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Bittere Orangen DER EXPORT VON ZITRUS- FRÜCHTEN VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND www.rosalux.de/dossiers/ ernaehrungssouveraenitaet/
Inhalt Das Wichtigste zusammengefasst 3 1 Ansatz und Methodik 5 2 Die Lieferkette von Südafrika nach Deutschland 7 Die Zitrusfruchtproduktion in Südafrika 7 Der Handel in Deutschland 9 Marktmacht 10 3 Die politische Ökonomie der Zitrusfruchtproduktion 18 Privatisierung 18 Landreform 20 Arbeitsverhältnisse 22 Gewerkschaftliche Organisierung 24 Sustainability Initiative of South Africa (SIZA) 26 4 Im Detail: Lebens- und Arbeitsrealitäten auf Zitrusfarmen 28 Nuwelande 30 Entabeni 33 Mimosa 35 Paksaam 37 Hillside 39 5 Fazit 41 Empfehlungen 44 Foto: Benjamin Luig Literatur 45 Anhang 48
Benjamin Luig arbeitet zu Fragen der Agrarpolitik und lebt in Berlin. Von 2016 bis 2019 leitete er das Dialogprogramm Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg, Südafrika. Impressum Herausgeber: Rosa-Luxemburg-Stiftung · Straße der Pariser Kommune 8A · 10243 Berlin, Deutschland · www.rosalux.de Khanyisa Educational Development Trust · 12 Cuyler Street · Mandela Bay Central 6001, Südafrika V. i. S. d. P.: Gabriele Nintemann ISBN 978-3-948250-27-0 Redaktionsschluss: Juni 2021 Autor: Benjamin Luig Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin Titelabbildung [M]: KONTROLAB/Kontributor (Getty Images), Benjamin Luig Layout und Illustration: Heike Schmelter und Juliane Bräuer Satz/Herstellung: Media Service GmbH Druck und Kommunikation Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erstellt. Für den Inhalt der Publikation sind allein die Herausgeber verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt des Zuwendungsgebers wieder. Die Publikation wird kostenlos abgegeben und darf nicht für Wahlkampfzwecke verwendet werden.
DAS WICHTIGSTE ZUSAMMENGEFASST 3 Das Wichtigste zusammengefasst Deutschland stellt für die Produzenten von Zitrusfrüchten Arbeitsverträge und Löhne: Auf drei der fünf Farmen in Südafrika einen wichtigen Absatzmarkt dar. Die Euro- werden elementare Arbeitsrechte verletzt: Den Be- päische Union (EU) ist bei Weitem der größte Importeur schäftigten liegt kein Arbeitsvertrag vor, während der von Zitrusfrüchten aus dem Land am Kap und Deutschland Erntezeit wird der gesetzliche Mindestlohn durch einen ist wiederum ein wichtiger Importeur innerhalb der EU. Vor Akkordlohn ersetzt, die Bewegungsfreiheit wird einge- allem in den Sommer- und Herbstmonaten kommt ein er- schränkt und die Privatsphäre der Arbeiter*innen ver- heblicher Teil der Orangen, Zitronen und Mandarinen, die letzt. der deutsche Einzelhandel seinen Kund*innen anbietet, aus Südafrika. Nach Spanien ist Südafrika für den deutschen Gewerkschaftliche Organisierung: Auf drei der fünf Markt der wichtigste Exporteur mit 80.400 Tonnen pro Jahr. Farmen berichten die Arbeiter*innen von Einschüch- terungen oder der aktiven Bekämpfung der gewerk- Die Marktmacht innerhalb der Lieferkette ist extrem un- schaftlichen Organisierung. Auf einer der Farmen wur- gleich verteilt. Dies drückt sich in den Handelspraktiken de der Gewerkschaftsvertreter unter den Beschäftigten der Supermarktkonzerne aus. Sie ordern die Ware kurz- im Dezember 2020 entlassen. fristig, schließen oftmals keinen schriftlichen Vertrag ab, können den Preis Woche für Woche nachverhandeln und Trinkwasser: Auf allen fünf untersuchten Farmen ha- zahlen erst nach Erhalt der Ware. Das Risiko, das die deut- ben die Arbeiter*innen, die auf den Farmen leben, kei- schen Importunternehmen tragen, wälzen diese wiederum nen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der Wasserman- auf die Produzenten ab, indem sie zum Beispiel die Früch- gel verschärft sich durch die aktuelle Dürre im Ostkap te lediglich auf Kommission kaufen. zusätzlich. Auch wenn die Preise für Zitrusfrüchte aus Südafrika in esundheitsschutz: Auf mehreren Farmen werden G den letzten Jahren deutlich gestiegen sind, verteilen sich hochgefährliche Pestizide eingesetzt. Bei ihrer Anwen- die Preismargen entlang der Lieferkette weiterhin sehr dung werden auf vier der fünf Farmen die notwendigen ungleich. Eine idealtypische Kalkulation der Preismar- Sicherheitsstandards nicht eingehalten. Auf einer der gen zeigt: Von den knapp zwei Euro, die ein Kilogramm Farmen wurden mehrere Fälle akuter Vergiftung doku- Orangen im Supermarkt in Deutschland kostet, verbleiben mentiert. schätzungsweise 60 Cent auf der Ebene des Einzelhan- dels. Die Bruttomarge des südafrikanischen Produzenten Unterkünfte und Toiletten: Auf drei der fünf Farmen liegt mit 45 Cent bei weniger als einem Viertel des End- sind die Unterkünfte in einem besonders schlechten preises. Anteile in etwa gleicher Höhe verbleiben im Be- Zustand und es stehen nicht ausreichend Toiletten zur reich Transport und Logistik (44 Cent) und beim deutschen Verfügung. Importeur (44 Cent). Der Anteil am Ladenpreis für das Kilo- gramm Orangen, den die fest angestellten, ganzjährig be- Die Produzenten von Zitrusfrüchten in Südafrika werben schäftigten Farmarbeiter*innen erhalten, liegt umgerech- damit, dass sie über eigene Projekte eine Transforma net bei sechs Cent. tion der Landwirtschaft vorantreiben, von der schwarze Südafrikaner*innen profitieren sollen. Auf zwei der fünf Sowohl im Hinblick auf die Qualitätssicherung als auch untersuchten Farmen sind Kapitalbeteiligungsprogram- bei den sozialen Mindeststandards haben sich in den me für Arbeiter*innen der Farmen (Farm Worker Equity letzten 15 Jahren beim Anbau von Zitrusfrüchten in Süd- Schemes, FWES) aufgelegt worden. Mit der Teilnahme afrika zunehmend private Standards durchgesetzt. Der an diesem Programm sind aber keinerlei Stimmrechte für Verhaltenskodex der Sustainability Initiative of South Afri- die Beschäftigten oder Informationsrechte über Vorgänge ca (SIZA) spielt dabei eine zentrale Rolle. Er wurde von den im Management der Unternehmen verbunden. Auf einer Produzenten in Südafrika selbst entwickelt und wird von der beiden Farmen liegt die Dividende bei weniger als der den Supermarktkonzernen am Ende der Lieferkette an- Hälfte eines Monatslohns. Die Zitrusfruchtproduktion gilt erkannt. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden im eigentlich als Sektor mit einem hohen zusätzlichen Be- Gamtoos-Tal fünf Zitrusfarmen näher untersucht, die alle schäftigungspotenzial. Der Rationalisierungsdruck auf den durch SIZA zertifiziert sind. Diese Farmen produzieren für Farmen und in den Packhäusern macht jedoch einen er- Packhäuser, die wiederum die deutschen Supermarktkon- heblichen Teil dieses Potenzials zunichte. zerne Edeka, Netto, Rewe, Lidl sowie den Großhandels- konzern Selgros beliefern. Auf den untersuchten Farmen Die südafrikanische Regierung sollte handeln: Die An- gab es fünf Bereiche, in denen geltendes Arbeitsrecht ver- zahl der Inspektionen zur Einhaltung der Arbeitsrechte letzt wird. Besonders problematisch sind die Verhältnisse muss deutlich erhöht werden. Insbesondere in den oben auf den Farmen Nuwelande, Mimosa und Hillside. beschriebenen fünf Bereichen muss bestehendes Arbeits-
4 DAS WICHTIGSTE ZUSAMMENGEFASST recht durchgesetzt werden. Damit private Nachhaltigkeits- legender Arbeitsrechte in ihren Lieferketten durchzuset- standards nicht von dem Recht auf gewerkschaftliche Or- zen. Bei ihren mittelbaren Zulieferern von Zitrusfrüchten ganisierung und auf Kollektivverhandlungen abgekoppelt aus Südafrika betrifft dies vor allem einen angemessenen werden, braucht es eine Rahmengesetzgebung für private Arbeitsschutz, die Achtung der Koalitionsfreiheit der Ar- Standards wie SIZA. Zudem sollte die südafrikanische Re- beiter*innen sowie den Zugang zu sauberem Trinkwasser. gierung verbindliche Mindeststandards für Kapitalbeteili- Die Bundesregierung sollte sich auch auf internationaler gungsprogramme entwickeln. Ebene für die menschenrechtliche Regulierung der globa- len Lieferketten einsetzen. Schließlich sollte sie das Agrar- Die deutsche Regierung sollte handeln. Basierend auf organisationen-und-Lieferkettengesetz weiterentwickeln. dem Lieferkettengesetz sollte sie die deutschen Super- Dabei sollte sie insbesondere schriftliche Lieferverträge marktkonzerne dazu verpflichten, die Einhaltung grund- mit einer Fixierung des Preises im Vorhinein vorschreiben.
ANSATZ UND METHODIK 5 1 Ansatz und Methodik Die vorliegende Studie analysiert die Lieferkette von Zitrus- auswirkt. Die vorliegende Studie greift auf diese wissen- früchten zwischen der Produktionsregion in der Provinz schaftliche Literatur zurück, benennt aber im Unterschied Ostkap in Südafrika und dem Lebensmitteleinzelhandel in zu den meisten Publikationen zum Thema die Unterneh- Deutschland. Diese Perspektive ermöglicht es, die Gesamt- men entlang der Lieferkette konkret und diskutiert die heit des Produktions- und Vermarktungssystems inklusive Arbeitsbedingungen auf den einzelnen Farmen im Detail. der sozialen Beziehungen zwischen den Produzenten und Beschäftigten in den Blick zu nehmen. Aus einer Perspek- Die vorliegende Untersuchung wird von der Nichtregie- tive der politischen Ökonomie geht es im Kern um zwei rungsorganisation Khanyisa und der Rosa-Luxemburg- Fragestellungen: Stiftung (RLS) herausgegeben. Khanyisa arbeitet mit den Landarbeiterorganisationen Sundays River Valley Farm Erstens thematisiert die vorliegende Untersuchung den Workers Forum (SRVFWF) und der Kouga Farm Workers Zusammenhang zwischen der globalen Lieferkette und Reunion (KFWR) zusammen, die auf im Rahmen der Stu- dem Anbau von Zitrusfrüchten vor Ort. Häufig wird die die besuchten Zitrusfarmen organisiert sind. Die Rosa-Lu- wachsende Produktion für den Export von politischen xemburg-Stiftung arbeitet mit Agrargewerkschaften und Entscheidungsträger*innen per se mit ländlicher Ent- Landarbeiterorganisationen in verschiedenen Regionen wicklung gleichgesetzt und es wird unterstellt, dass ein der Welt zusammen, so auch in Südafrika. Wachstum in Form von Arbeitsplätzen auch als wach- sender Wohlstand bei den Beschäftigten ankommt. Auch in Südafrika wird so argumentiert. Die südafrikanische Die Studie beschreibt die Arbeitsbedingungen Regierung erhofft sich von der Zitrusindustrie neue Jobs auf fünf Zitrusfarmen, die beispielhaft und ist bereit, diesen Wirtschaftszweig mit Investitionen in die Infrastruktur und mit Entwicklungsprogrammen zu für die Situation in der Branche stehen. unterstützen. Doch welche Perspektive haben die Arbei- ter*innen auf den Farmen selbst? Wie viele Jobs wer- den geschaffen und unter welchen Bedingungen? Wel- Anstatt ein breites Sample von Farmen zu untersuchen che Zwänge erzeugt die Nachfragemacht der deutschen und anonymisiert darzustellen, gehen wir auf die konkre- Supermarktkonzerne? ten Arbeitsbedingungen auf fünf Farmen im Detail ein, die beispielhaft für die Situation in der Branche in Süd- Zweitens geht es darum, wie Supermarktkonzerne ihre afrika stehen. Neben der einschlägigen Literatur basiert Machtposition innerhalb der globalen Lieferkette nutzen, die Untersuchung auf Interviews. In zwei Phasen, im März um diese zu regulieren und sich den größten Anteil an und April 2019 sowie im August 2019, haben wir insge- den Preismargen am Endprodukt zu sichern. Mit «regulie- samt acht Gruppen von Festangestellten sowie Saison- ren» ist hierbei die Fähigkeit gemeint, die Spielregeln für arbeiter*innen auf den fünf untersuchten Farmen inter- andere Akteure innerhalb der Lieferkette zu definieren.1 viewt. Zum anderen haben wir im ersten Halbjahr 2020 In den letzten Jahren hat die Frage menschenrechtlicher elf Einzelinterviews mit beteiligten Akteur*innen entlang Sorgfaltspflichten von Konzernen in globalen Lieferketten der Lieferkette geführt (siehe die Liste der geführten Inter- an Bedeutung gewonnen. Auf der Ebene der Vereinten views im Anhang). Die Lieferkettenverbindungen haben Nationen verhandeln die Staaten seit 2014 über ein inter- wir anhand der gängigen Herstellerkennzeichnungen re- nationales Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrech- konstruiert. Die Recherchen auf den Farmen geschahen in ten (UN Treaty). In Deutschland hat die Bundesregierung einem konfliktiven Umfeld. Daher fanden zunächst nur Ge- ein Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene vorgelegt, das spräche mit Arbeiter*innen statt und nicht mit dem Farm- Sorgfaltspflichten von großen deutschen Unternehmen management. Nach Möglichkeit haben wir zentrale Aussa- nicht nur gegenüber den menschenrechtlichen Auswir- gen (beispielsweise quantitative Schätzungen) in weiteren kungen ihrer eigenen Geschäftstätigkeit, sondern auch Interviews mit anderen Arbeiter*innen verifiziert. Erst an- gegenüber der Geschäftstätigkeit ihrer unmittelbaren und schließend haben wir die Produzenten kontaktiert und um ihrer mittelbaren Zulieferer definiert. Eine solche staatliche Stellungnahmen gebeten. Zwei der fünf Betriebsleitungen Form der Regulierung könnte ein großes Vakuum füllen. haben geantwortet, allerdings war nur eine von ihnen be- Zu der Frage der globalen Lieferketten von frischem Obst und Gemüse gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Un- 1 In der Wissenschaft zu globalen Lieferketten (Global Supply Chain Stu- tersuchungen. Zentral sind beispielsweise die Publikatio- dies) wird meist von «governance» gesprochen. Wir bevorzugen den nen von Dolan und Humphrey (2000) und von Barrientos Begriff «Regulierung». In dieser Studie wird zudem bewusst von «Liefer- kette» gesprochen, weil die Bezeichnung «Wertschöpfungskette» eine und Visser (2012), die im Detail darstellen, wie sich die zusätzliche Wertschöpfung durch Aktivitäten wie Design und Branding, Marktmacht von Supermarktkonzernen in der Lieferkette ohne physische Veränderung des Produkts, suggeriert.
6 ANSATZ UND METHODIK reit, im Einzelnen auf die Kritikpunkte der Beschäftigten in den Handelspraktiken, den privaten Standards und den einzugehen. Alle Interviewpartner*innen, vor allem die Preismargen entlang der Kette auswirkt (Kapitel 2). Danach interviewten Arbeiter*innen, werden anonym genannt. werden die zentralen Entwicklungen im südafrikanischen Nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch aktuell ma- Zitrussektor seit Ende der Apartheid in den Bereichen Ver- chen Beschäftigte auf Farmen in Südafrika immer wieder marktung, Kontrolle über das Land und Arbeitsbeziehun- die Erfahrung, dass sie nach öffentlichen Stellungnahmen gen beschrieben. Zudem wird auf die Formen der Organi- von ihren Arbeitgeber*innen massiv unter Druck gesetzt sierung der Arbeiter*innen vor Ort ebenso eingegangen oder sogar entlassen werden. wie auf den Versuch der Produzenten, über den Standard SIZA die Definitionshoheit über die Frage der sozialen Die Studie gliedert sich in vier Abschnitte: Zunächst wird Nachhaltigkeit zu behalten (Kapitel 3). Im Detail werden die Struktur der Lieferkette von den Farmen und Pack- dann Farmen von Produzenten untersucht, die den deut- häusern in Südafrika bis in den Lebensmitteleinzelhandel schen Markt beliefern (Kapitel 4). Abschließend werden in Deutschland dargestellt. Anschließend wird analysiert, die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und wie sich die Nachfragemacht des deutschen Einzelhandels politische Empfehlungen formuliert (Kapitel 5). Viele Frauen werden auf den Farmen nur während der Erntesaison beschäftigt. Foto: IMAGO/Nature Picture Library
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND 7 2 Die Lieferkette von Südafrika nach Deutschland Gemeinsam mit Bananen sind Zitrusfrüchte die wich- komplexen, durchgetakteten Logistiklieferketten. Zitrus- tigsten global gehandelten Fruchtsorten. Zwischen 1980 früchte sollen für die Konsument*innen das Jahr hindurch und 2016 hat sich die international gehandelte Menge an in unbegrenzter Menge, hoher Qualität und optisch per- Zitrusfrüchten von 61 Millionen Tonnen auf 146,5 Millio- fektem Zustand verfügbar sein. Gleichzeitig sind Zitrus- nen Tonnen mehr als verdoppelt (Binard 2019: 5). Auch früchte leicht verderblich und benötigen zur Reife spezifi- wenn vor allem der Handel mit Zitronen, Grapefruits und sche Bedingungen: Um ihre kräftige gelbe bzw. orangene Mandarinen zunimmt, dominiert weiterhin der Handel mit Farbe zu entwickeln, brauchen sie nicht nur viel Sonne, Orangen. Orangen werden international in zwei Formen sondern auch kalte Nächte und außerdem große Mengen gehandelt: Der größere Teil wird zu Orangensaftkonzentrat an Wasser. Um das ganze Jahr hindurch liefern zu können, verarbeitet und dann exportiert. Hier beherrscht Brasilien wechseln die Importeure daher die Regionen und Sorten den globalen Markt. Die qualitativ höherwertigen Oran- je nachdem, in welchem Anbaugebiet die Früchte gerade gen werden hingegen direkt als Frucht gehandelt. Hier ist die optimale Reife aufweisen, denn die Früchte reifen, im Südafrika nach Spanien der zweitgrößte Produzent welt- Unterschied etwa zu Bananen, nicht nach. weit. Zudem ist das Land am Kap der größte Exporteur von Grapefruits und der viertgrößte Exporteur von Zitro- nen und Mandarinen (ebd.: 10). Nach Spanien und noch Nach Spanien und noch vor der Türkei, Ägypten vor der Türkei, Ägypten und China ist Südafrika damit ins- und China ist Südafrika der zweitgrößte Exporteur gesamt der zweitgrößte Zitrusfruchtexporteur weltweit (siehe Abbildung 1). Auch für den deutschen Markt ist von Zitrusfrüchten weltweit. Südafrika zentral: Der mit Abstand größte Lieferant von Zi- trusfrüchten nach Deutschland ist Spanien, doch schon an zweiter Stelle steht mit knapp 80.400 Tonnen Südafrika, Der globale Handel mit Zitrusfrüchten ist daher stark von gefolgt von Italien und Griechenland (Stand: 2020). saisonalen Dynamiken geprägt. In Deutschland kommen die Früchte den größten Teil des Jahres überwiegend aus Der Fruchthandel im 21. Jahrhundert hat nur noch wenig Spanien, in den Sommer- und Herbstmonaten ist aller- mit den Auktionen vor 100 Jahren zu tun. Er besteht aus dings Südafrika der wichtigste Lieferant. Die Zitrusfruchtproduktion in Südafrika Die Produktion von Zitrusfrüchten in Südafrika wächst beschnitten werden. Pestizide werden ausgebracht und stetig. Der Produzentenverband Citrus Growers Asso- die Ernte erfolgt nach wir vor von Hand. ciation (CGA) hat als Zielmarke ein jährliches Wachstum von sechs Prozent ausgegeben. Im Jahr 2017 gab es im In unmittelbarer Nähe zu den Farmen befinden sich die Land etwa 1.200 Produzenten, die mehr als 122 Millionen Packhäuser. Hier werden die Früchte oftmals mit Ethy- Kartons à 15 Kilogramm herstellten.2 Die Anbaufläche be- len begast, damit die zwar reifen, aber äußerlich grünen trug knapp 73.000 Hektar, wobei die Pflanzen auf einer Früchte die gewünschte Farbe annehmen. Anschließend Fläche von rund 18.000 Hektar noch keine Früchte trugen werden sie gewaschen, sortiert und mit einem Label ver- (Genis 2018: 11). 2019 lag die bepflanzte Fläche bereits sehen. Danach werden die Früchte in Kartons abgepackt bei 88.500 Hektar (CGA 2020a: 4). Den mit 62 Prozent und vorgekühlt. Packhäuser sind nur einen Teil des Jahres größten Anteil der Produktion machen Orangen mit den ausgelastet, gleichzeitig sind sie mit hohen Investitionen Sorten Valencia und Navel aus, hinzu kommen Zitronen, verbunden. Deswegen werden sie in manchen Fällen von Limetten, Grapefruits und Mandarinen (DAFF 2018: 5). In Kooperativen betrieben, insbesondere im Westkap und im den nordöstlichen Provinzen Südafrikas in Mpumalanga, Ostkap, wo die Farmen kleiner sind als im Nordosten des Limpopo und KwaZulu-Natal herrscht ein wärmeres Klima. Landes. Die Kooperative Sundays River Citrus Company Dort werden primär Valencia-Orangen und Grapefruits an- (SRCC), der größte Produzent von Zitrusfrüchten in Süd gebaut. In den Regionen mit kühlerem Winter im Westkap afrika, oder die Kooperative Patensie Citrus im Gamtoos- und im Ostkap werden vorrangig Navel-Orangen, Zitronen und Mandarinen angebaut. Grundsätzlich ist die Zitrus- 2 Kartons von 15 Kilogramm sind die Standardverpackung im Zitrusfrucht fruchtproduktion arbeitsintensiv: Die Pflanzen werden ge- großhandel. Wenn im Weiteren von Kartons die Rede ist, ist dieses Vo- setzt und müssen durchgängig bewässert und regelmäßig lumen gemeint.
8 DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND Tal sind Beispiele dafür. Daneben gibt es Familienunter- deutschen Importeurs, zu den wichtigen Exporteuren (Ein- nehmen, die größere Farmen besitzen und ihre eigenen zelinterview 8).3 Packhäuser betreiben. Zudem haben in den letzten Jah- ren auch einige transnationale Handelsunternehmen be- Im Packhaus werden die abgepackten Früchte in den Kar- gonnen, in Südafrika zu operieren. Unternehmen wie der tons auf Paletten und in sogenannte Reefer-Kühlcontainer US-amerikanische Konzern Dole, der argentinische Kon- geladen. Diese Container verfügen über eigene Kühlaggre- zern San Miguel, der chilenische Konzern Unifrutti oder gate und halten die Temperatur damit konstant. Die Kühl- der deutsch-spanische Handelskonzern San Lucar haben kette wird bis zur Ankunft der Ware im Supermarkt nicht in Südafrika nicht nur in große Packhäuser investiert, son- unterbrochen. Exporteure beauftragen Dienstleistungs- dern auch dortige Farmen aufgekauft, um die Produktion unternehmen damit, die Container aus den Packhäusern eines Teils der gehandelten Waren zu kontrollieren. abzuholen und per Lkw zu einem der vier Verladehäfen in Südafrika zu bringen: Durban, Kapstadt, Mandela Bay und Die Produktion von Zitrusfrüchten in Südafrika ist überwie- Ngqura; Letzterer liegt in unmittelbarer Nähe zu Mande- gend auf den Export ausgerichtet. Von der gesamten Zi la Bay.4 Am Hafen wird die Ware kontrolliert (Einzelinter- trusfruchternte gehen zwei Drittel bis drei Viertel direkt in view 4). Die Containerterminals in den Häfen Südafrikas den Export. Zwar steigt die Menge der verarbeiteten Pro- werden vom staatlichen Unternehmen Transnet betrieben. dukte, aber auch der direkte Export von Zitrusfrüchten hat Wie wir im übernächsten Abschnitt darstellen, verlangen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen (siehe Supermarktkonzerne von ihren Zulieferern maximale Fle- Abbildung 2). Den Export der Früchte organisieren die Pro- xibilität. Viele der südafrikanischen Exportorganisationen duzenten entweder selbst – in Südafrika wird in diesem und der deutschen Importeure versuchen damit umzuge- Fall von grower-exporter gesprochen – oder spezialisier- hen, indem sie ihre eigenen Strukturen so «schlank» wie te Exportunternehmen übernehmen die Vermarktung der möglich halten (lean structures). Aus diesem Grund wird Früchte ab dem Packhaus. Das Unternehmen Grown4you ein Großteil der Logistik in der Lieferkette von externen im Ostkap, ein Zusammenschluss von einigen der größ- Dienstleistungsunternehmen durchgeführt (Einzelinter- ten Produzenten der Region, ist für die grower-exporter view 3), seien es der Lastwagentransport zum Hafen, das ein gutes Beispiel. Die Marktanteile der Exporteure sind Abpacken der Ware oder der Überseetransport. schwer zu ermitteln. Klar ist, dass das Unternehmen Cape- span, der Nachfolger des staatlichen Monopolexporteurs Outspan, zu den größten Akteuren gehört. Auch die Unter- 3 Zu den Interviewpartner*innen siehe die Liste im Anhang. nehmen Core Fruits und Zest zählen, laut Aussage eines 4 Mandela Bay entspricht Port Elizabeth. Abbildung 1: Die größten Exporteure von frischen Zitrusfrüchten weltweit (2019, in Tonnen) Quelle: eigene Darstellung; UN Comtrade 2020 2,1 t Südafrika 2,0 t Ägypten 3,9 t Spanien 1,6 t Türkei 1,0 t China
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND 9 Der Handel in Deutschland Zitrusfrüchte gelangen auf drei unterschiedlichen Routen gen über Wochenmärkte spielen eine vergleichsweise ge- von Südafrika nach Deutschland (siehe Abbildung 3): Die ringe Rolle. Die vier genannten Supermarktkonzerne sind bei Weitem größte Menge der deutschen Importe aus sozusagen die Torwächter (gatekeeper) zu dem riesigen Südafrika gelangt über den Hafen von Rotterdam in den Markt von über 80 Millionen deutschen Konsument*in- Niederlanden nach Deutschland. Ein kleinerer Teil der nen. Im Folgenden liegt der Fokus daher auf der Rolle der Früchte wird direkt in den Hamburger Hafen geliefert. Supermarktkonzerne. Eine dritte Route verläuft über Spanien: Spanische Expor- teure beliefern den deutschen Markt den längsten Teil des Im Unterschied zu den Lieferketten für Obst und Gemü- Jahres mit Zitrusfrüchten aus Spanien selbst. In den Som- se, das in Deutschland produziert wird, gibt es für Import- mer- und Herbstmonaten liefern sie teilweise jedoch auch ware keine Überblicksdaten zum Anteil der verschiedenen südafrikanische Früchte nach Deutschland, die sie in Spa- Vertriebsformen (Stolper 2015: 67). Unter deutschen Im- nien von ihren Zulieferern erhalten (Einzelinterview 6). In porteuren haben sich mit der Zeit einige wenige große den Häfen wird die Ware gelöscht und dann von externen Unternehmen herausgebildet, die in der Lage sind, den Verpackungsunternehmen in Netze umgepackt. Manche Anforderungen der Supermarktkonzerne gerecht zu wer- Importunternehmen arbeiten mit eigenem Fuhrpark für den. Die Beziehungen zwischen den Einzelhandelskonzer- den innereuropäischen Transport. Vom Hafen gehen die nen und diesen großen Importeuren sind meist langfristig Früchte direkt in die Märkte oder in die Verteilzentren der angelegt. Typisch sind drei bis fünf Zulieferunternehmen Einzelhändler. pro Supermarktkonzern (Einzelinterview 7). Bei dem Handel mit Zitrusfrüchten in Deutschland spie- Grundsätzlich lassen sich beim Import von Zitrusfrüchten len Supermarktkonzerne eine herausragende Rolle.5 Mit aus Südafrika drei Arten von Handelsunternehmen vonei- der Edeka-Gruppe (Edeka und Netto), der Rewe-Gruppe nander unterscheiden: Erstens spielen in Deutschland im (Rewe, Penny, Nahkauf), der Schwarz-Gruppe (Lidl und Fruchthandel traditionelle Zusammenschlüsse von frühe- Kaufland) sowie Aldi (Aldi Nord und Aldi Süd) kontrollieren ren Kleinhändlern und Erzeugerorganisationen eine gro- vier Konzerne in Deutschland 85 Prozent des Lebensmit- teleinzelhandels. Im Obsthandel haben die Supermarkt- konzerne die Fachgeschäfte und den direkten Verkauf vom 5 Wir verwenden den Begriff «Supermarktkonzerne» als Sammelbegriff Großhandel weitgehend verdrängt. Auch die Umsatzmen- für Supermärkte, Discounter und Hyperstores. Abbildung 2: Die Bedeutung der unterschiedlichen Vermarktungskanäle für Zitrusfrüchte in Südafrika (2010–2019) 2,0 Mio. Tonnen Quelle: eigene Darstellung; CGA 2020: 11 1,5 Mio. Tonnen 1,0 Mio. Tonnen 0,5 Mio. Tonnen 0 Mio. Tonnen 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Zitrusfruchtexporte Verarbeitung zu Saftkonzentrat Vermarktung von Zitrusfrüchten auf dem südafrikanischen Markt
10 DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND ße Rolle. Unter den traditionellen Fruchthändlern haben beliefert (Wirtschaftsnews 2020). In eine ähnliche Rich- diejenigen überlebt, die sich zu Fruchtringen zusammen- tung entwickelt sich die Eurogroup von Rewe. Gegründet geschlossen haben. Ein Beispiel für ein solches Unter- wurde sie zunächst als Beschaffungskooperation mit dem nehmen ist Cobana, ein Zusammenschluss von einstmals Schweizer Coop-Unternehmen, um den Direktimport von knapp 50 Fruchthändlern und inzwischen von fünf Groß- Obst und Gemüse aus Spanien und Italien zu organisieren handelsunternehmen, die als Gesellschafter fungieren. Ein und zu kontrollieren. 2016 übernahm Rewe die Eurogroup anderes Beispiel ist Landgard, eine eingetragene Genos- komplett. senschaft mit über 3.000 Erzeugerbetrieben als Mitglie- dern und einem Jahresumsatz von etwa zwei Milliarden Neben diesen hauseigenen Beschaffungsunternehmen Euro. kaufen Edeka und Rewe nach Schätzung eines Importeurs gut 70 Prozent ihrer Ware bei Fremdzulieferern ein, um Zweitens läuft ein großer Teil des Importgeschäfts über eine große Vielfalt anbieten zu können (Einzelinterview 8). spezialisierte Fruchthandelsunternehmen, etwa den belgi- So kauft Edeka von Importeuren wie San Lucar oder Land- schen Handelskonzern Greenyard Fresh, der über 200 Pro- gard. Rewe bezieht Zitrusfrüchte von Importeuren wie dukte aus über 100 Ländern anbietet, oder das südafri- Greenyard Fresh oder Llombard. Auch wenn Edeka und kanische Unternehmen Capespan. Kleinere Unternehmen Rewe gern ihre genossenschaftliche Struktur hervorhe- scheinen dann erfolgreich zu sein, wenn sie sich stark spe- ben, so haben beide Konzerne nachgeholt, was Aldi und zialisieren, so wie das Unternehmen Global Fruit Point aus Lidl vorgemacht haben: eine deutschlandweite zentrali- Buxtehude: Es wurde 2006 gegründet und ist auf den Di- sierte Beschaffung (Centralised Global Sourcing), mit der rektimport von Früchten aus Ländern wie Südafrika, Chile eine entsprechende Verhandlungsmacht einhergeht. Aldi oder Argentinien spezialisiert. ist dabei, den Einkauf noch weiter zu zentralisieren, sodass in Zukunft Aldi Süd, Aldi Nord und Aldi Global aus einer Der dritte wichtige Akteur beim Import von Zitrusfrüch- Hand beliefert werden (Einzelinterview 3). Für den Lebens- ten aus Südafrika sind die Beschaffungsunternehmen mitteleinzelhandel spielt die Einkaufskategorie Frischobst der Supermarktkonzerne selbst. Teil des Edeka-Unterneh- eine zentrale Rolle bei der Kundenbindung. Einerseits ist mensverbunds sind seit den 1950er Jahren Fruchtkontore. Obst eine Warengruppe des täglichen Bedarfs, bei der die Edeka betreibt insgesamt fünf Beschaffungskontore und Konsument*innen sich die Preise merken. Andererseits drei weitere Logistikplattformen. Die Zitrusfruchtimporte wächst im Einzelhandel der Umsatz mit «gesundem Es- werden über das Fruchtkontor Unger in Hamburg organi- sen» rasant, was die Nachfrage nach den Vitamin-C-halti- siert, das die insgesamt 11.200 Edeka- und Netto-Märkte gen Zitrusfrüchten erhöht (Leahy 2020: 33). Marktmacht Die Marktmacht entlang von Lieferketten drückt sich auf port selbst dauert vier bis sechs Wochen, was von den Im- drei Arten aus: Erstens durch die Bedingungen, unter de- porteuren schnelles Handeln verlangt (Einzelinterview 6). nen der Handel stattfindet. Zweitens durch die Produkt- standards und die Frage, wer sie definiert. Drittens durch Bekommt ein Importeur den Zuschlag, einigen sich Super- die Preise, die bezahlt werden, und die Höhe der Preismar- marktkonzern und Importeur auf die Liefermenge und den gen entlang der Lieferkette. Im Folgenden werden diese Lieferzeitraum, nicht jedoch auf den Preis (Einzelinter- drei Bereiche dargestellt. view 2 und 7). Oftmals werden die Preise Woche für Wo- che nachverhandelt (Einzelinterview 8). Dies ist ein großer (1) Handelspraktiken Unterschied zu den Handelspraktiken in anderen Ländern. Den Supermarktkonzernen geht es im Kern darum, mit In Großbritannien beispielsweise kennen die Importeure möglichst geringen eigenen Kosten durchgängig frische ihre Preise, bevor die Ware verschifft wird (Einzelinter- Produkte anbieten zu können. Dafür brauchen sie einer- view 2). Diese kurze Frist, die der Supermarktkonzern dem seits langfristige, stabile Lieferbeziehungen. Andererseits Importeur abverlangt, geht dennoch einher mit einer lang- aber sind sie bei den verderblichen Zitrusfrüchten auf eine fristigen Geschäftsbeziehung. Auch wenn die Supermarkt- kurzfristige Lieferung angewiesen und versuchen, die Kos- konzerne ihren Bedarf jedes Mal neu ausschreiben, gibt es ten für die eigene Lagerhaltung möglichst gering zu halten. faktisch back-to-back deals, also langfristige Geschäftsbe- Supermarktkonzerne gehen daher mit ihren Lieferanten kei- ziehungen zwischen Importeur und Supermarktkonzern – ne langfristigen Verträge ein, sondern schreiben ihren Be- allerdings werden die Bedingungen immer wieder neu an darf aus, beispielsweise mehrere Hundert Container einer die Interessen des Supermarktkonzerns angepasst, schil- bestimmten Sorte Orangen in einem Lieferzeitraum von dert ein südafrikanischer Exporteur (Einzelinterview 3). zwei bis sechs Wochen. Nach Aussage eines Importeurs kommuniziert der Supermarktkonzern einen solchen Bedarf Im Anschluss an die Bestellung des Supermarktkonzerns jedoch oft erst zwei Monate vor der Lieferung. Der Trans- gehen die Händler mit den Logistikunternehmen und
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND 11 Abbildung 3: Zitrusfruchtexporte aus Südafrika nach Deutschland (2020, in Tonnen) rt x po rt R ee x po ee R Deutschland Niederlande Spanien Zitrusfruchtexporte Südafrika Deutschland im Jahr 2020:* 80.398 t Südafrika * eingeschlossen Quelle: sind direkte Exporte eigene Darstellung; sowie Reexporte UN Comtrade 2020
12 DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND den Produzenten in Südafrika in die Verhandlungen. Um frische Produkte sicherzustellen und ihre Kosten zu mini- Abbildung 4: Die Orangen-Lieferkette mieren, versuchen auch die Importeure, mit «schlanken von Südafrika nach Deutschland Strukturen» (lean structures) möglichst geringe Mengen an Zitrusfrüchten zu bevorraten. Die Unsicherheit in Be- zug auf Mengen und Preise geben die Importeure an die Produzenten in Südafrika weiter (Einzelinterview 2). Zwi- schen Importeuren und Produzenten sind Lieferverträge mit einer Laufzeit von einem Jahr üblich, in denen aller- dings weder die Preise noch die Liefermengen fixiert sind. Oftmals erhalten deutsche Importeure die gelieferte Ware auf Kommission (Einzelinterview 7), das heißt, sie erhalten die Ware zunächst kostenfrei und begleichen ihre Rech- nungen erst, wenn sie von den Supermarktketten bezahlt worden sind. Auch dies zeigt, wie hart die Bedingungen Zitrusfarm auf dem deutschen Markt für die südafrikanischen Produ- zenten sind (Einzelinterview 2 und 7). Auf dem südame- liefert Orangen rikanischen Absatzmarkt beispielsweise verkaufen sie zu Festpreisen, die sie vorab kennen (Einzelinterview 7). Für Produzenten ist dies besonders wichtig, weil sie langfristig planen müssen und die verderblichen Zitrusfrüchte nicht Packhaus lange auf Vorrat halten können. Hier werden die Orangen in Kartons und diese Deutsche Supermarktkonzerne ordern in Container gepackt. die Ware kurzfristig, gehen keinen schriftlichen Vertrag ein und können den Preis Woche für Woche nachverhandeln. Transport unternehmen Dennoch sind auch die Handelsbeziehungen zwischen den südafrikanischen Produzenten und den deutschen Im- porteuren in der Regel langfristig angelegt. Aus Sicht der deutschen Importeure besteht die Herausforderung in den saisonalen Schwankungen und den schwer vorhersehba- ren Witterungsverhältnissen: Die einzelnen Orangensorten werden in den unterschiedlichen Regionen zu verschiede- Fracht- nen Zeitpunkten reif, zwischen Juni und Juli die Navel- unternehmen Orangen im Süden des Landes, in den Monaten danach die Valencia-Sorten im Nordosten. Vereinzelt kann es vor- kommen, dass ein Produzent wegen einer geringen Ernte kurzfristig nicht liefern kann. In diesem Fall steht der Im- porteur unter massivem Druck, dem Supermarktkonzern die vereinbarte Menge dennoch aus anderer Quelle zu be- Importeur schaffen (Einzelinterview 9). Gleichzeitig schildern auch südafrikanische Exporteure Dienstleistungs die Beziehungen zu den deutschen Importeuren als ver- unternehmen packen die trauensvoll. «Wir würden selbst nie direkt mit Lidl oder Orangen in Netze um. Aldi sprechen. Wenn Supermarktkonzerne harte Entschei- dungen treffen, sind es die Importeure, die dies mit den Produzenten besprechen, um gemeinsame Lösungen zu finden.» (Einzelinterview 2) Es zeigt sich: Die Handelspraktiken der Supermarktkonzer- Supermarkt- Quelle: Quelle: ne in der Zitruslieferkette sind problematisch. Die Einzel- eigene eigene Darstellung Darstellung konzern handelsunternehmen ordern die Ware kurzfristig, gehen
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND 13 Kurzfristige Planung kennzeichnet die Lieferkette von Zitrusfrüchten. Foto: RosetteJordaan/iStockphoto
14 DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND keinen schriftlichen Vertrag ein, können den Preis Woche bezahlt, nicht etwa von dem GlobalGAP-Sekretariat oder für Woche nachverhandeln und zahlen erst nach Erhalt der von den Supermarktkonzernen, die diese Zertifizierung Ware. Das Risiko, das die Importunternehmen tragen, wäl- verlangen. Zudem werden in regelmäßigen Abständen, zen sie wiederum auf die Produzenten ab, wenn sie die ebenfalls von dritter Seite, Kontrollen, sogenannte Audits, Früchte auf Kommission kaufen. auf den Farmen durchgeführt. Auch diese werden von den Farmen bezahlt (Buntzel/Marí 2016: 179). Der Standard zu Bislang sind solche problematischen Handelspraktiken Obst und Gemüse beispielsweise umfasst über 200 Kon- gang und gäbe. Im Jahr 2019 ist in der EU die Richtlinie trollpunkte, von denen manche unbedingt umgesetzt zu unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelliefer- werden müssen und andere Empfehlungen sind. Die Prüf- kette (Unfair Trading Practices, UTP) in Kraft getreten. Im kriterien umfassen Bereiche wie den Gesundheitsschutz Mai 2021 hat der Bundestag das Agrarorganisationen- am Arbeitsplatz, Abfallmanagement, Bodenmanagement, und-Lieferkettengesetz verabschiedet. Das Gesetz enthält Saatgutnutzung oder Rückverfolgbarkeit. Entscheidend an eine Verbotsliste von unlauteren Handelspraktiken, wie den Zertifikaten ist an dieser Stelle weniger eine normati- beispielsweise die einseitige Änderung von Lieferbedin- ve Bewertung der einzelnen Anforderungen, die in weiten gungen, das kurzfristige Stornieren der Bestellungen ver- Teilen durchaus sinnvoll sind, sondern vielmehr die Frage, derblicher Lebensmittel oder die wiederholte Erhebung wer in der Lieferkette die Standards definiert. Denn was von Listungsgebühren. Das neue Gesetz sieht jedoch kei- eine gute landwirtschaftliche Praxis der Obstproduktion in ne Verpflichtung zu einem schriftlichen Vertrag mit Preis- Südafrika ausmacht, entscheiden in diesem Fall nicht die fixierung vor. Produzenten oder der südafrikanische Staat, sondern der Supermarktkonzern. GlobalGAP ist bei Weitem der wich- (2) Private Standards tigste Produktstandard für südafrikanische Obstproduzen- Die Handelspraktiken der Supermarktkonzerne führen zu ten, aber nicht der einzige. Barrientos und Visser berichten einer hohen Flexibilisierung und zur Externalisierung von beispielsweise von einer Farm, die in einem Jahr 32 ver- Risiken. Gleichzeitig legen die Konzerne großen Wert auf schiedene Standards erfüllt hat (Barrientos/Visser 2012: hohe Qualität und verlangen deshalb eine vollständige 18). Rückverfolgbarkeit der Ware entlang der Lieferkette. Über Herstellerkennzahlen können Importeure und Supermarkt- konzerne die Herkunft jeder Orange bis zum Packhaus und Formen von privater und von staatlicher zur Farm nachverfolgen. Der technische Standard in der Regulierung entlang der Zitruslieferkette Lieferkette ist der elektronische Austausch von Lieferpa- pieren. Darüber hinaus können Importeure oftmals digital ergänzen einander. kontrollieren, wo sich die Ware gerade befindet und wie sie gekühlt wird (Einzelinterview 8 und 9). Mit der Rück- verfolgbarkeit gehen Qualitätskontrollen auf jeder Stufe Über kodifizierte Standards hinaus machen Supermarkt- der Lieferkette einher. Ein Importeur spricht davon, dass er konzerne nach Belieben weitere Vorgaben. Deutsche Ein- die Zulieferer bei schlechten Ergebnissen in der Qualitäts- zelhandelsunternehmen schreiben den Produzenten indi- kontrolle kurzfristig wechseln könne (Einzelinterview 6). viduell vor, welche Pestizide verwendet werden dürfen, Auch die Supermarkkonzerne lassen die Ware von exter- wie viele Wirkstoffe maximal eingesetzt werden dürfen nen Laboren prüfen (Einzelinterview 8). und welcher Rückstandsgehalt von Pestiziden in der Ware maximal erlaubt ist (maximum residue level). Es kommt Die Regulierungsmacht der Supermarktkonzerne entlang durchaus vor, dass die verlangten Höchstwerte die in der der Lieferkette drückt sich insbesondere in den Produkt- EU zulässigen Werte um 70 Prozent unterschreiten. Wer- standards aus. Seit den Jahren 2003/04 hat sich in der den die Vorgaben nicht eingehalten, wird die Ware aus Obstproduktion in Südafrika der Standard GlobalGAP dem Sortiment genommen. Mehrere Importeure geben durchgesetzt (Barrientos/Visser 2012: 14). GlobalGAP wur- an, dass der deutsche Markt in diesem Punkt der weltweit de von den westeuropäischen Supermarktkonzernen ge- strengste sei (Einzelinterview 2, 5 und 7). Ein geringerer meinsam entwickelt. Im Obst- und Gemüsebereich ist er Pestizideinsatz ist im Sinne des Gesundheitsschutzes der der dominierende Qualitätsstandard weltweit. GlobalGAP Arbeiter*innen auf den Farmen unbedingt zu begrüßen. ist ein Business-to-Business-Standard, das heißt, er rich- Zugleich drückt sich in den zusätzlichen Vorgaben die tet sich nicht an Konsument*innen, sondern schreibt die Marktmacht der Supermarktkonzerne aus, die sich aus- Vorgaben zwischen Akteuren in der Lieferkette fest. Das schließlich an dem Interesse des Schutzes der Verbrau- «GAP» in GlobalGAP steht für «Good Agricultural Prac cher*innen in Deutschland ausrichten. Dabei gehen sie tice», also «gute landwirtschaftliche Praxis». Formal ist nicht auf die Problematik der mangelnden sicheren An- eine Zertifizierung mit diesem Standard freiwillig, faktisch wendung von Pestiziden auf den Farmen ein. jedoch beliefert keine südafrikanische Zitrusfarm den euro päischen Markt ohne gültige GlobalGAP-Zertifizierung. Der Formen der privaten Regulierung ersetzen einerseits staat- Zertifizierer, bei dem es sich um eine private Firma han- liche Regulierung, andererseits gehen sie Hand in Hand mit delt, wird dabei von dem zu überprüfenden Agrarbetrieb ihr (Buntzel/Marí 2016: 130 f.). Dies zeigt sich beispiels-
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND 15 weise bei dem Thema Schwarzfleckenkrankheit (black spot meinen Mindeststandard von Waren sicherzustellen. Ein disease). Der Pilz befällt die Schale von Orangen und ver- genauerer Blick auf die Rolle von privaten Standards im Zi- ursacht dort kleine schwarze Flecken, ohne dass die Frucht trussektor zeigt, dass sie mehr und mehr zu einem Instru- selbst betroffen ist. Vereinzelt ist er in den letzten Jahren ment der Produktdifferenzierung werden. Sie werden also auf Zitrusfruchtimporten aus Südafrika aufgetaucht. Der zu einem Instrument des Wettbewerbs der Supermarkt- Verband der spanischen Zitrusfruchtproduzenten argumen- konzerne untereinander. Die Einforderung von Zertifizie- tiert, die Schwarzfleckenkrankheit könne auf die eigene Ern- rungssystemen und die Audits durch dritte Akteure sind te übergreifen, und hat bei der EU zeitweise Importverbote ein Teil ihrer Strategie, die Kosten der Qualitätskontrolle aus Südafrika durchgesetzt. In der Saison 2012/13 stoppte auf ihre Zulieferer abzuwälzen (Gibbon/Ponte 2005: 189). die EU den Import von Zitrusfrüchten aus Südafrika kom- Private Standards sind damit eine kostengünstige Mög- plett (Dlikili/van Rooyen 2018: 11). Für Konsument*innen lichkeit für die Supermarktkonzerne, aus der Entfernung sind die schwarzen Flecken auf der Schale nachweislich Kontrolle über die Produzenten auszuüben. nicht gefährlich. Die südafrikanischen Produzenten werfen der EU einen grundlosen Protektionismus vor, um die spa- (3) Preismargen nischen Produzenten vor Konkurrenz zu schützen (Einzel- Der deutsche Einzelhandel gilt in Bezug auf Obst und interview 8). 2014 war Südafrika kurz davor, vor der Welt- Gemüse als preisaggressiv. Für viele Produzenten ist es handelsorganisation (WTO) gegen den Importstopp der EU attraktiver geworden, nach China zu exportieren, wo im zu klagen (Lebensmittelzeitung 2014). Im September 2020 Hochpreissegment mehr bezahlt wird (Deutsche Verkehrs- entschied der Verband der südafrikanischen Produzenten Zeitung 2016; Barrientos u. a. 2016). Ein Importeur sieht selbst, Exporte in die EU aus bestimmten Regionen des das Dilemma, dass der Einzelhandel in Deutschland am Landes zu stoppen, offenbar um einem Importstopp von- meisten verlange, wenn es um Hygienestandards gehe, seiten der EU zuvorzukommen (Fresh Fruit Portal 2020). aber am wenigsten zahle (Einzelinterview 11). Dennoch ist klar: Allein aufgrund seines hohen Konsums pro Kopf Im 20. Jahrhundert wurden Produktstandards meist von ist Westeuropa und insbesondere Deutschland ein zentra- Staaten definiert. Wenn sie in Ausnahmefällen von der In- ler Markt. Spanien kann vor allem deshalb den deutschen dustrie festgelegt wurden, so dienten sie dazu, einen allge- Markt dominieren, weil die Logistik- und Transportkosten Der Hafen von Rotterdam ist der zentrale Umschlagplatz für Zitrusfrüchte in der EU. Foto: Daniel Foster/flickr
16 DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND im Vergleich zu Produzenten aus Übersee deutlich gerin- In den letzten zehn Jahren hat sich der Orangenpreis in ger sind (Einzelinterview 3 und 5).6 Da der Fruchthandel Südafrika für die Produzenten positiv entwickelt: Nicht nur saisonal bedingt ist, erhalten die Produzenten von Zitrus- der Preis für Orangen, die in Südafrika verkauft oder zu früchten auf der Südhalbkugel aufgrund der gegenläufigen Saft verarbeitet werden, ist gestiegen, sondern auch der Jahreszeiten in jenen Monaten Zugang zum europäischen ungleich höhere Exportpreis, den südafrikanische Produ- Markt, in denen Spanien nicht liefern kann. Nehmen wir zenten auf dem Weltmarkt erzielen. Seit Jahren weiten zum Beispiel Orangen: Die Orangen aus Südafrika liegen sie daher ihre Anbaufläche aus. Durch die steigenden in den Monaten Juli bis Oktober in den deutschen Super- Preise unterscheidet sich die Situation in der Zitrusfrucht- marktregalen – zunächst die Orangen der Sorte Navel, produktion deutlich von derjenigen beispielsweise in der danach Orangen der Sorte Valencia. Die südafrikanischen südafrikanischen Weinproduktion, wo die Exportpreise bei Produzenten unternehmen große Anstrengungen, um das gleichzeitig steigenden Produktionskosten in den letzten saisonale Fenster, in dem der deutsche Markt mit den Jahren kontinuierlich gesunken sind (Luig 2020: 14). Auf Orangen aus dem Land am Kap beliefert wird, möglichst immer mehr Weinfarmen wird deshalb dazu übergegan- weit auszudehnen. Beispielsweise werden neue Sorten gen, andere Früchte, auch Zitrusfrüchte, anzubauen. gezüchtet und angebaut, die die Erntesaison noch weiter in die Länge ziehen. Ist die europäische Ernte in Spanien und Italien in einem Jahr schlecht ausgefallen, steigen sowohl die Nachfrage als auch die Preise für südafrikani- 6 Auch spanische Produzenten stehen dabei unter Preisdruck. 2020 pro- testierten sie beispielsweise vor den spanischen Filialen von Lidl und sche Orangen auf dem deutschen Markt (Einzelinterview 8 Aldi, weil die Supermarktkonzerne ihnen nur 45 Cent pro Kilogramm und 11). zahlten (Freshplaza 2020). Abbildung 5: Preismargen in der Orangenlieferkette 1,99 Euro Mehrwertsteuer 7% Verkaufspreis für 1 kg Orangen Sonstige Kosten Supermarkt Sonstige Kosten konzern Logistik & Transport 23 % 0,60 Euro Umschlag am Hafen Frachttransport Transport 9% Packhaus Anbau und Ernte Importeur 13 % Lohn 0,44 Euro 3 %* 3,5 % 8,5 % Arbeiter*in 18,5 % 0,06 Euro* 13 % 1,5 % Produzent Logistik 0,45 Euro 0,44 Euro * Der Anteil des Lohns von 3 % bzw. der Anteil von 0,06 Euro bezieht sich auf fest Quelle: eigene Darstellung auf Basis von angestellte Arbeiter*innen. Saisonarbeiter*innen erhalten einen weit geringeren Anteil. Citrus Academy o. J.; De Klerk 2017
DIE LIEFERKETTE VON SÜDAFRIKA NACH DEUTSCHLAND 17 Auch wenn die Orangenpreise für die Produzenten stei- Eindruck der Verhältnisse vermitteln soll, nicht um die gen, zeigt sich die Marktmacht der Supermarktkonzerne konkrete Kalkulation eines Händlers. Die errechneten daran, wie groß ihr Anteil am Ladenpreis ist, obwohl sie Bruttopreismargen sind zudem nicht zu verwechseln mit im Verhältnis zu den Produzenten verschwindend we- Nettomargen. Sämtliche Akteure entlang der Lieferkette nig zur realen Wertschöpfung beitragen. Preismargen zu tragen unterschiedliche Kosten und führen Steuern ab. schätzen ist komplex, da die Preise in Abhängigkeit von Abbildung 5 zeigt, dass umgerechnet mehr als die Hälfte unterschiedlichen Faktoren stark schwanken. Sie hän- des Verkaufspreises (1,99 Euro angenommen) in Deutsch- gen von der Saison ebenso ab wie von den gehandelten land bleibt. Schätzungsweise 60 Cent, die Mehrwertsteuer Mengen. Der Import großer Mengen senkt die Kosten für inklusive, verbleibt auf der Ebene des Einzelhandels. Rech- Logistik und Transport pro Stück enorm gegenüber klei- nen wir die Mehrwertsteuer heraus, erhält der Super- neren Mengen. Aber auch die Qualität der Ware und der marktkonzern 46 Cent. 44 Cent bekommen jeweils die Im- Standort der Produktion haben Einfluss auf den Preis. Die port- und Logistikunternehmen. Die Produzenten erhalten große Spannbreite der Preise wird bereits beim Blick in weniger als ein Viertel des Ladenpreises, umgerechnet das Supermarktregal in Deutschland deutlich. Im Jahr 45 Cent. Der Anteil am Preis der Orangen im Supermarkt- 2019 reichten die Preise für frische Orangen aus Südafrika regal, den der bzw. die einzelne Arbeiter*in erzielt, liegt bei von umgerechnet 1,15 Euro für das Kilogramm «Saftoran- umgerechnet sechs Cent. Sie bzw. er verdient pro Stunde gen Valencia» bei Aldi bis zu 3,99 Euro für das Kilogramm 18 Rand (1,15 Euro) und an einem vollen Arbeitstag mit Bio-Orangen bei Rewe oder Edeka. Hinzu kommen exter- neun Stunden 162 Rand (10,35 Euro). Wie Kapitel 4 zeigt, ne Faktoren. International gehandelt werden Orangen in kann das reale Einkommen jedoch auch deutlich unter US-Dollar, sodass die Wechselkurseffekte starke Auswir- diesem angesetzten vollen Monatslohn liegen. Steigen- kungen auf den Handel haben. Zudem greift in der EU ein de Produzentenpreise führen keineswegs automatisch zu komplexes System von Importzöllen bei Zitrusfrüchten, steigenden Löhnen. Der Großteil der Farmarbeiter*innen deren Höhe je nach Preisen und Saison schwankt (DAFF erhält lediglich den Mindestlohn. 2018: 101 ff.). Neben den hohen Margen für die Supermarktkonzerne fal- Keiner der interviewten Importeure war bereit, seine Preis- len insbesondere die hohen Transportkosten auf. Dies wird kalkulationen offenzulegen. Daher kann die Preismarge auch deutlich, wenn man die geschätzten Margen mit der nur idealtypisch geschätzt werden. Wir setzen dazu einen Entwicklung der Handelspreise vergleicht. In dieser Hin- typischen gehandelten Preis in einem deutschen Super- sicht entsprechen die grundlegenden Schätzungen der Ci- markt an: 1,99 Euro für das Kilogramm Orangen. Die Ci- trus Academy den Handelspreisen, die in der UN-Comtra- trus Academy in Südafrika, die dem Produzentenverband de-Datenbank aufgeführt werden. Zum einen relevant ist Citrus Growers Association nahesteht, hat in ihren Publi- der sogenannte Free-on-board-Preis (FOB-Preis): Free on kationen eine Schätzung der prozentualen Kostenanteile board bedeutet, dass die Kosten für Logistik und Transport am Endpreis veröffentlicht, in der sie die durchschnittli- innerhalb Südafrikas bis zum Hafen eingepreist sind, die chen Werte der südafrikanischen Zitrusfruchtindustrie ins- Kosten für den Überseetransport jedoch nicht. Zum ande- gesamt zugrunde legt (Citrus Academy o. J.). Diese pro- ren relevant ist der Cost-insurance-freight-Preis (CIF-Preis). zentualen Anteile beziehen sich nicht speziell auf Orangen, CIF bedeutet, dass die Kosten für den Überseetransport sondern auf Zitrusfrüchte insgesamt, und sie bilden nicht samt Logistik und Versicherungskosten bereits einge- die Verhältnisse in der Lieferkette speziell nach Deutsch- preist sind. Der FOB-Preis für den Handel mit Orangen land ab, sondern der südafrikanischen Exportlieferketten zwischen Südafrika und den Niederlanden lag 2019 bei allgemein. Die Kalkulation der Citrus Academy entspricht durchschnittlich 50,9 Cent pro Kilogramm. Dies entspricht der eines grower-exporters, also eines Produzenten von Zi- ziemlich genau der Summe der Anteile von Produzent trusfrüchten mit eigenem Packhaus, der auch auf eigene und Arbeiter*in, die wir in unserer Kalkulation errechnet Rechnung exportiert. Der Importeur in Deutschland erhält haben. Der CIF-Preis ist in der UN-Comtrade-Datenbank die Ware auf Kommission. Zudem haben wir die geschätz- mit durchschnittlich 1,13 Euro angegeben (UN Comtrade ten Margen mit den Exportpreisen von Südafrika in die 2020). Daraus ergibt sich eine Differenz zum FOB-Preis Niederlande aus der UN-Comtrade-Datenbank abgegli- von 62 Cent, ein etwas höherer Betrag, als wir ihn für die chen. In der Durchschnittskalkulation der Citrus Academy Verschiffung und den Umschlag am Hafen in unserer gro- sind die Margen, die auf die Farmarbeiter*innen über ihre ben Preiskalkulation angenommen haben (44 Cent). Löhne entfallen, nicht enthalten. Deshalb haben wir die durchschnittliche Orangenmenge, die ein*e fest angestell- te*r Arbeiter*in innerhalb eines Jahres erntet, mit dem Jahreslohn verrechnet, um festzustellen, welchen Anteil an einem verkauften Kilogramm Orangen ein*e Arbei- Obwohl die Supermarktkonzerne ter*in umgerechnet erhält (siehe Anhang). verschwindend wenig zur Wertschöpfung Bei den errechneten Zahlen handelt es sich wohlgemerkt beitragen, erhalten sie den größten Anteil um eine sehr grobe Schätzung, die einen allgemeinen am Ladenpreis der Orangen.
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