NEUE mobiliTÄT IN DER REGION STUT TGART
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APRIL 2014 | ausgabe 2 NEUE mobilITÄT IN DER REGION STUT TGART Persönliche Verbindung So funktioniert die Fahrgastinformation | Seite 16 Bei Wind und Wetter Ansichten eines Ganzjahresradlers | Seite 20 Elektrisierende Probefahrt Begegnung mit dem Tesla Model S | Seite 26 Wo die Reise hingeht Interview über die Zukunft der Mobilitätsregion | Seite 8
Inhalt 20 32 36 REPORTAGE NACHHALTIGES WIRTSCHAFTEN Die Drei von der Stromstelle 4 INTERVIEW FRANZ LOOGEN UND WALTER ROGG Auf Augenhöhe mit den Besten 8 PORTRÄT DIE PROFESSORIN NEJILA PARSPOUR Fortschritt ist ihr Antrieb 12 THEMA BUS UND BAHN IM BLICK Pendeln nach Plan 16 ERFAHRUNGSBERICHT DAS FAHRRAD ALS ALTERNATIVE Von wegen armer Konrad 20 SELBSTVERSUCH UNTERWEGS MIT DEM NEUEN TESLA Elektrisierende Probefahrt 26 REPORTAGE EXOTEN DES NAHVERKEHRS Der Berg ruft 32 ESSAY ZEITENWENDE IM BALLUNGSRAUM Quo vadis Region Stuttgart? 36 AUS DER REGION PROJEKTE MIT POTENZIAL Ideen für heute und morgen 40 PORTRÄT DER PROFESSOR LUTZ FÜGENER Zukunft formen 44 Impressum Herausgeber Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) · Friedrichstraße 10 · 70174 Stuttgart · Telefon 0711 - 228 35-0 · nemo@region-stuttgart.de · www.region-stuttgart.de Geschäftsführer Dr. Walter Rogg Verantwortlich Holger Haas Konzept und Redaktion Michael Ohnewald Gestaltung Michel Holzapfel/felantix.de Realisierung Lose Bande/www.lose-bande.de Mitarbeit Alexandra Bading, Holger Haas Druck Bechtle Druck&Service GmbH & Co. KG Die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH ist eine Tochter des Verbands Region Stuttgart. Bildnachweis Reiner Pfisterer (1, 2, 4 –23, 28 – 36, 42 – 44, 47, 48) ); Verband Region Stuttgart (3); M.Häußermann (24); Tesla Motors (26, 31); SSB (41); Studio FT (46); Stuttgart Tourist (47) DIE NÄCHSTE AUSGABE ERSCHEINT IM HERBST 2014 2 nemo
Editorial W as hat Detroit in den USA mit Stuttgart in good old Ger- many zu tun? Auf den ersten Blick nicht allzu viel. Auf den zweiten aber vielleicht doch eine ganze Menge. Detroit war bis Mitte des 20. Jahrhunderts die bedeutendste Industriestadt der Welt und stolze Wiege der amerikanischen Autoindustrie. Die drei großen US-Autobauer General Motors, Ford und Chrysler pro- duzierten an diesem Ort Fahrzeuge für die Welt, viele Zulieferer sie- delten sich in einer Stadt an, die sich gerne mit dem Attribut „Motor City“ schmückte. So legte sich Detroit in den fünfziger Jahren einen gewaltigen Speckgürtel zu, 1,8 Millionen Einwohner hatten hier ihr Zuhause. Lange her. Heute ist Detroit ein Schatten seiner selbst. Nur noch 700.000 Menschen wohnen in der Autostadt, Tendenz fallend. Fast 80.000 Gebäude stehen leer. Der Zahn der Zeit nagt an vielen Bauten, Risse klaffen an den Wänden, Fenster sind zerbrochen. Fast ein Drittel des Stadtgebiets gilt inzwischen als unbewohnbar. Der Niedergang der ehemaligen Autostadt Detroit ist das beste [·] Dr. Walter Rogg [·] Dr. Nicola Schelling Beispiel dafür, was passieren kann, wenn die Entwicklung verschlafen Geschäftsführer Wirtschaftsförderung Regionaldirektorin wird und man die Zeichen der Zeit ignoriert. Auch die Region Stuttgart Region Stuttgart GmbH Verband Region Stuttgart lebt im Kern vom Auto, namhafte Firmen haben hier ihren Sitz, viele Zulieferer partizipieren an einer Autoregion, in welcher die Arbeits- plätze von mehr als 190.000 Menschen unmittelbar vom Wohl der Im Angesicht solcher Dimensionen kann und darf es in den Mobili- Mobilitätsindustrie abhängen. Keine Angst: Stuttgart ist nicht Detroit. tätskonzepten von morgen nicht nur darum gehen, Modelle für we- Auf absehbare Zeit sind weder die Arbeitsplätze noch der Wohlstand niger Verkehr zu gestalten. Gefragt sind vielmehr intelligentere und gefährdet. Aber gilt das auch in zehn oder zwanzig Jahren noch? flexiblere Lösungen für alle. Es gilt, die Bedürfnisse der Menschen „Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein“, befand mit den Anforderungen der Wirtschaft in Einklang zu bringen und einst der Unternehmer Philip Rosenthal, der in Porzellan machte. Da- gleichzeitig das Klima zu schonen. Dabei kommt den öffentlichen mit solches nicht zu Bruch geht und die Region Stuttgart europaweit Verkehrssystemen eine tragende Rolle zu. Andere Optionen heißen ihre Rolle als Motor der Mobilität behält, gibt es vielfache Anstrengun- Elektromobilität, Carsharing oder Fahrrad, um nur einige zu nennen. gen, die gezielt gebündelt werden. Es geht darum, die Entwicklungen E von morgen zu prägen und sich weitsichtig auf eine neue Zeit einzu- ines steht freilich schon jetzt fest: In der historischen Zäsur, auf die richten, die der alten nicht sehr gleicht. Vor diesem Hintergrund hat wir gegenwärtig zusteuern, werden die einzelnen Verkehrsmittel eines der vier bundesweiten „Schaufenster Elektromobilität“ in der zunehmend weniger in Konkurrenz zueinander stehen, sondern Region Stuttgart und in Karlsruhe seine Heimat gefunden. 180 Kom- sich besser ergänzen müssen. Obgleich das Auto weiterhin eine domi- munen sind hier an einem gewaltigen Forschungs- und Entwicklungs- nierende Rolle spielt, ändert sich vor allem in den größeren Zentren der projekt beteiligt, das seinesgleichen sucht. Mobilitätsmix. Heute Carsharing, morgen Bahn, übermorgen E-Bike. Der Weg ist nicht vorgezeichnet. Wie er letztlich genau ver- Mobilität wird immer öfter individuell und nach Bedarf kombiniert. Die läuft, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Das Ziel ist es aber, Kraft der sozialen Netzwerke wirkt für diesen Trend beschleunigend. wichtige Koordinaten zu sammeln. Dafür gilt es, Entwicklungen zu Städte und Gemeinden müssen sich neuen Mobilitätskonzepten begleiten, Trends sichtbar zu machen und Projekte zu fördern, die ebenso öffnen wie Verkehrsbetriebe und Autokonzerne. Begleitet wer- das Zeug haben, unseren Alltag und unser Leben zukunftsweisend den die 179 Kommunen in der Region Stuttgart dabei vom Verband zu verändern. Das Auto bleibt dabei vorerst in der Pole-Position. In Region Stuttgart, der sich gemeinsam mit der regionalen Wirtschafts- den 27 EU-Ländern hat der Personenverkehr seit 1990 um ein gu- förderung dem Ziel verschrieben hat, Impulse zu setzen und Ideen zu tes Drittel zugenommen. Bis zum Jahr 2030 rechnet die Europäi- vernetzen. Dabei ist die Information der Bevölkerung eine zentrale sche Kommission mit einer Zunahme des Personenverkehrs um Aufgabe. Nachdem das Erstlingswerk für ein enorm positives Echo ein weiteres Drittel. Allein in der Region Stuttgart werden jährlich gesorgt hat, gehen wir diesen Weg mit der zweiten Ausgabe von nemo rund 15 Milliarden Kilometer mit dem Auto zurückgelegt. Das bleibt weiter. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre eines Maga- nicht ohne Folgen, wie allmorgendlich in den Staumeldungen zu zins, das sich mit der Fahrgastinfo in Bussen und Bahnen ebenso be- hören ist. Nicht nur im Nadelöhr am Stuttgarter Neckartor werden schäftigt wie mit den Autos der Zukunft, hartgesottenen Ganzjahres- die zulässigen Grenzwerte für Feinstaub regelmäßig überschritten. radfahrern, alten Seilschaften und jungen Mobilitätstrends, auf dass Stuttgart gilt als Stauhauptstadt Deutschlands und liegt im europä- die Autoregion Stuttgart weiter die Nase vorn hat und niemals Gefahr ischen Vergleich noch vor Metropolen wie London, Berlin oder Wien. läuft, so zu enden wie die Motor City Detroit. [·] nemo 3
REPORTAGE · NACHHALTIGES WIRTSCHAFTEN Die Drei von der Stromstelle Deutschlands erster mobiler Pflegedienst mit elektrischem Fuhrpark: Dieses Prädikat spart der Arbeiterwohlfahrt in Göppingen nicht nur einiges an Energiekosten, sondern rückt sie auch medial in den Fokus. TEXT MARKUS HEFFNER FOTOS REINER PFISTERER 4 nemo
REPORTAGE · NACHHALTIGES WIRTSCHAFTEN E r summt wie ein Bienenschwarm, der auch eine Kostenfrage ist. Die E-Smarts seien GP-AW2022, während er auf dem Hof mit knapp 18.000 Euro pro Auto zwar zunächst rückwärts zwischen seine beiden Artge- in der Anschaffung teurer, betont er. Durch die nossen rollt. Knapp 60 Kilometer lang war die Einsparung bei den Energiekosten würde sich Runde, die er gerade zurückgelegt hat, wes- die Investition je nach Kilometerleistung aber halb er sich jetzt erst einmal richtig vollsaugen schon nach knapp sechs Jahren amortisieren. muss. Nicht mit Honig, sondern mit frischem Im Falle der Göppinger Arbeiterwohl- Ökostrom, der aus einer futuristisch anmu- fahrt fahren die Elektro-Smarts nach dieser tenden Kunststoffbox fließt, die an der Haus- vergleichsweise kurzen Betriebszeit sogar Ge- wand hängt. Tankdeckel auf, Kabel aus dem winne ein, wie Mario Schmidt errechnet hat. Kofferraum, Klick, Klack. Den Elektro-Smart Weil die Awo an ihrem Haus am Rande des aufzutanken ist für Alisa Dannenmann längst Göppinger Stadtzentrums gleichzeitig schon zur vertrauten Routine geworden, wie der Griff seit Jahren eine Fotovoltaikanlage betreibt zum Desinfektionsmittel. „Einfacher geht es und den damit gewonnenen Sonnenstrom zu nicht“, sagt die 25-jährige Altenpflegerin. „sehr guten Konditionen“ verkauft, könnten die Drei schneeweiße Elektro-Smarts hat die Energiekosten fürs Auftanken weiter gesenkt Göppinger Arbeiterwohlfahrt im November werden, erklärt der gelernte Monteur und Fach- 2012 angeschafft – und sich damit gleichzeitig kaufmann, der das Projekt „E-Fuhrpark“ als einen stolzen Titel erworben: Deutschlands [·] Mario Schmidt setzt auf Innovation. Abschlussarbeit bei seiner Weiterbildung zum erster mobiler Pflegedienst mit elektrischem Technischen Betriebswirt entwickelt und dann Fuhrpark. Die Idee dazu stammt vom stellver- gen stellen. Und selbst die Patienten stünden dem Vorstand der Awo vorgestellt hatte. tretenden Geschäftsführer Mario Schmidt, der zwischenzeitlich teilweise neugierig am Fens- S sich Gedanken darüber gemacht hatte, „an wel- ter um zu sehen, womit die Pfleger da vorfah- chmidt konnte die Führungsetage des chen betriebswirtschaftlichen Stellschrauben ren, berichtet der 44 Jahre alte Betriebswirt. Wohlfahrtsverbandes überzeugen, unter ein soziales Unternehmen wie die Awo auch Augenfällig sind sie zweifellos, die Drei von anderem mit einer simplen Rechnung: angesichts zahlreicher Konkurrenz noch dre- der Stromstelle, und zwischenzeitlich auch zu Bei einer Laufleistung von 17.000 Kilometern hen kann“, wie er sagt. Knapp 40 Pflegedienste hören, seit sie als nachträgliche Sonderausstat- im Jahr verursachen die drei Elektro-Fahrzeuge bieten alleine im Landkreis Göppingen unter- tung ein etwas lauteres Soundmodul verpasst zusammen 1.290 Euro an Stromkosten. Abzüg- schiedliche Leistungen in diesem Bereich an. bekommen haben. Dieses sorgt für ein smartes lich der Gutschrift von 875 Euro für den selbst „Ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität Summen, damit die Fußgänger nicht zu sehr produzierten Strom stehen noch ganze 415 Euro sind enorm wichtig, um konkurrenzfähig zu erschrecken, wenn die E-Mobile auf leisen Rä- Energiekosten für die drei E-Smarts pro Jahr in bleiben“, betont Schmidt, der die drei Stromer als dern um die Ecke rollen. „Dass das Auto kaum der Ausgabenbilanz. Eine Summe, die im direk- „Investition in die Zukunft“ sieht, die sich gleich Geräusche macht, war am Anfang noch etwas ten Vergleich überzeugt: „Für drei herkömm- aus mehreren Gründen lohnt. Einerseits müsse fremd“, sagt Alisa Dannenmann, die sich aber liche Autos fallen bei gleicher Laufleistung ein soziales Unternehmen auch einen Beitrag bereits nach wenigen Tagen genauso an die 6.800 Euro Benzinkosten an“, sagt Schmidt, der zum Klimaschutz leisten. Gleichzeitig spare Stille gewöhnt hat wie an die spezielle Auto- deshalb auch gemeinsam mit dem Geschäfts- man unterm Strich einiges an Energiekosten. matik mit ihren Raffinessen. Geht die Fahrt führer Jürgen Hamann darüber nachdenkt, die Noch dazu fallen die weißen Flitzer auf bergab, kann sie beispielsweise per Knopfdruck hauseigene Fotovoltaikanlage zu einer autarken wie die bunten Hunde, was ebenfalls nicht zum steuern, dass über die Motorbremse Energie für Stromversorgung auszubauen. Schaden der Arbeiterwohlfahrt in Göppingen die Batterie zurückgewonnen wird. Den beiden überzeugten Umweltschützern ist. „Sie sind doch die mit den E-Smarts?“, hat und Mitgliedern des Göppinger Grünen-Kreis- Z ihn erst jüngst eine junge Frau am Telefon ge- wischen 60 und 90 Kilometer fahren die verbandes geht es bei alledem nicht zuletzt auch fragt, die ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten Mitarbeiter der Awo jeden Tag auf ihren um die Vorbildfunktion, die das E-Mobilitäts- will – und sich dafür den Pflegedienst mit den Runden zu den derzeit knapp 60 Pati- Projekt, das von der Kreissparkasse Göppingen schicken Smarts ausgesucht hat. Und auch Jo- enten des Pflegeunternehmens, die teilweise unterstützt wird, im gesamten Landkreis hat. nathan Scheifele, der nach absolviertem Abitur mehrfach am Tag auf Hilfe angewiesen sind, „Wir haben als Unternehmen auch die Verant- im September vergangenen Jahres mit seinem beispielsweise Insulinspritzen und Medika- wortung für unsere Umwelt, nicht nur eine freiwilligen Jahr bei der Awo begonnen hat, ist mente verabreicht bekommen, gewaschen, soziale Pflicht“, sagt Schmidt, der sich darüber nicht zufällig dort gelandet, wie der junge Mit- rasiert und auf einen Spaziergang ausgeführt freut, dass bereits durch die Umstellung auf drei arbeiter, der unter anderem in der inklusiven werden. Die wendigen Smarts mit ihrer Reich- Elektro-Autos im Jahr 2013 etwa 4,5 Tonnen Schulbetreuung eingesetzt wird, beim Einstel- weite von bis zu 120 Kilometern pro Aufladung Kohlendioxid vermieden werden konnten. „Das lungsgespräch erzählt hat. eignen sich für diese Kurzstreckeneinsätze ide- können wir noch steigern“, sagt er. Und auch die „Es hat sich herumgesprochen, dass wir al. „Wir schaffen damit locker eine Tour, ohne Mitarbeiter der Awo, derzeit sind 14 Pflegekräf- hier besondere Autos haben“, sagt Schmidt, zwischendurch Auftanken zu müssen“, sagt te beschäftigt, würden sich über weitere sum- der die Geschichte von den Hausbesuchen mit Mario Schmidt, der nach den durchweg guten mende Neuzugänge auf dem Hof der Göppinger elektrischen Dienstfahrzeugen auch schon Erfahrungen des ersten Jahres darüber nach- Arbeiterwohlfahrt freuen. Anfangs habe noch einigen Filmteams erzählt hat. Seit die drei denkt, auch den restlichen Fuhrpark der Awo Skepsis und teilweise sogar Angst vor der neuen Smarts mit dem Aufdruck „electric drive“ auf mit der Zeit auf Elektroantrieb umzustellen. Technologie überwogen, sagt Schmidt. „Zwi- dem Hof parken, würden immer wieder Pas- Noch stehen 15 Autos auf dem Hof, die Benzin schenzeitlich reißen sich die Mitarbeiter darum, santen stehen bleiben und alle möglichen Fra- tanken müssen, was für Schmidt nicht zuletzt wer mit einem Elektro-Smart fahren darf.“ [·] 6 nemo
I N T E R V I E W · F R A N Z LOO G E N U N D W A L T E R R O G G Auf Augenhöhe mit den Besten Die Region Stuttgart bildet mit der Stadt Karlsruhe eines von bundesweit vier Schaufenstern für Elektromobilität. Mittlerweile sind 40 Forschungsprojekte angelaufen. Wirtschaftsförderer Walter Rogg und Franz Loogen von der Landesagentur für Elektromobilität ziehen Zwischenbilanz. I N T E R V I E W M A R K U S H E F F N E R U N D MI C H A E L O H N E W A L D FOTOS REINER PFISTERER 8 nemo
I N T E R V I E W · F R A N Z LOO G E N U N D W A L T E R R O G G bilität existentiell wichtig. Wir haben im Jahr die Gelegenheit, mitzureden und mitzumachen. 2,8 Milliarden Wege, die von Menschen in der Wir müssen den Menschen die Möglichkeit ge- Region zurückgelegt werden. Dabei kommen ben, dass sie selber spüren, wie viel Spaß die 15 Milliarden Kilometer zusammen. Und bis Technologie macht, mit welch positivem Image- 2030 wird der Verkehr laut Prognosen um ein faktor Elektromobilität verbunden ist. Drittel zunehmen. Wir müssen also schon al- lein aus ökologischen Gründen auf E-Mobilität Haben Sie ihre Bekannten und Nachbarn schon und intermodalen Verkehr setzen. alle davon überzeugt? Rogg: Zumindest wollten alle einmal selber mit Loogen: Wir sind sehr stolz darauf, dass eines so einem Elektromobil fahren, nachdem sie es der vier bundesweiten Schaufenster in der gesehen hatten, und alle waren hinterher rest- Region Stuttgart und in Karlsruhe seine Hei- los begeistert. Von der Beschleunigung, vom mat gefunden hat. In der Summe sind nun 180 geräuschlosen Fahren, einfach von allem. Beim Kommunen an dem Forschungs- und Entwick- Kaufverhalten gibt es allerdings noch Spiel- lungsprojekt beteiligt. Am Ende werden alle ge- raum für Überzeugungsarbeit, was … sellschaftlichen Gruppen davon betroffen sein und ihren Nutzen daraus ziehen, auch Men- … ja für viele Bürger gilt. schen, die gar nicht Auto fahren. Eines unserer Rogg: Daimlerchef Dieter Zetsche hat beim [·] Franz Loogen, Chef der Landesagentur für größten Projekte ist die Service Card, mit der Sommerempfang der Region Stuttgart gesagt: Elektromobilität und Brennstoffzellentechnologie man Carsharing machen kann, Pedelecs aus- „Das Auto der Zukunft fährt elektrisch.“ Es ist leihen, Bus und S-Bahn fahren, die Bankkarte nicht das Wichtigste, wie schnell welche Zahlen sein kann, Eintrittskarte fürs Schwimmbad erreicht werden. Am Ende wird es so sein. Kein Herr Loogen, als überzeugter Verfechter einer und Leihausweis in der Bibliothek. Und wir Mensch kann sich vorstellen, dass die nächste nachhaltigen Mobilität sind Sie sicher auf um- forschen an einem Energiehaus, das voll recy- Milliarde Autos, die in Deutschland, Indien, Chi- weltfreundlichem Weg angereist? clingfähig ist und so viel Energie erzeugt, dass na oder Brasilien verkauft werden, wieder mit Loogen: Das versteht sich von selbst, ich fahre Menschen darin wohnen können, die Fahrzeu- Diesel und Benzin fahren, also Verbrennungs- nahezu immer elektrisch. Auf langen Strecken ge gespeist werden und sogar noch etwas ins motoren haben. Das würde der Planet nicht mit Hybridfahrzeugen, innerstädtisch rein Netz abgegeben werden kann. Und natürlich ist überstehen. Die Entwicklung hin zu einer nach- elektrisch oder mit dem Fahrrad. Heute bin ich die gesamte Palette an E-Fahrzeugen vertreten, haltigen Mobilität ist nicht aufzuhalten. mit dem E-Smart unterwegs. vom Pedelec über den PKW bis zum Hybridbus. Loogen: Wir sind ja bereits in einer Phase ange- Und Sie, Herr Rogg? Im Herbst 2012 sind die ersten Projekte ange- kommen, in der immer mehr unterschiedliche Rogg: Für mich gilt das Gleiche, wobei ich sogar laufen, wie fällt die Zwischenbilanz aus? Fahrzeuge angeboten werden. Alleine in die- noch Carsharing gemacht habe – Herr Loogen hat Loogen: Die Menschen freuen sich, wenn sie in sem Jahr kommen 14 neue Elektromobile von mich mitgenommen. Nachhaltiger geht’s kaum. einen Hybridbus steigen, der völlig geräuschlos deutschen Herstellern auf den Markt. Dabei anfährt. Sie nehmen diese neue Generation an zeichnet es sich deutlich ab, dass die Hybrid- Machen Sie das aus Pflichtbewusstsein oder Fahrzeugen mit Stolz im Stadtbild wahr. Zwi- modelle eine ganz wesentliche Rolle spielen aus Überzeugung? schenzeitlich gibt es bereits über 30 000 Nutzer, werden. Autos, bei denen der elektrische An- Rogg: Aus Spaß an der Sache. Ich fahre einfach die sich bei den unterschiedlichen Anbietern triebsanteil den Verbrennungsmotor immer gerne mit einem Elektroauto. Bei meiner ersten Elektroautos leihen. Und es gibt ein Ladesys- stärker unterstützen wird. Fahrt saß im Königsträßle vor mir plötzlich tem mit weit über tausend Ladepunkten. Wir ein Eichhörnchen auf der Fahrbahn, das mich sind also bereits voll in der Nutzungsphase. Al- Im Alltag ist leider noch vergleichsweise wenig nicht bemerkt hat, weil ich völlig geräuschlos lerdings reden wir immer noch von einem For- Elektromobilität zu sehen. Warum sind die Elek- ankam. Ich musste aussteigen und es verscheu- schungs- und Entwicklungsprojekt. Es geht noch troautos nicht längst Massenprodukt? chen, damit ihm nichts passiert. Ein unver- nicht um Marktanteile und Massenproduktion. Loogen: Wir vergleichen uns über alle Konti- gessenes Erlebnis. Unabhängig davon hat die nente hinweg mit den weltweiten Erfolgen auf Wirtschaftsförderung Region Stuttgart zwi- Für die weitere Entwicklung entscheidend ist diesem Gebiet und können sagen, dass wir so- schenzeitlich nahezu ihren ganzen Fuhrpark auch, dass es gelingt, die Menschen mitzuneh- wohl im Bereich Forschung wie auch bei der auf Elektrofahrzeuge aller Art umgestellt. men. Wie wollen Sie das angehen? Industrialisierung der Elektromobilität auf Rogg: Das ist der Kernpunkt. Die neue Technik Augenhöhe mit den Besten agieren. Sie dürfen Die Region Stuttgart steht beispielhaft für muss erfahrbar werden – im wahrsten Sinne des dabei aber nicht übersehen, dass wir uns noch den Wandel einer Automobilregion zur Mo- Wortes. Jeder soll die Chance bekommen, even- bis Ende 2014 in einer Vorbereitungsphase be- bilitätsregion. Davon zeugt das Schaufenster tuelle Vorbehalte zu überwinden, etwa in Bezug finden, in der die Technologie entwickelt wird. LivingLab. Versuchen Sie mal in zwei Sätzen zu auf Reichweite, Sicherheit oder das Netz an La- Gleichzeitig kommen derzeit auch außerhalb sagen, was sich dahinter verbirgt. destationen. Wir wollen die Menschen am Tech- solcher Projekte die ersten Fahrzeuge auf den Rogg: Das Schaufenster dient zunächst dazu, nologiewandel aktiv beteiligen und ihre Mei- Markt. Die großen Stückzahlen erwarten wir in Produkte, Projekte und Ideen vorzustellen, die nungen hören. Dafür haben wir das Web-Portal den Jahren 2017 bis 2020 – bis dahin sollen laut zeigen, wie Elektromobilität funktioniert. In „Online Schaufenster Elektromobilität“ gestar- Vorgabe eine Million Plug-In Hybrid- und Elek- einem verkehrsreichen Ballungsraum wie der tet. Hier gibt es nicht nur umfangreiche Infor- trofahrzeuge zugelassen sein. Dann wird der Region Stuttgart ist das Thema nachhaltige Mo- mationen zu den Projekten, sondern wir bieten Anteil sukzessive weiter steigen. Das ist auch 10 nemo
notwendig, weil Deutschland die von der EU festgelegt. Aber auch in den Kommunen muss beschlossenen CO2-Grenzwerte gar nicht ein- der Wille da sein, die neue Technologie zu nut- halten kann ohne Elektrifizierung der Antriebe. zen, sich mit seinen jeweiligen Möglichkeiten zu beteiligen. Der Technologiewandel zur Elektromobilität wird nicht nur als Chance für den Wirtschafts- Wo sehen Sie Potential? standort gesehen, sondern auch als Bedrohung. Loogen: Beispielsweise müsste der Öffentliche Immerhin erwirtschaftet die Autoindustrie auf Nahverkehr viel stärker genutzt werden. Der konventionellem Weg seit Jahrzehnten enorme tägliche Pendlerverkehr nach Stuttgart und Gewinne. Wie überzeugen Sie die Skeptiker? wieder hinaus ist immens. Wir haben uns vor Rogg: Gerade weil so viel an der Automobilindu- Ort angesehen, wie die großen Städte in Korea, strie hängt, sind Projekte wie diese so wichtig. China oder Japan mit diesem Thema umgehen. Der Niedergang der ehemaligen Autostadt De- An diesen Beispielen können wir noch viel ler- troit ist das beste Beispiel dafür, was passieren nen. In diesen Ballungsräumen spielt der Nah- kann, wenn die Entwicklung verschlafen wird verkehr eine viel wichtigere und tragendere und man die Zeichen der Zeit ignoriert. Jetzt Rolle im Alltag der Menschen. kann die Stadtverwaltung der einst reichen Metropole nicht einmal mehr die Müllabfuhr Rogg: Herr Loogen hat unbedingt recht. Laut Sta- bezahlen. In der Region Stuttgart haben derzeit tistik sind in der Region 75 Prozent der Beschäf- [·] Dr. Walter Rogg, Geschäftsführer der 190.000 Menschen ihren Arbeitsplatz in der tigten Pendler. Und die überwiegende Mehrheit Wirtschaftsförderung Region Stuttgart Mobilitätsindustrie. Die sind nicht morgen oder fährt mit dem Auto zur Arbeit. Bei einer Million übermorgen in Gefahr, aber vielleicht in zehn Beschäftigten macht das 750.000 tägliche Pend- Jahren. Also müssen wir rechtzeitig schauen, ler auf der Straße. Und das ist längst nicht alles. ausreichend preiswert. Umsteigen wird zur wo der Trend hingeht, womit künftig Geld in Der Berufsverkehr macht nämlich nur 30 Pro- Selbstverständlichkeit. Die Fuhrparks und der Mobilitätswirtschaft verdient wird. zent am Gesamtanteil aus, die übrigen 70 Pro- Privathaushalte werden voll sein mit Hybrid- zent werden durch den so genannten Freizeit- modellen und Elektroautos. Und die Menschen Nämlich womit? verkehr verursacht. Nicht zuletzt, um die Region werden viel mehr mit Bus und Bahn oder auch Rogg: Ich halte es beispielsweise für unbedingt bei diesem wichtigen Thema voranzubringen, dem Fahrrad unterwegs sein als heute. nötig, neben dem reinen Fahrzeugbau den Be- haben wir das Förderprogramm für nachhaltige reich der Mobilitäts-Dienstleistungen voran- Mobilität ins Leben gerufen. Rogg: Und noch ein anderer Gedanke. Ich glau- zutreiben und zu stärken. Dieses Thema wird be, dass die Menschen sich im Jahr 2030 viel eine immer wichtigere Rolle spielen, etwa die Was sind die nächsten Schritte im Schaufenster? umweltbewusster verhalten werden. Die Ener- Informationstechnologie, angefangen bei den Rogg: Nachdem alle Projekte genehmigt sind, giewende wird ein gutes Stück realisiert und intermodalen Navigationssystemen, die den beginnt jetzt die spannende Phase der Um- die Frage beantwortet sein, woher der Strom Nutzern über alle Verkehrsträger hinweg ihre setzung. Und dann freuen wir uns auch schon kommt. Nämlich aus nachhaltigen Quellen. Alle Wege suchen. Solche Systeme müssen ent- auf die ersten Ergebnisse. Das Schöne dabei Lebens- und Arbeitsbereiche werden verstärkt wickelt, eingeführt und verkauft werden und ist, dass in diesem Fall richtiges Handeln auch mit Umweltthemen wie Energieeffizienz oder wenn Baden-Württemberg dabei Standard noch Spaß macht. Wann hat man das schon? Schadstoffvermeidung zu tun haben. Und es bleiben will, brauchen wir einen Markt dafür. wird viele neue Arbeitsplätze in diesem Umfeld Als Wirtschaftsförderer bin ich daher froh, Loogen: Die Schaufensterprojekte laufen bis geben, gemäß dem griffigen Slogan: „Mit grünen dass über die Hälfte der Bürgermeister im Land Anfang 2016. Bis dahin werden alle Forschungs- Ideen schwarze Zahlen schreiben.“ Das ist auch hinter diesem Thema stehen und eigene Projek- projekte und ihre Ergebnisse die Technologie ein meine Vorstellung einer mobilen Zukunft. [·] te auf den Weg bringen. Genau das sichert letzt- gutes Stück weiterbringen. Und in der Anwen- lich die Arbeitsplätze. dung werden sie dafür sorgen, dass wir sehr viel Schaufenster Elektromobilität mehr Sicherheit bekommen, wie man Elektromo- Das Schaufenster Elektromobilität LivingLab BWe Loogen: Nur wer Veränderungen selber voran- bilität künftig besser am Markt verankern kann. mobil führt einem breiten Publikum vor Augen, treibt und vorne dabei ist bei einem Technolo- Deutschland, insbesondere Baden-Württemberg, dass nachhaltige Mobilität schon heute erfahrbar giewandel, kann später auch davon profitieren steht in Sachen Know-how mit Japan und den ist. Ziel des Projektverbunds, der von der Landes- und sich signifikante Marktanteile sichern. Es USA gemeinsam an der Spitze. Jetzt müssen wir agentur für Elektromobilität und Brennstoffzel- ist wichtig, dass in Forschung und Entwicklung daraus eine Spitzenposition in Wirtschaftskraft lentechnologie e-mobil BW GmbH und der Wirt- investiert wird. Baden-Württemberg muss und Marktanteil machen. schaftsförderung Region Stuttgart koordiniert aber unbedingt auch Produktionsstandort blei- wird, ist die Erarbeitung vernetzter Mobilitätssys- ben. Nur dann werden wir auch in Zukunft eine Wie sieht die Mobilität im Ballungsraum am Ne- teme. Bis 2015 werden in der Region Stuttgart und Führungsposition haben. Die öffentliche Hand ckar wohl im Jahr 2030 aus? Wagen Sie doch bitte der Stadt Karlsruhe über 2.000 E-Fahrzeuge auf zeigt dabei wie viele private Unternehmen auch einmal einen Blick in die Zukunft. die Straße gebracht und über 1.000 Ladepunkte schon etliche vorbildliche Ansätze, etwa im Be- Loogen: Immer mehr Menschen werden ih- installiert. Gebündelt werden die Aktivitäten von reich der Dienstwagenflotten. Es gibt einen Ka- ren Verkehrsweg über das Smartphone oder mehr als 100 beteiligten Partnern aus Wirtschaft, binettsbeschluss, dass bis 2020 zehn Prozent ein vergleichbares Gerät organisieren. Und Wissenschaft und der öffentlichen Hand. des Landesfuhrparks elektrifiziert sein müs- sie werden dabei verstärkt unterschiedliche www.e-mobilbw.de sen. Außerdem wurden interne CO2-Grenzen Verkehrsmittel nutzen – wohl organisiert und www.livinglab-bwe.de nemo 11
P O R T R Ä T · D I E P R O F E S S O R I N N E J IL A P A R S P O U R 12 nemo
Fortschritt ist ihr Antrieb Nejila Parspour versucht der Zeit voraus zu sein: An der Universität Stuttgart lehrt sie Elektrotechnik und forscht an effizienten E-Motoren und kabellosem Energietransfer. TEXT MARKUS HEFFNER FOTOS REINER PFISTERER nemo 13
P O R T R Ä T · D I E P R O F E S S O R I N N E J IL A P A R S P O U R E ine Forscherin aus Leidenschaft ist Nejila zu studieren begann, lag der Anteil an Ingenieu- schung und Wachstum umweltfreundlich und Parspour schon immer gewesen, lange rinnen im Iran bei 25 Prozent – zwischenzeit- nachhaltig sein soll, sagt sie: „Elektrisch ange- bevor sie sich auf diesem Gebiet Meriten lich sind es sogar über 50 Prozent. Warum die triebene Fahrzeuge in Kombination mit rege- und akademische Titel verdient hat. Schon als Frauen in ihrer Heimat schon immer selbstver- nerativen Energiequellen dienen dazu, diesem Schulkind hat sie diesen unbändigen Drang in ständlich naturwissenschaftliche Fächer wie Ziel ein gehöriges Stück näher zu kommen.“ sich verspürt, den Dingen auf ihre Weise auf Maschinenbau oder Elektrotechnik studieren, Auch die 49 Jahre alte Wissenschaftlerin den Grund zu gehen, Maschinen aller Art zu kann sie sich auch nicht wirklich erklären. Fi- hat einst einigen Antrieb benötigt, um ihrem zerlegen, um zu verstehen, was sie antreibt. nanzielle Unabhängigkeit sei wichtig für Frau- Ziel nahe zu kommen. Weil nach der islami- Ihr erstes Forschungslabor war das Haus ih- en im Iran, die sehr kämpferisch seien, sich schen Revolution im Iran und dem Ende des rer Großmutter im Iran, die ihrer neugierigen behaupten und etwas im Leben erreichen wol- Schahregimes Ende der 70er Jahre die Uni- Enkelin erlaubt hat, mit dem Schraubenzie- len, sagt sie. Das Interesse für Technik werde versitäten im Land für lange Zeit geschlossen her auf Staubsauger, Kassettenrekorder und zudem schon in der Schule geweckt, in der auch waren, hatte die junge Frau keine andere Wahl, Saftmaschinen loszugehen. „Strom und elek- Mädchen Löten und Sägen lernen. als im Ausland zu studieren. Viele Möglich- trische Geräte haben mich schon als Kind fas- Den Lötkolben nimmt sie derweil noch heu- keiten gab es aus politischen Gründen nicht: ziniert und ich wollte unbedingt wissen, wie te gern in die Hand, ihre „Bastelstunde“ nennt Österreich, die Schweiz, Deutschland. Nejila sie funktionieren“, sagt die Professorin der Uni sie das. Wie sehr sie das braucht, die handfeste Parspour landete zunächst in Budapest, wo Stuttgart, deren gutmütige Großmutter damals Beschäftigung mit Technik, hat sie während sie 14 Monate auf ihr Visum warten musste. Ab mitunter den Techniker rufen musste, weil die ihres fünfjährigen Ausflugs in die Industrie und zu erreichte sie etwas Geld, das ihre Eltern Zehnjährige in ihrem Forscherdrang nicht im- gemerkt, bei Philips in Hamburg, wo sie von aus der Heimat schickten. Ansonsten war die mer alles wieder zusammengebracht hat. Als der Abteilungsleiterin schnell in die oberste Iranerin im Exil weitgehend auf sich alleine ge- nach etlichen Experimenten kein Elektriker Managementetage aufgestiegen war. Glücklich stellt. „Ich habe eine ganze Woche lang an der mehr im Haus gebraucht wurde und die Schüle- geworden ist sie dabei allerdings nicht. „Ich Donau gesessen und nur geweint“, erzählt sie. rin problemlos auch den elektrischen Türöffner habe nur noch geleitet und delegiert, war völlig G der Nachbarn reparieren konnte, habe sie ihrer weg von der Technik, der Antrieb hat immer eholfen haben schließlich die Gene. Großmutter eröffnet, erzählt sie, eines Tages mehr gefehlt“, erzählt die Professorin, die also Von der Linie des Vaters, der Agrar- Elektrotechnik zu studieren. dem Ruf ihres Herzens folgte und sich für den wissenschaftler im iranischen Mi- Mehr als drei Jahrzehnte später ist Nejila schwierigen Weg zurück von der Industrie an nisterium war und fast jedes Jahr mit der Parspour eine gefragte Expertin in Sachen E- die Hochschule entschied. An der Uni Bremen ganzen Familie umziehen musste, hat Nejila Mobilität, eine erfolgreiche und renommierte begann sie zunächst ihre wissenschaftliche Parspour die Entschlossenheit geerbt. Müt- Forscherin, deren Arbeiten am neu geschaffe- Karriere als Oberingenieurin, bevor sie sich terlicherseits hat sie den Geist der Wissen- nen Institut für Elektrische Energieumwand- 2006 an der Stuttgarter Universität auf eine schaftler mitbekommen, die Fähigkeit, noch lung weltweit Aufmerksamkeit erfahren. Professorenstelle bewarb und auf Anhieb ge- so große Probleme in Ruhe zu analysieren. Entwickelt werden hier unter anderem hoch- nommen wurde. Dort, auf dem Campus in Vai- Fast alle im Stammbaum waren Mediziner, effiziente E-Motoren und kontaktlose Energie- hingen, leitet sie nun seit 2011 das neu gegründe- Philosophen und Physiker, wie etwa Onkel übertragungssysteme, die in verschiedenen te Institut für Elektrische Energieumwandlung. George, das große Vorbild, der nach New Anwendungsfeldern einsetzbar sind – wie Maschinen aller Art und die berührungslo- York auswanderte und als junger Student beispielsweise im Bereich Medizintechnik, In- se Übertragung elektrischer Energie sind dabei einen Kaffee mit Einstein getrunken hat. dustrieautomation und Elektromobilität. Bei nicht nur ihr Spezialgebiet, sondern auch ihre Von dieser Mischung an Eigenschaften an- allem Praxisbezug sei es ihr aber besonders große Leidenschaft, wie sie bekennt. Auch in getrieben, setzte sich die junge Frau an den wichtig, betont die Professorin, „dass nicht ihrer Freizeit schraubt und lötet die Naturwis- Vormittagen mit einem alten DDR-Buch hin nur die anwendungsorientierte Entwicklung senschaftlerin am liebsten in ihrer Werkstatt und brachte sich selbst Deutsch bei. Nach- vorangetrieben wird, sondern auch eine inten- an komplizierten Maschinen und brütet neben- mittags ging sie in die Bibliothek und lern- sive Grundlagenforschung erfolgt“. Nur mit bei über physikalischen Phänomenen wie der te Mathe und Physik. Und abends drehte einer soliden Basis, sagt sie, seien innovative Relativitätstheorie oder macht sich Gedanken sie ihr kleines Transistorradio an, um das Entwicklungen für die Zukunft möglich. über die Zukunft der Elektromobilität. Trotz Nachtprogramm der ARD zu hören, meist der noch geringen Reichweite seien die umwelt- den saarländischen Rundfunk, damit sie an D er Rückblick auf die Geschichte der ge- freundlichen Stromer bereits heute eine echte ihrer Aussprache arbeiten konnte. „Eines bürtigen Iranerin führt an die Techni- Alternative für den urbanen Verkehr, betont Tages“, so erinnert sie sich, „ist dann endlich sche Universität Berlin, an der sie einst sie. Prädestiniert seien dafür insbesondere öf- der Brief von der deutschen Botschaft ge- an ihrem ersten Vorlesungstag voller Erwar- fentliche Verkehrsmittel, Zweitwagen sowie kommen und ich durfte nach West-Berlin.“ tungen die Treppen zum Hörsaal hinaufstieg Flottenfahrzeuge von Dienstleistern und Un- Noch immer liebt sie den Geruch von Ma- – und dann voller Schrecken in der Türe stehen ternehmen. Im privaten Personenverkehr dage- schinenöl und das Brummen der Motoren und blieb: 600 Studenten im Hörsaal, darunter keine gen komme die Einführung von E-Fahrzeugen Generatoren wie Musikliebhaber eine Sympho- einzige Frau. „Es saßen nur Jungs im Hörsaal. leider nur schleppend voran, da die Entwick- nie von Beethoven. Jedes Gerät ist ein kleines Ich bin extra nochmal raus, um auf das Schild lung jahrzehntelang teilweise vernachlässigt Kunstwerk für sie, eine Komposition in Metall. zu schauen, ob ich in der richtigen Vorlesung worden sei, so Nejila Parspour. „Ich bin aber Ein paar Dutzend solcher Miniaturmotoren hat bin, Physik für Elektrotechniker“, erzählt sie. sehr zuversichtlich, dass hier in den nächsten sie in ihrem Büro auf einer Vitrine stehen, an Es war eine „heftige Überraschung“ für die fünf bis zehn Jahren eine positive Entwicklung der Wand gegenüber hängt ein Bild vom Ham- junge Frau, die aus ihrer Heimat ganz anderes eintreten wird.“ Inzwischen sei unbestritten, burger Hafen, Maschinenromantik mit Fracht- gewohnt war. 1985, als Nejila Parspour in Berlin dass moderne Mobilität als Antrieb für For- kränen. Ihr liebster Ort an der Stuttgarter Uni 14 nemo
liegt aber einige Etagen tiefer. Die große Maschinenhalle mit ihren Prüf- ständen, Messgeräten und anderen Apparaturen ist das Herz des Insti- „Strom und elektrische tuts, der Antrieb und große Unterschied zu anderen vergleichbaren Lehr- anstalten. „Die Ausstattung unseres Instituts ist großartig“, sagt sie. Von Geräte haben mich schon unschätzbarem Vorteil ist zudem, dass im Bereich der Elektrotechnik namhafte Weltmarktführer ihren Standort in der Region haben, darunter als Kind fasziniert.“ auch kleine Firmen, wovon die Uni extrem profitiere, so die Professorin. Nicht von ungefähr bekommt das Institut regelmäßig Forschungsaufträ- ge, die sich einerseits bezahlt machen und für die Studenten obendrein Ideen schon etliche Preise gewonnen hat, darunter auch den Übermorgen- viel spannender und lehrreicher sind als Trockenübungen im Labor. macher-Preis des Landes Baden-Württemberg für eine Technik, die das Ein Motor, der ohne Getriebe auskommt, wurde an diesem Ort eben- Aufladen von Elektroautos während der Fahrt ermöglichen könnte. so entwickelt wie eine Steuerung für einen Motor ohne Sensoren. Mit dem S Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt tüfteln Nejila Parspour und eit dem Wintersemester 2012/2013 gibt es an der Uni Stuttgart ihre wie sie findet „großartigen“ wissenschaftlichen Mitarbeiter momen- nun den neuen Master-Studiengang Elektromobilität, dessen tan an der kontaktlosen Übertragung von Energie auf Schnellzüge, ein vom Studiendekanin natürlich Nejila Parspour heißt. Vor zwei Jah- Bund gefördertes Projekt namens „The Next Generation Train“. Gleichzei- ren hat die Professorin an ihrem Institut eine Lern- und Forschungs- tig wird an dem Institut derzeit neben der Entwicklung von kabellosen, werkstatt eingerichtet, in der Studierende und Institutsmitarbeiter induktiven Ladesystemen für E-Autos an zwei weiteren Industrieprojekten verschiedener Disziplinen „mit großer Begeisterung und viel Eigen- gearbeitet, bei denen es um einen sehr speziellen Motor mit hoher Dreh- initiative“ zusammenarbeiten, um innovative und effiziente E-Fahr- momentdichte für E-Bikes und Kleinwagen geht. Und in naher Zukunft zeuge der Zukunft zu entwickeln und praxisnah auszuprobieren, so soll hier an der Entwicklung energieeffizienter Motoren für Roboter und die Forscherin aus Leidenschaft, die auf ihre Weise immer unter Nutzfahrzeuge geforscht werden. „Wenn man etwas entwickeln und bauen Strom steht und dabei vor allem von einem Gedanken angetrieben kann, das auch praktisch eingesetzt wird, läuft man nicht Gefahr, sich im wird: „Wir haben hier und heute die einmalige Chance, die Mobilität Elfenbeinturm zu verlieren“, sagt die Professorin, die für ihre innovativen von morgen entscheidend mitzugestalten.“ [·] nemo 15
T H E M A · B U S U N D B A H N IM BLI C K Pendeln nach Plan Wer wissen will, ob seine S-Bahn pünktlich kommt, kann dies heute auf vielen Wegen erfahren. Immer mehr Pendler lassen sich die Abfahrtszeiten auf dem Handy anzeigen. Einblicke ins System Fahrgastinformation. T E X T M A R K U S H E F F N E R U N D MI C H A E L O H N E W A L D FOTOS REINER PFISTERER 16 nemo
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T H E M A · B U S U N D B A H N IM BLI C K Zu verdanken hat der Musikschul- unterwegs sind – bis zu 52 gleich- lehrer dieses neue Lebensgefühl zeitig in Spitzenzeiten. Dazu be- einer App, die er sich zusammen kommen sie angezeigt, ob und wie mit zwischenzeitlich schon mehr viele Minuten einzelne Bahnen als einer halben Million Bahnfah- Verspätung haben. rern auf sein Handy geladen hat. Gleichzeitig können an den Sie kennt sämtliche Verbindungen Arbeitsplätzen auch Livebilder von Bus, Stadtbahn und S-Bahn von rund 70 Haltestellen in der im VVS-Verbund, rechnet ihm die Region aufgeschaltet werden. Die günstigsten Anschlüsse aus und restlichen zwölf Stationen sollen zeigt vor allem in Echtzeit die je- bis zum Sommer mit Kameras weils aktuellen Abfahrtszeiten an. ausgestattet werden. „Für eine S einen Morgenkaffee kann „Information ist alles“, sagt Win- gute Fahrgastinformation ist es Helmut Winter neuerdings ter. Und alles ist Information. Jede manchmal wichtig, einen Blick in aller Ruhe austrinken. Verspätung, jede Störung, jede direkt auf die Bahnsteige zu ha- Kein Grund für übertriebene Eile. Fahrplanänderung. ben“, sagt Nikolaus Hebding, der Und auch den Weg zwischen „Unser Ziel muss sein, die zuständige Leiter des Bahnhofs- Stadtbahnhaltestelle und Bahn- Fahrgäste auf allen Kanälen mit managements Stuttgart. hof muss er nicht mehr auf gut allen relevanten Informationen zu Mehr als fünf Millionen Euro Glück im Laufschritt zurücklegen. versorgen“, erklärt Jürgen Wurmt- sind bisher schon in den Ausbau der Getrieben von der Sorge, etwas zu haler vom Verband Region Stutt- Fahrgastinformation gesteckt wor- verpassen, einen Moment zu spät gart (VRS), dem politisch verant- den, in Bildschirmarbeitsplätze, dran zu sein. Die meist unnötige wortlichen Aufgabenträger für Kameras, größere Datenleitungen Hektik am Morgen gehört der Ver- den S-Bahn-Verkehr in der Region. und zusätzliches Personal. Ziel sei gangenheit an, seit sich der Berufs- Eine verspätete S-Bahn sei schon letztlich, so Hebding, das gesamte pendler schon am Frühstückstisch ärgerlich genug. „Da müssen die S-Bahn-Netz lückenlos vom An- minutengenau anzeigen lassen Fahrgäste wenigstens ganz genau sagezentrum aus mit relevanten kann, wann seine S-Bahn vom wissen, wann und wie es weiter- Reiseinformationen zu beliefern, Feuerbacher Bahnhof nach Lud- geht“, betont der Verkehrsdirektor, sowohl über die Anzeigetafeln und wigsburg fährt, wann die Stadt- der die mobilen Angebote selber die Laufbänder an den Haltestellen bahn kommt, in die er zuvor noch täglich nutzt und neben der weit als auch per Lautsprecheranlage. einsteigen muss, und ob es an die- verbreiteten VVS-App auch die B sem Morgen irgendwelche Verspä- etwas neuere Anwendung „Navi ereits jetzt übernehmen die tungen im Nahverkehrsnetz gibt. S-Bahn Stuttgart“ auf seinem Mitarbeiter in der Zentrale „Das Leben ist damit sehr viel ent- Smartphone laufen hat – ein wei- etwa 80 Prozent der Ansa- spannter geworden“, sagt Winter. terer Beitrag zur morgendlichen gen, die per Mausklick vom Band Entspannung. Ist seine „Stamm- eingespielt oder speziell für einzel- bahn“, mit der er täglich um 7.26 ne Bahnhöfe direkt ins Mikrofon Uhr von Renningen nach Stuttgart gesprochen werden. „Wegen eines fährt, wegen einer Störung aus dem Notarzteinsatzes verspätet sich Takt, meldet sich automatisch der die S 1 nach Kirchheim/Teck heu- Verspätungsalarm. „Komfortabler te um fünf Minuten.“ Den Rest der geht es kaum“, sagt Wurmthaler. Ansagen erledigen derzeit noch Das mobile Angebot via die jeweiligen Fahrdienstleiter der Smartphone ist die derzeit mo- Stellwerke, die früher im Störungs- bilste Variante im weiten Feld der fall neben ihrem eigentlichen Job Fahrgastinfos, dabei aber nur eine auch noch für die gesamte Fahr- von vielen. Das Herz der Fahrgast- gastinformation zuständig waren. information schlägt im Stuttgarter „Die Philosophie von heute ist, das Hauptbahnhof, im so genannten eigentliche Störfallmanagement regionalen Ansagezentrum, das und die Informationsversorgung einst zur Fußball-WM 2006 einge- personell zu trennen, damit sich richtet worden ist. Mittlerweile sit- jeder voll auf seinen wichtigen Be- zen die Mitarbeiter der Bahn hier reich konzentrieren kann“, erklärt an vier Arbeitsplätzen mit jeweils Nikolaus Hebding. „Wer mit Hoch- einem guten Dutzend an Bild- druck Weichen stellen und Züge schirmen, über die Informationen umplanen muss, kann nicht noch aller Art flimmern. Auf dem Stre- gleichzeitig Fahrgäste über Ver- ckenspiegel sehen sie, welche Züge spätungen informieren.“ Der Auf- [·] Im Ansagezentrum des Hauptbahnhofs laufen die Informationen zusammen. aktuell auf der Stammstrecke wand, der bei der Suche nach den 18 nemo
[·] Jürgen Wurmthaler, Direktor für Wirtschaft und Infrastruktur beim Regionalverband mit Nikolaus Hebding, dem Leiter des Bahnhofsmanagements in Stuttgart. verlorenen Minuten betrieben wird, ist enorm. Bahnfahrer muss im Störungsfall auch darüber nur die Anforderungen im Nahverkehr werden Über Transportleitungen werden die aktuel- informiert werden, wie er wieder weg kommt immer höher, weiß Wurmthaler, sondern vor al- len Koordinaten sämtlicher S-Bahnen im Netz und wann. Das ist um einiges anspruchsvoller.“ lem auch die Ansprüche der Fahrgäste, die Zu- zunächst permanent an die Bahn-Verkehrslei- hause am Computer informiert werden wollen, U tung in Karlsruhe übermittelt, dem zentralen m die letzten Lücken im System zu schlie- unterwegs per Smartphone oder eben direkt Schaltknoten für die Netzinfrastruktur. Von ßen und auf wirklich allen Kanälen die im Bus. „Eine dynamische Fahrgastinfo wird dort aus werden die gewaltigen Datenmengen gleichen Informationen an die Fahrgäste nicht mehr als besonderer Service gesehen“, dann weiterverteilt, unter anderem an das liefern zu können, soll die Infrastruktur konse- sagt der Leitende Direktor, „sondern als zwin- Stuttgarter Ansagezentrum im Hauptbahnhof. quent weiter ausgebaut werden. Vor diesem Hin- gende Voraussetzung.“ Nicht von ungefähr hat Derzeit laufen die Informationen teilwei- tergrund wurde erst Ende vergangenen Jahres der Verband Region Stuttgart daher ein Förder- se noch über verschiedene Computerkanäle. ein vierter Arbeitsplatz im regionalen Ansage- programm aufgelegt, damit auch die Bushalte- Ziel sei aber, so Jürgen Wurmthaler, sämtliche zentrum eingerichtet, in dem jetzt 19 Mitarbeiter stellen in der Region mit Anzeigetafeln bestückt Fahrgastinformationen auf Basis der gleichen im Schichtbetrieb Fahrgastinformationen ver- werden – was sich in Waiblingen und Korntal Daten gleichzeitig auf alle Systeme zu verteilen, teilen. Dazu ist die Bahn derzeit unter anderem bereits bewährt hat. „Wir zahlen als Anreiz ei- damit nicht beispielsweise die Elektronische dabei, bis 2016 knapp 60 S-Bahnen nachzurüsten nen Zuschuss an den Kosten“, sagt Wurmthaler, Fahrplanauskunft im Internet einen Zug als und mit Anzeigemonitoren auszustatten. Bei den der indes schon den nächsten Schritt in Rich- ausgefallen meldet, den die Anzeigetafel am 87 Zügen der neuen Generation gehört die Fahrgas- tung Zukunft im Sinn hat: Eine Zusatzinforma- Bahnsteig noch ankündigt. „Die Verteilung der tinformation mit Echtdaten bereits zum Standar- tion darüber, welche Bahnen in den Stoßzeiten Informationen muss noch besser laufen“, sagt dinventar. Bereits bis zum Sommer dieses Jahres ganz besonders voll sind. Es habe einen guten der Verkehrsdirektor. „Leider sind wir mit dem sollen zudem alle Linienbusse im VVS mit Fahr- Grund, weshalb er jeden Morgen seinen Stamm- Ausbau nicht in allen Punkten so schnell voran gastinfos beliefert werden, was die Anschlusssi- zug um 7.26 Uhr nehme, erzählt Wurmthaler. gekommen, wie wir uns das gewünscht haben.“ cherheit deutlich erhöhe, so Wurmthaler. Bisher „Die Bahn davor ist deutlich voller.“ Wer etwas Es sei in den Jahren einiges dazu gekommen, würden bei einer Verspätung der S-Bahn von nur flexibel sei und ausweichen könne, müsse ja was Zeit und Geld gekostet habe, insbesondere einer Minute 55 Prozent der Busanschlüsse ver- nicht unbedingt und ohne es zu wissen mit dem bei der Infrastruktur, der Computertechnologie passt werden. Nach Einführung der Fahrgastinfo vollsten Zug fahren, sagt Jürgen Wurmthaler: und der immer komplizierteren Software, so seien es nur noch 35 Prozent. „Immerhin 20 Pro- „Jede sinnvolle Information kann das Bahnfah- Wurmthaler: „Einem Autofahrer reicht die In- zent der Fahrgäste bekommt ihren Bus dann. Das ren letztlich noch ein Stück entspannter und formation, dass die Autobahn gesperrt ist. Ein ist die Chance, die hinter der Technik steht.“ Nicht komfortabler machen.“ [·] nemo 19
ERFAHRUNGSBERICHT · DAS FAHRRAD ALS ALTERNATIVE Von wegen armer Konrad Es soll Menschen geben, die ausnahmslos jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und darin auch noch die Erfüllung sehen. Ich gehöre zu dieser seltenen Spezies. Ansichten eines Ganzjahresradlers. TEXT KONRAD WEYHMANN FOTOS REINER PFISTERER UND MARTIN HÄUSSERMANN 20 nemo
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R adfahren ist schön und macht Spaß – Ich habe den besten Scheinwerfer mit Naben- sagen Radfahrer wie ich. Andere Ver- dynamo, den man für Geld bekommen kann. kehrsteilnehmer, ob Autofahrer oder Den sollte man auch haben, wenn im Schein- Benutzer von Bus und Bahn, mögen das anders werferkegel plötzlich unbeleuchtete Herr- sehen. Und sie haben sicher ihre Gründe da- schaften im grau-braunen Mantel aus der für. Ich habe mich vor langem für das Fahrrad Dunkelheit auftauchen, den Hund an einer entschieden. Das war nicht immer so. Täglich vier Meter langen Flexileine, die sich diagonal zwischen Ludwigsburg und Stuttgart mit dem über den Weg spannt. Apropos Fahrradfahrer Rad pendeln? Schwitzen, frieren, duschen, Zeit und Hundehalter: Diesem Thema werde ich verlieren? No way, dachte ich, das ist nichts für an anderer Stelle ein Buch widmen, eventuell mich. Ganz zu schweigen von den respektablen einen Fortsetzungsband, der auch Begegnun- Höhenunterschieden zwischen dem Neckartal gen mit Spaziergängern beinhaltet – nebst und Ludwigsburg-Hoheneck. Und außerdem: eigenem Kapitel für die Kopfhörerträger. Die Welchen Reiz sollte es haben, abends müde aus Quintessenz vorneweg: In diesem Leben wer- dem Büro in Bad Cannstatt zu kommen und den Radfahrer und Hundehalter keine Freun- anschließend strampelnderweise knapp 20 Ki- de mehr. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Ich lometer den Neckarwindungen zu folgen? maße mir an, das beurteilen zu können, weil Nun ja, es sollte anders kommen. Ich ar- ich beiden Parteien angehöre, mal mein Rad beite bei einer fahrradaffinen Firma. Fahr- ausführe, mal meinen Hund. Selbstverständ- radverrückt trifft es wohl eher. Fast zwangs- lich kann man Rücksicht nehmen, langsam läufig setzte ich mich daher mit dem Thema fahren und autistisch wirkende Kopfhörer- „zur Arbeit radeln“ auseinander und lernte träger umfahren. Also umkurven. Doch bei die Vorteile der Pendelei per Rad kennen – zu- der Dichte gemeinsam genutzter Wege ist ir- nächst allerdings nur in der Theorie. Irgend- gendwann einmal Schluss mit Lustig. wann probierte ich es selbst aus und komme „Irgendwann A seither nicht mehr davon los. Sommer wie ber zurück zu den positiven Aspekten Winter. Tag für Tag. 17.30 Uhr, Startpunkt des Radelns. In Mühlhausen trennen Bad Cannstatt. Im firmeneigenen Umklei- sich meine Wege. Im Sommer genieße probierte ich es deraum packe ich meine Fahrradtasche aus ich „the long way home“ am Neckar entlang und wähle je nach Temperatur die passende bis Althoheneck und bin nach einem Anstieg aus – und komme Bekleidung aus. Nicht erst seit der Allgemei- schon fast zu Hause. Meistens aber wähle ich ne Deutsche Fahrradclub (ADFC) meinen die Anliegerstraße durch das schöne Natur- seither nicht Arbeitgeber, die Firma Paul Lange & Co., als schutzgebiet „Unteres Feuerbachtal“, die nach „Fahrradfreundlichen Betrieb“ zertifiziert Zazenhausen führt. Welche Anliegen die (zu) mehr davon los.“ hat, haben wir Duschen, Spinde und teils vielen Autos auf dieser Straße haben, ist mir überdachte Abstellplätze direkt neben der unklar. Anlieger sind es nicht. Das Rad kennt Eingangstür. 1:0 für das Fahrrad. Immer wie- den Weg, der Kopf wird frei, die Automatis- der ist zu hören, dass fehlende Umkleideka- men beim Kurbeln greifen, alles geht und dreht binen und Trockenräume Haupthindernisse sich wie von selbst. Das ist ein Gefühl, das sind, mit dem Velo zur Arbeit zu radeln. Ver- meiner Meinung nach unterschätzt wird. Die ständlich. Gerade im Winter ist der Grat zwi- meisten Gründe für das Radfahren sind ganz schen Schwitzen und Frieren sehr schmal, zu- praktischer Natur. Auf der Kurzstrecke bis mal, wenn man wie ich abwechselnd schnell etwa sechs Kilometer spart man Zeit – in der auf der Ebene fährt oder langsam anspruchs- morgendlichen Rush Hour liegen Fahrrad und volle Steigungen überwinden muss. Auto auf meiner Strecke fast gleichauf. Man muss zudem weder einen Parkplatz suchen, K lick, Klack, in die Pedale einrasten und noch ihn bezahlen, hält sich fit und das Ge- los geht’s. Über eine Brücke ans linke wicht in Grenzen. Manche fahren aus ökologi- Neckarufer. Der Belag auf dem breiten schen Gründen und sagen von sich, dass sie auf Radweg ist super und wenn der Westwind diese Weise das eigene Gewissen streicheln. weht, zeigt der Computer schnell 30 Stun- Für mich persönlich ist die Entspannung denkilometer und mehr an. So macht Radeln ein ganz wesentlicher Aspekt des Radfahrens. Spaß. Warum noch immer gut ein Viertel der Morgens den Tag in Ruhe vorbereiten und ihn Radler den parallelen hubbeligen Dammweg abends in Ruhe Revue passieren lassen. Dazu benutzt, auf dem betagte Zweibeiner mit ih- kommt noch ein positiver Effekt: Ich habe auf ren Vierbeinern unterwegs sind, gehört zu dem Rad die besten Ideen. Andere mögen die- den Mysterien, die ich nicht verstehen muss. ses Erlebnis beim Laufen haben, ich genieße es Links Weinberge, rechts der Neckar und vor auf dem Fahrrad. Ich bin kein Psychologe, bin mir einige Jogger und Spaziergänger. Alles aber überzeugt, dass durch die regelmäßige wunderbar – wenn nicht gerade Winter ist. Bewegung in Verbindung mit dem intensiven nemo 23
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