UniPress* - Forschen im Netzwerk - Universität Bern

 
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Forschen im Netzwerk

* Gespräch – Rektor Martin Täuber blickt zurück   28
* Begegnung – Doris Kopp, Bibliothekarin, sieht kaum noch Bücher 32
                                                                      Juni 2016   168
* Forschung – Die Mär von der Chancengleichheit      26

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Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
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Competence in Process and
                                                                               Laboratory Technology

20 to 23 September 2016 | Messe Basel | ilmac.ch
ILMAC is part of the Basel Life Science Week from 19 to 23 September | basellife.org

                                                                                                                                Free ticket:
                                                                                                                                ilmac.ch/ticket with PrioCode
                                                                                                                                welcome-ilmac16

Highlights: ILMAC Forum | Lunch & Learn | ILMAC Networking Event and ILMAC Party

                                                                                                                             Main Partner Process

                                                                                       Der universitäre Abschluss als Ziel
                                                                                       Rund 80 verschiedene Weiterbildungsabschlüsse an der Universität Bern
                                                                                       www.weiterbildung.unibe.ch

                                                                                                                Master of Advanced Studies MAS
                                                                                                                Diploma of Advanced Studies DAS
                                                                                                                Certificate of Advanced Studies CAS

                                 Frei Zeit*
                                      Wir suchen
                                      Assistenzärztinnen
                                      und Assistenzärzte.
                                      www.privatklinik-meiringen.ch
* Meine Work-Life-Balance stimmt.
  Ich lebe und arbeite im Haslital…                                                    Informationen: Zentrum für universitäre Weiterbildung ZUW
  Dort, wo andere Ferien machen!                                                       Schanzeneckstrasse 1, 3001 Bern, www.zuw.unibe.ch, zuw @ zuw.unibe.ch
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FORSCHEN IM NETZWERK

Die Schweiz liegt mitten in Europa. Europa liegt mitten
in der Schweiz. Eindrücklich zeigt sich dies in der
Wissenschaft. Die Fäden von Forschungsnetzwerken,
die den Kontinent umspannen, laufen auch in Bern,
Zürich, Lausanne oder Basel zusammen. So koordiniert
die Universität Bern vier europäische Verbundprojekte
und drei Nachwuchsnetzwerke und ist an zahlreichen
weiteren EU-Projekten beteiligt; aktuell sind es 81.
   In diesem Heft kommen Menschen zu Wort, die
an der Universität Bern in europäischen Forschungs-
verbünden tätig sind: Als Koordinatorinnen und Koordi-
natoren, als Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchs-
forscher. Sie entwickeln eine App, die es Diabetikern
auf einfache Weise ermöglichen soll, ihren Blutzucker-
spiegel zu kontrollieren. Sie arbeiten daran, dass
uns Satelliten vor Hochwasser warnen, bevor die Flüsse
bereits überlaufen. Sie wollen die Blut-Hirn-Schranke
besser verstehen – als Grundlage für neue Therapien
gegen Krankheiten wie Multiple Sklerose oder
Alzheimer. Die Probleme, die sie lösen wollen, sind
zu gross und zu komplex für Alleingänge – sie können
sinnvoll nur in einem internationalen Netzwerk gelöst
werden.
   Forschen im Verbund ist jedoch immer auch ein
Abenteuer, so berichten die Beteiligten. In halb Europa
Professoren auf eine Linie zu bringen, das sei wie
Katzen hüten. Und wenn Forschende von neun Partner-
institutionen alle frisch erholt und mit neuen Ideen aus
den Sommerferien heimkehren, dann sorgt die von
Brüssel festgesetzte Eingabefrist Mitte August für
Hektik im Berner Koordinationsteam. Die sich dann –
nach der Zusprache – beim Gläserklirren per Skype in
Wohlklang auflöst. Für Schweizer Forscherinnen und
Forscher ist Europa nicht so sehr ein Politikum. Es ist
Realität.
   Und das, sagt der abtretende Rektor Martin Täuber
im Abschiedsinterview mit UniPress, soll so bleiben:
«Die Schweizer Forscherinnen und Forscher sind neben
der nationalen auf die internationale Zusammenarbeit
angewiesen. So entsteht die Innovation, die wir zur
Lösung drängender Fragen brauchen.»

                           Timm Eugster und Marcus Moser

                                                           UniPress   168/2016   1
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Schrift – im Land der Buchstaben                                                                          Hell im Kopf                                                                                        Forschen in der Welt

         * Gespräch – Andrea Glauser über weibliche Uni-Karrieren    32
                                                                                                                   * Gespräch – Stefan Brönnimann und Claus Beisbart zu «Citizen Science» 30                           * Gespräch – Hubert Steinke über Medikalisierung 32
         * Begegnung – Aymo Brunetti, der beliebteste Hochschullehrer      36
                                                                                                                   * Begegnung – Riccardo Legena war schon als Kind an der Uni 36                                      * Begegnung – Sabine Böglis Weg zur Mathematik 36
         * Forschung – Gemeinsam für die Medizin von morgen     30              Dezember 2014    162                                                                                           Apr i l 2015      163                                                                      Ju n i 2 0 1 5    164
                                                                                                                   * Forschung – Kunst und Wissenschaft vereint 26                                                     * Forschung – Feldforschung als Kunst 28

     UniPress*                                                                                                    UniPress*                                                                                            UniPress*

                                                                                                                   Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
         Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern

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         Wir haben die Wahl                                                                                       Digitale Realitäten                                                                                  In aller Munde

         * Gespräch – Oliver Mühlemann über Moleküle und Medikamente 32                                           * Gespräch – Vizerektor Christian Leumann zum geplanten Laborneubau 32                               * Gespräch – Alberto Achermann zum Einwanderungsland Schweiz 32
         * Begegnung – Dr. Bernadette Bürgi, unsere Frau in Hollywood 36                                          * Begegnung – Noemi Zbären, die Studentin, die über Hürden läuft 36                                  * Begegnung – Mario Slongo, Dr. h. c. Wetterfrosch 36
                                                                                Ok tobe r 2015   165                                                                                           Dez em ber 2015   166                                                                     A p r il 2 0 1 6   167
                                                                                                                  * Forschung – Warum Migranten auch ohne Chancen hierbleiben 28

                                                                                                                  UniPress*
         * Forschung – Zimmerwald, das Rütli der Sowjets 28                                                                                                                                                            * Forschung – Walter Benjamin in Bern 28

       UniPress*                                                                                                                                                                                                       UniPress*

          Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                                                                                                                           Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
                                                                                                                  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern

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                                                                                                                                                                                    Universität Bern
                                                                                                                                                                                    Corporate Communication
                                                                                                                                                                                    Hochschulstrasse 6
                                                                                                                                                                                    CH-3012 Bern
                                                                                                                                                                                    Tel. +41 31 631 80 44
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                                                                                                                                                                                    www.kommunikation.unibe.ch
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Inhalt

                                                         FORSCHEN IM NETZWERK

                                                      5 Mit Marie Curie in Bern doktorieren
                                                        Von Marcus Moser

                                                      7 Luca Marchetti: Gerhirnerkrankungen besser verstehen

                                                      9 Satelliten sollen früher vor Hochwasser warnen
                                                        Von Adrian Jäggi

                                                     11 Ulrich Meyer: Von Höhen und Höhlen

     FORSCHUNG UND RUBRIKEN                          13 Damit Ältere nicht so häufig ins Spital müssen
                                                        Von Felicitas Witte

     Forschung                                       15 Georgia Salanti: Sie bringt die neuen Ideen

24   Rechtsmedizin: Genau zur richtigen Zeit:        17 Die App für den Blutzucker
     Jackowsky und der Tod                              Von Stavroula Mougiakakou
     Von Bettina Jakob
                                                     19 Lia Bally: Sportlich unterwegs
26   Soziologie: Die Mär von der Chancengleichheit
     Von Florian Blumer                              21 Die neuen Barrieren im Welthandel
                                                        Von Morven McLean

     Rubriken                                        23 Eddy Bekkers: «Es ist sinnvoll, in der Schweiz
                                                        Erfahrungen zu sammeln»
 1   Editorial

28   Gespräch
     Martin Täuber – «Die Funktion als Rektor hat        Bildstrecke: Fünf Koordinatorinnen und Koordinatoren
     mich erfüllt»                                       von europäischen Forschungsnetzwerken, fotografiert
     Von Marcus Moser                                    von Manu Friederich.

32   Begegnung
     Doris Kopp – Zwischen Zettelkasten
     und Datenbank
     Von Astrid Tomczak-Plewka

34   Meinung
     Nehmen uns die Computer die Arbeit weg?
     Von Michael Gerfin

35   Bücher

36   Impressum

                                                                                            UniPress   168/2016   3
UniPress* - Forschen im Netzwerk - Universität Bern
4   UniPress   168/2016
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Mit Marie Curie in Bern doktorieren
Zehn Nachwuchsforschende aus ganz Europa
haben die Gelegenheit, mit «BtRAIN» ein
neuartiges Programm für Doktorierende zu
absolvieren. Die Zusprache der Europäischen
Union zur Durchführung des Programms erhielt
die Berner Professorin Britta Engelhardt.

Von Marcus Moser

Erfolgsquote die Erste: Weniger als 7 Pro-     acht europäischen Nationen. Auch diese         dominiert», sagt Engelhardt. In den vergan-
zent all jener europäischen Forschungs-        Quote liegt unter 7 Prozent.                   genen Jahren hätten jedoch vermehrt
teams, die sich um die Ausrichtung eines          BtRAIN steht für «Brain Barriers Trai-      Forschende aus anderen Disziplinen, insbe-
Doktorierendenprogramms im Ramen               ning». Es geht dabei um Untersuchungen         sondere der Molekularbiologie, der
der «Marie Skłodowska-Curie Actions»           zur Funktion der Blut-Hirn-Schranke BHS,       Entwicklungsbiologie und der vaskulären
bewerben, haben Aussicht auf Erfolg. Britta    die verhindert, dass Krankheitserreger oder    Zellbiologie wesentlich zum besseren
Engelhardt, Professorin für Immunbiologie,     Giftstoffe vom Blut ins zentrale Nerven-       Verständnis dieser Barrieren beigetragen.
ist zufrieden – sie gehört zu diesen Erfolg-   system gelangen. «Der Begriff Blut-Hirn-       «Ich bin der Überzeugung, dass dieses
reichen: «Zwischen der Vision im Kopf und      Schranke wurde in seiner französischen         Forschungsgebiet heute an einer neuen
dem ausgereiften Forschungsantrag liegen       Version als barrière hémato-encéphalique       Schwelle steht», erklärt die Forscherin im
zahlreiche Diskussionen, verworfene            bereits im frühen 20. Jahrhundert von Lina
Konzepte und durchgearbeitete Wochen-          Stern verwendet, der ersten Professorin der
enden. Angesichts dieses Aufwands bin ich      Universität Genf», erläutert Britta Engel-     Blut-Hirn-Schranke – kurz erklärt
heute sehr erleichtert, vor der Antrags-       hardt. «Diese Barriere ist für die Funktion    Die Nervenzellen in Gehirn und Rücken-
stellung nicht gewusst zu haben, dass die      des zentralen Nervensystems essentiell und     mark kommunizieren über elektrische
Erfolgsquote aller Anträge so niedrig ist.»    bei vielen Erkrankungen wie Multiple Skle-     Aktivität. Hierfür sind sie auf ein stabiles
Gemeinsam mit Partnern aus acht euro-          rose, Schlaganfall oder Alzheimerscher         Milieu, die sogenannte Homöostase,
päischen Ländern führt sie mit BtRAIN ein      Erkrankung gestört», sagt Forscherin Engel-    angewiesen. Die Homöostase des
Doktorierendenprogramm durch und               hardt. «In BtRAIN werden diese Mecha-          zentralen Nervensystems wird duch die
hat hierfür aus den EU-Förderprogrammen        nismen untersucht – um letztendlich diese      Blut-Hirn-Schranke gewährleistet. Sie
für Forschung und Innovation im Rahmen         Barrieren therapeutisch beeinflussen zu        schützt das zentrale Nervensystem (ZNS)
von «Horizon 2020» rund 3 Millionen Euro       können.»                                       vor den sich ständig ändernden Bedin-
erhalten.                                                                                     gungen im Blutkreislauf. Die hochspeziali-
                                               Neue Schwellen,                                sierten Endothelzellen, welche die Gefäss-
Blut-Hirn-Schranke                             neue Forschungsgruppen                         wände der Blutgefässe im ZNS auskleiden,
als Herausforderung                            Die biologischen Prozesse, die bei der         verhindern das unkontrollierte Eindringen
Erfolgsquote die Zweite: 161 Kandidatinnen     Reifung der Blut-Hirn-Schranke eine Rolle      von im Blut zirkulierenden Botenstoffen,
und Kandidaten haben sich um eine Dokto-       spielen, werden von den Forschungs-            aber auch von Giftstoffen in Gehirn und
randenstelle im Rahmen von BtRAIN bewor-       gruppen im BtRAIN-Netzwerk seit Jahren         Rückenmark. Umgekehrt sorgen speziell
ben. Zehn von ihnen haben sich am 3. und       erforscht. Dieser Verbund ist zukunftswei-     in den Endothelzellen der BHS ausge-
4. März 2016 zusammen mit ihren Betreu-        send, da er sich aus den unterschiedlichsten   prägte Transportprozesse für die schnelle
enden in Bern zum Start der Ausbildung         Disziplinen zusammensetzt. «Ursprünglich       Aufnahme von Nährstoffen in das ZNS
getroffen. Fünf Frauen, fünf Männer, im        wurde die BHS-Forschung von den Ge-            und den Abtransport von Abbaupro-
Alter zwischen 24 und 28 Jahren und aus        bieten der Physiologie und Pharmakologie       dukten aus dem ZNS.

                                                           Forschen im Netzwerk                                    UniPress   168/2016   5
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BtRAIN
Die Doktorierendenprogramme der «Marie
Skłodowska-Curie Actions» sind nach der
aus Polen stammenden zweifachen Nobel-
preisträgerin Marie Skłodowska-Curie
benannt. Die Massnahmen enthalten
Forschungsstipendien für junge Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler in
Europa und darüber hinaus. Die Unterstüt-
zung der ausgewählten Doktorierenden ist
breit: In finanzieller Hinsicht erhalten sie
ein Gehalt, Mobilitätsunterstützung und je
nach Familienstand zusätzliche Sozialleis-
tungen. Inhaltlich bietet sich den BtRAIN-
Doktorierenden die Chance einer interdis-
ziplinären akademischen Ausbildung im
Rahmen eines Europäischen Netzwerks,
das den engen Austausch mit verschie-
denen Labors, Firmen und anderen Europä-
ischen Partnerorganisationen anbietet.

BtRAIN umfasst Partner aus den blau
eingefärbten Ländern.

Gespräch. Neue analytische Methoden                Die akademischen Partner stammen aus        of the box» gefordert. «Diese Forschenden
generieren enorme Datenmengen, die ohne         der gewünschten Vielzahl der Disziplinen:      werden in der Lage sein, den Dialog
Einbezug weiterer wissenschaftlicher Diszi-     Expertinnen und Experten der Entwick-          zwischen den verschiedenen Disziplinen zu
plinen – zum Beispiel Bioinformatik, Bioin-     lungsbiologie, Physiologie, vaskulären Zell-   führen». Da ist sich Engelhardt sicher.
genieurwesen oder Chemie – nicht adäquat        biologie, Pharmakologie, Neuroimmuno-
untersucht und verstanden werden können.        logie, Polymerchemie und Bioinformatik.        Kontakt: Prof. Dr. Britta Engelhardt,
«Aus diesem Grund entschloss ich mich,          Die nicht akademischen Partner sollen den      Theodor Kocher Institut,
Forschende aus diesen Disziplinen für           Doktorierenden bereits zu diesem frühen        britta.engelhardt@tki.unibe.ch
unsere Fragestellungen zu interessieren und     Zeitpunkt ihrer Ausbildung Kompetenzen in      Website: www.btrain-2020.eu
ihre Ideen in unsere laufenden Forschungs-      Arzneimittelentwicklung, High-End Techno-
projekte einzubinden.» Das ist gelungen.        logien in der Mikroskopie und Stammzell-
Innerhalb der Universität Bern konnte           technologie sowie in Patentrecht, Innova-
Engelhardt die Interfaculty Bioinformatics      tion und internationaler Kommunikation
Unit IBU zur gemeinsamen Arbeit in BtRAIN       vermitteln.
gewinnen. Die IBU ist die zentrale Einrich-
tung für Bioinformatik für die Medizinische     Thinking out of the box
Fakultät, die Vetsuisse Fakultät und die        Im neuen Doktorierendenprogramm wird           Prof. Dr. Britta Engelhardt koordiniert
Philosophisch-naturwissenschaftliche            die heute notwendige Transdisziplinarität      das Doktorandennetzwerk BtRAIN. Sie hat
Fakultät.                                       nun auf eine nächste Generation von            an der Universität Marburg und am Max-
                                                Forschenden ausgeweitet: «Für mich             Planck Institut für Psychiatrie in Martins-
Internationale Partner,                         besteht kein Zweifel, dass Fortschritt auf     ried in Neuroimmunologie promoviert.
transnationales Doktoratsprogramm               diesem Gebiet transdisziplinäres Denken        Ihre Habilitation erfolgte 1998, seit 2003
Seit 2014 hat Britta Engelhardt ausserdem       und transnationale Zusammenarbeit erfor-       ist sie Professorin für Immunbiologie und
verschiedene Forschungsgruppen in der           dert», bekräftigt die Berner Forscherin.       Direktorin des Theodor Kocher Instituts an
Schweiz, in Deutschland, Italien, Frankreich,      Eine weitere Besonderheit liegt darin,      der Universität Bern. Ihr Hauptforschungs-
Belgien, Holland, Grossbritannien und           dass die Doktorierenden in BtRAIN ent-         gebiet sind molekulare Mechanismen bei
Ungarn zur Mitarbeit begeistern können.         lang der gesamten Wertschöpfungskette          neurologischen Entzündungen, beispiels-
Im Zentrum steht ein Doktoratsprogramm          von der Entdeckung in der Grundlagen-          weise die Interaktion der Immunzellen mit
zur interdisziplinären Ausbildung junger        forschung über die gesamte Technologie-        der Blut-Hirn-Schranke bei Multipler Skle-
Forscherinnen und Forscher auf dem Gebiet       entwicklung hin ausgebildet werden.            rose und Schlaganfall. Sie ist Präsidentin
der Blut-Hirn-Schranke. In BtRAIN spannen       «BtRAIN leistet einen Beitrag zur Förderung    des wissenschaftlichen Beirats der Schwei-
aktuell insgesamt 12 akademische und            einer völlig neuen Generation von jungen       zerischen Gesellschaft für Multiple Skle-
6 nicht-akademische Partner zusammen,           Forschenden», freut sich Koordinatorin         rose und Executive Board Member des
um dieses Ausbildungsziel zu erreichen.         Britta Engelhardt. Heute sei «thinking out     European Journal of Immunology.

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Gelöste Stimmung am Kick-off im vergangenen März: Die Doktorierenden von BtRAIN treffen sich erstmals in Bern.

Gehirnerkrankungen besser verstehen
Luca Marchetti, Doktorand im Netz-               Unser Ziel ist es, die aus der Forschung         finden. Unterschiedliche Forschungsansätze
werk BtRAIN am Theodor Kocher                    gewonnenen Erkenntnisse in die klinische         aus Immunologie und Bioinformatik
Institut der Universität Bern, unter-            Behandlung einzubringen.                         machen dieses Forschungsprojekt zu einer
sucht die Entstehung von Multipler                                                                aufregenden Herausforderung.
Sklerose. Daneben freut er sich auf              Mit wem arbeiten Sie dafür zusammen?
die Erkundung der Berner Altstadt                Am Theodor Kocher Institut arbeite ich           Wofür interessieren Sie sich ausserhalb
und die Aare.                                    in der Gruppe von Professorin Britta             Ihrer Forschung?
                                                 Engelhardt mit. Wir sind 13 Forschende,          Ich höre gerne Musik, besonders Rock und
Wer sind Sie und woher kommen Sie?                                                                elektronische Musik, und lese in meiner
Mein Name ist Luca Marchetti, ich bin                                                             Freizeit gerne Romane. Sonst bin ich, so oft
25 Jahre alt und stamme aus Italien. Ich                                                          ich Gelegenheit dazu habe, auf dem Tennis-
habe an der Universität Tor Vergata in Rom                                                        platz anzutreffen. Ausserdem liebe ich Hun-
den Bachelor in Biological Sciences und                                                           de! Und ich freue mich schon darauf, Bern
anschliessend den Master in Cellular and                                                          zu erkunden. Die Stadt hat mir von Anfang
Molecular Biology absolviert. Nach meinem                                                         an sehr gefallen. Besonders die Altstadt
Abschluss wollte ich mich im Bereich Immu-                                                        und die Aare haben es mir angetan.
nologie weiter spezialisieren und habe
deshalb nach einer PhD-Stelle gesucht. Das                                                        Welches ist Ihre nächste Station?
von Horizon 2020 unterstützte Brain Barri-                                                        Mein Forschungsprojekt wird voraussichtlich
ers Training «BtRAIN» war für mich eines                                                          drei Jahre dauern. Während dieser Zeit
der spannendsten angebotenen Doktorie-           darunter nebst mir noch zwei weitere             werde ich nicht nur neue Techniken erler-
rendenprogramme. Nun forsche ich also            PhD-Studierende. Das BtRAIN Netzwerk             nen, sondern auch vertieftes Wissen in
seit dem 1. März am Theodor Kocher               besteht aus zwölf Partnerorganisationen,         meinem Forschungsgebiet erlangen, was
Institut der Universität Bern an meinem          wir arbeiten mit mehreren europäischen           mir in meiner späteren Laufbahn zu Gute
Projekt.                                         und internationalen Gruppen zusammen.            kommen wird. Nach meinem PhD würde
                                                 Unser primäres Forschungsinteresse liegt         ich gerne als PostDoc weiter in der For-
Was machen Sie?                                  auf den molekularen Mechanismen, die             schung tätig sein und in einem universi-
Ich untersuche, wie bestimmte Immunab-           sich ereignen, wenn Immunzellen die              tären Umfeld arbeiten.
wehrzellen – die T-Zellen – die Blut-Hirn-       Blut-Hirn-Schranke überwinden und so
Schranke überwinden und im zentralen             ins zentrale Nervensystem gelangen.              Was möchten Sie erreichen in Ihrem
Nervensystem neurologische Krankheiten,                                                           Leben?
wie zum Beispiel Multiple Sklerose, verursa-     Was fasziniert Sie bei Ihrer Forschung           Momentan ist mein grösstes Ziel natürlich,
chen können. Immunologie fasziniert mich         besonders?                                       meinen PhD abzuschliessen und mein
schon seit Studienbeginn und es ist gross-       Der faszinierendste Aspekt meiner For-           Wissen und meine Erfahrung im For-
artig, nun in diesem Feld forschen und           schung ist die grosse Anzahl offener             schungsgebiet Immunologie auszubauen.
arbeiten zu können.                              Fragen, die es zu beantworten gilt. Viele        Ich möchte gerne etwas Wesentliches zum
                                                 Aspekte des Krankheitsausbruchs bei              wissenschaftlichen Fortschritt beitragen und
Warum ist dies wichtig?                          Multipler Sklerose sind immer noch un-           der Gesellschaft so etwas zurückgeben.
Das bessere Verständnis der Auslösemecha-        klar. Mit neuen Technologien und Metho-
nismen der Krankheit könnte die Behand-          den wollen wir mit unserer Forschung nun         Kontakt: Luca Marchetti, Theodor Kocher
lung von Multipler Sklerose verbessern.          die Antworten auf einige dieser Fragen           Institut, luca.marchetti@tki.unibe.ch

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8   UniPress 168/2016
Satelliten sollen früher vor Hochwasser warnen
Die Erde ist unter Dauerbeobachtung von
Satelliten, um uns immer besser vor Krisen und
Katastrophen zu schützen. So registrieren Satel-
liten nun auch Vorgänge im Innern der Erde, etwa
Veränderungen im Wasserhaushalt. Auf diese
Weise will das europäische Verbundprojekt EGSIEM
die Vorwarnzeit vor Überschwemmungen erhöhen.

Von Adrian Jäggi

Immer mehr künstliche Satelliten beob-        Prinzip dahinter: Die Verteilung der Massen     wassers aufgrund intensiver landwirtschaft-
achten unseren Planeten rund um die Uhr       bestimmt das Schwerefeld der Erde und           licher Nutzung oder das durch den Klima-
mit vielen unterschiedlichen Messinstru-      somit auch die Bahn der Satelliten. Wenn        wandel bedingte Abschmelzen des Fest-
menten. So wird im Rahmen des Coper-          sich in einer Region beispielsweise Wasser      landeises in Grönland und der Antarktis,
nicus-Programms der Europäischen Union        ansammelt, sprich dort die Masse wächst,        das wiederum direkte Auswirkungen auf
beinahe das gesamte Spektrum an Geo-          verändert sich auch die Satellitenbahn.         den Anstieg des Meeresspiegels hat.
information und Umweltwissenschaften                                                              Dass solche Daten für Wissenschaft und
abgedeckt: Von der Eisüberwachung in den      Neue Satellitenmission ermöglicht               Gesellschaft relevant sind, ist unbestritten –
Polargebieten über die Luftqualitätsmes-      genaue Messungen                                trotzdem gehört Satellitengravimetrie heute
sung bis hin zum Notfallmanagement            Diese Veränderungen lassen sich am besten       noch nicht zum etablierten Standardinven-
beispielsweise bei Waldbränden unter-         aus den Daten der US-deutschen Satelliten-      tar der satellitengestützten, kontinuier-
stützen die Dienste von Copernicus eine       mission GRACE und der für 2017 geplanten        lichen Erdbeobachtung. Dass GRACE und
breite Palette von Umwelt- und Sicherheits-   Nachfolgemission GRACE Follow-On                GRACE FO noch nicht Teil des Copernicus-
anwendungen. Copernicus ist ein Eckpfeiler    (GRACE FO) ermitteln. Im Gegensatz zu           Programms sind, hat verschiedene Gründe.
in den Bemühungen der EU, die Erde syste-     klassischen Erdbeobachtungssatelliten be-       Im Gegensatz zur klassischen Erdbeobach-
matisch und kontinuierlich zu beobachten,     stehen diese beiden Missionen aus jeweils       tung, beispielsweise mittels der Aufnahme
so dass ihre Bewohnerinnen und Bewohner       zwei Satelliten, die in einem Abstand von       von Bildern, wo sich jede Messung (jedes
auf Krisen und Katastrophen – ob natür-       rund 200 Kilometern in einer niedrigen Erd-     Bild) direkt einem Gebiet auf der Erde zu-
liche oder vom Menschen verursachte –         umlaufbahn hintereinander herjagen. Dabei       ordnen lässt, messen die GRACE-Satelliten
vorbereitet sind und vor ihren Auswirkun-     fungieren die Satelliten als die eigentlichen   und die zukünftigen GRACE FO-Satelliten
gen bestmöglich geschützt werden können.      Messsensoren, deren Bahnen relativ zu-          immer das resultierende Schwerefeld der
Aber decken die Copernicus-Satelliten die     einander hochgenau vermessen werden.            Massenverteilung des gesamten Erdkörpers.
ganze Bandbreite ab, die dafür notwendig      Bereits bei der aktuellen GRACE-Mission         Die wissenschaftliche Analyse der Daten ist
ist? Nein – aus Sicht der Forschenden des     werden Änderungen in der Distanz zwi-           dementsprechend kompliziert und kann
Astronomischen Instituts der Universität      schen den beiden Satelliten mittels hin-        weltweit nur von etwas mehr als einer
Bern (AIUB) und einiger weiterer europä-      und her gesendeter Mikrowellensignale mit       Handvoll Institutionen auf höchstem
ischer Institution, die sich zum EGSIEM-      unvorstellbarer Präzision im Bereich von        Genauigkeitsniveau durchgeführt werden.
Konsortium zusammengeschlossen haben,         Mikrometern vermessen (dies entspricht          Weil diese Gruppen bisher weitestgehend
braucht es weitere Messungen.                 dem Durchmesser einer menschlichen Blut-        unabhängig voneinander gearbeitet haben
    So sind etwa Hochwasserereignisse, die    zelle). Bei der Nachfolgemission GRACE FO       und ihre Auswertungen bisher nicht in
mit dem Klimawandel voraussichtlich noch      sollen dank Laserinterferometrie nochmals       einem grösseren Rahmen koordiniert und
häufiger werden, mit den aktuellen Metho-     zehn- bis fünfzigmal genauere Messungen         harmonisiert haben, unterscheiden sich
den kaum vorhersehbar. Denn es genügt         möglich sein.                                   auch die Resultate.
nicht, zu wissen, wie viel es geregnet hat.      Aus solch enorm präzisen Messungen
Ob es zu einer Überflutung kommt oder         lassen sich Massenverlagerungen im System       Experten sollen enger kooperieren
nicht, hängt auch vom Grad der Sättigung      Erde global und mit zuvor nicht gekannter       Deshalb hat das Astronomische Institut der
des Bodens mit Wasser ab. Hier kommt          Genauigkeit und räumlicher Auflösung            Universität Bern das Projekt EGSIEM als
EGSIEM («European Gravity Service for         studieren. Neben den natürlichen Massen-        Horizon 2020-Verbundprojekt eingegeben.
Improved Emergency Management») ins           transport-Prozessen, wie etwa dem globa-        Das im Januar 2015 gestartete EU-finanzier-
Spiel. Mittels sogenannter Satellitengravi-   len Kreislauf des Wassers, sind insbeson-       te Projekt soll die europäische Expertise zur
metrie vermessen die beteiligten Institu-     dere die vom Menschen verursachten              Messung, Analyse und Interpretation der
tionen das Schwerefeld der Erde und           Massenverlagerungen von zentralem Inte-         Daten der GRACE- und GRACE Follow-On-
dessen Veränderungen hochgenau. Das           resse: etwa Absenkungen des Grund-              Missionen vereinigen (standardisieren) und

                                                          Forschen im Netzwerk                                      UniPress   168/2016    9
EGSIEM
Das europäische Verbundprojekt EGSIEM
ist Teil des EU-Förderprogramms «Horizon
2020». Verbundprojekte umfassen mindes-
tens drei Institutionen aus drei Mitglied-
staaten oder assoziierten Ländern. An
EGSIEM sind acht Institutionen aus fünf
Ländern beteiligt; koordiniert wird das
Projekt von der Universität Bern. Das
Projekt begann 2015 und dauert bis 2017,
das Budget beträgt 2,5 Millionen Euro.
Die Mittel für die europäischen Partner
stammen von der EU, die Schweizer
Partner werden direkt durch das Schweize-
rische Staatssekretariat für Bildung,
Forschung und Innovation SBFI unterstützt.
Die Schweiz gilt beim EU-Forschungsrah-
menprogramm Horizon 2020 zurzeit nur
noch als teilassoziierter Staat, Schweizer
Projektpartner erhalten deshalb teilweise
keine Finanzierung mehr von der EU.
EGSIEM umfasst Partner aus den blau
eingefärbten Ländern.

neue Anwendungen erschliessen. Konkret        von Naturkatastrophen sein – wie etwa sich    einem realen Testlauf ein halbes Jahr lang
sollen die verschiedenen Forschungs-          anbahnenden Hochwasserereignissen. Be-        evaluiert werden, ob sich Vorwarnzeiten bei
gruppen, die heute mit komplementären         reits jetzt weiss man, dass GRACE und in      anbahnenden Fluten so tatsächlich ver-
Analysemethoden allesamt unabhängig           Zukunft GRACE FO bestens geeignet sind,       kürzen lassen. Heute gehen beim Zentrum
voneinander Resultate erzeugen, ihre Bei-     um Änderungen im sogenannten «Total           für satellitengestützte Kriseninformationen
träge zu einem einzigen, finalen Produkt      Water Storage» von grösseren Flussbecken      entsprechende Alarmmeldungen nämlich
vereinigen. Dadurch sollen die Resultate      zu registrieren. Diese Änderungen beschrei-   meist erst dann ein, wenn das Unglück
noch besser und vor allem robuster ge-        ben die Summe sämtlicher Änderungen im        bereits seinen Lauf nimmt und in vollem
macht werden, was insbesondere den            vorhandenen Wasser eines Flussbeckens:        Gange ist. Erst nach einem solchen Alarm
wissenschaftlichen Anwendungen zu Gute        Änderungen durch Zu- und Abfluss, beim        machen klassische Erdbeobachtungssatel-
kommen wird, etwa in der Geophysik,           gespeichertem Grund- und beim Ober-           liten detaillierte Aufnahmen des betrof-
Hydrologie, Glaziologie oder Klimatologie.    flächenwasser, in der Bodenfeuchte, aber      fenen Gebiets, die als Grundlage für Über-
Andererseits soll die Nutzung der Resultate   auch Änderungen bei gespeichertem             flutungskarten für die Rettungskräfte vor
dadurch vereinfacht und neue Nutzerkreise     Wasser in Form von Schnee und Eis.            Ort und andere Analysen zur Unterstützung
erschlossen werden.                           Plakativ gesprochen liefern zeitlich hoch-    des Notfallmanagements dienen. EGSIEM
                                              aufgelöste Messungen des «Total Water         wird unter Umständen dazu beitragen, dass
Wie viel Wasser gibt’s da unten?              Storage» somit ein Mass für die momen-        entsprechende Alarmierungen künftig
Heute dauert es rund zwei Monate, bis         tane «integrale Nässe» eines Flussbeckens.    früher erfolgen: Die Betroffenen wären
nach einer Messung am Satelliten wissen-          Abnormale Veränderungen des «Total        früher gewarnt, und die Rettungskräfte
schaftlich aussagekräftige Resultate vor-     Water Storage» könnten daher Hinweise         könnten sich dank Satellitendaten recht-
liegen. Deshalb ist es zurzeit noch kaum      liefern, ob sich in einem Gebiet beispiels-   zeitig einen detaillierten Überblick über das
denkbar, Satellitengravimetrie zur Früh-      weise grossflächige Überschwemmungen          erwartete Katastrophengebiet verschaffen.
erkennung von Naturkatastrophen ein-          anbahnen. Dies ist umso wahrscheinlicher,
zusetzen. Ausserdem sind heute erst           je stärker die Böden bereits mit Wasser       Kontakt: Prof. Dr. Adrian Jäggi,
Aussagen über einen längeren Zeitraum –       gesättigt sind und zusätzliche Wasser-        Astronomisches Institut,
typischerweise einen Monat – möglich;         mengen, beispielsweise verursacht durch       adrian.jaeggi@aiub.unibe.ch
wünschbar wäre hingegen ein Monitoring        starken Niederschlag, nicht mehr auf-         Weitere Informationen: www.copernicus.eu;
in nahezu Echtzeit. Um diese Defizite zu      nehmen können. EGSIEM wird daher im           www.egsiem.eu; www.zki.dlr.de
beheben, werden im Rahmen von EGSIEM          Rahmen des sich im Aufbau befindlichen
zurzeit verschiedene Services aufgebaut.      Services aus Messungen des Erdschwere-
Damit sollen unter anderem Daten über         feldes Indikatoren für hydrologische Ex-      Prof. Dr. Adrian Jäggi koordiniert das
Massentransportprozesse künftig mit einer     tremereignisse entwickeln.                    Verbundprojekt EGSIEM. Er hat in Bern
Verzögerung von maximal fünf Tagen und                                                      Astronomie, Physik und Mathematik stu-
separat für jeden einzelnen Tag einer         Alarmieren, bevor es zu spät ist              diert. Nach dem Doktorat lehrte und
breiten Community von Nutzerinnen und         Gegen Ende des Projekts soll in Zusammen-     forschte er in Bern und an der Techni-
Nutzern zur Verfügung gestellt werden.        arbeit mit dem Zentrum für satelliten-        schen Universität München; seit 2012 ist
    Besonders interessant könnte diese        gestützte Kriseninformationen des Deut-       er Professor und Direktor des Astronomi-
Anwendung für bessere Frühwarnsysteme         schen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in     schen Instituts der Universität Bern (AIUB).

10   UniPress   168/2016                                 Forschen im Netzwerk
Das Bodenteam in Bern: Die Nachwuchsforschenden Yoomin Jean, Ulrich Meyer und Andreja Susnik.

Von Höhen und Höhlen
Ulrich Meyer, Nachwuchsforscher im              sehen wir sogar Eingriffe des Menschen,         Karten der Schwere, die sich wiederum
Projekt EGSIEM am Astronomischen                wie zum Beispiel das Aufstauen des Drei-        geophysikalisch sehr konkret interpretieren
Institut der Universität Bern (AIUB),           Schluchten-Stausees am Jangtsekiang, oder       lassen.
beobachtet mit Satelliten den                   intensive Bewässerung zu landwirtschaft-
Wasserkreislauf der Erde – in der Frei-         lichen Zwecken in Indien, die zu einer          Wofür interessieren Sie sich ausserhalb
zeit steigt er in tiefe Höhlen hinab.           Absenkung des Grundwasserspiegels führt.        Ihrer Forschung?
                                                                                                Ich bin mit Leib und Seele Höhlenforscher,
Wer sind Sie und woher kommen Sie?                                                              und ich habe eine Familie mit zwei Kindern.
Mein Name ist Ulrich Meyer, ich bin 43                                                          Dies lässt sich nicht unbedingt leicht unter
Jahre alt, habe in Stuttgart und Calgary                                                        einen Hut bringen, beides ist mir aber sehr
Geodäsie (Erdvermessung) studiert, in                                                           wichtig.
München promoviert und war dann sechs
Jahre am GeoForschungsZentrum mit der                                                           Welches ist Ihre nächste Station?
GRACE-Satellitenmission betraut, bevor ich                                                      Eine Förderprofessur des Schweizerischen
2008 als Projektwissenschaftler ans AIUB                                                        Nationalfonds würde mich sehr reizen.
gewechselt habe.                                                                                Nachdem ich all diese Erfahrungen zur
                                                                                                Satellitengeodäsie an verschiedenen Institu-
Was machen Sie?                                                                                 tionen gesammelt und auch dank dem
Ich bestimme aus den Beobachtungen              Mit dem Projekt EGSIEM wollen wir nun ein       EGSIEM-Projekt Kontakte in halb Europa
niedrig fliegender Satelliten das Schwere-      satellitengestütztes Frühwarnsystem für         habe, wird es Zeit, diese Erfahrung zu
feld der Erde und wie es im Zeitablauf vari-    Hochwasserereignisse oder sich anbah-           nutzen und weiterzugeben. Sollte das nicht
iert und suche nach Erklärungen für die         nende Dürrekatastrophen installieren.           klappen, so wüsste ich auch noch das eine
beobachteten Variationen.                                                                       oder andere grosse Höhlensystem, das ich
                                                Mit wem arbeiten Sie dafür zusammen?            gerne weiter erforschen will; davon kann
Warum ist dies wichtig?                         Im EGSIEM-Konsortium sind neben Satelli-        man nur leider nicht leben.
Die zeitlichen Schwerevariationen sind          tengeodäten wie mir vor allem Anwender
durch den Massenkreislauf im System Erde        unserer Schwerefelddaten, insbesondere          Was möchten Sie erreichen in Ihrem
bedingt. Aus Satellitendaten lassen sich        Hydrologen, vertreten. Aus der durch            Leben?
auf diese Weise vor allem der kontinentale      EGSIEM angeregten interdisziplinären            Ich möchte meine Familie gut durch alle
Wasserkreislauf und die Eisschmelze in          Diskussion habe ich schon viel gelernt.         Höhen und Tiefen steuern, und dabei auch
den Polargebieten beobachten, aber auch                                                         von den Satellitenhöhen im beruflichen
Veränderungen in den Ozeanströmungen            Was fasziniert Sie bei Ihrer Forschung          Umfeld und den Höhlentiefen in meinem
werden bereits sichtbar. Das sind sehr wich-    besonders?                                      Hobby so viel wie möglich sehen und erfor-
tige Themen in Zusammenhang mit dem             Satelliten machen Vorgänge sichtbar, die        schen.
Klimawandel. Darüber hinaus lassen sich         wir auf der Erde in ihrer Gesamtheit so gar
Extremereignisse wie Überschwemmungen           nicht umfassend beobachten können, weil         Kontakt: Dr. Ulrich Meyer,
oder Dürreperioden beobachten und ihre          wir immer nur Teilaspekte sehen. Und am         Astronomisches Institut (AIUB),
Masseneffekte quantifizieren. Mittlerweile      Ende stehen sehr fassbare Ergebnisse,           ulrich.meyer@aiub.unibe.ch

                                                           Forschen im Netzwerk                                        UniPress   168/2016   11
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     UniPress 168/2016
              168/2016
Damit Ältere nicht so häufig
ins Spital müssen
Nicolas Rodondi, Chefarzt in der Allgemeinen
Inneren Medizin am Inselspital, sieht jedes Jahr
Dutzende Patienten, bei denen es zu Medikamen-
ten-Zwischenfällen gekommen ist – vor allem
ältere Menschen. Ihnen möchte er mit seinem
europäischen Projekt OPERAM helfen.

Von Felicitas Witte

Stellen Sie sich vor, Sie hätten drei Krank-   untersucht. In der Studie kam es durch         Ärztin hinzufügen sollte oder die über-
heiten und drei verschiedene Fachärzte         die stärkere Blutdrucksenkung öfter zu         flüssig sind und warnt sie, wenn ein Medi-
verschreiben Ihnen Medikamente. Alles gut,     Ohnmachtsanfällen. Das kann aber für           kament nicht gegeben werden darf, etwa
oder? Nicht immer. Die Entscheidung der        einen alten Menschen gefährlicher sein als     weil die Niere der Patientin nicht mehr so
Mediziner kann schlimme Konsequenzen           für einen jüngeren, besonders wenn er          gut arbeitet. Das Programm alarmiert sie
haben. Drei von hundert Todesfällen sind       gleichzeitig einen Blutverdünner einnimmt:     auch, wenn zwischen zwei Präparaten
darauf zurückzuführen, dass die Betrof-        Wegen der Ohnmacht kann er auf den             Wechselwirkungen auftreten, die zum Bei-
fenen nicht die richtigen Medikamente          Kopf stürzen und eine Hirnblutung              spiel gefährliche Herz-Rhythmus-Störungen
bekamen oder dass sie Nebenwirkungen           bekommen. Immer wieder erlebt Nicolas          auslösen können und kontrolliert die kor-
erlitten. Muss ein Patient ins Spital, liegt   Rodondi mit älteren Patientinnen Situa-        rekte Dosis. «Schneidet unser Programm in
das in jedem dritten Fall daran, dass er       tionen, in denen er nicht weiss, ob seine      der Studie gut ab, könnten wir die Lebens-
nicht die passenden Arzneien erhalten oder     Therapiestrategie die richtige ist. «Das ist   qualität der Patienten verbessern, Todesfälle
sie unregelmässig eingenommen hat. «Eine       echt frustrierend, weil wir einfach nicht      vermeiden und die Gesundheitskosten
falsche Medikation kann gefährlich sein»,      genügend wissen.»                              senken», sagt Rodondi.
sagt Nicolas Rodondi, Chefarzt an der
Uniklinik für Allgemeine Innere Medizin im     Computerprogramm                               Die Schweiz allein ist zu klein
Inselspital: «Abgesehen davon verursachen      für bessere Therapien                          für dieses Projekt
die unnötigen Spitalaufenthalte Kosten in      So kam er auf die Idee mit OPERAM. Die         Um seine Studie zu finanzieren, bewarb er
Millionenhöhe». Rodondi sieht jedes Jahr       Abkürzung entstand aus dem Titel der           sich nicht beim Schweizerischen National-
Dutzende Patienten, bei denen es zu Medi-      Studie: «OPtimising thERapy to prevent         fonds (SNF), sondern bei der Europäischen
kamenten-Zwischenfällen gekommen ist –         Avoidable hospital admissions in the Multi-    Union (EU). «Es bringt wenig, das Problem
vor allem Ältere. Ihnen möchte er mit          morbid elderly». Rodondi will herausfinden,    nur in der Schweiz zu untersuchen», erklärt
seinem OPERAM-Projekt helfen.                  ob man mit bestimmten Massnahmen, un-          der Forscher. «Ich brauche viele Patienten
                                               ter anderem einem Computerprogramm,            und Experten mit den unterschiedlichsten
Es fehlt an Wissen                             die medikamentöse Therapie bei alten Men-      Kenntnissen – das geht nur mit einem
Viele ältere Menschen müssen mehr als          schen mit mehreren Krankheiten verbessern      gesamteuropäischen Projekt.» Ältere Stu-
eine Handvoll Tabletten pro Tag schlucken,     und Spitaleinweisungen vermeiden kann.         dien zum Thema untersuchten oft nur
weil sie unter mehreren Krankheiten leiden.    Im Computerprogramm sind die Daten der         wenige Teilnehmende in einzelnen Ländern,
«Selbst jüngere Menschen kommen durch-         Patientin gespeichert, unter welchen Krank-    Rodondis OPERAM-Projekt hingegen 1900
einander, wenn sie täglich daran denken        heiten sie leidet und wie ihre aktuellen       in mehreren Staaten. Seine Studienteil-
müssen, wann sie welches Medikament            Werte sind, etwa Blutdruck oder Nieren-        nehmer sind meist älter als 75, haben
nehmen sollen», sagt Rodondi. Bei älteren      funktion. Die Ärztin wählt aus einer Liste     mehrere Krankheiten und nehmen viele
Menschen mit mehreren Krankheiten gibt         die Medikamente der Patientin und schiebt      Medikamente ein. «Wir untersuchen also
es zudem das Problem, dass sie in den          sie auf dem Bildschirm zu den jeweiligen       genau die Personengruppe, für die wir
guten Studien nicht untersucht werden.         Krankheiten. «So sieht sie auf einen Blick,    später Ergebnisse haben wollen», sagt
   Kürzlich stellten Forscher zum Beispiel     gegen welches Problem welches Präparat         Rodondi. Ausserdem dauert seine Studie
fest, dass es besser sein könnte, den Blut-    wirken soll, welches Medikament zu viel        mit einem Jahr länger als die früheren,
druck bei bestimmten Menschen tiefer           ist und welches fehlt, und sie kann die        und sie ist statistisch so gestaltet, dass er
zu senken als bisher vorgegeben. Doch          Therapie optimieren», erklärt Rodondi.         herausfinden wird, wie sich die Prognose
in dieser Studie wurden zu wenige alte         Hierbei hilft ihr der Computer. Er schlägt     der Patienten ändert. Letztlich bekommt
Menschen mit mehreren Krankheiten              beispielsweise Medikamente vor, die die        Rodondi von der EU auch mehr Geld:

                                                           Forschen im Netzwerk                                     UniPress   168/2016   13
OPERAM
Das europäische Verbundprojekt OPERAM
ist Teil des EU-Förderprogramms «Horizon
2020». Verbundprojekte umfassen minde-
stens drei Institutionen aus drei Mitglied-
staaten oder assoziierten Ländern. An
OPERAM sind neun Institutionen aus sie-
ben Ländern beteiligt; koordiniert wird das
Projekt von der Universität Bern. Das Pro-
jekt begann 2015 und dauert bis 2020.
Die Mittel für die europäischen Partner
stammen von der EU, die Schweizer Part-
ner werden direkt durch das Schweizeri-
sche Staatssekretariat für Bildung, For-
schung und Innovation SBFI unterstützt.
Die Schweiz gilt beim EU-Forschungs-
rahmenprogramm Horizon 2020 zurzeit
nur noch als teilassoziierter Staat, Schwei-
zer Projektpartner erhalten deshalb teil-
weise keine Finanzierung mehr von der EU.

OPERAM umfasst Partner aus den blau
eingefärbten Ländern.

Einzelprojekte sponsert der SNF meist           die Daten mit einer speziellen Analyseme-       Budget, also welchen Anteil vom bean-
maximal mit «nur» einer Million Franken.        thode aus und Gesundheitsökonomen               tragten Geld sie bräuchten.
«Für OPERAM haben wir insgesamt acht            erstellen Kosten-Nutzen-Analysen. Rodondi          Als Rodondi die Zusage bekam, haben
Millionen Euro von der EU und vom               koordiniert das Projekt und behält den          er und seine Teams in Europa gefeiert und
Schweizer Staatssekretariat für Bildung,        Überblick.                                      sich – zumindest per Computer – zugepros-
Forschung und Innovation bekommen»,                 Sein EU-Antrag umfasst 200 Seiten.          tet. «Ich konnte es gar nicht erwarten,
sagt Rodondi.                                   «Das habe ich natürlich nicht alles selbst      loszuforschen», so der Arzt: «Ich bin sicher,
   Ein weiterer Vorteil sei, dass man unnö-     geschrieben», erzählt er. Ihm haben drei        wir werden durch unser Projekt vielen
tige Studien und Kosten vermeide. «Würde        Mitarbeitende aus Bern geholfen, insge-         älteren Menschen unnötige Nebenwir-
jeder Forscher in seinem eigenen Land eine      samt arbeiteten 15 Leute an dem Antrag.         kungen oder Spitaleinweisungen ersparen.»
kleine OPERAM-Studie machen, bräuchte er        Dennoch sei es ein ziemlich anstrengendes
jeweils ziemlich lange, um so viele Patien-     Jahr gewesen. Rodondis Frau und seine vier      Kontakt: Prof. Dr. Nicolas Rodondi,
ten zusammenzubekommen, bis er ein              Kinder hätten das aber kaum bemerkt: «Ich       Universitätsklinik für Allgemeine
Ergebnis sieht», sagt Rodondi. «Abgesehen       arbeite ja auch sonst viel.» Der Arzt pendelt   Innere Medizin, nicolas.rodondi@insel.ch
davon ersparen wir Patientinnen eine unnö-      jeden Tag 2,5 Stunden im Zug, da habe er        Website: www.operam-2020.eu
tige Teilnahme an Studien, weil wir insge-      viel erledigen können. «Nur in den Ferien
samt weniger Teilnehmerinnen brauchen.»         habe ich mehr telefoniert als sonst und
                                                E-Mails geschrieben.» Problematisch findet
Wenn 15 Leute                                   er seit Jahren den Abgabetermin Mitte
einen Antrag schreiben                          August. «Ich habe bei der EU darum ge-
Man müsse bei so einem Antrag strategisch       beten, den Termin zu verschieben, aber
vorgehen, verrät er. «Ich schaue zuerst,        das gehe nicht, sagte man mir.» Im Juli
welche Ziele sich die EU setzt. Dass ich alte   sind viele Kollegen in den Ferien und
Menschen mit mehreren Krankheiten unter-        manche überhaupt nicht erreichbar. «Als         Prof. Dr. Nicolas Rodondi koordiniert
suchen wollte, passte super, denn das ist       sie dann zurückkamen, hatten sie – frisch       das Verbundprojekt OPERAM. Er ist Leiter
auch einer der Schwerpunkte der EU in den       motiviert – total viele neue Vorschläge und     der Universitäts-Poliklinik und Chefarzt an
kommenden Jahren. So war die Chance             wir mussten das Projekt noch einmal über-       der Universitätsklinik für Allgemeine
grösser, dass unser Antrag angenommen           arbeiten. Das war ziemlich mühselig.»           Innere Medizin am Inselspital Bern und
würde.» Rodondi hat sein OPERAM-Projekt                                                         Assoziierter Professor für Innere Medizin
in sieben «Arbeitspakete» eingeteilt, die die   Per Computer zugeprostet                        der Universiät Bern. Er studierte und
Teams in den beteiligten Ländern bear-          Kurz vor der Abgabe im August 2015 war          promovierte an der Universität Lausanne,
beiten (siehe Karte). So hat zum Beispiel ein   Rodondi froh, das Ziel bald erreicht zu         wo er anschliessend als Privatdozent und
Team das Computerprogramm entwickelt,           haben. «Alle Korrekturen müssen mal ein         in verschiedenen Funktionen am Universi-
eine Arbeitsgruppe weiss bestens über die       Ende haben», dachte er damals. Bis kurz         tätsspital tätig war. An der University of
Neben- und Wechselwirkungen der Medi-           vor Abgabe korrigierten die Gruppen aus         California in San Francisco erlangte er
kamente Bescheid, ein Statistik-Team wertet     den anderen Ländern häufig noch das             einen MAS in Clinical Research.

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Im Zentrum des europäischen Netzwerks: Das Berner OPERAM-Team am Finkenhubelweg 11.

Sie bringt die neuen Ideen
Für Georgia Salanti, angehende                handenen Ergebnisse aus klinischen Studien      nen. Viele Menschen würden dies zu abs-
Professorin, ist Mathematik alles             mit verlässlichen Methoden zu überprüfen,       trakt und sogar langweilig finden. Aller-
andere als lebensfern: Mit moderner           bevor neue diagnostische Massnahmen             dings finde ich es faszinierend, wenn theo-
Biostatistik hilft sie, die besten medi-      oder Behandlungen eingeführt werden.            retische mathematische Überlegungen,
zinischen Behandlungen zu finden.                                                             statistische Modelle und reale Daten zu-
                                                                                              sammenspielen, um eine Antwort auf
Wer sind Sie und woher kommen Sie?                                                            eine wichtige praktische Frage zu finden:
Ich bin Georgia Salanti, 39 Jahre alt, aus                                                    «Welche medizinische Behandlung ist die
Griechenland. Ich habe in Athen Mathe-                                                        beste?»
matik und in Brüssel Epidemiologie studiert
und anschliessend in München in Statistik                                                     Wofür interessieren Sie sich ausserhalb
promoviert. Letzten Herbst wechselte ich an                                                   Ihrer Forschung?
die Universität Bern, wo ich demnächst eine                                                   Früher hatte ich viele Hobbies wie Tauchen,
assoziierte Professur für Biostatistik und                                                    Yoga und Malen. Jetzt habe ich eine
Epidemiologie antreten werde.                                                                 15 Monate alte Tochter, die meine Frei-
                                                                                              zeit in Anspruch nimmt. Aber wenn sie
Was machen Sie?                               Ich erforsche Methoden, wie wissenschaft-       abends schläft, kann ich immer noch ein
Ich leite das Arbeitspaket 6 des OPERAM-      liche Erkenntnisse in der Medizin effizienter   gutes Buch lesen.
Projekts. In diesem fassen wir mit moderns-   zusammengefasst und damit besser statis-
ten statistischen Methoden Erkenntnisse       tisch abgesichert werden können. Wir            Welches ist Ihre nächste Station?
aus bestehenden Studien zusammen, um          wollen Patientinnen und Ärztinnen mit dem       Wenn die aktuellen Projekte abgeschlossen
die sichersten und effektivsten medizini-     aktuellsten und bestmöglich abgesicherten       sind, werden bereits neue da sein: Ich habe
schen Behandlungen für ältere Menschen        Wissen versorgen, damit sie eine Basis für      zu viele Forschungsideen, aber zu wenig
zu finden – etwa bei Stürzen oder Herz-       gute Entscheidungen haben.                      Zeit!
Kreislauf-Erkrankungen. Zudem bin ich am
EU-Projekt «GetReal» beteiligt, das den       Mit wem arbeiten Sie zusammen?                  Was möchten Sie erreichen in Ihrem
Entwicklungsprozess von Medikamenten          Im Arbeitspaket 6 von OPERAM sind Anna          Leben?
effizienter gestalten will. Seit meinem Um-   Chaimani und Dimitris Mavridis von der          Ich bin einer dieser Menschen, die ohne be-
zug nach Bern habe ich eine Förderung der     Universiät Ioannina (Griechenland) tätig.       stimmten Plan durchs Leben wandert. Ich
Europäischen Kommission erhalten; zudem       Ausserdem arbeiten wir sehr eng mit den         nehme einen Tag nach dem anderen, ver-
beginnt im Herbst mein Nationalfonds-         Forschenden des Arbeitspakets 5 von der         suche das Leben zu geniessen und möchte
Projekt, bei dem wir neuartige statistische   «G. d'Annunzio»-University of Chieti-           anderen Menschen helfen, es ebenfalls zu
Methoden erarbeiten werden, um selten         Pescara in Italien zusammen.                    geniessen.
auftretende negative Folgen von Medika-
menten besser untersuchen zu können.          Was fasziniert Sie bei Ihrer Forschung          Kontakt: Dr. Georgia Salanti,
                                              besonders?                                      Institut für Sozial- und Präventivmedizin
Warum ist dies wichtig?                       Ich bin Mathematikerin: Der grösste Teil        (ISPM), georgia.salanti@ispm.unibe.ch
Die Weltgesundheitsorganisation WHO           meiner Arbeit besteht darin, statistische
unterstreicht, wie wichtig es ist, die vor-   Modelle zu entwickeln und damit zu rech-

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Die App für den Blutzucker
Mit dem Smartphone die Mahlzeit fotografieren,
und schon erscheint der Kohlenhydrat-Gehalt
auf dem Display: Eine international vernetzte
Forschungsgruppe hat mit «GoCARB» den
Prototyp einer Android-App entwickelt, die es
Diabetikern ermöglichen soll, ihre Mahlzeiten
besser zu planen und ihren Blutzucker einfacher
zu kontrollieren.

Von Stavroula Mougiakakou

So geht das: Neben seine Mahlzeit legt          Schätzen der Kohlenhydrate in der Mahl-       zu einem käuflichen Produkt ist gegen-
man ein Referenzobjekt in Kreditkarten-         zeit erhebliche Auswirkungen auf die Blut-    wärtig in Diskussion.
grösse und fotografiert mit dem Smart-          zuckerkontrolle haben.                            Entwickelt worden ist GoCARB von der
phone den Teller aus zwei unterschiedlichen                                                   Diabetes Technology Research Group des
Blickwinkeln. Die GoCARB-App segmentiert        Erfolgreich getestet                          ARTORG Center for Biomedical Engineering
und erkennt die verschiedenen Nahrungs-         Doch wie genau ist GoCARB? Dies wurde         der Universität Bern in enger Zusammen-
mittel und rekonstruiert ihre dreidimen-        in einer präklinischen Studie am Insel-       arbeit mit der Universitätsklinik für Diabeto-
sionale Form. Auf dieser Basis wird das Vo-     spital, dem Universitätsspital Bern, über-    logie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin &
lumen jedes Nahrungsmittels abgeschätzt.        prüft. An der Studie nahmen 19 Freiwillige    Metabolismus (UDEM) des Berner Inselspi-
Sind Art und Volumen der Nahrungsmittel         (Alter über 18 Jahre; 7 Frauen, 12 Männer)    tals sowie mit Roche Diabetes Care Inc
bekannt, wird mit Hilfe der US-amerikani-       mit Diabetes Typ 1 teil. Das Resultat:        (Indianapolis, USA) und Roche Diabetes
schen Nährwertdatentabelle der Kohlenhy-        Das GoCARB-System ist in der Lage, den        Care GmbH (Mannheim, Deutschland).
dratgehalt berechnet.                           Kohlenhydratgehalt von Mahlzeiten mit         Wissenschaftlerinnen, Ingenieure und
    Menschen, die wegen einer Diabetes-         einer signifikant höheren Genauigkeit ab-     Ärztinnen aus 11 Ländern arbeiteten an
Erkrankung Insulin spritzen müssen, kann        zuschätzen als eine Gruppe von Diabetikern    drei Standorten in diesem EU-finanzierten
eine solche App helfen: Diabetiker müssen       ohne zusätzliche Hilfsmittel. Die Auswer-     Projekt: ein internationales Umfeld, um ein
vor jeder Mahlzeit die benötigte Insulindosis   tung der am Ende der Studie ausgegebenen      globales Problem – es gibt weltweit fast
schätzen. Dies ist nicht nur zeitintensiv,      Fragebögen ergab zudem eine hohe Zu-          415 Millionen Diabetiker – anzugehen. Die
sondern auch komplex, beruht es doch auf        friedenheit mit der Applikation und zeigte,   Idee und der Antrag für das Projekt jedoch
Faktoren wie dem Kohlenhydrat-Anteil der        dass GoCARB auch für Personen einfach zu      stammen von mir und meinen Mitarbei-
Mahlzeit, dem Glukose-Level vor der Mahl-       bedienen ist, die nicht geübt sind im Um-     tenden in Bern. Zum positiven Entscheid
zeit, dem Insulin-Kohlenhydratverhältnis,       gang mit Smartphones. Eine zweite Studie      der EU beigetragen hat sicher, dass in Bern
der Insulinsensitivität des Körpers und dem     hat nachgewiesen, dass GoCARB einen           Ingenieur-Forschungsgruppen direkt und in
sich im Blut befindenden Insulin. Wer die       positiven Einfluss auf die Blutzuckerkon-     unmittelbarer Nachbarschaft zum Inselspital
Kohlenhydrate nicht korrekt schätzt, über-      trolle hat. Teilgenommen haben 20 Per-        mit Partnerkliniken forschen sowie die hohe
oder unterschätzt unter Umständen die           sonen mit Diabetes Typ 1, die eine Insu-      Reputation des Forschungsstandorts Bern.
benötigte Insulindosis. Dies führt zu einem     linpumpe und einen kontinuierlich mes-
zu hohen oder zu niedrigen Blutzucker-          senden Glukose-Sensor nutzen. Die rando-      Gemeinsame Mahlzeiten unter
spiegel – mit entsprechenden kurz- oder         misierte Crossover-Studie wurde ebenfalls     Laborbedingungen
langfristigen Folgen für die Gesundheit.        am Inselspital durchgeführt.                  Doch längst nicht alle waren von Anfang
Studien haben gezeigt, dass bereits Abwei-          Noch ist die GoCARB-App nicht erhält-     an vom Erfolg eines solchen Projekts
chungen von plus/minus 20 Gramm beim            lich. Die Weiterentwicklung des Prototyps     überzeugt: Viele hielten unsere Idee für

                                                            Forschen im Netzwerk                                    UniPress   168/2016   17
GoCARB

Die Forschungskooperationen der «Marie
Curie Industry-Academia Partnerships and
Pathways» der EU sind nach der aus Polen
stammenden zweifachen Nobelpreisträ-
gerin Marie Skłodowska-Curie benannt.
Unterstützt wird die Zusammenarbeit von
nichtkommerziellen und kommerziellen
Forschungsorganisationen in gemein-
samen Projekten. Ziel ist die Förderung
des Wissenstransfers zwischen Hoch-
schulen und Unternehmen. GoCARB
wurde unter dem 7. Forschungsrahmen-
programm der EU (2007–2013) mit
942 000 Euro unterstützt; das Projekt
wurde Ende 2015 abgeschlossen.

GoCARB umfasst Partner aus den blau
eingefärbten Ländern.

«Science Fiction», doch schliesslich hat      zusammenarbeitet und gute Chancen auf          Forschungsgruppe einen Beitrag dazu
uns die rasante Entwicklung im Bereich        finanzielle Unterstützung hat. Kein Institut   zu leisten und freue mich, den Bereich
der Smartphones geholfen. Wir mussten         kann heute für sich alleine forschen und       Diabetestechnologie weiter voranzutreiben.
zunächst sehr viel Überzeugungsarbeit         wettbewerbsfähig bleiben. Gerade in
leisten, wurden manchmal belächelt, hatten    unserem Gebiet ist die Möglichkeit, grosse     Kontakt: PD Dr. Stavroula Mougiakakou,
aber den Rückhalt des ARTORG und des          «virtuelle Laboratorien» über mehrere          ARTORG Center, Diabetes Technology,
Inselspitals. Dies war entscheidend. Als      Länder und Kontinente entstehen zu lassen,     stavroula.mougiakakou@artorg.unibe.ch
Forscherin braucht man Rückhalt und Rück-     jedoch hochattraktiv.                          Website: www.gocarb.eu
grat. Sehr wichtig ist zudem eine gute For-
schungsgruppe. Mein Team ist grossartig:      Über Kontinente
Junge Forscherinnen und Forscher mit          und Zeitzonen hinweg
Fantasie und ohne Angst. Was uns noch         Gleichzeitig ist natürlich der Druck grösser
mehr zusammengeschweisst hat, ist die         geworden. Für uns Forscher ist Forschung
Liebe zum Essen. Ja, so ist es: Wir mussten   Beruf und nicht nur Berufung allein. Eine
ja mehrmals täglich «richtige» Mahlzeiten     Ärztin heilt hauptberuflich. Menschen wie
unter Laborbedingungen testen. An De-         wir müssen hauptberuflich Forschungser-
monstrationen liefen unsere Kochkünste        gebnisse liefern. Berichte, Rapporte und
zur Hochform auf. Ein Labor voller Compu-     Sitzungen mit allen Beteiligten, Rechen-
ter und Mahlzeiten ist doch recht unkon-      schaft ablegen über das Geld, das einem
ventionell. Unsere Labornachbarn haben        anvertraut wurde, den Nachwuchs aus-
sich schnell daran gewöhnt, gewöhnen          bilden – das ist unser Alltag. Der globale     PD Dr. Stavroula Mougiakakou koordi-
müssen: Es sollte ja so lebensecht wie        Konkurrenzdruck ist massiv, und Forschung      nierte das Projekt GoCARB. Sie studierte
möglich sein.                                 über Kontinente und Zeitzonen hinweg ist       und doktorierte an der National Technical
    So lokal unsere Küche, so global unsere   oft anstrengend: Davon kann jeder von uns      University of Athens (NTUA), wo sie bis
Vernetzung: Forschung kann heute nur          ein Lied singen und von asiatischen            2008 als Senior Researcher am Institute of
noch globalisiert betrieben werden. Selbst    Kollegen berichten, denen Weihnachten          Communication and Computer Systems
die grossen Institute in den USA, aber auch   ziemlich egal ist.                             (ICCS) tätig war. 2008 wurde sie an der
die ETH Zürich und die EPFL Lausanne, sind       Die Universität Bern hat viel geleistet     Universität Bern zur Assistenzprofessorin
auf komplexe Kollaborationen angewiesen.      in den letzten Jahren und ist im Bereich       und Leiterin der Diabetes Technology
Nur so kann man sicherstellen, dass man       der Medizintechnologie erfolgreich.            Research Group am ARTORG Center for
mit den besten Partnern auf seinem Gebiet     Ich hoffe, mit den Leistungen meiner           Biomedical Engineering Research ernannt.

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