ALOIS ZIERLER 1914 1944 - KU Linz

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ALOIS ZIERLER 1914 1944 - KU Linz
ALOIS ZIERLER
1914 – 1944

                                                         fängnis, um nach Entlassung und Wieder-
                                                         einberufung zur Wehrmacht in den Unter-
                                                         grund abzutauchen. Was ihm vier Monate
                                                         vor Kriegsende das Leben kostete als vier
                                                         Zivilisten mit Schrottflinten auf ihn Jagd
                                                         machten, um ihm nach dem Leben zu trach-
                                                         ten. Er war kein Wehrdienstverweigerer, wie
                                                         vielfach fälschlich behauptet, sondern er hat
                                                         die Expansionskriege des NS-Regimes ab-
                                                         gelehnt. Er war auch kein Landesverräter,
                                                         wie vom damaligen Pfarrer von Franken-
                                                         markt das Nichtläuten der Sterbeglocke be-
                                                         gründet und er über Jahrzehnte dargestellt
                                                         wurde. Er sah sich zeitlebens als Österrei-
                                                         cher und konnte als solcher gar kein Verrä-
                                                         ter „seines“ Landes sein. Er war, wie es
                                                         Hans von Dohnanyi so treffend formulierte,
                                                         ein anständiger Mensch mit aufrechtem
                                                         Gang.

                                                         KINDHEIT – JUGEND
                                                         Alois Zierler wurde am 2. Juni 1914 als das
                                                         älteste von acht Kindern der Familie Alois
                                                         und Katharina Zierler in Redltal, Gemeinde
                                                         Redleiten am Hausruck geboren und wuchs
       Todesanzeige von Alois Zierler – Das              in ärmlichen Verhältnissen auf.1 Die Volks-
       einzige erhaltene Bild, in Privatbesitz.          schule besuchte er in Fornach am Haus-
                                                         ruck. Mitte der 1920er Jahre übersiedelte
„Es war einfach der zwangsläufige Gang ei-               die Familie nach Frankenmarkt, weil der Fa-
nes anständigen Menschen“, diese, dem                    milienerhalter eine Arbeitsstelle in einem
deutschen Widerstandskämpfer Hans von                    Sägewerk in Frankenmarkt mit Wohnmög-
Dohnanyi zugeschriebenen Worte treffen,                  lichkeit für die Familie fand. Alois junior war
wie keine anderen, in vollem Umfange auch                zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im gemein-
auf Alois Zierler zu. Er hat schon beim „An-             samen Haushalt. Wurde er doch zeitge-
schluss“ an das Deutsche Reich im Jahre                  recht, wie damals üblich, „zu Diensten“ zu
1938 klargemacht, dass er mit der Hitler-                einem Bauern abgeschoben. Er blieb aber
Diktatur nichts anzufangen weiß und dass                 immer bei seinen Eltern gemeldet und
Hitler für ihn nur Krieg bedeutet. Folglich              pflegte regen Kontakt zu diesen und seinen
verweigerte er dann auch den Kriegsdienst                Geschwistern. Durch seine Tätigkeit in ver-
für das Hitler-Regime und ging dafür ins Ge-             schiedenen Landwirtschaftsbetrieben in den

1 Taufmatriken Pfarre Frankenburg PfmF142 – 00394,
https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/obero-
esterreich/frankenburg-am-haus-
ruck/106%252F1914/?pg=11 (16.3.2021)
ALOIS ZIERLER 1914 1944 - KU Linz
nachfolgenden Jahren in der Gegend Ko-                    dies sein Todesurteil bedeuten konnte. Er
bernaußerwald, Attergau bis ins Salzburge-                wollte jedoch „für dieses Gesindel keinen
rische hat er sich örtliche Kenntnisse ange-              Finger krumm machen“. Die Beziehung der
eignet, die ihm in seiner Untergrundzeit                  beiden Geschwister war eine ganz beson-
nützten.2                                                 dere, da beide eine Zeit lang in derselben
                                                          Ortschaft arbeiteten und Alois „die Kleine“ –
                                                          der Altersunterschied war mehr als zehn
FRÜHE GEGNERSCHAFT                                        Jahre – zu den regelmäßigen Besuchen der
Schon im Frühjahr 1938, als die NS-Eupho-                 Eltern an Sonntagnachmittagen am Fahrrad
rie noch groß und anhaltend war, hielt er mit             mitnahm. Sie beschrieb ihn in diesem Zu-
seiner Gegnerschaft zum NS-Regime nicht                   sammenhang gerne als „großes, bärenstar-
hinter dem Berg. „Hitler bedeutet Krieg“, war             kes Mannsbild, das bei keinem einzigen
seine Einschätzung, die er mit seinem Va-                 Berg vom Fahrrad absteigen musste; und
ter, der sich später einer Widerstands-                   damals war noch alles Schotterstraße“. Bei
gruppe in Freudenthal bei Frankenmarkt an-                seinen Dienstherren war er sehr angese-
schloss, teilte. Nach seiner Einberufung zu               hen, weil er anzupacken und eigenständig
den Gebirgsjägern 3 in Kufstein „ging er stif-            zu arbeiten wusste. Auch bei den Frauen im
ten“ und schlug sich bis in die Gegend sei-               Dorf war er beliebt.
ner Heimat durch, um in Schörfling aufge-
griffen zu werden. 4 Das brachte ihm eine
mehrmonatige Haftstrafe 5 in einem Wehr-                  IM UNTERGRUND
machtsgefängnis für Deserteure ein, das                   Nach seinem neuerlichen Abtauchen be-
ähnlich wie ein Konzentrationslager geführt               gann für ihn eine regelrechte Odyssee, wo
wurde. 6 Nach der Haft musste er unter-                   er sich verschiedene Hilfsstrukturen zu-
schreiben, dass er mit keinem Menschen                    rechtlegte. Alte Freundschaften, Hilfs-
über die Verhältnisse und die Vorkomm-                    dienste, Liebschaften und in den letzten Mo-
nisse im Lager redete, ansonsten drohte                   naten regelrechte Tagelöhnereien nützte er
eine erneute Strafe. Er wurde Wiedereinbe-                geschickt, um unbemerkt über die Runden
rufen und ging wieder „stiften“.7                         zu kommen. Anfangs übernahm seine Mut-
                                                          ter die Versorgung mit dem Nötigsten und
                                                          überbrachte die Sachen an verabredeten
DIE ERINNERUNG DER „KLEINEN“                              Orten, zumeist Kapellen. Nachdem die El-
SCHWESTER                                                 tern auf Dauer überwacht wurden, über-
Laut Schilderungen seiner „kleinen Schwes-                nahm diesen Part die kleine Schwester, die
ter Pepi“ (Josefa), die ihn insbesondere am               mittlerweile im Ort als Haushaltsgehilfin und
Anfang seiner Untergrundzeit massiv unter-                Kindermädchen arbeitet.8 Bald kam ihr aber
stützte, war ihm durchaus bewusst, dass                   ihre Chefin auf die Schliche. Diese, selbst

2 Vier Vorstrafen sind gegen Zierler wegen geringfügi-    5 Am 25.9.1941 wurde Zierler vom Gericht der 188.
ger Delikte des Diebstahls und der Sachbeschädigung       Division in Salzburg wegen unerlaubter Entfernung
belegt. Nähere Hintergründe dazu fehlen. Vgl. Bun-        (§64 MStGB) zu fünf Monate Gefängnis verurteilt, die
desarchiv (BArch) Pers 15/133355, Strafregisteraus-       Zierler von 2.10.1941 bis 1.3.1942 verbüßte. Vgl.
zug 18.3.1943.                                            BArch Pers 15/133355, Untersuchungsakten in der
3 Gebirgsjäger-Ersatz-Regiment 136. Laut Beurteilung      Strafsache gegen Alois Zierler, Auszug aus dem Straf-
des Kompaniechefs war der Oberschütze Zierler Trag-       register, 18.1.1943.
tierführer, seine dienstlichen Kenntnisse wurden als      6 Zierler war in der Wehrmachtgefangenenabteilung

„genügend“ qualifiziert, seine geistige Veranlagung als   Silvrettadorf inhaftiert. Vgl. BArch Pers 15/133355,
„schwerfällig“ beurteilt, die Führung galt als „mangel-   Strafvollzugsbescheinigung, Silvrettadorf, 2.3.1942.
haft“. Vgl. BArch Pers 15/133355, Beurteilung             7 Zierler entfernte sich am 23.9.1942 nach der Entlas-

24.9.1942. Zierler rückte 1939 erstmals ein, wurde        sung aus dem Lazarett bzw. der Rückmeldung bei der
aber wegen eines Fußleidens nach sieben Tagen wie-        Kompanie und wurde alsbald der Fahnenflucht ver-
der entlassen. Am 3.3.1940 trat er in das Gebirgsjä-      dächtigt. Vgl. BArch Pers 15/133355, Tatbericht, Inns-
gerregiment 136 ein. Vgl. BArch Pers 15/133355, Aus-      bruck, 24.9.1942.
zug aus dem Strafbuch, Innsbruck 24.9.1942, Feldge-       8 Das Wehrmachtsgericht der 188. Division wies wie-

richtsrat Peyrer, 25.9.1941.                              derholt die Gendarmerieposten der Region (z.B.
4 Zierler wurde am 8.9.1941 bei seinem Bruder in          Schörfling, Frankenburg, Straßwalchen) an, Nachfor-
Schörfling am Attersee festgenommen. Vgl. BArch           schungen zum Fahnenflüchtigen durchzuführen und
Pers 15/133355, Feldkriegsgerichtsrat Peyrer,             zu berichten. Deren Berichte enthielten jeweils Nega-
25.9.1941.                                                tivmeldungen. Vgl. BArch Pers 15/133355, Untersu-
                                                          chungsakt, diverse Dokumente.
ALOIS ZIERLER 1914 1944 - KU Linz
keine Freundin des NS-Regimes, unter-                   Ein Chronikeintrag der Gendarmerie Vöck-
stützte sie nach einer Aussprache in ihrem              labruck vom 27. Dezember 1944 attestiert
Tun und gab von sich aus Gaben zu den                   den Häschern „gerechtfertigten Waffenge-
Verstecken mit. Das führte so weit, dass sie            brauch“. 10 Zierler war allerdings unbewaff-
Zierler in der kalten Jahreszeit wochenlang             net, hatte Waffengebrauch immer abge-
in einer Dachkammer „logieren“ und in ei-               lehnt. „Da hätt i einrücken a können“ be-
nem zum Haus gehörenden Heustadel ein                   liebte er nur kurz zu derartigen Ansinnen zu
Versteck einrichtete.                                   sagen.
                                                        Bei ihrem letzten Treffen vor Weihnachten
                                                        1944 wollte ihn seine Schwester überreden,
DIE HASENJAGD AUF ZIERLER
                                                        das Angebot einer Pistole von Georg Ham-
Der 26. Dezember 1944 wird zum Schick-                  minger, dem „Nazirächer“ aus Schneegat-
salstag für Alois Zierler. An diesem Tag                tern, anzunehmen, was er dezidiert ab-
bringt eine Denunziation – möglicherweise               lehnte. „Den Weg vom Schurl [Georg Ham-
von Leuten, bei denen sich Zierler als Tage-            minger, Anm. d. V.] möchte i net gehen“ und
löhner angeboten hatte – vier Mitglieder der            nahm damit darauf Bezug, dass dieser eine
örtlichen Landwehr Haslau, Gemeinde Zell                Art Privatkrieg gegen NS-Willkür und Poli-
am Moos am Irrsee, wieder auf seine Spur.9              zei-Terror mit mehreren Toten führte. Zierler
Sie spüren ihn auf und hetzen ihn. Er flieht,           hatte Hamminger aber mehrfach getrof-
fällt im tiefen Schnee, rappelt sich auf, ver-          fen.11
sucht im nahen Wald wieder Deckung zu fin-
den. Drei Stunden lang dauert die Hetzjagd.
Dann treffen ihn Schüsse. Einmal, zweimal,              DIE MUTTER KÄMPFT FÜR EIN
dreimal, viermal. Beide Oberarme, Rücken,               GEDENKEN
Leber und Lunge werden getroffen. Es ist
eine Art Hasenjagd. Aber der Hase ist nicht
tot. Sie transportieren den Schwerverletzten
mit einem Pferdeschlitten, der normal zum
Blochetransport dient, ins rund fünf Kilome-
ter entfernte Zell am Moos und legen ihn am
blanken Betonboden des Feuerwehrdepots
ab. Ein mutiger Gendarmeriebeamter ver-
fügt trotz Androhung der Landwehrmänner,
ihn im KZ verschwinden zu lassen, seine
Einweisung in das Lazarett Vöcklabruck.
Dort stirbt Alois Zierler am 27. Dezember
                                                        Ehrung von Josefa Neuhofer durch Nationalrats-
1944 gegen 10.45 Uhr. Seinem Vater, der                   präsidentin Mag.a Barbara Prammer, privat
seinen Sohn im Lazarett nochmals sehen
will, rät der behandelnde Arzt, er möge ihn             Alois Zierlers Weg löste einen anhaltenden
so in Erinnerung behalten wie er war. „Die              Kampf seiner Mutter in der Nachkriegszeit
haben ihn ganz übel zugerichtet“.                       aus, die massiv dafür eintrat, dass er und
                                                        sein jüngerer Bruder Franz, der in einem
                                                        Strafbataillon in der Sowjetunion fiel, auf
                                                        dem damals neu zu errichtenden „Krieger-

9 Im Untersuchungsakt des Kriegsgerichts wird für die   Obergefreiten Alois Zierler aus Frankenmarkt im soge-
Zeit der Fahnenflucht Zierlers 1943 und 1944 nur ein-   nannten Entersgraben erschossen. Zierler erlitt einen
mal ein Aufenthaltsort aktenkundig. Am 17.4.1944 er-    Schussbruch des linken Oberarmes, Durchschuss des
stattete E.P. Anzeige gegen Zierler, der am 12.4.1944   rechten Oberarmes und einen Durchschuss re. Ge-
in ihr Haus in Straßwalchen eingedrungen sein soll.     säßhälfte, Leber, Magen und Lunge und Ausschuss
Vgl. BArch Pers 15/133355.                              rechte Brustseite. Am 27.12.1944 um 10.45 ist Zierler
10 Oberösterreichisches Landesarchiv, Chronik des       im Reserve Lazarett Vöcklabruck seinen Verletzungen
Bezirksgendarmeriekommandos Vöcklabruck:                erlegen. Waffengebrauch gerechtfertigt.“
„26.12.1944: um 16.15 haben die Landwehrmänner          11 Silvana Schiller u. Christian Schiller: Georg Ham-

Franz H., Friedrich R. und Johann P. aus […] nach       minger – ein Mörder und seine Zeit. Chronik einer
3stündiger Verfolgung den seit 1942 fahnenflüchtigen    zwiespältigen Existenz. Grünbach: Edition Geschichte
                                                        der Heimat 1993.
denkmal“ aufscheint, was von den damali-               Letzterem kamen die Nachkommen der Fa-
gen Kameradschaftsverbänden abgelehnt                  milie Zierler im Jahre 2019 nach, indem sie
wurde. Sie intervenierte bis zu Landes-                zu seinem 75. Todestag in Frankenmarkt
hauptmann Heinrich Gleißner und setzte                 eine Gedenkmesse lesen und die Sterbe-
sich mit ihrem Argument durch, dass auch               glocke zu seinem Gedenken läuten ließen.
ihre beiden Söhne Opfer der NS-Herrschaft
                                                       Seine Schwester Josefa (verheiratete Neu-
waren und dies kein Kriegsverherrlichungs-
                                                       hofer) wurde im Jahre 2012 von der damali-
denkmal, sondern ein Denkmal der Opfer
                                                       gen Nationalratspräsidentin Mag.a Barbara
sein soll.
                                                       Prammer für ihr couragiertes Eintreten für
Auch die Verhaltensweise des damaligen                 ihren Bruder ausgezeichnet.
Pfarrers und späteren Dechant Herrmüller,
                                                       In Frankenmarkt, dem Heimatort Zierlers,
ihren Sohn einen Landesverräter zu titulie-
                                                       wurde im Jahre 2020 eine Siedlungsstraße
ren und ihm das Läuten der Sterbeglocke zu
                                                       nach ihm benannt. 12
verweigern, ärgerte sie ihren Lebtag lang.

           Die Nachfahren der Familie Zierler nach dem Gedenkgottesdienst im Jahre 2019 vor dem
                                „Kriegsopferdenkmal“ Frankenmarkt, privat.

Friedrich Neuhofer, Neffe, im Namen der Nachkommen
Anmerkung: Soweit nicht anders vermerkt, beruht die Darstellung auf mündlichen Überliefe-
rungen von Personen bei denen Zierler Unterschlupf gefunden oder sich als Tagelöhner
durchgeschlagen hat, seiner Mutter bzw. der Mutter des Beiträgers, Josefa Neuhofer. Die
Quellenbelege und Kommentare in den Fußnoten stammen von Andreas Schmoller.

12   Gemeinderatsbeschluss 9.7.2020.
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