worldwide VAT, GST and Sales Tax Guide

6   EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
Special

                                                                                     Europäische Union

                                                                                                                                                          Global Tax
                                                                                1968 wurde die Umsatzbesteuerung innerhalb der (damals
                                                                                noch) Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vereinheitlicht.
                                                                                Mittlerweile wird die Mehrwertsteuer in den 28 EU-­Staaten
                                                                                unter Beachtung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie erho-
                                                                                ben. Die Steuersätze legen die einzelnen Mitglieds­länder
                                                                                jedoch selbst fest. Der Normalsatz darf dabei 15 Prozent nicht
                                                                                unterschreiten. Für bestimmte Arten von Umsätzen ­dürfen
                                                                                maximal zwei ermäßigte Steuersätze festgelegt werden. ­Diese
                                                                                dürfen grundsätzlich die Fünfprozentgrenze nicht unter-
                                                                                schreiten. Darüber hinaus sind einige Mitgliedstaaten befugt,
                                                                                bestimmte Umsätze mit Sondersteuersätzen zu belegen, auch
                                                                                mit null Prozent.

                                                                                     Deutschland
                                                                                Seit 1968 gilt das System der Allphasen-Nettoumsatz­
                                                                                steuer. Damit hat die Anzahl der Produktionsschritte bei ver-
                                                                                schiedenen Unternehmen keinen Einfluss mehr auf die Höhe
                                                                                der Umsatzsteuer. Grundsätzlich steigt der absolute Betrag
                                                                                der Umsatzsteuer über die verschiedenen Produktionsstufen
                                                                                an und wird schließlich bei der Leistungserbringung gegen-
                                                                                über dem Endkunden oder dem Konsumenten auf das Netto-
                                                                                entgelt aufgeschlagen.

                                                                                     Indien
                                                                                Am 1. Juli 2017 führte Indien eine landesweite Umsatzsteuer
                                                                                auf Waren und Dienstleistungen ein, die s­ oge­nannte „Goods
                                                                                and Services Tax“ (GST). Sie ersetzt die bislang unüber-
                                                                                schaubare Vielfalt von zentralstaatlichen und l­okalen Anga-
                                                                                ben der 29 Bundesstaaten. Im Detail ist die GST technisch
                                                                                in drei Komponenten unterteilt: eine Steuer der Zentral­
                                                                                regierung („Central GST“), eine Steuer der Bundesstaaten
                                                                                („State GST“) und eine sogenannte übergrei­fende Steuer
                                                                                („Integrated GST“). Der Standardsteuersatz der GST beträgt
                                                                                28 Prozent. Für die meisten Anlagen/ ­Maschinen und Dienst-
                                                                                leistungen liegt er jedoch bei 18 Prozent und v­ iele Güter des
                                                                                täglichen Bedarfs werden nur mit fünf Prozent besteuert.

     Pakistan – vielfältig und vielschichtig                                          China – Extrasatz für moderne Dienstleistungen
Angaben in Prozent                                                              Angaben in Prozent

17                         1, 2, 3, 4, 5,             18, 18,5, 19,5            0                       6                           13
Standardsatz für Waren     6, 8 und 10                und 24                    z. B. Arzneimittel      moderne Dienst-             z. B. Lebensmittel,
                           reduzierte Sätze, z. B.:   andere Sätze, z. B.                               leistungen, wie z. B.       auch essbares
14, 15, 16                                            für Telekommunikations-   3                       Telekommunikations­         Pflanzenöl, Bücher
regional unterschied­      2–5                        dienste                   z. B. für Waren und     dienstleistungen            und Zeitschriften
liche Standardtarife für   lokal produzierte                                    Dienstleistungen von
Dienstleistungen           ­Teppiche, Textilien       0                         Kleinunternehmen        11                          17
                                                      Nullrate für landwirt-                            z. B. Transport­            gilt, sofern nicht
                           6–10                       schaftliche Produkte,                             leistungen                  gesetzlich ein anderer
                           weißer kristalliner        einschließlich Milch,                                                         Satz festgelegt wurde
                           Zucker, Anlagen und        Eier, Fisch, Fleisch
                           Maschinen                  und frisches Gemüse,
                                                      Arzneimittel

                                                                                                       EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer           7
50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
Special

So entwickelten sich die Sätze in Deutschland
Begonnen hatte 1968 alles mit einem vollen Mehrwertsteuersatz                        In den folgenden zehn Jahren gelang es, diese Sätze stabil zu
von zehn Prozent und einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von                         ­halten. Z
                                                                                              ­ wischen 1978 und 1998 mussten die Menschen immer-
fünf Prozent, doch schon ein halbes Jahr nach der Einführung folg-                    hin fünf Erhöhungen hinnehmen. Während der ermäßigte Satz
te die erste Erhöhung, die sich beim vollen Satz mit einem Prozent                   seit 1983 konstant ist, stieg der reguläre Satz mit drei Prozent im
und beim ermäßigten Satz mit einem halben Prozent auswirkte.                        ­Januar 2007 am stärksten in seiner Geschichte.

Entwicklung der Steuersätze in Deutschland

Bundesminister der Finanzen zum
Zeitpunkt der Satzänderung

                                                                                                                                                   Peer Steinbrück (SPD)
                                                                                                                                                        2005 – 2009
                                                                                                                  Theo Waigel (CSU)
                                                                                                                     1989 – 1998

                                                                                                                                                                    19 %
                                                                             Gerhard Stoltenberg (CDU)
                                                                                    1982 – 1989
                                            Hans Matthöfer (SPD)
                                                1978 – 1982                                                                           16
         Franz Josef Strauß (CSU)                                                                                15
               1966 – 1969                                                                  14
                                                                       13
                                                   12
                               11
    10

                               5,5
                                                   6
                                                                       6,5
                                                                                                                                                                    7%
    5

    01/1968                07/1968 —          01/1978 —            07/1979 —            07/1983 —            01/1993 —           04/1998 —                01/2007
                           12/1977            06/1979              06/1983              12/1992              03/1998             12/2006

                                                                                                                              Regulärer USt-Satz       Ermäßigter USt-Satz

                                                                                                                                                                             picture alliance / Ulrich Baumgarten (Gerhard Stoltenberg), picture-alliance / dpa (Theo Waigel), picture-alliance / ZB (Peer Steinbrück)
                                                                                                                                                                             Fotos: picture alliance / Werner Schulze / dpa-Zentralbild / ZB (Franz Josef Strauß), picture alliance / Klaus Rose (Hans Matthöfer),
Der Boom in den Sechzigern
Ihren Durchbruch feierte die Mehrwertsteuer in den sechziger                        In manchen Regionen der Welt ist die Mehrwertsteuer noch etwas
­ ahren, als die damaligen sechs EWG-Länder (Belgien, ­Frankreich,
J                                                                                   Neues: Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die
Italien, Luxemburg, die Niederlande und die Bundesrepublik                          Vereinig­ten Arabischen Emiraten führen zum 1. Januar 2018 eine
Deutschland) sich zur Einführung verpflichteten. Vorreiter war                      Verbrauchsteuer ein. Das Mehrwertsteuer­system der Golfstaaten
damals Frankreich, das sie bereits 1954 eingeführt hatte.                           wird auf dem der Europäischen Union und von Singapur basieren.

    63              FRA                   54              BRA                   50          DNK

         50         DEU                    49             NLD                   49          SWE
                                                                                                                                        Schnittblume

                                                                                                                                        7 Prozent
                                                                                                                                        Stoffblume

                                                                                                                                        19 Prozent
         48                                47                                   45
                                                                                                         Quelle:
                                                                                                         EY VAT and Sales
                    LUX                                   BEL                                ITA         Tax Guide 2017

8           EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
Special

                                                                                                   Die alte Allphasen-
                                                                                                   Bruttoumsatzsteuer
                                                                                                   Im Ersten Weltkrieg führte das Deutsche Reich 1916 einen Waren-
                                                                                                   umsatzstempel als Steuer auf Warenlieferungen ein. 1918 l­öste
                                                                                                   die sogenannte Allphasen-Bruttoumsatzsteuer dann die Stempel­
                                                                                                   steuer ab. Mit ihr wurden auch sonstige Leistungen der Steuer
                                                                                                   unterworfen. Die Umsatzbesteuerung fand grundsätzlich auf jeder
                                                                                                   Wirtschaftsstufe statt, weshalb sich die steuerliche Gesamtbelas-
                                                                                                   tung kumulierte. Produkte, die eine Vielzahl unterschiedlicher Pro-
                                                                                                   duktionsphasen durchliefen, waren im Ergebnis mit einer höheren
                                                                                                   Umsatzsteuer belastet als solche, die von einem Unternehmen über
                                                                                                   alle Produktionsstufen erzeugt und dann direkt dem Konsumenten
                                                                                                   angeboten wurden. Der ursprüngliche Steuersatz von 0,5 Prozent
                                                                                                   stieg nach wiederholten Änderungen 1935 auf zwei, 1946 auf drei
                                                                                                   und 1951 auf vier Prozent an. Das wettbewerbsverzerrende System
                                                                                                   der Allphasen-Bruttoumsatzsteuer lief 1967 in der Bundesrepublik
                                                                                                   aus und wurde in der DDR bis 1970 genutzt.

                                                                                                                                                                               Obst                                  Obstsaft

                                                                                                                                                                               7 Prozent                             19 Prozent

                                                                                                                                                                           Ertragreiche Sonderprüfung
                                                                                                                                                                           Allein die Umsatzsteuer-Sonderprüfungen haben 2016 zu Mehr-
                                                                                                                                                                           einnahmen von 1,7 Milliarden Euro geführt. Die Ergebnisse aus
                                                                                                                                                                           der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen
                                                                                                                                                                           Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind
                                                                                                                                                                           darin noch nicht enthalten. Umsatzsteuer-Sonderprüfungen wer-
Scan Warenumsatzstempel: Wolfgang Morscheck / Bad Säckingen; Foto: picture alliance / Eventpress

                                                                                                                                                                           den unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und
                                                                                                                                                                           ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im
                                                                                                   Abgabe in der DDR                                                       Jahr 2016 wurden 85.681 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durch-
                                                                                                                                                                           geführt. Jeder der 1.873 Prüfer erzielte im Schnitt ein Mehrergeb-
                                                                                                   Zusammen mit der Wirtschafts- und Währungsunion wurde in
                                                                                                                                                                           nis von rund 920.000 Euro.
                                                                                                    ­Ostdeutschland am 1. Juli 1990 die Mehrwertsteuer eingeführt.
                                                                                                   ­Vorher gab es in der DDR kein vergleichbares System. Die produkt­
                                                                                                     gebundene Abgabe (PA) kam dem noch am nächsten, die auf eine          Einnahmen aus Umsatzsteuer-Sonderprüfungen
                                                                                                    Anzahl von Waren erhoben wurde. Dabei handelte es sich über-           Angaben in Milliarden Euro
                                                                                                    wiegend um Konsumgüter wie Spirituosen, Tabakwaren, Farbfern­
                                                                                                                                              seher, Kühlschränke
                                                                                                                                                                                                2,3                      2,27
                                                                                                                                              oder Wasch­automaten,
                                                                                                                                                                                    2                       1,97
                                                                                                                                              aber auch um ­Heizöle                                                                                  1,72
                                                                                                                                                                                                                                     1,68
                                                                                                                                              und Vergaser- und
                                                                                                        Hundekekse
                                                                                                                                              Diesel­kraftstoffe. Die PA
                                                                                                      7 Prozent                               betrug zwischen 10 und
                                                                                                        Kinderkekse                           75 Prozent des Herstel-

                                                                                                      19 Prozent                              lungspreises.

                                                                                                                                                                                   2011         2012        2013         2014        2015            2016

                                                                                                                                                                                                    EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer          9
50 Jahre Mehrwertsteuer - Vom Mauerblümchen zum Global Player - EY
Special

                     Skurrile
                     Steuerregeln
                                                                Die Milch macht’s
                     Kaffee zum Mitnehmen ist praktisch, steuerlich g ­ esehen        Nur wenn das Kaffeegetränk zu mindestens 75 Prozent
                     jedoch kompliziert. Wer einen Kaffee mit Milch mag, s­ ollte    aus Milch besteht und diese tierischen Ursprungs ist, sind
                     mal genauer auf den Kassenbon schauen, ob er nun 19              sieben Prozent der richtige Mehrwertsteuersatz. Bei
                     oder nur 7 Prozent Mehrwertsteuer bezahlt hat. Maß-             ­aufgeschäumter Milch zählt das Gewichts- und nicht das
                     geblich sind neben der Milch-Art (tierisch oder pflanzlich)     Volumenverhältnis. So entschieden jedenfalls mehrere
                     auch der Milchanteil selbst und die Art der Zubereitung.         Finanzdirektionen in den vergangenen zwei Jahren.

                     „to go“ – Wann gilt der ermäßigte Steuersatz?

     Espresso                                                                       Americano           Macchiato                Con Panna                Mocha
       19 %                                                                           19 %                19 %                     19 %                    19 %
                          Flat White               Latte        Cappuccino

                                                                                    Espresso   Schokolade       Wasser     Milchschaum       Milch     Schlagsahne
                                     ≥75 %
Special

  Oh Tannenbaum!                                                        Korrekterweise wäre noch zu prüfen, ob das
                                                                        Sägen beim Baumeinschlag nicht eine Neben-,
                                                                        sondern eine Hauptleistung darstellt. Dann
                                                                        wären 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig.
29 Millionen Weihnachtsbäume wurden im
­vorigen Jahr verkauft, 72 Prozent beim                                                                                                      Steuersatz

 Gewerbe­treibenden, 28 Prozent vom Forst-                                                                                                     7%
 amt oder Landwirt. Aus Plastik waren knapp
 drei Millionen. Der Fiskus verdiente daran
 schätzungs­weise 92 Millionen Euro Mehrwert-
 steuer. Allerdings ist die Wahl des korrekten
 Steuersatzes alles andere als einfach:
                                                                                     nein,
                                                                                  wirksame                                                   Steuersatz
                                                                               Optionserklärung
                                                                                     gem. § 24
                                                                                                                                             5,5 %
                                                                                    Abs. 4 UStG
                                            Verkauf durch                                                      … aus dem
                                              Gewerbe­-                                                           Wald
                                              treibende

                                                                                                                                             Steuersatz
              natürlicher
              Weihnachts-                                                                                                                    10,7 %
                 baum
                                                                                                        … aus einer
                                  Verkauf durch                                                        Sonderkultur
                                   Landwirt/                                     ja,
                                    Forstwirt            pauscha-
                                                          lierender          Weihnachts-
    künstlicher
                                                         Landwirt?           baum ist …
    Weihnachts-                                                                                                              Steuersatz
       baum
                                                                                                                              19 %

            Der Verzehr einer Brezn
                 ist kein Event
„Für hier oder zum Mitnehmen?“ Diese vornehmlich in Fast-Food-
  Ketten gestellte Frage ist umsatzsteuerlich begründet. Bei Mit­
  nahme liefert der Gastronom nur ein Nahrungsmittel – sieben Pro-
  zent MwSt. Ansonsten erbringt der Wirt eine Serviceleistung zu
                                                                                                     „Nacht der Nächte“
19 Prozent. Der Bundesfinanzhof hatte nun zu klären, ob beim                                        ist kein ­Zweckbetrieb
 ­Verkauf von „Wiesnbrezn“ durch einen „Brezenläufer“ 7 oder 19
  Prozent fällig sind. Der Brezenläufer ist ein eigenständiger Unter-               Nein, der Fall spielt nicht im Rotlichtmilieu. Der Bundesfinanzhof
  nehmer, der mit einem Bauchladen durch die Bierzelte streift. Das                 hatte vielmehr zu beurteilen, ob die Veranstaltung eines Karnevals­
  Finanzamt ging von einer Servierleistung aus. Das verneinte der                  vereins, die den Titel „Nacht der Nächte“ trug, einen steuer­lichen
  BFH: Die Tisch- und Toiletten-Infrastruktur des einen Unternehmers               Zweckbetrieb darstellt. Wäre dem so, wären die Eintrittskarten
  (Zeltbetreiber) könne nicht dem anderen Unternehmer (Brezen­                      mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 statt 19 Prozent zu
  läufer) zuge­rechnet werden. Auch die Beschallung mit Blasmusik                  ­versteuern. Der BFH verneinte das aber. Nicht jede gesellige Ver-
  während des Brezenverzehrs mache diesen nicht zu einem Event,                     anstaltung, in der sich kostümiert und unter Darbietung von Stim-
  also einer ­Service­leistung. Denn nicht der Brezenläufer stoße ins               mungsmusik ausgelassen gefeiert werde, diene dem steuerlich
  Horn, ­sondern wiede­rum ein anderer Unternehmer.                                 geförderten Brauchtum des Karnevals. Das erstinstanzliche Gericht
                                                                                    hatte das noch anders gesehen … es war das Finanzgericht Köln.

                                                                                                          EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer   11
Special

                 Moderne Zeiten
                 für eine Steuer in
                 den besten Jahren
                                                      Im Zeitalter des Internets stellen sich völlig neue
                                                      Fragen – nach der Betriebsstätte, nach digitalen
                                                      Dienstleistungen oder scheinbar kostenlosen Daten.
                                                      EY gibt einen Überblick und Antworten.

                                                                                                            Foto: iStock / mikkelwilliam

12   EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special

A
          ls das Mehrwertsteuersystem in Europa einge-        das interessierte Publikum, als der EuGH in der Rechts-
         führt wurde, waren Computer große unhandliche        sache „Faaborg-Gelting“ im Jahr 1995 entschied, dass
         Geräte, die meistens mit Lochstreifen gefüttert      ein Restaurant auf einem Fährschiff – trotz Personen als
 und nur in einigen wenigen Unternehmen oder Behörden         auch Sachmitteln – nicht als Betriebsstätte zu ­bewerten
 genutzt wurden. Kaum jemand konnte sich eine digitale        sei. Im fraglichen Urteil bleibt es bei kurzen Hinweisen auf
Welt vorstellen, in der fast jeder Bürger ein Gerät in der    eine „steuerlich sinnvolle Lösung“ – gemeint war wohl,
Tasche hat, das erheblich mehr Rechenleistung aufweist        eine Nichtbesteuerung zu verhindern. Frischen Wind in
als der Computer der Mondlandefähre von Apollo 11 und         die Betriebsstättendiskussion könnten im ­Übrigen zwei
 mit dem man auf der ganzen Welt in Echtzeit einkaufen        Urteile der Finanzgerichte Münster und Köln ­bringen,
 kann. Das Internet stellt nicht nur bisherige Geschäfts-     nach denen auch eine Windkraftanlage für sich eine
 modelle auf den Kopf, es rüttelt auch an den Grundfes-       umsatzsteuerliche Betriebsstätte darstellen kann. Alles
ten, auf denen unsere Mehrwertsteuer seit 50 Jahren           in allem lassen diese Fälle aus dem analogen Zeitalter
aufbaut. Dies führt zu der Frage, wie gut die Jubilarin für   ­erahnen, welche Komplikationen das digitale Zeitalter
 die modernen Zeiten gerüstet ist, welchen Herausforde­       mit Blick auf den Betriebsstättenbegriff bereithält.
 rungen sich Finanzminister und Finanzbehörden s­ tellen
 müssen und womit insbesondere Unternehmen der
                                                              Dilemma der Server
­Digitalwirtschaft und der Industrie-4.0-Generation rech-
 nen müssen.                                                    Im Digitalzeitalter stellt sich sofort die Frage, welche
                                                               ­ olle Server für die Besteuerung spielen. Das traditio-
                                                               R
                                                                nelle Konzept der Mehrwertsteuer knüpft regelmäßig
Das Problem der Betriebsstätte …
                                                                ­daran an, wo ein Unternehmer seine Geschäfte betreibt,
 Die umsatzsteuerliche Betriebsstätte, rechtstechnisch        wo sich die Arbeitnehmer, die Maschinen, das Handels­
„feste Niederlassung“ genannt, ist seit ihrer Einführung         geschäft usw. befinden. Alternativ kommt die Betriebs-
 durch die Sechste Richtlinie aus dem Jahr 1977 ein             stätte ins Spiel, wenn ein Unternehmen nicht nur an
 schwer greifbares Konzept, an dem die indirekte Besteu-       ­seinem Hauptsitz entsprechende Präsenzen unterhält.
 erung ansetzt. Ursprünglich fand sich der Begriff ledig-      Bei Internetunternehmen ist es aber so, dass diese häu-
 lich in den Mehrwertsteuerrichtlinien der Europäischen       fig gar nichts körperlich Greifbares mehr haben, abgese-
 Wirtschaftsgemeinschaft, ohne dass man an eine Defi-           hen von den Servern, auf denen die relevanten Websites
 nition gedacht hätte. Diese Definition holte dann der          und Programme laufen. Und diese sind, um das ganze
 Gerichtshof der Europäischen Union seit den acht­ziger        Dilemma auf die Spitze zu treiben, oft gar nicht im Eigen-
Jahren nach. Erstmals konnte er im Verfahren „­Berkholz“       tum des Digitalunternehmens, sondern gemietet oder
 eine Entscheidung fällen. Seinerzeit ging es um einen        ­werden von einem Anbieter verschiedenen Unternehmen
 Geldspiel­automaten auf einem Schiff und die Frage, wo         im Wege eines Servicevertrages zur Verfügung gestellt.
 die Mehrwertsteuer auf entsprechende Glücksspiel­
 umsätze entsteht. Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass
                                                              EU-Paket
 eine Betriebsstätte stets die Präsenz von Personen und
 Sachmitteln erfordert, und verneinte somit die Betriebs-      Die Europäische Union hat im Jahr 2015 mit dem
 stätte für den fraglichen Geldspielautomaten. Statt­          ­sogenannten Mehrwertsteuerpaket viele p   ­ otenzielle
 dessen entschied er sich für die Besteuerung am Sitz der      Pro­bleme aus dem Weg geräumt, indem sie für d     ­ igital
 Betreiberfirma.                                                erbrachte Dienstleistungen eine Besteuerung am
                                                              ­Wohnsitz des nichtunternehmerischen Leistungsempfän-
                                                                gers einführte. Auf den Serverstandort kommt es folg-
… beschäftigt die Gerichte
                                                               lich bei digitalen Leistungen gar nicht mehr an. Damit
Gut 20 Jahre später bewertete der EuGH überraschend             ist es auch nicht mehr möglich, durch einen S ­ erver
einen Geldspielautomaten ganz anders, nämlich als               in einem steuer­lich attraktiven Land legal Mehrwert­
unterhaltende Leistung (Rechtssache „RAL“), was dazu            steuer auf e
                                                                           ­ ntsprechende Leistungen zu sparen. Es sei
führte, dass die Mehrwertsteuer an dem Ort entstand, wo         ergänzt, dass Unternehmen aus Staaten außerhalb der
der Automat aufgestellt war. Noch mehr wun­derte sich          EU ­eigentlich mit derartigen Leistungen bereits seit

                                                                                                       EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer   13
Special

     Die Crux der Einfuhrabgaben­befreiung
     für ­geringwertige Güter                                                            Juli 2003 mehrwertsteuerpflichtig sind. In vielen Fällen
                                                                                         wurde aber die entsprechende Steuer nie gezahlt, auch
      Im traditionellen Mehrwertsteuer­         Der Siegeszug des Online-Versand-
      system findet sich eine Regelung, der     handels ändert jedoch die Lage. Eine
                                                                                         weil es keine funktionierenden Kontrollen gab – und gibt.
      zufolge die Einfuhr gering­wertiger       von der Europäischen Kommission          Für den Online-Handel in der EU ist der Serverstandort im
      Warensendungen aus ­Drittländern          in Auftrag gegebene Studie aus dem       Übrigen nie bedeutend gewesen, denn hier gelten ohne-
      zoll- und mehrwertsteuerfrei sein         Jahr 2015 zeigt, dass das Einfuhr­       hin die traditionellen Lieferortregeln für Warenhandel.
      kann. In Deutschland beträgt die ent-     volumen dieser geringwertigen Güter
      sprechende Grenze 22 Euro. Als die        zwischen 1999 und 2013 um fast 300
      Regelung eingeführt wurde, spielten       Prozent gestiegen ist. Man schätzt die
                                                                                         Was sind digitale Dienstleistungen?
      solche Warensendungen aus Dritt­          hier entstandene Mehrwertsteuer­
      ländern eine untergeordnete R ­ olle.     lücke auf über 500 Millionen Euro im     Aktuell lautet die Hauptfrage, was eine digital er­brachte
      Wer bestellte schon in den siebziger      Jahr 2013.
                                                                                         Leistung ist, die unter das Empfängerortsprinzip fällt.
     Jahren per Katalog bei einem Ver-
      sender mit Sitz in der Schweiz oder                                                Die offizielle Definition erfasst sonstige Leistungen, die
                                                Einzelne Mitgliedstaaten n
                                                                         ­ utzen
      gar in den Vereinigten Staaten von        bereits in begrenztem Umfang das
                                                                                         über das Internet oder ein ähnliches elektronisches Netz
     ­Amerika? Auch wäre der Erhebungs-         Recht, die Ausnahmeregeln zu             erbracht werden, deren Erbringung aufgrund ihrer Art
      aufwand für die Zollverwaltung im         beschränken – zum Beispiel Groß­         im Wesentlichen automatisiert ist und nur mit minimaler
     Verhältnis zur Steuerschuld unverhält-     britannien im Verhältnis zu den
      nismäßig hoch gewesen.
                                                                                         menschlicher Beteiligung erfolgt und ohne Informations-
                                                Kanalinseln. Inzwischen hat die EU-­
                                                                                         technologie nicht möglich wäre. Damit fallen insbesonde-
                                                Kommission sich vorgenommen, die
                                                Einfuhrabgabenbefreiung mittel­          re E-Mail-Provider, Cloud-Computing, Software-, E-Book-,
                                                fristig ganz abzuschaffen. Damit soll    Musik- und App-Downloads, Online-Versteigerungen und
                                                Wettbewerbsgleichheit im Versand-        Webhosting unter die Definition. Der Bundesfinanzhof hat
                                                handel hergestellt werden, zwischen
                                                                                         überdies entschieden, dass ein digitales Partnervermitt-
                                                EU-Händlern und Lieferanten aus
                                                Drittländern.                            lungs- bzw. Flirtportal die Definition erfüllt. Reisebuchun-
                                                                                         gen (einschließlich online vermittelter Personenbeförde­
                                                                                         rung – Stichwort „Uber“) sind dagegen keine digitalen
                                                                                         Leistungen. Fraglich ist zudem, ob die Definition der digi-
                                                                                                                                                        Foto: iStock / Fitzer

                                                                                         talen Dienstleistung auf online erbrachte Schulungen und
                                                                                         Trainings zutrifft, die nicht eine Software automatisiert
                                                                                         ausführt, sondern ein menschlicher Ausbilder.

14          EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special

                                   Europas Handel wächst Online
                                   Angaben in Mrd. Euro

                                                                                               602,8                        Briten Spitzenreiter im Online-Einkauf
                                                                                       530,6
                                                                               459,7
                                                                    403,2                                                             11 Türkei    10 Belgien
                                                            352,5                                                             13 Norwegen
                                                   298,5                                                                  14 Schweden
                                            254                                                                     16 Dänemark
                                    214                                                                                                                                   197 Großbritannien
                                                                                                                   22 Italien

                                                                                                           24 Niederlande

                                    2010    2011     2012    2013       2014   2015    2016      2017
                                                                                              (Prognose)
                                                                                                            28 Spanien

                                                                                                            28 Russland

                                                                                                                   82 Frankreich
                                   Quelle: Ecommerce Foundation, 2017                                                                                           86 Deutschland

                            Glücksspiel
                               Bei Online-Glücksspielen wird es richtig kompliziert.
                             ­ ktuell bewegt sich die Meinung auf EU-Ebene in die Rich-
                             A
                               tung, dass rein digitale Glücksspiele (z. B. Online-Poker,
                               Online-Casinos) unter das Empfängerortsprinzip f­ allen,
                               nicht dagegen physisch stattfindende Ereignisse, auf
                                die lediglich online gewettet werden kann (z. B. Fußball­
                               spiele oder Pferderennen), oder die reine Vermittlung von
                             ­Wetten, die ein anderer anbietet. Hier könnte das Thema
                            „Server-Betriebsstätte“ relevant werden. Befindet sich der
                              ­Server zum Beispiel in Deutschland, könnte die Leistung
                                der ­hiesigen Mehrwertsteuer unterliegen. Ebenso k  ­ önnte
                                ein Server als Betriebsstätte bedeutsam sein, wenn es
                                um die Frage geht, wo Dienstleistungen an den Unterneh-
                               mer (einschließlich des Servers) eigentlich der Mehrwert­
                               steuer unterliegen. Bei Leistungen an Unternehmer gilt
                               normaler­weise der Reverse Charge, also der Ausländer
                               ­rechnet ohne Steuer ab und der Inlandskunde meldet die-
                               se an. Das gilt nicht mehr, wenn eine Betriebsstätte an
                                einer Leistung mitwirkt.

                            Kostenlose Portale …
Foto: iStock / davincidig

                            Wer sich bei Facebook, Instagram, web.de oder ähnlichen
                            Anbietern registriert, zahlt meistens keine Nutzungs-
                            gebühren an das entsprechende Unternehmen. Damit
                            liegt keine direkt mehrwertsteuerpflichtige Dienst­

                                                                                                                                                  EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer   15
Special

                                                                                              … Wert der Gegenleistung
                                                                                              Die gute Nachricht für den Nutzer ist, dass dieser, jeden-
                                                                                              falls solange er nicht als Unternehmer a ­ nzusehen ist,
                                                                                              selbst keine Mehrwertsteuer schuldet. Für den Internet­
                                                                                              anbieter ist es nicht ganz so einfach. Dieser bewirkt
                                                                                              ­nämlich, wenn man der entsprechenden Logik folgt,
                                                                                               eine am Wohnsitz des Nutzers steuerbare und steuer­
                                                                                               pflichtige Leistung. Das löst eine entsprechende EU-­
                                                                                              Mehrwert­steuer aus. Die spannende Frage, die sich dann
                                                                                              anschließt, ist die nach der Bemessungsgrundlage. D   ­ iese
                                                                                               müsste sachgerecht geschätzt werden, wobei die Recht-
                                                                                              sprechung zu Tauschvorgängen in ähnlichen Fällen stets
                                                                                              auf den Wert der erhaltenen Gegenleistung abstellt.
                                                                                              Es ist abzuwarten, wie sich hier Finanzverwaltung und
                                                                                              Finanzgerichte positionieren werden.

                                                                                              3-D-Drucker …
                                                                                              Eine wesentliche Frage bei der Mehrwertsteuer ist die
                                                                                              Unterscheidung zwischen Lieferung und Dienstleistung.
                                                                                              Steuerfolgen wie der Ort, an dem ein Umsatz mehr-
                                                                                              wertsteuerlich relevant ist, wie auch der anzu­wendende
                                                                                              Steuer­satz leiten sich maßgeblich aus dieser Frage ab.
                                                                                              Viele Unternehmen sind zum Beispiel in anderen EU-
                              leistung des Anbieters an den Endbenutzer vor. Heißt            Staaten registrierungspflichtig geworden, weil sie Kon-
                              das aber, dass Mehrwertsteuer hier überhaupt keine              signationslager bei ihren Kunden eingerichtet haben. In
                             ­Rolle spielt? Nein, so einfach ist es nicht. Die Mehrwert-      Zukunft dürfte der Fokus auf 3-D-Drucker fallen, wenn
                              steuer kennt nämlich nicht nur das Konzept des Entgelts         Werkstücke nicht mehr kreuz und quer durch die Welt
                              in Form einer Zahlung, sondern auch den Tausch oder             versendet, sondern beim Abnehmer „ausgedruckt“ wer-
                             tauschähnlichen Umsatz. Man kann also die Mehrwert-              den. Der 3-D-Drucker wird dann so (fern-)programmiert,
                              steuer nicht umgehen, indem man anstelle einer Geld-            dass er aus Grundstoffen die erforderlichen Werkstücke
                             zahlung eine Sachleistung vereinbart.                            direkt vor Ort herstellt. Die Grundstoffe werden gar nicht
                                                                                              mehr vom Lieferanten zur Verfügung gestellt, sondern
                                                                                              der Kunde beschafft sie sich selbst.
                             … Tauschgeschäfte
                              Bei den genannten Anbietern verpflichtet sich der ­Nutzer
                                                                                              … Anklang ans analoge Zeitalter
                              in der Regel, einer umfangreichen Auswertung und
                             ­Verwendung der von ihm gelieferten Daten und ­Inhalte           Mehrwertsteuerlich führt so eine Konstellation auch
                              durch den Anbieter zuzustimmen. Andernfalls kann er             wieder zu interessanten Fragestellungen. Ist das wirk-
                              das Angebot nicht nutzen. Dass diese Daten einen Wert             lich noch eine Lieferung, oder liegen hier nicht vielmehr
                              haben, steht außer Frage. Betrachtet man nur einmal den         Dienstleistungen vor? Die Antwort auf diese F   ­ rage ist
                              Börsenwert von Facebook, der mit rund 440 Milliarden            weniger einfach, als man vielleicht glauben mag. Sowohl
                              US-Dollar (Stand Mai 2017) fast das 20-fache des Umsat-           der EuGH als auch der BFH haben sich in der Vergangen­
                              zes und das 40-fache des Gewinns beträgt, so kommt                heit, sozusagen vor dem großen Digitalzeit­alter, mit
                              man schnell zu dem Schluss, dass die Daten der User               der Frage befasst, ob Leistungen auf dem Gebiet des
                              einen ganz wesentlichen Wert haben. Tatsächlich gibt es         ­Druckens oder der Vervielfältigung von Doku­menten
                              Marktpreise für entsprechende Datensätze und deren                nun Dienstleistungen (drucken und vervielfältigen) oder
                                                                                                                                                             Foto: iStock / dreamnikon

                             Verwendung. Das führt mehrwertsteuerlich zu der Frage,            ­Lieferungen (nämlich von Druckerzeugnissen) sind.
                              ob nicht in Wirklichkeit ein Tausch vorliegt, d. h., der User     Recht überraschend ist einigen dieser Urteile zu entneh-
                              gibt dem Anbieter als Gegenleistung für die Nutzung               men, dass es gar nicht so sehr auf die Frage ankommt,
                              der App oder der sonstigen Dienste zwar kein Geld, aber         wer das bedruckte Papier beschafft hat, sondern auf
                              etwas, das auch Geldeswert hat, nämlich seine Daten.              eine Gesamtbewertung der erbrachten Leistungen.

16   EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special

                                      … Werkzeugerlass                                                      ren Lieferung der produzierten Teile verbundenen Vor-
                                                                                                            gang – und damit als steuerfreie grenzüberschreitende
                                      Ebenso gibt es in Deutschland aus den siebziger J  ­ ahren
                                                                                                            Lieferung. Es stellt sich heute durchaus die Frage, ob
                                      einen sogenannten „Werkzeugerlass“. Dieser regelt
                                                                                                            man entsprechende Grundsätze nicht auch in der Welt
                                      einen in der traditionellen Industrie, vor allem bei Zulie-
                                                                                                            der 3-D-Drucker anwenden könnte.
                                      ferbetrieben, recht häufig vorkommenden Fall: Ein
                                      Abnehmer verpflichtet sich, dem Lieferanten eine Zah-
                                      lung für Werkzeuge, Formen oder ähnliches zu leisten.
                                                                                                            Schlussbemerkung
                                      Die Werk­zeuge oder Formen stehen natürlich beim Liefe-
                                      ranten. Mehrwertsteuerlich stellt sich nun die Frage, ob               Im Internetzeitalter steht das Mehrwertsteuersystem
                                      es sich um die Lieferung eines Werkzeugs handelt oder                 vor gravierenden Herausforderungen. Teilweise funk-
                                      nicht. Besonders wichtig ist das im grenzüberschreiten­                tionieren die traditionellen Regeln, teilweise wurde
                                                                                                                                                                              Fragen an
                                      den Geschäft, weil eine Lieferung mit lokaler Mehr-                    bereits reformiert – aber vieles muss noch getan w ­ erden,
                                      wertsteuer zu belasten wäre, die der Kunde dann nur                     damit dieses insgesamt erfolgreiche Modell auch in den          Robert Prätzler
                                      umständlich im berühmt-berüchtigten Vergütungsver-                     ­kommenden Jahrzehnten bestehen kann. Dies gilt nicht            robert.praetzler@de.ey.com
                                      fahren zurückerhalten könnte. Die deutsche Finanzver-                   nur für Deutschland und die EU, sondern es betrifft alle
                                                                                                                                                                              René Gütschow
                                      waltung hat eine recht großzügige Lösung gefunden und                 Staaten, die indirekte Steuern erheben. Daher ist nur
                                                                                                                                                                              rene.guetschow@de.ey.com
                                      beurteilt viele dieser Fälle nicht als eigenständige Liefe-           ­folgerichtig, dass die Implikationen der digitalen Leistun-
                                      rung eines Werkzeugs, sondern als einen mit der späte-                  gen auch auf OECD-Ebene intensiv erörtert werden.

                                          Der schwierige Umgang mit digitalen Büchern
                                          In vielen europäischen Staaten wie auch in             dagegen ausdrücklich ausgenommen. Dies hat
                                          Deutschland gilt für die Lieferung von Büchern,       der Gerichtshof der Europäischen ­Union sogar
                                          Zeitungen und vergleichbaren Produkten ein            in drei Verfahren in den letzten Jahren bestä-
                                          ermäßigter Mehrwertsteuersatz. In manchen             tigt, wobei er keinen Verstoß gegen den Grund-
                                          Staaten gilt sogar ein Null-Satz. Grund der           satz der Gleichheit nach der
                                          Begünstigung ist, dass man Information und            Grundrechte-Charta sieht.
                                          ­Bildung der Bevölkerung fördern möchte. Nicht        Im Jahr 2017 scheiterte ein
                                           bedacht wurde hier allerdings der technische         ­Versuch der Europäischen
                                           Fortschritt. Sowohl Zeitungen und Zeitschrif-         Kommission, die Steuer­
                                           ten als auch Bücher werden heutzutage nicht           ermäßigung für digitale
                                           mehr allein auf gedrucktem Papier geliefert,          Bücher zuzulassen und damit
                                           ­sondern viele Bürger laden sich ihre Lektüre auf     das System zu modernisieren,
                                            ein ­passendes Gerät herunter, auf einen E-Book-­    am Widerstand genau eines
                                            Reader, ein Smartphone oder einen konven­            Mitgliedstaates. Die ­Brüsseler
                                            tionellen Computer.                                  Kommission will sich damit
                                                                                                 aber nicht geschlagen geben.
                                          Leider spielt die Mehrwertsteuer nicht mit: Die        Vorerst bleiben elektronische
                                          Steuerermäßigungen sind auf die Lieferung,             Bücher jedoch mehrwert­
                                          also auf physisch überlassene Druck­erzeugnisse        steuerlich benachteiligt.
                                          beschränkt. Lediglich Hörbücher können begüns-
                                          tigt werden. Digital überlassene Bücher sind
Foto: iStock / Jacob Ammentorp Lund

                                                                                                                                                     EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer   17
Special

„Nie war es
  so wichtig,
  weltweit über
  korrekte Daten
  zu verfügen“

     EY Global Indirect Tax Leader
     Gijsbert Bulk im Gespräch mit
     Klaus Trejo über internationale
     Entwicklungen der Umsatzsteuer.

18   EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special

                                                                                       „ Die Globalisierung und die Digitali-
                                                                                        sierung bewirken einen rasanten
                                                                                        Wandel in der Wirtschaft. Dies führt
 Gijsbert, vor 50 Jahren wurde in Deutsch­         In den letzten zwanzig, fünf­        zu einem exponentiellen Anstieg
 land die Mehrwertsteuer eingeführt und            undzwanzig ­Jahren sehen
­viele andere Länder sind seitdem gefolgt.         wir auch eine steigende Zahl
                                                                                        der elektronischen Dienstleistungen
Woher kommt es, dass der Stellenwert der           von umsatzsteuerlichen               sowie des Handels von Waren über
 indirekten Steuern immer mehr zunimmt?            Verfahren, die nicht selten          Online-Plattformen.“
                                                   bis zum EuGH führen. Wenn
Gijsbert: Regierungen auf der ganzen Welt
                                                   Unter­nehmen sich vor dem
greifen zunehmend auf indirekte Steuern                                                                     Gijsbert: Das stimmt. Es gibt nur noch sehr
                                                   Risiko einer strafrechtlichen Untersuchung
zurück, um ihre Staatsausgaben zu decken –                                                                 wenige Länder ohne Mehrwertsteuer. Die
                                                   schützen wollen, müssen sie die Erfüllung
auf die Umsatzsteuer, die Steuer auf Waren                                                                   Bahamas, China, Ägypten, Malaysia und Tan-
                                                   ihrer steuerlichen Pflichten aktiv gestalten
und Dienstleistungen wie Goods and Ser­vices                                                                 sania sind die jüngsten Mitglieder im Club. Die
                                                   und steuern. Prozesse und Dokumentation
Tax, GST, Verkaufs- und Verbrauchsteuern oder                                                                sechs Mitgliedstaaten des Golf-Kooperations-
                                                   sind in der Umsatzsteuer wichtiger denn je.
Zölle. Dagegen werden die direkten Steuern                                                                   rats haben ebenfalls beschlossen, ein Mehr-
                                                   Siehst Du das auch so?
in vielen Ländern gesenkt.                                                                                 wertsteuersystem zu implementieren. Den
                                                     Gijsbert: Es war tatsächlich noch nie so              Anfang machen die Vereinigten Arabischen
Und gleichzeitig achten Steuerverwaltungen          ­ ichtig, weltweit über korrekte Daten für die
                                                    w                                                       ­Emirate und das Königreich Saudi-Arabien,
 und Betriebsprüfer stärker als bisher auf die       ­indirekten Steuern zu verfügen und diese sorg-         die die Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2018
Umsatzsteuer. Das ergab eine von EY vor kur-         fältig zu überprüfen. Die Finanzbehörden ver-           ­einführen. Nach mehrjährigen Verhandlungen
zem durchgeführte Umfrage. Die Befragten            wenden mittlerweile zunehmend Technologie,               hat Indien zum 1. Juli 2017 eine Goods and
aus 48 Ländern gaben an, dass die Zahl der            um die Daten der Unternehmen zu analysie-            ­Services Tax eingeführt, die mehr als 20 indi-
Betriebsprüfungen in den letzten drei J­ ahren       ren und ihre Ressourcen gezielt zur Bekämp-             rekte ­Steuern ersetzt.
zugenommen hat. Hinzu kommt: Vor zehn                fung von Steuerumgehung und -vermeidung
Jahren wurden die Betriebsprüfungen von               einzusetzen. Sie tauschen sich verstärkt unter-       Und zur gleichen Zeit müssen die gesetz­
Finanzbeamten durchgeführt, die sich tradi­           einander aus und vergleichen Daten aus ver-           lichen Regelungen ständig an eine sich
tionell auf direkte Steuern konzentrierten.          schiedenen Unternehmen. In einigen Ländern            ­verändernde Welt angepasst werden. Bestes
­Heute wirken speziell ausgebildete Umsatz-        – wie auch in Deutschland – gibt es bereits kon-         Beispiel ist die Besteuerung von elektroni­
 steuer-Prüfer unter Einsatz neuer Technolo-         krete Erwartungen der Finanzbehörden an die            schen Leistungen und Online-Handel …
 gien und Datenanalyse-Tools an der Betriebs-       ­Qualität der Daten und den Umfang der inter-
                                                                                                           Gijsbert: Das ist richtig. Die Globalisierung
 prüfung mit.                                        nen Kontrollen in den Unternehmen.
                                                                                                           und die Digitalisierung bewirken einen rasan-
                                                                                                           ten Wandel in der Wirtschaft. Dies führt zu
                                                                    Gleichzeitig ändern sich die
                                                                                                           einem exponentiellen Anstieg der elektroni-
                                                                    Geschäftsmodelle und Prozes-
   „ Steuerverwaltungen und                                        se werden weltweit vereinheit-
                                                                                                           schen Dienstleistungen sowie des Handels
    Betriebsprüfer achten stärker                                   licht. Mittlerweile ist es üblich,
                                                                                                           von Waren über Online-Plattformen. Wenn
                                                                                                           der Online-Handel unversteuert bleibt, kommt
    als bisher auf die Umsatzsteuer.“                               dass Steuererklärungen für
                                                                                                           es zu Wettbewerbsverzerrungen und zu einer
                                                                    mehrere Länder zentral in
                                                                                                           Gefährdung des Steueraufkommens. Immer
                                                                    einem Shared Service Center
                                                                                                           mehr Länder außerhalb Europas führen
Um Nachforderungen und Strafen zu vermei-          erstellt und abgeben werden. Die Anforderun-
                                                                                                           ­deshalb spezielle Vorschriften für die Besteu-
den, ist es für Unternehmen auch auf g ­ lobaler   gen an das steuerliche Reporting sind jedoch
                                                                                                           erung elektronischer Dienstleistungen oder
Ebene unerlässlich, die umsatzsteuerlichen         immer noch von Land zu Land sehr unter-
                                                                                                           Warenlieferungen über Online-Plattformen ein.
Regelungen zu kennen und korrekt anzuwen­          schiedlich. Das macht es nicht leichter, und
den. Die Mehrwertsteuer, die ja für die ­meisten   gute Daten sind dafür heutzutage unerlässlich.
                                                                                                           Was sind dabei die größten Herausforderun­
Unternehmen eigentlich kein Kostenfaktor
                                                                                                           gen in Bezug auf die Mehrwertsteuer?
sein sollte, kann heutzutage in Betriebsprüfun-     Bei der Mehrwert­steuer denkt man
gen richtig teuer werden. Das erhöht natürlich      unwillkürlich an die EU, dabei geht ihre               Gijsbert: Infolge der Digitalisierung w­ erden
auch ihren Stellenwert.                            ­Verbreitung weit darüber hinaus …                      Dinge, die bisher als Waren g­ eliefert

                                                                                                         EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer     19
Special

„ Selbst traditionelle Warengeschäfte
 ­werden durch Dienstleistungen ergänzt.
                                                                                   verlangen die Einrei-      wird es interessant sein, ob die Steuerbehör-
  Dieser Wandel hat wesentliche Aus­                                                chung digitaler Buch-     den die Blockchain-Technologie einsetzen, um
  wirkungen auf die Wertschöpfungskette                                             haltungs- und Finanz-     Umsatzsteuer-Veranlagungen zu beschleu­
  und die Erhebung indirekter Steuern.“                                             daten im SAF-T-Format.    nigen und Umsatzsteuer-Betrug effektiver zu
                                                                                    In Großbritannien läuft   bekämpfen.
                                                                                    derzeit ein umfangrei-
wurden, zunehmend als Dienstleistungen
                                                           ches Projekt zur Digitalisierung der Finanz­       Die EU-Kommission plant die Einführung
erbracht. Schau Dir nur mal das Auto der
                                                           verwaltung bis zum Jahr 2020, was Steuer­          eines neu gestalteten, einheitlichen europä­
Zukunft an. Es ermöglicht die Erbringung einer
                                                           erklärungen überflüssig machen könnte. China       ischen Mehrwertsteuersystems. Was haben
Vielzahl elektronischer Dienstleistungen. Und
                                                           rief einen Plan für 1.000 Unternehmen ins          die Unternehmen da zu erwarten?
selbst traditionelle Warengeschäfte werden
                                                           Leben, um die Digitalisierung seines Steuer-
durch Dienstleistungen ergänzt oder ersetzt.                                                                  Gijsbert: Das derzeitige Mehrwertsteuer-­
                                                           systems mithilfe großer Unternehmen schnel-
Nimm zum Beispiel den 3-D-Druck. Grenz-                                                                       System für den EU-Binnenhandel, das seit
                                                           ler voranzutreiben. Russland ist seit 2010
überschreitende Warenlieferungen werden                                                                       1993 in Kraft ist und als Übergangslösung
                                                           dabei, ­seine Steuerverwaltung zu modernisie­
dadurch zum Teil überflüssig. Dieser Wandel                                                                   gedacht war, teilt jedes grenzüberschreitende
                                                           ren und zu digitalisieren. Hier müssen aus-
hat wesentliche Auswirkungen auf die Wert-                                                                    Geschäft in eine steuerfreie grenzüberschrei-
                                                           führliche Daten zur Umsatzsteuer und zu Ver­
schöpfungskette und die Erhebung i­ndirekter                                                                  tende Lieferung und einen steuerpflichtigen
                                                           rechnungspreisen übermittelt werden.
Steuern.                                                                                                      grenzüberschreitenden Erwerb. Es funktioniert
                                                                                                              wie ein Zollsystem, verfügt jedoch nicht über
                                                           Einige EU-Länder wie zum Beispiel Rumä­nien
Sind die Steuerbehörden schon im digitalen                                                                    entsprechende Kontrollen, so dass es grenz-
                                                           ergreifen weitere Maßnahmen zur Bekämp-
Zeitalter angekommen?                                                                                         überschreitenden Steuerbetrug erleichtert.
                                                           fung von USt-Betrug und führen ein sogenann-
Gijsbert: Mehr, als man meinen würde. Auf                  tes Split-Payment-System ein. Split Payment
                                                                                                              Die EU-Kommission schlägt nun vor, dass die
 der ganzen Welt nutzen Steuer­behörden                    bedeutet, dass die Kunden den Rechnungs­
                                                                                                              Regelung, der zufolge der Lieferant die Mehr-
 moderne Technologien für die e­ lektronische              betrag aufteilen müssen. Der Nettorechnungs-
                                                                                                              wertsteuer von seinem Kunden einzieht, auf
Abgabe von Steuererklärungen und den                       betrag und der ausgewiesene USt-Betrag
Abgleich von Steuerdaten. Spanien hat als                  sind auf separate Konten zu
 erstes europäisches Land die Erhebung und                 überweisen.
Verarbeitung von Steuerdaten in Echtzeit                                                    „ Für die Zukunft wird es interessant
 eingeführt. Ungarn hat das elektronische Kon-             Und das sind nur einige Bei-      sein, ob die Steuerbehörden die
trollsystem EKAER zur Vereinfachung der                     spiele für die derzeitige
­Meldepflicht umgesetzt. Mehrere EU-Länder                 ­Entwicklung. Für die Zukunft
                                                                                             ­Blockchain-Technologie einsetzen,
                                                                                              um Umsatzsteuer-­Veranlagungen
                                                                                              zu beschleunigen und Umsatzsteuer-­
                                                                                              Betrug effektiver zu bekämpfen.“

20        EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special

                                                                   „ Ich glaube auch für die kommenden
                                                                    50 Jahre fest an ein gut funktionierendes
                                                                    Mehrwertsteuer-System in der EU und
                                                                    darüber hinaus!“

grenzüberschreitende Geschäfte ausgeweitet     Was die Gesetzgebung betrifft, rechne ich            hin rasante Änderungen durch Technolo­gien
wird. Dies wird eine einheitliche Behandlung   aber nicht damit, dass das britische Mehrwert­       und die Globalisierung geben wird. Solange
von inländischen und grenzüberschreitenden     steuer-Recht kurzfristig erheblich vom EU-           dies der Fall ist, glaube ich auch für die kom-
Lieferungen entlang der gesamten Wertschöp-    Recht abweichen wird. Ich glaube, dass es für        menden 50 Jahre fest an ein gut funktionie-
fungskette gewährleisten. Die Reform wird      Großbritannien ratsam wäre, sich bei diesem          rendes Mehrwertsteuer-System in der EU und
zu tiefgreifenden Änderungen für die Steuer-   Thema weiterhin an der EU-Gesetz­gebung zu           darüber hinaus!
pflichtigen in der EU führen, sowohl was die   orientieren, um die Unterschiede zwischen
Erklärungspflichten, als auch die Anpassung    den beiden Mehrwertsteuer-Systemen mini-             Die kommenden Jahre lassen also ­weitere
der IT-Systeme angeht.                         mal zu halten und das Risiko einer Doppel-           Veränderungen erwarten. Die Mehrwert­
                                               oder Nichtbesteuerung zu vermeiden. Wir              steuer bleibt spannend und in Bewegung.
Nur für die Briten möglicherweise nicht.       müssen die Entwicklung des Rechts in Groß-           Vielen Dank, Gijsbert, für das Gespräch.
Durch den Brexit verlässt Groß­britannien      britannien beobachten. Eine Rückkehr zum
nicht nur die Europäische Union, ­sondern      britischen Value Added Tax Act vor dem EU-
auch das europäische Mehrwertsteuer­           Beitritt ist genauso im Gespräch wie ein Wech-
system. ­Welche Folgen hat das für Unter­      sel vom aktuellen Mehrwertsteuer-System zu
nehmen dort und hierzulande?                   einer anderen Form von indirekten Steuern.
                                               Wir werden sehen!
Gijsbert: Unternehmen mit Niederlassungen
in Großbritannien müssen auf jeden Fall die
                                               Lass uns noch einmal in die ­Glaskugel
Folgen für Mehrwertsteuer und Zölle unter­
                                                schauen. Die Mehrwertsteuer wird 50.
suchen und bei Bedarf schnell auf neue Rege-
                                               H
                                               ­ albzeit?
lungen reagieren können. Zurzeit unterliegt
das britische Mehrwertsteuer-Recht den EU-     Gijsbert: Ich bin kein Hellseher! Aber bleiben
Richtlinien, Verordnungen und EuGH-Entschei-   wir mal bei den unverrückbaren Tatsachen: Ich
dungen. Nach dem Brexit wird Großbri­tannien   denke, die EU wird fortbestehen und wieder                                                               re
                                                                                                                                                 rliche
nicht mehr an das Mehrwertsteuer-Recht         einen Aufschwung erleben. Zweitens sind Ver-                                             usfüh              ws
                                                                                                                                 Die a              t ie
                                                                                                                                                     erv
der EU gebunden sein. So wird Großbritanni-    kehrssteuern wie die Mehrwertsteuer Einnah-                                             n  d es In        a he
                                                                                                                                                           c
                                                                                                                                Versio scher Spr
en zum Beispiel mehr Spielraum bei der Fest­   mequellen, auf die jede Regierung angewiesen                                             gli                 rer
                                                                                                                                 in en               unse
legung der Mehrwertsteuer-Sätze und der        ist. Und drittens wird die Wirtschaft wachsen                                           c h e int in       u  e 20
                                                                                                                                   er s             s Is s
                                                                                                                                              ig h t
Steuerbefreiungen haben.                       und ihre Komplexität zunehmen, da es weiter-                                              ns                   y.com
                                                                                                                                  Tax I                hts.e
                                                                                                                                          .ta  xinsig
                                                                                                                                   www

                                               Als Global Director of Indirect Tax von EY ist Gijsbert Bulk
                                               ­verantwortlich für Strategie, Operations, Kundenbeziehungen,
                                                Qualität, Risikomanagement und Wissensaustausch im Bereich
                                                  der indirekten Steuern weltweit. Von seiner langjährigen
                                                ­Erfahrung in diesem Bereich profitieren nicht nur unsere g­ rößten
                                                 Mandanten. Seine Expertise brachte er auch als Mitglied der
                                                 ­Mehrwertsteuer-Expertengruppe bei der Europäischen Kommis­
                                                  sion von 2012 bis 2015 ein.

                                                                                                  EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer           21
Special

     Brüssel plant
     den großen Wurf
                                                      Im Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug bereitet die
                                                      EU-Kommission eine Bestimmungsland-Reform vor.

                                                                           S
                                                                                    eit Jahren brütet die Europäische Kommission an
                                                                                    einer umfassenden Mehrwertsteuerreform. Ziel
                                                                                    ist es, rund 25 Jahre nach der Schaffung des
                                                                           ­Binnenmarktes das als Übergangsregelung eingeführte
                                                                            Besteuerungssystem des innergemeinschaftlichen Waren-
                                                                            und Dienstleistungsverkehrs vollständig neu zu struktu­
                                                                            rieren und endgültig zu regeln. Bisher werden inner­
                                                                            gemeinschaftliche Lieferungen im Abgangsland steuerfrei
                                                                            gestellt und der Kunde muss im Zielland einen inner­
                                                                            gemeinschaftlichen Erwerb erklären. Dieses System gilt
                                                                            gemeinhin als betrugsanfällig und verursacht nach Mei-
                                                                            nung der Kommission bis zu 50 Milliarden Euro pro Jahr
                                                                           an Steuerausfällen. Die Brüsseler Verwaltungsbehörde
                                                                           will 2018 detaillierte Papiere zum neuen Modell veröffent-
                                                                            lichen, die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten soll bis
                                                                            spätestens zum Jahr 2022 erfolgen.

                                                                           Im endgültigen System sollen innergemeinschaftliche
                                                                           Warenlieferungen stets im Bestimmungsland umsatz-
                                                                           steuerpflichtig sein. Steuerschuldner bleibt der Lieferant.
     Bei der Vorstellung der Mehrwertsteuerreform im Oktober 2017 sagte
                                                                           Ohne weitere Änderungen hätte dies erhebliche Nach­teile
     der zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici: „25 Jahre nach der
                                                                           zur Folge: Unternehmen müssten sich in allen EU-­Staaten,
     Schaffung des Binnenmarkts sehen sich Unternehmen und Bürger, die
                                                                            in die sie Waren liefern, umsatzsteuerlich registrieren
     grenzüberschreitenden Geschäften nachgehen möchten, noch immer
                                                                           ­lassen. Die EU-Kommission schlägt daher einen „One
     28 unterschiedlichen Mehrwert­steuersystemen gegenüber“.
                                                                                                                                         Foto: picture alliance / REUTERS

                                                                           Stop Shop“ vor, dass also der Unternehmer alle Auslands­
                                                                            umsätze in seiner heimatlichen Umsatzsteuererklärung
                                                                           angibt und die Mitgliedstaaten das Geld dann untereinan­
                                                                            der ausgleichen. Ein entsprechendes System gibt es –
                                                                           wenn auch in kleinem Maßstab – als „Mini One Stop Shop“
                                                                            bereits seit dem 1. Januar 2015 für die Digitalwirtschaft.

22   EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer
Special

                                                                                           Zwischenlösung
                                                                           Die EU-Kommission hat Vorschläge veröffentlicht, die
                                                                           zum 1. Januar 2019 umgesetzt werden sollen. Ziel ist
                                                                           eine schnelle Verbesserung des derzeitigen Mehrwert-
                                                                           steuersystems, bevor der große Wurf kommt.
Dieses wird nach einem Beschluss des ECOFIN im Dezem-
                                                                           1. Es wird ein sogenannter zertifizierter Steuerpflichtiger eingeführt, der an
ber 2017 auch für Warenverkäufe an Nichtsteuerpflich­                         den Zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (ZWB) aus dem Zollrecht erinnert.
tige ab 2021 gelten.                                                          Unternehmen, die diesen Status erhalten, können verschiedene mehrwert-
                                                                              steuerliche Vorteile nutzen bzw. Vereinfachungen anwenden.
Für innergemeinschaftliche Dienstleistungen zwischen
                                                                           2. Die Regeln für sogenannte Konsignationslager sind in der Europäischen
Unternehmen greift seit 2010 bereits das Empfänger-                           Union sehr unstrukturiert. Manche Staaten verlangen stets die Registrie-
ortsprinzip, also auch eine Besteuerung im Bestimmungs-                       rung, manche manchmal, und manche gar nicht. Die Kommission schlägt
land. Allerdings gilt weiterhin die Steuerschuldnerschaft                     eine einheitliche Regelung vor, nach der Unternehmen, die solche Lager
des Leistungsempfängers, d. h. der Abnehmer meldet die                        in anderen Staaten einrichten, sich dort nicht steuerlich erfassen lassen
                                                                              ­müssen. Allerdings soll dies nur dann gelten, wenn sowohl der Lieferant als
Umsatzsteuer an. Die Kommission plant in der letzten
                                                                               auch der Kunde ein zertifizierter Steuerpflichtiger sind.
Umsetzungsstufe der Reform die gleiche Regelung wie für
die innergemeinschaftlichen Lieferungen, also Meldung                      3. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Umsatzsteuer-Identifikations­
durch den leistenden Unternehmer mit Steuersatz des                           nummer nur ein formelles Nachweismerkmal. Innergemeinschaftliche
                                                                              ­Lieferungen können auch dann steuerfrei sein, wenn der Abnehmer k    ­ eine
Ziellandes im One Stop Shop.
                                                                               entsprechende gültige Nummer vorweist. Angesichts des erheblichen
                                                                               ­Steuerbetrugs bei grenzüberschreitenden Geschäften schlägt die Kommis­
                                                                                sion vor, die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer als eines der zwingen-
Problem der Einstimmigkeit                                                      den Nachweismerkmale für steuerfreie innergemeinschaftliche Liefe­rungen
                                                                                ­vorzusehen, verbunden mit einer entsprechenden Meldepflicht in der
Bei Steuern gilt in der EU das Einstimmigkeitsprinzip
                                                                                 Zusammenfassenden Meldung. Hintergrund ist, die Umsatzsteuer-Identifika-
unter den Mitgliedstaaten. Das erschwert Reformen. So                            tionsnummern zentral in einer Datenbank zu speichern und relativ einfach
scheiterte kürzlich der Versuch, digitale Bücher dem                             überprüfen zu können.
ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen, am Nein eines
                                                                           4. Die Nachweisführung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen ist für
einzigen Mitgliedstaates. Das von der Kommission nun                          Unternehmen häufig ein Albtraum, denn die entsprechenden Regeln legt
vorgeschlagene System führt zu fundamentalen Änderun-                         jeder Mitgliedstaat selbst fest. Die Kommission will das Ganze v­ ereinfachen
gen bei der Besteuerung grenzüberschreitender Trans-                          und vereinheitlichen. Sie schlägt daher zusätzlich zur Umsatzsteuer-­
aktionen. In der Vergangenheit waren einzelne Mitglied­                       Identifikationsnummer eine Reihe von Standardnachweisen vor. Liegen zwei
                                                                              solche Nachweise vor, sind die Beteiligten zertifizierte Steuerpflichtige und
staaten, wie Deutschland, mit dem Konzept des One Stop
                                                                              hat der Erwerber eine schriftliche Erklärung abgegeben, wohin die Gegen-
Shop nicht besonders glücklich. Eine entsprechende Idee                       stände versandt wurden, so soll der Lieferer auf die Steuerfreiheit ver­trauen
war bereits Teil des „Mehrwertsteuerpakets 2010“; sie                         können.
scheiterte und heraus kam nur der „Mini One Stop Shop“.
                                                                           5. Zu den Albträumen gehören auch Reihengeschäfte, also Warenliefe­rungen
Ebenso stellt sich die F
                       ­ rage, ob alle Mitgliedstaaten tat-                   mit mehr als zwei Beteiligten und unmittelbarem Warentransport vom
sächlich bereit sein werden, die Zertifizierung von Steuer-                   ­ersten Lieferer zum letzten Abnehmer. Trotz zahlreicher EuGH-Urteile gibt
pflichtigen durch jeden anderen Mitgliedstaat als rechts-                      es keine klaren und eindeutigen Regelungen, wann ein grenzüberschreiten-
verbindlich anzuerkennen.                                                      des Reihengeschäft eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung sein
                                                                               kann, wer sich wann wo registrieren lassen muss und wann die Dreiecks­
                                                                               regelung zur Vereinfachung greift. Die Kommission hat das Problem erkannt
                                                                               und schlägt daher einheitliche Regelungen für die Zuordnung der steuer­
Was heißt das für Unternehmen?
                                                                               freien Lieferung vor – aber nur für zertifizierte Steuerpflichtige.
Trotzdem gilt das aktuelle Mehrwertsteuersystem als
reformbedürftig. Daher sollten Unternehmen davon aus-
gehen, dass die Kernelemente der Reform früher oder
später kommen werden. Sie sollten sich insbesondere mit
den Anforderungen an den zertifizierten Steuerpflichti-
gen auseinandersetzen, um gegebenenfalls rechtzeitig
Maßnahmen zu implementieren. Dazu gehört unter ande-
rem ein internes Kontrollsystem für die entsprechenden
Prozesse und die allgemeine steuerliche Zuverlässigkeit.      Fragen an
Unternehmen, für die zollrechtliche Prozesse wichtig sind,
                                                              Robert Prätzler
dürften es etwas einfacher haben. Denn wer bereits den
                                                              robert.praetzler@de.ey.com
ZWB-Status hat, sollte relativ einfach auch zertifizierter
Steuerpflichtiger werden können.

                                                                                                        EY TAX & LAW Special | 50 Jahre Mehrwertsteuer         23
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