Bittere Orangen DER EXPORT VON ZITRUS-FRÜCHTEN VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND - www.rosalux.dedossiers/ernaehrungssouveraenitaet/ ...

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Bittere
                             Orangen
                             DER EXPORT VON ZITRUS-
                             FRÜCHTEN VON SÜDAFRIKA
                             NACH DEUTSCHLAND

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Inhalt

Das Wichtigste zusammengefasst                              3

   1 Ansatz und Methodik                                    5

   2 Die Lieferkette von Südafrika nach Deutschland         7
   Die Zitrusfruchtproduktion in Südafrika                  7
   Der Handel in Deutschland                                9
   Marktmacht                                              10

   3 Die politische Ökonomie der Zitrusfruchtproduktion    18
   Privatisierung                                          18
   Landreform                                              20
   Arbeitsverhältnisse                                     22
   Gewerkschaftliche Organisierung                         24
   Sustainability Initiative of South Africa (SIZA)        26

   4 Im Detail: Lebens- und Arbeitsrealitäten
   auf Zitrusfarmen                                        28
   Nuwelande                                               30
   Entabeni                                                33
   Mimosa                                                  35
   Paksaam                                                 37
   Hillside                                                39

   5 Fazit                                                 41
   Empfehlungen                                            44   Foto: Benjamin Luig

Literatur                                                  45

Anhang                                                     48
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Benjamin Luig arbeitet zu Fragen der Agrarpolitik und lebt in Berlin. Von 2016 bis 2019 leitete er das Dialogprogramm
Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg, Südafrika.

Impressum

Herausgeber:
Rosa-Luxemburg-Stiftung · Straße der Pariser Kommune 8A · 10243 Berlin, Deutschland · www.rosalux.de
Khanyisa Educational Development Trust · 12 Cuyler Street · Mandela Bay Central 6001, Südafrika

V. i. S. d. P.: Gabriele Nintemann
ISBN 978-3-948250-27-0
Redaktionsschluss: Juni 2021
Autor: Benjamin Luig
Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin
Titelabbildung [M]: KONTROLAB/Kontributor (Getty Images), Benjamin Luig
Layout und Illustration: Heike Schmelter und Juliane Bräuer
Satz/Herstellung: Media Service GmbH Druck und Kommunikation
Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling

Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (BMZ) erstellt. Für den Inhalt der Publikation sind allein die Herausgeber verantwortlich; die hier
dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt des Zuwendungsgebers wieder. Die Publikation wird kostenlos
abgegeben und darf nicht für Wahlkampfzwecke verwendet werden.
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DAS WICHTIGSTE ZUSAMMENGEFASST       3

Das Wichtigste zusammengefasst
Deutschland stellt für die Produzenten von Zitrusfrüchten        Arbeitsverträge und Löhne: Auf drei der fünf Farmen
in Südafrika einen wichtigen Absatzmarkt dar. Die Euro-           werden elementare Arbeitsrechte verletzt: Den Be-
päische Union (EU) ist bei Weitem der größte Importeur            schäftigten liegt kein Arbeitsvertrag vor, während der
von Zitrusfrüchten aus dem Land am Kap und Deutschland            Erntezeit wird der gesetzliche Mindestlohn durch einen
ist wiederum ein wichtiger Importeur innerhalb der EU. Vor        Akkordlohn ersetzt, die Bewegungsfreiheit wird einge-
allem in den Sommer- und Herbstmonaten kommt ein er-              schränkt und die Privatsphäre der Arbeiter*innen ver-
heblicher Teil der Orangen, Zitronen und Mandarinen, die          letzt.
der deutsche Einzelhandel seinen Kund*innen anbietet, aus
Südafrika. Nach Spanien ist Südafrika für den deutschen          Gewerkschaftliche Organisierung: Auf drei der fünf
Markt der wichtigste Exporteur mit 80.400 Tonnen pro Jahr.        Farmen berichten die Arbeiter*innen von Einschüch-
                                                                  terungen oder der aktiven Bekämpfung der gewerk-
Die Marktmacht innerhalb der Lieferkette ist extrem un-           schaftlichen Organisierung. Auf einer der Farmen wur-
gleich verteilt. Dies drückt sich in den Handelspraktiken         de der Gewerkschaftsvertreter unter den Beschäftigten
der Supermarktkonzerne aus. Sie ordern die Ware kurz-             im Dezember 2020 entlassen.
fristig, schließen oftmals keinen schriftlichen Vertrag ab,
können den Preis Woche für Woche nachverhandeln und              
                                                                 Trinkwasser:   Auf allen fünf untersuchten Farmen ha-
zahlen erst nach Erhalt der Ware. Das Risiko, das die deut-      ben die Arbeiter*innen, die auf den Farmen leben, kei-
schen Importunternehmen tragen, wälzen diese wiederum            nen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der Wasserman-
auf die Produzenten ab, indem sie zum Beispiel die Früch-        gel verschärft sich durch die aktuelle Dürre im Ostkap
te lediglich auf Kommission kaufen.                              zusätzlich.

Auch wenn die Preise für Zitrusfrüchte aus Südafrika in           esundheitsschutz: Auf mehreren Farmen werden
                                                                 G
den letzten Jahren deutlich gestiegen sind, verteilen sich       hochgefährliche Pestizide eingesetzt. Bei ihrer Anwen-
die Preismargen entlang der Lieferkette weiterhin sehr           dung werden auf vier der fünf Farmen die notwendigen
ungleich. Eine idealtypische Kalkulation der Preismar-           Sicherheitsstandards nicht eingehalten. Auf einer der
gen zeigt: Von den knapp zwei Euro, die ein Kilogramm            Farmen wurden mehrere Fälle akuter Vergiftung doku-
Orangen im Supermarkt in Deutschland kostet, verbleiben          mentiert.
schätzungsweise 60 Cent auf der Ebene des Einzelhan-
dels. Die Bruttomarge des südafrikanischen Produzenten           Unterkünfte und Toiletten: Auf drei der fünf Farmen
liegt mit 45 Cent bei weniger als einem Viertel des End-          sind die Unterkünfte in einem besonders schlechten
preises. Anteile in etwa gleicher Höhe verbleiben im Be-          Zustand und es stehen nicht ausreichend Toiletten zur
reich Transport und Logistik (44 Cent) und beim deutschen         Verfügung.
Importeur (44 Cent). Der Anteil am Ladenpreis für das Kilo-
gramm Orangen, den die fest angestellten, ganzjährig be-       Die Produzenten von Zitrusfrüchten in Südafrika werben
schäftigten Farmarbeiter*innen erhalten, liegt umgerech-       damit, dass sie über eigene Projekte eine Transforma­
net bei sechs Cent.                                            tion der Landwirtschaft vorantreiben, von der schwarze
                                                               Südafrikaner*innen profitieren sollen. Auf zwei der fünf
Sowohl im Hinblick auf die Qualitätssicherung als auch         untersuchten Farmen sind Kapitalbeteiligungsprogram-
bei den sozialen Mindeststandards haben sich in den            me für Arbeiter*innen der Farmen (Farm Worker Equity
letzten 15 Jahren beim Anbau von Zitrusfrüchten in Süd-        Schemes, FWES) aufgelegt worden. Mit der Teilnahme
afrika zunehmend private Standards durchgesetzt. Der           an diesem Programm sind aber keinerlei Stimmrechte für
Verhaltenskodex der Sustainability Initiative of South Afri-   die Beschäftigten oder Informationsrechte über Vorgänge
ca (SIZA) spielt dabei eine zentrale Rolle. Er wurde von den   im Management der Unternehmen verbunden. Auf einer
Produzenten in Südafrika selbst entwickelt und wird von        der beiden Farmen liegt die Dividende bei weniger als der
den Supermarktkonzernen am Ende der Lieferkette an-            Hälfte eines Monatslohns. Die Zitrusfruchtproduktion gilt
erkannt. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden im           eigentlich als Sektor mit einem hohen zusätzlichen Be-
Gamtoos-Tal fünf Zitrusfarmen näher untersucht, die alle       schäftigungspotenzial. Der Rationalisierungsdruck auf den
durch SIZA zertifiziert sind. Diese Farmen produzieren für     Farmen und in den Packhäusern macht jedoch einen er-
Packhäuser, die wiederum die deutschen Supermarktkon-          heblichen Teil dieses Potenzials zunichte.
zerne Edeka, Netto, Rewe, Lidl sowie den Großhandels-
konzern Selgros beliefern. Auf den untersuchten Farmen         Die südafrikanische Regierung sollte handeln: Die An-
gab es fünf Bereiche, in denen geltendes Arbeitsrecht ver-     zahl der Inspektionen zur Einhaltung der Arbeitsrechte
letzt wird. Besonders problematisch sind die Verhältnisse      muss deutlich erhöht werden. Insbesondere in den oben
auf den Farmen Nuwelande, Mimosa und Hillside.                 beschriebenen fünf Bereichen muss bestehendes Arbeits-
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4     DAS WICHTIGSTE ZUSAMMENGEFASST

recht durchgesetzt werden. Damit private Nachhaltigkeits-   legender Arbeitsrechte in ihren Lieferketten durchzuset-
standards nicht von dem Recht auf gewerkschaftliche Or-     zen. Bei ihren mittelbaren Zulieferern von Zitrusfrüchten
ganisierung und auf Kollektivverhandlungen abgekoppelt      aus Südafrika betrifft dies vor allem einen angemessenen
werden, braucht es eine Rahmengesetzgebung für private      Arbeitsschutz, die Achtung der Koalitionsfreiheit der Ar-
Standards wie SIZA. Zudem sollte die südafrikanische Re-    beiter*innen sowie den Zugang zu sauberem Trinkwasser.
gierung verbindliche Mindeststandards für Kapitalbeteili-   Die Bundesregierung sollte sich auch auf internationaler
gungsprogramme entwickeln.                                  Ebene für die menschenrechtliche Regulierung der globa-
                                                            len Lieferketten einsetzen. Schließlich sollte sie das Agrar-
Die deutsche Regierung sollte handeln. Basierend auf        organisationen-und-Lieferkettengesetz weiterentwickeln.
dem Lieferkettengesetz sollte sie die deutschen Super-      Dabei sollte sie insbesondere schriftliche Lieferverträge
marktkonzerne dazu verpflichten, die Einhaltung grund-      mit einer Fixierung des Preises im Vorhinein vorschreiben.
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ANSATZ UND METHODIK             5

1 Ansatz und Methodik
Die vorliegende Studie analysiert die Lieferkette von Zitrus-    auswirkt. Die vorliegende Studie greift auf diese wissen-
früchten zwischen der Produktionsregion in der Provinz           schaftliche Literatur zurück, benennt aber im Unterschied
Ostkap in Südafrika und dem Lebensmitteleinzelhandel in          zu den meisten Publikationen zum Thema die Unterneh-
Deutschland. Diese Perspektive ermöglicht es, die Gesamt-        men entlang der Lieferkette konkret und diskutiert die
heit des Produktions- und Vermarktungssystems inklusive          Arbeitsbedingungen auf den einzelnen Farmen im Detail.
der sozialen Beziehungen zwischen den Produzenten und
Beschäftigten in den Blick zu nehmen. Aus einer Perspek-         Die vorliegende Untersuchung wird von der Nichtregie-
tive der politischen Ökonomie geht es im Kern um zwei            rungsorganisation Khanyisa und der Rosa-Luxemburg-
Fragestellungen:                                                 Stiftung (RLS) herausgegeben. Khanyisa arbeitet mit den
                                                                 Landarbeiterorganisationen Sundays River Valley Farm
Erstens thematisiert die vorliegende Untersuchung den            Workers Forum (SRVFWF) und der Kouga Farm Workers
Zusammenhang zwischen der globalen Lieferkette und               Reunion (KFWR) zusammen, die auf im Rahmen der Stu-
dem Anbau von Zitrusfrüchten vor Ort. Häufig wird die            die besuchten Zitrusfarmen organisiert sind. Die Rosa-Lu-
wachsende Produktion für den Export von politischen              xemburg-Stiftung arbeitet mit Agrargewerkschaften und
Entscheidungsträger*innen per se mit ländlicher Ent-             Landarbeiterorganisationen in verschiedenen Regionen
wicklung gleichgesetzt und es wird unterstellt, dass ein         der Welt zusammen, so auch in Südafrika.
Wachstum in Form von Arbeitsplätzen auch als wach-
sender Wohlstand bei den Beschäftigten ankommt. Auch
in Südafrika wird so argumentiert. Die südafrikanische                  Die Studie beschreibt die Arbeitsbedingungen
Regierung erhofft sich von der Zitrusindustrie neue Jobs
                                                                                auf fünf Zitrusfarmen, die beispielhaft
und ist bereit, diesen Wirtschaftszweig mit Investitionen
in die Infrastruktur und mit Entwicklungsprogrammen zu                        für die Situation in der Branche stehen.
unterstützen. Doch welche Perspektive haben die Arbei-
ter*innen auf den Farmen selbst? Wie viele Jobs wer-
den geschaffen und unter welchen Bedingungen? Wel-               Anstatt ein breites Sample von Farmen zu untersuchen
che Zwänge erzeugt die Nachfragemacht der deutschen              und anonymisiert darzustellen, gehen wir auf die konkre-
Super­marktkonzerne?                                             ten Arbeitsbedingungen auf fünf Farmen im Detail ein,
                                                                 die beispielhaft für die Situation in der Branche in Süd-
Zweitens geht es darum, wie Supermarktkonzerne ihre              afrika stehen. Neben der einschlägigen Literatur basiert
Machtposition innerhalb der globalen Lieferkette nutzen,         die Untersuchung auf Interviews. In zwei Phasen, im März
um diese zu regulieren und sich den größten Anteil an            und April 2019 sowie im August 2019, haben wir insge-
den Preismargen am Endprodukt zu sichern. Mit «regulie-          samt acht Gruppen von Festangestellten sowie Saison-
ren» ist hierbei die Fähigkeit gemeint, die Spielregeln für      arbeiter*innen auf den fünf untersuchten Farmen inter-
andere Akteure innerhalb der Lieferkette zu definieren.1         viewt. Zum anderen haben wir im ersten Halbjahr 2020
In den letzten Jahren hat die Frage menschenrechtlicher          elf Einzelinterviews mit beteiligten Akteur*innen entlang
Sorgfaltspflichten von Konzernen in globalen Lieferketten        der Lieferkette geführt (siehe die Liste der geführten Inter-
an Bedeutung gewonnen. Auf der Ebene der Vereinten               views im Anhang). Die Lieferkettenverbindungen haben
Nationen verhandeln die Staaten seit 2014 über ein inter-        wir anhand der gängigen Herstellerkennzeichnungen re-
nationales Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrech-              konstruiert. Die Recherchen auf den Farmen geschahen in
ten (UN Treaty). In Deutschland hat die Bundesregierung          einem konfliktiven Umfeld. Daher fanden zunächst nur Ge-
ein Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene vorgelegt, das       spräche mit Arbeiter*innen statt und nicht mit dem Farm-
Sorgfaltspflichten von großen deutschen Unternehmen              management. Nach Möglichkeit haben wir zentrale Aussa-
nicht nur gegenüber den menschenrechtlichen Auswir-              gen (beispielsweise quantitative Schätzungen) in weiteren
kungen ihrer eigenen Geschäftstätigkeit, sondern auch            Interviews mit anderen Arbeiter*innen verifiziert. Erst an-
gegenüber der Geschäftstätigkeit ihrer unmittelbaren und         schließend haben wir die Produzenten kontaktiert und um
ihrer mittelbaren Zulieferer definiert. Eine solche staatliche   Stellungnahmen gebeten. Zwei der fünf Betriebsleitungen
Form der Regulierung könnte ein großes Vakuum füllen.            haben geantwortet, allerdings war nur eine von ihnen be-

Zu der Frage der globalen Lieferketten von frischem Obst
und Gemüse gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Un-
                                                                 1	In der Wissenschaft zu globalen Lieferketten (Global Supply Chain Stu-
tersuchungen. Zentral sind beispielsweise die Publikatio-           dies) wird meist von «governance» gesprochen. Wir bevorzugen den
nen von Dolan und Humphrey (2000) und von Barrientos                Begriff «Regulierung». In dieser Studie wird zudem bewusst von «Liefer-
                                                                    kette» gesprochen, weil die Bezeichnung «Wertschöpfungskette» eine
und Visser (2012), die im Detail darstellen, wie sich die           zusätzliche Wertschöpfung durch Aktivitäten wie Design und Branding,
Marktmacht von Supermarktkonzernen in der Lieferkette               ohne physische Veränderung des Produkts, suggeriert.
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6     ANSATZ UND METHODIK

reit, im Einzelnen auf die Kritikpunkte der Beschäftigten    in den Handelspraktiken, den privaten Standards und den
einzugehen. Alle Interviewpartner*innen, vor allem die       Preismargen entlang der Kette auswirkt (Kapitel 2). Danach
interviewten Arbeiter*innen, werden anonym genannt.          werden die zentralen Entwicklungen im südafrikanischen
Nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch aktuell ma-     Zitrussektor seit Ende der Apartheid in den Bereichen Ver-
chen Beschäftigte auf Farmen in Südafrika immer wieder       marktung, Kontrolle über das Land und Arbeitsbeziehun-
die Erfahrung, dass sie nach öffentlichen Stellungnahmen     gen beschrieben. Zudem wird auf die Formen der Organi-
von ihren Arbeitgeber*innen massiv unter Druck gesetzt       sierung der Arbeiter*innen vor Ort ebenso eingegangen
oder sogar entlassen werden.                                 wie auf den Versuch der Produzenten, über den Standard
                                                             SIZA die Definitionshoheit über die Frage der sozialen
Die Studie gliedert sich in vier Abschnitte: Zunächst wird   Nachhaltigkeit zu behalten (Kapitel 3). Im Detail werden
die Struktur der Lieferkette von den Farmen und Pack-        dann Farmen von Produzenten untersucht, die den deut-
häusern in Südafrika bis in den Lebensmitteleinzelhandel     schen Markt beliefern (Kapitel 4). Abschließend werden
in Deutschland dargestellt. Anschließend wird analysiert,    die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und
wie sich die Nachfragemacht des deutschen Einzelhandels      politische Empfehlungen formuliert (Kapitel 5).

                                                                                                 Viele Frauen werden
                                                                                        auf den Farmen nur während
                                                                                         der Erntesaison beschäftigt.
                                                                                           Foto: IMAGO/Nature Picture Library
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DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND                    7

2 Die Lieferkette von Südafrika
nach Deutschland
Gemeinsam mit Bananen sind Zitrusfrüchte die wich-            komplexen, durchgetakteten Logistiklieferketten. Zitrus-
tigsten global gehandelten Fruchtsorten. Zwischen 1980        früchte sollen für die Konsument*innen das Jahr hindurch
und 2016 hat sich die international gehandelte Menge an       in unbegrenzter Menge, hoher Qualität und optisch per-
Zitrusfrüchten von 61 Millionen Tonnen auf 146,5 Millio-      fektem Zustand verfügbar sein. Gleichzeitig sind Zitrus-
nen Tonnen mehr als verdoppelt (Binard 2019: 5). Auch         früchte leicht verderblich und benötigen zur Reife spezifi-
wenn vor allem der Handel mit Zitronen, Grapefruits und       sche Bedingungen: Um ihre kräftige gelbe bzw. orangene
Mandarinen zunimmt, dominiert weiterhin der Handel mit        Farbe zu entwickeln, brauchen sie nicht nur viel Sonne,
Orangen. Orangen werden international in zwei Formen          sondern auch kalte Nächte und außerdem große Mengen
gehandelt: Der größere Teil wird zu Orangensaftkonzentrat     an Wasser. Um das ganze Jahr hindurch liefern zu können,
verarbeitet und dann exportiert. Hier beherrscht Brasilien    wechseln die Importeure daher die Regionen und Sorten
den globalen Markt. Die qualitativ höherwertigen Oran-        je nachdem, in welchem Anbaugebiet die Früchte gerade
gen werden hingegen direkt als Frucht gehandelt. Hier ist     die optimale Reife aufweisen, denn die Früchte reifen, im
Südafrika nach Spanien der zweitgrößte Produzent welt-        Unterschied etwa zu Bananen, nicht nach.
weit. Zudem ist das Land am Kap der größte Exporteur
von Grapefruits und der viertgrößte Exporteur von Zitro-
nen und Mandarinen (ebd.: 10). Nach Spanien und noch             Nach Spanien und noch vor der Türkei, Ägypten
vor der Türkei, Ägypten und China ist Südafrika damit ins-
                                                               und China ist Südafrika der zweitgrößte Exporteur
gesamt der zweitgrößte Zitrusfruchtexporteur weltweit
(siehe Abbildung 1). Auch für den deutschen Markt ist                                von Zitrusfrüchten weltweit.
Südafrika zentral: Der mit Abstand größte Lieferant von Zi-
trusfrüchten nach Deutschland ist Spanien, doch schon an
zweiter Stelle steht mit knapp 80.400 Tonnen Südafrika,       Der globale Handel mit Zitrusfrüchten ist daher stark von
gefolgt von Italien und Griechenland (Stand: 2020).           saisonalen Dynamiken geprägt. In Deutschland kommen
                                                              die Früchte den größten Teil des Jahres überwiegend aus
Der Fruchthandel im 21. Jahrhundert hat nur noch wenig        Spanien, in den Sommer- und Herbstmonaten ist aller-
mit den Auktionen vor 100 Jahren zu tun. Er besteht aus       dings Südafrika der wichtigste Lieferant.

Die Zitrusfruchtproduktion in Südafrika
Die Produktion von Zitrusfrüchten in Südafrika wächst         beschnitten werden. Pestizide werden ausgebracht und
stetig. Der Produzentenverband Citrus Growers Asso-           die Ernte erfolgt nach wir vor von Hand.
ciation (CGA) hat als Zielmarke ein jährliches Wachstum
von sechs Prozent ausgegeben. Im Jahr 2017 gab es im          In unmittelbarer Nähe zu den Farmen befinden sich die
Land etwa 1.200 Produzenten, die mehr als 122 Millionen       Packhäuser. Hier werden die Früchte oftmals mit Ethy-
Kartons à 15 Kilogramm herstellten.2 Die Anbaufläche be-      len begast, damit die zwar reifen, aber äußerlich grünen
trug knapp 73.000 Hektar, wobei die Pflanzen auf einer        Früchte die gewünschte Farbe annehmen. Anschließend
Fläche von rund 18.000 Hektar noch keine Früchte trugen       werden sie gewaschen, sortiert und mit einem Label ver-
(Genis 2018: 11). 2019 lag die bepflanzte Fläche bereits      sehen. Danach werden die Früchte in Kartons abgepackt
bei 88.500 Hektar (CGA 2020a: 4). Den mit 62 Prozent          und vorgekühlt. Packhäuser sind nur einen Teil des Jahres
größten Anteil der Produktion machen Orangen mit den          ausgelastet, gleichzeitig sind sie mit hohen Investitionen
Sorten Valencia und Navel aus, hinzu kommen Zitronen,         verbunden. Deswegen werden sie in manchen Fällen von
Limetten, Grapefruits und Mandarinen (DAFF 2018: 5). In       Kooperativen betrieben, insbesondere im Westkap und im
den nordöstlichen Provinzen Südafrikas in Mpumalanga,         Ostkap, wo die Farmen kleiner sind als im Nordosten des
Limpopo und KwaZulu-Natal herrscht ein wärmeres Klima.        Landes. Die Kooperative Sundays River Citrus Company
Dort werden primär Valencia-Orangen und Grapefruits an-       (SRCC), der größte Produzent von Zitrusfrüchten in Süd­
gebaut. In den Regionen mit kühlerem Winter im Westkap        afrika, oder die Kooperative Patensie Citrus im Gamtoos-
und im Ostkap werden vorrangig Navel-Orangen, Zitronen
und Mandarinen angebaut. Grundsätzlich ist die Zitrus-
                                                              2	Kartons von 15 Kilogramm sind die Standardverpackung im Zitrusfrucht­
fruchtproduktion arbeitsintensiv: Die Pflanzen werden ge-        großhandel. Wenn im Weiteren von Kartons die Rede ist, ist dieses Vo-
setzt und müssen durchgängig bewässert und regelmäßig            lumen gemeint.
Bittere Orangen DER EXPORT VON ZITRUS-FRÜCHTEN VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND - www.rosalux.dedossiers/ernaehrungssouveraenitaet/ ...
8     DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND

Tal sind Beispiele dafür. Daneben gibt es Familienunter-        deutschen Importeurs, zu den wichtigen Exporteuren (Ein-
nehmen, die größere Farmen besitzen und ihre eigenen            zelinterview 8).3
Packhäuser betreiben. Zudem haben in den letzten Jah-
ren auch einige transnationale Handelsunternehmen be-           Im Packhaus werden die abgepackten Früchte in den Kar-
gonnen, in Südafrika zu operieren. Unternehmen wie der          tons auf Paletten und in sogenannte Reefer-Kühlcontainer
US-amerikanische Konzern Dole, der argentinische Kon-           geladen. Diese Container verfügen über eigene Kühlaggre-
zern San Miguel, der chilenische Konzern Unifrutti oder         gate und halten die Temperatur damit konstant. Die Kühl-
der deutsch-spanische Handelskonzern San Lucar haben            kette wird bis zur Ankunft der Ware im Supermarkt nicht
in Südafrika nicht nur in große Packhäuser investiert, son-     unterbrochen. Exporteure beauftragen Dienstleistungs-
dern auch dortige Farmen aufgekauft, um die Produktion          unternehmen damit, die Container aus den Packhäusern
eines Teils der gehandelten Waren zu kontrollieren.             abzuholen und per Lkw zu einem der vier Verladehäfen in
                                                                Südafrika zu bringen: Durban, Kapstadt, Mandela Bay und
Die Produktion von Zitrusfrüchten in Südafrika ist überwie-     Ngqura; Letzterer liegt in unmittelbarer Nähe zu Mande-
gend auf den Export ausgerichtet. Von der gesamten Zi­          la Bay.4 Am Hafen wird die Ware kontrolliert (Einzelinter-
trusfruchternte gehen zwei Drittel bis drei Viertel direkt in   view 4). Die Containerterminals in den Häfen Südafrikas
den Export. Zwar steigt die Menge der verarbeiteten Pro-        werden vom staatlichen Unternehmen Transnet betrieben.
dukte, aber auch der direkte Export von Zitrusfrüchten hat      Wie wir im übernächsten Abschnitt darstellen, verlangen
in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen (siehe            Supermarktkonzerne von ihren Zulieferern maximale Fle-
Abbildung 2). Den Export der Früchte organisieren die Pro-      xibilität. Viele der südafrikanischen Exportorganisationen
duzenten entweder selbst – in Südafrika wird in diesem          und der deutschen Importeure versuchen damit umzuge-
Fall von grower-exporter gesprochen – oder spezialisier-        hen, indem sie ihre eigenen Strukturen so «schlank» wie
te Exportunternehmen übernehmen die Vermarktung der             möglich halten (lean structures). Aus diesem Grund wird
Früchte ab dem Packhaus. Das Unternehmen Grown4you              ein Großteil der Logistik in der Lieferkette von externen
im Ostkap, ein Zusammenschluss von einigen der größ-            Dienstleistungsunternehmen durchgeführt (Einzelinter-
ten Produzenten der Region, ist für die grower-exporter         view 3), seien es der Lastwagentransport zum Hafen, das
ein gutes Beispiel. Die Marktanteile der Exporteure sind        Abpacken der Ware oder der Überseetransport.
schwer zu ermitteln. Klar ist, dass das Unternehmen Cape-
span, der Nachfolger des staatlichen Monopolexporteurs
Outspan, zu den größten Akteuren gehört. Auch die Unter-        3    Zu den Interviewpartner*innen siehe die Liste im Anhang.
nehmen Core Fruits und Zest zählen, laut Aussage eines          4    Mandela Bay entspricht Port Elizabeth.

Abbildung 1: Die größten Exporteure von frischen Zitrusfrüchten weltweit (2019, in Tonnen)

                                                                                                               Quelle: eigene Darstellung;
                                                                                                                       UN Comtrade 2020
                                                          2,1 t
                                                         Südafrika

                                                                                           2,0 t
                                                                                           Ägypten

                 3,9 t
                 Spanien

                                                                                                          1,6 t
                                                                                                           Türkei

                                                                                                          1,0 t
                                                                                                           China
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND                 9

Der Handel in Deutschland
Zitrusfrüchte gelangen auf drei unterschiedlichen Routen                 gen über Wochenmärkte spielen eine vergleichsweise ge-
von Südafrika nach Deutschland (siehe Abbildung 3): Die                  ringe Rolle. Die vier genannten Supermarktkonzerne sind
bei Weitem größte Menge der deutschen Importe aus                        sozusagen die Torwächter (gatekeeper) zu dem riesigen
Südafrika gelangt über den Hafen von Rotterdam in den                    Markt von über 80 Millionen deutschen Konsument*in-
Niederlanden nach Deutschland. Ein kleinerer Teil der                    nen. Im Folgenden liegt der Fokus daher auf der Rolle der
Früchte wird direkt in den Hamburger Hafen geliefert.                    Supermarktkonzerne.
Eine dritte Route verläuft über Spanien: Spanische Expor-
teure beliefern den deutschen Markt den längsten Teil des                Im Unterschied zu den Lieferketten für Obst und Gemü-
Jahres mit Zitrusfrüchten aus Spanien selbst. In den Som-                se, das in Deutschland produziert wird, gibt es für Import-
mer- und Herbstmonaten liefern sie teilweise jedoch auch                 ware keine Überblicksdaten zum Anteil der verschiedenen
südafrikanische Früchte nach Deutschland, die sie in Spa-                Vertriebsformen (Stolper 2015: 67). Unter deutschen Im-
nien von ihren Zulieferern erhalten (Einzelinterview 6). In              porteuren haben sich mit der Zeit einige wenige große
den Häfen wird die Ware gelöscht und dann von externen                   Unternehmen herausgebildet, die in der Lage sind, den
Verpackungsunternehmen in Netze umgepackt. Manche                        Anforderungen der Supermarktkonzerne gerecht zu wer-
Importunternehmen arbeiten mit eigenem Fuhrpark für                      den. Die Beziehungen zwischen den Einzelhandelskonzer-
den innereuropäischen Transport. Vom Hafen gehen die                     nen und diesen großen Importeuren sind meist langfristig
Früchte direkt in die Märkte oder in die Verteilzentren der              angelegt. Typisch sind drei bis fünf Zulieferunternehmen
Einzelhändler.                                                           pro Supermarktkonzern (Einzelinterview 7).

Bei dem Handel mit Zitrusfrüchten in Deutschland spie-                   Grundsätzlich lassen sich beim Import von Zitrusfrüchten
len Supermarktkonzerne eine herausragende Rolle.5 Mit                    aus Südafrika drei Arten von Handelsunternehmen vonei-
der Edeka-Gruppe (Edeka und Netto), der Rewe-Gruppe                      nander unterscheiden: Erstens spielen in Deutschland im
(Rewe, Penny, Nahkauf), der Schwarz-Gruppe (Lidl und                     Fruchthandel traditionelle Zusammenschlüsse von frühe-
Kaufland) sowie Aldi (Aldi Nord und Aldi Süd) kontrollieren              ren Kleinhändlern und Erzeugerorganisationen eine gro-
vier Konzerne in Deutschland 85 Prozent des Lebensmit-
teleinzelhandels. Im Obsthandel haben die Supermarkt-
konzerne die Fachgeschäfte und den direkten Verkauf vom                  5	Wir verwenden den Begriff «Supermarktkonzerne» als Sammelbegriff
Großhandel weitgehend verdrängt. Auch die Umsatzmen-                        für Supermärkte, Discounter und Hyperstores.

Abbildung 2: Die Bedeutung der unterschiedlichen Vermarktungskanäle für Zitrusfrüchte
in Südafrika (2010–2019)

                                                                                                                           2,0 Mio. Tonnen
Quelle: eigene Darstellung; CGA 2020: 11

                                                                                                                           1,5 Mio. Tonnen

                                                                                                                           1,0 Mio. Tonnen

                                                                                                                           0,5 Mio. Tonnen

                                                                                                                           0 Mio. Tonnen
   2010         2011         2012          2013       2014        2015       2016        2017        2018        2019

     Zitrusfruchtexporte            Verarbeitung zu Saftkonzentrat       Vermarktung von Zitrusfrüchten auf dem südafrikanischen Markt
10     DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND

ße Rolle. Unter den traditionellen Fruchthändlern haben       beliefert (Wirtschaftsnews 2020). In eine ähnliche Rich-
diejenigen überlebt, die sich zu Fruchtringen zusammen-       tung entwickelt sich die Eurogroup von Rewe. Gegründet
geschlossen haben. Ein Beispiel für ein solches Unter-        wurde sie zunächst als Beschaffungskooperation mit dem
nehmen ist Cobana, ein Zusammenschluss von einstmals          Schweizer Coop-Unternehmen, um den Direktimport von
knapp 50 Fruchthändlern und inzwischen von fünf Groß-         Obst und Gemüse aus Spanien und Italien zu organisieren
handelsunternehmen, die als Gesellschafter fungieren. Ein     und zu kontrollieren. 2016 übernahm Rewe die Eurogroup
anderes Beispiel ist Landgard, eine eingetragene Genos-       komplett.
senschaft mit über 3.000 Erzeugerbetrieben als Mitglie-
dern und einem Jahresumsatz von etwa zwei Milliarden          Neben diesen hauseigenen Beschaffungsunternehmen
Euro.                                                         kaufen Edeka und Rewe nach Schätzung eines Importeurs
                                                              gut 70 Prozent ihrer Ware bei Fremdzulieferern ein, um
Zweitens läuft ein großer Teil des Importgeschäfts über       eine große Vielfalt anbieten zu können (Einzelinterview 8).
spezialisierte Fruchthandelsunternehmen, etwa den belgi-      So kauft Edeka von Importeuren wie San Lucar oder Land-
schen Handelskonzern Greenyard Fresh, der über 200 Pro-       gard. Rewe bezieht Zitrusfrüchte von Importeuren wie
dukte aus über 100 Ländern anbietet, oder das südafri-        Greenyard Fresh oder Llombard. Auch wenn Edeka und
kanische Unternehmen Capespan. Kleinere Unternehmen           Rewe gern ihre genossenschaftliche Struktur hervorhe-
scheinen dann erfolgreich zu sein, wenn sie sich stark spe-   ben, so haben beide Konzerne nachgeholt, was Aldi und
zialisieren, so wie das Unternehmen Global Fruit Point aus    Lidl vorgemacht haben: eine deutschlandweite zentrali-
Buxtehude: Es wurde 2006 gegründet und ist auf den Di-        sierte Beschaffung (Centralised Global Sourcing), mit der
rektimport von Früchten aus Ländern wie Südafrika, Chile      eine entsprechende Verhandlungsmacht einhergeht. Aldi
oder Argentinien spezialisiert.                               ist dabei, den Einkauf noch weiter zu zentralisieren, sodass
                                                              in Zukunft Aldi Süd, Aldi Nord und Aldi Global aus einer
Der dritte wichtige Akteur beim Import von Zitrusfrüch-       Hand beliefert werden (Einzelinterview 3). Für den Lebens-
ten aus Südafrika sind die Beschaffungsunternehmen            mitteleinzelhandel spielt die Einkaufskategorie Frischobst
der Supermarktkonzerne selbst. Teil des Edeka-Unterneh-       eine zentrale Rolle bei der Kundenbindung. Einerseits ist
mensverbunds sind seit den 1950er Jahren Fruchtkontore.       Obst eine Warengruppe des täglichen Bedarfs, bei der die
Edeka betreibt insgesamt fünf Beschaffungskontore und         Konsument*innen sich die Preise merken. Andererseits
drei weitere Logistikplattformen. Die Zitrusfruchtimporte     wächst im Einzelhandel der Umsatz mit «gesundem Es-
werden über das Fruchtkontor Unger in Hamburg organi-         sen» rasant, was die Nachfrage nach den Vitamin-C-halti-
siert, das die insgesamt 11.200 Edeka- und Netto-Märkte       gen Zitrusfrüchten erhöht (Leahy 2020: 33).

Marktmacht
Die Marktmacht entlang von Lieferketten drückt sich auf       port selbst dauert vier bis sechs Wochen, was von den Im-
drei Arten aus: Erstens durch die Bedingungen, unter de-      porteuren schnelles Handeln verlangt (Einzelinterview 6).
nen der Handel stattfindet. Zweitens durch die Produkt-
standards und die Frage, wer sie definiert. Drittens durch    Bekommt ein Importeur den Zuschlag, einigen sich Super-
die Preise, die bezahlt werden, und die Höhe der Preismar-    marktkonzern und Importeur auf die Liefermenge und den
gen entlang der Lieferkette. Im Folgenden werden diese        Lieferzeitraum, nicht jedoch auf den Preis (Einzelinter-
drei Bereiche dargestellt.                                    view 2 und 7). Oftmals werden die Preise Woche für Wo-
                                                              che nachverhandelt (Einzelinterview 8). Dies ist ein großer
(1) Handelspraktiken                                          Unterschied zu den Handelspraktiken in anderen Ländern.
Den Supermarktkonzernen geht es im Kern darum, mit            In Großbritannien beispielsweise kennen die Importeure
möglichst geringen eigenen Kosten durchgängig frische         ihre Preise, bevor die Ware verschifft wird (Einzelinter-
Produkte anbieten zu können. Dafür brauchen sie einer-        view 2). Diese kurze Frist, die der Supermarktkonzern dem
seits langfristige, stabile Lieferbeziehungen. Andererseits   Importeur abverlangt, geht dennoch einher mit einer lang-
aber sind sie bei den verderblichen Zitrusfrüchten auf eine   fristigen Geschäftsbeziehung. Auch wenn die Supermarkt-
kurzfristige Lieferung angewiesen und versuchen, die Kos-     konzerne ihren Bedarf jedes Mal neu ausschreiben, gibt es
ten für die eigene Lagerhaltung möglichst gering zu halten.   faktisch back-to-back deals, also langfristige Geschäftsbe-
Supermarktkonzerne gehen daher mit ihren Lieferanten kei-     ziehungen zwischen Importeur und Supermarktkonzern –
ne langfristigen Verträge ein, sondern schreiben ihren Be-    allerdings werden die Bedingungen immer wieder neu an
darf aus, beispielsweise mehrere Hundert Container einer      die Interessen des Supermarktkonzerns angepasst, schil-
bestimmten Sorte Orangen in einem Lieferzeitraum von          dert ein südafrikanischer Exporteur (Einzelinterview 3).
zwei bis sechs Wochen. Nach Aussage eines Importeurs
kommuniziert der Supermarktkonzern einen solchen Bedarf       Im Anschluss an die Bestellung des Supermarktkonzerns
jedoch oft erst zwei Monate vor der Lieferung. Der Trans-     gehen die Händler mit den Logistikunternehmen und
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND             11

Abbildung 3: Zitrusfruchtexporte aus Südafrika
nach Deutschland (2020, in Tonnen)

                                                           rt
                                                  x   po                        rt
                                           R   ee                      x   po
                                                                    ee

                                                                R
                                                                                                 Deutschland
                                                                Niederlande

                 Spanien

      Zitrusfruchtexporte
   Südafrika Deutschland
        im Jahr 2020:*

      80.398 t
                                                                                     Südafrika

* eingeschlossen                                                                                                           Quelle:
sind direkte Exporte                                                                                           eigene Darstellung;
sowie Reexporte                                                                                                UN Comtrade 2020
12     DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND

den Produzenten in Südafrika in die Verhandlungen. Um
frische Produkte sicherzustellen und ihre Kosten zu mini-       Abbildung 4: Die Orangen-Lieferkette
mieren, versuchen auch die Importeure, mit «schlanken           von Südafrika nach Deutschland
Strukturen» (lean structures) möglichst geringe Mengen
an Zitrusfrüchten zu bevorraten. Die Unsicherheit in Be-
zug auf Mengen und Preise geben die Importeure an die
Produzenten in Südafrika weiter (Einzelinterview 2). Zwi-
schen Importeuren und Produzenten sind Lieferverträge
mit einer Laufzeit von einem Jahr üblich, in denen aller-
dings weder die Preise noch die Liefermengen fixiert sind.
Oftmals erhalten deutsche Importeure die gelieferte Ware
auf Kommission (Einzelinterview 7), das heißt, sie erhalten
die Ware zunächst kostenfrei und begleichen ihre Rech-
nungen erst, wenn sie von den Supermarktketten bezahlt
worden sind. Auch dies zeigt, wie hart die Bedingungen                                    Zitrusfarm
auf dem deutschen Markt für die südafrikanischen Produ-
zenten sind (Einzelinterview 2 und 7). Auf dem südame-                                             liefert Orangen
rikanischen Absatzmarkt beispielsweise verkaufen sie zu
Festpreisen, die sie vorab kennen (Einzelinterview 7). Für
Produzenten ist dies besonders wichtig, weil sie langfristig
planen müssen und die verderblichen Zitrusfrüchte nicht                               Packhaus
lange auf Vorrat halten können.

                                                                                                   Hier werden die Orangen
                                                                                                   in Kartons und diese
Deutsche Supermarktkonzerne ordern                                                                 in Container gepackt.
die Ware kurzfristig, gehen keinen schriftlichen
Vertrag ein und können den Preis Woche für
Woche nachverhandeln.
                                                                                     Transport­
                                                                                     unternehmen
Dennoch sind auch die Handelsbeziehungen zwischen
den südafrikanischen Produzenten und den deutschen Im-
porteuren in der Regel langfristig angelegt. Aus Sicht der
deutschen Importeure besteht die Herausforderung in den
saisonalen Schwankungen und den schwer vorhersehba-
ren Witterungsverhältnissen: Die einzelnen Orangensorten
werden in den unterschiedlichen Regionen zu verschiede-                              Fracht­-
nen Zeitpunkten reif, zwischen Juni und Juli die Navel-                              unternehmen
Orangen im Süden des Landes, in den Monaten danach
die Valencia-Sorten im Nordosten. Vereinzelt kann es vor-
kommen, dass ein Produzent wegen einer geringen Ernte
kurzfristig nicht liefern kann. In diesem Fall steht der Im-
porteur unter massivem Druck, dem Supermarktkonzern
die vereinbarte Menge dennoch aus anderer Quelle zu be-
                                                                                     Importeur
schaffen (Einzelinterview 9).

Gleichzeitig schildern auch südafrikanische Exporteure
                                                                           Dienstleistungs­
die Beziehungen zu den deutschen Importeuren als ver-
                                                                    unternehmen packen die
trauensvoll. «Wir würden selbst nie direkt mit Lidl oder               Orangen in Netze um.
Aldi sprechen. Wenn Supermarktkonzerne harte Entschei-
dungen treffen, sind es die Importeure, die dies mit den
Produzenten besprechen, um gemeinsame Lösungen zu
finden.» (Einzelinterview 2)

Es zeigt sich: Die Handelspraktiken der Supermarktkonzer-                                 Supermarkt-
                                                               Quelle:
                                                               Quelle:
ne in der Zitruslieferkette sind problematisch. Die Einzel-    eigene
                                                               eigene Darstellung
                                                                       Darstellung          konzern
handelsunternehmen ordern die Ware kurzfristig, gehen
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND   13

Kurzfristige Planung
kennzeichnet die Lieferkette
von Zitrusfrüchten.
Foto: RosetteJordaan/iStockphoto
14     DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND

keinen schriftlichen Vertrag ein, können den Preis Woche       bezahlt, nicht etwa von dem GlobalGAP-Sekretariat oder
für Woche nachverhandeln und zahlen erst nach Erhalt der       von den Supermarktkonzernen, die diese Zertifizierung
Ware. Das Risiko, das die Importunternehmen tragen, wäl-       verlangen. Zudem werden in regelmäßigen Abständen,
zen sie wiederum auf die Produzenten ab, wenn sie die          ebenfalls von dritter Seite, Kontrollen, sogenannte Audits,
Früchte auf Kommission kaufen.                                 auf den Farmen durchgeführt. Auch diese werden von den
                                                               Farmen bezahlt (Buntzel/Marí 2016: 179). Der Standard zu
Bislang sind solche problematischen Handelspraktiken           Obst und Gemüse beispielsweise umfasst über 200 Kon-
gang und gäbe. Im Jahr 2019 ist in der EU die Richtlinie       trollpunkte, von denen manche unbedingt umgesetzt
zu unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelliefer-      werden müssen und andere Empfehlungen sind. Die Prüf-
kette (Unfair Trading Practices, UTP) in Kraft getreten. Im    kriterien umfassen Bereiche wie den Gesundheitsschutz
Mai 2021 hat der Bundestag das Agrarorganisationen-            am Arbeitsplatz, Abfallmanagement, Bodenmanagement,
und-Lieferkettengesetz verabschiedet. Das Gesetz enthält       Saatgutnutzung oder Rückverfolgbarkeit. Entscheidend an
eine Verbotsliste von unlauteren Handelspraktiken, wie         den Zertifikaten ist an dieser Stelle weniger eine normati-
beispielsweise die einseitige Änderung von Lieferbedin-        ve Bewertung der einzelnen Anforderungen, die in weiten
gungen, das kurzfristige Stornieren der Bestellungen ver-      Teilen durchaus sinnvoll sind, sondern vielmehr die Frage,
derblicher Lebensmittel oder die wiederholte Erhebung          wer in der Lieferkette die Standards definiert. Denn was
von Listungsgebühren. Das neue Gesetz sieht jedoch kei-        eine gute landwirtschaftliche Praxis der Obstproduktion in
ne Verpflichtung zu einem schriftlichen Vertrag mit Preis-     Südafrika ausmacht, entscheiden in diesem Fall nicht die
fixierung vor.                                                 Produzenten oder der südafrikanische Staat, sondern der
                                                               Supermarktkonzern. GlobalGAP ist bei Weitem der wich-
(2) Private Standards                                          tigste Produktstandard für südafrikanische Obstproduzen-
Die Handelspraktiken der Supermarktkonzerne führen zu          ten, aber nicht der einzige. Barrientos und Visser berichten
einer hohen Flexibilisierung und zur Externalisierung von      beispielsweise von einer Farm, die in einem Jahr 32 ver-
Risiken. Gleichzeitig legen die Konzerne großen Wert auf       schiedene Standards erfüllt hat (Barrientos/Visser 2012:
hohe Qualität und verlangen deshalb eine vollständige          18).
Rückverfolgbarkeit der Ware entlang der Lieferkette. Über
Herstellerkennzahlen können Importeure und Supermarkt-
konzerne die Herkunft jeder Orange bis zum Packhaus und                     Formen von privater und von staatlicher
zur Farm nachverfolgen. Der technische Standard in der
                                                                           Regulierung entlang der Zitruslieferkette
Lieferkette ist der elektronische Austausch von Lieferpa-
pieren. Darüber hinaus können Importeure oftmals digital                                        ergänzen einander.
kontrollieren, wo sich die Ware gerade befindet und wie
sie gekühlt wird (Einzelinterview 8 und 9). Mit der Rück-
verfolgbarkeit gehen Qualitätskontrollen auf jeder Stufe       Über kodifizierte Standards hinaus machen Supermarkt-
der Lieferkette einher. Ein Importeur spricht davon, dass er   konzerne nach Belieben weitere Vorgaben. Deutsche Ein-
die Zulieferer bei schlechten Ergebnissen in der Qualitäts-    zelhandelsunternehmen schreiben den Produzenten indi-
kontrolle kurzfristig wechseln könne (Einzelinterview 6).      viduell vor, welche Pestizide verwendet werden dürfen,
Auch die Supermarkkonzerne lassen die Ware von exter-          wie viele Wirkstoffe maximal eingesetzt werden dürfen
nen Laboren prüfen (Einzelinterview 8).                        und welcher Rückstandsgehalt von Pestiziden in der Ware
                                                               maximal erlaubt ist (maximum residue level). Es kommt
Die Regulierungsmacht der Supermarktkonzerne entlang           durchaus vor, dass die verlangten Höchstwerte die in der
der Lieferkette drückt sich insbesondere in den Produkt-       EU zulässigen Werte um 70 Prozent unterschreiten. Wer-
standards aus. Seit den Jahren 2003/04 hat sich in der         den die Vorgaben nicht eingehalten, wird die Ware aus
Obstproduktion in Südafrika der Standard GlobalGAP             dem Sortiment genommen. Mehrere Importeure geben
durchgesetzt (Barrientos/Visser 2012: 14). GlobalGAP wur-      an, dass der deutsche Markt in diesem Punkt der weltweit
de von den westeuropäischen Supermarktkonzernen ge-            strengste sei (Einzelinterview 2, 5 und 7). Ein geringerer
meinsam entwickelt. Im Obst- und Gemüsebereich ist er          Pestizideinsatz ist im Sinne des Gesundheitsschutzes der
der dominierende Qualitätsstandard weltweit. GlobalGAP         Arbeiter*innen auf den Farmen unbedingt zu begrüßen.
ist ein Business-to-Business-Standard, das heißt, er rich-     Zugleich drückt sich in den zusätzlichen Vorgaben die
tet sich nicht an Konsument*innen, sondern schreibt die        Marktmacht der Supermarktkonzerne aus, die sich aus-
Vorgaben zwischen Akteuren in der Lieferkette fest. Das        schließlich an dem Interesse des Schutzes der Verbrau-
«GAP» in GlobalGAP steht für «Good Agricultural Prac­          cher*innen in Deutschland ausrichten. Dabei gehen sie
tice», also «gute landwirtschaftliche Praxis». Formal ist      nicht auf die Problematik der mangelnden sicheren An-
eine Zertifizierung mit diesem Standard freiwillig, faktisch   wendung von Pestiziden auf den Farmen ein.
jedoch beliefert keine südafrikanische Zitrusfarm den euro­
päischen Markt ohne gültige GlobalGAP-Zertifizierung. Der      Formen der privaten Regulierung ersetzen einerseits staat-
Zertifizierer, bei dem es sich um eine private Firma han-      liche Regulierung, andererseits gehen sie Hand in Hand mit
delt, wird dabei von dem zu überprüfenden Agrarbetrieb         ihr (Buntzel/Marí 2016: 130 f.). Dies zeigt sich beispiels-
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND                    15

weise bei dem Thema Schwarzfleckenkrankheit (black spot         meinen Mindeststandard von Waren sicherzustellen. Ein
disease). Der Pilz befällt die Schale von Orangen und ver-      genauerer Blick auf die Rolle von privaten Standards im Zi-
ursacht dort kleine schwarze Flecken, ohne dass die Frucht      trussektor zeigt, dass sie mehr und mehr zu einem Instru-
selbst betroffen ist. Vereinzelt ist er in den letzten Jahren   ment der Produktdifferenzierung werden. Sie werden also
auf Zi­trusfruchtimporten aus Südafrika aufgetaucht. Der        zu einem Instrument des Wettbewerbs der Supermarkt-
Verband der spanischen Zitrusfruchtproduzenten argumen-         konzerne untereinander. Die Einforderung von Zertifizie-
tiert, die Schwarzfleckenkrankheit könne auf die eigene Ern-    rungssystemen und die Audits durch dritte Akteure sind
te übergreifen, und hat bei der EU zeitweise Importverbote      ein Teil ihrer Strategie, die Kosten der Qualitätskontrolle
aus Südafrika durchgesetzt. In der Saison 2012/13 stoppte       auf ihre Zulieferer abzuwälzen (Gibbon/Ponte 2005: 189).
die EU den Import von Zitrusfrüchten aus Südafrika kom-         Private Standards sind damit eine kostengünstige Mög-
plett (Dlikili/van Rooyen 2018: 11). Für Konsument*innen        lichkeit für die Supermarktkonzerne, aus der Entfernung
sind die schwarzen Flecken auf der Schale nachweislich          Kontrolle über die Produzenten auszuüben.
nicht gefährlich. Die südafrikanischen Produzenten werfen
der EU einen grundlosen Protektionismus vor, um die spa-        (3) Preismargen
nischen Produzenten vor Konkurrenz zu schützen (Einzel-         Der deutsche Einzelhandel gilt in Bezug auf Obst und
interview 8). 2014 war Südafrika kurz davor, vor der Welt-      Gemüse als preisaggressiv. Für viele Produzenten ist es
handelsorganisation (WTO) gegen den Importstopp der EU          attraktiver geworden, nach China zu exportieren, wo im
zu klagen (Lebensmittelzeitung 2014). Im September 2020         Hochpreissegment mehr bezahlt wird (Deutsche Verkehrs-
entschied der Verband der südafrikanischen Produzenten          Zeitung 2016; Barrientos u. a. 2016). Ein Importeur sieht
selbst, Exporte in die EU aus bestimmten Regionen des           das Dilemma, dass der Einzelhandel in Deutschland am
Landes zu stoppen, offenbar um einem Importstopp von-           meisten verlange, wenn es um Hygienestandards gehe,
seiten der EU zuvorzukommen (Fresh Fruit Portal 2020).          aber am wenigsten zahle (Einzelinterview 11). Dennoch
                                                                ist klar: Allein aufgrund seines hohen Konsums pro Kopf
Im 20. Jahrhundert wurden Produktstandards meist von            ist Westeuropa und insbesondere Deutschland ein zentra-
Staaten definiert. Wenn sie in Ausnahmefällen von der In-       ler Markt. Spanien kann vor allem deshalb den deutschen
dustrie festgelegt wurden, so dienten sie dazu, einen allge-    Markt dominieren, weil die Logistik- und Transportkosten

                                                                               Der Hafen von Rotterdam ist der zentrale
                                                                              Umschlagplatz für Zitrusfrüchte in der EU.
                                                                                                      Foto: Daniel Foster/flickr
16        DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND

im Vergleich zu Produzenten aus Übersee deutlich gerin-                        In den letzten zehn Jahren hat sich der Orangenpreis in
ger sind (Einzelinterview 3 und 5).6 Da der Fruchthandel                       Südafrika für die Produzenten positiv entwickelt: Nicht nur
saisonal bedingt ist, erhalten die Produzenten von Zitrus-                     der Preis für Orangen, die in Südafrika verkauft oder zu
früchten auf der Südhalbkugel aufgrund der gegenläufigen                       Saft verarbeitet werden, ist gestiegen, sondern auch der
Jahreszeiten in jenen Monaten Zugang zum europäischen                          ungleich höhere Exportpreis, den südafrikanische Produ-
Markt, in denen Spanien nicht liefern kann. Nehmen wir                         zenten auf dem Weltmarkt erzielen. Seit Jahren weiten
zum Beispiel Orangen: Die Orangen aus Südafrika liegen                         sie daher ihre Anbaufläche aus. Durch die steigenden
in den Monaten Juli bis Oktober in den deutschen Super-                        Preise unterscheidet sich die Situation in der Zitrusfrucht-
marktregalen – zunächst die Orangen der Sorte Navel,                           produktion deutlich von derjenigen beispielsweise in der
danach Orangen der Sorte Valencia. Die südafrikanischen                        südafrikanischen Weinproduktion, wo die Exportpreise bei
Produzenten unternehmen große Anstrengungen, um das                            gleichzeitig steigenden Produktionskosten in den letzten
saisonale Fenster, in dem der deutsche Markt mit den                           Jahren kontinuierlich gesunken sind (Luig 2020: 14). Auf
Orangen aus dem Land am Kap beliefert wird, möglichst                          immer mehr Weinfarmen wird deshalb dazu übergegan-
weit auszudehnen. Beispielsweise werden neue Sorten                            gen, andere Früchte, auch Zitrusfrüchte, anzubauen.
gezüchtet und angebaut, die die Erntesaison noch weiter
in die Länge ziehen. Ist die europäische Ernte in Spanien
und Italien in einem Jahr schlecht ausgefallen, steigen
sowohl die Nachfrage als auch die Preise für südafrikani-                      6 Auch spanische Produzenten stehen dabei unter Preisdruck. 2020 pro-
                                                                                  testierten sie beispielsweise vor den spanischen Filialen von Lidl und
sche Orangen auf dem deutschen Markt (Einzelinterview 8                           Aldi, weil die Supermarktkonzerne ihnen nur 45 Cent pro Kilogramm
und 11).                                                                          zahlten (Freshplaza 2020).

Abbildung 5: Preismargen in der Orangenlieferkette

1,99 Euro                                                              Mehrwertsteuer                      7%
Verkaufspreis für 1 kg Orangen                                         Sonstige Kosten

                                                                                                                                       Supermarkt­
                                                   Sonstige Kosten
                                                                                                                                        konzern
                                         Logistik & Transport                                                      23 %                0,60 Euro
                               Umschlag am Hafen
                               Frachttransport

                         Transport
                                                                                                                    9%
                   Packhaus
       Anbau und Ernte
                                                                                                                                          
                                                                                                                                       Importeur
                                                                                                            13 %
      Lohn                                                                                                                             0,44 Euro
                                  3 %*
                                                                                                   3,5 %
                                           8,5 %
    Arbeiter*in
                                                                                     18,5 %
   0,06 Euro*                                           13 %         1,5 %

         Produzent                                                                                                         Logistik
       0,45 Euro                                                                                                           0,44 Euro
* Der Anteil des Lohns von 3 % bzw. der Anteil von 0,06 Euro bezieht sich auf fest                              Quelle: eigene Darstellung auf Basis von
angestellte Arbeiter*innen. Saisonarbeiter*innen erhalten einen weit geringeren Anteil.                            Citrus Academy o. J.; De Klerk 2017
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND            17

Auch wenn die Orangenpreise für die Produzenten stei-         Eindruck der Verhältnisse vermitteln soll, nicht um die
gen, zeigt sich die Marktmacht der Supermarktkonzerne         konkrete Kalkulation eines Händlers. Die errechneten
daran, wie groß ihr Anteil am Ladenpreis ist, obwohl sie      Bruttopreismargen sind zudem nicht zu verwechseln mit
im Verhältnis zu den Produzenten verschwindend we-            Nettomargen. Sämtliche Akteure entlang der Lieferkette
nig zur realen Wertschöpfung beitragen. Preismargen zu        tragen unterschiedliche Kosten und führen Steuern ab.
schätzen ist komplex, da die Preise in Abhängigkeit von       Abbildung 5 zeigt, dass umgerechnet mehr als die Hälfte
unterschiedlichen Faktoren stark schwanken. Sie hän-          des Verkaufspreises (1,99 Euro angenommen) in Deutsch-
gen von der Saison ebenso ab wie von den gehandelten          land bleibt. Schätzungsweise 60 Cent, die Mehrwertsteuer
Mengen. Der Import großer Mengen senkt die Kosten für         inklusive, verbleibt auf der Ebene des Einzelhandels. Rech-
Logistik und Transport pro Stück enorm gegenüber klei-        nen wir die Mehrwertsteuer heraus, erhält der Super-
neren Mengen. Aber auch die Qualität der Ware und der         marktkonzern 46 Cent. 44 Cent bekommen jeweils die Im-
Standort der Produktion haben Einfluss auf den Preis. Die     port- und Logistikunternehmen. Die Produzenten erhalten
große Spannbreite der Preise wird bereits beim Blick in       weniger als ein Viertel des Ladenpreises, umgerechnet
das Supermarktregal in Deutschland deutlich. Im Jahr          45 Cent. Der Anteil am Preis der Orangen im Supermarkt-
2019 reichten die Preise für frische Orangen aus Südafrika    regal, den der bzw. die einzelne Arbeiter*in erzielt, liegt bei
von umgerechnet 1,15 Euro für das Kilogramm «Saftoran-        umgerechnet sechs Cent. Sie bzw. er verdient pro Stunde
gen Valencia» bei Aldi bis zu 3,99 Euro für das Kilogramm     18 Rand (1,15 Euro) und an einem vollen Arbeitstag mit
Bio-Orangen bei Rewe oder Edeka. Hinzu kommen exter-          neun Stunden 162 Rand (10,35 Euro). Wie Kapitel 4 zeigt,
ne Faktoren. International gehandelt werden Orangen in        kann das reale Einkommen jedoch auch deutlich unter
US-Dollar, sodass die Wechselkurseffekte starke Auswir-       diesem angesetzten vollen Monatslohn liegen. Steigen-
kungen auf den Handel haben. Zudem greift in der EU ein       de Produzentenpreise führen keineswegs automatisch zu
komplexes System von Importzöllen bei Zitrusfrüchten,         steigenden Löhnen. Der Großteil der Farmarbeiter*innen
deren Höhe je nach Preisen und Saison schwankt (DAFF          erhält lediglich den Mindestlohn.
2018: 101 ff.).
                                                              Neben den hohen Margen für die Supermarktkonzerne fal-
Keiner der interviewten Importeure war bereit, seine Preis-   len insbesondere die hohen Transportkosten auf. Dies wird
kalkulationen offenzulegen. Daher kann die Preismarge         auch deutlich, wenn man die geschätzten Margen mit der
nur idealtypisch geschätzt werden. Wir setzen dazu einen      Entwicklung der Handelspreise vergleicht. In dieser Hin-
typischen gehandelten Preis in einem deutschen Super-         sicht entsprechen die grundlegenden Schätzungen der Ci-
markt an: 1,99 Euro für das Kilogramm Orangen. Die Ci-        trus Academy den Handelspreisen, die in der UN-Comtra-
trus Academy in Südafrika, die dem Produzentenverband         de-Datenbank aufgeführt werden. Zum einen relevant ist
Citrus Growers Association nahesteht, hat in ihren Publi-     der sogenannte Free-on-board-Preis (FOB-Preis): Free on
kationen eine Schätzung der prozentualen Kostenanteile        board bedeutet, dass die Kosten für Logistik und Transport
am Endpreis veröffentlicht, in der sie die durchschnittli-    innerhalb Südafrikas bis zum Hafen eingepreist sind, die
chen Werte der südafrikanischen Zitrusfruchtindustrie ins-    Kosten für den Überseetransport jedoch nicht. Zum ande-
gesamt zugrunde legt (Citrus Academy o. J.). Diese pro-       ren relevant ist der Cost-insurance-freight-Preis (CIF-Preis).
zentualen Anteile beziehen sich nicht speziell auf Orangen,   CIF bedeutet, dass die Kosten für den Überseetransport
sondern auf Zitrusfrüchte insgesamt, und sie bilden nicht     samt Logistik und Versicherungskosten bereits einge-
die Verhältnisse in der Lieferkette speziell nach Deutsch-    preist sind. Der FOB-Preis für den Handel mit Orangen
land ab, sondern der südafrikanischen Exportlieferketten      zwischen Südafrika und den Niederlanden lag 2019 bei
allgemein. Die Kalkulation der Citrus Academy entspricht      durchschnittlich 50,9 Cent pro Kilogramm. Dies entspricht
der eines grower-exporters, also eines Produzenten von Zi-    ziemlich genau der Summe der Anteile von Produzent
trusfrüchten mit eigenem Packhaus, der auch auf eigene        und Arbeiter*in, die wir in unserer Kalkulation errechnet
Rechnung exportiert. Der Importeur in Deutschland erhält      haben. Der CIF-Preis ist in der UN-Comtrade-Datenbank
die Ware auf Kommission. Zudem haben wir die geschätz-        mit durchschnittlich 1,13 Euro angegeben (UN Comtrade
ten Margen mit den Exportpreisen von Südafrika in die         2020). Daraus ergibt sich eine Differenz zum FOB-Preis
Niederlande aus der UN-Comtrade-Datenbank abgegli-            von 62 Cent, ein etwas höherer Betrag, als wir ihn für die
chen. In der Durchschnittskalkulation der Citrus Academy      Verschiffung und den Umschlag am Hafen in unserer gro-
sind die Margen, die auf die Farmarbeiter*innen über ihre     ben Preiskalkulation angenommen haben (44 Cent).
Löhne entfallen, nicht enthalten. Deshalb haben wir die
durchschnittliche Orangenmenge, die ein*e fest angestell-
te*r Arbeiter*in innerhalb eines Jahres erntet, mit dem
Jahreslohn verrechnet, um festzustellen, welchen Anteil
an einem verkauften Kilogramm Orangen ein*e Arbei-                                Obwohl die Supermarktkonzerne
ter*in umgerechnet erhält (siehe Anhang).                                verschwindend wenig zur Wertschöpfung
Bei den errechneten Zahlen handelt es sich wohlgemerkt
                                                                         beitragen, erhalten sie den größten Anteil
um eine sehr grobe Schätzung, die einen allgemeinen                                    am Ladenpreis der Orangen.
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