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Fr. 7.– / Euro 7.– Feb./März 2021 Restitution — eine Chance für Nord und Süd afrika-bulletin Nummer 181
Editorial Schon in den 1970er und 1980er Jahren forderten ehe- mals kolonisierte Länder die Rückgabe von Sammlungs- objekten, doch in den letzten drei Jahren hat diese Dis- kussion so richtig Fahrt aufgenommen – Zeit, das The- ma im Afrika-Bulletin aufzugreifen. Gast-Editor Samuel Bachmann hat spannende Beiträge zusammengestellt, die aus einer praktischen Perspektive die Erfahrungen, Chancen und Herausforderungen von Restitution disku- tieren, und führt gleich selber in das Thema ein. Die Rück- gabe, das zeigt sich bei allen Beiträgen, ist dringlich. Obwohl in europäischen Museen grosse Afrika Sammlun- gen lagern (oft grösser als jene in Museen auf dem afrika- 2 Samuel Bachmann Veit Arlt ist Geschäftsführer nischen Kontinent selbst), wird nur mit einem kleinen Teil ist Kurator am Bernischen des Zentrums für Afrikastudien. davon gearbeitet. Nur durch den Zugang von descendant Historischen Museum. (Bild: Derek Li Wan Po 2017). Kontakt: veit.arlt@unibas.ch. communities zu den Objekten und über Zusammenarbeit in Forschung und Vermittlung können neue Beziehungen entstehen. Franziska Jenni berichtet von ihren Erfahrungen in einem Basler Museumsdepot und von den Fragen und Widersprüchen, denen eine Kuratorin einer ethnografi- schen Afrika-Sammlung in ihrem Alltag und im Umgang mit den Objekten begegnet. Es ist ein persönlicher Zu- gang einer Expertin, die sich mit den Ambivalenzen der alltäglichen Auseinandersetzung mit kolonialen Vergan- genheiten zu arrangieren versucht und dabei auf das fas- zinierende, erzählerische Potential der Objekte verweist. Tuuda Haitula und Jeremy Silvester von der Museum Impressum Association of Namibia reflektieren die Restitution nami- bischen Kulturerbes aus der Sicht einer Organisation, die sich für den Auf- und Ausbau der kulturellen Infrastruk- Ausgabe 181 | Februar/März 2021 tur auf regionaler und lokaler Ebene einsetzt. In dieser ISSN 1661-5603 Funktion haben sie Rückgaben und die politische De- Das «Afrika-Bulletin» erscheint vierteljährlich im 46. Jahrgang. batte in Namibia eng begleitet. Sie zeigen auf eindrück- Herausgeber: Afrika-Komitee, Basel, und Zentrum für Afrikastudien Basel. liche Weise, welche Bedeutung zurückgekehrtes Kultur- Redaktionskommission: Veit Arlt, Susy Greuter, Elísio Macamo, erbe vor Ort einnehmen kann und dass das, was in eu- Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer ropäischen Museen vorhanden wäre, in der täglichen Ar- Das Afrika-Komitee im Internet: www.afrikakomitee.ch beit von namibischen Museen, Kuratoren und Wissen- Das Zentrum für Afrikastudien im Internet: www.zasb.unibas.ch schaftlerinnen schmerzlich fehlt. Redaktionssekretariat: Beatrice Felber Rochat Nelson Abiti und Amon Mugume erzählen von er- Afrika-Komitee: Postfach 1072, 4001 Basel, Schweiz Telefon: (+41) 61.692 51 88 | Fax: (+41) 61.269 80 50 nüchternden Erfahrungen mit Restitutionsversuchen. Die E-Mail Redaktionelles: afrikabulletin@afrikakomitee.ch Kuratoren am Nationalmuseum von Uganda verweisen E-Mail Abonnemente und Bestellungen: info@afrikakomitee.ch auf die zentrale Bedeutung von Kulturerbe in der kultu- Postcheck-Konto: IBAN CH26 0900 0000 4001 77543 rellen Bildung und Vermittlung. Ihre tagtägliche Trieb- Für Überweisungen aus dem Ausland: feder ist es, den Zugang zum eigenen Kulturerbe, zu ei- in Euro: Postkonto, IBAN CH40 0900 0000 9139 8667 9 (Bic SwiftCode: POFICHBEXXX; Swiss Post, PostFinance, CH-3000 Bern) ner nationalen, regionalen und lokalen Erinnerungskul- Mitarbeitende dieser Ausgabe: Nelson Abiti, Veit Arlt (Red.), Samuel Bachmann, tur und somit die übergenerationale Bewahrung von Eric Breitinger, Pius Frey, Elisa Fuchs, Susy Greuter (Red.), Tuuda Haitula, Wissen unterschiedlichster Gruppen und Identitäten zu Franziska Jenni, Caro van Leeuwen, Amon Mugume, Barbara Müller (Red.), ermöglichen. Jeremy Silvester, Hans-Ulrich Stauffer (Red.) Durch die Annäherungen über alltägliche Arbeit mit Druck: Rumzeis-Druck, Basel afrikanischem Kulturerbe ist dieses Bulletin ein Plädo- Inserate: Gemäss Tarif 5/99, Beilagen auf Anfrage yer für die gesellschaftspolitische Bedeutung von Kultur- Jahresabonnement: Fr. 40.–/Euro 40.– Unterstützungsabonnement: Fr. 50.–/Euro 50.– erbe, dessen Bewahrung, fortwährende Neuerzählung Im Mitgliederbeitrag von Fr. 60.–/Euro 60.– ist das Abonnement enthalten. und -verwendung. Nicht in allen Fällen ist Restitution not- Redaktionsschluss Nummer 182: 31. März 2021 wendig oder wünschenswert um dieses Ziel zu erreichen. Schwerpunktthema: Klimawandel In den allermeisten Fällen allerdings ist sie eine reale Schwerpunktthemen der nächsten Ausgaben: Internationale Zusammenarbeit, Humor, Binnenmigration, Mode Chance für alle Beteiligten, gemeinsame Ziele zu reali- Interessierte an einer Mitarbeit sind eingeladen, mit der Redaktion Kontakt sieren. In der Praxis geht es vor allem darum, Wege zu aufzunehmen. finden, die Objekte einfach und unkompliziert zurück- Unser Titelbild: Im Februar 2019 überreichte die Wissenschaftsministerin zugeben, wenn sie gebraucht werden. Restitution wird Baden-Württembergs Theresia Bauer in Gibeon dem namibischen Präsidenten so zu einem integralen und selbstverständlichen Pro- Hage Geingob feierlich Bibel und Peitsche des Herero-Führers Hendrik Witbooi. Die Objekte lagerten zuvor im Linden-Museum in Stuttgart. Siehe hierzu den zess in der Museumsarbeit. • Beitrag auf Seiten sechs und sieben in diesem Heft (Bild: Shawn van Eeden). Veit Arlt und Samuel Bachmann
Restitutionsdebatte und Museumsarbeit Rückgabe als integraler Prozess Seit 2018 hat die Diskussion um die Restitution von bereits 2015 an der Jahrestagung des Deutschen Muse- Kulturgut vehement an Fahrt aufgenommen. Sa- umsbunds auf den Punkt: «Entgegen der häufig zu fin- denden Praxis, dass ein Erwerb als rechtmässig ange- Schwerpunktthema muel Bachmann führt in die Debatte ein. Als Ku- sehen wurde und wird, bis der Unrechtscharakter er- rator versteht er Restitution als integralen Bestand- wiesen ist, gilt eigentlich das Gegenteil: Koloniale Ob- teil zeitgemässer Museumsarbeit. jekte stehen unter dem Verdacht, unrechtmässig erwor- ben zu sein, bis das Gegenteil bewiesen ist.» Grosse Teile des afrikanischen Kulturerbes in euro- Ungewisse Umsetzung päischen Museumsammlungen wurden während der Ko- Die Umsetzung dieser Idee ist mehr als unwahr- lonialzeit angeschafft. Beispielhaft kann auf die relativ scheinlich. Nicht zuletzt hat sich auch Emmanuel Ma- provinzielle ethnografische Sammlung des Bernischen cron, der Auftraggeber des Berichts von Sarr und Savoy, Historischen Museums verwiesen werden, die dritt- von diesem distanziert. Was bleibt, ist die Tatsache, dass 3 grösste Sammlung ihrer Art in der Schweiz. Sie umfasst bei der internationalen Restitution von Kulturerbe aus heute rund 10 000 inventarisierte Objekte afrikanischer kolonialen Kontexten den Herkunftsgemeinschaften Herkunft, wovon 67 Prozent zwischen 1894 und 1950 und ihren Nachkommen nach wie vor kaum völker- aufgenommen wurden. Doch mit Ausnahme einer klei- rechtliche Grundlagen zur Verfügung stehen, die einen nen Dauerausstellung zu Alt-Ägypten, sind aktuell ein- Rechtsweg ermöglichen. Nicht nur deshalb liegt der Ball zig zwei Bootsmodelle ausgestellt. Nicht nur in Bern ist bei den heutigen Besitzerinnen und Besitzern, sich um die grosse Masse an afrikanischem Kulturerbe unge- die Rückgabe zu bemühen. Die Rück- oder Übergabe nutzt und unzugänglich, sondern dies ist bei ethnogra- von Kulturerbe hat das Potential, einen elementaren Bei- fischen Sammlungen in Europa die Regel. Restitution ist trag zu neuen, faireren Beziehungen zu leisten, sofern in erster Linie eine Chance, diesen Zustand zu ändern. sie genau das bezweckt. Restitution ist jedoch kein fi- naler Akt, nach dessen Erledigung ein vermeintlich vor- Wiederkehrende Abwehrreflexe kolonialer Besitzstand wiederhergestellt ist. Es braucht Erste Rückgabeforderungen hinsichtlich im Rahmen mehr als nur die Rückgabe von Kulturerbe, um Dekolo- kolonialer Expansion nach Europa verbrachter afrika- nisierung anzustossen oder voranzutreiben. nischer Kulturgüter wurden von verschiedenen Staaten schon unmittelbar nach Erlangung der Unabhängigkeit Die Politik ist gefordert gestellt. Diese Begehren waren, auch in den Folgejahr- Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, zehnten, allerdings selten von Erfolg gekrönt und wur- müssten Museen Provenienzforschung und Restitution den von Ministerien und Museen meist zurückgewie- als alltägliche Prozesse innerhalb ihres gesellschaftli- sen. Mit dem Argument der Bewahrungssicherheit wur- chen Auftrags etablieren. Zweifelsohne braucht es ein de afrikanischen Museen die Fähigkeit abgesprochen, grösseres Bekenntnis seitens der Politik, diese Arbeit ge- selber für den Erhalt ihres Kulturerbes zu sorgen. Der zielt zu fördern und entsprechende Anreize zu schaffen. Aufwand, der von europäischen Museen in die Bewah- Die Erwartungen allerdings – das macht die Lektüre die- rung der Artefakte bereits investiert wurde, sei beacht- ses Bulletins augenscheinlich – sind heute mehr denn je lich und somit hätten diese die Objekte gewissermas- gerechtfertigt. Sei es, weil nur mit einem Bruchteil des sen ersessen. Auch auf die Rechtmässigkeit der Erwer- afrikanischen Kulturerbes in europäischen Museen wirk- bungen wurde immer wieder verwiesen. Diese hätten, lich gearbeitet wird, und hier oft ein Vielfaches mehr vor- so dubios Käufe und Tauschbeziehungen auch gewesen handen ist als in den Museen der Herkunftsländer. Sei sein mögen, nur selten gegen damals geltendes Recht es, weil nur durch den Zugang der Nachfolgegemein- verstossen. Und schliesslich erheben bis heute die Prin- schaften zu den Sammlungen und durch die Zusammen- zipien der «Unveräusserlichkeit» und der «Sammlungs- arbeit in Forschung und Vermittlung neue Beziehungen, integrität» staatlicher Museumssammlungen die Heraus- Erkenntnisse und Narrative entstehen können. Oder sei lösung von einzelnen Objekten zu einer Gefährdung der es auch nur aus dem pragmatischen Grund, dass afri- Gesamtheit der Sammlungen und verhindern so Resti- kanische Museen und Kulturschaffende die Objekte für tution. eigene Projekte benötigen. • Ein frischer Wind Dem gegenüber stehen die politischen Forderungen, die im Zuge des Ende 2018 von Felwine Sarr und Béné- dicte Savoy veröffentlichten «Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle éthi- que relationnelle», die sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft breit diskutiert werden. Eine neue Beziehungsethik soll über die Umkehr der Beweis- last eine Rückgabe von Kulturerbe ermöglichen. Nicht die Klagenden sollen beweisen müssen, dass ein Ob- jekt unrechtmässig erworben wurde, sondern die heuti- gen Besitzerinnen und Besitzer sind in der Pflicht, die Samuel Bachmann kuratiert die Afrikasammlung am Bernischen Historischen Museum und promoviert am Zentrum für Afrikastudien Rechtmässigkeit ihrer Erwerbungen zu belegen. Der der Universität Basel zum Thema Koloniales Kulturerbe in Schweizer deutsche Historiker Jürgen Zimmerer brachte diese Idee Museen. Kontakt: samuel.bachmann@unibas.ch.
Afrikanische Kulturgüter in europäischen Mu Neues Interesse an lange vergessenen Objekten Heutige Kuratorinnen können Sammelobjekten aus ethnografischen Beständen nur mit Ambivalenz be- gegen, sind diese materiellen Kulturgüter doch auch als Zeugen der europäischen Beteiligung am kolo- nialen Projekt zu betrachten. Dieser Ambivalenz stellt sich Franziska Jenni in ihrem Dialog mit den Ob- jekten im Basler Museum der Kulturen. Sie plädiert für eine Öffnung des Museums zu einem transdis- ziplinären, transnationalen und transinstitutionellen Raum. Denken mit Objekten im Afrika-Depot Depots versetzte uns jeweils über kurz oder lang in ei- Letztes Jahr haben meine Assistentin Nadège Kittel nen leicht surrealen Zustand des Dazwischen – zwi- und ich jede Woche ganze Tage im Depot verbracht, zu schen Welten, Zeiten, Realitäten und Emotionen. Fern- 4 zweit, in Anwesenheit von rund 6000 Objekten. (Die ab des hektischen Büroalltags, in dem ein Termin den auf mehrere Depots verteilte Sammlung der Afrika-Ab- nächsten jagt, entspannen sich zwischen uns lange und teilung des Museum der Kulturen umfasst insgesamt intensive Gespräche. Während ein Objekt nach dem fast 30 000 Objekte.) Sie wurden meist von Männern anderen durch unsere Hände ging, dachten wir immer über einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren vom wieder laut über die Geschichte des Museums sowie afrikanischen Kontinent nach Basel gebracht: Masken, über die unzähligen Ambivalenzen nach, in die wir als Statuen, Nackenstützen, Schmuck, Tabakpfeifen, Kera- Angestellte eines ethnologischen Museums in Europa miktöpfe, wenig Kinderspielzeug, dafür umso mehr im 21. Jahrhundert unweigerlich tagtäglich verstrickt Waffen. Unsere Aufgabe war es, ein Objekt nach dem sind. anderen zu fotografieren, jedem eine Strichcode-Eti- kette umzuhängen, den Standort zu kontrollieren, die Zwischen Faszination und Ernüchterung fehlenden Masse und Materialangaben in der Samm- Wie kam es dazu, dass so viele Objekte aus den un- Depotaufnahme einer Kiste lungsdatenbank zu ergänzen, sowie die Objektbezeich- terschiedlichsten Gegenden Afrikas nach Basel gelang- mit Perlenschmuck nungen, wenn möglich, zu präzisieren. Diese über Stun- ten? Wer hat sie hergestellt und gebraucht? Unter wel- aus Südafrika im Museum der Kulturen Basel den ausgeführte, repetitive Arbeit im Untergeschoss des chen Bedingungen haben sie den Kontinent verlassen? (Bild: Nadège Kittel, 2020). Weshalb genügte es unseren Vorgängern nicht, von ei- nem bestimmten Artefakt ein bis zwei Exemplare in die Sammlung aufzunehmen? Auch in der Basler Sammlung ist die «serielle Klep- tomanie», wie die Kuratorin Clémentine Deliss, die Raff- gier der Europäer nach materiellen Kulturgütern in den Kolonien beschrieben hat, allgegenwärtig. Warum sind nach über hundertjähriger Museumsarbeit die meisten Objekte noch immer nur rudimentär beschrieben, oft in Terminologien, die längst nicht mehr gebräuchlich sind? Und inwieweit setzen wir nun mit den oben erwähnten Arbeitsgängen im Depot die «Vermessung der Welt» in einer anachronistischen Art und Weise fort und versu- chen, aussereuropäische Kulturgüter weiter in ein Wis- senssystem einzuordnen, von dem wir doch längst wis- sen, dass es ihnen nicht gerecht wird, weil sie komple- xer und Teile von Epistemen sind, die anders funktio- nieren und nur bedingt mit jenen der westlichen Ethno- logie und Museologie kompatibel sind? Wie schwierig ist es doch über Jahrzehnte einstudierte Praktiken, durch die auch eine Institution wie das Museum geworden ist, was es ist, zu überdenken, zu verändern oder gar auf- zugeben. Doch genau vor solch bedeutenden Heraus- forderungen stehen die ethnologischen Museen Euro- pas heute. Angeregt durch Denkanstösse der postcolonial stu- dies geriet in letzter Zeit die (koloniale) Geschichte der Sammlungen wieder vermehrt kritisch in den Blick, so- wie auch die vielschichtigen Narrative, die über die Be- wegung von Objekten, verschiedene Weltgegenden und Menschen miteinander verflochten haben. Mit diesen Denkansätzen entfalten sich weitere wichtige Fragen, die für die Hauptaufgaben der Museumsarbeit von Be- deutung sind, und die Anna-Maria Brandstetter 2019 in ihrem Beitrag «Dinge und Theorien in der Ethnologie» zusammengefasst hat: Wer konzipiert und inszeniert
seen Ausstellungen für wen, wie wird mit den Objekten in den Prinzipiell steht das Museum der Kulturen Basel Re- Depots verfahren und wer darf die Objekte und das mit stitutionsforderungen offen gegenüber. In einzelnen Fäl- ihnen und über sie generierte Wissen verwalten? Wie len ist es auch bereits zu Restitutionen gekommen. Von Schwerpunktthema lässt sich das Museum also weiter öffnen hin zu einem afrikanischer Seite sind bis jetzt noch keine konkreten transdisziplinären, transnationalen und transinstituti- Rückgabeforderungen gestellt worden. Wie diese Pro- onellen Raum, in dem die Möglichkeiten und Herausfor- zesse der Rückgabe im Einzelnen aussehen könnten, derungen, sowie die Zukunft der Sammlungen zwischen ist schwer vorherzusagen, da es sich um komplexe Aus- den verschiedenen Stakeholdern der Nachkommensge- einandersetzungen handelt, die von Fall zu Fall auch ei- sellschaften und den Baslerinnen und Baslern, Wissen- ne andere Dynamik entwickeln werden. schaftlerinnen, Künstlern und Designerinnen neu dis- In Zukunft ist es für uns Museumsmitarbeiterinnen kutiert und ausgelotet werden können? wichtig, offen und bereit zu sein, eingespielte Praktiken aufzugeben, für selbstverständlich gehaltene Deutungs- Szenarien für die Zukunft hoheit zu relativieren und so Raum für Neues zu schaf- 5 Angestossen durch den von Felwine Sarr und Béné- fen. dicte Savoy im Auftrag des französischen Präsidenten Ist es nicht bemerkenswert, dass just in dem Mo- Emmanuel Macron verfassten und 2018 veröffentlich- ment, in dem immer mehr Bereiche unseres täglichen ten Berichts über die Restitution afrikanischer Kultur- Lebens ins Virtuelle verlagert werden, Objekte, die nun güter sowie die kontroversen Diskussionen rund um das so lange vergessen in verschlafenen Depots herumla- Humboldt Forum im wieder hergestellten Schloss mitten gen, erneut reges Interesse wecken, neue Fragestellun- in Berlin, sind die Themen Provenienzforschung und Re- gen an sie herangetragen und sie damit in neue Dyna- stitution auch in den Schweizer Museen ins Zentrum der miken eingebunden werden? Mögen die in westlichen Diskussion gerückt. Auch wenn die offizielle Schweiz Museen «weggesperrten» und «eingefrorenen» Kultur- nie Kolonien besessen hat, hat sie doch am kolonialen güter erneut in Bewegung geraten, berühren, begeis- Projekt teilgehabt und wirtschaftlich massgeblich davon tern und staunen machen. Dies gelang ihnen bei mei- profitiert. Zeugen oder Belege dieser Geschichte sind ner Assistentin und mir während unseren vielen Stun- u.a. materielle Kulturgüter in den Depots der Museen. den «unter Tag» immer wieder, denn die unendliche Es ist darum wichtig, dass sich die Schweizer Museen Formen-, Material- und Gestaltvielfalt der Objekte so- noch vertiefter mit der Aufarbeitung der kolonialen Er- wie die manifestierte menschliche Kreativität und Fin- werbskontexte ihrer Sammlungen beschäftigen. Dass gerfertigkeit sind schlicht umwerfend. • dies vermehrt geschieht, zeigt sich zum einen an im- mer mehr Ausstellungen, die sich mit der Entstehungs- geschichte der Sammlungen und Fragen nach deren Pro- venienzen auseinandersetzen, aber auch an der Zunah- me von Projekteingaben zur Erlangung von Fördergel- dern bezüglich Provenienzforschung beim Schweizer Bundesamt für Kultur. Eines der jüngst finanzierten Pro- jekte wurde von den acht ethnologischen Museen der Schweiz zusammen eingereicht und hat zum Ziel, ge- meinsam – und in Kooperation mit Wissenschaftlerin- nen in Nigeria – die Provenienzen ihrer Sammlungen aus dem Königtum Benin zu erforschen. In ähnlicher Weise kam es vor kurzem auch zu einer ersten Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum Kulturverluste, bezüglich der Bestandesaufnahme von namibischen Sammlungen in deutschsprachigen Mu- seen. Solche Projekte der Zusammenarbeit machen Sinn und werden in der Zukunft wohl noch weiter zunehmen, denn nur so lässt sich die Komplexität der Zirkulation von Objekten zwischen Kontinenten, Ländern und Ins- titutionen weiter erhellen. Wünschenswert wäre eine verstärkte produktive und nachhaltige Zusammenarbeit, sowie die Erleichterung und Förderung kollektiver Forschung, um so das Wissen zu den Objekten und ihrer Geschichte zu erweitern, zu ergänzen und zu verdichten. Dies ändert natürlich nichts an der Notwendigkeit, die Frage nach der Restitution und den möglichen Ver- fahren weiter zu stellen. Ein wichtiger erster Schritt hier- Franziska Jenni war von 2011 bis 2015 und von 2019 bis 2020 bei ist, dass die Sammlungsbestände – wie von Wissen- Kuratorin für die Afrika Abteilung am Museum der Kulturen Basel. schaftlern, Künstlerinnen und Aktivisten aus dem glo- Sie hat an den Universitäten Basel und Bern Ethnologie, Kunstgeschichte und Gender Studies studiert. Zurzeit schliesst sie balen Süden immer dringlicher gefordert – digital ei- ihre Doktorarbeit zu zeitgenössischer Fotografie in Bamako ab. nem, auch in geografischer Hinsicht, breiten Publikum Kontakt: f.jenni@unibas.ch. zugänglich gemacht werden. Nur so lässt sich relativ einfach eruieren, welche Kulturgüter sich wo befinden.
Restitution und kulturelle Neubelebung in N Ein Plädoyer für einen internationalen Austausch Tuuda Haitula und Jeremy Silvester vom namibi- Deutsche Zentrum Kulturgutverluste derzeit an einem schen Museumsverband (Museums Association Bericht arbeitet, der einen umfassenden Überblick über namibische Sammlungen in deutschen Museen bieten of Namibia, MAN) erläutern den Prozess, aber vor wird. Erhöhte Transparenz und Zugänglichkeit sind allem auch den Sinn von Restitution, der weit über Grundvoraussetzung und erste Schritte im Prozess der den ethischen Anspruch der Wiedergutmachung Restitution. Der Besuch von Museumsdepots in ganz Deutsch- von Plünderungen im kolonialen Kontext hinaus- land führte zu zwei überraschenden Erkenntnissen. Die geht. erste war die schiere Menge an Objekten aus Namibia. Tausende Objekte befinden sich in deutschen Museen, Die grössten Sammlungen von Artefakten, die die von denen, gleich der Spitze eines Eisbergs aus mate- historischen und kulturellen Erinnerungen der namibi- rieller Kultur, nur ein kleiner Bruchteil ausgestellt ist. 6 schen Gemeinschaften verkörpern, befinden sich nicht Die meisten Objekte sind auf Dachböden, in Kellern und in namibischen Museen, sondern in den Depots von Mu- Lagerhallen den Blicken entzogen. Die zweite Erkennt- seen in Europa. Die Dynamik für die Rückgabe von Ob- nis war die ungewisse Provenienz der Objekte. Damit jekten an Nachkommen der Menschen und Orte, denen meinen wir nicht die Spur des Eigentums, die von Samm- diese Objekte genommen worden sind, hat aber zuge- ler zu Sammler und schliesslich zum jetzigen Standort nommen. Restitution bietet der Bevölkerung Namibias führt. Was vielmehr fehlte, waren die Namen der ur- die Chance, vergessene Erzählungen zu erschliessen sprünglichen Besitzerinnen oder Kunsthandwerker, die und sich an der kulturellen Neubelebung zu beteiligen. die Objekte schufen. Sogar die geografische Herkunft Dieser Prozess ist genauso wichtig wie die physische der Gegenstände war nur vage oder überhaupt nicht Rückgabe von Objekten und kann sowohl den interna- angegeben. Stattdessen nutzten die ethnografischen tionalen Austausch wie auch den Dialog zwischen den Museen Objekte als Marker für ethnische Identität und Generationen und Kreativität in Namibia fördern. Differenz. Namibische Objekte in der Schweiz Erste Besuche in Schweizer Museen legten nahe, dass diese beiden grundlegenden Punkte auch für deren Sammlungen gelten. 2019 konnten zwei Kollegen der MAN am Workshop «Stolen from Africa?» in Basel teil- nehmen und Museen mit ethnografischen Sammlun- gen in Bern, Basel, Neuenburg und Zürich besuchen. Der Workshop resultierte in einer Erklärung der Teilnehmen- den, die zwölf Grundsätze enthielt. Zwei davon bezo- gen sich auf die Notwendigkeit, namibische Sammlun- gen in der Schweiz transparenter und für Namibier und Namibierinnen zugänglich zu machen. Ein Ergebnis da- von ist, dass eine unserer Kolleginnen, Randy Mwaton- dange, ab Februar 2021 die Möglichkeit hat, für ihre Masterarbeit über eine umfangreiche Sammlung von Fruchtbarkeitspuppen aus den Owambo-Königreichen im Norden Namibias und Süden Angolas zu forschen. Während das Nationalmuseum von Namibia nur weni- ge Exem-plare besitzt, sind im ethnografischen Muse- um in Neuenburg deren 122 zu finden. Präsentation der Bibel und Jenseits der Dekolonisierung von Museen Peitsche von Hendrik Der Fokus bei der Restitution liegt auf der Notwen- Witbooi bei ihrer Rückgabe in Gibeon, Namibia (Bild: Africa Accessioned digkeit, Museen zu «dekolonisieren», indem die kon- Museums Association of Ein bescheidenes Projekt, das wir 2014 mit einem zeptionellen und historischen Verbindungen zwischen Namibia, 2019). Zuschuss des International Council of Museums (ICOM) ethnografischen Sammlungen und Kolonialismus auf- durchführten, ermöglichte uns, den Dialog mit Museen gedeckt und Objekte zurückgegeben werden. In ihrem in einer Reihe von Ländern aufzunehmen, die Samm- Buch «The Metabolic Museum» berichtet Clementine lungen von Objekten aus Namibia besitzen. Denn nur Deliss über ihre Bemühungen, im Museum der Weltkul- wenn die Betroffenen wissen, was sich überhaupt in den turen in Frankfurt ein Museumslabor einzurichten, das europäischen Museumsdepots befindet, kann auch ei- es eingeladenen Gästen erlaubt, sich mit historischen ne Rückgabe von Objekten gefordert werden. Der Dia- ethnografischen Artefakten in der Sammlung auseinan- log mit Museen in Deutschland (das Namibia von 1884 derzusetzen. Gastkünstler und -künstlerinnen könnten bis 1915 kolonisierte) war besonders fruchtbar. In den Artefakte aus der Sammlung in neuen «Assemblagen» letzten Jahren entstanden so einige wichtige Partner- kombinieren und indem sie neue Verbindungen und As- schaftsprojekte und Rückgaben von Objekten aus deut- soziationen vorschlagen neue Bedeutungen schaffen, die schen Museen. Wir freuen uns besonders, dass das den ethnografischen Rahmen sprengen.
amibia Wir müssen aber auch die Arbeit berücksichtigen, die Objekte leisten, die an «Nachkommensgemeinschaf- ten» zurückgegeben werden. Wie von Jeremy Silvester und Napandulwe Shiwedha vorgeschlagen, verwenden wir bewusst diesen Ausdruck, um die Tatsache zu be- tonen, dass Kultur und die mit ihr verbundenen Identi- täten dynamisch sind. Vor diesem Hintergrund spielt Restitution in der heutigen namibischen Gesellschaft in zweierlei Hinsicht eine Rolle. Einerseits kann die Rück- gabe von kulturellen Artefakten, die im kolonialen Kon- text gewaltsam entfernt wurden, eine Komponente der oben: Wiederherstellung von Gerechtigkeit sein. Sie kann den Das grosse Publikum und die stark vertretene Politik Gemeinschaften und der Nation helfen, Beweise zurück- und Behörden anlässlich zugewinnen, die zu neuen historischen Erzählungen bei- der Übergabezeremonie in Gibeon zeugen von der tragen. Bedeutung der Objekte Ein Beispiel hierfür ist die Rückgabe der Peitsche (Bild: Museums Association und der Bibel von Hendrik Witbooi, einem prominenten of Namibia, 2019). Anführer des Widerstands der Nama-Gemeinschaften im links: Süden Namibias gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Theresia Bauer, Die Bibel enthält eine Inschrift in Khoekhoegowab auf Wissenschaftsministerin Baden-Württembergs, der ersten Leerseite und handschriftliche Anmerkungen, überreicht die Witbooi-Bibel die Aufschluss über den Einfluss der Bibel auf Witbooi an den namibischen Präsidenten Hage Geingob und seinen Glauben geben könnten. Die Objekte wur- (Bild: Shawn van Eeden). den aus dem Linden-Museum in Stuttgart nach Nami- bia zurückgebracht und symbolisch den Ältesten der Solche Kreationen könnten wiederum in Form eines Khowesin (Witbooi)-Gemeinschaft im Dorf Gibeon über- neuen, kulturellen Austauschs und der Förderung na- geben. Derzeit werden sie im Nationalarchiv und im mibischer Produkte nach Berlin zurückkehren. Restitu- Nationalmuseum in Windhoek aufbewahrt. Die Nama tion sollte keine Lücken hinterlassen, sondern eine Chan- Traditional Leaders Association kritisierte die Tatsache, ce für einen nachhaltigen Austausch von Wissen und Fä- dass die Artefakte an den namibischen Staat und nicht higkeiten zwischen Namibia und jenen Orten bieten, an an die Familie Witbooi übergeben wurden, wenn auch denen Museen wichtige historische und kulturelle Ar- nur vorübergehend. Dies weist auf die Notwendigkeit tefakte aus Namibia bewahren. Wenn Objekte nach Na- hin, die Restitution mit einer Aufwertung kommunaler mibia zurückkehren, ermöglichen sie neue Forschun- Museen oder Gedenkstätten zu verbinden, an denen gen, die einheimisches Wissen generieren, das wieder- wichtige Objekte aufbewahrt werden können. Es erin- um namibische Interventionen in den Museen erlaubt, nert auch an die Tatsache, dass selbst wenn Herkunfts- in denen diese Objekte viele Jahre lang aufbewahrt wur- ort und Familie bekannt sind (was selten der Fall ist), den. der «rechtmässige» Empfänger, respektive die Empfän- In den letzten Jahren hat die MAN Workshops orga- gerin der Objekte in Frage gestellt werden kann. Zum nisiert, in denen den Teilnehmenden Bilder von Objek- Zeitpunkt der Rückgabe gab es innerhalb der Khowesin- ten gezeigt wurden, die in ausländischen Museen auf- Gemeinschaft einen Streit zwischen zwei Brüdern, die bewahrt werden, um so einen Dialog zu eröffnen und beide beanspruchten, das legitime traditionelle Ober- mehr Wissen zu erlangen. Die Workshops ermöglich- haupt zu sein. Derzeit entwickelt Namibia nationale ten es den anwesenden Ältesten, Herstellungsweisen Richtlinien, um klare Verfahren zu schaffen, die bei der und das mit den Objekten verbundene immaterielle Kul- Verhandlung von Streitigkeiten helfen, wenn Eigentums- turerbe zu erläutern. Diese Workshops dienen auch verhältnisse innerhalb von Gemeinschaften oder zwi- dazu, die Gemeinschaften für den Inhalt verschiedener schen Gemeinschaften und Staat umstritten sind. Sammlungen zu sensibilisieren, bedeutungsvolle Ob- jekte zu identifizieren und Anträge auf Restitution zu Wirkung von Restitution entwickeln. Andererseits kann die Rückgabe von Objekten auch Restitution und physische Rückgabe von Objekten zum Diskurs über kulturelle Wiederherstellung und zum sind unerlässlich, doch sind wir der Ansicht, dass auch Dialog zwischen den Generationen beitragen. Kolonia- die «virtuelle Rückführung» über Abbildungen zur Wie- lismus, Christianisierung und der internationale Han- derherstellung und Dokumentation des immateriellen del mit afrikanischer Kunst haben Namibia vieler Ob- Kulturerbes beitragen kann. Restitution darf niemals nur jekte mit sakraler und kultureller Bedeutung beraubt. eine logistische Unternehmung sein, sondern muss in Jedoch können, wie Deliss argumentiert, alte Objekte einen internationalen Dialog eingebunden werden, der auch «generativ für zukünftiges Design» sein. Die MAN den Austausch von Wissen fördert. Bei der Restitution möchte junge namibische Modedesigner und -designe- geht es nicht nur darum, etwas zurückzugeben, son- rinnen mit Artefakten aus dem 19. Jahrhundert in Kon- dern auch darum, vorwärts zu gehen. • takt bringen, die sich derzeit im Ethnografischen Mu- seum in Berlin befinden. Das Ziel ist, einen namibischen Jeremy Silvester und Tuuda Haitula sind als Programmleiter und Projektmitarbeiter bei der Museums Associaton of Namibia in Stil zu fördern, der auf historische Gestaltungsformen Restitutionsverfahren involviert und haben dabei auch beratende zurückgreift, um zeitgenössische Mode zu beeinflussen. Funktion. Kontakt: jeremysilvester3@gmail.com.
Rückgabe zentraler Kulturgüter nach Ugand Die Kibuuka-Artefakte und der Luzira-Kopf Die ersten Forderungen nach einer Rückgabe von Kulturgütern mit zentraler Bedeutung liegen im Fall von Uganda über 50 Jahre zurück. Wie die Beispiele der Kibuuka-Objekte und des Luzira-Kopfes zeigen, wurde diesen Forderungen allerdings selten in der Weise entsprochen, wie sie seitens Uganda vorge- bracht wurden. Die Kuratoren Nelson A. Abiti und Amon A.T. Mugume vom Nationalmuseum Ugandas argumentieren, dass Restitution nicht auf die blosse Rückgabe von Objekten reduziert, sondern als Hei- lungsprozess und als Gelegenheit für internationale Zusammenarbeit verstanden werden sollte. Was aus einer solchen Zusammenarbeit entstehen kann, zeigen sie an dem eindrucksvollen Projekt Milk Mobile Museum. 8 Als die Europäer in das Innere des heute Uganda genannten Teils von Ostafrikas vordrangen, beschlag- nahmten Kolonialbeamte wichtige rituelle Objekte und schafften sie fort. Zu den für das Buganda-Volk beson- ders wertvollen Kultgegenständen gehörten die rituel- len Kibuuka-Artefakte sowie die Terrakotta-Figur des Luzira-Kopfes. 1962, im Zuge des politischen Dekoloni- sierungsprozesses, als Uganda die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialverwaltung forderte, wurde auch die Frage nach der Rückgabe der Kulturgüter gestellt. Obwohl die ugandische Nation beständig die Restitu- tion der für ihr spirituelles Wohlergehen wichtigen Kul- turgüter forderte, konnten viele der geraubten Arte- rechts: fakte nicht dingfest gemacht werden; dies aufgrund Ethnografische Präsen- des begrenzten Verständnisses der Forderungen, der tation der Kibuuka-Objekte im Uganda Museum Eigentumsverhältnisse und der unterschiedlichen Rol- (Bild: Nelson A. Abiti, 2020) len von Museen und betroffenen Gemeinschaften. Wir argumentieren, dass Restitution als Prozess ver- standen werden muss, bei dem es nicht einfach um das Verpacken und den Abtransport von kolonialen Arte- den. Während der kriegerischen Handlungen wurde der fakten aus Europa geht, sondern vielmehr um das Hei- Kibuuka-Schrein – der Ort, an dem die rituellen Gegen- len von Beziehungen innerhalb der lokalen Gemein- stände aufbewahrt und gepflegt wurden – angegriffen schaften. Diese Argumentation entwickelte sich auf- und niedergebrannt. Zwar gelang es dem Hüter von Ki- grund der Tätigkeit des Uganda Museum, das versucht buuka, die Heiligtümer des Schreins zu retten, doch der die Rückgabe als Mechanismus zu nutzen, der den be- Missionsanthropologe Rev. John Roscoe, der sich auf das troffenen Gemeinschaften Zugang zu wichtigen rituel- Sammeln der religiösen und rituellen Objekte der Bugan- len und kulturellen Artefakten gewährt. Im Bemühen da verlegt hatte, spielte von 1899 bis 1907 eine wichtige um verstärkte Beziehungen zu den betroffenen Gemein- Rolle bei der Verbringung der Kultgegenstände nach schaften soll diesen auch eine effektive Beteiligung am England. Rückgabeprozess ermöglicht werden. Letztlich setzt Im Jahr 1961 beantragte Abu Mayanja, einer der An- sich das Museum vor allem deshalb für die Rückgabe wälte Bugandas und zugleich Bildungsminister, beim der illegal gesammelten kulturellen Objekte ein, um so Cambridge University Museum of Archaeology and An- einen Versöhnungsprozess einzuleiten und die Wider- thropology (CMAA) offiziell die Rückgabe der Kibuuka- standsfähigkeit einer durch widrige Umstände gefähr- Reliquien. Das CMAA bewilligte zwar den Antrag, das deten Gesellschaft über den Zugang zu gemeinsamem wichtige spirituelle Gut der Buganda-Gemeinschaft nach Kulturerbe und die Reaktivierung von lokalem Wissen Uganda zurückzugeben, der Rückgabeprozess der Ki- zu stärken. buuka-Objekte blieb jedoch unvollständig, da keine Pro- venienzforschung durchgeführt wurde, um eine Liste Der Fall der Kibuuka-Ritualobjekte aller zu Kibuuka gehörenden rituellen Objekte zu er- Die Restitutionsdebatte in Uganda drehte sich in den stellen. Die als Kibuuka klassifizierten Objekte wurden letzten 50 Jahren insbesondere um die Rückgabe der nach Uganda zurückgeführt und dem Kurator des Nati- Kibuuka-Artefakte, einer Reihe von Ritualobjekten der onalmuseums übergeben, wo sie danach ethnogra- Buganda-Kultur. Nach ihrer Ankunft in Uganda in den fisch ausgestellt wurden. Die fehlenden Objekte, wie der Jahren 1877 bis 1897 begannen die Missionare der angli- Schild, der Speer und das Leopardenfell, wurden von kanischen Missionsgesellschaft von England und der der Nalinya (Prinzessin) des Buganda-Königreiches hin- römisch-katholischen Kirche, die Bevölkerung rund um zugefügt und komplettieren bis heute die Ausstellung den königlichen Palast der Buganda zu missionieren. im Uganda Museum. Wegen der Bedeutung von Kibuu- Zwischen 1888 und 1899 kam es zu Religionskriegen, ka für die spirituellen Bedürfnisse der Bevölkerung ge- bei denen die Missionare von den Kolonialsoldaten im niessen die Artefakte nach wie vor grosse öffentliche Kampf gegen die lokalen Herrscher unterstützt wur- Aufmerksamkeit.
a links: Der Original Luzira-Kopf. Die Terrakottafigur wird Das Replikat des Luzira-Kopfes mobile Ausstellung brachte das Museum näher zur Be- im British Museum als Im Gegensatz zu den wenigstens teilweise rücker- völkerung, deren grösster Teil die Institution noch nie Kunstobjekt präsentiert statteten Kibuuka-Ritualobjekten wurde ein anderes be- zuvor besucht hatte. (Bild: Vassil, Wikimedia Commons, 2019). deutendes kulturelles Objekt nur in Form einer Nachbil- Die Besucher des mobilen Milchmuseums lernten dung an Uganda zurückgegeben. Der Luzira-Kopf aus das kulturelle Erbe der Milchwirtschaft beider Länder rechts: Andrang von Schulklassen Terrakotta ist eine der ältesten in Uganda entdeckten kennen. Die Ausstellung lenkte die Aufmerksamkeit vor dem Besuch des Milk Skulpturen. Nach seinem Fund im Jahr 1929 war er in auch auf verwandte Themen wie die Folgen des Klima- Mobile Museum in Nebby die Sammlungen des British Museums gelangt, zusam- wandels, lokale Methoden zur Herstellung von Vieh- Town, Norduganda (Bild: Ali Nkwasibwe, 2019). men mit Tausenden von Objekten, die aus den Kolo- futter, ökologische Landwirtschaft, soziale Verände- nien weggeschafft und nach London verschifft wur- rungen und Geschlechterrollen. Die Ausstellung sollte den. 1965 stellte die ugandische Regierung den Antrag, tagsüber von Schulkindern besucht werden, während den Luzira-Kopf zurückzuführen, damit er für die Ge- Erwachsene am Abend und samstags empfangen wur- meinschaft in Uganda zugänglich gemacht werden den. Guides begleiteten Gruppen von Kindern unter- könne. Stattdessen stellte jedoch das Museum of Man- schiedlichen Alters durch die Ausstellung: Sie erklär- kind in London eine Replik des Luzira-Kopfes für das ten, demonstrierten und beantworteten Fragen. Uganda Museum her. 1972 forderte die Amin-Regie- Das Milk Mobile Museum machte deutlich, dass die rung die britische Regierung erneut dazu auf, die origi- Menschen eine starke Anbindung an ihre Kultur und Tra- nale Terrakotta-Figur des Luzira-Kopfes an Uganda zu- ditionen haben. Das Museum zu den Menschen zu rückzugeben. Das Gesuch wurde jedoch mit dem bringen, war für beide Seiten ein Höhepunkt, da es ge- Argument abgelehnt, dass die konservatorischen An- lang, neue Formen des Informationsaustausches auch forderungen und die Kapazitäten der afrikanischen Mu- ausserhalb der traditionellen Museumsmauern zu er- seumsinstitutionen nicht ausreichten, um den Erhalt des möglichen. wichtigen Artefakts zu gewährleisten. Im Jahr 2005 ge- langte der Direktor der ugandischen Museen und Denk- Abschliessende Bemerkungen mäler mit einem Brief an das British Museum und ver- Die Diskussionen über Restitution haben den öf- langte, dass der Luzira-Kopf, der seit seinem Abtrans- fentlichen Druck auf die Museen erhöht, einen kriti- port aus Uganda nie gezeigt worden war, wenigstens schen Blick auf ihre Geschichte zu werfen und ihre öffentlich ausgestellt werde, was daraufhin auch ge- Praktiken neu zu bewerten. In diesem Zusammenhang schah. Doch während die Ausstellung im Nationalmu- haben internationale Partnerschaften mit Museen und seum die Replik des Terrakotta-Kopfes von Luzira im Gemeinschaften im globalen Süden an Bedeutung ge- Kontext des Schrein-Tempels der Buganda-Gemeinschaft wonnen. Thomas Laely, der damalige Projektinitiator in zeigt, wird das Original in der Africa-Sainsbury-Galerie Zürich, stellte fest, dass «wir nur gemeinsam und im im British Museum als Kunstobjekt präsentiert. Das ständigen Dialog neue Wege finden können». Uganda Museum betont die grosse Bedeutung der Be- Schliesslich offenbart die Absenz der kulturellen Ob- ziehungen zu den Gemeinschaften, wonach die Artefak- jekte den Prozess der Gewalt und Entmachtung der in- te umso bedeutsamer sind, je näher sie die Gemein- digenen Gemeinschaften während der Kolonialzeit. So- schaft und deren kulturelles Leben darstellen. wohl die Kibuuka als auch die Luzira-Kopf-Terrakotta waren wichtige spirituelle Objekte für das Buganda- Das Milk Mobile Museum Volk. Die mobile Ausstellung hat gezeigt, wie wichtig Welche Bedeutung die Zusammenarbeit mit ande- die Museumsobjekte für die Gemeinschaften immer ren Museen einerseits und das Kulturerbe andererseits noch sind – sei es als Träger von kulturellem Wissen für die ugandischen Gemeinschaften vor Ort haben, oder als spirituelle Verkörperungen. Daher fordern wir zeigt ein Projekt, das aus einer 2015 gestarteten Part- die europäischen Museen auf, die Stimme der ugandi- nerschaft zwischen dem Ethnografischen Museum der schen Gemeinschaft in die Debatte um die Restitution Universität Zürich, dem Uganda Museum und dem von Kulturgütern einzubeziehen. • Igongo Cultural Centre in Mbarara, West-Uganda, her- vorging. Das Milk Mobile Museum war ein Bildungspro- gramm auf Rädern, das abgelegene Städte und Dörfer Nelson A. Abiti und Amon A.T. Mugume sind Kuratoren für die Kultur- und Naturgeschichte Ugandas, sowie am Uganda Museum in Uganda besuchte, um einen Einblick in ugandische für internationale Zusammenarbeitsprojekte zuständig. Kontakt: und schweizerische Molkereipraktiken zu geben. Die abdenel@gmail.com und ammeamon@gmail.com.
Afrika in Kürze Äthiopien Vermischtes Eskalation in Tigray welchem über 600 nicht-tigrayische Wahlen Am 3. November 2020 eskalierten Saisonarbeiter hingemetzelt wurden. Nicht weniger als neun afrikanische die seit Monaten bestehenden Span- Für die Tat wird Samri, die Jugend- Staaten hielten im Verlaufe der letzten nungen zwischen der äthiopischen organisation der TPLF verantwortlich Monate Parlaments- und Präsident- Zentralregierung und der Provinzre- gemacht. schaftswahlen ab oder stehen kurz gierung von Tigray zu einem bewaffne- Die Regionalregierung von Tigray davor. Ein Querschnitt zeigt jedoch ten Konflikt. Bereits mit der Wahl von versuchte, den Konflikt zu internatio- eine eher beunruhigende Entwicklung Ahmed Abiy im Frühjahr 2019 und nalisieren. Dreimal erfolgten Raketen- dieser demokratischen Institution. Das 10 dem überraschenden Friedensschluss angriffe auf die eritreische Hauptstadt seit Beginn der 1990er Jahre «obliga- mit Eritrea im Sommer 2019 nahmen Asmara. Eritrea reagierte nicht; torische» Mehrparteiensystem zeigte die Spannungen zu. Hintergrund: Die international wurden diese Angriffe vielerorts seinen Pferdefuss: Die eine Befreiungsfront von Tigray war die unisono verurteilt. Damit war die siegreiche Partei nimmt sämtliche wesentliche Kraft, die 1981 der TPLF weiter isoliert. Nach knapp einem politischen Ämter ein und verteilt Jobs äthiopischen Militärherrschaft des Monat nahm die äthiopische Armee nach Parteizugehörigkeit. Bei der DERG ein Ende bereitete. Pikantes Mekelle ohne grossen Widerstand ein. geringen Entwicklung der Privatwirt- Detail: Am damaligen Vorstoss und Doch damit kehrte keine Ruhe in schaft sind Anstellungen beim Staat der Einnahme der Hauptstadt Adis Tigray ein. Zwar kontrolliert die aber der Schlüssel zu etwas Wohlstand. Abeba waren auch Panzertruppen der äthiopische Armee Städte und Dörfer, Die Angst der zuvor herrschenden eritreischen Volksbefreiungsfron EPLF nicht jedoch das Land. Im Dezember Partei, respektive ihrer Mitglieder, vor beteiligt. Die TPFL übte seither mit der ereignete sich ein weiteres Massaker, einem Wechsel, der enorme Druck von ihr kontrollierten «Revolutionäre welchem wiederum über hundert oppositioneller Parteigänger, die auch Demokratischen Front der Äthiopi- Menschen zum Opfer fielen. mal ein Stück vom Kuchen wollen, schen Völker» (EPRDF) die Macht in Verschiedentlich wird Ahmed entlädt sich häufig in Aufruhr. Diese Äthiopien aus. Das Mehrheitsvolk der Abiy für sein Vorgehen kritisiert, als Tendenz wird noch gesteigert, wenn Oromo wie auch die Amharen hatten Aggressor bezeichnet und für un- Langzeitherrscher und Präsidenten, für faktisch nichts zu sagen. Die Führungs- würdig erklärt, Träger des Friedens- welche die verfassungsmässige Zahl riege der TPLF kontrollierte fortan nobelpreises zu sein. Diese Kritik der Amtszeiten abläuft, ihre Wieder- die Macht und die Finanzen. Während übersieht die wesentliche Frage: Wie wahl durchsetzen wollen. Der Drang Jahren spitzten sich die Widersprüche soll ein bewaffneter Aufstand gegen zum Machterhalt dieser meist sehr zwischen einzelnen Ethnien und der die Zentralregierung beantwortet alten Männer lässt sie zu Mitteln wie Machtelite der TPLF stetig zu. werden? Verfassungsänderungen greifen, die Mit der Wahl Abiys zum neuen Und Eritrea? Der Raketenbeschuss den Zorn der Ausgetricksten weiter Premierminister und der von ihm von Asmara ist von der eritreischen steigert: Riesige, in Gewalt über- eingeleiteten Reformpolitik verlor die Regierung nicht kommentiert worden. schwappende Demonstrationen, TPLF politisch wie auch wirtschaftlich In der eritreischen Regierungsbericht- exorbitante Repression durch Polizei- an Macht. Die Reaktion: Die TPLF- erstattung fand der Krieg nicht statt. kräfte, Verhaftungen von Gegen- Führung igelte sich in Mekelle, der Doch die Gerüchteküche sprudelt. Von kandidaten und Oppositionsführern, Provinzhauptstadt von Tigray ein und über zwanzig, ja vierzig eritreischen Nicht-Anerkennung der Wahlresultate distanzierte sich immer mehr von Divisionen war die Rede, die zusam- waren auch in den jüngsten Wahlen er Zentralregierung. Die von ihr kon- men mit den äthiopischen Streitkräften beinahe die Regel. In Uganda, wo trollierten Streitkräfte entzogen sich in Tigray kämpfen würden, also weit Museveni (76 Jahre alt und seit 34 dem Militärkommando der Zentral- über hunderttausend Mann. Verwunde- Jahren im Amt) die Altersbegrenzung regierung. te äthiopische Soldaten würden in aus der Verfassung streichen liess, Der Konflikt eskalierte weiter, eritreischen Spitälern gepflegt. verunmöglichte die Polizei mit zahl- als die TPLF im Sommer 2020 entgegen Eritreische Truppen seien an Plünde- reichen Erschiessungen Gegenkampag- den Vorgaben der Zentralregierung rungen in Tigray beteiligt. Was davon nen. Das gleiche Bild mit massiver für ihre Provinz Tigray eine eigene zutrifft, bleibt jedoch vorerst noch Repression und Toten zeigt sich in Wahlkommission einberief, ein Wahl- im Dunkeln. • Guinea, wo Condé (82) eine dritte gesetz erliess und Wahlen durchführte. Amtszeit durchsetzte, und in Côte Kurz darauf wurde von TPLF-treuen d’Ivoire, wo die dritte Amtszeit für Streitkräften ein Angriff auf das Ouattara 85 Tote kostete. In Tanzania, Kommando der äthiopischen Nord- Uganda, Zentralafrika und Togo streitkräfte geführt und dabei umfang- wurden die wichtigsten Gegenkandida- reiches Kriegsmaterial erobert. Damit ten verhaftet und angeklagt. Relativ war die rote Linie überschritten: Am ruhige Wahlen gab es hingegen in 3. November 2020 marschierten Streit- Ghana und Burkina Faso. • kräfte der äthiopischen Armee in Tigray ein. Sechs Tage später kam es in Mai-Kadra zu einem Massaker, bei
Westsahara Afrika in Kürze Hunger Ende des Waffenstillstandes In dieser gespannten Situation Mit Regenstürmen im September Was sich seit einiger Zeit abzeich- erklärte der damalige amerikanische (Senegal erhielt in einem Tag die nete, ist eingetreten: Noch Anfang Präsident Trump Mitte Dezember 2020, durchschnittliche Regenmenge eines Oktober 2020 legte UN-Generalsekre- die USA würden den marokkanischen Jahres) und entsprechenden Über- tär António Guterres dem Weltsicher- Hoheitsanspruch über die Westsahara schwemmungen quer durch den Sahel heitsrat wie jedes Jahr einen neuen anerkennen. Dies als Gegenleistung zu bis in den Sudan, mit Heuschrecken- Bericht über die Situation in der Marokkos Aufnahme von diplomati- schwärmen an der Ostküste von Westsahara vor, ohne dass auch nur schen Beziehungen mit Israel. 11 Äthiopien bis Kenya wie seit 70 Jahren ansatzweise Perspektiven zur Lösung Die Sahrauis sahen seit 1991 66 nicht mehr sind die Speicher im Jahr des Konflikts aufgezeigt wurden. Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, 2020 kaum voll geworden. Südwärts Um auf ihre unhaltbare Situation 15 UN-Sonderbeauftragte, fünf zehrten erneute Dürren die verbliebe- aufmerksam zu machen, blockierten UN-Generalsekretäre und vier Sonder- nen Vorräte auf. In Madagaskar ist für just zu diesem Zeitpunkt Sahrauis die gesandte für die Westsahara und 1,5 Millionen, in Zimbabwe für «Route nationale no. 1». Diese Küsten- hörten das Versprechen, dass über die geschätzte vier Millionen, im Südsudan strasse verbindet Marokko mit Zukunft der Westsahara ein Referen- für gegen sechs Millionen Einwohner Mauretanien und führt unmittelbar vor dum abgehalten würde. Doch ihrer dringend Hungerhilfe notwendig. der mauretanischen Grenze durch Freiheit sind sie keinen Schritt näher- Die riesigen Flüchtlingslager in einen kaum fünf Kilometer breiten gekommen. Weit schlimmer: Unter dem Nordkenya werden vom Welt-Ernäh- Landstreifen, der von der der Unabhän- Schutz des Waffenstillstandsabkom- rungsprogramm (WFP) mit Essen gigkeitsbewegung Frente Polisario mens hat Marokko Tatsachen geschaf- versehen – doch die Organisation kontrolliert wird. Hunderte von fen. Die Verbitterung ist gross. «Die beklagte jüngst, dass sie aufgrund von Lastwagen waren blockiert, der Waren- UNO ist gescheitert. Sie hat mit ihrer Unterfinanzierung die Rationen verkehr kam zum Erliegen. Am Mission nichts Anderes gemacht, als schmälern muss. Die finanzkräftigen Morgen des 13. Novembers 2020 drang den Status quo aufrechtzuerhalten. Sie Mitgliedstaaten haben ihre Beiträge die marokkanische Armee über den wurde zum Garanten der Besatzung gekürzt. • Sandwall in den von der Frente und der Ausbeutung der Rohstoffe Polisario kontrollierten Landstreifen unseres Landes durch Marokko», sagt vor. Damit war der Waffenstillstand, der Vertreter der Frente Polisario in den die UNO mit der eben verlängerten Madrid, Abdulah Arabi. • Minurso-Blauhelmmission schützen sollte, Geschichte. Brahim Ghalil, Generalsekretär der Frente Polisario, erklärte das Waffenstillstandabkom- men für beendet. «Wir nehmen den bewaffneten Kampf wieder auf». Seither kommt es täglich entlang des Sandwalls zum Beschuss marokkani- scher Stellungen. Zusammengestellt von Susy Greuter und Hans-Ulrich Stauffer
Mit Fussball gegen die Hoffnungslosigkeit Eine schweizerisch-kapverdische Initiative Die Academia do Desporto, Educação e Cultura rinnen und Lehrer leisten Aufgabenhilfe und Stützunter- (ADEC) auf der kapverdischen Insel Santiago ist richt. Zwei Köchinnen und eine Reinigungsperson run- den das Betreuungsteam ab. Sie alle arbeiten freiwillig eine Erfolgsgeschichte schreibt Gertrud Baud. und mit grossem Engagement mit, erhalten aber je nach Fussballbegeisterte Mädchen und Jungen finden Budgetsituation eine monatliche Gratifikation. Die Aus- hier eine zweite Heimat. rüstung besteht aus Spenden von Schweizer Fussball- vereinen. Der Schweizer Fussballspieler Beat Clerc begann vor Die Fussballschule in Calheta do São Miguel bietet zehn Jahren zusammen mit seiner ebenfalls fussball- Trainings auf den Stufen U-7 bis U-17 an. Gegenwärtig begeisterten kapverdischen Frau Nischi die Academia nehmen 180 Kinder und Jugendliche – Mädchen und mit 16 Kindern aufzubauen. Beide arbeiten als Traine- Jungen – an den täglichen Fussballtrainings teil. Dane- rin und Trainer mit. Calheta ist eine arme Gegend. Die 12 ben bietet die Academia eine schulergänzende Tages- Academia soll helfen, den Kreislauf von Armut, Gleich- struktur an mit Aufgabenhilfe, Stützunterricht und ei- gültigkeit, fehlenden Perpektiven und Hoffnungslosig- nem ausgewogenen warmen Mittagessen, was ein nicht keit zu durchbrechen. Der Fussball lehrt Zuverlässig- unwesentlicher Motivator ist. Abgestimmt auf die Zei- keit, Fairplay und Toleranz. Mädchen und Jungen trai- ten der staatlichen Schulen trainieren die älteren Kin- nieren zusammen und leben so die Gleichberechtigung der am Morgen, die jüngeren am Nachmittag. Wer bei der Geschlechter. der Academia mitmachen will, muss sich zur regelmäs- sigen Teilnahme an Aufgabenhilfe und Training ver- Sportliche und schulische Erfolge pflichten. Letzteres wird von neun Trainerinnen und Trai- Die Fussballschule war 2019 sehr erfolgreich. Sie ge- nern geleitet. Mädchen und Jungen trainieren gemein- wann zahlreiche Auszeichnungen, die Frauen wurden sam, was in der immer noch sehr patriarchal geprägten Meisterinnen der Region Santiago Norte und konnten Gesellschaft nicht selbstverständlich ist. Sechs Lehre- sich für die nationale Endrunde qualifizieren. Eine Fuss- oben: Die Fussballschule «Academia do Desporto, Educação e Cultura» befindet sich im kleinen Ort Calheta do São Miguel, an der Nordostküste der Insel Santiago. Erwerbszweige sind Fischfang und Land- wirtschaft. Die Gegend ist geprägt von Trockenheit, Armut und Perspektiven- losigkeit. Deshalb ist die Academia so wichtig (Bild: Gertrud Baud, 2018). unten: Die Republik Kap Verde liegt auf der Höhe von Senegal etwa 500 Kilometer vor der westafrikanischen Küste. Auf den neun bewohnten Inseln leben rund 500 000 Menschen, mindestens nochmals so viele leben im Ausland, viele in den USA und in Europa. Seit der Jahr- tausendwende gewinnt der Tourismus an Bedeutung. Touristische Hotspots sind die beiden Inseln Sal und Boa Vista, die mit breiten ballerin ist Mitglied des Nationalteams, ebenso ein U- und kilometerlangen Sandstränden locken. Die 17-Spieler. Die Academia hat die meisten weiblichen gebirgigen Inseln Santiago Fussballspielerinnen von Kap Verde. und Santo Antão sind für Aufgabenhilfe und Stützunterricht haben auch Aus- Wanderferien beliebt (Karte: Mysid, Wikimedia, wirkungen auf die schulischen Leistungen. Viele Mit- 2008.) glieder der Academia sind gute oder sehr gute Schüle- rinnen und Schüler auf Grundstufe und Oberstufe, eini- ge wurden sogar ausgezeichnet. Die Academia ermög- lichte einigen Jugendlichen, welche sonst nie die Chan- ce dazu gehabt hätten, den Besuch der Sekundarschule in Assomada. Diese kommt der Academia entgegen und reduziert die Gebühren. Dank einer Schweizer Stif- tung und mit Unterstützung der Academia konnte im März dieses Jahres in Calheta eine Berufsschule für Me-
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