Alles am Fluss - Dominik Baur

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Alles am Fluss - Dominik Baur
MAGAZIN FÜR BAD TÖLZ  FRÜHLING/SOMMER 2012

                                          S TA D T. L A N D . B E R G .

           Alles am Fluss
Wer die Isar verstehen will, kommt an Bad Tölz nicht vorbei – sondern mitten durch

      Tölz tanzt                Willy Michl                Pferdestark
      Renaissance eines         Ein Treffen mit dem        E-Bikes erobern
      Sonntagsvergnügens        bayerischen Indianer       Stadt und Land
Alles am Fluss - Dominik Baur
HERZLICH WILLKOMMEN IN BAD TÖLZ!
                                          Der Gastgeber-Katalog 2012 wartet auf Sie!
                                          Neben unserem Flyer mit Urlaubs- und Gesundheitsangeboten
                                          halten wir für Sie selbstverständlich auch
                                          eine umfangreiche Auswahl an verschiedenen
                                          Themen-Flyern bereit.
                                          www.bad-toelz.de/prospekte oder Tel. 08041/7867-0

                                                                                                                                           Gestaltung www.duyen.de

Beauty-Woche in Bad Tölz
Um Jahre jünger aussehen –            Unser Intensiv-Programm
In nur einer Woche
                                         Mikrodermabrasion
In nur einer Woche um Jahre jünger       Botox
aussehen? Die ideale Kombination         Faltenunterspritzung
von Methoden aus der Ästhetischen        Peelings
Medizin und Medizinischen Kosme-         MicroNeedling                                                        Aesthetic & More GmbH
tik lassen Schönheitsträume bei uns      ReFirmeTM Skin Tightening
Wirklichkeit werden.                     VolumenLift                                                          An der Asklepios Stadtklinik
                                         Horst Kirchberger Make-Up                                            Schützenstr. 17 | D-83646 Bad Tölz
Wir beraten Sie gerne!                                                                                         Tel.: +49 8041 | 799 86-0
                                                                      www.haarentfernung-faltenbehandlung.de
Alles am Fluss - Dominik Baur
Inhalt                                              4
                                                                                                                                                                      DA TÖLZT DER BÄR
                                                                                                                                                                      Im Tölzer Gesellschaftsleben
                                                                                                                                                                      erlebt der Tanz eine Re-
                                                                                                                                                                      naissance. Doch weit gefehlt,
                                                                                                                                                                      wer hier an spießige Kaffee-
                                                                                                                  Editorial                                       2
                                                                                                                                                                      kränzchen mit Walzer-
                                                                                                                  Komischer Vogel                                 3   einlage denkt.
                                                                                                                  Philipp Seidel auf Streifzug durch die Stadt

                                                                                                                  „Da wird jeder Jugendliche blass“               4
                                                                                                                  Ursula Quass geht tanzen                            14
                                                                                                                  Grün, grün, grün                                8   DIE LEBENSADER
                                                                                                                  Karin Greiner über ein besonderes Kraut             Was wäre Tölz ohne die Isar?
                                                                                                                  Die neue Entdeckung der Langsamkeit             9   Richtig: Nichts! Die Mutter der
                                                                                                                  Gisela Dürselen im Feldenkrais-Seminar              Flüsse bestimmt das Schicksal
                                                                                                                                                                      des Ortes seit eh und je.
                                                                                                                  Bayern verstehen                               13
                                                                                                                  Über die Vergangenheit der Bayern

                                                                                                                  Alles am Fluss                                 14
                                                                                                                  Dominik Baur geht der Isar auf den Grund

                                                                                                                  Gesucht: Das schönste Leserbild                22
                                                                                                                                                                      31
Fotos: Archiv Tourist-Information Bad Tölz , Dominik Baur, Julia Richter, Archiv DAV Sektion München & Oberland

                                                                                                                  Karikatur                                      23
                                                                                                                                                                      E? KLAR!
                                                                                                                  Floß ohne Wiederkehr                           24   E-Bikes erobern die Stadt und
                                                                                                                  Dominik Baur kommt ins Rutschen                     das Umland. Unser Autor hat
                                                                                                                                                                      die neue Art der motorisierten
                                                                                                                  „Der Fluss ist die beste Medizin“              26
                                                                                                                                                                      Fortbewegung einem Test
                                                                                                                  Bluesbarde Willy Michl im Interview
                                                                                                                                                                      unterzogen – und eine
                                                                                                                  Buchtipps                                      30   Überraschung erlebt.
                                                                                                                  Das E-Xperiment                                31
                                                                                                                  Florian Sailer sitzt fest im Sattel

                                                                                                                  Der Marktführer                                35   39
                                                                                                                  Veranstaltungskalender                         36   DURCHS WILDE
                                                                                                                  Rätsel                                         38   KARWENDEL
                                                                                                                                                                      Rauh, knorrig und doch
                                                                                                                  Immer der Gams nach                            39
                                                                                                                                                                      unwiderstehlich: Das
                                                                                                                  Tom Dauer auf Wanderschaft
                                                                                                                                                                      Karwendel ruft – und wer in
                                                                                                                  Unter 60 Minuten – Ausflugstipps               44   Bad Tölz Urlaub macht, sollte
                                                                                                                                                                      diesem Ruf auch folgen.
                                                                                                                  Essen (wie) bei Oma                            46
                                                                                                                  Krautwickerl für Philipp Seidel

                                                                                                                  Impressum, Vorschau, Rätselauflösung           48

                                                                                                                                                                                                        1
Alles am Fluss - Dominik Baur
■ Editorial

              Liebe Leserinnen und Leser,
              selbst die größten Wintersportfreunde können sich dem Reiz des Frühjahrs
              nicht entziehen. Und die Natur erleben, das kann man im Tölzer Land
              bestens. Beispielsweise auf einem der 37 Wanderwege des Heilklimaparks
              oder – wenn Sie es sportlicher wollen – im Laufpark Isarwinkel.
              Wem weder nach Wandern noch Laufen zu Mute ist, der kann auf einem der
              vielen Radwege im Tölzer Land die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit
              ausloten oder einfach nur die vorbeigleitende Natur genießen. Übrigens: Für
              die Radfahrfreunde, die es ein wenig bequemer haben oder den Radius ihres
              Ausflugs erweitern wollen – seit 2011 können Sie bei uns auch E-Bikes
              mieten. Der Radausflug könnte etwa zu einem der kleinen Badeseen, in das
              nostalgische Naturfreibad Eichmühle oder natürlich an die Isar gehen, die –
              für einen Fluss in Europa wohl einmalig – wieder Badewasserqualität hat.
              Und einen der reizvollsten Radwege.
              Natürlich ist auch in Bad Tölz selbst viel geboten. Liebhaber oberbayerischen
              Brauchtums kommen bei einem der vielen Brauchtumsfeste, etwa beim
              Loisachgaufest des Trachtenvereins Edelweiß im Juni, voll auf ihre Kosten.
              Blumenfreunde sollten sich keinesfalls die Tölzer Rosen- und Gartentage ent-
              gehen lassen. Gourmets markieren sich sicher den Termin des nunmehr
              4. Tölzer Käsefestivals Mitte Juni im Kalender. Käsespezialitäten aus der
              Region, aber auch Spitzenprodukte aus anderen europäischen Käseregionen
              werden von der ungekrönten Käsekönigin Susanne Hofmann unter der
              Schirmherrschaft von Elmar Wepper präsentiert.
              Und im Tölzer Kurhaus ist immer was los. Unter dem Motto „Stadt mit der
              besonderen Note“ erleben Sie ein hochklassiges und abwechslungsreiches
              Musikprogramm, dessen Palette von Klassik bis Jazz und von echter Volks-
              musik und Blasmusik bis zum Rock reicht. Dass der weltberühmte Tölzer
              Knabenchor da eine besondere Rolle einnimmt, versteht sich von selbst.
              Also nichts wie auf nach Bad Tölz!
                                                                                  Herzlichst
                                                                                         Ihr

                                                                             Klaus Pelikan
                                                               Kur- und Tourismusdirektor
                                                                                               Fotos: Dominik Baur

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Alles am Fluss - Dominik Baur
Randnotiz ■

Komischer Vogel
Von Philipp Seidel

Tölz, ich mache Dir heute ein Kompliment, das ich
noch keiner Stadt gemacht habe: Tölz, Liebes, Du
bist keine iPod-Stadt. Normalerweise braucht man
die Ohrhörer, um sich von dem Geplapper und
Gekreische, kurz: dem Lärm der Welt, abzuschotten.
Nicht bei Dir, Tölz.
Schon beim ersten Besuch habe ich beim Verlassen
des Zugs die Musikstöpsel aus den Ohren genom-
men, weil ich wissen wollte, wie Du klingst. Selbst auf
dem Weg vom Bahnhof zur Marktstraße, wo man
überwiegend Autos hört, wollte ich nicht tölztaub
sein.
In der Marktstraße: Hier lohnt es sich noch, sich ins
Café zu setzen und den Menschen zu lauschen. Kein
Clubbesuch vom Vorabend wird hier verhandelt; hier
geht es um das echte Leben.
Gänzlich zur Ohrenweide wirst Du,Tölz, im Rosen-
garten, der, wenn man einen Augenblick lang nicht
aufpasst, zum Franziskanergarten wird. Ein zartes
Mäuerchen trennt diese beiden Tölzer Grünanlagen.
Wüchsen nicht innerhalb der einen Mauer auffällig
viele Rosen, könnte es auch der Franziskanergarten
sein; und wüchsen nicht innerhalb des anderen
Mauerrunds auffällig viele Nicht-Rosen, könnte es
auch der Rosengarten sein.
Aus einem Baum kam neulich ein Handyklingeln,
dieses unangenehme, in drei schwächer werdenden
Phasen sich unangenehm in die Umwelt drängende.
Hatte jemand sein Mobiltelefon im Baum verloren?
Nein, das Geräusch kam von einem nicht näher zu
bestimmenden Vogel. Er pfiff abwechselnd das Handy-
klingeln und sein angeborenes Zwitschern.
Tölz: Deine Grünanlagen sind schön, aber an Deinen
Vögeln müssen wir noch arbeiten.                     ■

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Alles am Fluss - Dominik Baur
■ Gesellschaft

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Alles am Fluss - Dominik Baur
Gesellschaft ■

                                            TÖLZ TANZT

                                            „Da wird jeder
                                            Jugendliche blass“
                                            Für viele Tölzer gibt es am Sonntagnachmittag nur ein Ziel: das Kurhaus! Dort
                                            wird getanzt, was das Zeug hält. Ein bisschen altmodisch? Ja, das schon. Aber
                                            ein langweiliger Rentnertreff? Keineswegs. Im Gegenteil: Die Tanzwütigen
                                            kommen bis von München.

                                            Von Ursula Quass

                                                  uh“, stöhnt Dora Stamova und fächert       Dass etliche der Tänzer eine dutzende Kilo-
                                                  ihrem Tanzpartner, Rüdiger Kruse, mit      meter lange Anreise in Kauf nehmen, habe
                                                  einem Fächer Luft zu. „Das ist wie         einen einfachen Grund: Klassische Tanz-
                                            Sport für mich“, lacht die rassige Maschinen-    Cafés sind vielerorts Mangelware.
                                            bau-Ingenieurin und greift zu ihrem Wasser-      „So etwas gibt es fast nicht mehr“, bestätigt
                                            glas. Doch lange hält es die temperament-        Josef Wendl, der aus dem Münchner Vorort
                                            volle 59-Jährige nicht auf ihrem Platz:          Ottobrunn gekommen ist. „Wir waren beim
                                            „Entschuldigung, aber den Tanz kann ich mir      Heurigen, als eine Dame von dem Angebot
                                            nicht entgehen lassen“, ruft sie und zieht ih-   hier in Tölz erzählt hat. Seit dem Frühjahr
                                            ren Tanzpartner auf die Tanzfläche. „Tanzen      vergangenen Jahres, als ich das erste Mal da
                                            ist mein Ausgleich“, erklärt sie, während sie    war, habe ich schon einige Gäste aus Mün-
                                            sich mit diesem in den Dreivierteltakt des       chen hergeholt. Das spricht sich einfach po-
                                            eben angestimmten Wiener Walzers ein-            sitiv herum. Und die Preise sind auch in
                                            wiegt. Und schon drehen die beiden zur           Ordnung.“ Schließlich ist der Eintritt kos-
                                            Live-Musik wieder die schönsten Pirouetten.      tenlos, nur die Getränke und der Kuchen
                                            Mit ihrer Leidenschaft sind die Ingenieurin      müssen bezahlt werden.
                                            aus Starnberg und der Maurermeister in           Auch Ernestine Ueddinger aus Penzberg hat
                                            Ruhestand aus München nicht allein – im          Feuer gefangen. „Ich war hier im Urlaub. Da
                                            Gegenteil. „Oft mehr als hundert Leute           ich gerne tanze, bin ich immer gerne wie-
                                            kommen jeden Sonntagnachmittag zum               dergekommen und hier hängengeblieben.“
                                            Tanz-Café ins Tölzer Kurhaus“, erzählt die       Hier, das ist ihr Stammplatz direkt vor einer
                                            Veranstaltungsleiterin der Stadt, Susanne        der Säulen. Von dort aus hat sie das bunte
                                            Frey-Allgaier.Von 14.30 bis 17.30 Uhr kann       Treiben und den ganzen Saal mit dem präch-
                                            jeder, der möchte, eine flotte Sohle auf dem     tigen Kronleuchter an der Decke gut im
                                            glänzenden Parkett wagen. Das Team der           Blick. „Ich mag dieses Ambiente“, sagt Ued-
Foto: Archiv Tourist-Information Bad Tölz

                                            Kurhaus-Gastronomie, die die Tanzenden           dinger und schaut sich um. „Das ist so schön
                                            mit Getränken und feinem Kuchen versorgt,        altmodisch. Und die Bedienung ist nett und
                                            muss bei den meisten Gästen längst nicht         der Kuchen gut.“ Ihre Leidenschaft aber gilt
                                            mehr nach den Wünschen fragen. „Aus              dem Langsamen Walzer: „Den tanze ich am
                                            München, Starnberg, Penzberg: Da ist alles       liebsten.“
                                            dabei. Viele sind Stammgäste und kommen          Dabei muss man nicht unbedingt selbst das
                                            schon seit 15 Jahren her“, so Frey-Allgaier.     Tanzbein schwingen, um sich wohlzufühlen,

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Alles am Fluss - Dominik Baur
■ Gesellschaft

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                                                                     Gelegenheit, Kleider anzuziehen“, erzählt
                                                                     Hermine Willibald, die aus Lenggries ge-
                                                                     kommen ist. „Ich habe mir schon extra Gar-
                                                                     derobe für das Tanz-Café gekauft.“ Und auch
                                                                     ihre Freundin, die Tölzerin Linda Behnke,
                                                                     hat Spaß daran, sich jeden Sonntagnachmit-
                 hat Frey-Allgaier beobachtet. Selbst viele          tag aufzubrezeln. „Daheim Rambazamba-
                 Ältere, die selbst nicht mehr fit genug zum         Musik aufdrehen und sich herausputzen, das
                 Tanzen seien, ließen sich den sonntäglichen         ist toll“, sprudelte es aus der temperament-
                 Termin nicht entgehen, berichtet sie. „Die          vollen 66-Jährigen heraus. „Ich reserviere
                 kommen eben zum Zuschauen und sind                  immer denselben Tisch. Das ist unser Stamm-
                 ganz traurig, wenn sie im Winter bei Schnee         platz: Da traut sich schon kein anderer mehr
                 und Eis nicht kommen können oder das                her.“ Seit 1994, so lange sie in Bad Tölz
                 Tanz-Café einmal ausfällt.“ Nicht einmal die        wohne, komme sie schon zum Tanz-Café.
                 Hitze im Sommer schrecke die Tanzenden ab           Einen Lieblingstanz hat sie nicht. „Ich tanze
                 – warum auch: Bei gutem Wetter wird der             alles, wenn man mich auffordert.“ Und auch
                 Tanz einfach ins Freie verlegt. „Da kommen          wenn es mit einem Kavalier einmal nicht so
                 die Damen mit großen Hüten und Fächern.             klappt, weiß sich die resolute Dame zu hel-
                 Ich dachte, so was gibt’s gar nicht mehr“, sagt     fen: „Wir tanzen manchmal auch untereinan-
                 Frey-Allgaier lachend.                              der“, erzählt sie und zeigt auf Hermine
                 Wer aber meint, das Ganze sei ein Rentner-          Willibald. „Dann ist Linda der Mann“,
                 treff für Nostalgiker, irrt: „Da ist ein Pärchen    ergänzt diese. Nur Twist und „Sachen von
                 dabei“, erzählt die Veranstaltungsleiterin. „Sie    Elvis“ mag Willibald „nicht so gern“. Aber
                 kommt immer im Dirndl mit großem Hut                das mache nichts. „Dann sag ich halt, das mag
                 und er in Jeans und goldener Weste. Die tan-        ich nicht und setz' mich hin.“ Wie die
                 zen Rock’n Roll – da wird jeder Jugendliche         Musikstile wechseln auch die Kapellen: Vier
                 blass.“ Vielleicht lässt sich die Beliebtheit des   Gruppen sorgen das Jahr über für Abwechs-
                 Tanz-Cafés auch damit erklären: Hier werden         lung.
                 soziale Kontakte geknüpft und gepflegt, und         Und selbst neue Tänze finden Eingang in die
                 auch so manche Liebe habe hier schon ihren          ehrwürdigen Mauern des Kurhauses. „Das ist
                 Anfang gefunden, sagt Frey-Allgaier. „Das ist       Discochart, was wir tanzen“, erklärt Martin
                 auch eine kleine Singlebörse.“                      Kirchner, der mit seiner Frau aus Geretsried
                 Dass sich die meisten dafür fein herausput-         immer wieder sonntags nach Tölz kommt.

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Alles am Fluss - Dominik Baur
Gesellschaft ■

                                             Tanzhochburg Tölz: Klassische
                                             Tanz-Cafés sind eine
                                             Seltenheit geworden – deshalb
                                             kommen die Paare jeden Sonntag-
                                             nachmittag von weit her

                                             „Wir werden öfters angesprochen, was das
                                             ist.“ Schließlich komme der Tanz aus dem
                                             Norden und sei in Bayern noch nicht so
                                             etabliert. Dabei ist der Tanz äußerst vielfältig:
Fotos: Archiv Tourist-Information Bad Tölz

                                             „Wir tanzen auf Rumba, Chachacha, Disco-
                                             fox und teilweise Tango“, erklärt der 48-jäh-
                                             rige Werkzeugmacher. „Es gibt einen
                                             Grundschritt, aber der Sinn ist, die Musik zu
                                             vertanzen. Die Kreativität des Herren ist da-
                                             bei sehr gefragt. Und es muss wirklich jeder
                                             Schritt geführt werden, weil die Tanzpartne-
                                             rin ja nicht wissen kann, was ich mir im
                                             nächsten Moment ausdenke.“
                                             Anders als in der Tanzschule tanze jeder hier,
                                             was er wolle. „Es sind öfter mal auch jüngere
                                             Pärchen da, die außerhalb der Tanzschule
                                             tanzen wollen“, erzählt der Stammgast.
                                             „Wenn man sich unterhält, sagen viele, dass
                                             ihnen genau das gefällt: Jeder tanzt, was er
                                             meint. Das ist ganz anders als in der Tanz-
                                             schule, wo dann gesagt wird, das ist aber fei
                                             ein Chachacha.“ Dann aber hält ihn und
                                             seine Frau nichts mehr auf ihren Plätzen,
                                             schließlich sind sie in erster Linie zum Tan-
                                             zen und nicht wie so manch andere zum
                                             Tratschen gekommen. „Entschuldigung, aber
                                             das ist unser Lieblingslied.“                 ■

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Alles am Fluss - Dominik Baur
■ Kräuterwelt

                  Grün, Grün, Grün
      Das Wiesenlabkraut        Von Karin Greiner

                                Herzerfrischend, dieser Anblick! Überall im Tölzer Land
                                wächst und gedeiht es, breiten sich unter weiß-blauem Him-
                                mel sattgrüne Wiesen zwischen dunkelgrünen Wäldern aus.
                                Getupft von vielen bunten Blüten.Wer da nicht tief einatmet,
                                den Duft des Frühlings oder die Würze des Sommers in sich
                                einsaugt...
                                Ja, was eigentlich? Wie riecht denn beispielsweise der Früh-
                                ling? Das kann ich Ihnen sagen: frisch und jung, nach Wiese,
                                Wasser und Sonnenstrahlen. Bemerken Sie auch dieses feine
                                Vanille- und Honigaroma? Folgen Sie ruhig mal der Duft-
                                spur, sie führt Sie zu einem zierlichen Kraut am Wiesenrand:
                                dem Wiesenlabkraut.
                                Ein dichtes Kissen aus feingliedrigen, vierkantigen Stängeln
                                mit schlanken, etagenweise übereinander aufgereihten Blätt-
                                chen verlockt dazu, sachte darüber zu streichen. Lockere
                                Rispen aus weißen Sternblütchen erinnern ans Schleierkraut,
                                das jeden Blumenstrauß so anmutig auflockert. Jetzt eine
                                Kostprobe, einen Blattquirl von der Spitze zupfen und
                                knabbern. Das schmeckt nach knackigem Kopfsalat, nach
                                zarten Zuckererbsen.
                                Sie wollen die volle Dosis? Dann bereiten Sie sich einen
                                Smoothie zu, das geht ganz fix: Ein paar Labkrautspitzen
                                pflücken, mit etwas Joghurt, Mineralwasser und einem
                                Schnitz Apfel mixen – fertig ist der grüne Trunk. Schmeckt
                                nicht nur köstlich, sondern steckt auch noch voller Vitamine
                                und treibt den Winterblues aus dem Körper.
                                Übrigens: Grün beruhigt, inmitten einer grünen Wiese lässt
                                sich herrlich entspannen. Versuchen Sie's! Hier können Sie
                                sich aufs Wesentliche konzentrieren – oder übers kleine
                                Wiesenlabkraut am Wiesenrand philosophieren.

                           Karin Greiner, Diplom-Biologin, hat das Grün zu ihrer Berufung gemacht.
                           Sie bringt Wald und Wiese, grüne Kräuter und bunte Blumen den Men-
                                                                                                      Fotos: Karin Greiner, Gisela Dürselen

                           schen nahe. Als Lehrgangsleiterin zeigt sie, welche Power in den grünen
                           Pflanzen steckt. Mehr unter www.pflanzenlust.de. Lust bekommen? Wollen
                           Sie lernen, wie Grünes und Natur die Lebensqualität steigern und die Ge-
                           sundheit fördern? In Bad Tölz werden hierfür eigens zwei Lehrgänge ange-
                           boten: Kräuterpädagoge und NaturCoach. (Informationen unter
                           www.gundermannschule.com oder www.kraeuter-akademie.com).

8
Gesundheit ■

FELDENKRAIS

Die neue Entdeckung
der Langsamkeit
Wenn sich Mia Segal in Bad Tölz die Ehre gibt, ist der Ansturm groß. Im Kleinen Kursaal
lauschen die Seminarteilnehmer den Erklärungen der Grande Dame des Feldenkrais und
folgen ihren Instruktionen. Jetzt bloß keine falsche Bewegung! Falsch? Gibt es nicht.

                                                                                                9
■ Gesundheit

                                  Von Gisela Dürselen

                                         ie kommen von überall her: Doris aus        Wie liegen die Schulterblätter, wie die Rip-
                                         Paris, Elisabeth aus Zürich, Juliano aus    pen auf dem Boden? Gibt es Unterschiede
                                         Brasilien, Nao aus Japan. Und sie alle      zwischen links und rechts? Wo wird der Kör-
                                  wollen vor allem eines: Mia Segal erleben. Es      per schwer? Wie fließt der Atem? Auf diese
                                  ist 10 Uhr morgens. Die Matten am Boden            Art stolpert man unversehens heraus aus sei-
                                  sind ausgerollt. Ein leises Raunen zieht durch     nem hektischen Leben und direkt hinein ins
                                  den Saal. Dann ist es still: Sie erscheint. Eine   eigene Ich.
                                  kleine Gestalt, lächelnd: „Legt euch nieder.       Nach dem Üben auf dem Boden folgt die
Kernphysiker und Judomeister:
Moshé Feldenkrais, der israeli-
                                  Fühlt den Kontakt zum Boden.“ Das ist die          Kür im Sitzen. Nur der Kopf bewegt sich bei
sche Begründer der nach ihm       Begrüßung.                                         gekreuzten Beinen – vorwärts, rückwärts,
benannten Lernmethode, kam        Die aus Israel stammende Segal und ihre            rechts, links. Bewusster Atem, wieder den
zu dem Schluss, dass Bewegung
alles ist
                                  Tochter Leora Gaster kommen drei Mal im            Kopf langsam hin und her, die Beine diesmal

                                                                                                                                        Fotos: FVD, Gisela Dürselen
                                  Jahr nach Bad Tölz und trainieren hier             anders herum gekreuzt, alternativ mit einer
                                  Anfänger wie Profis nach der Feldenkrais-          Hand hinten abgestützt. Dazwischen wieder
                                  Methode. Seit 2005 gehört Bad Tölz zu den          auf dem Boden liegen und den Körper spü-
                                  europäischen Feldenkrais-Zentren und steht         ren. Das ist leicht, fast zu leicht. Der Laie
                                  damit in einer Reihe mit Weltstädten wie           fängt an, sich insgeheim zu fragen, ob das alles
                                  London. Segal war die engste Assistentin von       ist. Beobachtet seine Nachbarn auf ihren
                                  Moshé Feldenkrais. Mit einer eigens gegrün-        Matten. Rätselt, ob die Profis vielleicht etwas
                                  deten Akademie verbreiten sie und ihre             anders machen als er selbst. In diesem Mo-
                                  Tochter nun schon seit Jahrzehnten die Be-         ment sagt Segal: „Es gibt kein Richtig und
                                  wegungslehre des israelischen Kernphysikers.       Falsch – nur ein Leichter und Einfacher. Es
                                  Das Training dauert meist sechs Tage. Zwei         geht um den Unterschied. Wir lernen aus
                                  Stunden am Vormittag, zwei am Nachmittag.          Unterschieden.“
                                  Die restliche Zeit ist dafür reserviert, das Ge-   Wenn es kein Richtig gibt und auch kein
                                  lernte zu üben. Wer Feldenkrais macht, lernt       Falsch, worum geht es dann? Auf jeden Fall
                                  als erstes die Langsamkeit kennen.                 geht es nicht um die Bewegung an sich, son-
                                                                                     dern um das Bewusstsein von der Bewegung:
                                  „LERNEN AUS UNTERSCHIEDEN“                         Moshé Feldenkrais ging davon aus, dass Kör-
                                                                                     per und Geist eine Einheit sind und dass Be-
                                  Der Anfang ist Entspannung. Auf dem Boden          wegung nur das Medium ist, mit dessen Hilfe
                                  liegen und den eigenen Körper wahrneh-             menschliches Lernen stattfindet. So gesehen
                                  men: Arme, Beine, linke Hand, rechter Arm.         ist Feldenkrais eine ganzheitliche Lernme-

10
Gesundheit ■

Saburre agnascor Augustus. Adfabilis matrimonii fermentet bellus Saburre
agnascor Augustus. Adfabilis matrimonii fermentet bellus Saburre agnascor
Augustus. Adfabilis matrimonii fermentet bellus Saburre agnascor Augustus.
Adfabilis matrimonii fermentet bellus
      thode. Aber was sind die Unterschiede, von              wohnte Dinge auch einmal ganz anders zu           Es geht um eine Erweiterung
                                                                                                                des eigenen Spektrums: Laut
      denen Segal sagt, dass man aus ihnen lernt?             tun als bisher, verzichtet er auf den größten     Mia Segal gibt es kein Richtig
      Und vor allem: Was lernt man?                           Teil seiner Möglichkeiten. Beim Feldenkrais       oder Falsch, nur ein Leichter
      Moshé Feldenkrais, einer der ersten Judo-               geht es um genau dieses Potential – und
      Meister Europas, befasste sich nach einer               dieses schließt Geist und Körper ein. Darum
      Knieverletzung intensiv mit menschlicher                nannten Mia Segal und Leora Gaster ihre
      Anatomie, dem Nervensystem sowie körper-                Akademie auch MBS – „Mind Body
      licher und psychischer Beweglichkeit und                Academy“.
      Entwicklung. Er kam zu dem Schluss, dass
      der Mensch alles, was er denkt, fühlt und je-           LUCIA IST BOSS IM EIGENEN KÖRPER
      mals erlebt hat, durch Bewegungen aus-
      drückt. Nach dieser Annahme können Kör-                 Feldenkrais-Bewegungen, mögen sie noch so
      per und Geist sich wechselseitig beeinflussen.          winzig und unscheinbar erscheinen, zielen
      Eine Sichtweise, die die moderne Hirnfor-               in Wirklichkeit auf Veränderung. Denn die
      schung inzwischen belegt hat: Die fand he-              vielen Variationen sind nichts anderes als eine
      raus, dass alles, was einen Menschen bewegt,            Erweiterung des eigenen Spektrums. Wenn
      im Gehirn Verbindungen schafft. Diese sind              sich nach einer Übungssequenz etwas anders
      wie Fahrbahnen – und je öfter sie benutzt               anfühlt als vorher, so ist es – wie Mia Segal
      werden, desto größer und mächtiger werden               sagt – deswegen, „weil du etwas anders ge-
      sie.                                                    macht hast, und weil du dich dazu entschlos-
      „Aufgrund unserer Lebensgeschichte haben                sen hast, es diesmal anders zu tun.“ Gaster
      wir alle unsere Muster“, sagt Leora Gaster.             nennt darum das Leben eine „growing jour-
      Für die körperliche Bewegung, aber auch für             ney“, eine kontinuierlich weitergehende
      Gedanken und Gefühle. Jeder habe diese                  Reise des Lernens.
      Muster, weil er sie irgendwann in seinem Le-            Aus diesem Grund richtet sich die Felden-
      ben genauso und nicht anders gebraucht                  krais-Methode an Gesunde wie an Kranke.
      habe. Es könne aber sein, dass gerade hier und          Besonders aber für Leute, deren einseitige
      jetzt etwas anderes angesagt sei.                       Bewegungsmuster sich bereits eingebrannt
      Wenn ein Mensch nicht ausprobiert, ge-                  haben in den Körper. Lucia ist so ein Bei-

                                                                                                                                                 11
■ Gesundheit

   Mia Segal ist Impulsgeberin,
 die Lernschritte muss jeder für
            sich selbst machen

                                   spiel: Am zweiten Tag des Trainings steht sie      denen Variationen aus und erforscht mit sei-

                                                                                                                                       Foto: Archiv Tourist-Information Bad Tölz
                                   plötzlich im Saal, weil sie gehört hat, dass ihr   nem Trainer die eigenen Gewohnheiten.
                                   Mia Segal vielleicht helfen kann. Die zier-        Dessen Hand am Körper des Übenden ist da-
                                   liche junge Frau arbeitet in einem Restaurant      bei entscheidend. Denn die Trainer spüren
                                   und räumt täglich Flaschen und andere              selbst kleinste Unterschiede in der Muskel-
                                   schwere Dinge in hohe Regale ein. Wegen            aktivität des Liegenden und stellen ihm diese
                                   ihrer Schmerzen in der rechten Schulter und        Sensibilität zur Verfügung. Die andere Art der
                                   auf der ganzen rechten Seite hat sie schon         Feldenkrais-Arbeit ist die „Bewusstheit durch
                                   mehrere Ärzte konsultiert – vergeblich.            Bewegung“: die Gruppenarbeit, die Segal im
                                   Im Plenum führt Lucia vor, wie sie die             Saal anleitet. Die Übenden bewegen sich
                                   Flaschen in die Regale einräumt. Dabei zieht       ebenfalls nach verbalen Anweisungen und er-
                                   sie jedes Mal die Schultern hoch. Ihr Körper       fahren, was ihnen gut tut und was nicht – und
                                   wirkt blockiert, Lucia stemmt sich mit all ih-     wie viele Möglichkeiten es überhaupt für ein
                                   rer Kraft dagegen. Segal weist sie an, sich auf    und dieselbe Bewegung gibt.
                                   eine Liege zu legen, und für die nächste Vier-     Mia Segal ist dabei nur Impulsgeberin. Die
                                   telstunde sitzt sie an ihrer Seite. Gibt Anwei-    Lernschritte macht jeder für sich selbst. Für
                                   sungen für einfache Bewegungen, folgt mit          Tochter Leora Gaster ist Feldenkrais darum
                                   den Händen jeder Regung unter der Haut             eine Form von „Empowerment“ – eine
                                   der jungen Frau. Danach soll Lucia aufstehen       Selbstermächtigung, die die eigene Wert-
                                   und die Hände nach einem hochgewachse-             schätzung fördert: „Denn niemand kann ein
                                   nen Teilnehmer ausstrecken. Lucia streckt          so guter Lehrer für dich sein wie du selbst.“
                                   sich, und diesmal bleiben die Schultern un-        Bei dieser Gelegenheit wächst auch das Ge-
                                   ten; ihr Körper wirkt entspannt. „Du hast die      fühl für die anderen, weil die Bewegung bei
                                   Wahl“, sagt Mia zu ihr. „Du kannst die Schul-      jedem anders fließt, und weil jeder für sich
                                   tern hochziehen oder loslassen. Niemand            einzigartig ist. Auch dabei gibt es kein Rich-
                                   kann es für dich tun. Ganz allein du kannst        tig und Falsch. Jeder Einzelne hat die Chance,
                                   es.“                                               von sich selbst und vom anderen zu lernen.
                                   „Funktionale Integration“ heißt diese Art          Ohne Wertung. So wie ein Kind, das stau-
                                   von Einzelarbeit in der Feldenkrais-Methode.       nend die Welt entdeckt.                     ■
                                   Dabei liegt der Übende bequem auf einer            Weitere Informationen unter
                                   Liege, führt Bewegungen in vielen verschie-        www.mbsacademy.org

12
Landeskunde ■

                  ayern verstehen                          Heute: Tempi passati

     a, wissen Sie                                                     Ein Beispiel: „Ich habe    Konjunktiv („Ich wäre“) bezeichnen kann.
     denn über-                                                     mir gedacht“, sagt der        Aber das ist eine andere Geschichte.
haupt, was Plosive                                              Preuße, womit wir im Folgen-      Seine grammatikalischen Extrawürschtl
und Affrikate sind?                                                den des schöneren Antago-      brät sich der Bayer freilich auch bei Verben,
Da fängt’s nämlich                                              nismus wegen schlicht einen       die im Hochdeutschen regelmäßig ge-
schon an. So was                                               hochdeutschen Muttersprach-        beugt werden. Dann greift er stur zu einem
muss man schon wissen, wenn man den             ler bezeichnen wollen, obwohl der Infinitiv       unregelmäßig, also stark gebeugten Parti-
Bayern und seine Art, mit der Vergangen-        des gemeinten Verbs natürlich nicht „da-          zip, wo im Hochdeutschen keines hinge-
heit umzugehen, begreifen möchte. Nein,         chen“, sondern „denken“ lautet. „Danken“          hört, und schreckt dabei auch vor Ver-
keine Sorge, politisch wird’s jetzt nicht.      wird zu „gedankt“, „lenken“ zu „gelenkt“, aber    wechslungsgefahren nicht zurück. Wenn
Aber der Bayer neigt zur Unregelmäßigkeit.      „denken“ – so viel Spaß muss sein, denkt          sich also etwa der Preuße auf ein Klingeln
Das hat er nun mal in sich, und wenn etwas      sich der Preuße – wird nun plötzlich zu „ge-      des bayerischen Besuchers hin zu viel Zeit
gemeinhin so und so gehandhabt wird,            dacht“. Hat er sich nun aber gedacht, der         lässt, um die Tür zu öffnen, und dieser dann
dann macht er’s mit Fleiß anders als die an-    Bayer werde diesen Jux schon mitmachen,           darauf hinweist, er habe doch gelitten,
deren. Besonders dann, wenn die anderen         hat er falsch gedenkt. „Hab’s ma denkt“, sagt     sollte dies keinesfalls als wehleidige Klage
„die ganz die andern“ sind.                     der nämlich und denkt sich nichts dabei.          ob der langen, einsam vor der Tür zuge-
Denn schaut man etwas genauer hin, und          Und glauben Sie jetzt nicht, der Bayer be-        brachten Zeit miss-, sondern lediglich als
das zu tun empfiehlt sich durchaus hin und      ließe es beim Denken. Nein, „I hob’m kennt“,      bairisches Partizip Perfekt des Verbs „läuten“
wieder, dann stellt man fest: Dem Indivi-       sagt er beispielsweise, wenn er jemanden          verstanden werden.
dualismus oder gar Anarchismus frönt der        gekannt hat. Und gab es ein Feuer, hat's          Weniger Gefahr eines Missverständnisses,
Bayer genau so lange, wie er sich in Gesell-    „brennt“, nicht gebrannt.                         aber dieselbe Logik verbirgt sich hinter For-
schaft gleichgesinnter Anarchisten, vulgo       Dass die Vorsilbe „ge-“ hierbei oft unter den     men wie „gschniebn“ (geschneit), „gstriffn“
Bayern, wähnt. Innerhalb dieser Gruppe          Tisch fällt, braucht uns nicht weiter zu ver-     (gestreift), „gwunschn“ (gewünscht) oder
freilich weicht der Nonkonformismus             wundern: Das unbetonte „e“ wird im Bairi-         „derwuschn“ (erwischt). Besonders schön
schnell dem Schonkonformismus. Mia san          schen eh gern verschluckt – sei es aus kuli-      auch: „Mei, hob i mi gforchtn.“ („Was habe
mia, heißt’s dann im Bemühen, sich der An-      narischen Gründen oder aus solchen der            ich für Ängste ausgestanden!“)
gehörigkeit zur Gruppe und damit auch           Zeitersparnis; aus „gesagt“ wird also „gsogt“.    Bisweilen behaupten Bayern sogar nach
des Rückhalts derselben zu vergewissern.        Beginnt der Wortstamm allerdings wie in           einem herzhaften Hatschi, sie hätten ge-
Aber nun geraten wir schon tief ins             den obigen Beispielen mit einem soge-             nossen. Ob es sich dabei tatsächlich um
Dickicht der bayerischen Seele, dabei geht      nannten Plosiv (b, d, g, p, t, k, q) oder einem   Dialekt oder mehr um eine Gaudi handelt,
es uns an dieser Stelle doch nur um Ver-        Affrikat (z), tut sich der Bayer eine solche      ist wissenschaftlich noch nicht endgültig
gangenheit und Sprache – um ein Tempus,         zungenbrecherische Aussprache wie                 geklärt.
wie der Humanist, sprich: der Bayer, sagen      „gdenkt“ gar nicht erst an, sondern spart         Und selbst hilfsverbsmäßig, dieser letzte Ex-
würde. Denn der, das weiß man, ist ein          sich das „g“ gleich auch noch. Und wenn er        kurs sei uns gestattet, artikuliert sich bei der
Mann des Wortes. Wobei es der Singular          dann Hilfsverben wie „müssen“ oder „kön-          Perfektbildung die besondere Philosophie
meist ganz gut trifft. Benutzt er aber dann     nen“ konjugieren muss, spart er sich gleich       bayerischer Denker und Sprecher. In der
doch mal mehrere am Stück, kann man             komplett die gesamte Partizipbildung und          Regel, da sind sich Norden und Süden
auch hier unschwer den Hang zur Unregel-        nimmt einfach den Infinitiv: „I hob wortn         noch einig, bildet man das Perfekt mit dem
mäßigkeit ausmachen.                            miassn“, sagt er dann. Oder: „Der hod fei         Hilfsverb „haben“. In einigen Ausnahmefäl-
So kann es durchaus passieren, und damit        redn kenna. Des is bestimmt a Gschdu-             len wie den Verben der Bewegung bedient
wären wir nun endlich bei der Vergangen-        diada gwen.“ Interessant dabei: So gern der       man sich des Hilfsverbs „sein“: „Ich bin ge-
heit, so kann es also passieren, dass der       Bayer die Vorsilbe „ge“ weglässt – dem Stu-       gangen“, „ich bin geflogen“. Dagegen heißt
Bayer aus purem Eigensinn und ohne jede         dierten dichtet er sie an. Eigen ist er halt.     es (zumindest im Hochdeutschen): „Ich
Scheu vor dem Paradoxon regelmäßig              Dass wir hier ausnahmslos vom Perfekt             habe gestanden.“ Der Bayer ist sich jedoch
beugt, wo der gemeine Deutsche die unre-        sprechen, hat einen einfachen Grund: Der          bewusst, dass letzten Endes alles in Bewe-
gelmäßige Beugung bevorzugt – um ge-            Bayer kennt so gut wie kein Imperfekt. Eine       gung ist. Ergo sagt er: „I bin gstandn.“ Oder:
rade dadurch seinen Hang zur Unregelmä-         Ausnahme macht er allenfalls mal bei Hilfs-       „I bin gsessn.“ Das Stehen und das Sitzen
ßigkeit zu unterstreichen. Es klingt            verben: „I war“ sagt er schon auch, was je-       sind halt auch nur Bewegungszustände –
kompliziert, ist es aus bayerischer Sicht je-   doch weitere Probleme aufwirft, da es so-         nur eben sehr, sehr langsame.
doch keineswegs.                                wohl den Indikativ („Ich war“) als auch den                                      Dominik Baur

                                                                                                                                                     13
■ Land und Fluss

                   ISARLEBEN

                   Alles am Fluss
                   Ohne sie gäbe es kein Bad Tölz, ja nicht einmal München. Die Isar
                   bringt den Menschen weit mehr als etwas Wasser aus dem Gebirge.
                   Für viele Bayern ist sie Teil ihrer Identität. Wir haben uns ihr genähert
                   und an ihren Ufern Angler, Ranger und Indianer getroffen. Und eine
                   Wolfsspinne.

14
Land und Fluss ■

                      Von Dominik Baur

                                er die Frühgeschichte eines Flusses   Uhr dreißig sind genau achthundert Jahre       Sie beginnt als kleiner Ge-
                                                                                                                     birgsbach im Karwendel
                               erzählen will, ist meist auf Mutma-    verflossen seit Bestehen unserer Isar.“ Das    (Mitte), für die Tölzer ist sie
                              ßungen und Schätzungen angewie-         Isarbett selbst sei von Herzog Jakob dem       das zentralste Naherholungs-
                      sen. Aufzeichnungen sind rar, das Gespräch      Wässrigen erbaut worden, fährt er in dem Ar-   gebiet
                      mit Zeitzeugen gestaltet sich oft noch          tikel „Die Gründung der Isar“ fort; bei der
                      schwieriger. Da kommt es einem unverdien-       Enthüllung des Flusses seien dessen Gemah-
                      ten Glück für die Isar-Forscher gleich, dass    lin, die spätere Kronprinzessin Cenzi von
                      deren Historie von den frühesten Anfängen       Harlaching, und der frühere Kurprinz Maxi-
Fotos: Dominik Baur

                      an präzise dokumentiert ist. So schreibt ein    milian der Wamperte zugegen gewesen. Statt-
                      Chronist in den zwanziger Jahren des vergan-    gefunden habe das Ganze natürlich in Mün-
                      genen Jahrhunderts: „Heute Nachmittag drei      chen. Dass diese Stadt zu jener Zeit noch

                                                                                                                                                   15
■ Land und Fluss

                   geduldig seiner späteren Gründung harrte,        stammte, dass der bayerischste aller Flüsse

                                                                                                                      Fotos: Dominik Baur
                   vermag den Mann nicht weiter aus der Fas-        eine österreichische Zuagroaste war. Die Isar
                   sung zu bringen; ungerührt beschreibt er den     kam nicht her, sie war einfach da.
                   feierlichen Akt, „als die ganze Münch-                      Aber jetzt will ich’s wissen. Und
                   ner Bürgerschaft, der Stadtma-                                       stehe hier, vor einem
                   gistrat samt den Stadtvätern                                         Schild, auf dem steht: „Ur-
                   auf der Fraunhoferbrücke                                             sprung bei den Flüssen“.
                   standen und jeden Moment                                             Ein Schild? Das ist alles?
                   auf die ersten Isarwellen warte-                                    Wo ist denn nun die Quelle
                   ten.“ Der Chronist hieß Karl                                        dieses Flusses? „Wie? Es
                   Valentin und sollte durchaus als                                    gibt da gar kein Loch, das
                   Kenner der Materie gelten,                                          man anschauen kann?“
                   schließlich wuchs er in München                             fragt die Frau an meiner Seite em-
                   in der Au auf, also direkt an der                pört. „Betrug!“
                   Isar.                                            Wo die Isar beginnt, darüber lässt sich strei-
                   Knapp 900 Jahre und eine Viertelstunde spä-      ten, und es gibt tatsächlich Leute, die das
                   ter, es ist ein Mittwoch, erkunde auch ich die   auch tun. Im Karwendel, so viel steht immer-
                   Anfänge des Flusses. Die Isar und ich, wir       hin fest; irgendwo im Osten von Scharnitz,
                   kennen uns schon eine ganze Weile. Vor al-       im Hinterautal. Aber von einer Stelle, wo das
                   lem ich sie: Meine ersten Atemzüge tat ich       frische Wasser aus dem Bergmassiv sprudelt,
                   in einem Spital namens Rechts der Isar un-       ist hier keine Spur. An vielen Stellen drückt
                   weit derselbigen; später lebte ich in Wohnun-    das Wasser einfach so aus dem Kies in das
                   gen, lernte in einer Schule und arbeitete in     Bachbett. Und mit etwas Phantasie lassen
                   einer Redaktion, die allesamt in Kieselwurf-     sich hier am „Ursprung“ zwei kleine Ge-
                   weite der Isar lagen; und in dem Moment, in      birgsbäche ausmachen, die sich zu einem grö-
                   dem ich mich anschickte, volljährig zu wer-      ßeren vereinen, der Lafatscher- und der Birk-
                   den, saß ich an einem Lagerfeuer auf einer       karbach. Weiter oben, an der Quelle des
                   ihrer Kiesbänke. Aber nie hatte ich mir Ge-      Lafatscherbachs, da hat auch einer ein Schild
                   danken darüber gemacht, wo sie herkam.           aufgestellt. Dort heißt es: „Isarquelle“.
                   Darüber, dass sie in Wirklichkeit aus Tirol      Einfach die Lafatscherbachquelle zur Isar-

16
Land und Fluss ■

quelle umzudeklarieren, das erscheint mir         es dann runter bis 310 Meter bei Deggen-              Hochstapler: Immer wieder
                                                                                                        findet man entlang des Fluss-
dann doch etwas dreist – als stiege ich in die    dorf, wo die Isar in die Donau mündet. Eine           verlaufs Kunstwerke aus Kies.
Isar und behauptete, ich schwömme im              Strecke von knapp 300 Kilometern legt der             Für den gigantischen Sylven-
Schwarzen Meer. Wenn sich die Tiroler hier        Fluss bis dahin zurück – die Angaben                  steinspeicher musste in den
                                                                                                        Fünfzigern sogar ein ganzes
schon nicht entscheiden können, so be-            schwanken. 630 Meter Höhenunterschied                 Dorf weichen.
schließe ich für mich: Irgendwo hier – bei        bei der Länge, das hört sich nach wenig an;
diesen vermeintlichen Flüssen – beginnt die       doch für einen Fluss ist es ein starkes Gefälle.
Isar. Meine Isar. Wenn auch nicht grün, wie       Und das macht die Isar ganz schön reißend.
ich sie sonst kenne, sondern blau. Und eiskalt.   Manche behaupten gar, Isar, das sei keltisch
Dem Fluss ist der Streit ohnehin einerlei,        und heiße „Die Reißende“, aber auch da ge-
unbeeindruckt fließt er weiter. Bis nach          hen die Meinungen auseinander.
Scharnitz sind es zwölf Kilometer. Dort trifft    Es ist jedenfalls eine ereignisreiche Strecke bis
die Isar zum ersten Mal auf die Zivilisation –    zur Donau. Ein paar Zahlen mögen verdeut-
bei etwa 940 Metern über dem Meeresspie-          lichen, was die Isar für Bayern bedeutet: 28
gel.Von dem österreichischen Grenzort geht        Wasserkraftwerke und insgesamt acht Städte

                                                                                          ISARRADWEG
                                                                                          Wer die Isar vom Ursprung bis zum Ende er-
                                                                                          kunden will und ein paar Tage Zeit hat,
                                                                                          nimmt am besten das Rad. Der Isarradweg
                                                                                          säumt den Fluss durchgehend – bis zur
                                                                                          Mündung bei Deggendorf. Mal rechts, mal
                                                                                          links, mal auf beiden Seiten der Isar.
                                                                                          Informationen und Pistentipps auf
                                                                                          www.isarradweg.de. Hier kann man auch
                                                                                          die aktuellste Fassung des günstigen, aber
                                                                                          unentbehrlichen Radführers bestellen.

                                                                                                                                       17
■ Land und Fluss

                     säumen den Weg des Flusses. Er durchfließt                      sen sich hier anstauen. Zur besseren Vorstel-
                     eine Landes- und zwei Bezirkshauptstädte                        lung: Füllte man ihn mit Bier statt mit Was-
                     und umfließt fünf große, verbaute und zahl-                     ser, bräuchten die Bayern fast 64 Jahre, um
                     lose kleine und oft nur vorübergehende In-                      ihn auszutrinken.
                     seln. 106 Flüsse und Bäche münden auf                           Und dann natürlich Bad Tölz – die Isarstadt
                     bayerischem Boden in ihn. In seinem Wasser                      par excellence. Denn das ist ein Fakt: Ohne
                     und an seinen Ufern tummeln sich Sonnen-                        Isar nicht nur kein Bad, sondern auch kein
                     anbeter, Badenixen, Radler, Flößer, Kanuten,                    Tölz. Das alte Tölz verdankt seine Gründung
                     Spaziergänger, Ornithologen, Pyramiden-                         zweifelslos seiner Lage. Hier kreuzten sich
                     bauer, Angler, Indianer, Ranger, Wanderer,                      zwei besonders bedeutende Verkehrswege, ja
                     Gassigeher, Täufer und sogar Goldwäscher.                       Lebensadern: die Isar und die Salzstraße. Auf
                     Und acht Stauseen passiert der Fluss, darun-                    der einen brachten die Flößer Holz, Kalk,
                     ter der riesige, 1956 fertiggebaggerte Sylven-                  Bier und sonst noch allerlei vom Süden nach
                     steinspeicher. 1,24 Milliarden Hektoliter las-                  München und noch weiter, auf der anderen

                                     Ein          -liches Grüß Gott
                                                               G
                                        Tölzer
                                     im Tölzer Traditionshaus
                                               Trraditionshaus inmitten
                                                               in       der Altstadt.
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18                    Bad Tölz       83646 Bad Tölz                         info@kolberbraeu.de
                                                                           info@k   olberbraeu.de
                                     (Anfahrt über die Säggasse 12)         www.kolberbraeu.de
                                                                           www    .kolberbraeu.de
Land und Fluss ■

                      wurde das wertvolle Reichenhaller Salz gen        Doch dann kommt der Mensch – mit Weh-               Es ist die Geradlinigkeit der
                                                                                                                            Menschen, nicht der Flüsse,
                      Westen transportiert.                             ren, Mauern, Kanälen und Stauseen.                  die mancherorts das Erschei-
                      Wenig weiter nördlich, gleich hinterm Töl-        Zum Beispiel am Krüner Wehr: Wenn die               nungsbild der Isar bestimmt,
                      zer Kraftwerk hat Reinhold Schendel gerade        Isar hier ankommt, hat sie gerade erst Mit-         wie hier bei der Wehranlage in
                                                                                                                            Krün (Mitte). Im Einsatzgebiet
                      seine Angel zusammengepackt. Es ist früher        tenwald hinter sich gelassen – und wird             von Ranger Bernhard März
                      Nachmittag. Der Pensionist aus Wackersberg        schon aus dem Bett gerissen. Ein Kanal leitet       darf sich die Isar schon eher
                      verbringt viel Zeit am Fluss, zwei, drei Tage     die Fluten zum Walchensee und dem dorti-            als Gebirgsfluss präsentieren.
                                                                                                                            Das Walchenseekraftwerk (un-
                      in der Woche werden es bestimmt sein. „El-        gen Kraftwerk um. Über die Loisach und              ten) ist eines von 28 Wasser-
                      ritzen, Steinbeißer“, erzählt er, „die gibt’s     den Loisach-Isar-Kanal fließt das Wasser            kraftwerken entlang der Isar.
                      hier fast nicht mehr.“ Denn neue Vogelarten       dann weiter und erst kurz vor Wolfratshausen
                      treiben sich seit einiger Zeit entlang der Isar   wieder in die Isar. Bis 1990 hatte das zur
                      rum: der Kormoran etwa oder der Gänsesä-          Folge, dass die eigentliche Isar hinter dem
                      ger. Solange sich die Fische verstecken könn-     Wehr an rund 300 Tagen im Jahr ausgetrock-
                      ten, wären die Räuber aus der Luft kein Pro-      net war. Seither muss wenigstens ein Teil des
                      blem. Aber da ist dieser feine Kies, den die      Wasser im ursprünglichen Bett belassen wer-
                      Tölzer hier gleich hinterm Kraftwerk auf-         den. Die Isar ist jetzt in Krün und den fol-
                      schütten. Und der ärgert Reinhold Schen-          genden Ortschaften keine Wüste mehr, aber
                      del. Der Kies wird vom Fluss mitgerissen          mehr als ein Rinnsal ist sie aus der Sicht ei-
                      und verstopft die Unterstände, die für man-       nes ehemaligen Wildflusses auch nicht. Auch
                      che Fischarten überlebensnotwendig sind.          wenn das manche Einwohner wenig stört.
                      „Früher, da haben wir in die Isar keinen          Die Erinnerung an eine Zeit, als die Isar wie
                      Fisch einsetzen müssen“, sagt er. Inzwischen      ein Ungeheuer durch die Dörfer tobte und
                      ist das alljährliche Routine.                     sich Jahr für Jahr ihre Opfer holte, ist schließ-
                      Die Geschichte der Isar und ihres Volkes ist      lich noch gegenwärtig.
Fotos: Dominik Baur

                      die Geschichte einer Liebesbeziehung – aber       „Es gibt eine Tragödie der Isar, die geschrie-
                      auch die eines ununterbrochenen Konflikts         ben ist mit den Griffeln der modernen Tech-
                      zwischen Mensch und Natur. Wie man sich           nik oder vielleicht besser ausgedrückt mit
                      bettet, so fließt man. Denkt sich der Fluss.      den Griffeln der Bayernwerk AG“, zitiert der

                                                                                                                                                         19
■ Land und Fluss

                   Historiker Reinhard Falter einen bayerischen       verschiebt sich das Ufer in einer Kurve um
                   Landtagsabgeordneten. „Sie begann im Jahre         bis zu 20 Meter“, erzählt Bernhard März.
                   1920. Aber einmal muss diese Tragödie doch         „Da kann man dabei zuschauen.“ Oft gibt
                   irgendwie beendet werden.“                         das einen völlig neuen Flussverlauf.
                   Die Beschwerde stammt aus dem Jahr 1954;
                   andere machten sich noch viel früher Sorge         EIN TRAUM
                   um ihren Fluss. Gabriel von Seidl etwa, der
                   Architekt und Städteplaner, der auch das un-       Und so hat auch der Kies, der hinter Tölz
                   verkennbare Gesicht von Bad Tölz maßgeb-           aufgeschüttet wird und der Reinhold Schen-
                   lich geprägt hat. Angesichts der zunehmen-         del so ärgert, durchaus seine Bedeutung. Die
                   den Verbauung seines Flusses gründete er           Bagger erledigten hier nur den Job, den die
                   1902 den Isartalverein, eine der ersten Bür-       Isar gern selbst machte, woran sie aber die
                   gerinitiativen Deutschlands. Dieser hat sich       Schleuse hindert, erklärt Isarranger Bernhard
                   bis heute dem Schutz der natürlichen Schön-        März. Denn hat der Fluss kein Geröll, das er
                   heiten des Isartals verschrieben.                  mitreißen kann, bedient er sich am Unter-
                   Immerhin hat sich einiges getan in den letz-       grund, er frisst sich ein. Vielleicht, so meint
                   ten beiden Jahrzehnten. Vielerorts wurden          März im Gespräch mit dem Angler, könnten
                   Uferbefestigungen abgebaut, im Tölzer Land         ein paar künstlich herbeigeführte Unter-
                   dürften es mehrere Kilometer gewesen sein.         stände helfen, die Fischbestände zu beschüt-
                                                                                                                         Fotos: Marey/Hake/Lerpscher (Stadtarchiv Bad Tölz)

                   Und in München wurde im vergangenen                zen.
                   Jahr der Abschluss des Großprojekts Isar-Re-       Für den Ranger wie für den Angler ist ein
                   naturierung gefeiert.Vielleicht hätte Gabriel      Leben ohne Isar nicht vorstellbar. „Ich fische
                   von Seidl sich darüber gefreut, vielleicht hätte   hier ja schon seit 1965“, erzählt Schendel.
                   er es aber auch nur als einen Tropfen auf den      „Wenn ich beim Fischen bin, das ist ein
                   heißen Kiesel betrachtet.                          Traum. Ich sitz’ dann hier, hab’ vielleicht eine
                   Natürlich versucht es die Isar auch heute im-      Halbe Bier dabei und seh’ oft einen Tag lang
                   mer mal wieder, dann bricht sie aus und            keinen Menschen. Das ist wie in Alaska.“
                   bahnt sich da, wo es noch geht, ihre eigenen       Manchmal sieht er einen Eisvogel oder einen
                   Wege. Immerhin: „Bei einem Hochwasser              Schwarzstorch.

20
Land und Fluss ■

Uferwechsel. Einige hundert Meter flussauf-        Wenn Bernhard März spricht, hört er sich ein       Vor- und Nachteile: Wo man
                                                                                                      früher noch direkt ans Wasser
wärts steigt Bernhard März aus seinem blauen       bisschen an wie der Volksschauspieler Wolf-        konnte, sind die Tölzer Uferan-
Renault-Kombi. Er sieht einen Wanderer des         gang Viereck. März ist Jahrgang 1958; schlank,     lagen heute mit hohen Mau-
Wegs kommen und geht direkt auf ihn zu.            aber kräftig, man sieht ihm an, dass er meist      ern befestigt; dafür ist aber
                                                                                                      auch die Hochwassergefahr
„Den muss ich gleich mal fragen, ob er mit         draußen ist. Er kommt vom Bauernhof. Ein           entsprechend geringer.
den Markierungen am Weg zurecht gekom-             bisschen Landwirtschaft, ein bisschen Sozial-
men ist.“ Den Isarrangern ist wichtig, dass die    pädagogikstudium, dann hat er gemerkt, dass
Wanderpfade entlang der Isar gut begehbar          beides nicht das Richtige für ihn ist. Seit 1986
sind. Dann suchen sich die Menschen, die           ist er nun schon einer von zwei Isarrangern.
hier unterwegs sind, nicht ihre eigenen Wege.      Im Auftrag des Landkreises, Untere Natur-
Der Wanderer ist mit der Beschilderung zu-         schutzbehörde. Sein Einsatzgebiet: der Fluss-
frieden.                                           abschnitt zwischen Bad Tölz und Schäftlarn.
Der junge Mann ist Student. „Ich wollte vor        Seine Uniform besteht zwar nur aus einem
Ende meines Studiums noch mal was richtig          Strohhut und einem Hemd mit einem Auf-
Cooles machen“, erzählt er. Dann habe er           näher, der ihn als Ranger zu erkennen gibt.
vom „Traumpfad“ gehört, jener Wander-              Aber ein paar besondere Befugnisse hat März
route, die von München bis nach Venedig            auch: Er kann ansonsten gesperrte Wege an
führt. Ganz sicher ist er sich noch nicht, dass    der Isar befahren, Platzverweise erteilen, Per-
er die Lagunen jenseits der Alpen erreicht.        sonalien aufnehmen, Gegenstände konfiszie-
„Ich komme aus dem Ruhrgebiet, ich bin             ren. Manchmal muss er es auch. Doch meist
nicht so der Bergtyp.“ Aber er will es versu-      sind die Menschen verständig.
chen.Tags zuvor ist er in München aufgebro-        Seine Autorität bezieht der Ranger vor allem
chen. „Ich muss erst wieder in zwei Monaten        aus seinem Wissen. Wenn März ein paar Ju-
in Essen sein.“ Die Isar sieht er zum ersten       gendlichen sagt, sie sollen sich doch bitte lie-
Mal. „Ich muss sagen: ich bin positiv über-        ber 20 Meter weiter weg auf die Kiesbank le-
rascht. Ich hätte nicht gedacht, dass es hier so   gen, dann kann er das auch genau begründen.
schön ist. Das ist ja wie in Kanada.“              Dann erzählt er ihnen beispielsweise etwas
Alaska, Kanada, Oberbayern. In jedem Fall ein      vom Flussregenpfeifer, der hier mitten auf
Idyll.                                             dem Kies brütet.

                                                                                                                                  21
■ Land und Fluss

     FLUSSLITERATUR  AUSGESUCHTE EMPFEHLUNGEN
     · Uli Ertle, Michael Ruhland und Sandra Zistl: Die Isar. Stadt, Mensch, Fluss.
      Süddeutsche Zeitung Edition 2010, 24,90 Euro.

     · Christian Magerl und Detlev Rabe (Hg.): Die Isar. Wildfluss in der Kulturland-
      schaft. Kiebitz Buch 1999, 19,80 Euro.

     · Carmen Rohrbach: Am grünen Fluss. Isar – Abenteuer und Natur pur.                saust, scheint ein ordinäres Exemplar zu sein.
      Malik National Geographic 2007 (Nachdruck), 14,95 Euro.
                                                                                        Und das ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt
                                                                                        der Tierwelt, die den Fluss und seine Auen
     · Die neue Isar: Renaturierung, kulturelle Öffnung und Ideen-Fluss, Geschicht-     braucht. März nimmt einen weiteren Stein in
      liches wie Literarisches. Drei Bände in der Reihe „Nymphenspiegel“ 2010-12.       die Hand. „Da ist noch die Struktur eines
      18,90 und 19,90 Euro.                                                             Stengels einer Seelilie zu sehen. Zur Saurier-
                                                                                        zeit waren die extrem häufig.“
                                                                                        Übrigens, um der Chronistenpflicht zu ge-
                                       Überhaupt, die Fauna der Isar – auch sie ist     nügen, sei auch das noch erwähnt: Schon am
                                       etwas Besonderes. Ist man mit dem Ranger         Tag ihrer Gründung machte die Isar deutlich,
                                       unterwegs, trifft man in kürzester Zeit ver-     was sie von Menschen hält, die ihr sagen wol-
                                       schiedenste, seltene Tiere: Die bedrohte         len, wann sie wo zu fließen habe. „Punkt vier
                                       Zauneidechse raschelt vom Sonnenbad zu-          Uhr sollte der grüne Fluss eintreffen“, so le-
                                       rück ins blickdichte Gebüsch. Unter einem        sen wir bei Valentin, „aber es wurde später
                                       wahllos angehobenen Isarkiesel sitzt eine be-    und später, und kein Tropfen Isar war zu se-
                                       sonders seltene Art der Wolfsspinne, in der      hen. Es wurden sofort Extrablätter verteilt
                                       Pfütze nebenan schwimmt die Kaulquappe           mit der Inschrift: Isar noch nicht eingetroffen,
                                       der nicht minder seltenen Gelbbauchunke.         eine Stunde Verspätung!“ Aber das Warten hat
                                       Nur die Maus, die vor uns über den Weg           sich gelohnt.                                 ■

                                                                                                     DAS LESERBILD
                                                                                                     Was haben Sie für ein Bild von Bad
                                                                                                     Tölz und Umgebung? Ein lustiges?
                                                                                                     Ein romantisches? Ein klares? Ein
                                                                                                     impressionistisches? Schicken Sie
                                                                                                     es uns! Ganz gleich, ob es ein
                                                                                                     Schnappschuss, ein kleines Detail,
                                                                                                     ein Porträt, eine postkartenwürdige
                                                                                                     Stadtansicht, eine Zeichnung oder
                                                                                                     ein Aquarell ist, her damit! Das Bild,
                                                                                                     das uns unter allen Einsendungen
                                                                                                     am besten gefällt, veröffentlichen
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                                                                                                     freuen uns auf Ihre Ansichten!

                                                                                                     Bitte senden Sie uns Ihr Bild
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                                                                                                     toelz@gschichten.de.
                                                                                                     Und schreiben Sie gern ein paar
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                                                                                                     entstand und warum es Ihnen
                                                                                                     besonders gefällt.
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                                                                                                     mende Ausgabe: 15. August.

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Foto: Dominik Baur; Illustration: Hans Reiser
                                                     Karikatur ■

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■ Land und Fluss

                                                                       Floß ohne Wiederkehr
                                                                       Einst war die Isar eine der wichtigsten Verkehrsadern Bayerns

                                                                       Wenn die Melodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“ er-         Solange die Konkurrenz im Wesentlichen aus Pferde-
                                                                       tönt, wird es, wie könnte es anders sein, ernst. Dass es      kutschen bestand, galt es noch als besonders schnell.
                                                                       nicht Charles Bronsons Mund-, sondern eine Ziehhar-           Zumindest auf dem Hinweg. Wer vom erreichten Ziel
                                                                       monika der dreiköpfigen Floßkapelle ist – geschenkt.           wieder zurückwollte, musste auf langsamere Verkehrs-
                                                                       Denn nun kommt es zum Showdown, zum Höhe-                     mittel ausweichen. Die Flößer selbst hatten dann oft
                                                                       punkt auf dieser Floßfahrt. Vor uns, an der Gaststätte        einen langen Fußmarsch antreten.
                                                                       Zur Mühle bei Straßlach liegt die längste Floßrutsche         Vor allem ging es damals ums Holz, zumeist Fichte. Die
                                                                       der Isar. Und der Welt. Knapp 350 Meter ist sie lang.         scheinbar unerschöpflichen Nadelwälder des Oberlan-
                                                                       Der Akkordeonspieler weiß schon, was ihn erwartet,            des waren ein einziges, riesiges Holzreservoir des stetig
                                                                       hat bereits ein Regencape über sich und sein wertvol-         wachsenden Münchens. Der Bedarf der Residenzstadt
                                                                       les Instrument gezogen. Flößer Wolfgang holt noch             an Brenn- und Bauholz war enorm. Das immer wieder
                                                                       schnell das vordere Ruder aus dem Wasser. Dann:               gern zitierte Paradebeispiel ist die Frauenkirche: Die
                                                                       Schreie, Gischt, und sechzig Mann rasen mit vierzig Sa-       2100 Baumstämme, aus denen ihr Dachstuhl gezim-
                                                                       chen in die spritzende Tiefe. Über uns: Amüsierte Zu-         mert wurde, kamen in den Jahren 1473 bis 1475 per
                                                                       schauer, die dem Spektakel von der sicheren Brücke            Floß nach München. Oder besser: als Floß. Denn das
                                                                       aus folgen. Ein Spektakel, das es hier im Sommer jeden        Praktische an den Flößen war: Am Ziel angekommen,
                                                                                                              Tag mehrmals zu        ließen sie sich mit wenigen Handgriffen in ihre Einzel-
                                                                                                              beobachten gibt.       teile zerlegen und sofort als Rohstoff weiterverwerten.
                                                                                                              Sepp Seitner ist       Versuchen Sie das mal mit einer Eisenbahn!
                                                                                                              einer der weni-        Freilich endete die Floßfahrt damals noch nicht in
                                                                                                              gen Floßmeister,       München. Ab 1623 gab es von dort sogar eine regel-
                                                                                                              die heute noch         mäßige Floßverbindung nach Wien. Sechs bis neun
                                                                                                              die Isar befahren.     Tage dauerte die Fahrt über Isar und Donau.
                                                                                                              „Wir sind die letz-    Für Tölz hatte die Floßfahrt eine besondere Bedeutung.
                                                                                                              ten in Europa, die     Schon im Jahr 1785, so belegen Quellen, sollen in Tölz
                                                                                                              so etwas noch an-      4000 Flöße abgelegt haben, mehr als zehn am Tag. Im
                                                                                                              bieten“, erzählt er.   19. Jahrhundert dürften es noch deutlich mehr gewor-
                                                                                                              Zwischen Anfang        den sein. Neben Holz wurden auch Kalk aus den zahl-
                                                                                                              Mai und Mitte          reichen Kalköfen entlang des Flusses, die berühmten
                                                                       Flößer Sepp Seitner: Einer der         September legen        Tölzer Bauernmöbel und manch andere Ware auf den
                                                                       Letzten seiner Art                     seine Flöße jeden      Weg gen Norden geschickt. Ein besonders begehrtes
                                                                                                              Morgen um neun         Transportgut war auch Bier. In den hiesigen Tuffstein-
                                                                       Uhr am Loisach-Ufer in Wolfratshausen ab, und über            kellern ließ es sich besonders gut kühlen, weshalb die
                   Fotos: Dominik Baur, Marey (Stadtarchiv Bad Tölz)

                                                                       die Isar geht’s dann runter bis nach München-Thalkir-         Münchner ihr Lebenselixier vor der Einführung moder-
                                                                       chen. Nur bei Hochwasser fallen die Fahrten aus. Zwei,        ner Kühltechnik gern aus dem Oberland bezogen. Die
                                                                       manchmal drei Flößer steuern ein Floß, in unserem Fall        Tölzer hatten unter den Flößern ohnehin eine Vor-
                                                                       sind es Wolfgang und Jason. Die Floßgesellschaft ist          rechtsstellung. 1649 hatte ihnen Kurfürst Maximilian I.
                                                                       gemischt: An „Bord“ wird Hessisch, Schwäbisch, Kölsch         das Monopol auf die Personenbeförderung nach Mün-
                                                                       und Amerikanisch gesprochen.                                  chen zuerkannt.
                                                                       Andere Zeiten, andere Flöße: Früher war das Floß ein-         Nur ehrbare Männer konnten der Zunft der Flößer an-
                                                                       mal eines der wichtigsten Transportmittel des Isartals.       gehören. Die Zahl der Floßmeister war jedoch be-

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