9/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN - Wir haben die Wahl! Perspektiven für Alten- und Pflegeeinrichtungen - die Covid-19 Lage in M-V ...
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ÄRZTEBLATT 9/2021 MECKLENBURG-VORPOMMERN Hanse Sail Rostock Foto: Dr. Th. Müller Wir haben die Wahl! Perspektiven für Alten- und Pflegeeinrichtungen – die Covid-19 Lage in M-V Hochpräziser Röntgenblick auf Lungengewebe
Inhalt Editorial Veranstaltungen und Kongresse Wir haben die Wahl 336 Impfkurse in Mecklenburg-Vorpommern 353 Veranstaltungen der Ärztekammer M-V 353 Wissenschaft und Forschung Veranstaltungen in unserem Kammerbereich 353 Perspektiven für Alten- und Pflegeeinrichtungen – die COVID-19-Lage in Mecklenburg-Vorpommern 337 Veranstaltungen in anderen Kammerbereichen 354 Aktuelles Recht Einladung zum Studienjahrestreffen Berufsrechtliche Handlungspflichten im Rahmen „50 Jahre danach“ 343 des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 356 Weiterbildung zur Diabetesassistentin DDG in Aus der Schlichtungsstelle Mecklenburg-Vorpommern 344 Unzureichende Befunderhebung und mangelnde Aufbau einer Biobank und Etablierung Patienten- Dokumentation bei Rektumkarzinom 360 abgeleiteter Xenografts von Kopf-Hals-Tumoren 346 ePA – zentrales Element in einem digital Geschichte der Medizin vernetztenGesundheitswesen 350 Paul Uhlenhuth (1870–1957) – Überführer des Passgenaue Familienberatungen für psychisch Kinder-Serienmörders von Rügen 363 kranke Eltern und ihre Kinder 355 Kultur Hochpräziser Röntgenblick auf Lungengewebe 358 Doc´s Arts Festival 365 Kinder mit Gesundheitsproblemen und ihre Familien unterstützen – Wissenwertes zur Kinder- Rezensionen und Jugendrehabilitation 362 Für Sie gelesen 366 Junge Ärzte Geburtstage Netzwerk für junge Ärztinnen und Ärzte in M-V 345 Wir beglückwünschen 368 Fortbildung Impressum 368 29. Interdisziplinäre Seminar- und Fortbildungswoche der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern 352 Genderneutrale Sprache In der deutschen Sprache sind personenbezogene Pluralformen grundsätzlich geschlechtsneutral. Soweit singuläre Formen wie Arzt, Patient, Gast o.ä. aus Gründen der Flüssigkeit und besseren Lesbar- keit in den Texten des Ärzteblattes Mecklenburg Vorpommern ver- wendet werden, bezeichnen sie wie auch die Pluralformen in jedem Fall sowohl Personen des weiblichen wie des männlichen als auch eines möglichen dritten Geschlechts. Die Redaktion AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 335
EDITORIAL Wir haben die Wahl In diesem September wird wiedermal gewählt in Deutsch- lich wurde dies in der Pandemie, die leider immer noch nicht land; in Mecklenburg-Vorpommern gleich zweimal: Bundes- vorbei ist. Dabei sollten alle Ärzte eine wissenschaftliche tag und Landtag. Alle wahlberechtigten Bürger sind aufge- Denkweise erlernt haben, den Wert der Evidenz kennen und rufen ihre Stimme abzugeben – aber nicht alle werden es schätzen, die Grenzen des eigenen Fachgebietes erkennen tun. Die einen nicht, weil sie nicht wissen, wen sie wählen und diese nicht ohne Not überschreiten. Funktion und Wir- sollen; die anderen nicht, weil sie ohnehin das Vertrauen in kung von Schutzimpfungen wurden bereits in der medizini- die Politik verloren haben und wiederum andere, weil sie schen Propädeutik erlernt. Dennoch gibt es Kollegen, die meinen, dass es angesichts 60,4 Millionen Wahlberechtigter große Studien und namhafte Wissenschaftler nicht akzeptie- (31,2 Millionen Frauen, 29,2 Millionen Männer) auf ihre eine ren, stattdessen pseudowissenschaftlichen Einzelmeinungen, Stimme nicht ankommt. Zumindest letzteres Argument ist dubiosen Internet-Quellen und offensichtlichen Falschmel- ein persönliches Armutszeugnis, denn wie sonst sollen ein- dungen vertrauen. zelne Personen auf die Politik der nächsten Legislaturperiode Einfluss nehmen? Vielleicht mit Gründung einer eigenen Par- Meinungsfreiheit und Pluralismus sind Grundwerte des frei- tei oder mit (Hass-)Kommentaren in den „sozialen Medien“? heitlich-demokratischen Rechtsstaates. Deshalb ist es gut Nicht nur Hasskommentare, Fake-News und Verschwörungs- und richtig, dass individuell die Wahl zwischen 54 Parteien theorien in den vermeintlich sozialen Medien sind Ausdruck zum Bundestag möglich ist. Obwohl ein Fan dieser Grund- einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Besorgniser- werte, bereitet mir die Entwicklung Sorgen: So wie das Ver- regend ist vor allem der Untergang der Kommunikationskul- hältnis zwischen Arzt und Patient ohne Kommunikation (und tur: Kaum einer kann oder will mehr zuhören; nur wenige Vertrauen) nicht funktionieren kann, funktioniert auch die mögen sich mit Argumenten Anderer auseinandersetzen Gesellschaft nicht ohne den permanenten Meinungsaus- oder diese gar akzeptieren – leider gilt dies inzwischen auch tausch, der letztlich einen gesellschaftlichen Fortschritt be- für eine zunehmende Zahl von Ärzten. wirkt. In subtiler Weise kommt der gesellschaftliche Dissens auch in Die Meinungsfreiheit hat Grenzen in der objektiven Wahr- den bevorstehenden Wahlen zum Ausdruck. Zur Landtags- heit – doch was ist die objektive Wahrheit? Für die Politik wahl sind 24 Parteien zugelassen worden, sieben mehr als lässt sich diese Frage nicht beantworten; jede politische zuletzt 2016. Auf dem Stimmzettel zur Bundestagswahl wer- Gruppierung nimmt sie in Anspruch - deshalb gibt es die den wir sogar 54 Parteien finden, 12 mehr als 2017. Relativ 5-%-Hürde. In der Medizin ist es etwas einfacher: Die Grenze früh haben die etablierten Parteien ihre Spitzenkandidaten der Meinungsfreiheit ist erreicht, wenn anerkannte Regeln benannt. Erst sehr spät wurden Wahlprogramme veröffent- der Medizin überschritten werden und dadurch Patienten zu licht – bezeichnenderweise von den Rändern des politischen Schaden kommen. Auch das ist ärztliche Kunst: diese Grenze Spektrums zuerst. Der Wahlkampf – soweit bisher überhaupt erkennen! davon gesprochen werden konnte – entzündete sich dement- sprechend vor allem an Pleiten, Pech und Pannen ebendieser Dr. Wilfried Schimanke Kandidaten. Wie kann es anders sein: Die Spaltung in der Gesellschaft findet sich auch in der Ärzteschaft wieder. Besonders deut- Seite 336 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Perspektiven für Alten- und Pflegeeinrichtungen Die COVID-19-Lage in Mecklenburg-Vorpommern Dr. med. Simone Rogge1, Dr. med. Holger Wangerin1, Prof. Dr. rer. medic. Stefan Schmidt2, Dipl.-Ing. Benjamin Peipert1, Dr. med. Martina Littmann1 1. Einleitung schränkungen und Quarantänebestimmungen nach Rück- kehr in die Einrichtungen blieben hingegen weiterhin fester In der Corona-Pandemie war schnell klar, dass neben ent- Bestandteil des Lebens. sprechenden Vorerkrankungen das Alter der Hauptrisikofak- Parallel zum Beginn der zweiten Pandemiewelle kamen ab tor für einen schweren Krankheitsverlauf, Hospitalisierung Oktober 2020 die ersten Antigen-Schnelltests auf den Markt. und Tod ist [1, 2]. Das Setting einer Pflegeinrichtung mit na- Einrichtungen war es nach der Bundestestverordnung mög- hezu ausschließlich Risikopersonen, dem unverzichtbaren lich, regelmäßig auch asymptomatische Personen zur Verhü- engen Kontakt der Pflegenden zu den Bewohner und Be- tung der Verbreitung zu testen. Bis etwa Ende Dezember wohnerinnen, Gemeinschaftsveranstaltungen und Besucher- 2020 erfolgte in den Einrichtungen die Umsetzung der vom verkehr wurde somit zur Achillesferse der Pandemie. Land zur Verfügung gestellten Testkonzepte. Die Kontakt- Eine wirksame medikamentöse Behandlung oder Schutzimp- einschränkungen mussten wegen der zum Jahresende 2020 fungen standen in der Anfangsphase nicht zur Verfügung. steigenden Inzidenzen wieder deutlich verschärft werden. In Eindrücklich gingen im Frühjahr 2020 erste Berichte über der 51. Kalenderwoche 2020 wurde bundesweit erneut ein Ausbrüche und deren Folgen in den Einrichtungen durch die verschärfter Lockdown beschlossen. Dennoch waren mit Presse. Der Ausbreitung des Virus konnte jedoch lediglich mit kaum zu bewältigenden Fallzahlen in der Allgemeinbevölke- nicht pharmazeutischen Maßnahmen begegnet werden. Zum rung auch Ausbrüche in den Einrichtungen nicht zu verhin- Schutz älterer pflegebedürftiger Menschen wurden in allen dern. Diese Entwicklung erreichte um den Jahreswechsel ih- Bundesländern weitreichende Einschränkungen festgelegt. ren Höhepunkt. Die „Pflege-und-Soziales-Corona-Verord- In kaum einem anderen Bereich der Gesellschaft mussten die nung Mecklenburg-Vorpommern“ schrieb für das Personal Menschen so weit in das Private eingreifende Regelungen zunächst eine zweimalige und im Verlauf dreimalige Testung akzeptieren wie in den Pflegeeinrichtungen: Gruppenaktivi- pro Woche ab einem 7-Tages-Inzidenzwert > 35 Neuinfekti- täten wurden eingestellt, Besuche wurden stark reglemen- onen/100.000 Einwohner vor. tiert oder ausgesetzt, Körperkontakt zu den Angehörigen In diese zweite Infektionswelle fiel der Beginn der Impfkam- untersagt, Aktivitäten außerhalb der Einrichtung waren nur pagne am 27.12.2020. Die psychosozialen Aspekte der Ein- mit nachfolgender Zimmerquarantäne möglich. Aus Furcht schränkungen in den Pflegeeinrichtungen sowie die Auswir- vor der Erkrankung kam es durch die Einrichtungsleitungen kungen der Impfkampagne auf den weiteren Verlauf der zudem häufig zu darüber hinaus gehenden Regelungen. infektiologischen Situation sollen im folgenden Beitrag in Mit den neu implementierten Schutzkonzepten sowie dem einer Zusammenschau erstmals für Mecklenburg-Vorpom- Sinken der Fallzahlen in der Allgemeinbevölkerung gingen mern beschrieben werden. gegen Ende der ersten Pandemiewelle auch die Ausbrüche in den Pflegeeinrichtungen zurück. Während in der Interims 2. Methoden phase des Sommers 2020 aber die übrige Bevölkerung einige Monate durchatmen konnte und Einschränkungen gelockert Die Datenerhebung und -auswertung erfolgte gemäß Art. 6 wurden, war dies für die Einrichtungen nur im kleinen Rah- Abs. 1 e Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bzw. § 4 Da- men möglich. Dabei gingen die Bundesländer unterschiedlich tenschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern (DSG M-V) und vor. In Mecklenburg-Vorpommern waren zwar Besuche auch auf Grundlage der nach § 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) an mit mehreren Angehörigen wieder möglich, Kontaktbe- das Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg- Vorpommern (LAGuS) gemeldeten Daten. Die Meldungen wurden tagesaktuell über die vom Robert-Koch-Institut bun- 1 Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern desweit zur Verfügung gestellte Plattform SurvNet (SurvNet 2 Hochschule Neubrandenburg, University of Applied Sciences, Fachbereich Gesundheit, Pflege, Management 3.0@RKI Version 0.9.29.2) erfasst und sowohl von den Ge- AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 337
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG sundheitsämtern der Landkreise und kreisfreien Städte als zusätzlich die Umsetzung von Hygienemaßnahmen für das auch im LAGuS auf Plausibilität geprüft. Datenlücken im Mel- Pflegepersonal. desystem wurden mit direkten Informationen aus den Ge- Pflegeleitungen von Pflegeeinrichtungen schätzten die Ver- sundheitsämtern geschlossen. Es wurden nur Fälle in Aus- sorgungslage insgesamt als sehr belastend ein. Sie sorgten bruchsgeschehen ausgewertet. Als Ausbruchsgeschehen im sich um das Wohlbefinden der Bewohner*innen, beobachte- Setting „Alten-und Pflegeeinrichtung“ wurden Geschehen ten psychische Veränderungen wie zum Beispiel depressive mit mindestens zwei Fällen unter Bewohner und Bewohne- Verhaltensweisen durch soziale Isolation und Einsamkeit. rinnen und/oder Personal nach Meldedatum eingeschlossen. Gleichzeitig hatten sich durch Kontaktbeschränkungen die Die Darstellung der psychosozialen Auswirkungen erfolgte pflegerischen Arbeiten stark verdichtet, weil Besuchende auf der Basis einer nicht standardisierten Literaturauswahl fehlten, die zuvor unterstützt hatten [5]. Insbesondere bei sowie bereits an anderer Stelle publizierter eigener Daten. Bewohner*innen ohne kognitive Einschränkungen ließ sich signifikant höhere Einsamkeit beobachten als bei 3. Ergebnisse Bewohner*innen mit kognitiven Einschränkungen (p
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abb. 2: Setting der 7556 SARS-CoV-2-Fälle in 1242 Ausbrüchen ab KW 40/2020 bis KW 3/2021. Die Reduktion der Fallzahlen in KW 51 und 52 ist vermutlich auf die Meldelücke um die Feiertage zurückzuführen. Daten des LAGuS. der Alten- und Pflegeeinrichtungen sowie das dort arbeiten- Durchimpfungsrate nahm die Anzahl der Fälle in Pflegeein- de Personal wurden entsprechend der Impfverordnung des richtungen sukzessive ab. (Abb. 3). Am 11.03.2021 unter- Bundes (Corona ImpfV vom 18.12.2020) vorrangig immuni- schritt die 7-Tage-Inzidenz der Über-80-Jährigen erstmals siert. Die Gabe der für den Impfstoff von BioNTech/Pfizer seit Mitte November 2020 die der Gesamtbevölkerung und nötigen zweiten Dosis erfolgte ab dem 18.01.2021. Bis Mitte zeigte sich seitdem auf niedrigem Niveau stabil. Mit der Ein- März 2021 – 11 Wochen nach Start der Impfkampagne – hat- führung der verpflichtenden Antigentests für Personal An- ten alle Bewohner und Bewohnerinnen sowie das Personal fang der Kalenderwoche 52/2020 konnte kein vergleichba- aus insgesamt 265 Einrichtungen der Pflege ein Impfangebot rer Effekt erzielt werden. erhalten. In den Kalenderwochen 53/2020 und 1/2021 waren in Meck- lenburg-Vorpommern mehr als die Hälfte aller Fälle in Aus- brüchen auf vollstationäre Pflegeeinrichtungen zurückzufüh- ren. Entsprechend ließen sich bezogen auf diese Phase der Pandemie auch die bis dahin meisten Todesfälle erfassen. Die Verteilung der Settings der Ausbrüche zeigt Abb. 2. Kumulativ gab es in den vollstationären Gemeinschaftsein- richtungen nach § 36 IfSG von Kalenderwoche 40/2020 bis 15/2021 105 Ausbruchsgeschehen. In diesem Zeitraum wur- den 2947 Fälle diagnostiziert, davon 2025 Bewohner und 922 Personalfälle. Insgesamt kam es hierbei in Mecklenburg-Vor- pommern zu 396 Hospitalisierungen und 321 Todesfällen. Im Januar und Februar 2021 gab es anhaltend hohe Inziden- zen der Infektionen in der Gesamtbevölkerung. Die Spitze der zweiten Welle lag in der zweiten Kalenderwoche: Am 17.01.2021 war die 7-Tage-Inzidenz bei 121/100 000, für die Über-80-Jährigen bei 341/100 000. Mit der steigenden AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 339
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abb. 3: Entwicklung der SARS-CoV-2-Fallzahlen im zeitlichen Verlauf von Ka- lenderwoche 43/2020 bis 15/2021. Daten LAGuS. Ein weiterer Zielpunkt der Impfungen war die Reduktion Pandemie ohne Impfschutz wenig Ausbruchsgeschehen mit der Hospitalisierungen. Die Daten hierzu zeigten eine ähn- insgesamt niedrigen Fallzahlen. Gleichzeitig nahm die Inzi- lich positive Entwicklung bei der Notwendigkeit einer denz in der restlichen Bevölkerung wieder stark zu – auch stationären Krankenhausbehandlung (Abb. 4). So war be- aufgrund der deutschlandweit mit ca. 90 % aller Fälle [10] reits sieben Wochen nach dem Start der Impfungen die An- dominierenden Virusvariante Alpha (B.1.1.7). Bei dieser Va- zahl der notwendigen Hospitalisierungen in den Pflegeein- riant of Concern ist von einer höheren Infektiosität auszu- richtungen um 88 % verringert, wohingegen außerhalb der gehen [11]. Als Impfdurchbruch gilt die laborbestätigte In- Einrichtungen lediglich eine Reduktion um 7,5 % zu ver- fektion oder Erkrankung ab dem 14. Tag nach der letzten zeichnen war. für eine vollständige Immunisierung nötigen Impfdosis. Ab dem Zeitpunkt der abgeschlossenen Impfkampagne in den Der stärkste Rückgang war bei den COVID-19-assoziierten Pflegeeinrichtungen gab es von Kalenderwoche 11 bis Todesfällen ersichtlich (Abb. 5). Da ein großer Anteil an den 15/2021 11 Ausbrüche mit 104 Infizierten (im Mittel 10 pro gesamten Todesfällen aus vollstationären Pflegeeinrichtun- Ausbruch) bei insgesamt 52 Impfdurchbrüchen. Es verstar- gen stammte, sank mit der abnehmenden Fallzahl aus den ben 5 Bewohner und Bewohnerinnen, davon einmal mit Einrichtungen auch die Gesamtanzahl der Todesfälle stark. Impfdurchbruch und 2 an anderer Ursache als COVID-19. In In den Pflegeeinrichtungen Mecklenburg-Vorpommerns einem Vergleichszeitraum (fünf Kalenderwochen) ohne gab es im März und April 2021 im Vergleich zu Phasen der Impfschutz von Kalenderwoche 51/2020 bis 2/2021 gab es Abb. 4: Hospitalisierungen COVID-19-Fälle im zeitli- chen Verlauf von Kalender- woche 43/2020 bis 15/2021. Daten LAGuS. Seite 340 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abb. 5: Todesfälle mit/an COVID-19 im zeitlichen Ver- lauf von Kalenderwoche 43/2020 bis 15/2021. Daten LAGuS. 25 Ausbrüche mit 997 Infizierten (im Mittel 40 Fälle pro Aus- 4. Diskussion bruch) und 83 Verstorbenen. Die Fallsterblichkeit in der Gruppe der Bewohner nahm deutlich von 19 % über den Angesichts einer immunologisch naiven Bevölkerung sind Jahreswechsel auf 4 % ab. Jeweils etwa ein Drittel der Infi- Impfungen gegen das SARS-CoV-2 eine unverzichtbare zierten waren in beiden Zeiträumen Pflegekräfte. Maßnahme auf dem Weg hinaus aus dem geschilderten Di- AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 341
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG lemma von notwendigen Beschränkungen und hohen psy- deshalb fast isoliert und spezifisch für ein Präparat abbilden. chosozialen Belastungen. Dies hatte besondere Relevanz für Auch wenn die Impfungen hier keine sterile Immunität er- die Bewohner der Pflegeeinrichtungen, die ein hohes Risiko zeugten, so reduzierten sie nach den Zahlen aus Mecklen- tragen und zugleich stärkste Infektionsschutzmaßnahmen burg-Vorpommern und übereinstimmend mit internationa- bewältigen mussten. Innerhalb kurzer Zeit wurden interna- len Datenerhebungen die Fallzahl und bei Impfdurchbrüchen tional verschiedene Impfstoffe entwickelt und zugelassen. den Anteil schwerer Krankheitsverläufe erheblich. Ab der vierten Kalenderwoche 2021 waren in den Pflegeein- Während der Impfkampagne dominierte zunehmend eine richtungen nicht nur eine deutliche Reduktion der Fallzahlen, Variant of Concern (Alpha (B.1.1.7.)) das Infektionsgesche- sondern auch mildere Verläufe mit niedrigeren Hospitalisie- hen. Für eine hohe Wirksamkeit der Impfung auch gegen rungs- und Todesraten zu sehen. Diese Daten wurden für diese Variant of Concern spricht, dass trotz steigender und Mecklenburg-Vorpommern erstmals nach abgeschlossener hoher Inzidenzen in der Allgemeinbevölkerung ein Rückgang Zweitimpfung der Einrichtungen zusammengefasst und aus- der Fallzahlen in den Einrichtungen erreicht werden konnte. gewertet. Wie bei Rossman et al. [12] kann die Entwicklung in den Pflegeeinrichtungen als Erfolg der Impfungen inter- 5. Schlussfolgerung pretiert werden. Da allerdings gleichzeitig zur Impfkampag- ne bundesweite Maßnahmen (Teil-Lockdown mit Beginn Angesichts fehlender medizinischer Möglichkeiten zur Prä- 02.11.2020 und erweiterter Lockdown mit Beginn 16.12.2020) vention und Therapie war es in den ersten Phasen der Pan- sowie weiterhin zusätzliche Beschränkungen für stationäre demie unausweichlich, die hochvulnerable Bevölkerungs- Einrichtungen galten, ist eine indirekte Wirkung dieser Maß- gruppe der Bewohner und das Personal in Pflegeeinrichtun- nahmen nicht auszuschließen. Für das Überwiegen des Ein- gen durch umfangreiche Kontaktbeschränkungen innerhalb flusses durch die Impfung sprechen allerdings zwei Dinge: und außerhalb der Häuser sowie sukzessive begleitet von Zum Ersten bestanden die Beschränkungen in den Alten- und Testkonzepten zu schützen. Allerdings konnte der höchste Pflegeeinrichtungen auch zwischen den zeitlich begrenzten präventive Effekt nur durch eine Senkung der COVID-19-In- Maßnahmen der Lockdowns fort. Zu Beginn der ersten und zidenz in der Allgemeinbevölkerung erreicht werden, wie der zweiten Welle konnte so der Eintrag in die älteren Be- eine Auswertung des Robert Koch Instituts jüngst zeigte völkerungsschichten sowie die Alten- und Pflegeheime im- [13]. Die noch kaum erfassten psychosozialen Auswirkungen merhin um einige Wochen verzögert, jedoch nicht verhin- wogen gleichwohl schwer. dert werden. Zum Zweiten waren ähnlich starke Effekte wie So kann nun auf der erfolgreichen Impfkampagne aufbau- im Februar 2021 in den vorangegangenen Phasen der Pan- end ausgerechnet in den Alten- und Pflegeeinrichtungen demie nicht zu beobachten. Erstmals nahmen die Kennwer- die Frage beantwortet werden, wie effektiv die Impfungen te für Inzidenz- bzw. schweren Krankheitsverlauf bei den das Infektionsgeschehen beeinflussen – vorausgesetzt die Über-80-Jährigen stärker und früher ab als für die übrige Impfung bleibt auch beim Auftreten weiterer besorgniser- Bevölkerung. regender Virusvarianten wirksam. Den Empfehlungen des Der Anteil der infizierten Pflegekräfte an der Gesamtfall- Deutschen Ethikrates vom Februar 2021 [14] sowie auch in- zahl in Ausbrüchen nahm im Vergleich nicht zu, obwohl die ternational z. B. des US-amerikanischen Centers for Medi- Impfrate in dieser Personengruppe noch lückenhaft war. care & Medicaid Services [15] zufolge sollten die Sonderbe- Das könnte darauf hinweisen, dass eine hohe Impfquote lastungen mit zunehmender Impfquote zurückgefahren unter den Bewohnern auch die Pflegenden schützt. Der Ein- werden. Aus medizinischer und epidemiologischer Sicht fluss der Routine-PoC-Testungen des Pflegepersonals, die sprach vieles für eine vorausschauende und schrittweise Re- eine Woche vor Beginn der Impfkampagne implementiert duktion der Beschränkungen auf das Niveau der für die All- wurden, konnte noch nicht verlässlich bewertet werden. Er gemeinheit gültigen Infektionsschutzmaßnahmen. Aus pfle- dürfte aber dem Impfeffekt deutlich untergeordnet sein. gewissenschaftlicher und psychosozialer Sicht müssen weiter- Der starke Anstieg der Fallzahlen um den Jahreswechsel führende Maßnahmen ausreichend gerechtfertigt sein. konnte durch die Antigentestungen nicht aufgehalten wer- den. Literatur bei den Autoren: Da Impfstoffe zunächst nicht unbegrenzt zur Verfügung Korrespondenzadresse: standen, konnten nach der fast vollständigen Immunisierung Dr. med. Simone Rogge in den Pflegeeinrichtungen die Impfungen in den weiteren Landesamt für Gesundheit und Soziales Prioritätengruppen nicht nahtlos angeschlossen werden. Zu- Mecklenburg-Vorpommern sätzlich wurde die betrachtete Personengruppe nahezu ein- Gertrudenstraße 11, 18057 Rostock heitlich mit dem mRNA-Impfstoff desselben Herstellers ge- Tel.: 0381 4955 363 impft. Die geschilderten Effekte der Impfung lassen sich E-Mail: Simone.Rogge@lagus.mv-regierung.de Seite 342 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
AKTUELLES Einladung zum Studienjahrestreffen „50 Jahre danach“ Die Humanmediziner des Immatrikulationsjahrgangs 1965 der Universitätsmedizin Rostock begehen in diesem Jahr ihre „Goldene Approbation“. Aus diesem Anlass ist für den 24. und 25. September 2021 ein Treffen am Ort des Studiums in Rostock geplant. Nach langen Jahren praktischer Tätigkeit haben die meisten von uns den verdienten (Un)-Ruhestand erreicht und wir soll- ten gemeinsam Rückschau nehmen. Dazu haben wir ein klei- nes Programm vorbereitet: Am Freitag, 24. September, 14 Uhr ist der Treffpunkt vor dem Universitätshauptgebäude mit Fotoshooting, Rundgang (einschl. Schatzkammer), Ansprachen und Grußwörtern etc. in der Aula. Die Quartiernahme ist vorbereitet im Hotel „Stolteraa“ in Warnemünde (Reservierungen bitte individuell vornehmen unter info@hotel-stolteraa.de; Kennwort: Studienjahrestref- fen 1971; z.Hd. Mike Trybull) Am Abend des gleichen Tages ist ab 19.30 Uhr ein festli- ches Abendessen im gleichen Hotel vorgesehen, mit aus- führlichen Gelegenheiten zu allgemeinen und individuellen Gesprächen (Open end!) Am Samstag, den 25. September 2021, beginnt um 11 Uhr ab Hotel „Stolteraa“ eine „Busfahrt der besonderen Art“ – eine individuell gestaltete Rundreise durch Rostock zu unseren alten Wirkungsstätten, aber auch zu markanten se- henswerten Orten der neueren Geschichte der Hansestadt Rostock. (Dauer ca. 2 Stunden und endet wieder am Hotel, Teilnahmemeldung für die Busfahrt unter w.sadenwasser@ arcor.de erforderlich). Für die Teilnahme am Studienjahrestreffen bitten wir um Überweisung von 75 Euro / Person (ohne Busfahrt) auf das Konto: Empfänger: Dr. Marianne Wigger Bank: Commerzbank Rostock IBAN: DE17 1304 0000 0116 4680 00 Verwendungszweck: Studienjahr 1971 Wir freuen uns riesig auf ein Wiedersehen mit Euch allen, bleibt gesund! Prof. Dr. Burkhard Kramp Dr. Walter Sadenwasser AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 343
AKTUELLES Weiterbildung zur Diabetesassistentin DDG in Mecklenburg-Vorpommern Mit der Qualifikation zum Diabetesassistenten DDG (Weiterbildungskonzept der Deutschen Diabetes- gesellschaft [DDG]) kön- nen Mitarbeiter aus me- dizinischen Fachberufen (z. B. Gesundheits- und Krankenpfleger, medizi- nische Fachangestellte, Ernährungsberater und Ökotrophologen) die Be- fähigung erwerben Men- schen mit Diabetes melli- tus (insbesondere Typ-2, aber auch Typ-1) entspre- chend der individuellen Lebenswelten zu beraten, zu schulen und zur Ver- Ausschreibung der DDG zum Stipendium für die Weiterbildung besserung der Therapie beizutragen. Der Diabe- tesassistent DDG ist im Laufe der Jahre zu einem Träger des den vor über 20 Jahren in Kooperation mit der DDG und qualitätsgesicherten und wirtschaftlichen Arbeitens im dia- dem Verein der Diabetologen M-V von Dr. H. J. Ziegelasch, betologischen Fachbereich, stationär und ambulant, gewor- damals Chefarzt am Klinikum Schwerin, etabliert und wer- den. Als ausgebildete Fachleute sind diese Personen Be- den seit 2006 von Prof. Dr. med. R. Schiel, Chefarzt in He- standteil des Teams diabetologischer Schwerpunktpraxen, ringsdorf, weitergeführt. Die Medigreif Inselklinik Herings- diabetologisch versierter Hausarztpraxen, Praxen, die am dorf GmbH, Haus Gothensee, im Ostseebad Heringsdorf ist DMP-Diabetes teilnehmen, und von Kliniken, die diabetolo- anerkannte Weiterbildungsstätte der Deutschen Diabetes- gisch qualifiziert betreuen wollen. Sie übernehmen in Pra- gesellschaft (DDG) und hat am 24.04.2021 den 13. Kurs er- xen, Akutkrankenhäu- folgreich abgeschlossen. sern und Rehabilitati- onskliniken Schulungen, Für zukünftige Interessenten und ihre Arbeitgeber ist die unterstützen die Ärzte Möglichkeit interessant ein Stipendium für die Weiterbil- und ermöglichen das dung von der DDG zu erhalten. Weitere Infos unter: www. Selbstmanagement der deutsche-diabetes-gesellschaft.de chronischen Krankheit Diabetes mellitus. Vor diesem Hintergrund ist es sehr erfreulich, dass in Mecklenburg- Vorpommern regelmä- Prof. Dr. med. R. Schiel ßig entsprechende Wei- Medigreif Inselklinik Heringsdorf GmbH terbildungskurse zum Haus Gothensee, Setheweg 11 Erwerb dieser Qualifika- 17424 Ostseebad Heringsdorf, tion durchgeführt wer- Tel.: 038378 780500 den. Diese Kurse wur- E-Mail: r.schiel@medigreif-inselklinikum.de Seite 344 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
JUNGE ÄRZTE Netzwerk für junge Ärztinnen und Ärzte M-V Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit einiger Zeit sind wir als Arbeitsgruppe Junge Ärzte der Assistenz- und Fachärzte, Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern dabei ein Netz- in der wichtige Themen werk für junge Ärztinnen und Ärzte im Land aufzubau- und Neuerungen unse- en. Ziel ist es, Euch Informationen und Neuigkeiten der Ärz- rer Ärztekammer, zusam- tekammer, die uns junge Kolleginnen und Kollegen betref- men mit praxisrelevante fen direkt zukommen zu lassen. Dafür planen wir einen Themen wie beispielswei- Email-Verteiler, um Euch mit Informationen aus der Ar- se der „erste Nachtdienst“ beit der Ärztekammer und unserer Arbeitsgruppe zu oder „klinische Fallstricke versorgen. Weiter möchten wir gerne brennende Themen einzelner Fachbereiche“ referiert werden. Eines der ersten der jungen Kolleginnen und Kollegen aufnehmen, mitei- großen Themen wird zusammen mit dem Referat Weiterbil- nander gestalten und in einem weiteren Schritt diese Vor- dung der Ärztekammer vorgestellt und betrifft die Einfüh- schläge und Gedanken in die Kammerarbeit einbringen. rung des neu eingeführten elektronischen Weiterbildungs- In einem ersten Schritt haben wir mit Unterstützung der Ärz- Logbuchs. tekammer die Leiter der einzelnen Abteilungen der Kranken- Weitere Themen werdet ihr auf der Seite der Ärztekammer häuser in M-V angeschrieben und um die Benennung eines und der AG Junge Ärzte finden. Die Information zu diesen Ansprechpartners gebeten. Hierrüber konnten bereits erste Veranstaltungen und Neuerungen werden außerdem über Kontakte geknüpft werden. Gerne möchten wir dieses Netz- die entsprechenden Ansprechpartner in den Abteilungen der werk weiter ausbauen und möchten alle Interessierten bit- Kliniken erfolgen. ten, mit uns direkt in Kontakt zu treten. Meldet Euch gerne Wir möchten euch nochmal sehr gerne um Eure Mitarbeit bei uns (jungeaerzte@aek-mv.de), wenn Ihr Interesse an der bitten und freuen uns sehr auf eure Rückmeldungen! Mitgestaltung unseres Berufsstandes habt. Des Weiteren erarbeiten wir mit der Zeit eine Fortbildungs- Marcel Baschin und Andreas Enz für die reihe, genannt „Kammer meets Kittel“ für interessierte Arbeitsgruppe Junge Ärzte MV AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 345
AKTUELLES Aufbau einer Biobank und Etablierung Patienten-abgeleiteter Xenografts von Kopf-Hals-Tumoren im Clinician Scientist Programm der Universitätsmedizin Rostock Daniel Strüder1, Theresa Momper², Nina Irmscher², Mareike Krause2, Jan Liese3, Sebastian Schraven1, Annette Zimpfer4, Sarah Zonnur4, Björn Schneider 4, Bernhard Frerich3, Robert Mlynski1, Christina Große-Thie², Christian Junghanss², Claudia Maletzki² Zusammenfassung pieversuchen und Biomarker-Studien eingeschlossen werden. Wir sehen unser Projekt als Grundlage, um Xenografts neben Die heterogene Molekularpathologie von Kopf-Hals-Tumoren der Forschung zukünftig auch in der Klinik einsetzen zu kön- führt zu einem hochvariablen Therapieansprechen. Diese He- nen. Die ex vivo-Response Testung in einem individuellen Mo- terogenität kann durch Tumormodelle aus Patientenproben dell – das bereits während der Diagnostik erstellt wird – könn- erfasst werden. Insbesondere Patienten-abgeleitete Xeno- te die Planung der (neo-)adjuvanten Therapie wesentlich ver- grafts (PDX) repräsentieren die Histologie und Molekularpa- bessern. Für den Patienten eröffnet die Methode eine neue thologie des Originaltumors. Perspektive in der Behandlung fortgeschrittener Kopf-Hals- Trotz dieser Vorteile haben sich PDX nicht flächendeckend in Tumoren und kann ohne Gefährdung der Sicherheit mehr Le- der präklinischen Forschung etabliert. Ein wesentlicher Grund bensqualität bedeuten. ist die eingeschränkte Materialverfügbarkeit. Fortgeschrittene, metastasierte oder rezidivierte Tumoren werden meist nicht Stand der Forschung operiert und die Generierung von PDX aus Probebiopsien ist nicht ausreichend untersucht. Dabei sind diese hochmalignen Die genetische Heterogenität von Kopf-Hals-Tumoren wird von und Therapierefraktären Tumoren für die präklinische For- präklinischen Modellen nur eingeschränkt repräsentiert. Kopf- schung und die personalisierte Therapie besonders relevant. Hals-Plattenepithelkarzinome sind eine biologisch heterogene Im vorliegenden Projekt werden eine Biobank für Kopf-Hals- Gruppe von Tumoren mit hochvariabler Ansprechrate auf die Tumoren aufgebaut, Patienten-abgeleitete präklinische Mo- Chemo-, Immun- und Radiotherapie 1,2. Trotz intensiver For- delle etabliert und auch Xenografts aus endoskopischen Biop- schung konnten in den letzten 25 Jahren nur zwei neue medi- sien untersucht. kamentöse Ansätze (EGFR-/PD-1-Antikörper, beide mit variab- Die Gewebeproben werden umfassend charakterisiert (im- lem Ansprechen) etabliert werden 3,4. Entgegen vielverspre- munhistologische/durchflusszytometrische Charakterisierung chender präklinischer Ergebnisse versagt die Mehrzahl neuer des Tumormikromilieus; Nachweis somatischer Mutationen un- Substanzen in klinischen Studien (1/10.000 wird zugelassen; ter Verwendung des Cancer Hotspot Panels mit Next Generati- 2,56 Mrd USD Kosten/Zulassung) 5,6,1. Der geringe Erfolg neuer on Sequencing (NGS)) und sowohl in vitro als auch in immun- Substanzen ist auch auf die Limitationen der präklinischen Mo- supprimierten Mäusen expandiert. Die charakterisierten Xeno- delle zurückzuführen: Der Standard in der präklinischen Evalu- grafts und Xenograft-abgeleitete Zelllinien werden sodann zur ation ist weltweit die in vitro- und in vivo-Wachstumsinhibition Untersuchung der Wirkung neuer Cyclinabhängiger Kinasen immortalisierter und langzeitkultivierter Zelllinien. Die huma- genutzt. nen Ursprungstumoren – insbesondere ihre genetische und Durch die reproduzierbare Herstellung aus Biopsien könnten morphologische Heterogenität – werden durch Zelllinien aller- zukünftig Patienten-abgeleitete Xenografts in größerer Zahl dings nur näherungsweise beschrieben. Dadurch fehlen für und auch aus aggressiven nicht-operablen Tumoren in Thera- Kopf-Hals-Tumoren weiterhin valide Biomarker und das indivi- duelle Ansprechen eines spezifischen Tumors bleibt unvorher- 1 Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie „Otto Körner“ Universitätsmedizin Rostock sehbar (Abb. 1) 7–9. 2 Zentrum für Innere Medizin, Klinik für Hämatologie, Onkologie und Pallia- Patienten-abgeleitete Modelle aus primären Proben können tivmedizin Universitätsmedizin Rostock 3 Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Klinik viele Limitationen der konventionellen Modelle aus Zelllinien und Polikliniken für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Universitätsmedizin überwinden. Neben der Histopathologie und den genetischen Rostock 4 Institut für Pathologie, Universitätsmedizin Rostock Aberrationen korrelieren auch das Therapieansprechen und Seite 346 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
AKTUELLES rationsproben (kleinzelliges Lungenkarzi- nom) untersucht. Die Anwachsraten bei Biopsien (33-60%) waren grundsätzlich niedriger als bei Operationspräparaten (40-100%). Für Kopf-Hals-Tumoren scheint die endos kopische Probeentnahme aufgrund des exophytischen Tumorwachstums tech- nisch geeignet zu sein. Allerdings geben Abbildung 1: Rationale für die Etablierung neuer präklinischer Modelle. Die heterogene lediglich zwei aktuelle Studien die regel- Pathologie von Kopf-Hals-Tumoren führt zu einem variablen Therapieansprechen. Diese Heterogenität kann durch Biobanken erfasst und in Patienten-abgeleiteten Modellen un- mäßige Verwendung von Biopsien an. tersucht werden. Die Forschung an geeigneten präklinischen Modellen ist die Basis für Lilja-Fisher et al. implantierten endosko- die Entwicklung schonender Therapiestrategien auf der Basis verlässlicher Biomarker und pische Biopsien und Tumortonsillektomi- personalisierter Medizin. en von HPV-positiven Oropharynxkarzi- nomen (n = 34) mit einer (für HPV-positi- die Prognose besser mit dem Ursprungstumor 10–13. Das aktu- ve Tumoren hohen) Anwachsrate von 33% 30. Dabei wurde das ell beste Modell zur präklinischen Evaluation des Therapiean- Anwachsen von Tonsillektomie- und endoskopischen Proben sprechens und zur Identifikation relevanter Biomarker ist der nicht differenziert untersucht, sodass nur indirekt Rückschlüsse Patienten-abgeleitete Xenograft (PDX; direkte Implantation auf das Anwachsen aus Biopsien gezogen werden können. In von Patiententumoren in immunsupprimierte Mäuse) 5,6,14,15 . In einer aktuellen Studie von Kang et al. war die Anwachsrate von den letzten Jahren wurde – auch in unserer Arbeitsgruppe – Biopsien (100%, 6/6) deutlich höher als bei chirurgischen Re- die Anwachsrate und die Zeit bis zum Anwachsen (Engraft- sektaten (25%, 16/62) 31. Bei den Biopsien bleibt allerdings un- ment) durch die Optimierung der Methoden verbessert 16,14. klar, ob diese endoskopisch/transoral oder aus Lymphknoten- Dadurch kann die Entwicklung zielgerichteter Substanzen be- metastasen entnommen wurden. Die Anwachsrate von 100% schleunigt werden, um den Patienten zukünftig eine moleku- spricht vor dem Hintergrund der Literatur und unserer Vorun- larbiologisch personalisierte Therapie von Kopf-Hals-Tumoren tersuchungen (Abb. 2) eher für transkutane Biopsien aus zu ermöglichen. Lymphknoten. Letztlich bleibt die Anwachsrate, die Zeit bis Patienten-abgeleitete Modelle von Kopf-Hals-Tumoren konn- zum Anwachsen und die Faktoren, die zur Etablierung eines ten sich allerdings – trotz der Empfehlung des National Cancer PDX aus endoskopischen Biopsien führen, unklar. Institute – noch nicht als Standard in der präklinischen For- schung durchsetzen 17,6. Bei Kopf-Hals-Tumoren ist die Engraft- Ergebnisse mentrate bei ausreichendem Material aus chirurgischen Resek- tionen hoch (50-75%) 18,13,11,19. Unsere interdisziplinäre Arbeitsgruppe (HNO, MKG und Häma- Bei kleineren Tumoren oder Biopsien ist das Patientengewebe tologie/Onkologie) hat zwischen 11/2018 und 06/2020 Proben allerdings primär für die Diagnostik notwendig und nur wenig von 52 Kopf-Hals-Tumorpatienten aus Endoskopien und Resek- Material kann zur Initiierung von Xenografts genutzt werden. So wird unter Umständen das gesamte Material für die Schnitt randkontrolle benötigt. Große Tumoren, rezidivierte Tumoren und metastasierte Tumoren werden einer primären Radiothe- rapie oder Systemtherapie zugeführt und meist nicht operiert 2 . In beiden Fällen steht nur die initiale Probebiopsie für Patien- ten-abgeleitete Modelle zur Verfügung. Ein schlechtes An- wachsen dieser Biopsien birgt die Gefahr hochmaligne (rezidi- vierte, primär fernmetastasierte) Tumoren aus der präklini- schen Forschung auszuschließen. In den letzten Jahren konnten PDX aus Probebiopsien bei Ma- lignomen der Mamma 20, der Lunge 21–24, des Magens 25, der Bauchspeicheldrüse 26,27, der Niere 28 und der Haut 29 etabliert werden. Dabei wurden transkutane Grobnadelbiopsien (Leber- metastasen), transbronchiale endoskopische Biopsien (kleinzel- liges- und nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, Liquid Biopsy Blutproben (kleinzelliges Lungenkarzinom) und pleurale Aspi- AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 347
AKTUELLES Abbildung 2: Zwischenergebnisse der bisherigen Untersuchungen. Im Zeitraum von 11/2018 bis 06/2020 wurden 52 Studienpatien- ten in den Aufbau der Biobank und der Patienten-abgeleiteten Modelle eingeschlossen. Die Ziele sind der Einschluss weiterer Patien- ten, die Implantation und Expansi- on der verbleibenden Proben, die Aufklärung der geringen An- wachsrate endoskopischer Biopsi- en und die Komplettierung der im- munhistologischen / molekularpa- thologischen Untersuchungen (u.a. Cancer Hotspot Panel). Ab- schließend ist die Therapie der Pa- tienten-abgeleiteten Xenografts und der daraus etablierten Zelllini- en mit Cyclin-abhängigen Kinase- Inhibitoren geplant. tionen für die Etablierung Patienten-abgeleiteter präklinischer vergleichende Analyse mit dem jeweiligen Primärtumor. Die Modelle rekrutiert (Abb. 2). Die Proben wurden sowohl vital Zwischenergebnisse der Studie sind in Abb. 2 dargestellt. Hin- (in Einfriermedium), als auch nativ (trocken) asserviert (flüssig sichtlich der endoskopischen Biopsien und chirurgischen Resek- N2 bzw. -80°C). Diese umfassen HPV+, als auch HPV- Primärtu- tate kam es in beiden Gruppen zum Auswachsen von Xeno- moren. Von vier Patienten wurden syn- bzw. metachrone grafts; die Anwachsrate war für Biopsien allerdings niedriger Lymphknotenmetastasen gewonnen sowie bei drei Patienten (22% vs. 57%) und die Zeit bis zum Anwachsen länger (12 vs. 6 mehrere Präparate unterschiedlicher Lokalisation. Ein Teil der Wochen). Die Wachstumskinetik bei etablierten PDX unter- Proben wurde immunhistologisch, durchflusszytometrisch und schied sich nicht. molekularpathologisch charakterisiert. Bislang wurden 34 Pro- ben subkutan in immundefiziente Mäuse implantiert und 13 Parallel zum Aufbau der Biobank werden Therapieversuche mit PDX in Passage 1 generiert (Abb. 3). Bei allen PDX erfolgte eine den Cyclin-abhängigen Kinase-Inhibitoren (CDKi) in vitro und Abbildung 3: In vitro- und in vivo-Therapieversuche mit Cyclin-abhängigen Kinase-Inhibitoren. A) UT-SCC14 Lichtmikroskopie nach Behand- lung mit Kontrollmedium (ctrl), Palbociclib (1 µM) oder Dinaciclib (0,025 µM) für 72 Stunden. Kristallviolett-Assay der Zellvitalität nach 72 Stunden Behandlung mit Palbociclib und Dinaciclib (n = 3, One way ANOVA, *p
AKTUELLES in vivo durchgeführt (Abb 3.). Cyclin-ab- sentation des Ursprungstumors in der hängige Kinasen (CDK) kontrollieren den präklinischen Forschung. Zellzyklus und spielen eine entscheiden- In diesem Zusammenhang ist die Etablie- de Rolle in der Onkogenese. Auch für rung von Biobanken, ex vivo Gewebekul- Kopf-Hals-Tumoren ist die Wirksamkeit turen und Patienten-abgeleiteten Mo- von CDKi belegt 35–41. Die Auswirkungen dellen essenziell, um langfristig eine der CDK 4/6-Inhibition (Palbociclib) oder Grundlage für verbesserte prophylakti- CDK1/2/5/9-Inhibition (Dinaciclib) allein, sche und therapeutische Ansätze für den und der CDKi in Kombination mit Che- klinischen Alltag bereitzustellen. Aller- mo- und Strahlentherapie sind bislang dings besteht ein dringender Bedarf, die jedoch unklar. Darüber hinaus bieten Anwachsrate und die Zeit zum Anwach- CDKi ein großes Potenzial als Adjuvanz sen des Xenografts zu verbessern, um in der Immuntherapie. PDX flächendeckend als Standard in der Unsere Voruntersuchungen zu CDKi präklinischen Forschung und zukünftig konnten in vitro eine höhere Wirksam- auch in der Klinik einzusetzen9. In die- keit von Dinaciclib im Vergleich zu Palbo- sem Zusammenhang fehlen aktuell Un- ciclib nachweisen. Dabei hatte Dinaciclib tersuchungen zur Etablierung von PDX additive Effekte in der Kombination mit aus endoskopischen Biopsien. einer Chemotherapie oder einer Radio- Das Ziel des vorliegenden Projektes ist therapie. Zusätzlich führte Dinaciclib zur der Aufbau einer Biobank mit assoziier- Expression von Calreticulin (Surrogat- ten Patienten-abgeleiteten Xenografts marker für immunogenen Zelltod). Un- Abbildung 4: Protokoll der Implantation und Xenograft-abgeleiteten Zelllinien. sere laufenden in vivo-Therapieversuche und Passagierung Patienten-abgeleiteter Die Patienten-abgeleiteten Modelle wer- Xenografts. Die Tumorproben werden en- mit Zelllinien-abgeleiteten Xenografts (5 doskopisch oder operativ entnommen und den abschließend in Therapieversuchen x 106 Tumorzellen; UTSCC14/ UTSCC15; in Fragmente zerschnitten. Vier Fragmente mit CycIin-abhängigen Kinase Inhibito- aus jedem Tumor werden in je zwei NSG- Primarius und Metastase eines Mund- ren validiert. In die Biobank werden ne- Mäuse implantiert (P0). Das verbleibende höhlenkarzinoms) bestätigen die in vitro Material wird vital kryoasserviert. Nach ben chirurgischen Resektaten auch en- Resultate: Die Dinaciclib-Therapie von Auswachsen der Tumoren erfolgt die Re- doskopische Biopsien (u.a. aus metasta- sektion, die histologische Validierung und Flankentumoren in Nacktmäusen führte die Transplantation in weitere NSG Mäuse sierten und rezidivierten inoperablen zur Wachstumsinhibition der Tumoren (P1) (bzw. die Kryokonservierung des ver- Tumoren) eingeschlossen. In den Vorver- und die Kombination mit Cisplatin zu ad- bleibenden Gewebes). Nach erneutem An- suchen deutete sich dabei eine geringere wachsen der Tumoren erfolgt der Transfer ditiven Effekten (in den Cisplatin-Mono- in Nacktmäuse (P2). In der Nacktmaus sta- Anwachsrate bei den Biopsien an (An- therapie resistenten Tumoren) (Abb. 3C). bile PDX werden anschließend für Thera- wachsrate: Biopsie 5/20; 25% Resektat Weitere Kombinationen werden aktuell piestudien mit Cyclin-abhängigen Kinase- 8/14; 57%). Die unterschiedlichen An- Inhibitoren verwendet. untersucht: 0,2 % DMSO in 0,9 % NaCl wachsraten sollen im vorliegenden Pro- (Kontrollgruppe) - Cetuximab (10 mg/kg jekt verifiziert werden und dann histolo- KG, i.p., 1x/Woche; Σ 4 Injektionen) - Dinaciclib (50 mg/kg KG, gische, molekularpathologische und technische Faktoren für i.p. 5x/Woche; Σ 10 Injektionen), Palbociclib (150 mg/kg KG, ein erfolgreiches Anwachsen kleiner Proben identifiziert wer- p.o., 5x/Woche; Σ 10 Injektionen) den. Ein besseres Verständnis der Mechanismen des Anwach- sens kann zukünftig ermöglichen, vermehrt fortgeschrittene Ausblick Tumoren in Patienten-abgeleitete Modelle zu integrieren. Die heterogene Molekularpathologie von Plattenepithelkarzi- Literatur beim Autor: nomen des Kopfes und Halses führt zu einem variablen Thera- Kontakt: pieansprechen. Ein besseres Verständnis des Einflusses der Dr. med. Daniel Strüder biologischen Unterschiede auf das Therapieansprechen und Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, die Identifikation molekularer Marker ist daher von erhebli- Kopf- und Halschirurgie „Otto Körner“ cher Relevanz. Universitätsmedizin Rostock Wirksame individualisierte Therapien von Kopf-Hals-Tumoren Doberaner Straße 137 – 139, 18057 Rostock erfordern die Etablierung präklinischer Modelle, welche die Tel.: 0381 494 8377 biologische Heterogenität humaner Tumoren wiedergeben5. Fax: 0381 494 8302 Patienten-abgeleitete Xenografts sind die aktuell beste Reprä- www.hno.med.uni-rostock.de AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 349
AKTUELLES ePA – zentrales Element in einem digital ver- netzten Gesundheitswesen Mit dem Aufbau und der Einführung der Telematikinfrastruk- c) die elektronischen Notfalldaten11, tur im deutschen Gesundheitswesen sind hohe Erwartungen d) elektronische Arztbriefe1, an eine Verbesserung der Patientenversorgung geknüpft. Ins- 2. das elektronisches Zahn-Bonusheft2, besondere durch eine verbesserte, schnellere und idealerwei- 3. das elektronische Untersuchungsheft für Kinder2, se vollständige Bereitstellung von relevanten Informationen 4. der elektronische Mutterpass und Daten, die sich aus der zu Patienten soll die Behandlung unterstützt werden. Als „Kö- Versorgung mit Hebammenhilfe ergeben2, nigsdisziplin“ der Digitalisierung in der Gesundheitsversor- 5. die elektronische Impfdokumentation2, gung wird hierbei gerne die elektronische Patientenakte be- 6. Gesundheitsdaten, die durch den Versicherten zur Verfü- nannt. Sie soll in der Hand der Patienten das zentrale Element gung gestellt werden1, einer vernetzten Gesundheitsversorgung werden. In der per- 7. Daten des Versicherten aus der elektronischen Gesund- sönlichen elektronischen Patientenakte können Patienten die heitsakte bei seiner Krankenkasse2, bislang an verschiedenen Orten vorliegenden Dokumente zu 8. bei den Krankenkassen gespeicherte Daten über die in Behandlungen, Therapien, anamnestische Informationen oder Anspruch genommenen Leistungen des Versicherten2, Befunde an einer Stelle digital zusammenführen, verwalten 9. Daten aus digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) des und für die Behandlung verfügbar machen. Versicherten3, 10. Daten zur pflegerischen Versorgung des Versicherten , Alle gesetzlichen Krankenkassen müssen ihren Versicherten seit 11. Verordnungsdaten und Dispensierinformationen elektro- Anfang 2021 eine elektronische Patientenakte anbieten. Weder nischer Verordnungen (eRezepte inkl. Arzneimittelhisto- Krankenkassen noch deren Dienstleister haben Zugriff auf die rie)2, Daten. Die Nutzung der ePA ist für Versicherte freiwillig. 12. elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAUs)3, 13. sonstige von den Leistungserbringern für den Versicher- Gesetzliche Grundlagen ten bereitgestellte Daten, insbesondere aus strukturierten Behandlungsprogrammen bei chronischen Erkrankungen3. Basierend auf dem Patientendaten-Schutz-Gesetz sind die Funktionalitäten, die Zugriffsberechtigungen der Beteiligten Einführungsstufen und Funktionalitäten und die Einführungsphasen der ePA in § 341 ff. SGB V gere- gelt. Allein die Patientin bzw. der Patient besitzt alle Rechte Geplant ist, die elektronische Patientenakte stufenweise ein- an den Daten in der ePA. Diese ersetzt also nicht die Primär- zuführen und dabei sukzessive um Funktionalitäten und Nut- dokumentation der Praxis bzw. des Krankenhauses. Bedingt zerkreise zu erweitern. durch das Recht des Versicherten, sämtliche Einträge eigen- In der ersten Stufe, die im Januar 2021 begonnen hat, konnte ständig löschen bzw. darüber entscheiden zu können, welche der Versicherte lediglich von ihm selbst erhobene Daten und Informationen überhaupt in seine ePA aufgenommen wer- ihm vorliegende medizinische Dokumente in seine Akte ein- den, sollten behandelnde Ärztinnen und Ärzte nicht von einer stellen – wie etwa Arztbriefe, Medikationspläne oder Patien- Vollständigkeit der medizinischen Informationen zum Patien- tenpässe. Die ePA dient also zunächst vor allem als Dokumen- ten ausgehen. tenablage des Patienten. Seit Januar 2021 bieten alle Kranken- Die ePA ermöglicht es, stufenweise einen umfangreichen Ka- kassen ihren Versicherten zur Einrichtung und Verwaltung talog von medizinischen Daten aufzunehmen. Dazu zählen: ihrer ePA eine App für das Smartphone an. Der Zugriff einer 1. medizinische Informationen über den Versicherten für Ärztin bzw. eines Arztes auf die Daten in der ePA der Patien- eine einrichtungs-, fach- und sektorübergreifende Nut- ten ist seit 1. Juli 2021 möglich – vorausgesetzt, die Praxis ver- zung, insbesondere fügt über die erforderlichen technischen Komponenten. Mit a) Daten zu Befunden, Diagnosen, durchgeführten und einer flächendeckenden Verfügbarkeit der Technik in den geplanten Therapiemaßnahmen, Früherkennungsun- Arztpraxen ist nicht vor Herbst 2021 zu rechnen. tersuchungen, Behandlungsberichten und sonstige untersuchungs- und behandlungsbezogene medizini- sche Informationen1, 1. Ausbaustufe seit dem 01.01.2021 1 2. Ausbaustufe ab dem 01.01.2022 2 b) der elektronische Medikationsplan1, 3. Ausbaustufe ab dem 01.01.2023 3 Seite 350 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
AKTUELLES Die Daten in der Akte sind verschlüsselt. Nur der Patient sowie entsprechenden Updates aller drei Konnektor-Hersteller für von ihm berechtigte Ärztinnen und Ärzte oder andere Heilbe- die ePA sind mittlerweile von der gematik zugelassen. Für die rufler können die Daten lesen. Der Patient erteilt die Berech- Nutzung der ePA brauchen Ärztinnen und Ärzte zusätzlich zu tigungen über die ePA-App auf seinem Smartphone. Anschlie- den genannten Komponenten einen elektronischen Heilbe- ßend kann medizinisches Personal Daten auch ergänzen, ohne rufsausweis (eHBA) mindestens der Generation 2 sowie ein dass der Patient dabei anwesend sein muss. Dies kann bei- entsprechendes Modul ihres Praxisverwaltungssystems. spielsweise relevant sein, wenn nach einer Blutabnahme Technisch betrachtet ist für den Zugriff auf die ePA zwar nur Laborergebnisse später in der Praxis eintreffen. der sogenannte Praxisausweis (SMC-B) erforderlich, doch muss jede Ärztin bzw. jeder Arzt, der auf Daten der ePA zugreift, Patienten, die kein Smartphone besitzen, können alternativ einen eHBA besitzen. Denn nur eHBA-Inhaber dürfen aus bei einem Arztbesuch „ad-hoc“ Berechtigungen vor Ort mit- rechtlicher Sicht auf medizinische Daten zugreifen. Vertrags- tels der Infrastruktur bei der Ärztin bzw. bei dem Arzt verge- ärztinnen und -ärzten wird deshalb dringend geraten, einen ben. In der ersten Ausbaustufe kann der Patient Zugriffsbe- eHBA zu beantragen. Denn verfügen Vertragsärztinnen und rechtigungen lediglich „grobgranular“ erteilen. Demnach Vertragsärzte – auch ohne eigenes Verschulden – bis zum kann er Berechtigungen nicht auf einzelne Dokumente, son- 30.9.2021 nicht über die erforderlichen Komponenten, dern lediglich pauschal auf zwei Dokumentenbereiche – ärzt- um auf die ePA zuzugreifen, drohen gesetzlich vorgese- liche Dokumente und vom ihm selbst eingestellte Dokumente hene Sanktionen. – erteilen. Mit der zweiten Ausbaustufe wird ab 2022 ein differenzierte- Finanzierung res Berechtigungskonzept eingeführt. Der Patient kann dann Berechtigungsfreigaben auf Basis von Dokumenten- bzw. Die Vertragspartner der Selbstverwaltung haben Finanzie- Facharztgruppen erteilen („mittelgranulares Berechtigungs- rungsvereinbarungen für den Betriebsaufwand und den Um- management“) oder Dokumente einzeln freigeben („feingra- gang mit der elektronischen Patientenakte geschlossen. Die nulares Berechtigungsmanagement“). Zudem wird unter an- Kosten für die Grundausstattung und das Update auf die E- derem die Speicherung des Impfausweises und von eRezepten Health-Anwendungen sind bereits von anderen Pauschalen möglich. Auf Wunsch des Patienten können zusätzlich Abrech- der Telematikinfrastruktur abgedeckt. Für die ePA kommen nungs- und Leistungsdaten, die bei den Krankenkassen zum folgende Pauschalen hinzu: Patienten vorliegen, in die ePA übertragen werden. Auch kann der Patient Daten aus einer vorher genutzten elektroni- schen Gesundheitsakte seiner Krankenkasse in die ePA migrie- Komponente Pauschale ren. Ein Zugriffsrecht ist in der ersten ePA-Stufe standardmäßig auf eine Woche beschränkt. Patienten können die Dauer mittels Update zum ePA-Konnektor 400 Euro Smartphone-App oder ad-hoc bei der Ärztin bzw. beim Arzt selbständig für einen Zeitraum von einem Tag bis zu höchstens PVS-Anpassung ePA 150 Euro 18 Monaten festlegen. In der zweiten ePA-Stufe ist die Spann- weite der Dauer frei wählbar; auf Wunsch auch unbefristet. Betriebskostenzuschlag ePA 4,50 Euro je Quartal In der dritten Ausbaustufe – also ab 2023 – soll die ePA „for- schungskompatibel“ werden. Auf freiwilliger Basis kann der Für das Erfassen, Verarbeiten und Speichern der Daten in einer Patient dann Daten aus seiner ePA der Forschung zur Verfü- ePA können Ärztinnen und Ärzte entsprechende Gebühren- gung stellen. Außerdem können Daten aus der pflegerischen ordnungsziffern abrechnen. Hinzu kommt eine gesetzlich für Versorgung, eAUs und Daten aus strukturierten Behandlungs- das Jahr 2021 festgelegte Erstbefüllungspauschale von 10 Euro programmen sowie Daten aus den DiGAs in die ePA übertra- pro ePA. gen werden. In einem Informationsvideo der gematik erfahren Sie, welche Möglichkeiten Sie mit der elektronischen Patientenakte (ePA) Erforderliche Komponenten und deren in Ihrem Praxisverwaltungssystem haben. Verfügbarkeit Auf der Website der Bundesärztekammer können Sie außer- dem FAQs zu Haftungsfragen der elektronischen Patien- Ärztinnen und Ärzte benötigen verschiedene technische Kom- tenakte einsehen. ponenten, um Einträge in der ePA lesen oder einstellen zu können. Zunächst bedarf es eines Software-Updates des Kon- Mitteilung der Bundesärztekammer nektors auf die Produkttypversion 4 (PTV 4) oder höher. Die AUSGABE 9/2021 31. JAHRGANG Seite 351
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