8/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN - Auf eine maßgeschneiderte Pankreaschirurgie kommt es an / Irresektables Pankreaskarzinom ...
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ÄRZTEBLATT 8/2021 MECKLENBURG-VORPOMMERN Strand von Nienhagen 2020 Foto: A. Kröppelien Auf eine maßgeschneiderte Pankreaschirurgie kommt es an / Irresektables Pankreaskarzinom Sozialpädiatrie in Corona-Zeiten
Inhalt Gedicht Aktuelles Die Grippe und die Menschen 296 Sozialpädiatrie in Corona-Zeiten 316 Ein Plädoyer für die Sozialpädiatrie 316 Wissenschaft und Forschung Regionales Telepädiatrisches Netzwerk in Auf eine maßgeschneiderte Pankreaschirurgie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg 318 kommt es an 297 TCM-Studium am UKE wird digital hybrid 320 Irresektables Pankreaskarzinom – aktuelle Möglichkeiten der lokalen Tumorablation 302 Tag der Begegnung 2021 321 Junge Ärzte Leserbrief Medizinische Versorgung muss ohne Entgegnung auf den Leserbrief von Dr. Müller 322 Müll gehen! 310 Geschichte der Medizin Aus der Kammer Ein Pommer als Leibarzt im Dienst der Kaiserin 323 Demokratie, Krankheit und Gesundheit in Zeiten der Pandemie 311 Rezensionen Für Sie gelesen 326 Fortbildung 29. Interdisziplinäre Seminar- und Geburtstage Fortbildungswoche der Ärztekammer Wir beglückwünschen 328 Mecklenburg-Vorpommern 312 Impressum 328 Veranstaltungen und Kongresse Impfkurse in Mecklenburg-Vorpommern 313 Veranstaltungen der Ärztekammer M-V 313 Veranstaltungen in unserem Kammerbereich 313 Veranstaltungen in anderen Kammerbereichen 315 Genderneutrale Sprache In der deutschen Sprache sind personenbezogene Pluralformen grundsätzlich geschlechtsneutral. Soweit singuläre Formen wie Arzt, Patient, Gast o.ä. aus Gründen der Flüssigkeit und besseren Lesbar- keit in den Texten des Ärzteblattes Mecklenburg Vorpommern ver- wendet werden, bezeichnen sie wie auch die Pluralformen in jedem Fall sowohl Personen des weiblichen wie des männlichen als auch eines möglichen dritten Geschlechts. Die Redaktion AUSGABE 8/2021 31. JAHRGANG Seite 295
Die Grippe und die Menschen „Als Würger zieht im Land herum Die Grippe duckt sich tief und scheu Mit Trommel und mit Hippe, Und wollte sacht verschwinden - Mit schauerlichem Bum, bum, bumm, Da johlte schon das Volks aufs Neu‘ Tief schwarz verhüllt die Grippe. Aus hunderttausend Mündern: Sie kehrt in jedem Hause ein „Regierung, he! Bist du verrückt - Und schneidet volle Garben - Was soll dies alles heißen? Viel rosenrote Jungfräulein Was soll der Krimskrams, der uns drückt, Und kecke Burschen starben. Ihr Weisesten der Weisen? Es schrie das Volk in seiner Not Sind wir den bloß zum Steuern da, Laut auf zu den Behörden: Was nehmt ihr jede Freude? „Was wartet ihr? Schützt uns vorm Tod - Und just zu Fastnachtszeiten - ha!“ Was soll aus uns noch werden? So gröhlt und tobt die Meute. Ihr habt die Macht und auch die Pflicht - „Die Kirche mögt verbieten ihr, Nun zeiget eure Grütze - Das Singen und das Beten - Wir raten euch: Jetzt drückt euch nicht. Betreffs des andern lassen wir Zu was seid ihr sonst nütze! Jedoch nicht nah uns treten! ‚s ist ein Skandal, wie man es treibt. Das war es nicht, was wir gewollt. Wo bleiben die Verbote? Gebt frei das Tanzen, Saufen. Man singt und tanzt, juheit und kneipt. Sonst kommt das Volk - hört, wie es grollt, Gibt‘s nicht genug schon Tote?“ Stadtwärts in hellen Haufen!“ Die Landesväter rieten her Die Grippe, die am letzten Loch Und hin in ihrem Hirne. Schon pfiff, sie blinzelt leise Wie dieser Not zu wehren wär‘, Und spricht: „Na endlich - also doch!“ Mit sorgenvoller Stirne: Und lacht auf häm‘sche Weise. Und sieh‘, die Mühe ward belohnt. „Ja, ja - sie bleibt doch immer gleich Ihr Denken ward gesegnet: Die alte Menschensippe!“ Bald hat es, schwer und ungewohnt, Sie reckt empor sich hoch und bleich Verbote nur geregnet. Und schärft aufs neu die Hippe. Quelle: aus der Wochenschrift „Der Nebelspalter“, 6. März 1920
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Auf eine maßgeschneiderte Pankreaschirurgie kommt es an S. Schneider-Koriath, U. Scharlau, J. Bernhardt, K. Ludwig In Mecklenburg-Vorpommern werden jährlich ca. 300 Pank- kalisation etabliert und wird in der deutschen S-3-Leitline reasresektionen durchgeführt. Etwa zwei Drittel davon erfol- empfohlen [3]. In Pankreaszentren operierte Patienten wei- gen in den fünf von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) sen dabei ein medianes Überleben von 23 -25 Monaten auf. zertifizierten Pankreaskarzinomzentren, mehr als ein Viertel In Kombination mit einer adjuvanten Chemotherapie wurden aller Operationen in Rostock. Bei ca. 1,6 Mio. Einwohnern im sogar mediane Überlebensraten von 54,4 Monaten nachge- Bundesland ist diese Anzahl zwar insgesamt überschaubar, wiesen. Darüber hinaus werden derzeit vor allem neoadju- trotzdem muss für jeden einzelnen Patienten ein maßge- vante Konzepte diskutiert und in zahlreiche Studien evalu- schneiderter Betreuungs- und Therapiepfad erarbeitet wer- iert. Besondere Aufmerksamkeit gilt Patienten mit sogen. den. Dazu gehört auch die genaue Abwägung der Indikati- „Borderline“ Karzinomen, da in selektiven Fällen auch bei on und Komplexität einer möglichen Operation mit den ge- primär fraglicher R0-Resektabilität nach suffizienter neoad- gebenen Alternativen. juvanter Systemtherapie (z.B. FOLFIRINOX oder Gemcitabin In diesem Zusammenhang ist die Integration von Betroffe- basierte Chemotherapie/ Radiochemotherapie) eine Resekti- nen in ein spezialisiertes Netzwerk mit qualifizierter und mo- on mit Verbesserung der Überlebensrate möglich ist. Dies tivierter Patientenführung durch alle Behandlungsphasen ließ sich in einer aktuellen Metaanalyse demonstrieren [2]. eine ideale Option, um den erwünschten hohen Therapie- Nach neoadjuvanter Behandlung konnten hier im Median standard zu gewährleisten. Hierbei kommt dem operativen 28,6% (8%-69%) der initial als nicht resektabel oder als Fachgebiet in vielen Fällen eine mitentscheidende Bedeu- „Borderline“ eingeschätzten Karzinome operiert werden. tung zu, so dass in diesem Beitrag einige besondere Aspekte Die R0 Rate lag bei 78,3% (35%-100%). Für diese Patienten aus der Perspektive von Pankreaschirurgen erläutert werden wurde eine Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit von bis sollen. zu 25,9 Monate erreicht, was einen signifikanten Vorteil ge- genüber den nicht operierten Patienten bedeutete. Indikationen Damit Betroffene von einer optimalen Therapiestrategie pro- fitieren können, sollte die sequenzielle Involvierung eines Maligne Raumforderungen. Die Hauptindikation für Pan- Pankreaschirurgen vor und nach einer Systemtherapie zum kreasoperationen bilden aktuell maligne Raumforderun- Standardvorgehen gehören. In diesem Zusammenhang kann gen. Im eigenen Patientengut betraf dies in den zurücklie- auch die Einholung einer Zweitmeinung in einem Zentrum genden 15 Jahren 45,9% der Patienten bei über 1000 Pank- eine sinnvolle Option darstellen. reasresektionen. Im Jahre 2019 stand das Pankreaskarzinom bereits an 2. Stelle der 10 häufigsten Todesursachen bei Zystische Läsionen und IPMN. Zystisch imponierende Lä- Krebserkrankungen in Deutschland noch vor dem Mamma- sionen der Bauchspeicheldrüse stellen eine besondere Her- und Kolonkarzinom [1]. Die Prognose ist mit einer 5-Jahres- ausforderung dar und gewinnen zunehmend an Bedeutung. Überlebensrate von insgesamt etwa 10% unbefriedigend. Sie werden mit einer Prävalenz von 2,6-9,3% in CT- oder Dies begründet sich unter anderem darin, dass zum Zeit- MRT-Untersuchungen [7] oft als Zufallsbefunde detektiert punkt der Diagnosestellung häufig bereits fortgeschrittene und dabei häufig unterschätzt. Im Gegensatz zu anderen pa- Tumorstadien vorliegen. Mehr als die Hälfte aller Primärfäl- renchymatösen Organen sind dies ernstzunehmende Verän- le an unserem Zentrum wiesen bei Erstdiagnose bereits Me- derungen. Sie können abhängig von ihrer Entität ein zum tastasen oder lokal dominierende Befunde auf und kamen Teil erhebliches Malignitätspotential aufweisen und erfor- für eine primäre operative Therapie nicht in Frage. Welt- dern ein subtiles Überwachungsregime. Bereits in der Diag- weit wird der Anteil von nicht resektablen Tumoren sogar nostikphase ist die Hinzuziehung eines Pankreaschirurgen auf 70 – 80% geschätzt [2]. Entscheidend ist daher eine empfehlenswert, um Läsionen mit erhöhtem Entartungsrisi- möglichst frühzeitige Diagnosestellung mit zügiger Thera- ko frühzeitig zu identifizieren und maligne Transformationen pieplanung. präventiv anzugehen (Tabelle 1). Dieser Prozess ist an- Als Therapiestandard mit kurativem Behandlungsansatz ist spruchsvoll, da für die Operationsindikation eine möglichst die chirurgische Tumorresektion in Abhängigkeit von der Lo- sichere und genaue Diagnose erforderlich ist, um unkritische AUSGABE 8/2021 31. JAHRGANG Seite 297
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Tabelle 1: Risikokriterien für das Vorliegen einer malignen Pankreasraumforderung Eindeutige Malignitätskriterien - Infiltration von Nachbarorganen - Gefäßinvasion - Zusätzliche distante Raumforderungen Hochgradig suspekt - hochgradige epitheliale Atypien in der Feinnadelpunktion (FNP) - Computertomografisch kräftige Anreicherung in arterieller KM-Phase - Solide Raumforderung mit unscharfer Begrenzung - Ektasie des Pankreashauptganges ≥ 10mm - „Abbruch“ des Pankreashauptganges auch ohne sichtbare Raumforderung - Schmerzloser Ikterus Suspekte Kriterien - Zystische Raumforderungen > 30mm, - Zystische Raumforderungen mit nodulären Wandveränderungen - Gallengangsdilatation - Ektasie des Pankreashauptganges 5 – 9mm, - Pfortaderthrombose - Lymphadenopathie - Elevation des CA 19-9 Veränderungen, wie beispielsweise dysontogenetische Zys- „Seitenast“ -IPMN [8] gibt regelmäßig Anlass zu internatio- ten oder gutartige serös-zystische Neoplasien (SCN) zu diskri- nalen Diskussionen und Konsensus-Konferenzen [9, 10]. minieren. Außerdem muss wie bei allen planbaren Eingriffen Letztlich muss auch bei diesen Veränderungen ein Karzinom- das bestehende Morbiditätsrisiko abgewogen werden. risiko von bis zu 25,5-45% angenommen werden. Unterschie- den werden IPMN mit „high risk“-Läsionen, IPMN mit „wor- Zu den zystischen Neubildungen mit Entartungspotential risome features“ und unkritische Läsionen. Vor allem Größe, (Tabelle 2) gehören neben den muzinösen zystischen Neopla- Pankreasgangweite und Morphologie sind wichtige Kriterien sien (MCN) und den seltenen solid-pseudopapillären Neopla- zur Befunddifferenzierung und Risikobestimmung. Diese sien (SPN oder „Frantz-Tumore“) die intraduktalen papillären Merkmale sind MR-morphologisch und endosonografisch mit muzinösen Neoplasien (IPMN). In der sogen. „Hauptgang“- hoher Sensitivität charakterisierbar. oder „Misch-Typ“- Variante (Abb. 1a und b) weisen diese ku- Patienten mit nicht operationspflichtigen Befunden sollten mulativ über 5 Jahre ein Karzinomrisiko von 45-90% [7] auf, lebenslang kontrolliert werden, da diese auch noch nach so dass in diesen Fällen ein operativer Therapieansatz emp- Jahren transformieren können. Auch bei Patienten nach fohlen werden muss. Das therapeutische Vorgehen für die stattgehabter Pankreasteilresektion müssen neuauftreten- Tabelle 2: Differenzierung zystischer Pankreasneoplasien Lokalisation Punktat Gang- Malignitäts- Behandlung anschluss potential IPMN (Hauptgang und Häufig Pankreas- Muzinös Ja hoch Resektion Mischtyp) kopf IPMN (Nebengang) Gesamtes Organ Muzinös Ja Niedrig bis hoch, Differenziertes Vor- abhängig von gehen: Observation Risikokriterien oder Resektion Muzinös-zystische Pankreasschwanz Muzinös Nein Mittel bis hoch Resektion Neoplasie Serös-zystische Pankreaskorpus Serös Nein niedrig Observation Neoplasien und -schwanz Solid-pseudopapilläre Gesamtes Organ Häufig Nein Indifferent, Resektion Neoplasien Einblutungen, 10-15% maligne Nekrosen Pseudozysten Gesamtes Organ Nekrosen, Häufig niedrig Observation Hämatom Seite 298 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abb. 1a und b: IPMN (Misch- typ) Pankreaskorpus in situ und als Resektat einer erwei- terten Pankreaslinksresektion mit Splenektomie de Läsionen in der verbliebenen Bauchspeicheldrüse obser- reatikolithiasis oder symptomatischen Pseudozysten konkur- viert werden. Mitunter erzwingen De-novo-Befunde hier rieren die Parenchym sparenden und problemorientierten auch einen Wiederholungseingriff. Eingriffe mit den interventionellen Techniken. Chronische Pankreatitis. Die meisten Komplikationen ei- Nach jahrelanger Diskussion [4] um mögliche Vorteile von ner akuten und chronischen Pankreatitis können heute unter Duodenum erhaltenden Resektionstechniken (z.B. nach Be- intensivmedizinischen und interventionell-therapeutischen ger, Frey oder Berner Modifikation) gewinnen Standardre- Aspekten (z.B. endoskopisch transpapilläre und transgastri- sektionen wie die Pankreaskopfresektion nach Kausch- sche Zugangswege, Sonografie- und CT-gestützte Draina- Whipple zunehmend wieder an Bedeutung. gen, angiografische Interventionen bei Blutungen) kontrol- Vor allem eine inhomogene Pankreaskopfvergrößerung mit liert werden. Im eigenen Zentrum ging beispielsweise in den Gallen- und Pankreasgangdilatation sollte Anlass geben, eine letzten Jahren die Anzahl von Drainage-Operationen zu Pankreaskopfresektion in Erwägung zu ziehen. Differential- Gunsten interventioneller Verfahren deutlich zurück und diagnostisch ist die Trennung von einem Malignom mitunter macht derzeit weniger als 1% aller Pankreasoperationen aus. schwierig. Es wird geschätzt, dass bis zu 5% aller Pankreas- Ein operatives Vorgehen wird vor allem bei Therapieresistenz karzinome initial als chronische Pankreatitis fehlinterpretiert oder Limitierung der interventionellen Maßnahmen erfor- werden. Das Risiko für die Ausbildung eines Pankreaskarzi- derlich. Schmerzbehandlung und die Vermeidung von Or- noms bei Patienten mit einer chronischen Pankreatitis ist be- gankomplikationen mit endo- oder exokrinen Funktionsstö- sonders in den ersten beiden Jahren nach Erstdiagnose etwa rungen (Abb. 2 bis 3) sind dabei langfristige Ziele [6]. 16fach erhöht und bleibt auch im Langzeitverlauf bestehen Die zum Einsatz kommenden Operationstechniken variieren [5]. Daher empfiehlt sich eine sorgfältige Observation dieser und werden von individuell ganz unterschiedlichen Kriterien Patienten mit bildgebenden Kontrollen alle 6 bis 12 Monate. beeinflusst. Bei isolierter Pankreasgangdilatation und Pank- Für Patienten mit der hereditären Form einer chronischen AUSGABE 8/2021 31. JAHRGANG Seite 299
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abb. 2a und b: Computerto- mographie des Abdomens eines 35-jährigen Patienten mit kephaler Pankreatikoli- thiasis und Ektasie des D. pancreaticus zum Zeitpunkt der Erstdiagnose Pankreatitis wird sogar ein Karzinomrisiko von 40-55% ange- nommen, so dass in solchen Fällen auch eine prophylaktische Operationen an der Bauchspeicheldrüse sind bei unkompli- Resektion diskutiert werden muss [6]. zierten Befunden in ihren Standardvarianten an Zentren mit entsprechender Expertise grundsätzlich technisch einfach mit Morbidität und Patientenalter einer Mortalität von unter 4,5% durchführbar. Die Mortalität im eigenen Patientenkollektiv lag im o.g. Zeitraum insgesamt Charakteristisch für Pankreasresektionen ist das zu kalkulie- bei 3,8%. rende Morbiditätsrisiko. In Fällen mit lokal fortgeschrittenem Tumorbefund und er- Der Eintritt in einen reibungslosen Behandlungsverlauf be- forderlicher Eingriffserweiterung kann sich allerdings auch ginnt daher bereits mit einer plausiblen Indikationsstellung die Wahrscheinlichkeit für mögliche Komplikationen erhö- und einer Optimierung der präoperativen Patientenkonditi- hen. Dies bestätigen Ergebnisse einer Kohortenstudie aus on. Risikofaktoren, die zu einer erhöhten Morbidität im Rah- dem größten deutschen Pankreaskarzinomzentrum in Hei- men von Bauchspeicheldrüsenoperationen führen können, delberg [12]. Hier wurden über 19 Jahre Patienten mit Pan- sind vor allem ein reduzierter Allgemein- und Ernährungszu- kreaskopfresektionen nach Schwierigkeitsgrad und Komple- stand und die Anzahl der Komorbiditäten. xität in 4 Gruppen kategorisiert und verglichen. Die Gruppe Entgegen früherer Annahmen spielt das Patientenalter heu- 1 (74,1%) enthielt das größte Patientenvolumen mit unkom- te eine eher untergeordnete Rolle. Japanische Daten nach plizierten Standardresektionen. Hier trat eine Morbidität von Pankreaskopfresektion konnten sogar demonstrieren, dass 41,5% und eine Mortalität von 2,9% auf. In den Gruppen selbst bei Patienten mit 80 Jahren und älter keine erhöhte 2 - 4 (14,4%, 10,5 und 1,0%) wurden alle Patienten mit Ein- Inzidenz für postoperative Komplikationen vorlag. Ebenso griffserweiterung und komplexem Resektionsausmaß zusam- war keine Korrelation zwischen Alter und Gesamtüberleben mengefasst. Dabei zeigte sich ein deutlicher Anstieg der sowie rezidivfreiem Überleben bei Patienten mit Pankreas- Morbidität (40,8 - 59%) und der Mortalität (4,2 - 10,3%). karzinom nachweisbar [11]. Am Klinikum Südstadt Rostock Darüber hinaus wurde eine Verdopplung der Relaparotomie- lag der Anteil an über 70-jährigen Patienten mit Pankreas- rate nachgewiesen. operationen in den letzten 10 Jahren (2010-2020) bei 49,2%, Auch im eigenen Zentrum wurde im Zusammenhang mit bei den über 80-Jährigen bei 8,9%. Auch hier trat in beiden multiviszeralen Resektionen und Gefäßrekonstruktionen ein Gruppen keine erhöhte Morbidität oder Mortalität auf. Anstieg der Morbidität um 14,2% beobachtet. Abb. 3a und b: CT desselben Patienten 14 Monate später ohne zwischenzeitliche Therapie mit progredienter chronisch kalzifizierender Pankreatitis und ausgepräg- tem Schmerzsyndrom sowie neu aufgetretener exokriner Pankreasinsuffizienz Seite 300 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Mindestmengen Die Mindestmengentransparenz-Liste 2021 der AOK weist aktuell 9 Kliniken in Mecklenburg-Vorpommern aus, welche Ist die Involvierung eines Pankreaschirurgen geplant, stellt die Mindestmenge von 10 Pankreasoperationen jährlich er- sich die Frage nach der am besten geeigneten Einrichtung. füllen. Die Fallzahlen aus dem Jahr 2019 reichen von 12 bis Nicht nur Expertise und Zentrumsstruktur, sondern auch per- 80 Resektionen [15]. sönliche Kontakte und Erfahrungen von Arzt und Patient oder die Entfernung zum Wohnort haben auf diese Auswahl Fazit oft einen enormen Einfluss. Um eine möglichst hohe Patien- tensicherheit zu gewährleisten, sollte diese Empfehlung den- Für Patienten mit Pankreaserkrankungen kann die Qualität noch objektiven Kriterien folgen. der Diagnosestellung, die sorgfältige Betreuung und die ope- Nicht ohne Grund richten sich daher zahlreiche öffentliche rative Strategie Prognose bestimmend sein. Aus diesem Debatten in der Lokal- und Fachpresse auf die im Kranken Grunde ist es sinnvoll, vorhandene Strukturen zu nutzen und hausstruktur-Gesetz (§ 136b Abs. 1 Nr. 2 sowie Abs. 3 und 4 Patienten zu ermuntern, in komplexen oder unklaren Situa- SGB V) für komplexe Behandlungen geforderten Mindest- tionen Zweitbegutachtungen einzuholen. Selbst bei ver- mengen. Für die Bauchspeicheldrüsenchirurgie liegt diese meintlich eindeutiger Befundlage sollte nicht davor gescheut derzeit bei jährlich 10 Pankreasresektionen pro Einrichtung. werden, frühzeitig einen Pankreaschirurgen zu involvieren, Die Anforderungen für eine Zertifizierung als Pankreaskarzi- um in enger Kooperation für betroffene Patienten einen op- nomzentrum (DKG) sind deutlich höher. Als Voraussetzung timalen und individuell passenden Behandlungsplan zu erar- müssen jährlich mindestens 25 Pankreaskarzinompatienten beiten. Dazu zählt letztlich auch eine multiprofessionelle interdisziplinär behandelt werden mit einem Minimum von Überwachung, Indikationsstellung und Nachsorge. In Meck- 12 operativen Primärfällen und einer Gesamt-Operationsex- lenburg-Vorpommern sind hierfür inzwischen die zertifizier- pertise von mindestens 20 Pankreasresektionen. ten Pankreaszentren gut erreichbar und in ausreichender Zahl vorhanden. So können die hohen Therapieziele erreicht Hintergrund für diese Regelung ist der nachgewiesene Ein- und unnötige Risiken für Patienten vermieden werden. fluss der Operationszahlen auf das Patienten-Outcome. Im Barmer Krankenhausreports 2020 [13] werden die bekannten Literatur bei den Autoren Ergebnisse verschiedener Studien dargestellt und demonst- Kontakt: rieren die Korrelation zwischen Operationsvolumen, Morta- Dr. med. Sylke Schneider-Koriath lität und Morbidität. Mit steigender Anzahl von Pankreasre- Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie sektionen verringern sich die frühpostoperative Sterblichkeit, Klinikum Südstadt Rostock, Südring 81, 18059 Rostock die Morbidität und die Krankenhausaufenthaltsdauer. Zent- Ltd. Oberärztin Adipositaszentrum ren mit den höchsten Operationsanzahlen (ca. 50 bis 130 Re- Pankreaskarzinomzentrum sektionen) haben in Deutschland die geringste Krankenhaus- Tel.: 0381 4401 - 4321, Fax: 0381 4401 - 4099 sterblichkeit [14]. E-Mail: sylke.schneider-koriath@kliniksued-rostock.de AUSGABE 8/2021 31. JAHRGANG Seite 301
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Irresektables Pankreaskarzinom – aktuelle Möglichkeiten der lokalen Tumorablation M. Birth, D. Busch, S. Hilswicht, S. Nieland, Stralsund Hintergrund bel“. Allerdings wird entsprechend den international konsen- tierten ABC-Kriterien die Resektabilität nicht mehr aus- Das duktale Adenokarzinom des Pankreas weist neben dem schließlich aufgrund der anatomischen (A) Lagebeziehung Mesotheliom die niedrigste Überlebensrate unter allen zwischen Tumor und Gefäßen definiert, sondern auch an- Krebserkrankungen auf und steht in Deutschland mittlerwei- hand biologischer (B) Parameter (Nachweis regionaler le an 4. Stelle der malignombedingten Sterblichkeit (1). In Lymphknoten, CA 19-9 > 500 IU/ml) und dem konditionellen mehr als 80% manifestiert sich zum Diagnosezeitpunkt ein (C) Patientenstatus (ECOG ≥2) (27). schon inkurabler Tumor, welcher unbehandelt nach durch- Mit dem FOLFIRINOX-Regime bzw. der Kombination aus schnittlich 4-6 Monaten zum Tod führt und eine 5-Jahres-ÜLR Gemcitabine und nab-Paclitaxel haben sich 2 Chemotherapie von unter 1 % aufweist. (CTx)-Protokolle als wirksam erwiesen und werden heute so- Neben einer Fernmetastasierung findet sich primär häufig wohl in der palliativen als auch adjuvanten Situation relativ bereits ein lokal fortgeschrittenes und irresektables Pankre- breit eingesetzt (12). askarzinom (locally advanced pancreatic cancer, LAPC), be- Konsequenterweise ist das erste Behandlungsziel auch bei dingt durch das frühe tumoröse Involvement lebensnotwen- Patienten mit primär irresektablen Tumor, durch eine induk- diger Viszeralgefäße. tive CTx eine sekundäre Resektabilität zu erreichen, zugleich Auch beim Lokalrezidiv, welches bei bis zu 50 % der pankre- können nur ca. 10% der LAPC nach FOLFIRINOX-basierter asresezierten Patienten auftritt, ist eine Gefäßbeteiligung Neoadjuvanz kurativ reseziert werden (14,15). sehr häufig resektionslimitierend (2,3). Patienten mit einem borderline-resektablen Pancreaskarzi- Neben der Chemo- und Strahlentherapie sind in den letzten nom (BRPC) haben gegenüber denen mit LAPC definitions- Jahren verschiedene ablative Therapieoptionen zur lokalen gemäß einen prinzipiell resektablen Befund, ihnen sollte Tumorkontrolle und Besserung der Symptome evaluiert wor- leitliniengemäß eine primäre Resektion angeboten werden den. Der Einsatz kann noninvasiv, minimalinvasiv (perkutan, (16). Allerdings ist die Chance einer R0-Resektion erheblich endoskopisch oder laparoskopisch) sowie via Laparotomie eingeschränkt, so daß bei BRPC zunehmend eine „neoadju- erfolgen. Alle Verfahren verfügen über methodenspezifische vante“ CTx empfohlen wird. In einer retrospektiven Studie an Vor- und Nachteile (siehe Tab. 1). 575 Patienten erzielte FOLFIRINOX dabei die höchste (bis 60 %) sekundäre Resektabilitätsrate. Gleichzeitig betrug das Ge- Ein methodisches Defizit aller ist die fehlende Objektivierbar- samtüberleben nach sekundärer Resektion lediglich 15,3 Mo- keit des Ablationserfolges unmittelbar nach Intervention. In- nate (34, 35). sofern kommt bildgebenden Verlaufskontrollen eine entschei- Lokale Ablationsverfahren werden eingesetzt, um den nicht dende Bedeutung für die Bewertung des Therapieerfolges zu. entfernbaren Primärtumor bestenfalls komplett zu devitali- Der vorliegende Übersichtsartikel beschreibt die gebräuch- sieren, aber zumindest das weitere Tumorwachstum aufzu- lichsten Ablationsverfahren unter besonderem Fokus der ir- halten, damit tumorassoziierte Komplikationen zu vermei- reversiblen Elektroporation. den bzw. zu verzögern und möglichst Symptome zu lindern. Unabhängig von der Wahl des Verfahrens sollten sie in eine Kriterien der Resektabilität und Vorgehen (palliative) CTx eingebettet werden. Auch die Kombination bei lokaler Irresektabilität verschiedener lokaler Therapieoptionen erscheint sinnvoll. Neben ihrer eigentlichen tumordestruktiven Wirkung wird Grundsätzlich bietet derzeit nur die radikale Tumorentfer- immer wieder über potentiell vorteilhafte Immunstimulatio- nung eine potentielle Chance auf Kuration bzw. Langzeit- nen durch lokale Ablationstechniken berichtet, insbesondere überleben, wobei dies letztlich nur bei max. 20 - 30 % der bei der RFA, mehr noch bei der IRE (44-47). resezierten Patienten erreicht wird (13). Verschiedene Klassifikationen unterscheiden zunächst auf Irreversible Elektroporation (IRE) Basis arterieller und portalvenöser Gefäßinfiltration zwi- Die IRE stellt ein elektrisches, nicht thermisches Verfahren schen „resektabel“, „borderline resektabel“ und „irresekta- dar, welches unter dem Namen NanoKnife® durch die Firma Seite 302 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Tab. 1: Vor- und Nachteile lokal ablativer Verfahren Verfahren Vorteile Nachteile IRE - kein thermisches Verfahren: auch in - Tumorgröße begrenzt (4 – 5 cm max.) unmittelbarer Nähe thermosensibler - Kontraindikationen:Herzrhythmusstörungen, Nachbarstrukturen anwendbar, Metallstents im Behandlungsareal kein „heat-sink-Effekt“ - technisches Vorgehen (Protokoll) nicht ausreichend - wiederholbar standardisiert - gut mit Resektion kombinierbar (Be- - deutliche Lernkurve handlung der Schnittränder) - diagnostischer Aspekt bei offener Anwendung - Immunstimmulation möglich ECT - kein thermisches Verfahren: auch in - (relative) Kontraindikationen: unmittelbarer Nähe thermosensibler Herzrhythmusstörungen, Metallstents im Behandlungsareal Nachbarstrukturen anwendbar, - derzeit kaum Daten verfügbar kein „heat-sink-Effekt“ - potentielle Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten auf - wiederholbar Bleomycin - diagnostischer Aspekt bei offener Anwendung RFA - relativ breit verfügbar - thermisches Verfahren: nicht einsetzbar nahe thermosen- - diagnostischer Aspekt bei offener/ sibler Nachbarstrukturen, „heat-sink“-Effekt laparoskopischer Anwendung - Nadelpositionierung anspruchsvoll und eingeschränkt - Immunstimulation möglich bei Schirmdesign MWA - schneller/effektiver als RFA - thermisches Verfahren: nicht einsetzbar nahe thermosen- - diagnostischer Aspekt bei offener/ sibler Nachbarstrukturen laparoskpischer Anwendung - „heat-sink“-Effekt - schlechter vorhersagbare Ablationszone HIFU - percutan anwendbar (nichtinvasiv) - thermisches Verfahren mit potenziellen Nachteilen/ - wiederholbar Komplikationen - effektive Schmerzlinderung - lange Behandlungsdauer (bis zu 4 h) je nach Tumorgröße - sonographische Zugänglichkeit („US-Fenster“) erforderlich (eingeschränkt bei Luftüberlagerungen), deshalb Darm- vorbereitung notwendig/sinnvoll - fehlender diagnostischer Aspekt Kryo- - Tumorablationsareal (Eisball) gut - relativ invasiv (großer Nadeldurchmesser) therapie visualisierbar - zeitaufwändig - anästhesiologische Wirkung durch - wenig verfügbar Kälte - potenziell Kryoschock-Syndrom PDT - kein thermisches Verfahren: auch in - intravenöse Applikation eines Photosensitizers erforderlich unmittelbarer Nähe thermosensibler → transiente Lichtempfindlichkeit der Haut Nachbarstrukturen anwendbar, kein - Datenlage fürs Pankreaskarzinom begrenzt „heat-sink-Effekt“ - wiederholbar SBRT - nichtinvasiv (außer, wenn Implantati- - mehrfache Behandlung erforderlich on von Bestrahlungsmarkern erforder- - Bestrahlungsprotokolle nicht einheitlich lich) - potenzielle (auch Langzeit-) Strahlentoxizität - ambulante Behandlung möglich - stark eingeschränkte bis fehlende Wiederholbarkeit - fehlender diagnostischer Aspekt AUSGABE 8/2021 31. JAHRGANG Seite 303
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG AngioDynamics seit 2006 eine-FDA-Zulassung zur Ablation sche Zugänglichkeit über die Bursa omentalis bzw. die Me- von Weichgewebe besitzt. senterialwurzel. Die Platzierung der Sonden muss zudem Dazu werden zunächst in das zu behandelnde Gewebe Na- verschiedene Vorgaben für eine wirksame Energieeinbrin- delelektroden eingebracht. Zwischen diesen erzeugt ein gung berücksichtigen. Irreguläre Tumorkonfiguration, atypi- computergesteuerter Generator kurzgepulste, starke elekt- sche Gefäßverläufe, signifikantes Involvement der Viszeral- rische Ströme und damit Änderungen des zellulären Trans- gefäße und/oder der Aorta, Verschlüsse der mesenterico- membran-Potentials. Folgen sind nanometer-große Poren in portalen Venenachse mit z. T. extrem ausgeprägten, venösen den Phospho-Dilipidschichten der Zellmembran, eine konse- Kollateralen sowie eine durch individuelle Patientenfaktoren kutive Erhöhung der Zellmembran-Permeabilität und ein limitierte Zugänglichkeit stellen die häufigsten Imponderabi- Verlust der Homöostase. Ab einer gewissen Schädigung der lien für eine optimale Elektrodenapplikation dar. Dabei ist Zellmembran sind Zellen nicht mehr lebensfähig und sterben schon bei der Punktionsplanung die erforderliche, energeti- durch Apoptose (5,6). sche Komplettabdeckung des Tumors zu gewährleisten, wo- Da keine thermischen Gewebsnekrosen zu erwarten sind, für die Anzahl der verwendeten Sonden (2 – 6) als auch die kann das Verfahren auch zur lokalen Behandlung in unmit- aktive Elektrodenlänge (10, 15 oder 20mm) sehr relevant telbarer Nähe von Gefäßen eingesetzt werden, was es gera- sind. Aufgrund der entscheidenden Bedeutung für Behand- de für das LAPC attraktiv macht. Dadurch erscheint der Spa- lungsergebnisse und insbesondere Komplikationsraten soll- gat zwischen kompletter perivaskulärer Tumordevitalisie- ten für entsprechende Anwender sonographische Qualifika- rung und gleichzeitiger Vermeidung einer Gefäßverletzung/ tionsvoraussetzungen, wie z.B. DEGUM-Stufe II, diskutiert Thrombosierung möglich. Das Einbringen geeigneter Ener- werden. giemengen in das gesamte Tumorvolumen ist der Schlüssel Erste Berichte zum IRE-Einsatz haben durchaus hoffnungsvol- für eine effektive Ablation auf der einen Seite, zugleich für le aber auch widersprüchliche Ergebnisse gezeigt. Patien- eine Vermeidung von Komplikationen auf der anderen. Die tenselektion und periprozedurales Vorgehen waren dabei exakte Applikation der einzelnen Elektroden ist aus mehre- z. T. sehr different (7-11) (Tabelle 2). ren Gründen sehr anspruchsvoll. Sie setzt zunächst eine ge- naue Darstellung der Tumorgrenzen im hochauflösenden 2014 wurde am HELIOS-Hanseklinikum Stralsund deutsch- intraoperativen Ultraschall voraus, welche häufig erschwert landweit erstmals eine IRE beim fortgeschrittenen Pankreas- wird durch sonomorphologische Veränderungen des Tumor- karzinom durchgeführt. Nach einer ersten Phase der Lern- gewebes nach CTx, Voroperationen mit veränderter Anato- kurve wurde ab Januar 2015 ein standardisiertes Vorgehen mie (z.B. nach Bypass-Op`s) und Artefakten durch einge- etabliert (Abb. 1) und die Daten aller Patienten prospektiv brachte Metallclips sowie eine eingeschränkte sonographi- erhoben. Mittlerweile verfügt die Klinik nach über 251 offe- Tab. 2: publizierte Studien (Auswahl) zur IRE beim LAPC Autor/Jahr Patienten (n) Zugang Morbidität Mortalität Mediane ÜLR Scheffer (2014) 25 percutan (CT) 40% 0 17 Mon (ab ED) 11 Mon (ab IRE) Belfiore (2017) 29 percutan (CT) nicht berichtet nicht berich- 14 Mon (ab ED) tet Leen (2018) 75 percutan (CT) 25% 0 27 Mon (ab IRE) Mansson (2016) 24 percutan (US) 64% 0 17 Mon (ab ED) 7 Mon (ab IRE) Kluger (2016) 50 (davon 24 mit IRE offen (US) 30-Tage: 24% (nur IRE) 90 Tage: 11% 12 Mon (beide Grup- + OP/Resektion !) 25 % (IRE + Resektion) pen gemeinsam) Martin (2015) nur IRE: 150 offen (US) IRE: 36% IRE: 2% IRE: 23,2 Mon (ab Resektion +IRE: 50 Resektion+ IRE: 40% IRE + Res: 0 ED) IRE + Res: 28,3 Mon Yan (2016) 25 offen (US) 36 % 90 Tage: 4% nicht berichtet Birth (2021) 217 offen (US) 23,9 % 0,9 % 26,1 Mon (ab ED) Seite 304 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG einsatz (lediglich 2 Elektroden bei bis 6 cm Tumorgröße) nicht einge- halten, eine vollständige Devitali- sierung des Tumors ist dann unrea- listisch (29). Ungeklärt ist derzeit auch, inwieweit ein offenes oder percutanes Vorgehen die Ergebnis- se beeinflusst. Eine multizentrische Studie zur offenen IRE bei LAPC summiert 150 Patienten mit IRE ohne Resektion zur lokalen Tumor- kontrolle und 50 Patienten mit Re- sektion sowie additiver intraopera- tiver IRE zur „Akzentuierung“ der Resektionsgrenzen (Margin-Accen- tuation). Die mittlere Gesamtüber- lebensdauer lag in der Resektions- gruppe + IRE bei 28,3 Monaten (9,2-85 Monate) und bei 23,2 Mo- naten (4,9 – 76,1 Monate) in der Gruppe „IRE ohne Resektion“ (18). Abb. 1 Die Sicherheit der offenen IRE ist insgesamt hoch, wenn potenzielle methodenbedingte Risiken schon nen Nanoknife-Behandlungen des LAPC bzw. des Lokalrezi- bei der Indikationsstellung und der Durchführung berück- divs weltweit mit über die größten Erfahrungen mit der of- sichtigt werden. Die applizierten elektrischen Felder mit fenen IRE. Die mediane ÜLR nach Erstdiagnose beträgt im Spannungen bis 1500 Volt/cm und Stromflüssen bis über 40 eigenen IRE-Klientel (ausgewertet 217 Patienten) bei primä- Ampere können kardiale Arrhythmien hervorrufen. Dieses rem LAPC 26,1 Monate, beim Lokalrezidiv 35,3 Monate. Da- Risiko wird durch eine EKG-Synchronisierung der Stromabga- rüber hinaus zeigt sich über die Zeit eine deutliche Lernkur- be drastisch reduziert (19). Das Vorhofflimmern stellt auf- ve, die auch in einem tendenziell verbesserten Überleben grund der beeinträchtigten EKG-Triggerung nach Hersteller- resultiert. Insgesamt traten 71 Komplikationen bei 52 Patien- angabe eine Kontraindikation dar. ten auf (23,9 %), darunter: interventionspflichtige Blutun- gen (alle aus den ersten 2 Jahren bei jeweils tumorbedingter Duodenalinfiltration): 5 (2,3%), intraabdominelle Blutung/ Hämatomausräumung: 1 (0,5%), Pankreatitis: 4 (1,8 %), da- von mit Notwendigkeit der Re-Op: 1 (0,5%), Pankreasfistel Grad A: 8 (3,6%), Cholestase mit Notwendigkeit der ERC/ Stentwechsel: 3 (1,4%), Dünndarmleckage mit Peritonitis: 1 (0,5%), prolongierte Magenentleerungsstörung/Übelkeit/ Erbrechen: 15 (6,9%), intraabdomineller Sekretverhalt mit CT-gestützter Punktion: 1 (0,5%), (partielle) Thrombose der V.portae/VMS ohne Konsequenz: 7 (3,2%), prolongierte Schmerzen: 12 (5,5 %). Vorliegende Publikationen überblicken zumeist nur kleine Patientenkollektive und sind bei einer breiten Varianz bezüg- lich Indikationsstellung, methodischer Durchführung und Expertise der Zentren letztlich schwer vergleichbar. Entspre- chend variieren die Ergebnisse sowohl der Überlebens- als auch Komplikationsraten deutlich (siehe Tab. 2). Teilweise wurden allerdings die Empfehlungen hinsichtlich Tumorgrö- ße (Behandlung auch von Tumoren > 5 cm) und Elektroden- AUSGABE 8/2021 31. JAHRGANG Seite 305
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Für Tumoren mit einer unmittelbaren Nähe zum Gallengang cherheitsabstandes zwischen Elektroden (RFA, MWA) und ist eine präoperative biliäre Passagesicherung mittels Plastik- „Risikostrukturen“ empfohlen, was schon aufgrund der Stent dringend empfehlenswert, da die post-IRE bedingte schwer kalkulierbaren Wärmeausbreitung unsicher ist. Im Schwellung eine Abflußbehinderung verursachen kann (20). Gegenzug bewirkt der Blutfluss in den Gefäßen einen Wär- Einliegende Metallstents werden, wie auch sonstige metalli- meabtransport („heat-sink-effekt“), was zum Verbleib vita- sche Fremdkörper im Ablationsgebiet, vom Hersteller als ab- ler Tumorzellen in unmittelbarer Gefäßumgebung führen solute Kontraindikation aufgeführt. kann (36,37). Als bisher im Schrifttum nicht beschriebene IRE-Kontraindi- kation hat sich im eigenen Patientengut die transmurale Tu- Radiofrequenzablation (RFA) morbeteiligung des Duodenums erwiesen. 2 Patienten aus Bei der Radiofrequenzablation verursacht ein Generator der Anfangszeit mit ausgedehnter Duodenalinfiltration wie- hochfrequenten Wechselstrom, der regelhaft zwischen mo- sen nach IRE breite Wanddestruktionen mit einer großen, nopolarer Gewebe-Elektrode und kutaner Neutralelektrode dem Ablationsareal zuzuordnenden Nekrosehöhle auf, in fließt. Dabei verdichten sich die Stromlinien in der unmittel- einem Fall resultierte zusätzlich eine Arrosionsblutung, die baren Umgebung der Nadelelektrode so stark, dass Wärme ein angiographisches coiling erforderte. produziert wird. Strom und damit auch die Thermonekrose breiten sich zentripedal von der Sonde aus, die offen chirur- Elektrochemotherapie (ECT) gisch, in ausgesuchten Fällen auch transkutan oder laparos- Die ECT repräsentiert ein weiteres nicht thermisches Verfah- kopisch, appliziert wird. Perkutane Ablationen können theo- ren, welches die reversible Elektroporation nutzt und in Ana- retisch in örtlicher Betäubung und Sedierung durchgeführt logie zur IRE durchgeführt wird. Durch geringere Stromim- werden. Sondenkonfiguration (verschieden, zumeist im pulse wird das Gewebe zwar nicht irreversibel geschädigt, Schirmdesign), Stromstärke und Zeit der Anwendung haben aber reversible Öffnungen (Poren) in der Zellmembran indu- den stärksten Einfluss auf die Größe der Nekrosezone. Zum ziert, über die große und komplexe Molekülstrukturen in die Teil wird durch gleichzeitige Flüssigkeitsinjektion in das Ge- Zelle geschleust werden, insbesondere sonst schlecht perme- webe versucht, die Karbonisation an den Elektroden zu mi- able Chemotherapeutika, wie Bleomycin. Die reversible Elek- nimieren und die Effektivität der RFA zu erhöhen. troporation wirkt quasi als „trojanisches Pferd“ und ist eine Die derzeit umfangreichste Erfahrung besitzt offensichtlich in der Molekularbiologie seit Jahrzehnten häufig verwende- die Arbeitsgruppe aus Verona um Roberto Girelli. Sie berich- te Methode. ten über ermutigende mediane Überlebensraten nach „neo- Die erhöhte Permeabilität steigerte die Effektivität des Bleo- adjuvanter“ Chemotherapie + RFA von 25,6 Monaten bzw. mycins in in-vitro-Experimenten mit CAPAN-2-Tumorzellrei- sogar 34,0 Monaten, allerdings in Kombination mit Radio- hen (humane Adenokarzinomzellen des Pankreas) um das bis chemotherapie und intraarterieller CTx (40, 41). zu 700-fache (31,71). Die vorliegenden klinischen Erfahrun- Erwartungsgemäß sind die meisten Komplikationen (0 bis 28 gen sind derzeit noch sehr überschaubar, Durchführbarkeit %) auf eine unkontrollierte Wärmeausbreitung im umgeben- und Sicherheit wurden an kleinen Patientengruppen gezeigt den Gewebe zurückzuführen und umfassen v. a. Blutungen, (31-33). Pankreasfisteln, thermische Verletzungen von Gallengang Am Hanseklinikum Stralsund wurde 2020 die ECT erstmals bzw. Duodenum sowie venöse Thrombosen. Publizierte Mor- auch mit der IRE kombiniert, um eine Effektivitätssteigerung talitätsraten variieren zwischen 0 und 3 %. Einliegende Me- in der lokalen Tumorkontrolle zu erzielen. In den wenigen tallstents werden ähnlich wie bei der IRE als absolute Kont- bisher durchgeführten Fällen kam es zu keinen Komplikatio- raindikation angesehen (42,43). nen, die onkologischen Ergebnisse bleiben abzuwarten. Mikrowellenablation (MWA) Hypertherme Tumorablationsverfahren Mikrowellen führen über eine Ausrichtung von Wassermo- lekülen, die mit Reibung und erheblicher Wärmeerzeugung Verschiedene hypertherme lokal ablative Verfahren haben einhergeht, zu Koagulationsnekrosen. Bedingt durch die sich in den letzten beiden Dekaden v. a. an der Leber, aber physikalischen Eigenschaften der elektromagnetischen Wel- auch anderen Organen, breit etabliert. Sie wirken über eine len ist die Hitzegenerierung im Vergleich zur RFA prinzipiell temperaturinduzierte Eiweißdenaturierung und konsekutive zeitlich schneller und in größeren Gewebevolumina mög- Bildung von Koagulationsnekrosen. lich. Limitationen aller hyperthermen Verfahren am Pankreas er- Dabei sind die Aussagen zur klinischen Effektivität und Vor- geben sich durch die potentielle Schädigung thermosensiti- hersagbarkeit der Ablationszone durchaus unterschiedlich. ver Nachbarstrukturen wie Darm, Gallengang aber insbeson- Die meisten Vergleichsstudien hyperthermer Ablationsver- dere auch Gefäßwand. Insofern wird das Einhalten eines Si- fahren beziehen sich auf den Einsatz beim HCC in Zirrhose, Seite 306 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG einer hinsichtlich der Gewebeverhältnisse eingeschränkt vergleichbaren Situation bzw. auf Lebermetastasen unter- schiedlicher Primärtumore. In Summe schlägt sich die etwas höhere Effizienz der MWA erst bei größeren Tumorvolumi- na auch in (begrenzt) besseren therapeutischen Ergebnis- sen nieder (48-50). Für die MWA beim LAPC existieren derzeit nur begrenzte Daten an kleinen Patientenkollektiven. In der bisher umfang- reichsten Fallserie von Vogl und Mitarbeitern mit 20 perku- tan abladierten LAPC werden lediglich minor-Komplikatio- nen (9,1%) beschrieben, aussagekräftige Angaben zum on- kologischen Outcome finden sich nicht (51). Carrafiello et al. berichten bei 10 Patienten (5 perkutan, 5 per Laparotomie) über eine 1-JÜLR von 80% (52). Die Gruppe um Lygidakis nutzte einen offen-chirurgischen Zugang bei 15 Patienten mit LAPC. Trotz der erheblichen Tumorgröße (bis 8 cm, Mit- telwert: 6 cm) und der zusätzlichen Anlage eines palliativen Doppelbypasses bei 6 Patienten wurden keine major-Kompli- kationen berichtet, lediglich milde Pankreatitiden (2), asym- ptomatische Hyperamylasämien (2) sowie jeweils eine Pank- reasfistel und minor Blutung. Bei allen Patienten wurde aller- dings nur eine partielle Tumornekrose erzielt, das längste Überleben betrug 22 Monate (53). Hoch-intensiver fokussierter Ultraschall (HIFU) Der Einsatz hochenergetischer fokussierter Ultraschallwellen zur präzisen thermischen Gewebedestruktion gilt auf Grund ihrer transkutanen Anwendung als nichtinvasive Methode. Als Ultraschallquellen werden meist sphärische Ultraschall- wandler mit festem Fokus bzw. mit akustischen Vorsatzlinsen verwendet. In Deutschland hat sich v. a. die Bonner radiologische Ar- beitsgruppe um Strunk und Marinova Verdienste bei der Eva- luierung dieser Methode erworben. Schwerpunkt der An- wendung war eine effektive und im Verlauf anhaltende Schmerzlinderung, die bei ca. 85% der Patienten erreicht wurde (43). Konsequenterweise wurde die HIFU bei LAPC im UICC-Stadium III sowie IV (metastasiert) angewandt (insge- samt 89 Patienten). Eine Tumorschrumpfung trat im zeitli- chen Verlauf ab der dritten Woche auf und lag bei 52 %± 20% und 58%± 26% jeweils nach 3 und 6 Monaten, unab- hängig vom Stadium der Erkrankung. Nach einer medianen Zeit von 14,4 Monaten wurde bei ca. 20% der behandelten Patienten ein Tumorwachstum in der Peripherie der zuvor behandelten Tumorregionen beobachtet, mehr als 60% die- ser Patienten konnten erfolgreich einer zweiten HIFU-Be- handlung unterzogen werden. Das mediane Gesamtüberle- ben betrug 16,2 Monate ab Erstdiagnose und 8,3 Monate ab HIFU-Intervention. Patienten mit UICC-III-Erkrankung (ca. 40%) hatten mit 25,6 Monaten ein längeres medianes Ge- samtüberleben als die mit UICC-IV-Erkrankung (ca. 60%; 15,5 Monate) (43, 54). AUSGABE 8/2021 31. JAHRGANG Seite 307
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Auch zahlreiche, vorwiegend retrospektive Fallserien aus der Effekte ist geeignet, den Tumor zu zerstören. Als be- dem ostasiatischen Raum dokumentieren die Wirksamkeit kannte Nebenwirkung tritt dabei eine transiente Lichtemp- der HIFU bei einer überschaubaren Nebenwirkungsrate (56- findlichkeit der Haut auf, die bis zu mehreren Wochen an- 58). Nicht zuletzt konnte auch für die HIFU gezeigt werden, dauern kann (63). dass die Kombination mit anderen therapeutischen Modali- Obwohl die ersten klinischen Einsätze beim Pankreaskarzi- täten verbesserte Überlebensraten erzielt (59). nom über 30 Jahre zurückliegen und eine umfangreiche Grundlagenforschung zu verschiedenen Photosensitizern Kryotherapie (KT) und Laserquellen existiert, sind sowohl die praktisch-klini- Die Kryoablation nutzt die kombinierte gewebedestruieren- schen Fortschritte wie verfügbaren onkologischen Langzeit- de Wirkung von rascher intrazellulärer Eiskristallbildung mit daten mit der PDT beim LAPC überschaubar (65). Eine aktu- direktem Zellschaden sowie extrazellulärer Vereisung mit ellere Phase 1-Studie untersuchte die endoskopiegestützte dadurch verursachten Osmolalitäts-Änderung, Flüssigkeits- PDT bei 12 Patienten. Letztlich konnten nur partielle Tumor- shift von intra- nach extrazellulär, Zelldehydrierung und Zell- nekrosen erzielt werden, die GÜLR betrug 11,5 Monate (64). tod. Zusätzlich bedingt die kälteinduzierte Eisbildung im Ge- Derzeit läuft eine multizentrische Phase-II-Studie unter Lei- fäßendothel eine irreversible Schädigung der Mikrogefäße tung der Mayo-Klinik zur EUS-gesteuerten Verteporfin-PDT mit Thrombosierung und konsekutiver Ischämie, welche bei soliden Pankreastumoren (VERTPAC-02). durch den Flüssigkeitsaustritt in das umgebene Gewebe und nachfolgender Schwellung weiter verstärkt wird. Nachteilig Stereotaktische Strahlentherapie sind die geringe Zeiteffektivität der KT und die Freisetzung Die Bedeutung der konventionellen Strahlentherapie bei von Zellbestandteilen in die Blutzirkulation mit potentiellen der Behandlung des LAPC wird bis heute kontrovers disku- systemischen Komplikationen („crush Niere“ und „Kryo- tiert (67). Bei der stereotaktischen Bestrahlung (stereotactic schock“), vorteilhaft die exzellente Visualisierung des Eisballs body radiotherapy, STBR) werden die Strahlen aus verschie- in der Bildgebung und der anästhesiologische Effekt von Käl- denen Einstrahlwinkeln abgegeben. Auf das gesunde Ge- te (60,43). webe entlang der Einstrahlbahnen trifft nur eine geringe Der Einsatz beim Pankreaskarzinom erfolgte aber bisher nur Strahlendosis, sodass der Tumor selbst mit hohen tumorizi- sehr begrenzt, entsprechend sind wenige Daten verfügbar. den Energiedosen in wenigen, zumeist ambulanten Sitzun- Li berichtet über 142 Patienten mit palliativem Doppelbypass gen behandelt werden kann. Die Bestrahlung ist dadurch bei denen 68 zusätzlich eine KT des Pankreaskarzinoms er- sehr präzise, vergleichbar einem chirurgischen Eingriff, wes- hielten. Die Überlebensraten waren in beiden Gruppen ver- halb diese Form der Bestrahlung auch als Radiochirurgie gleichbar, wie auch die Komplikationsraten mit Ausnahme bezeichnet wird. Um Präzision und Schonung des umliegen- einer erhöhten Rate an Magenentleerungsstörungen (36,8 den Gewebes zu verbessern, sollten spontane Lageverände- vs. 16,2 %) (61). Lou beschreibt aufgrund eigener Erfahrun- rungen und insbesondere die Atemverschieblichkeit, die gen und eines systematischen Literaturreviews die KT als si- beim Pankreas bis zu 3 cm betragen kann, ausgeglichen cher, empfiehlt zugleich zur Steigerung der Effizienz aber werden. Das Cyberknife-System, eine spezielle Form der eine Kombination mit weiteren Tumortherapien (62). STBR, kombiniert dazu drei innovative Entwicklungen der Medizintechnik: Präzisionsrobotik, Bildortungssystem und Photodynamische Therapie (PDT) Atemkompensation. (68). Die PDT nutzt das Prinzip der semi-selektiven, lichtinduzier- Der Stellenwert der STBR ist in zahlreichen, zum Teil hoch- ten Gewebedestruktion unter Erhalt der anatomischen und wertigen Studien untersucht worden und in Übersichtsar- physiologischen Integrität. Dazu wird eine lichtaktivierbare beiten hinsichtlich vieler Teilaspekte umfangreich beschrie- Substanz (Photosensitizer) in den Blutstrom injiziert, welche, ben (69). Ein systematisches Review von Petrelli und Kolle- bedingt durch seine rezeptorspezifischen Eigenschaften und gen summiert 19 Studien mit 1009 Patienten. Dabei findet die tumorspezifische Morphologie, vornehmlich in Tumorge- sich ein gepooltes medianes Überleben von 17 Monaten, webe akkumuliert und durch Laserlicht einer bestimmten eine 1-JÜLR von 72,3% bei akuten Grad 3-4-Strahlentoxizi- Wellenlänge aktiviert wird. Hierfür müssen spezielle Lichtlei- täten von bis 28,4% und Spättoxizitäten bis 11%. Die Kom- ter unter bildgebender Führung in den Pankreastumor ein- plikationen reichen von allgemeinen Beschwerden wie Fa- gebracht werden. Die ausgelöste Interaktion produziert re- tique, Übelkeit und Schmerzen bis hin zu strahlenbedingten aktive Sauerstoffspezies (sogenannten Singulettsauerstoff), Ulzerationen, Strikturen, Gastritiden, Enteritiden und Blu- welche insbesondere Zellmembranen durch Photooxidation tungen (69,70). irreversibel schädigt. Neben den zellulären Schäden resultiert Im Sinne einer Versorgungsforschung dokumentiert eine in- ein Zusammenbruch der Tumorvaskularisation bereits weni- teressante retrospektive US-landesweite Umfrage den Ein- ge Minuten nach Lichteinwirkung. Das Zusammenwirken bei- fluss der verschiedenen Formen der Radiotherapie (RT) auf Seite 308 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG das Überleben von Pa-Ca-Patienten im Zeitraum 2004-2012. ne. Zudem kann sie in Kombination mit einer chirurgi- 14.331 Patienten aus der „National Cancer Data Base“ mit schen Resektion möglicherweise zu einer erhöhten R- nichtmetastasierten LAPC wurden in 4 Behandlungsgruppen 0-Resektabilitätsrate beitragen (margin-clearance). unterteilt: CTx allein (5464 Patienten, 38.1%), CTx in Kombi- nation mit konventioneller RT (6418, 44.8%), CTx mit inten- ■ Die HIFU ist eine non-invasive Option, insbesondere zur sitätsmodulierter RT = IMRT (322, 2.3%), und CTx in Kombi- Schmerzlinderung. nation mit STBR (2127, 14.8%). Das „unbereinigte“ Überle- ben betrug in den Gruppen 9,9, 10,9, 12,0 und 13,9 Monate. ■ Die Komplexität der Verfahren setzt spezielle Kompeten- In einer separaten matched-pair-Analyse war die STBR der zen und erfahrene multidisziplinäre Teams voraus, bei of- alleinigen CTx als auch der Kombination CTx/konventionelle fenem/laparoskopischen Einsatz insbesondere eine hohe RT überlegen (log-rank p
JUNGE ÄRZTE Medizinische Versorgung muss ohne Müll gehen! Ein Mundschutz ist schon lange absoluter Standard in der und Modeketten bie- medizinischen Ausstattung und inzwischen weiß wirklich ten entsprechend zer- jeder, mit was für Materialen wir uns in den Gesundheitsbe- tifizierte Textilien für rufen umgeben. Doch wenn nur ein Gummi reißt, haben wir den breiten Markt an. nur noch eine unbrauchbare, nicht zu trennende Mischung Die Initiative „Cradle aus Kunststoffen, Klebstoffen, Färbemitteln und vielem to Cradle NGO“ hat sich zum Ziel gesetzt, über die Prinzipi- mehr in der Hand – kurz: Müll. Sechs kg davon erzeugt ein en zu informieren und zu vernetzen. Sie haben ihre Ge- Krankenhauspatient durchschnittlich pro Tag (1). 50.000 schäftsstelle vom Fenster bis zum Polsterbezug komplett Kilo medizinische Implantate und chirurgische Einweginst- mit wiederverwendbaren oder abbaubaren Materialien rumente landen jährlich im Müll (2) und die jährlichen Ab- kernsaniert. Von ihrem Ziel eines abfallfreien Lebens wurde fallkosten pro Krankenhausbett belaufen sich auf 800 E (3), zuletzt im Spiegel Leitartikel berichtet (4). so das Onlinemagazin „Abfallmanager Medizin“. In der Re- gel kann kein Mensch mehr sagen, was in der Herstellung Die Medizin muss diesen Prozess mitgehen! Es braucht viel- dieser Produkte alles eingesetzt wurde. Häufig handelt es fältige Lösungen, wie kluge Gebäude, eine konsequente sich um Einwegprodukte. Selbst wenn man versucht die Res- Nutzung von sterilisierbaren Instrumenten, Mehrwegverpa- sourcen gut einzuteilen, bleibt: viele Inhaltsstoffe sind ge- ckungen, aber auch neue Lösungen, wie vollständig biolo- sundheitsschädlich und die Entstehung von Müll ist derzeit gisch abbaubaren Pharmazeutika, die sich so nicht mehr in unvermeidlich. Die eingesetzten Rohstoffe sind für eine Gewässern anreichern können (5,6). Die Fragen der Kosten weitere Verwendung verloren. Vielen Kolleginnen und Kol- und der Hygiene mögen eine Anwendung in der Breite ak- legen fallen Beispiele aus ihrem Alltag ein, in denen über- tuell noch erschweren. Doch in Zeiten zunehmender Mate- mäßig und sinnlos nutzloser Müll entsteht. Doch warum tun rialknappheit wird, verstärkt durch einen zunehmenden wir uns und unseren Patientinnen und Patienten das schon gesellschaftlichen Willen, die Wirtschaftlichkeit gesunder so lange an? Wir haben ein ernsthaftes Müllproblem. Wir und wiederverwendbarer Materialien steigen. Die Anpas- stellen Produkte her - nutzen sie - und verbrennen sie oder sungen im Gesundheitswesen müssen jetzt und mit jedem werfen sie auf Deponien. Das verschärft eine Rohstoff- Einzelnen beginnen. knappheit, welche für sich neue Probleme erzeugen wird. Literatur beim Autor: Doch wie lassen sich Rohstoffkreisläufe schließen? Die Lö- Lukas Steigmiller für die Jungen Ärzte sung liegt in einem Produktdesign, welches eine 100%-ige Assistenzarzt in Rostock Wiederverwertung möglich macht und Kreisläufe der Wie- derverwertung klein hält. Diese Kreislaufwirtschaft wurde zuletzt Teil des von der EU vorgegebenen „Green Deal“ mit dem im März 2020 vorgestellten „Circular Economy Action Plan“ und setzt auf für Mensch und Natur gesunde Materi- alien in der Herstellung. Es gibt biologisch abbaubare Gum- miteile, Textilien, Farbstoffe und vieles mehr. Was nicht im biologischen Kreislauf wiederverwertet werden kann, wie Metalle oder Kunststoffe, muss so verarbeitet werden, dass es sich von anderen Werkstoffen trennen lässt und 1:1 wie- derverwendet werden kann. Das Prinzip Cradle to Cradle, sprich von der Wiege zur Wiege (statt wie bisher zur Bah- re), verbindet Kreislauffähigkeit mit gesunden Materialien, dem Einsatz erneuerbarer Energien, einem verantwortungs- vollen Umgang mit Wasser sowie sozialer Gerechtigkeit. Große Bauprojekte wurden nach diesen Kriterien realisiert, wie beispielsweise das Rathaus im niederländischen Venlo Seite 310 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
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