Aktuell 1/2021 - Literaturland Thüringen

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Aktuell 1/2021 - Literaturland Thüringen
aktuell 1/2021
Aktuell 1/2021 - Literaturland Thüringen
und nicht zu vergessen: seinen Sachbearbei-
                                                  ter/innen großer Dank. In den letzten 15 Jah-
                                                  ren, seitdem ich als Geschäftsführer für den
                                                  Thüringer Literaturrat arbeite, gab es immer
                                                  eine konstruktive und gute Zusammenarbeit
                                                  mit allen, nicht zu vergessen mit der Kultur-
                                                  stiftung des Freistaats Thüringen.

                                                  Gleich in den ersten Jahren setzte sich der Li-
                                                  teraturrat dafür ein, den Etat für Literaturför-
                                                  derung, der damals bei 115.000 Euro per
                                                  annum lag, zu verdoppeln, was unter Minister
                                                  Matschie – ihm sei an dieser Stelle ganz herz-
                                                  lich für sein großes Engagement in dieser An-
                                                  gelegenheit gedankt – dann auch gelang.
                                                  Damit ist der Literaturförderetat – ganz ohne
                                                  Larmoyanz betrachtet – noch immer der
                                                  kleinste Spartenetat im Land. In den letzten
                                                  Jahren erfolgte in Stufen eine Erhöhung der
                                                  Gehälter für die kulturellen Leitungskräfte, die
                                                  bis dato Projektmanager hießen.

                                                  Sigrun Lüdde war eine Projektmanagerin der
                                                  ersten Stunde. In den vergangenen drei Jahr-
     Sigrun Lüdde, 2018 – Foto: Guido Naschert    zehnten setzte sie sich mit all ihrer Kraft für
                                                  die Belange der Literatur ein, als Geschäfts-
                                                  führerin trug sie dafür Sorge, dass eine Viel-
Jens Kirsten                                      zahl von Programmen und Reihen stattfinden
                                                  konnte, dass die »Edition Muschelkalk« der Li-
Keine Zukunft hat, wer ohne Vergangenheit         terarischen Gesellschaft inzwischen bis zum
kommt                                             50. Band gewachsen ist, dass die LGT eine
                                                  Reihe von literarischen Exkursion für das
Mit dieser Ausgabe von » Literaturland Thü-       Langzeitprojekt »Literaturland Thüringen« des
ringen aktuell« möchten die Mitglieder und        Literaturrates erarbeitete und durchführte;
der Vorstand der Thüringer Literaturrats          dass zahlreiche Lesebühnen mit von der LGT
Sigrun Lüdde für die Arbeit danken, die sie als   beantragten Projektmitteln unterstützt wur-
Geschäftsführerin der Literarischen Gesell-       den und werden, die dem Gedanken der lite-
schaft Thüringen (LGT) in den letzten fast 30     rarischen Erneuerung folgen, ähnlich wie
Jahren geleistet hat. Unsere kleine Dankescour    Schreibwettbewerbe. Für all das möchte ich
gibt Anlass, auf diese Jahre und die Arbeit von   Sigrun Lüdde von Herzen Dank sagen.
Sigrun Lüdde und vieler anderer zurückzubli-
cken, die sich täglich um die Vermittlung von     Der Thüringer Literaturrat wurde 2006 als
Literatur in Thüringen kümmern und für sie        freier Zusammenschluss und nicht als ge-
einsetzen.                                        meinnütziger Verein gegründet – und war als
                                                  solcher von der öffentlichen Hand nicht för-
Dass es seit 30 Jahren Kultur- und Literatur-     derfähig. Die LGT sprang ein und stellte den
förderung im Freistaat Thüringen gibt, dafür      Geschäftsführer des Literaturrates kurzer-
gebührt dem Freistaat, seinen wechselnden         hand ein, das Gehalt war durch die GFAW für
Kultur- und Kultusministerien, allen Ministern,   drei Jahre gesichert. Danach gründete sich der
Staatssekretär/innen, Abteilungsleiter/innen      Literaturrat als Verein. Hilfe erhielt ich am Be-

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Aktuell 1/2021 - Literaturland Thüringen
ginn von vielen Seiten: von den beiden Spre-      gen den Staffelstab von Sigrun Lüdde über-
chern des Rates, Frank Simon-Ritz und Mat-        nommen. Ihm wünsche ich einen ebenso lan-
thias Biskupek, später von Martin Straub und      gen Atem und natürlich viel Erfolg in seinem
Wolfgang Haak, von den Gründungsmitglie-          Beruf.
dern und, mit Blick auf die Kulturpolitik, vor
allem von Hans-Jürgen Döring, der als Land-
tagsabgeordneter nicht nur die Literaturver-
eine stets nach Kräften unterstützte.             Ingrid Annel

Besonders dankbar bin ich jedoch Sigrun           Wie man einen Löwen aufzieht
Lüdde für die Starthilfe am Beginn meiner Ar-
beit. Als Geschäftsführer und Projektmanager      Liebe Sigrun, wir waren beide dabei, als er ge-
ging es nicht nur um die Kenntnis der literari-   boren wurde: der Thüringer Buchlöwe. Damals
schen, kulturellen und kulturpolitischen Be-      wussten wir noch nicht, ob er es schaffen
lange im Freistaat, nicht nur darum, Texte auf    wird, zu wachsen, zu gedeihen und lautstark
Personen und Reden für Publikum zu schrei-        seinen Hunger zu verkünden.
ben, sondern immer auch um Anträge und
Verwendungsnachweise, Buchführung und
Buchhaltung, Lohnbuchhaltung und viele
Dinge mehr, die für einen (angehenden) Verein
überlebensnotwendig sind. Dieses Wissen,
das mir Sigrun Lüdde weitergegeben hat, habe
ich meinerseits dann an andere weitergege-
ben, die am Beginn standen.

Denn, so klein der Freistaat ist, kann es bei
einer solchen Tätigkeit nicht um die Konkur-
renz aller gegen alle gehen, sondern – wie in
den vergangenen Jahren und Jahrzehnten er-
folgreich praktiziert – immer um Kooperatio-
nen, um geistigen Austausch, gegenseitige
Anregungen, darum, literarisch-künstlerische
Potentiale gemeinsam auszuloten und für
möglichst viele Menschen im Freistaat gene-
rationsübergreifend nutzbar zu machen. Nicht
zu vergessen ist dabei, dass es bei der Litera-
turvermittlung nicht allein um die Förderung
des literarischen Nachwuchses gehen kann,
etwa wie im Schreibwettbewerb »Junges Li-
teraturforum Hessen-Thüringen«, den der                          Einbandzeichnung: Barbara Lüdde
Freistaat Thüringen gemeinsam mit dem Land
Hessen jährlich ausrichtet. Vielmehr muss es      Er hatte mächtigen Hunger, von Anfang an.
um die Verbindung von Geschichte und Ge-          Jahr für Jahr wollte er mit neuen Geschichten
genwart gehen. »Keine Zukunft hat, wer ohne       und Gedichten gefüttert werden, geschrieben
Vergangenheit kommt.«, heißt es in Harald         und illustriert von Thüringer Mädchen und
Gerlachs Roman »Das Graupenhaus«, der zur         Jungen. Und wählerisch war er auch noch:
Schullektüre in Thüringen gehören sollte.         Jedes Jahr wünschte er sich literarische Kost
                                                  unter einem anderen Motto. Zum Glück war
2020 hat Guido Naschert als neuer Geschäfts-      sein Gebrüll laut genug – aus ganz Thüringen
führer der Literarischen Gesellschaft Thürin-     trafen die Futterpakete ein, analog und digital.

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Aktuell 1/2021 - Literaturland Thüringen
Zugegeben, in einem Jahr versuchten einige         Martin Straub
Schülerinnen und Schüler, ihm Unverdauliches
zu verabreichen. Sie glaubten wohl, clever         Viele Seiten und Spielarten
genug zu sein, ihn mit billiger Copy-Paste aus
dem Internet abspeisen zu können. Aber da!         Kaum zu glauben: Sigrun Lüdde hört auf. Die
                                                   dienstälteste Projektmanagerin des literari-
Da hob der Buchlöwe die Zähne, schüttelte          schen Lebens in Thüringen. Als ich das Regio-
seine Mähne und ließ einen Brüller los, dass       nalbüro der »Stiftung Lesen« in Thüringen
er solche Kost vehement ablehne. Welche            aufbaute, stand sie schon an der Spitze der
Freude hatte er dagegen an den mit viel Liebe      Weimarer Gesellschaft, und sie half einem An-
und Kreativität zubereiteten Texthappen, die       fänger. Ich bin ihr bis zum heutigen Tag dank-
auch noch seine unterschiedlichen Ge-              bar, dass ich unter dem Dach der LGT tätig
schmacksknospen trafen: Witzig-süße Kin-           werden konnte. Die 3. Thüringer Literaturtage
dergeschichten des allerersten Schreibalters       »Die Wut über die verlorene Geschichte«
standen neben Geschichten mit leicht bitte-        waren da für mich ein ganz wichtiger Punkt.
rem Nachgeschmack, geschrieben von ju-
gendlichen Autorinnen und Autoren.

Liebe Sigrun, es war mir ein Vergnügen, mit dir
gemeinsam – und mit zahlreichen fleißigen
Jury-Mitgliedern – diesen Wettbewerb auszu-
richten. Ohne deine tatkräftige Organisation
wäre das Gebrüll des Löwen nicht bis in alle
Ecken und Winkel Thüringens vorgedrungen,
ohne deine gründliche Vorbereitung hätten wir
nicht so gut über die eingereichten Texte ab-
wägend diskutieren können. Ein eindrucksvol-
les Erlebnis war es immer, die Mädchen und
Jungen, die uns besonders gelungene Texte
geschickt hatten, in einer feierlichen Ab-
schlussveranstaltung lesend zu erleben – ei-
nige von ihnen in mehreren Jahren nachein-
ander.

Um es kurz zu sagen: Ich habe sehr gern mit
dir zusammen in der Literarischen Gesell-
schaft gearbeitet. Danke für deine Ideen, deine
Organisation und auch für deinen Adlerblick,
wenn es darum ging, aus den Geschichten der
Kinder eine druckreife Broschüre zu zaubern.

       Alle guten Wünsche für dich! Ingrid Annel

                                                   Sie hatten ihren Hauptort in Jena. Diese Tage
                                                   mit Dorothee Sölle, Alena Wagnerová, Franz
                                                   Hodjak, Roza Domascyna, Peter Brasch und
                                                   anderen zeigten mir Möglichkeiten auf. In dem
                                                   Vorwort des Bandes, der die zwei Tage vom 7.
                                                   und 8. Mai dokumentierte, heißt es: »Es soll-

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ten literarische Maßstäbe gesetzt werden.          tion Weimar. Ich denke schon, nicht zuletzt ihr
Und dies ist nur möglich, wenn das regionale       ist es zu verdanken, dass wichtige Reihen wie
Weltgefühl Frischluftzufuhr erhält, wenn es        die Mitteldeutsche Lyriknacht und vieles an-
sich messen lässt, wenn es Maßstäbe er-            dere realisiert werden konnte.
kennt, anerkennt und gelten läßt.« Ein wahres
Wort.                                              Zum Schluss in Anlehnung an Brecht, der Jah-
                                                   reszeit entsprechend.
Überblickt man die letzten 30 Jahre, sollte
man nicht übersehen, welchen Konfliktstoff           Kinder, ich bin die Sigrun.
solche Grundsätze in sich bargen und bergen.         Ich war es, die Jahr für Jahr
Sigrun Lüdde hat maßgeblichen Einfluss da-           der Literatur die Fäden spann
rauf, dass sich das literarische Leben in Thü-       den Winter und den Sommer lang
ringen in aller Vielfalt entwickelte. Ich denke      Schlusschor
nur an die Arbeit mit den Kindern und an eine        Sigrun, komm nach vorn
vielfältige Werkstattarbeit. Nun war ja Sigrun       hier ist dein Korn
in einer beneidenswerten Situation, als in ihrer     und vielen Dank für die Arbeit.
Gesellschaft die namhaften Autoren aus Wei-
mar und Thüringen beheimatet waren und                             Martin Straub – Lese-Zeichen e.V.
auf die Programmgestaltung Einfluss nah-
men.

Zudem wurden wichtige Publikationen und
Publikationsreihen auf den Weg gebracht, wie       Falk Zenker
die Edition Muschelkalk. Sigrun hat anderen
Vereinen immer wieder geholfen, mit der ja für     Liebe Sigrun,
viele ungewohnten Bürokratie umzugehen. So
half sie dem Verband Deutscher Schriftsteller,     es war mir immer ein großes Vergnügen und
Landesverband Thüringen, bei der Ordnung           Inspiration zugleich, die Literaten Thüringens
der Finanzen und war auch dem Literaturbüro        mit meiner Musik zu unterstützen, Verbin-
in Erfurt eine wichtige Helferin. Und sie hatte    dungs- und Assoziationslinien zwischen Wort
zunehmend ein offenes Ohr für Projekte jun-        und Klang herzustellen und dabei kostbaren
ger Leute.                                         Austausch auf allen Ebenen zu erleben. Du
                                                   hast es möglich gemacht und in Deiner be-
Freilich musste sie, wie wir alle, lernen, mit     herzten und erfrischenden Art zusammenge-
der Vielfalt eines sich entwickelnden Vereins-     bracht, zum Leben erweckt und zu den Hörern
lebens in diesen 30 Jahren umzugehen. Als          gebracht.
sich nach der Schließung des Regionalbüros
Thüringen der »Stiftung Lesen« der Lese-Zei-       Dafür danke ich Dir und wünsche Dir von Her-
chen e. V. mit der Burg Ranis in unbekanntes       zen eine gute und spannende nächste Le-
Gelände vorstieß, mussten beide Vereine neue       bensphase, in der Du ja nun auch sehr gerne
Formen der Zusammenarbeit erproben und             bist, wie ich weiß. Als Musiker ist das Papier
akzeptieren. Dass es dabei auch manche Kon-        sowohl in Wort als auch Bild nicht mein künst-
flikte und Verstimmungen gab, soll nicht ver-      lerisches Medium. So hoffe ich auf baldige Ge-
hehlt werden. Wichtiger aber, wir haben            legenheit, Dir einen Gruß auf der Gitarre spie-
gelernt, erneut aufeinander zuzugehen.             len zu können.

Wenn es nicht wenige wirklich gelungene Ver-                                   Herzlich, Falk Zenker
anstaltungen beider Vereine in Weimar gab,
muss unbedingt ein Name genannt werden:
Angela Egli-Schmidt von der Stadtkulturdirek-

                                                                                                  5
Aktuell 1/2021 - Literaturland Thüringen
Christine Hansmann                               Retour XI

Herzwünsche, sehr verspätet
                                                 Wir treten
                              für Sigrun Lüdde   ein.

Bukolisch                                        Schlaflose,
                                                 Minensucher,
Irgendwann                                       Fährtenleser,
lüften sich                                      Experten
förmlich die Häuser,                             der Stunde Null,
Flaniermeilen                                    eine verschwiegene
sind die Alleen, alle                            Schar ‒
Tischtücher
decken sich                                      was wiegt
auf, das Veilchenwasser                          die Wolke
fließt über,                                     Staubes,
                                                 was die Wortspur,
Luftsprünge haben                                was
Hochkonjunktur,                                       Geduld?
ballongroße,
schillernde Seifenblasen
werden als Geschenk
geboten ‒                                        Angela Egli-Schmidt
nur so, aus
Gaukelei und                                     Sigrun und die Lüdderarische Gesellschaft

Musik,                                           Sigrun war die ärmelaufkrempelnde Trüm-
natürlich Musik, das ganze,                      merfrau auf dem Feld der Literatur in Thürin-
herzerweichende                                  gen, das es nach 1989 neu zu bestellen galt.
Programm                                         So viel Anfang, so viel Spiel- und Erfahrungs-
zieht mit den                                    raum würde wohl nie wieder sein: Vereine,
Düften herein, ein                               Projekte – ganz neue Strukturen galt es zu
                                                 entwickeln, Förderinstrumente auf den ver-
Schwarm von Gestalten,                           schiedenen Ebenen zu erkennen und zu nut-
loses Volk, ausgediente                          zen.
Akrobaten,
Gipfelstürmer,                                   Sigrun war 30 Jahre lang die Telefonstimme,
Geschichten-                                     das Herz, war Hand und Fuß der LGT. Sie
erzähler,                                        plante, lud ein, zog Strippen und Projekte an
                                                 Land und »ganz nebenbei« drei Kinder groß,
es wiegen                                        deren Herz ebenfalls für Kunst und Kultur
im Volltakt                                      schlägt.
die Hüte, die Röcke, die
rauschenden Winde,                               Bei den all den wechselnden Vorständen, Ak-
die Blätter der ‒                                teuren und Ideengebern, den sich über die
                                                 Jahre ändernden Schwerpunkten – in der Ar-
sag mir Bescheid,                                beit der LGT gab es ein Kontinuum: Sigrun
sollte es je wieder                              Lüdde.
so sein.

                                                                                             6
Dankbare Autoren, Kooperationspartner und            Wulf Kirsten
Förderer (alle natürlich w, m, d), aber auch un-
zählige Regalmeter Ordnerrücken in der be-           Rückblick auf 30 Jahre Literarische Gesell-
sonderen Sigrun-Schrift zeugen von dieser            schaft
motiviert und verlässlich Arbeitenden.
                                                                                     für Sigrun Lüdde
Der größte Beweis sind jedoch die mit all den
Projekten erfolgreich erreichten und berei-          Keine Ahnung, wer die Idee hatte, die Literari-
cherten Adressaten in den verschiedenen Al-          sche Gesellschaft Thüringen zu gründen. Ich
tersgruppen. Wie viele mögen es sein, die in         hatte nach dem Zusammenbruch der DDR das
30 Jahren die Lese-, Schreib- und Denkförde-         Gefühl, kulturell in ein tiefes schwarzes Loch
rung der Literarischen Gesellschaft erreichte?       gefallen zu sein. Die ersten Zuckungen der LGT
Wenn es eine weiß, dann ist es Sigrun Lüdde!         spielten sich im Gärtnerhaus im Weimarhal-
Ihre Ärmel kann sie nun endlich herunter-            lenpark ab. Ich weiß auch nicht, wieviele Mit-
krempeln, sie braucht jetzt mehr ihre Stimme,        begründer wir waren. Kaum mehr als ein
um ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter-           Dutzend werden wir gewesen sein. Darunter
zugeben.                                             auch einige, von denen späterhin nie wieder
                                                     etwas auf den Besprechungen / Sitzungen zu
Danke für alles, liebe Sigrun, für wunderbare        bemerken war.
gemeinsame Projekte, aber auch für so manch
fruchtbaren Streit, den wir immer für das je-        Der »Kern« sah die zwingende Notwendigkeit,
weilige Anliegen führen konnten! Einmal              nach einem/einer Geschäftsführer/in Aus-
brauchten wir sogar die Vermittlung von An-          schau zu halten. Auf Vorschlag von Dr. Marie-
nette Seemann und ein Abendessen beim                Elisabeth Lüdde entschieden wir uns für ihre
Griechen dazu … Das bleibt! Nun also alles           Schwägerin Sigrun Lüdde. Ich gehörte zum
Gute für Dich! Es gibt auch ein Leben nach der       Vorstand. Welche Funktionen ich dabei konkret
LGT. Genieße es!                                     ausübte, weiß ich nicht mehr zu sagen.

                        Jahresversammlung der LGT 1993 im mon ami Weimar (v.l.: Matthias Biskupek,
                          Dr. Marie-Elisabeth Lüdde, Wulf Kirsten, Sigrun Lüdde) – Foto: Gaby Waldeck.

                                                                                                    7
Ich vermag in der gebotenen Kürze nur einige      Querelen gehörten, wie sie der Berufsstand
Gedanken über die langjährige Zusammenar-         mit schwierigen Individualitäten mit sich
beit mit Sigrun Lüdde aufzugreifen. Generell      bringt. Die Arbeit über die Jahre bewältigt zu
möchte ich dabei auf die in dreißig Jahren ge-    haben und trotz mancherlei Widrigkeiten nicht
wachsene, sich bewährte Zusammenarbeit            aufgesteckt zu haben, dafür spreche ich
verweisen. Hervorgehoben zu werden ver-           Sigrun Lüdde meinen herzlichen Dank aus.
dient dabei die gesamte Verwaltungsarbeit,
Organisation von Veranstaltungen, Buchfüh-
rung, Abrechnung, der komplette »Büro-
kram«, den ich zumeist nur aus einer Distanz      Annette Seemann
wahrnahm. Ich weiß aber sehr wohl, wie sehr
gerade von dessen ordnungsgemäßer Ab-             Gemeinsam dranbleiben
wicklung das Prosperieren und mithin das An-
sehen der Gesellschaft abhing.                    Sigrun Lüdde hat mich vor vielen Jahren, als
                                                  ich noch neu in Weimar war, schätzungsweise
Mehrfach mussten Umzüge der Geschäfts-            2004, auf der Straße angesprochen. Da hatte
stelle bewältigt werden. Vom bescheidenen         sie noch ihren kleinen Hund Nelli. Sie wusste,
Dachquartier über dem Lesecafé, das einige        dass ich schreibe und wollte gern mit mir
Jahre in Weimar bestand, bevor es sang- und       sprechen, so haben wir uns verabredet und
klanglos von der Bildfläche verschwand, ins       ausgetauscht, und sie hat mich für die Litera-
Volkshaus, das seit Jahren einem kulturellen      rische Gesellschaft Thüringen gewinnen kön-
Dämmerschlaf frönt; von dort über die Crêpe-      nen.
rie am Palais, dann ins Evangelische Medien-
haus, das es heute nicht mehr gibt, schließlich   Schon das ist etwas Besonderes, denn man
in das heutige Quartier über der Eckermann-       gewinnt mich nicht leicht für Vereine, Grup-
Buchhandlung. Ein Quartier, mit der die LGT       pen, Zirkel, von Parteien ganz zu schweigen.
nach etlichen Wanderjahren ein exzellente         Aber sie hat die LGT so lebendig dargestellt, es
Basis für ihre Arbeit gefunden hat.               als wichtig und erstrebenswert erklärt, dort
                                                  Mitglied zu werden, also wurde ich es, ohne es
Zu den Höhepunkten gehören für mich insbe-        jemals bereut zu haben. Denn mit meiner
sondere die Jahrestage, an deren Einzelheiten     westdeutschen Biographie bis 2002 hatte ich
ich mich jedoch nur noch bruchstückhaft erin-     die kollegiale Vereinigung von Schriftstellern
nere. Als besonders gelungen bleibt für mich      nicht gekannt, eher den Haifischteich und,
die Tagung in der Johanniterburg Kühndorf un-     wenn es hoch kam, mal ein lobendes Wort
terhalb des Dolmar in Erinnerung. Natürlich       oder eine Ermutigung eines anderen Kollegen.
erforderten diese Zusammenkünfte und die
zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen mit      Das war hier anders, und so habe ich auch die
Vorträgen und Lesungen aufwendige Vorbe-          LGT schätzen gelernt, und zwar immer mit
reitungen. So denke ich an Meinigen, Eisenach,    Sigrun Lüdde als Geschäftsführerin, die Le-
Jena, die erste, früheste Tagung in Kochberg,     sungen auch in abgelegensten Orten Thürin-
Rudolstadt. Altershalber war ich in den letzten   gens begleitete, als »Chauffeuse« etwa Wulf
Jahren gezwungen, auf Teilhabe am literari-       Kirsten und mich nach Limlingerode hin und
schen Geschehen zu verzichten.                    zurück brachte, wo wir den Gefesselten Wald
                                                  vorstellten, mit 13 Zuhörern (eine wahrhaft
Die Wahl von Sigrun Lüdde 1991 hat entschie-      coronamäßige Anzahl vor Corona), aber dann
den zu einem lebendigen literarischen Klima       auch, und das begann 2010, als Kollegin. In-
der vergangenen drei Dezennien in Thüringen       sofern war das für mich auch etwas Neues, als
beigetragen. Ich habe gute Gründe, für alles,     ich als Schreibende/Übersetzende niemals
was sie geleistet hat, zu danken. Wozu auch       zuvor KollegInnen hatte, Lektoren, Verleger,
immer wieder die Bewältigung personeller          Rezensenten sind ja doch das nicht.

                                                                                                8
Ich habe Sigrun/der LGT Ende 2010 das Kin-           Verleihung des Thüringer Kulturpreises 2014
derbibel-Projekt angetragen, und es wurde          (v.l.: Christoph Matschie, Dr. Annette Seemann,
unser Projekt. Die Literarische Gesellschaft      Sigrun Lüdde, Thomas Spaniel) – Foto: TMBWK.
Thüringen wurde Träger des Projekts, und es
gelang uns in einer harmonischen Zusam-
menarbeit, sehr viele Bundes-, Landes und ei-    leute in Weimar (hier nehme ich ausdrücklich
nige kommunale Mittel sowie Spenden von          den Superintendenten Henrich Herbst aus, der
Privatpersonen und Unternehmen einzuwerben.      die Idee sofort toll fand) eine sich immer mehr
                                                 steigernde Resonanz. Schon die Zusammen-
Vor allem war die Idee der Weimarer Kinder-      setzung: Vier Frauen kämpfen für das Geden-
bibel sehr gut in der Reformationsdekade un-     ken der Reformation, sie mobilisieren Schulen
tergebracht, nur so konnte unser Projekt – ich   aller Typen, die Lehrerfortbildung (ThILLM), sie
sage ›unser‹ denn ohne Sigrun und auch Ulrike    mischen die Bauhaus-Universität auf, instal-
Greim sowie Andrea Dreyer von der Bauhaus        lieren dort Workshops zu Kalligraphie, Druck
Universität Weimar wäre es unmöglich gewe-       und zahlreichen weiteren Techniken, schicken
sen, die Idee zu verwirklichen – durchgesetzt    Studierende an die Schulen, überreden Pfarrer,
werden. Das gemeinsame Engagement fand           Katecheten, den orthodoxen Priester Michail
nach anfänglichem Zweifel gerade der Kirchen-    Rahr, den Journalisten Paul Andreas Freyer

                                                                                                9
und etliche begabte Menschen mehr, um bib-          Jens-F. Dwars
lische Geschichten in den ausgewählten Klas-
sen zu erzählen, veranlassen Lehrer, Projekt-       Was ist und zu welchem Zweck betreiben wir
wochen zu Luther und Exkursionen zu den Lu-         Literaturförderung?
therstätten durchführen, in Weimar, in Eisen-                                  für Sigrun Lüdde
ach, in Erfurt … das wirkte zunächst auch auf
die LGT und ihre Mitglieder seltsam. Zugege-        Georg Büchner, steckbrieflich gesuchter
ben. Aber es wirkte. Je länger, je mehr. Die mit-   Flüchtling aus dem Hessischen, konnte bei
machenden Schulen (d.h. ihre Leitungen und          keinem seiner Texte, auch nicht bei dem zu
Lehrkräfte) in Weimar und darüber hinaus in         Lebzeiten gedruckten Landboten, von Freun-
Erfurt, Eisenach und an noch entlegeneren           den verstümmelt, und Dantons Tod, von Gutz-
Orten, etwa Worms und Herisau in der                kow geglättet, Korrektur lesen. Friedrich von
Schweiz, begriffen, welchen kulturgeschicht-        Hardenberg, der sich Novalis nannte, ein Neu-
lichen Schatz die Reformation für ihren Unter-      land-Besteller, schrieb auf Dienstreisen oder
richt in zahlreichen Fächern Deutsch, Ge-           ritt als Salinenassessor und Amtshauptmann,
schichte, Religion, Kunst, Musik bieten konnte.     das Braunkohlenrevier zwischen Zeitz, Meu-
                                                    selwitz und Ronneburg erschließend. Kafka
In diesem Projekt, das zwischen 2010 bis            war ein sorgfältiger Versicherungsangestell-
2018 uns beide, Sigrun und mich, eng zusam-         ter, Benn ein Arzt für Hautkrankheiten. Hätten
mengeschweißt hat, gab es nie einen Misston,        sie andere Bücher verfasst, bessere, noch in-
gab es immer nur sorgfältiges, verlässliches        tensivere, wenn ihnen Stipendien und Preise
Arbeiten auf Seiten Sigruns, große kommuni-         die alleinige Konzentration auf ihr Schreiben
kative Fähigkeiten, gab es Begeisterung für die     ermöglicht hätten? Oder anders, boshafter,
Sache und für das Ausprobieren des Projekts         gefragt: Hat der Stürmer und Dränger Goethe
bei uns beiden, auf einem bislang unbekann-         nicht an Kraft verloren, seit er sich von seinem
ten Terrain mit unglaublich vielen Partnern des     Herzog als Berater und Unterhalter des Hofes
Projekts – 60 bis 70 waren es jährlich – gab        aushalten ließ, für den er läppische Masken-
es Freude darüber, das Thema immer mehr             züge schrieb und brave Gelegenheitsverse?
durchzusetzen, eine Website anzulegen und
zu optimieren und so durch das bloße »Dran-         Noch nie in der Geschichte der deutschen Li-
bleiben« immer größer zu werden. Denn so            teratur gab es so viele Preise und Stipendien
kam das.                                            wie heute. Wo sind die Meisterwerke, die sich
                                                    dieser Förderung verdanken?
Ihre Transparenz, Loyalität, die Fähigkeit, in
der gemeinsamen Aktion alle Fäden immer             »›Ein Genie muss hungern, sonst wird nichts
zusammen zu halten (und daneben gab es ja           daraus.‹ Ich sage umgekehrt: Ein Genie muss
unglaublich viele andere Projekte, die Sigrun       Geld haben; dann erst erweist es sich, ob es
auch betreute), haben mich immer beein-             echt ist; ob es Kraft hat. Erst wenn Armut und
druckt, und ich habe mir gedacht: Wenn Team-        Reichtum daran herum geätzt und es nicht
arbeit das ist, dann bin ich auch teamfähig.        angegriffen, nicht zerstört haben, erweist es
Sigrun jedenfalls war es immer. Dass »wir« für      sich als wert, die Menschheit zu führen.«
die LGT den Thüringer Kulturpreis 2014 ge-            (Harry Graf Kessler, Tagebuch vom 15. Juni 1916)
wonnen haben, ist für mich ein Beweis der
Tatsache, wie gut wir zusammengearbeitet            Ist also doch Förderung vonnöten? Aber wel-
haben.                                              che und durch wen? Als Ingo Schulze 2007
                                                    den Thüringer Literaturpreis erhielt, störte es
Und wenn wir uns heute sehen, sagen wir             ihn, seinen Dank an einem Pult zu verkünden,
öfter: Wenn es noch einmal so ein Projekt           an dem das Logo von E.ON Thüringer Energie
gäbe, würden wir das wieder machen …                AG prangte. Er wollte nicht Werbeträger eines

                                                                                                   10
Wieso aber sollen steuerfinanzierte Jurys bes-
                                                      sere Entscheidungen treffen als die Kulturbe-
                                                      rater der Unternehmen? Weil wir den Staat,
                                                      sagt Schulze, abwählen können, den Unter-
                                                      nehmensbeauftragten nicht. Sollen wir wäh-
                                                      len und wählen und wählen, bis die uns
                                                      genehmen Vertreter in den geeigneten Gre-
                                                      mien sitzen? Wäre es nicht sinnvoller und nö-
                                                      tiger, um Kriterien der Förderung zu streiten?
                                                      Eine öffentliche Atmosphäre zu schaffen, in
                                                      der das Gute und Schöne gedeihen kann und
                                                      von Vielen als solches auch wahrgenommen
                                                      wird: vom Entfachen der Lese- und Schreib-
                                                      lust in den Schulen über das Fordern und För-
                                                      dern von Literatur- und Kunstkritik in den
 Verleihung des Thüringer Literaturpreises 2004       Tageszeitungen bis zur Auszeichnung von Bü-
 an Sigrid Damm (v. l.: Sigrun Lüdde, Juliane Flei-   chern, die nicht auf den Bestsellerlisten ste-
   scher, Dr. Sigrid Damm) – Foto: Axel Clemens.      hen und von Autoren, mit denen sich die
                                                      Preisverleiher nicht selber schmücken. Wir
                                                      brauchen keine Corona-Aktionen, sondern die
                                                      Förderung kontinuierlicher Arbeit. Der wahre
Privatunternehmens sein, wie Sportler, auf            Förderer veranstaltet keine Events, er ist ein
deren Stirnbändern die Namen ihrer Sponso-            Gärtner, der eine literarische Landschaft hegt
ren stehen. Ihn störte, dass wir uns daran be-        und pflegt. Seine Aufgabe ist: das Bestehende
reits so gewöhnt haben, dass es uns nicht             zu hüten, Keime von Kommendem zu erken-
mehr stört, wenn die Privatwirtschaft an die          nen, Blüten freizulegen, Früchte zu bergen
Stelle des Staates tritt, um Kultur zu fördern:       und all das auch andere zu lehren, unsere Ur-
Es herrsche eine »Tendenz zur Refeudalisie-           teilskraft zu stärken.
rung des Kulturbetriebes«, die einhergehe mit
einer allgemeinen Privatisierung und Ökono-
misierung aller Lebensbereiche. An uns, den
Wählern liege es, zu entscheiden, ob wir die-         Daniela Danz
sen Selbstlauf der Dinge hinnehmen oder für
einen Staat sorgen wollten, der seine Verant-         Menschen und Orte verbinden
wortung für das Gemeinwesen wahrnimmt
und dafür auch die notwendigen Gesetze                Obwohl der alte Friedhof in Buttstädt inzwi-
schafft.                                              schen unter Kennern der Grabmalarchitektur
                                                      Europas einen solitären Status hat, indem er
Das war die bis heute anregendste Dankrede,           nämlich einer der am besten erhaltenen Cam-
die in dem Vorschlag gipfelte, ein Literatursti-      posanti nördlich der Alpen ist, mutet jeder Be-
pendium für Thüringer Autoren zu schaffen             such des hinter unscheinbaren Mauern
und dafür sein Preisgeld zu verwenden. Was            verborgenen Kleinods an, als wäre man der
sich nur ein Dichterfürst erlauben konnte, der        erste, der diesen verborgenen Ort betritt. Und
mit Preisen und Stipendien genug gesegnet             gleich, nachdem man durch das Tor gegangen
war und mit eben dieser Ablehnung des Gel-            ist und im Dämmer der Säulengänge steht, ist
des nicht nur all jene beschämte, die solcher         man gefangen von der besonderen Atmo-
Zuwendungen bedürftig sind, sondern zudem             sphäre dieses aus der Zeit gefallenen Toten-
noch mehr Aufmerksamkeit für sich und seine           gartens. Barocke Grabsteine begrüßen den
Bücher erregt hat, als wenn er es dankbar an-         Besucher mit Worten wie: »Stehe stille, Wan-
genommen hätte.                                       derer, und sieh: In dieser Grube ruhen die Ge-

                                                                                                  11
beine eines herausragenden und sehr gelehr-         und Begegnungen brauchen, um das, was das
ten jungen Mannes, des Herrn Gottlob Kauff-         Potential hat, uns zu spalten, nicht übermäch-
mann, des Advocatus immatriculatus in               tig werden zu lassen. Sigrun Lüdde hat mit der
Sachsen, der niemandem jemals ein Unheil            Buttstädter Tradition etwas Versöhnendes
getan hat außer durch seinen Tod. War er auch       geschaffen: Die Toten und die Lebenden, die
in diesem Leben mit Rechtsstreit befasst, hat       Kunst und die Natur (manchmal hat es auch
er nun ohne jeden Prozess gewonnen, in sei-         heftig geschüttet), die Einheimischen und die
ner eigenen Sache, vor dem göttlichen Gericht       Fremden sind bei den Lesekonzerten auf dem
mit Christus als Anwalt. So ist die Verhandlung     Friedhof miteinander verbunden. Das beglückt
glücklich gewonnen, da er (Christus) die Schuld     mich sehr und dafür, wie für so vieles andere
der Natur beglichen hat durch seinen zuvor          (u. a. meine ersten beiden Bücher!!!) danke ich
geschehenen Tod. Am 14. September 1730 im           Dir, liebe Sigrun!
Alter von 28 Jahren. Geh, Wanderer! Wisse,
dass auch dein Prozess einst so geführt wird.«
Jedem, der dies liest, wird sofort klar: Das ist
ein Ort barocker Rhetorik, mithin ein Ort der       Hubert Schirneck
Literatur.
                                                    Auf der anderen Seite
Darf man auf einem nun schon 150 Jahre of-
fengelassenen Friedhof Lesekonzerte veran-                                 für Sigrun Lüdde
stalten? Was sagt die Kirchgemeinde dazu?
Der engagierte Vereinsvorsitzende Erich Rei-        Jenseits der Wände
che hatte die Idee dazu, aber wen er brauchte,      ticken die Zeitbomben
war eine ebenso engagierte Veranstalterin           klirren Karabinerhaken und Flaschen
und die fand er in Sigrun Lüdde und der Lite-
rarischen Gesellschaft. Sie überlegte nicht         Auf der anderen Seite
lange, sondern wagte es, Autoren und Musiker        setzt die Wortflut ein
an diesem ungewöhnlichen Ort zusammenzu-            und dort singen die Vögel
bringen und damit eine inzwischen langjährige       gegen den Lärm der Autos an
Tradition zu stiften, die in Buttstädt jedes Jahr
aufs neue ein sommerlicher Höhepunkt ist.           Es nimmt nie ein Ende
Auf Bänken sitzen die zahlreichen Gäste, die        Nur hinterm Haus wächst
sonst nicht das klassische Lesungspublikum          das Schweigen
bilden, und lauschen Gedichten. Und es ge-
schieht das, was eben Kunst vermag und was
sie in dieser wie in allen anderen Zeiten rele-     Fressende Schafe
vant macht. Sie bringt Ungesagtes zur Spra-
che, sie lässt Vertrautes neu erscheinen und        Wenn du nicht einschlafen kannst
sie verbindet Menschen miteinander.                 zähl keine Schafe
                                                    sondern hör ihnen beim Fressen zu
Es ist schön für den Autor/die Autorin, an die-     Das macht müde so müde
sem, den Buttstädtern so wichtigen Ort seine        Ich möchte eine Lanze für die Schafe brechen
Texte lesen zu können und für den Musiker,          Auf einer saftigen Wiese zu stehen und zu fressen
seine Musik durch die Säulengänge zu etwas          gemeinsam mit anderen Schafen
Neuem werden zu lassen. Und es ist schön für        ist viel besser als in einem Büro zu sitzen
die Buttstädter, ihren vertrauten Ort an die-       mit ähnlicher Hierarchie doch schlechterer Luft
sem Abend anders wahrzunehmen. Wobei                oder Manifeste zu schreiben
»schön« ein zu schwaches Wort für die Tatsa-        oder Schuhe zu verkaufen
che ist, dass wir als Gesellschaft solche ge-       in einem vollkommen grasfreien Einkaufszentrum
meinsamen Momente und öffentlichen Orte             am Rande von Nirgendwo

                                                                                                  12
Christoph Schmitz-Scholemann                       und ihre Kompetenz setzen. Allerdings haben
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Danke, liebe Sigrun                                rung unserer anspruchsvollen und ehrgeizigen
                                                   Ziele gegenwärtig nur deshalb bewältigt wer-
Als ich 2006 nach einigen Turbulenzen zum          den kann, weil ... Frau Lüdde in beträchtlichem
Vorsitzenden der Literarischen Gesellschaft        Umfang bereit ist, auch über ihre bezahlte Ar-
Thüringen wurde, war die von Sigrun Lüdde          beitszeit hinaus zur Verfügung zu stehen. Das
bis Anfang 2006 und dann wieder ab Ende            sind natürlich Arbeitszeitressourcen, die man
2006 wahrgenommene Stelle der »Projekt-            nur vorübergehend abfordern und ›ausbeu-
managerin« vom Freistaat Thüringen halbiert        ten‹ kann ...«
worden. Zugleich hatten wir uns aber vorge-
nommen, die Arbeit der LGT neu anzukurbeln.        Liebe Sigrun, das alles sind natürlich nur dürre
Das bedeutete für Sigrun, dass sie praktisch       Worte für das, was Du getan hast für so viele
zwar nur für eine halbe Woche bezahlt wurde,       von uns, die sich zum literarischen Leben Thü-
aber mehr oder weniger die ganze Woche ar-         ringens zählen dürfen. Und es war ja nicht nur
beitete. Sie machte das zwar mit, aber ein fai-    das Programmatische, das Ausbaldowern
rer Zustand war es nicht. Wir haben uns            neuer Projekte, Verhandlungen mit Verlagen.
deshalb wiederholt an die zuständigen Stellen      Wieviele Anträge hast Du ausgefüllt, wieviele
beim Freistaat gewandt. Hier Auszüge aus           Honorarverträge unterschrieben, Reisekosten
einem dieser Schreiben aus dem Jahre 2007,         abgerechnet! Bei wievielen Veranstaltungen
die von Sigruns wunderbarer, unermüdlicher,        hast Du mit geschickter Hintergrundregie
bienenfleißiger und letztlich auch vom Frei-       dafür gesorgt, dass sie mühelos wie von Geis-
staat anerkannter Leistung für die Literatur in    terhand über die Bühne gingen. Zwei große
Thüringen zeugen.                                  Umzüge des Büros hast Du allein in den Jahren
                                                   unseres gemeinsamen Wirkens organisiert.
»... Seit Herbst 2006 ist wieder ... Frau Sigrun   Wie oft hast Du mich mit Deinem Feingefühl
Lüdde ... als Geschäftsführerin im Amt ... Sie     davor bewahrt, Empfindlichkeiten von Dich-
ist mit ihren Aufgaben bestens vertraut, arbei-    ter/innen, Musiker/innen und Schauspieler/
tet mit dem Vorstand ... gut zusammen und          innen, Ministerial/innen, Künstler/innen und
verfügt aufgrund ihrer langjährigen Praxis         Gelehrten zu verletzen. Auch an nächtliche
über das erforderliche administrative Spezial-     Rückfahrten durch Schnee und Eis aus den
wissen und vielfältige persönliche Kontakte        tiefsten Winkeln Thüringens erinnere ich mich
ins Thüringische Literaturleben, beides uner-      gern. Es wäre unehrlich zu verschweigen, dass
lässliche Voraussetzungen für die von der LGT      wir auch gestritten haben. Aber noch unehrli-
erstrebte Pflege und Ausweitung der Tätig-         cher wäre es zu verschweigen, dass wir uns,
keitsfelder ...                                    ohne große Worte darum zu machen, von
                                                   Herzen versöhnt haben. Sei umarmt, liebe
Die Aufgabe des Projektmanagers lässt sich         Sigrun!
dabei nicht auf ein fest umrissenes Feld be-
grenzen. [...] Er muss auch akzeptieren, dass
diese Aufgabe nicht mit der Mentalität eines
Arbeitnehmers zu bewältigen ist, der ›mit der      Stefan Petermann
Stoppuhr in der Hand‹ seine Dienstzeiten ein-
hält und ›um 5 den Griffel fallen lässt‹. Sigrun   Besonders die Fahrten
Lüdde hat nicht nur in den Gründerjahren,
sondern gerade auch seit ihrem Wiederein-          Es gäbe viele Momente mit Sigrun zu be-
stieg bei der LGT im Oktober 2006 gezeigt,         schreiben; Gespräche, Veranstaltungen, Büro-
dass sie diese Voraussetzungen voll erfüllt.       treffen. Doch ich möchte über etwas schrei-
Der Vorstand der LGT möchte gern weiter auf        ben, das regelmäßig geschah und das, so
ihre Erfahrungen, auf ihre Einsatzbereitschaft     scheint es mir im Rückblick, fast ritualhaft war.

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Einmal im Jahr, es war immer ein Sonnabend,      Wir saßen im Auto und fuhren los; nach Bad
es war immer Ende November, Anfang De-           Heiligenstadt, Rudolstadt, Bad Berka, Gotha
zember, es war immer am Morgen, traf ich         oder Greiz. Meistens legten wir unterwegs
Sigrun vor ihrem Haus. Dort wartete sie schon    einen Halt ein und nahmen Ingrid mit. Auf der
mit dem Auto. Das Auto war vollgepackt; der      Hinfahrt besprachen wir das Kommende, auf
Kofferraum gefüllt mit Pappkartons, auch auf     der Rückfahrt das Geschehene. Am Veranstal-
der Rückbank standen die Kartons gestapelt,      tungsort angelangt luden wir aus. Auch hier
in den Fußbereich der hinteren Sitze waren       kümmerte sich Sigrun um das Wesentliche,
Eimer gestellt, die mit ihrem Wasser zwei        hielt Ingrid und mir den Rücken frei für die Mo-
Dutzend Blumensträuße frisch halten sollten.     deration.
Das alles war für den Buchlöwen gedacht, den
Schreibwettbewerb der Literarischen Gesell-      Während der Auszeichnungsveranstaltung,
schaft für Kinder und Jugendliche. Zum Jahres-   wenn hundert erwartungsvolle Kinder und Ju-
ende fand die Auszeichnungsveranstaltung         gendliche mit deren Familien und Freunden
statt, stets in einem anderen Thüringer Ort.     voller Freude den gelesenen Texten und aus-
Und wir fuhren dorthin, einmal im Jahr.          gesprochenen Glückwünschen folgten, hielt
                                                 sich Sigrun stets im Hintergrund. Nur an einer
Sigrun hatte die Auszeichnungsveranstaltung      Stelle meldete sie sich zu Wort – verlässlich,
akribisch vorbereitet: Urkunden gedruckt, Um-    jedes Jahr – dann, wenn die Preisverleihung
schläge bereitgelegt, Listen angefertigt, die    fast zu Ende war, hob sie die Hand und bat die
erwähnten Blumen bestellt und beim Blu-          Preisträgerinnen und Preisträger darum, an-
menladen geholt, die erwähnten Pappkartons       schließend für eine Unterschrift zu ihr zu kom-
mit dem jeweils aktuellen Siegertexteheft ins    men. Danach packten wir die nun leeren Eimer
Auto gepackt und dazu Ausgaben aus den           und Pappkartons ein und fuhren zurück. Am
letzten Jahren gelegt.                           Nachmittag verabschiedeten wir uns, darum
                                                 wissend, dass wir uns im nächsten Jahr so
Dem vorausgegangen war fast ein Jahr lang        wiedersehen würden. Ich werde die Gesprä-
Vorbereitung und damit Arbeit. Zuerst kam        che, das Akribische, das Darauf-Verlassen-
das Versenden und Verbreiten des Wettbe-         Können vermissen, liebe Sigrun, aber beson-
werbaufrufs. Dann, als nach und nach die         ders die Fahrten.
Texte im Büro eintrudelten, ein Sortieren, Ko-
pieren, Archivieren. Die Jury bekam die Texte
zugestellt, dazu alle notwendigen Informatio-
nen, in einem Jahr waren es tausend solcher
Texte. Sigrun hatte das – auch mit Unterstüt-
zung von Praktikantinnen und Praktikanten –
jedes Jahr so gemeistert, dass wir in der Jury
uns allein um das Lesen der Texte kümmern
mussten. Wir konnten uns darauf verlassen,
dass der große, für uns unsichtbare Rest da-
hinter reibungslos funktionierte.

Ich habe »akribisch« geschrieben und das ist
eher eine Untertreibung. Ich habe »darauf ver-
lassen können« geschrieben, auch das ist eine
Untertreibung. Wer das Büro von Sigrun be-
trat, der verließ es später mit dem guten Ge-
fühl, dass die Dinge so liefen, wie sie laufen
sollten.

                                                                                              14
Angaben zu den Autor/innen                           an Sigrid Damm, Weimar 2005).
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Ingrid Annel – Schriftstellerin, langjährige Ju-
   ryvorsitzende des Schreibwettbewerbs            Die Rechte an den Texten liegen bei den Auto-
   »Thüringer Buchlöwe«.                           rinnen und Autoren.
Dr. Daniela Danz – Dichterin und Schriftstel-
   lerin, bis 2020 Leiterin des Schillerhauses     Wir danken allen Autor/innen, Künstler/innen
   Rudolstadt.                                     und Fotograf/innen für die freundliche Geneh-
Dr. Jens-F. Dwars – Schriftsteller, Ausstel-       migung zum Abdruck ihrer Beiträge.
   lungs- und Filmemacher, Herausgeber,
   Chefredakteur der Zs. »Palmbaum – Lite-         Insbesondere danken wir der Literarischen
   rarisches Journal aus Thüringen«.               Gesellschaft Thüringen.
Angela Egli-Schmidt – Literaturreferentin der
   Stadt Weimar.
Christine Hansmann – Dichterin und Schrift-        Literaturland Thuringen aktuell erscheint als
   stellerin.                                      Mitteilungsblatt des Thüringer Literaturrates
Dr. Jens Kirsten – Geschäftsführer des Thürin-     e.V. in loser Folge im PDF-Format.
   ger Literaturrates.
Dr. h.c. Wulf Kirsten – Dichter und Schriftstel-   Bei Interesse am Abdruck eines Beitrags wen-
   ler, Gründungs- und Ehrenmitglied der Li-       den Sie sich bitte per E-Mail an die Adresse:
   terarischen Gesellschaft Thüringen.             thueringer-literaturrat@gmx.de.
Conny Liebig – Grafikerin, Illustratorin.
Stefan Petermann – Schriftsteller, 2. Vorsitzen-
   der der Literarischen Gesellschaft Thüringen.                       ****
Hubert Schirneck – Dichter und Schriftsteller.
Christoph Schmitz-Scholemann – Schriftstel-        Impressum
   ler, 2006-2012 Vorsitzender der Literari-
   schen Gesellschaft Thüringen, 2012-2020         Thüringer Literaturrat e.V.
   Vorsitzender des Thüringer Literaturrates.      Cranachstraße 47, 99423 Weimar
Dr. Annette Seemann – Schriftstellerin, Über-      Tel.: 03643-9087751 | Fax: 9087752
   setzerin, Herausgeberin, Projektleiterin der    E-Mail: thueringer-literaturrat@gmx.de
   »Weimarer Kinderbibel«.                         www.thueringer-literaturrat.de
Dr. Martin Straub – langjähriger Geschäfts-        www.literaturland-thueringen.de
   führer des Lese-Zeichen e.V., heute Ehren-      Redaktion: Jens Kirsten
   vorsitzender des Vereins.                       Redaktionsschluss: 7.1.2021.
Falk Zenker – Musiker, Gitarrist.

Bild-Rechtenachweis

S. 1, 14: Conny Liebig.
S. 2: Guido Naschert.
S. 3: Barbara Lüdde.
S. 4: Literarische Gesellschaft Thüringen.
S. 7: Gaby Waldeck (in: Börsenblatt des deut-
   schen Buchhandels 1993, H. 1, S. 34).
S. 9: Thüringer Ministerium für Bildung, Wis-
   senschaft und Kultur.
S. 11: Axel Clemens (in: Dokumentation der
   Verleihung des Thüringer Literaturpreises

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